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Читать книгу: «Moderne Geister», страница 33

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Henrik Ibsen ist ein Richter, streng wie einer der alten Richter Israels, Björnson ist ein Prophet, der verheissende Verkünder einer besseren Zeit. Ibsen ist in der Tiefe seines Gemüths ein gewaltiger Revolutionär. In der „Komoedie der Liebe“, in „Ein Puppenheim“, in „Gespenster“ geisselt er die Ehen, in „Brand“ die Staatskirche, in den „Stützen der Gesellschaft“ die ganze bürgerliche Gesellschaft seines Landes. Was er angreift, wird von seiner tiefsinnigen und überlegenen Kritik zersplittert, und die gesprengten Ruinen bleiben übrig, ohne dass man hinter ihnen neue Gesellschaftsformen erstehen sähe. Björnson ist ein versöhnender Geist, er führt ohne Erbitterung Krieg. Es spielt wie Aprilsonne über seine Dichtungen hin, während die Werke Ibsen's mit ihrem tiefen Ernst wie im Schatten liegen. Ibsen liebt die Idee, die logische und psychologische Consequenz, die Brand aus der Kirche, Nora aus der Ehe heraustreibt. Der Ideenliebe Ibsen's entspricht die Menschenliebe Björnson's.

IX

Schon jung fing er an politisch zu wirken, und er hat sein Leben hindurch in einer Richtung gewirkt. Unermüdet hat er gekämpft, um die Unabhängigkeit Norwegens in der (fast nur dynastischen) Union mit dem grösseren Lande Schweden zu sichern. In ganz Europa wird, ausserhalb der skandinavischen Lande, Norwegen als ein von „dem schwedischen Könige“ regirtes Land betrachtet. Selbst wo man von der Schulzeit her, eine Art Begriff von Norwegen als Königreich hat, wird das Land unwillkürlich als eine Provinz von Schweden betrachtet, und so oft aus irgend einem Grunde zwischen Regierung und König einerseits und dem norwegischen Storthing andererseits eine Verstimmung herrscht, findet man in den europäischen Blättern Norwegen als eine Art „aufrührerisches Irland“ besprochen. Diese Thatsache hat ihren natürlichen Grund in dem Umstande, dass der König in Stockholm residirt und die auswärtige Politik des Reiches von einem schwedischen Minister geleitet wird. Allein sie zeigt, wie sehr Norwegen gegen jeden weitergehenden Versuch, das Land in ein untergeordnetes Verhältniss zu Schweden und dem Unionskönige zu bringen, auf seiner Hut sein muss.

Bekanntlich hat das Haus Bernadotte, gleich vom Jahre 1814 an, ruckweise einer natürlichen Neigung gefolgt, das Land mit dem Nachbarreiche zu amalgamiren und dessen verfassungsmässige Rechte zu beschränken, während andererseits die Norweger geneigt waren, in jedem Versuch die beiden Länder politisch enger miteinander zu verknüpfen, eine Gefahr zu erblicken. Schon als Redacteur 1858 bekämpfte Björnson die amalgamistischen Pläne und hatte nicht geringen Antheil daran, dass die Vertreter Bergen's, die für eine nähere Zollverbindung zwischen Schweden und Norwegen gestimmt hatten, nicht wieder in's Storthing gewählt wurden. 1859 stritt er als Redacteur von „Aftenbladet“ in Christiania erfolgreich für das Recht Norwegens, keinen schwedischen Statthalter des Königs zu dulden. 1866 – 67 war er als Redacteur des „Norsk Folkeblad“ einer der eifrigsten Gegner des sogenannten „Unionsvorschlags“, d. h. einer Vorlage der Regierung, die darauf hinausging, eine engere Union zwischen den beiden dynastisch vereinten Reichen zu bewerkstelligen. Als der Streit über das (bisher nur für suspensiv erkannte) Veto des Königs zwischen König Oscar und dem Storthing ausbrach, wurde schliesslich Björnson einer der wichtigsten politischen Agitatoren. Besonders nach seinem Besuch Nordamerikas im Jahre 1880 hat er sich als grosser Volksredner entpuppt. Es verdient ausdrücklich hervorgehoben zu werden, dass er in seinem Kampfe für Norwegens Unabhängigkeit, sich niemals zu einer unbesonnenen oder verletzenden Aeusserung über Schweden hinreissen liess, sondern stets seine warme Sympathie für das Nachbarland betont hat.

Eine Charakteristik, die Björnstjerne Björnson nicht auch als Redner und Journalisten behandelt, wird immer unvollständig sein. Um sie liefern zu können, müsste man jedoch eine Gesammtausgabe seiner Journalartikel und grösseren Reden zur Verfügung haben. Besser noch als an seinen Dichterwerken würde man an seinen Artikeln alle die Entwicklungsstadien, die er durchlaufen hat, studiren können, und es wäre daher wünschenswerth, wenn man eine Sammlung derselben nicht erst bis nach seinem Tode verschöbe. Viel Unreifes und Unvernünftiges käme dabei zu Tage, aber auch viel Ausgezeichnetes und Lehrreiches, das ganze Bände füllen würde. Wenige Männer führen eine polemische Feder wie Björnson, und wenige haben wie er die Gabe, volksthümlich ohne Weitschweifigkeit zu schreiben.

Am rückhaltlosesten und vollständigsten legt Björnson als Redner sein Wesen an den Tag. Er ist als solcher ein grosser, genialer Agitator. Wenn ich mir ihn in die Situation hineinzudenken versuche, zu welcher er, seinem innersten Wesen nach, sich am besten eignet, so sehe ich ihn bei einer Volksversammlung vor mir, wie er sicher, vierschrötig, über Tausende von norwegischen Bauern emporragend, auf der Rednerbühne steht, und rings tiefe Stille um sich her, mit dem mächtigen Klang seiner Stimme die Zuhörer bannt, bis ihn endlich in dem Augenblicke, da er vollendet, der Jubel umbraust.

Die beiden Länder Norwegen und Dänemark, die so viele Jahrhunderte politisch vereinigt gewesen, die auf der alten gemeinsamen Litteratur weiterbauen, denen noch heutigen Tags eine gemeinsame Schriftsprache, ein gemeinsamer Leserkreis zu eigen, haben in allen den grossen Kulturfragen gemeinsame Bestrebungen und Ziele. Die norwegische und die dänische moderne Litteratur, die, unwesentliche Dialectverschiedenheiten abgerechnet, in einer und derselben Sprache geschrieben sind, bilden in Wirklichkeit unter zwei Namen nur eine Litteratur. Derselbe Kampf für Freiheit und neuzeitliche Aufklärung, den Björnson in Norwegen kämpft, wird in Dänemark von der jüngeren Schriftstellerschule ausgefochten. Norwegen und Dänemark arbeiten, je von ihrer Seite, das gemeinsame Sprach- und Litteraturgebiet zu bebauen.

Wer weiss! Vielleicht ergeht es noch damit, wie in Arne mit der Bekleidung des Felsens.

Als nach vielen fruchtlosen Bemühungen endlich der Tag gekommen war, wo das Haidekraut über die Felsenkante hinweggucken konnte und die Birke den ganzen Kopf hinüberbog, da entdeckten sie unter vielen Oh jeh! Oh jeh! freudiger Bestürzung, dass jenseits ein ganzer grosser Wald aus Föhren und Haidekraut und Wachholder und Birken auf dem Abhange stand und wartete. Sie begegneten der Arbeit, die von der andern Seite gemacht worden, um den Felsen zu bekleiden.

Ja, so ist es, wenn man vorwärtsstrebt“, sagt der Wachholder.

NACHSCHRIFT.
(1899.)

Von 1882 bis jetzt, hat Björnstjerne Björnson gar viel gearbeitet, geeifert, politisirt und gedichtet. Er hat so viel Kraft für Verhältnisse und Dinge, welche der Dichtkunst fern liegen, eingesetzt, dass in den verflossenen siebzehn Jahren nicht mehr als acht Bände Dichtungen von ihm erschienen. Doch hat er sich in einigen dieser Werke so hoch emporgeschwungen, dass von einer Abnahme seiner Kräfte nicht nur nicht die Rede sein kann, sein dichterisches Genie vielmehr heute gefesteter, vollkräftiger als ehedem erscheint.

Hat sich Björnson's poetische Begabung eher gesteigert, so ist er im übrigen als Persönlichkeit mehr in die Breite gegangen. Wohl hat er von jeher die Ellbogen zu regen geliebt, viel Platz erheischt und seinem Hange gefolgt, zu bekennen, zu verkündigen, mitzusprechen und die Wege zu weisen, selbst wo er nicht über hinreichende Kenntnisse gebot, ja nicht einmal so recht die Vorbedingungen besass, sich diese zu verschaffen. Je mehr jedoch mit den Jahren sein Ansehen wuchs, desto ungescheuter gab er sich dem ehrgeizigen Verlangen hin, auf den verschiedensten Gebieten mahnend und führend aufzutreten. Riesig ist die Zahl der seit 1882 von ihm unternommenen moralischen und politischen Feldzüge. Die Zahl der Kannegiessereien, auf die er im selben Zeitraume sich verlegt hat, ist verblüffend. Einem scherzhaften On dit zufolge soll Björnson u. a. ein Schreiben an den Papst gerichtet haben, in welchem er ihn auf's eindringlichste ermahnte, sich zur protestantischen Religion zu bekehren, müsse er doch selbst einsehen, dass der Katholicismus nicht mehr zeitgemäss sei; es wäre das ein Schritt von unermesslicher Tragweite.

Er ist fast immer von einer Idee erfüllt, für die er in dem Augenblicke mit dem Aufgebot seiner ganzen Beredsamkeit kämpft. Hat er eine Zeit lang für sie gestritten, dann lässt er sie fallen und wird von der nächsten mit fortgerissen. Zu seiner Ehre muss gesagt werden, dass diese Ideen nur ausnahmsweise im Widerstreit miteinander stehen. Mitunter reist er sogar von Ort zu Ort und hält immer und immer wieder den nämlichen Vortrag, worin er dem Form gegeben hat, was ihm für seine neue Idee von wesentlicher Bedeutung erscheint. Einen Vortrag, in dem er von den Männern Jungfräulichkeit und Einehe forderte, hielt er so in allen grösseren und kleineren Städten Dänemarks, Norwegens, Schwedens und Finnlands, ihn wohl an die achtzigmal wiederholend. Es geht die Sage, dass hernach eine auffallende Besserung des Sittlichkeitszustandes in den nordischen Landen eingetreten sei; nichts ist ja so wirksam wie eine kräftige Predigt.

Nach und nach hat Björnson auf diese Art die Republik eingeführt, die geschlechtliche Sittlichkeit, die reine norwegische Flagge, den Weltfrieden, norwegische Rüstungen gegen Schweden, Angriffe auf Schweden in russischen Blättern, norwegische Consuln und norwegische Minister des Aeussern, er hat die Freilassung des Dreyfus und die Abhaltung des Haager Congresses durchgesetzt, hat seiner Dankbarkeit gegenüber dem Kaiser von Russland und seinen Sympathien für den englischen Björnson, Mr. Stead, Ausdruck gegeben, endlich das norwegische Landsmaal (die Volkssprache) aus den norwegischen Schulen verdrängt. Der Kopf schwindelt einem, nur daran zu denken. Allerdings dürfte es zumeist noch nicht so recht Wurzel geschlagen haben; noch lässt sich der Weltfriede nicht als unbedingt gesichert betrachten, wie auch Norwegen nicht vollauf gerüstet ist, es mit Schweden aufzunehmen; hie und da wird sich wohl auch noch ein dänischer Mann oder eine norwegische Flagge finden, die nicht „rein“ sind; allein ein gut Stück Arbeit ist jedenfalls gethan, und die überwiegende Mehrzahl des norwegischen Volkes hat dem heimischen Dichter auf allen Irrfahrten begeisterte Heerfolge geleistet. Wer Björnstjerne Björnson im Concertpalais zu Kopenhagen vor fünfhundert nicht mehr in der ersten Blüthe stehenden, direct vom Strickstrumpfe gekommenen Damen über den Weltfrieden sprechen, ihn mit beweglichen Worten die Versammlung beschwören hörte, von den wilden kriegerischen Instincten abzulassen, zu bedenken, dass es wehe thäte, sehr wehe sogar, im Krieg verwundet zu werden, dass Wunden auch äusserst übel röchen, ihn (zum zwanzigstenmale) zufällig einen Brief, der etwas von dem Gesagten bestätigte, in seiner Tasche finden sah – „ich glaube, ich habe ihn bei mir“ – und nun den Eindruck der Rede gewahrte, sah, wie das offenbar vordem rein kriegswüthige Publikum friedliebend wie eine Lämmerherde den Saal verliess: wer all dies erlebt hat, der kann sich eine Vorstellung machen von dem Effect dieser Vorträge überhaupt.

Was in ihnen von Björnsons Wesen zu Worte kommt, ist nicht sein bestes Theil: es lässt ihn sich am wohlsten fühlen, wo tausend Freunde und hundert Gegner sich um ihn scharen, er also nichts wesentlich Neues verkündet. Dazu macht sich mit den Jahren in diesem seinem Auftreten als Polemiker und Erzieher immer unangenehmer eine eigenthümliche Mischung von Brutalität und Sentimentalität fühlbar.

Das Beste seines Wesens hat er in seinen Werken niedergelegt. Die beiden grossen Romane „Beflaggt sind Stadt und Hafen“ (1884) und „Auf Gottes Wegen“ verunstaltet einigermassen das unmittelbare Moralisiren, doch ist auch in ihnen, wie überall bei Björnson, selbst wo er sich nicht zu seiner vollen Höhe erhebt, eine grosse dichterische Kraft entfaltet; die ungewöhnliche Gabe, zu schildern, zu charakterisiren, mit freier Hand hinzuwerfen, gibt sich allenthalben kund, sei sie auch in den Dienst untergeordneter und uninteressanter Ideen gestellt. Björnson ist ja der geborene Erzähler, der echte Epiker. In seinen Adern rollt Erzählerblut, und nichts hat einen Klang wie die Stimme des Blutes. Ganz besonders kommt aber seine Fähigkeit zu gründlicher Vertiefung in das Seelenleben der Personen in der Form der Erzählung zu ihrem Rechte. Er braucht Platz zur Entfaltung und Erklärung von oft ganz merkwürdigen Wunderlichkeiten und Ausnahmsfällen und findet im Roman und in der Novelle mehr Spielraum hiezu, als im Schauspiele, das die haushälterischste Knappheit erfordert.

In seinen „Neuen Erzählungen“ (1894) ist die letzte, „Absalons Locken“, die hervorragendste des Buches und verräth aufs neue eindringliche Menschenkenntniss. Ihr Schwerpunkt liegt in der Zeichnung einer blutreichen, willensstarken, niedrigen und simplen Frauennatur, und in der Vorgeschichte finden sich hier, ganz wie in der des Romanes „Beflaggt“, kräftig wiedergegebene Züge von Roheit der Sitten, ja von äusserster Brutalität, die als charakteristisch für das Land, in dem die Erzählung spielt, auffallen. Man vergisst weder die Scene, wo der Bauer seine scheussliche, blutige Rache an Kurt nimmt, noch jene, wo Harald Kaas im Beisein des ganzen Hofgesindes seine Frau bis aufs Blut mit Ruthen streicht. Im Gegensatze hiezu macht sich im weiteren Laufe der Erzählungen die weichlichste Empfindsamkeit breit.

Im Jahre 1883 gab Björnson zwei Schauspiele heraus, wovon das eine ausserordentliches Aufsehen erregte, das andere zu dem Ausgezeichnetsten gehört, das er im Leben geschaffen hat und das überhaupt bewunderungswürdig genial in seiner Anlage ist.

„Ein Handschuh“, das erstere dieser beiden Stücke, vom Dichter wiederholt umgearbeitet, ohne in irgend einer der Gestalten künstlerische Vollendung zu gewinnen, spannt die sittliche Forderung an den Mann auf dem Gebiete der Geschlechtsverbindungen so hoch, wie man es bis dahin nur der Frau gegenüber gewohnt war, und die Neuheit dieser Tendenz eines Schauspieles machte sofort grosses Aufsehen. Allein die weibliche Hauptgestalt, das verlobte junge Mädchen, Svava, wird einem nicht so werth wie der Dichter, der in ihr eine Personification der strengen Reinheit, die Vorbotin einer lichteren, edleren Zukunft erblickt, es wollte. Man fühlt ein gewisses Mitleid mit ihr, als einem Opfer allzugrosser Vertrauensseligkeit, aber sie wirkt nirgends schön, und ihre Haltung ihrem Bräutigam wie ihrem Vater gegenüber berührt peinlich. Hätte sie Alf geliebt, wie sie ihn zu lieben glaubt, sie würde sich wohl in der Stille mit ihm auseinandergesetzt haben, ohne ihm den Handschuh ins Gesicht zu werfen, und wäre sie nicht von vornherein in Gedanken unschön mit dem Geschlechtlichen beschäftigt gewesen, sie hätte nicht gleich zu Beginn des Stückes zu ihrem Vater die geschmacklosen Lobesworte sprechen können: „du bist doch die keuscheste und feinste Mannsperson, die ich kenne“, was beinahe noch übler klingt, als ihre späteren Verdammungsurtheile über die Schwächen des Vaters. Björnson, der in diesem Schauspiele als echter Pastorssohn sich unbedingt auf den Standpunkt des sechsten Gebotes stellt, hat die verwickelten Geschlechtsverhältnisse durchaus nur von Einer Seite ins Auge fassen wollen und theils mit Ungestüm angegriffen, was niemandem zu vertheidigen oder gut zu heissen einfiel – also wieder einmal offene Thüren eingerannt – theils aus dem garstigen Vorgehen seiner Nebenpersonen so allumfassende Schlüsse gezogen, dass dies, wäre eine Erörterung auf diesem Gebiete in den nordischen Landen frei, zweifelsohne eine scharfe Kritik erfahren hätte. Wie die Dinge lagen, kam dem Drama gegenüber kaum ein anderes Gefühl als das der Befriedigung zu Worte, die Leichtfertigkeit entlarvt und gebrandmarkt, die Reinheit verfochten und gepriesen, die strengsten und höchsten Anforderungen gestellt zu sehen. In nordischen Gemüthern wird es stets eine Stelle geben, wo das Ideale der puritanischen Grundsätze einen Widerhall findet.

Weit überraschender, weit tiefsinniger und poetischer war jedoch Björnson's zweites Schauspiel aus dem Jahre 1883, der erste Theil von „Ueber die Kraft“. Er selbst hat nichts Besseres geschaffen, und auch Ibsen nicht. Es ist durch und durch neu, genial, sowohl in der Anlage wie in der Durchführung, das ausgezeichnetste Drama der neueren Zeit über die Religiosität, über das heutige gläubige und praktische Christenthum. Alles, was in seiner priesterlichen Abstammung und Anlage der reinen Wirkung seiner Poesie sonst abträglich war, kam ihm hier zugute. Das starke Gefühl für das Wesen des christlichen Glaubenslebens, für dessen grosse Schönheit und tiefe Gefährlichkeit, konnte nur der haben, der selbst einmal als Gläubiger empfunden, sich dann aber losgemacht hatte, ohne Groll, ja mit Wehmuth, doch mit der Einsicht in das Verwirrende, das die Menschennatur Sprengende des steten Verhältnisses zum Uebernatürlichen. Das Stück ist von der Ueberzeugung getragen, dass unseren Kräften, unserem ganzen Wesen feste Grenzen gezogen sind, sowie von einem Gefühl der Beruhigung, dass es solche Grenzen gibt – etwas, worüber die Dichter nur allzusehr zu ächzen pflegten.

Hiezu kommt die mit reicher poetischer Kunst dem Stücke mitgetheilte Sommerstimmung des Nordlandes, der feine Blumenduft dieser Gegend, der es durchhaucht; mit Meisterschaft endlich ist unmittelbar vor dem tragischen Schluss eine leicht humoristische Partie, die Ankunft der hungrigen Pfarrer, eingeflochten. Man hätte sich verschwören mögen, läge der Gegenbeweis nicht vor, es sei ein Ding der Unmöglichkeit, durch ein Drama ohne Erotik, das einzig und allein die Möglichkeit eines Heilungsmirakels behandelt, Leser und Zuschauer also zu fesseln.

Die Fortsetzung des Stückes, sein zweiter Theil (vom Jahre 1895), ergänzt es würdig und in vollstem Masse, indem es mit der gleichen Genialität den Hang zum Grenzenlosen auf dem socialen Gebiete aufzeigt, wie der erste auf dem religiösen. Mit ausserordentlicher Feinheit wird hier das Erbe vom gläubigen Vater bei dem ungläubigen Sohne nachgewiesen, der einer ebenso grenzenlosen Begeisterung folgt, auch sie lebensgefährlich.

Es ist kaum anzunehmen, dass das Stück in seiner gegenwärtigen Fassung schon 1883 entworfen wurde, wenn sich auch Björnson darüber klar sein mochte, wie er das Wesen der aus dem ersten in den zweiten Theil hinübergenommenen Personen weiter entwickeln wolle. Kamen anarchistische Sprengversuche damals ja nur ganz ausnahmsweise vor. Auch finden sich hie und da (so zum Beispiel in Holgers Wesen und Ausdrucksweise) Spuren späterer Erfahrungen und Eindrücke (Nietzsche). Doch das ist Nebensache, die ganze Anlage des Stückes ist von Anfang bis zu Ende das Werk eines Meisters: ergreifend wird der Gegensatz zwischen den Elenden und den Begüterten durch den zwischen der tiefen, sonnenlosen Kluft, in der die ersteren leben, und dem Leben oben in der Burg auf der weiten Hochebene veranschaulicht, und ebenso anschaulich stellt sich der Gegensatz zwischen dem Fanatismus, der seine Minengänge füllt, und der Barmherzigkeit dar, die ihr Hospital baut. Der dritte Act, in dem am Schlusse die Burg in die Luft fliegt, ist an und für sich ein kleines Meisterwerk von dramatischer Kunst, und der vierte Act schliesst das Ganze schön, wenngleich etwas prosaisch mit dem Ausblicke in eine bessere Zukunft ab. Selbst Gestalten, die halb oder ganz Allegorien sind, selbst die mit kühnen Strichen hingeworfenen, schwach durchgeführten Gestalten Credo und Spera, diese Verkörperungen des Zukunftsglaubens und der Zukunftshoffnung, sind mit Genialität concipirt.

So hoch steht das 1898 folgende Schauspiel „Paul Lange und Tora Parsberg“ nicht, wenn es sich auch durch feine, vollendete Charakteristik zweier höchst eigenthümlicher, jeder in seiner Art bedeutender Menschen auszeichnet. Die Wirkung des Stückes wird dadurch ein wenig beeinträchtigt, dass die Erinnerung an die wirkliche Begebenheit, auf welcher es sich aufbaut, sich bei allen denen, die sie kannten, einmischt. Es ist schwer, eine freie dichterische Schöpfung über ein Motiv hervorzubringen, das wenige Jahre zuvor in Leitartikeln behandelt wurde.

Einigermassen wirkt dem vom Dichter angestrebten Eindrucke, ähnlich wie in seinem Drama „Der Redacteur“, die ziemlich starke Dosis Weichlichkeit der Grundanschauung entgegen. Der Umstand, dass Paul Lange – dessen Gewissen ihn freispricht und der an dem Weibe, das er liebt und das ihn wieder liebt, die festeste Stütze findet – von Seite der ehemaligen politischen Genossen Missbilligung und Verkennung bis zur Roheit erfährt, ist kein hinreichend einleuchtender Beweggrund, freiwillig in den Tod zu gehen. Ein Dialog, wie der folgende zwischen seiner Braut und seinem Diener, lässt Paul Lange in einem etwas kläglichen Lichte erscheinen:

Tora Parsberg

Las er die Morgenblätter?

Kristian Oestlie

Allesammt.

Tora Parsberg

Liess sich das nicht hindern?

Kristian Oestlie

Es war nicht möglich.

Ein Staatsmann, ein Minister, ein alter Politiker, der sein Lebelang den Aufregungen und Stürmen des öffentlichen Lebens ausgesetzt war, muss es ertragen können, die Morgenblätter zu lesen, darf zum mindesten nicht daran sterben, dass er sie las.

Dieses Schauspiel hat nicht jenen allgemein menschlichen Gesichtskreis wie das Doppeldrama „Ueber unsere Kraft“; es hat vorzugsweise auf die Verhältnisse in Norwegen Bezug und zwar auf ganz eigenthümliche, fast individuelle dortige Verhältnisse. Als Menschenstudium aber und Menschendarstellung genommen, zeugt es von ungeschwächter Frische und Kraft. Alle Gestalten sind leibhaft, in voller Rundung hingestellt, sie drücken sich je nach ihrem besonderen Wesen aus. Selbst Nebenfiguren (wie der Kammerherr und Storm) sind vortrefflich. Wohlgelungen ist auch das Selbstporträt in Arne Kraft, obgleich nur einige Umrisslinien gegeben sind. Die Handlung hingegen ist minder überzeugend durchgeführt. Hätte Paul Lange seinem zudringlichen und unausstehlichen Freunde, Herrn Arne Kraft, ein Billet gesendet, dass er nach reiflicher Erwägung sich ausserstande sehe, das Versprechen, das Kraft ihm abgepresst, ja abgequält habe, zu halten (das Versprechen, einen alten, unzuverlässigen Minister nicht durch eine Rede zu stützen), es hätte zu keinem Missverständniss kommen und nicht so leicht eine Tragödie daraus entstehen können. Doch dem sei, wie ihm wolle, überblickt man Björnsons dramatische Schöpfungen der späteren Jahre, so ist der Haupteindruck der einer tiefeindringenden Menschenkenntniss, reicher Phantasie, warmer Menschenliebe und des grossen Stiles einer Kunst, die umso höher stieg, je schwierigere Aufgaben sie sich stellte.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
05 июля 2017
Объем:
680 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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