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Читать книгу: «Moderne Geister», страница 3

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V

Ich habe schon gesagt, dass Heyse als Dichter unmittelbar von Eichendorff ausgeht. Wie der Held in seiner Novelle „Ein Abenteuer“, scheint er in seinen ersten Wanderjahren sich den romantischen „Taugenichts“ zum Begleiter erwählt zu haben. Wo er in einer seiner Novellen (Lottka) sich selbst als Jüngling einführt, singt er in der Eichendorff'schen Tonart, und man erkennt, dass er sehr früh die romantischen Melodien mit seltener Geläufigkeit nachgepfiffen. In der Sammlung romantischer Kindermärchen, die er als Schüler unter dem Titel „Der Jungbrunnen“ herausgab, ist Musje Morgenroth ein leiblicher Bruder des berühmten Eichendorff'schen Helden. Das Buch ist die Arbeit eines Kindes, hat aber doch ein gewisses Interesse, da es den ersten Standpunkt des Dichters bezeichnet. Man sieht daraus, mit welchen Gaben er von Anfang an ausgerüstet war: die knabenhafte aber nie geschmacklose Prosa fliesst leicht, und die Verse, die bedeutend höher stehen, sind mit all' ihren Nachklängen unaffectirt, sicher geformt und frisch. Er singt nach, aber er singt rein; es ist die gewöhnliche romantische Tonart, aber mit jugendlicher Frische und Anmuth angeschlagen. In den Flegeljahren naiv zu produciren, heisst schon ein Phänomen sein, und die ungewöhnliche angeborne Herrschaft über die Sprache hütet den dichtenden Schüler vor Forcirtheit und Manier. Der, wie es scheint, vom Vater, dem bekannten Philologen, ererbte Sprachsinn entwickelt sich bei dem Sohne zu einer Sprachfertigkeit, einer Leichtigkeit, mit Worten und Rhythmen umzuspringen, die schon im ersten Jünglingsalter nicht weit von Virtuosität entfernt war. Diese A. W. Schlegel und Rückert übertreffende Sprachfertigkeit bedingte als ein Grundelement in Heyse's Begabung die übrigen Eigenthümlichkeiten, die er nach und nach entwickelt hat. Er sang von Anfang an, nicht weil er mehr auf dem Herzen hatte als alle Uebrigen, sondern weil es ihm weit natürlicher und leichter als Anderen fiel das auszusagen, dessen sein Herz voll war. Da nicht starke innere Umwälzungen oder eingreifende äussere Begebenheiten erforderlich waren, um seine Lippen zu öffnen, wie sonst wohl, um die Erzeugungslust derer zu wecken, denen das Formgeben schwierig ist und denen es nur in den Augenblicken der Leidenschaft gelingt, die Schätze des Innern an's Tageslicht zu heben, so blickte er nicht nach Innen, sondern nach Aussen, grübelte nur wenig über sein Ich, seinen Beruf und seine Fähigkeiten, sondern sich wohl bewusst, dass er in seiner Seele einen klaren Spiegel trug, der aus der Umgegend Alles auffing, was ihn ansprach, liess er mit der Empfänglichkeit und dem Schaffensdrange eines bildenden Künstlers den Blick nach allen Seiten umherschweifen.

Eines bildenden Künstlers, sag' ich; denn nicht lange fuhr er fort, die romantische Musik anzustimmen. Er hat selbst gesagt:

 
Schön ist romantische Poesie,
Doch was man nennt beauté de nuit.
 

Die rechten Männer, meint Heyse, verstehen ihre Gedanken à jour zu fassen, und er ist in allzu hohem Grade ein Sonnenkind, als dass er im romantischen Zwielicht hätte stehen bleiben können. Lyriker war er überhaupt nicht, und die Romantik hat naturgemäss und nothwendig ihre Stärke in der Lyrik. Die Naturumgebungen flössten ihm auch kein selbständiges poetisches Interesse ein: eine solche Frische des Meeres und der Landschaft, wie sie z. B. die dänischen Novellen Blicher's überhaucht, wird man in den seinen nicht finden; er ist kein Landschafter und hat stets die Landschaft nur als Hintergrund benutzt. Was am ersten und frühesten seinem Blicke begegnete, sobald er genug entwickelt war um mit eigenen Augen zu sehen, war der Mensch; und wohlgemerkt, nicht der Mensch als eine von Organen bediente Intelligenz, oder als ein auf zwei Beinen gehender Wille, oder als psychologische Merkwürdigkeit, sondern als plastische Gestalt. Zu allererst hat er, nach meiner Auffassung, ganz wie der Bildhauer oder Gestaltenmaler, sobald er seine Augen schloss, seinen Gesichtskreis mit Konturen und Profilen bevölkert gesehen. Schöne äussere Formen und Bewegungen, die Haltung eines anmuthigen Kopfes, eine reizende Eigenthümlichkeit in Stellung oder Gang haben ihn ganz auf dieselbe Weise beschäftigt, wie sie den bildenden Künstler erfüllen, und sind von ihm mit derselben Vorliebe, ja bisweilen fast mit technischen Ausdrücken wiedergegeben worden. Und nicht nur der Erzähler, auch die auftretenden Personen fassen oft genug auf dieselbe Weise auf. So sagt z. B. die Hauptperson in der Novelle „Der Kreisrichter“: „Die Jugend hier ist gesund, und das ist in jungen Jahren die halbe Schönheit. Auch haben sie noch Race. Achten Sie auf die feine Form der Köpfe und die zarte Bildung der Schläfen, und im Gang und Tanz und Sitzen die natürliche Anmuth“.17 Ein schlagendes Beispiel dieser Anschauungsweise des Dichters findet man in der Novelle „Die Einsamen“, wo sein Missmuth darüber, mit den Mitteln seiner Kunst nur so unvollkommen malen zu können, folgendermassen zu Worte kommt: „Nur den Umriss! wüthete er vor sich hin, ein paar Dutzend Linien nur! Wie sie auf dem Eselchen einhertrabt, das eine Bein über den Rücken des Thieres, flach und sicher ruhend, das andere mit der Spitze des Fusses fast den Boden streifend; und den rechten Ellenbogen auf das ruhende Knie niedergestützt, die Hand leicht unter dem Kinn, mit der Halskette spielend, das Gesicht hinausgewendet nach dem Meer; welche Last schwarzer Flechten im Nacken! Es leuchtet roth darin; ein Korallenschmuck – nein, frische Granatblüthen. Der Wind spielt mit dem lose angeknüpften Tuch; wie dunkel brennt die Wange, und wie viel dunkler das Auge!“18

Es sind solche Bilder, plastische Figuren, einfache malerische Situationen, mit denen die Phantasie Heyse's von Anfang an operirt hat, und die ihren einen Ausgangspunkt bilden. Und ob man noch so sehr fühlt, wie viel vernünftiger es ist, einen Dichter zu schildern als ihn zu loben, so kann man doch nicht einen Ausbruch der Bewunderung darüber zurückhalten, wie vorzüglich es überall Heyse gelungen ist, seine Gestalten, freilich besonders die Frauengestalten, dem Auge darzustellen. Er gehört nicht zu der beschreibenden Schule, er charakterisirt nicht weitläufig wie Balzac noch sorgfältig wie Turgenjew, sondern schildert mit wenigen Zügen; aber seine Gestalten bleiben uns doch in der Erinnerung, aus dem sehr einfachen Grunde, weil sie alle Stil haben. Ein Bauernmädchen aus Neapel oder Tyrol, ein Dienstmädchen oder ein junges Fräulein aus Deutschland erhalten, von ihm gemalt, ein höheres, unwirkliches und doch unvergessliches Leben, weil sie alle durch die streng idealistische Methode und Kunst der Darstellung geadelt sind. Sie sind formvollendet wie Statuen, sie haben eine Haltung wie Königinnen. Niemand, ausser dem Maler Leopold Robert, an den einige von Heyse's italienischen Arbeiten erinnern, hat meines Wissens einen so bewussten Stil in der Zeichnung von Bauern und Fischern an den Tag gelegt. Und wie die Formen der äusseren Gestalt, so sind diejenigen des Gemüthslebens stilvoll. Wenn der Ausdruck nicht allzu gewagt wäre, möchte ich sagen, dass Heyse die Liebe plastisch schildert. Die Romantiker fassten sie immer lyrisch auf. Vergleicht man aber die Liebesnovellen Heyse's mit romantischen Liebesnovellen, so wird man finden, dass, während die Romantiker ihre Stärke darin haben, die romantische Entzücktheit als solche zu analysiren und den seltsamsten, sonst namenlosen Stimmungen Namen zu geben, sich bei Heyse gleich jedes psychologische Moment in einer Miene oder Geberde spiegelt; Alles wird bei ihm gleich Anschauung und sichtbares Leben.

VI

Ich bemerkte, dass die Fähigkeit, Gestalten festzuhalten und zu idealisiren, den einen Ausgangspunkt der Phantasie dieses Dichters bilde. Sie hat noch einen andern. Gewiss fast eben so ursprünglich wie seine Fähigkeit, Charaktere darzustellen, ist seine Lust „Abenteuer“ zu erleben und zu erdichten. Unter Abenteuern verstehe ich Begebenheiten eigenthümlicher, ungewöhnlicher Art, die – was bei wirklichen Abenteuern fast nie der Fall ist – eine sichere Kontur, einen so bestimmten Anfang, Mitte und Schluss haben, dass sie der Phantasie wie ein von einem Rahmen umschlossenes Kunstwerk erscheinen. Aus irgend einer äusseren oder inneren Beobachtung – dem Bruchstück eines Traumes, einer Begegnung auf der Strasse, dem Anblick der mittelalterlichen Thürme einer alten Stadt im Abendsonnenschein – entspringt ihm durch die rapideste Ideenassociation eine Geschichte, eine Verkettung von Begebenheiten, und da er so streng künstlerisch angelegt ist, nimmt diese Begebenheitsreihe stets eine rhythmische Form an. Sie hat deutliche, feste Umrisse und inneres Gleichgewicht wie die Gestalten. Sie hat ihr Knochengerüst, ihre Fleischesfülle, vor Allem ihre wohlmarkirte und schlanke Taille. Die Fähigkeit, eine Geschichte in knapper und geschlossener Form mitzutheilen, sie so zu sagen harmonisch zu rhythmisiren, entspringt unmittelbar aus Heyse's durch und durch harmonischer Natur. Die Novellenform, wie er sie zugeschnitten und ciselirt hat, ist eine völlig originale und selbständige Schöpfung, sein wahres Eigenthum. Darum ist er auch besonders durch die Prosanovelle populär geworden. Seine Novelle hat immer äusserst wenige und einfache Factoren, die Anzahl der Personen ist gering, die Handlung gedrängt und mit einem einzigen Blick überschaubar. Aber die Fabel ist nicht allein um der Personen willen da, wie in den modernen französischen Novellen, die nur ein psychologisches oder physiologisches Interesse befriedigen wollen; sie hat ihren eigenthümlichen Entwicklungsgang und ihr selbständiges Interesse. Eine Novelle wie die durch die altväterliche Anmuth des Stils so reizende „Abendscene“ Christian Winther's19 hat den Mangel, dass nichts in ihr geschieht. Die Novelle ist bei Heyse nicht ein kleines Zeitbild oder Genrebild; es geschieht Etwas, und es geschieht immer etwas Unerwartetes. Die Handlung ist in der Regel so angelegt, dass an einem gewissen Punkt ein unvorhergesehener Umschlag eintritt, eine Ueberraschung, die, wenn der Leser zurückdenkt, sich immer als in dem Vorhergehenden gründlich und sorgfältig motivirt erweist. An diesem Punkt spitzt sich die Handlung zu; hier laufen ihre Fäden in einen Knoten zusammen, aus welchem sie in entgegengesetzter Richtung sich weiter spinnen. Der Genuss des Lesers beruht auf der Kunst, womit der Zweck, den die Handlung erstrebt, gradweise immer mehr und mehr verschleiert und verdeckt wird, bis die Hülle plötzlich fällt. Seine Ueberraschung beruht auf der Gewandtheit, mit welcher er anscheinend mehr und mehr von dem gerade über dem Ausgangspunkt liegenden Endpunkte entfernt wird, bis er schliesslich entdeckt, dass er in einer Spirallinie geführt worden ist und sich direkt über dem Punkte befindet, wo die Erzählung anfing.

Heyse hat selbst in der Einleitung zu seinem „Deutschen Novellenschatz“ sich über das Princip ausgesprochen, dem er in der Novellencomposition huldigt. Hier wie in der Einleitung zur „Stickerin von Treviso“, macht er denen gegenüber, die das ganze Gewicht auf Stil und Vortrag legen wollen, darauf aufmerksam, dass die Erzählung als Erzählung, was Kinder die Geschichte nennen, doch die nothwendige Grundlage der Novelle ist und bleibt und ihre eigenartige Schönheit hat. Er betont, dass er nach seiner Aesthetik der Novelle den Vorzug gebe, deren Grundmotiv sich am deutlichsten abrundet und – mehr oder weniger gehaltvoll – etwas Eigenartiges, Specifisches schon in der ersten Anlage verräth. „Eine starke Silhouette“, fährt er fort, „dürfte dem, was wir im eigentlichen Sinn Novelle nennen, nicht fehlen“.20 Mit dem Ausdruck Silhouette meint Heyse den Grundriss der Geschichte, wie eine gedrängte Inhaltsangabe ihn nachweist, und er veranschaulicht durch ein treffendes Beispiel und eine treffende Bezeichnung seinen Gedanken. Er führt die Inhaltsangabe einer Novelle Boccaccio's an:

„Federigo degli Alberighi liebt, ohne Gegenliebe zu finden; in ritterlicher Werbung verschwendet er all' seine Habe und behält nur noch einen einzigen Falken; diesen, da die von ihm geliebte Dame zufällig sein Haus besucht und er sonst nichts hat, ihr ein Mahl zu bereiten, setzt er ihr bei Tische vor. Sie erfährt, was er gethan, ändert plötzlich ihren Sinn und belohnt seine Liebe, indem sie ihn zum Herrn ihrer Hand und ihres Vermögens macht“.

Heyse hebt hervor, dass in diesen wenigen Zeilen alle Elemente einer rührenden und erfreulichen Novelle liegen, in der das Schicksal zweier Menschen durch eine äussere Zufallswendung, die aber die Charaktere tiefer entwickelt, auf's liebenswürdigste sich vollendet, und er fordert darum auch den modernen Erzähler auf, selbst bei dem innerlichsten oder reichhaltigsten Stoffe sich zuerst zu fragen, wo „der Falke“ sei, das Specifische, das diese Geschichte von tausend andern unterscheidet.

Er hat in der Forderung, die er an die Novelle richtet, insbesondere die Aufgabe charakterisirt, die er sich selbst gestellt und die er erfüllt hat. Er zieht den bizarren Fall dem typisch alltäglichen vor. Man kann in der Regel so sicher sein in seinen Prosaerzählungen einen „Falken“ zu finden, wie jener Untersuchungsrichter es war, hinter jedem Verbrechen eine Frau zu entdecken. In „L'Arrabbiata“ ist der Biss in die Hand der „Falke“, im „Bild der Mutter“ die Entführung, in „Vetter Gabriel“ der aus dem „Briefsteller für Liebende“ abgeschriebene Brief. Der Leser kann, wenn er selbst bei Heyse nach besagtem wilden Vogel suchen will, sich einen Einblick in die Compositionsweise des Dichters verschaffen. Nicht immer ist er so leicht zu fangen, wie in den angeführten Fällen. Mit einer Erfindsamkeit, einer behenden Grazie, die bei einem Nicht-Romanen äusserst selten ist, hat Heyse es verstanden, den Knoten der Ereignisse zu schürzen und zu entwirren, das psychologische Problem zu stellen und zu lösen, das er in der Novelle isolirt. Er vermag den einzelnen eigenthümlichen Fall rein und scharf novellistisch von dem allgemeinen Cultur- und Gesellschaftszustande, in welchem er ein Glied ist, abzuheben, ohne wie die romantischen Novellendichter, den Vorgang ins Unwirkliche und Märchenhafte hinüberspielen und ohne ihn jemals in eine blos epigrammatische Pointe auslaufen zu lassen. Seine Novellen sind weder kurze Romane, noch lange Anekdoten. Sie haben zugleich Fülle und streng geschlossene Form. Und so knapp diese Form auch ist, hat sie sich geschmeidig genug erwiesen, um den verschiedenartigsten Stoff in sich aufnehmen zu können. Die Novelle Heyse's schlägt viele Saiten an, wohl am häufigsten die zarten und seelenvollen, aber auch die komischen (wie in dem amüsanten Schwank „Die Wittwe von Pisa“), die phantastischen (wie in der Hoffmanniade „Cleopatra“), ja ein vereinzeltes Mal die schaurigen (in dem peinlichen Nachtstück „Der Kinder Sünde der Väter Fluch“). Die Novelle, wie er sie behandelt, grenzt an die Gebiete Alfred de Musset's, Mérimée's, Hoffmann's und Tieck's, hat aber doch ihre ganz besondere Domäne, wie ihr ganz eigenthümliches Profil.

VII

Indessen, so willfährig ich bin, die Bedeutung jenes scharfen Profils als individuelles Merkmal der Heyse'schen Novelle und die Bedeutung desselben für die Novelle als Kunstart anzuerkennen, so schwer fällt es mir, dasselbe als entscheidende Norm für die Schätzung der einzelnen Erzählung gelten zu lassen.

Die Novelle ist ja, wie jedes Kunstwerk, ein Organismus, in welchem schöne, von einander relativ unabhängige Verhältnisse höchst verschiedener Art zum Totaleindrucke beitragen. Wir verweilten bei den Charakteren und der Handlung; der Stil ist das dritte Element. Nach meiner Ueberzeugung sind diese drei Elemente einander nicht untergeordnet, sondern nebengeordnet, und jedes von ihnen bereitet, wenn es zur Meisterschaft entwickelt ist, dem Leser einen gleich vollkommenen Genuss.

Zwar kann, wie Heyse hervorhebt, die einseitige Entwicklung des Vortrags zu geistreichen Capriccio's ohne Thema führen; wer aber allzugrosses Gewicht auf „die Geschichte“ legt, kann ja auf der anderen Seite der blossen Unterhaltungslitteratur verfallen.

„Frühlingsfluthen“ von Turgenjew ist eine Novelle, deren Handlung unbefriedigend verläuft – den Stil im engeren Sinne kann ich nicht beurtheilen, da ich die Erzählung nicht in der Originalsprache kenne – aber bedeutet dieser Mangel viel bei einem solchen Meisterwerk individueller Charakterzeichnung? Wiegt die Schilderung der italienischen Familie nicht an und für sich jede Unvollkommenheit in der Motivirung der Begebenheiten auf? Was thut es, dass der Leser vielleicht sich den Schluss lieber anders vorstellt und nicht zum zweiten Mal lesen mag, wenn er drei viertel der Novelle mit dem gleichen Genuss immer wieder liest?

Blicher's „Tagebuch eines Dorfküsters“ ist eine Novelle, in welcher die Handlung wenig zu bedeuten hat und die meisten Charaktere durch ihre Rohheit abstossend wirken; aber sie ist deshalb doch ein Werk von höchstem Kunstwerthe; ihre Hauptstärke liegt im Stile, in der meisterhaft durchgeführten, fast zweihundert Jahre alten Sprachweise des braven Küsters. Diese Sprachweise ist uns eine Bürgschaft für die schneidende Wahrheit der Erzählung, eine Wahrheit, zu der man nicht auf dem Wege des Idealismus gelangt, und die darum von Heyse weder gesucht, noch erreicht wird, ich meine jene Wahrheit, die von den Franzosen als la vérité vraie bezeichnet wird.

Und könnte man nicht Heyse mit seinen eigenen Waffen schlagen? Ich glaube es. Er will mit seiner Betonung dessen, was die Novelle in der Novelle ist, zugleich gegen die Ueberschätzung des Stils und des ideellen Gehalts Front machen. Aber von allen seinen versificirten Novellen scheint mir „Der Salamander“ am höchsten zu stehen, von seinen Prosanovellen ist „Der letzte Centaur“ mir eine der liebsten, und jene scheint mir wegen des Vortrags, diese wegen der Idee den Preis davonzutragen.

Man gebe sich keine Mühe damit, im „Salamander“ nach einem „Falken“ zu suchen: Handlung gibt es da nicht, die Charaktere entwickeln sich so gut wie gar nicht, und doch wird jeder empfängliche Leser unter dem Einflüsse des Zaubers dieser Terzinen einen so lebhaften Genuss empfinden, dass es ihm vorkommt, als hätte das Gedicht ausser seinen eigenen Vorzügen noch alle die, die ihm abgehen. Von der epischen Ruhe, von dem objectiven Stil, der Heyse's eigentliches Ideal im Novellenfach ist, wird man hier nicht viel finden. Diese epische Ruhe passt vielleicht überhaupt weniger für den unruhigen Geist unserer Zeit. Vollständig ist die Verwirklichung dieses Ideals Heyse wohl eigentlich auch nur gelungen in den wenigen Prosanovellen, die das moderne Culturleben gar nicht berühren, wie in den genialen Pastichen aus der Vorzeit: „Die Stickerin von Treviso“ und „Geoffroy und Garcinde“, wo der edel einfältige Stil der altitalienischen oder provencalischen Erzählungen idealisirt ist, oder bei denjenigen Stoffen, die dem Leben des Volkes in Italien oder Tyrol entnommen sind; denn das Volk scheint ihm in jenen Ländern selbst ein naives und aus einem Guss geformtes Stück Mittelalter. Eine Erzählung wie das kleine Juwel „L'Arrabbiata“, das Heyse's Ruhm begründete, kommt erst durch ihre schlichte, strenge Einfassung zu ihrem Rechte; mit stilistischen Verzierungen oder mit psychologisch zugeschliffenen Facetten ausgestutzt, würde sie ihre ganze Schönheit verlieren, wenn nicht unmöglich sein. Ebenso ist „Die Stickerin von Treviso“, die wohl nach der eben genannten Novelle den grössten Beifall geerntet hat, in ihrer rührenden Einfachheit und Grösse auf solche Weise eins mit ihrer Chronikform, dass sie ohne diese gar nicht denkbar ist. Aber wo ganz moderne Eigenschaften und Scenen dargestellt werden, da kann der Stil kaum zu individuell und nervös sein. Heyse selbst kann es nicht unterlassen, sich in dieser Hinsicht nach seinem Stoffe zu richten; wie fieberhaft ist die Darstellung in der hübschen Krankengeschichte in Briefen „Unheilbar“! Indess lässt er sich augenscheinlich nur widerstrebend oder unfreiwillig zu einem so leidenschaftlich wogenden und zitternden Stil wie im „Salamander“ hinreissen. Diese Novelle ist lauter Vortrag, ihre Schönheit beruht ganz und gar auf der bestrickenden Anmuth der metrischen Diction und doch findet sich hier kein Wort, das nicht zur Sache gehört. Alles ist hier lebendiges Leben, jede stilistische Wendung tiefgefühlt und durchsichtig; die kämpfende Seele des Schreibenden liegt offen vor dem Leser. Die Situationen sind unbedeutend und alltäglich; keine bengalische Beleuchtung, nicht einmal in einem Schlusstableau. Aber diese merkwürdigen, unglaublich schönen, naturwidrig leichten, nervös leidenschaftlichen Terzinen verleihen mit ihrem Fragen und Antworten, Scherzen, Singen und Klagen der theatralisch natürlichen, beherrscht verliebten, blasirt koketten Heldin und der Leidenschaft, die sie einflösst, einen solchen Reiz, dass keine spannende Geschichte mit Angel- und Wendepunkt fesselnder sein könnte. Zum Abschluss tönen diese seltenen Terzinen, welche durch die Behandlung ein ganz neues Versmass geworden sind, ebenso überraschend wie genial und kühn, in die Accorde dreier naturfrischer Ritornelle aus. Allen Theorien zum Trotz behauptet eine Dichtung wie diese ihren Platz.

Es will mich überhaupt bedünken, als mache Heyse sich einen unrichtigen Begriff von der Bedeutung des poetischen Stils. Theoretisch fürchtet er dessen selbständige Entwickelung und mag keine Werke, die „lauter Vortrag und Stil“ sind. Nichtsdestoweniger hat er in Gedichten wie „Das Feenkind“ und noch mehr in einem Gedichte wie „Frauenemancipation“ selbst solche Productionen geliefert. Das erste von diesen Gedichten ist fein und graziös, aber der Scherz dauert reichlich lange – von Schlagsahne isst man nicht gern allzu viel; das andere, dessen Tendenz übrigens die beste ist, leidet an einer Plauderhaftigkeit ohne Salz. Aber ein ausgeprägter Stil ist ja auch nicht dasselbe wie die formelle Virtuosität des Vortrags. Dass ein Sprachkünstler wie Heyse, der Uebersetzer Guisti's, der Troubadours, der italienischen und spanischen Volkslieder, diese im vollsten Masse besitzt, versteht sich von selbst. Allein der in Wahrheit künstlerische Stil ist nicht die formelle Anmuth, die sich gleichmässig über alles verbreitet: Stil im höchsten Sinne des Wortes ist Durchführung, in allen Punkten durchgeführte Form. Wo Sprachfarbe, Ausdruck, Diction, persönlicher Accent noch eine gewisse abstracte Gleichartigkeit haben, wo es nicht gelungen ist, in jedem Moment die Seele sich in allen diesen äusseren Formen prägen zu lassen, da hängt die sprachliche Draperie, aus wie leichtem Gewebe sie auch bestehen mag, steif und todt um die Persönlichkeit des Sprechenden. Der vollkommene moderne Stil dagegen umschliesst diese, wie das Gewand den griechischen Redner, die Haltung des Körpers und jede Bewegung hervorhebend. Der virtuosenhafte Vortrag kann, selbst wenn er „glänzend“ ist, herkömmlich und alltäglich sein; der echte Stil ist das nie. An der Erzählungsweise in Heyse's Novellen habe ich nicht viel auszusetzen; seine dramatische Diction spricht mich nicht so an.

Mancher wird vielleicht meinen, wenn einige der historischen Dramen Heyse's nicht die Anerkennung, wie seine Novellen, gewonnen haben, so liege es daran, dass sie zu wenig Handlung und zu viel Stil besitzen. Wenn das Wort Stil aber verstanden wird, wie ich es hier bestimme, so muss man gewiss eher sagen, dass ihre Jambenform abgetragen war und dass sie nicht Stil genug haben. Die Diction in „Elisabeth Charlotte“ z. B. trägt weder hinlänglich die Farbe des Zeitalters, noch der Person, welche spricht. Man vergleiche nur die hinterlassenen derben Memoiren der Prinzessin. Der Dichter hat bei seiner fabelhaften Fertigkeit, sich in jedes poetische Genre hinein zu finden, ein Drama ebenso leicht zu Stande zu bringen, wie er eine Geschichte erzählt, sich die Arbeit etwas zu bequem gemacht. Die kleine Tragödie „Maria Moroni“, die unter den Schauspielen den Novellen am nächsten steht, könnte sowohl durch Plan wie durch Charakterzeichnung den italienischen Dramen Alfred de Musset's, an die es erinnert, würdig zur Seite stehen, wenn sie in der Sprachfarbe nicht so viel trockener wäre. Der Dialog Musset's funkelt nicht nur von Witz, sondern lodert zugleich von Innigkeit und Leben. Heyse ist in seinen Dramen nicht so persönlich mit seiner ganzen Seele an jedem Punkte zugegen gewesen. Aber dies: „an jedem Punkte“ ist der Stil.

Wie ich also wegen der Vorzüglichkeit des Vortrags den „Salamander“ unter den versificirten Novellen am höchsten schätze, so würde ich um der Idee willen unter den Prosaerzählungen dem „Letzten Centaur“ einen hohen Platz geben, obwohl diese Novelle ebenfalls zu denen gehört, die der Definition am fernsten stehen. Es handelt sich in ihr nämlich nicht um eine Begebenheit oder einen Conflict in einem bestimmten Lebenskreise, nicht um einen besonderen psychologischen Fall, überhaupt nicht um ein Stück Leben, sondern um das Leben selbst; sie lässt gleichsam das ganze moderne Leben innerhalb eines engen Rahmens sich abspiegeln. Ein Schuss in das Centrum ist so erquickend. Warum es leugnen? Der peripherische Charakter einzelner anderen Arbeiten Heyse's ist Schuld daran, dass sie weniger interessiren. Wenn man eine lange Reihe Novellen durchgelesen hat, kann man nicht wohl umhin, sich nach Kunstformen zu sehnen, die bedeutungsvollere, allgemeingültigere Ideen und Probleme in poetische Form fassen.

17.G. W. VI, 40.
18.G. W. VI, 5.
19.Heyse und Kurz, Novellenschatz des Auslandes, Bd. VIII.
20.Heyse und Kurz, Deutscher Novellenschatz. Bd. I. S. XIX.
Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
05 июля 2017
Объем:
680 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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