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Читать книгу: «Ratsmädelgeschichten», страница 8

Böhlau Helene
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Jetzt packte Frau Fabian die Puppen aus. „Na nu, seht eins an, wer ist denn die?“

Sie hielt ein Püppchen in die Höhe, das ein rosa Kleid, dabei aber ganz zerrissene Strümpfe an hatte.

„Das ist ja die … na, Ihr wißt schon, das Mädchen hat ewig zerrissene Strümpfe an. Die Löcher gucken ihr über den Rand von ihren Schuhen, wie hier genau zu sehen ist. So eine Frau bringt Unglück ins Haus und wenn sie so schön wie ein Engel wäre und klug wie eine Schlange.“

„Und die Lange, mit der kleinen Feder in der Hand?“ fragte Jungfer Muskulus bescheiden.

„Das ist die Schopenhauern, die Adele,“ fuhr Frau Fabian sie an, „das sieht doch jeder klar. Mit der hat’s keine Gefahr nicht. Häßlichkeit entstellet immer, selbst das schönste Frauenzimmer. Mein Schatz wär se nich, die Schopenhauern. Na, nu die beiden Madams?“ Sie hielt zwei Püppchen in der Hand. „Das sind zwei verehelichte; wie das die Rackersmädchen herausgekriegt haben! Das ist die Madame so und so und das die Madame die und die. Wir kennen Euch! Wir wissen Gott Lob, wer Ihr sein sollt.“ Währenddem sie sprach, hielt sie beide Figürchen sich selbst nahe hin und redete so auf sie ein und drohte ihnen mit dem Zeigefinger. „Und die is wohl die rechte Braut, wie sie im Märchen sagen.“

Sie hob ein Püppchen in die Höhe, das, in einer weißen Schürze und mit einem Kochlöffel in der Hand, ein hausmütterliches Aussehen hatte.

„So ist’s,“ sagte die Kummerfelden. „Und nun, Fabian, wenn Du es wissen willst, nachher mußt Du die Verse dazu machen; Du mußt sagen, wen jedes Püppchen vorstellen soll, und wie es sich mit jeder verhält.“

„Gott soll mich bewahren!“ fuhr die große Frau auf, „das ist aber ene Zumutung. Verse, die sich gewissermaßen den goethischen müssen an die Seite stellen lassen, so beim Kaffee ’rauszuschütteln, wo die ganze Stube, mit Respekt zu sagen, voll weimarischer Gärmichel sitzt, – ich danke – und das sag’ ich, wenn ich darauf einginge, was Schlechtes dürfte Excellenz schon gar nicht kriegen, was sollte der denn von der Fabian denken?“

„Du darfst ’nauf in meine Stube gehen,“ sagte die Kummerfelden, „da setz’ Dich auf den Lehnstuhl vors Bette und bleib ruhig sitzen. Aber Du wirtschaftest mir dort nirgends herum, nicht wahr? Das kann ich nicht leiden. Weißt Du was, gehe nur gleich ’nauf. Bleistift und Papier liegen schon auf der Bettdecke. Du wirst schon was ’rauskriegen, ich weiß ja, wie Dir’s fleckt. Die Ratsmädchen werden auch gleich da sein; die freuen sich, wenn Du schon dabei sitzest. Proviant bekommst Du mit hinauf. Und wenn die Not groß ist, kriegst Du, na, Du weißt schon,“ die Kummerfelden zeigte auf ein Schränkchen, in dem sie ihr Schönheitswasser in Flaschen aufbewahrte. Aber nicht lauter Schönheitswasser allein.

Frau Fabian zog mit ihrer Tasse und einer großen Schnitte Kuchen die Treppe hinauf, und der furor poëticus stand schon deutlich auf der gefurchten Dichterstirn zu lesen.

Unterdessen näherten sich dem Entenfang, so frisch und leicht, wie die Schneeflocken, unsere zwei in allerbester Laune. Es giebt für junge Menschen nichts Schöneres, als im dichten Schneefall zu gehen, zu springen, zu wandeln, zu tollen. Geheimnisvoll, bedeutsam sinkt es leise, leise nieder, legt sich zart auf Falten und Gewänder und es ist, als ob vom Himmel Segen niederströme, Erfreuliches, Heiteres, Hoffnungsgefühle.

Die beiden Lustigen, die dem Entenfange zusteuerten, liefen durch den Schnee, schürften in der flockenweichen Decke mit den Füßen, daß es aufsprühte von Eiskrystallen um sie her. Sie überstürzten sich, fielen mutwillig in die frische, kalte Herrlichkeit der Länge nach hinein. Es fehlte nur noch, daß sie wie die vergnügten Hunde mit den Nasen in dem Schnee geschaufelt hätten.

Jetzt schellten sie auch am Entenfang, erst Röse, dann Marie, dann wieder Röse, wieder Marie, dabei lachend, bis die Kummerfelden sie einließ und ihnen sagte, indem sie die Mädchen auf die frischen Wangen klopfte: „Ohne Spielerei und Narrenpossen könnt Ihr doch auf der Gotteswelt nichts thun.“

Die Mädchen traten jetzt ein. Sie hatten einen Korb mit sich voll Moos und allerlei Gesparre.

„Ihr habt mich in eine schöne Lage gebracht, Ihr Racker!“ rief Frau Fabian den beiden aus ihrem Lehnstuhl heraus entgegen. „Ich sitz’ nun und schwitze, und das nennt die Kummerfelden einen zum Kaffee einladen.“

Röse und Marie wurden erst reichlich regaliert, dann ging’s an die Arbeit. Das Gärtchen wurde in Angriff genommen.

„Eure Verse sind in guten Händen,“ sagte Madame Kummerfelden, „so borstig die Fabianen auch ist, sie hat ein exquisites Herz, eine Außerordentlichkeit von einem Herzen. Solche Leute sind für die Poesie. Beileibe soll man keine Böshaftigen daran lassen, die stiften nichts als Unheil.“

„Und besser wird’s bei Ihnen drum noch lange nicht,“ schrie Frau Fabian von oben herab. „Mit dem erschten wäre ich so weit.“

„Na los!“ rief die Kummerfelden ganz erfreut.

Die große Frau trat vor auf die erste der sieben Stufen.

„Zeigt das Döckchen her mit den zerrissenen Strümpfen, auf die is es,“ rief sie.

Röse hielt das Figürchen in die Höhe, und die Fabianen begann mit gewaltiger Stimme:

 
„Meine Liebe ist stets auf den Strümpfen,
Reißt wohl zwanzigmal des Tags ein Loch.
Meine Liebe läßt sich nicht abstümpfen,
Auch verschmäht, lieb ich dich ewig doch!“
 

„Bravo!“ rief die Kummerfelden, „das macht Dir alle Ehre.“

„Wollt ich meinen,“ erwiderte Frau Fabian, lachte kurz auf und versank wieder in den Lehnstuhl.

Inzwischen wurde unten auf das lustigste gegessen und getrunken, geklebt und gepappt, und es entstand ein allerliebstes Moosgärtchen.

Die Kummerfelden sagte den Ratsmädchen, daß sie und Frau Fabian die Sache auf die Kappe nehmen würden. „Uns geschieht damit nichts. Ihr sollt es nur hineintragen und sagen: ‚Eine schöne Empfehlung von der Kummerfelden.‘“

Nach einer Weile war die Fabian wieder mit einem Vers zu stande gekommen und donnerte folgendes herab, für die kleine Figur mit dem Löffel:

 
„Führt der Weg zu Mannes Herz
Durch die Küche ohne Scherz?
Bist Du garstig oder schön,
Mädchen! Du mußt diesen gehn.
Herz, Verstand, für Haus und Küch’ —
Und – die Liebe findet sich.“
 

„Fabian, Du bist ein herrliches Weib!“ rief die Kummerfelden ganz begeistert der Freundin hinauf. „Es steckt ein Philosoph in ihr, ich hab’ es immer gesagt. Und ein Charakter ist sie, so manchen Groschen hätte unsere Fabian für Gelegenheitsverse einheimsen können, aber ihr Lebtag hat sie die Kunst, ohne Lohn zu beanspruchen, geübt, das kann keiner von all den Großen hier sagen, ja, ja, ne, ne!“

„Dank auch bestens,“ rief die Fabian herab, mit einem etwas zerstreuten Ausdruck, ungefähr, als hätte sie geniest, und die Kummerfelden hätte ihr Gesundheit gewünscht.

Das sonderbare Weihnachtsgeschenk für Vater und Sohn Goethe kam allmählich in einer wunderbaren Vollendung zu stande.

Die Mädchen bauten am Gärtchen, die Fabian an den Versen weiter; unter anderen entstand ein Vers auf zwei Flammen August von Goethes, auf die Frau eines Kammerrates und die des Polizeidirektors.

Diesen Vers in seiner Kraft, Würze und Knappheit, seiner umfassenden Keckheit, mit der er zwei Damen mit einmal erledigte und auf den Frau Fabian besonders stolz war, diesen Vers wollen wir hier nicht übergehen. Er lautete folgendermaßen:

 
„Ob Kammer oder Polizei,
Das steht noch zu erfragen,
Wir wollen es nun einmal
Mit allen beiden wagen.“
 

Man war vollkommen befriedigt; Frau Fabian trank drei bis vier Liköre zur Stärkung nach ihrer schweren geistigen Anstrengung und bekam eine außerordentlich gute Laune, eine Laune, wie nur die Fabian sie haben konnte, so ausdrucksvoll und kräftig, daß es eine Freude war, und daß der Tisch, an dem man saß, nicht aus dem Schüttern herauskam, teils, weil alle um ihn her unausgesetzt lachten, und weil die Fabian vor lauter Lebenskraft zur Bestätigung ihrer Meinung oftmals mit der Faust zwischen die Tassen schlug.

„I, der Tausend,“ sagte Mamsell Muskulus bewundernd, als die Frau einmal ihre Schultern statt des Tisches getroffen hatte, „wo sie hintrifft, da wächst kein Gras.“

Die kleine, scheue Muskulus war von jeder Kraftäußerung immer ganz von Bewunderung hingenommen, auch, wenn diese Kraftäußerung sich gegen sie selbst richtete. Die Ratsmädchen schafften das Gärtchen, die Puppen, die Verse noch an diesem selben Abend in die Wünschengasse, schleppten alles hinauf in ihre kleine Stube, verbargen es sorgfältig und vergnügten sich abends, als alles schlief, bei verschlossener Thür damit zu spielen, um allerhand Unsinn zu treiben, bis sie das Gärtchen endlich mit großem Stolz und vieler Vorsicht, daß sie von niemandem ertappt würden, am heiligen Abend in das Goethesche Haus trugen. Sie hatten ausgemacht, es unten, in der Leutestube mit einer schönen Empfehlung der Kummerfelden abzugeben; als sie aber die Hausthür öffneten, da kam ihnen der Geheimrat selbst entgegen. Sie blieben betroffen und verlegen mit ihrem verdeckten Werke stehen und hofften, er würde sie nicht bemerken und an ihnen vorübergehen.

Er erkannte sie aber augenblicklich und sagte: „Was bringen denn die Ratsmädchen da?“

„Excellenz,“ sagte Röse, „die Kummerfelden läßt schön grüßen und hier wäre etwas.“

„Für mich?“ fragte Goethe.

„Ja, für Euere Excellenz.“

„So tragt es hinauf, Ihr schönen Kinder, ich komme mit Euch.“

Goethe ließ sie vor sich her die breite und sanftansteigende Treppe hinangehen. Als sie oben angelangt waren, öffnete er ihnen selbst die Thüre, ließ sie in das lange, gelbe Gesellschaftszimmer eintreten. Es war schon dämmerig, und Röse und Marie war es doch recht beklommen zu Mute.

„Da haben wir’s,“ dachte Röse, „es ist doch, als kämen wir zum lieben Herrgott mit der Dummheit da an. Viel schlimmer würde es auch nicht sein, glaub ich.“ —

Goethe machte einen Tisch, auf dem einige Bücher lagen, frei. „So,“ sagte er, „da steht nun Eure geheimnisvolle Gabe, wollt Ihr das Tuch abheben?“

Marie enthüllte das Werk, und als Goethe das Gärtchen sah und die Überschrift über dem Thore gelesen hatte, lächelte er; es war noch eine Aufschrift hinzugekommen, die besagte, daß hier schöne Damen versammelt seien, daß Schönheit und Geist zwar angenehm, daß man aber die nützlichen Eigenschaften beileibe nicht gering achten möge.

„Das ist ja eine artige Idee,“ rief Goethe.

Und als er eins der Püppchen in die Höhe genommen und den Zettel gelesen hatte, welcher demselben an das kleine Maul befestigt war, lachte er, daß Röse und Marie ihn ganz verblüfft ansahen, denn nie hatten sie sich vorgestellt, daß der Goethe lachen könnte. Er war ihnen immer als ein majestätischer, etwas steifer, alter Herr erschienen.

„Nun, Kinder, sagt mir,“ fragte er, „wer die Verse gemacht hat.“

„Die Fabianen,“ antwortete Röse. „Hier nennen die Leute sie die Rabenmutter!“

„Ah die!“ sagte Goethe. „Da könnt Ihr berichten, daß ich mich allerbestens bedanke für ihre artigen Verse.“

Er hielt eben das Figürchen mit den zerrissenen Strümpfen und das Hausmütterchen in der Hand und betrachtete beide.

„Ich werde das allerliebste Ding meinem Sohne heut’ mitbescheren.“

Röses und Maries Achtung vor ihrem Kunstwerke war wieder sehr gestiegen, und sie fanden, daß es in Wahrheit ein wundervolles Gärtchen sei, und daß Goethens August seinen hübschen Ärger darüber haben würde.

Mit Frankfurter Brenden beschenkt, wurden sie von Goethe aufs freundlichste entlassen und liefen seelenvergnügt nach Hause.

Da ist noch viel Wunderbares passiert; aber wir wollen es hier von der alten Kummerfelden genug sein lassen. Ich hab noch so manches von ihr und der Rabenmutter geschrieben – in einem zweiten und wohl auch dritten Band der neuen Ratsmädel- und altweimarischen Geschichten – was mir mein liebes Gomelchen, das Ratsmädel, die Röse, von sich und andern Leuten, die zu der schönen, guten, altweimarischen Zeit lebten, erzählt hat. Ich hab da eine lustige Geschichte, wie die Ratsmädchen und die Kummerfelden von einem alten, sonderbaren Herrn Rat in seinem geheimnisvollen Garten geküßt worden sind und zwar, weil er alle drei nicht ausstehen konnte, und weiter: Wie sich die Kummerfelden einen alten Franzosen mit seiner Frau in dem Entenfang einlogiert hat und was die getrieben haben und dann: Wie Röse und Marie sich verliebt und verlobt haben und wie sie mit ihren Freunden Budang, Horny und Schiller bei Nacht und Sturm ausgezogen sind, um die Göchhausen spuken zu sehen, und eine düstere, rührende Geschichte von zwei Schwestern, die oben im alten Rödchen bei Weimar sich abgespielt hat; – und von Apothekers und Frau Rat Tiburtius und der Lawine – und die Geschichte vom ehrbußlichen Weiblein, das oben über Goethens Garten in einem Sommerhaus mit ihrem brummigen Gatten wohnte und diesem einen schlimmen Streich spielte – und von den behaglichen, spielerischen Leuten in der Marschallstraße, die in allen Dingen dem Schicksal über waren, und zuguterletzt, wie die Enkelin der Ratsmädchen zum Blaustrumpf wurde. —

Nun wollen wir hier nur noch erwähnen, daß die Fabian sehr entrüstet gewesen ist, als sie mit der Zeit erfuhr, daß der August von Goethe ihren guten Rat in den Wind geschlagen, indem er eine Frau nach seinem eigenen Geschmacke und gegen die Ansichten der Kummerfelden und der Rabenmutter gewählt hat.

Sechste Geschichte
Wie Frau Rat über das Leben, über Erziehung und über die ersten Liebesbriefe ihrer Töchter dachte

Wie zwei Vögel in einem herrlichen Garten harmlos leben, in dem die wunderbarsten Seltenheiten grünen, blühen und Früchte tragen, so lebten die beiden jungen Mädchen, Röse und Marie, in Weimar. Welche Wunder, welche Außerordentlichkeiten sich auch um sie her begaben, sie erachteten das überreich entfaltete Leben als nichts Erstaunenswertes, so wenig sie über ihre eigene Existenz erstaunten. Es war ganz in der Ordnung, daß gerade zu ihrer Zeit die Welt einmal gehörig in Gang kam. Sie hatten ihre Freude daran, daß es in Weimar so viel zu sehen und zu erfahren gab, daß im Theater alle Augenblicke etwas Neues, was man unter allen Umständen sehen mußte, zur Aufführung kam, daß Budang ihnen hin und wieder erklärte, sie lebten in einer Zeit, wie sie noch nicht auf Erden dagewesen sei, von der man in Jahrtausenden noch reden würde.

Das war den Ratsmädchen angenehm zu hören und trug das Seinige zu ihrem Selbstbewußtsein mit bei. Sie empfanden eine bewegte, schöne Atmosphäre um sich her und gediehen in ihr. Die verschiedensten Kreise der weimarischen Gesellschaft waren ihnen vertraut. Sie verkehrten, wie wir es wissen, im Salon der Madame Schopenhauer; ebenso gern aber steckten sie bei Kesselrings im Turm, bei Budangs Angehörigen, den Müllersleuten, und dann wiederum erschienen ihnen Apothekers als die Krone der Gesellschaft.

Die beiden thaten einen weiten Blick in das Leben schon in frühester Jugend und genossen das Gute, Lebensvolle, daß sich ihnen in den verschiedensten Verhältnissen darbot, in vollen Zügen.

Durch diese kluge, freie Erziehung spürten sie im freundschaftlichen Zusammenleben mit Leuten in weit voneinander getrennten Lebensstellungen überall das Menschliche als die Hauptsache heraus; die Verhältnisse verdeckten es ihnen nicht, wie es bei denen, die in einem engen Gesichtskreis erzogen wurden, wohl meist der Fall ist.

Es war selten, daß unsere beiden, wenn sie nach Hause zurückkehrten, von einem Spaziergange, einer Besorgung in der Stadt, einer Gesellschaft oder vom Markte, sie nicht erfüllt von der Freundlichkeit der Menschen waren, und mochte ihnen etwas Gutes durch das Marktweib, oder den Handwerkermeister, oder durch Karl August, oder gar Geheimrat Goethe selbst angethan worden sein, sie schienen nur eine Art von Dankbarkeit und Wohlwollen in sich zu haben, eine einzige Art, die für alle herhalten mußte.

Frau Rat hatte darüber ihre Freude. Sie war es, die so zu fühlen ihren beiden kleinen Gerechten gewünscht, die sie darauf hingeleitet hatte, und war dankbar, als sie ihre Wünsche sich erfüllen sah.

Die wenigsten Menschen kennen das, was man Lebensgenuß nennt, und alle guten Christen eifern mit Zorn, Predigen und Strafen dagegen, preisen Pflichterfüllung, Aufopferung, Enthaltsamkeit, Überwindung als etwas Nützlicheres, Beglückenderes und Schöneres an; statt aber gegen den verpönten Lebensgenuß zu eifern und überzeugungstreu zu predigen, sollte man der Menschheit zurufen: Genießt den Tag, genießt jedes Wort der Liebe, jede Freundlichkeit, jede Wärme, verzeiht über jedes Maß, um friedlich zu leben, nicht, weil es lobenswert ist, seid gut, nicht, weil ihr deshalb als vortrefflich angesehen werdet – nein, nur um friedlich und erfreulich zu leben; helft auch deshalb nur einander, denn es ist schön, es ist göttlich, zu leben, nicht grübeln, was danach kommt. Dunkle Frage an ein unverbrüchliches Schweigen gerichtet! Lernt zu leben! Das Sterben wird uns gelehrt ohn’ unser Dazuthun. Die Sünd’ mit glänzenden Farben malen und das Dasein in seiner Trockenheit, Pflichterfüllung darstellen, nach hohen Zielen strebend, das ist ein vielbeliebter Kunstgriff, um Rekruten für die Tugend zu werben. Und man wirbt auch damit. Ob es oft glückt? Ich weiß es nicht. Die aber, welche kräftig wollen, bleiben von dergleichen gut gemeinten Lehren im innersten Herzen unberührt. Wir wachsen wie das Getreide auf dem Felde; ist uns der Boden günstig, wachsen wir gut, ist uns der Boden ungünstig, wachsen wir schlecht. Wohl denen daher, die in gutem Boden stecken.

Die größte Wohlthat, die die Natur unseren beiden schönen Kindern zugeteilt hatte, war die gesunde Freisinnigkeit ihrer Mutter. „Überwindet Widerwärtiges,“ sagte sie ihnen, „nicht, weil es überwunden sein muß, sondern weil Ihr wißt, daß alles hier auf Erden wechselt und nichts Bestand hat, und es ist unklug und macht blind und einseitig, wenn wir uns von etwas ganz unterdrücken lassen. Die Ereignisse haben nicht das Recht dazu, dies zu thun, sie können es eigentlich gar nicht.“ Und weiter: „Strebt danach, alles schön zu thun, das ist besser, als gut; denn wenn Ihr nur die Dinge gut verrichten wollt, das ist nichts; eine gute That kann mürrisch und unliebenswürdig gethan werden. Thut, was Ihr thut, liebenswürdig und schön, dann werdet Ihr geliebt. Wenn ich Euch doch die Liebe zur Schönheit in die Herzen pflanzen könnte für alle Zeit, dann ließ ich Euch laufen, wohin Ihr wolltet. Die Liebe zur Schönheit ist die Liebe, die den Menschen am reinsten erscheinen läßt, die allerunschuldigste, denn sie läßt vieles, wie Überhebung, dummen Stolz, Härte, Wut nicht an ihn heran; die anderen guten Eigenschaften, die er sich aneignen kann, bringen ihm leicht eine schlimmere mit ein; da ist die Frömmigkeit, die bringt im Nu Überhebung. Man hat es oft, daß soviel Frömmigkeit, soviel Hartherzigkeit da ist und Verachtung der Nichtfrommen.“

So empfahl Frau Rat ihren beiden Mädchen die Liebe zur Schönheit an als moralischen Lebenshalt.

Und wenn viele Mütter Frau Rat verstehen würden und die anspruchslose Weisheit in sich aufnehmen könnten, ein heiteres, gutartiges, freundliches und kraftvolles Geschlecht sollte entstehen. Schönheit ist nur in Verbindung mit Kraft zu denken.

Frau Rat selbst war bewußt und unbewußt ganz durchdrungen von dieser leisen Liebe zur Schönheit.

Das Titelbildchen, das sie uns als ganz junge Frau zeigt, hat etwas von einer schönen Blume, ein Geschöpf, das man sich nur gepflegt, behütet, angebetet vorstellen kann; auf weichen Teppichen gehend, mit schönen Dingen umgeben, verwöhnt, verhätschelt, geliebkost.

Von alledem aber hatte sie nichts erfahren. Ein hartes Leben, einen älteren, überernsten Gatten, Kargheit, Arbeit von früh bis spät, das war ihr Schicksal.

Aber sie hat trotz alledem in ihrem Hause und unter ihren Kindern wie ein Licht geleuchtet und wie eine Blume geblüht. Ihre beiden Mädchen hingen an ihr mit einer Bewunderung und Liebe, als verständen sie die unbesiegbare Schönheit ihrer Mutter, die in jeder Bewegung, in jedem Wort noch lag, als Müdigkeit und Arbeit und Sorge Silberfäden in das Haar und Fältchen um Auge und Mund gezogen hatten. Das war keine Schönheit, die abgenutzt werden konnte, das war echt, echt wie Gold.

Röse und Marie waren von dem Wesen ihrer Mutter oft ergriffen und oft gebändigt.

Sie wurden wegen einer häßlichen Antwort, einer Unfreundlichkeit bestraft, während man ihnen manchen dummen Streich liebevoll hingehen ließ. Freiheit war ihnen in reichem Maße zugemessen; aber im gegebenen Augenblick hatten sie sich zu fügen und zwar in aller Liebenswürdigkeit.

Da war die wunderschöne Zeit herangekommen, die den Ratsmädchen die „ersten Liebesbriefchen“ einbrachte. Sie hatten diesen Augenblick schon geraume Weile voraus kommen sehen und waren nicht umsonst „Botengängerinnen“ gewesen, die die Herzensgeheimnisse der Geistreichen zwischen diesen aus und ein trugen.

Marie hatte einen glühenden und sehr schmeichelhaften Brief von einem jungen Rheinländer erhalten, der sich seit wenigen Monaten in Weimar aufhielt und von dem schönen Mädchen sich ganz bezaubert fühlte. Rösen hingegen war ein Gedicht zugesendet worden, das die Reize ihres Hutes behandelte, den ein holder Jüngling, der Verfasser der Verse, ihr bei einer Landpartie getragen und mit zu sich genommen hatte, aus Vergeßlichkeit, oder um Gelegenheit zu haben, seinem Herzen durch ein paar tiefgefühlte Reime Luft zu machen.

Beide, Röse wie Marie, waren über die ihnen zugedachte Sendung außerordentlich erfreut und vertrauten ihr Geheimnis Budang an, ließen ihn die Briefe lesen, fanden aber zu ihrem Erstaunen, daß Budang die Angelegenheit sehr kühl und von oben herab behandelte.

„Hört einmal, macht keine Dummheiten; es ist ein rechtes Elend, daß Ihr damit anfangt, was fällt Euch denn ein?“

„So,“ sagten Marie und Röse, „ich dächte, es wäre nun Zeit. Es giebt Mädchen, die in unserem Alter schon verlobt sind.“

„Jesus,“ rief Budang ganz erregt, „das fehlte noch! Jetzt denken die an so etwas! Ihr solltet Euch schämen!“

Röse und Marie aber lächelten, und Röse sagte ruhig: „Nein, das ist jetzt in der Ordnung, wir wollen auf alle Fälle heiraten, das haben wir miteinander besprochen. Früher waren wir dagegen. Neulich haben wir uns aber, als wir abends in der Wünschengasse auf und nieder gingen, darüber miteinander beraten. Marie will schon in allernächster Zeit sich verloben, sagte sie mir. Sie hält das für gut und hübsch, es sehr früh zu thun. Man bekommt dann mehr Ansehen, meint sie, und ich glaube, sie hat recht.“

„So albern wie heute,“ unterbrach Budang sie, „seid Ihr mir noch nicht vorgekommen, gerade jetzt dachte ich, wie hübsch vernünftig und ordentlich Ihr nach aller Mühe geworden seid, aber proste Mahlzeit. Die beiden Esel hätten wahrhaftig etwas Besseres thun können, als Euch die Zettel zu schreiben. Das beste ist, thut das Briefzeugs fort, daß es Euch nicht noch mehr die Köpfe verdreht, oder gebt es mir, ich hebe es Euch auf.“

„I, Gott bewahre,“ sagte Röse, „die Briefe bleiben bei uns in unserm Schränkchen.“

„Meinetwegen!“ brummte Budang.

Die Ratsmädchen besaßen jedes ein Schränkchen, braun gestrichen, aus Tannenholz und mit Rosen bemalt, in der Art, wie die altweimarischen Tischler den Blumenschmuck auf den Bauerntruhen und Betten zu stande brachten. Jedes war eine Elle hoch, nicht allzu tief, so daß sie außerordentlich handlich waren und bald dahin, bald dorthin von den Besitzerinnen geschleppt wurden, je nachdem sie eine Näscherei, ein Geheimnis verborgen hielten, und es den beiden wünschenswert erschien, die Schränkchen in sicherer Nähe zu haben. In diese Schränkchen also wurden die Liebesbriefe gesteckt, jede that den ihrigen in eine Bonbonschachtel.

Sie holten sie tagsüber wohl zehnmal heraus, beguckten sie sich gegenseitig und waren sehr zufriedengestellt. Aber wie es so geht: Marie erboste schließlich Rösen; sie hatte ihr gesagt, daß das Gedicht auf den Hut mit ihrem Brief nicht in Vergleich zu ziehen sei, hatte ihr die Vorzüge ihres Briefes und die Mangelhaftigkeiten des Gedichtes zu Gemüte geführt, so daß Röse mißlaunig wurde, und beide in eine Zänkerei verfielen, die sich eine gute Weile hinzog.

Frau Rat hatte ihnen vom Nebenzimmer aus zugehört. Als sie eintrat, sagte sie ruhig: „Was fällt Euch ein, Ihr Mädchens?“ Sie sahen ganz verwildert aus, und Röse rief: „Die Marie hat einen Liebesbrief im Schränkchen!“

„Herrgott!“ rief Marie ganz aufgebracht und schluchzend, „die Klatsche! Die hat auch einen!“

„So,“ sagte Frau Rat, „zeigt sie mir.“

Da brachten sie beide ihre Schränkchen gutwillig angeschleppt. „So, nun schließt sie auf.“

Sie schlossen sie auf, und jede nahm aus ihrer Bonbonschachtel den Liebesbrief und überreichte ihn der Mutter.

Diese gebot Rösen, ein brennendes Licht zu holen und that keinen Blick in die Zettel, die sie in der Hand hielt.

Sie war ganz ruhig und freundlich, strich Marien über die Wangen, die ihr von der Zänkerei glühend rot geworden waren.

Als Röse wieder mit dem brennenden Licht zaghaft eintrat und es auf den Tisch stellte, hielt die Mutter, ruhig lächelnd, die Briefchen über die Flamme.

Die beiden Mädchen schauten nun still zu, wie so merkwürdige Dinger verbrannten. – Und als die Mutter das verkohlte Papier auf den Tisch fallen ließ, und die Funken noch daran knisterten, betrachtete Röse und Marie die kleinen, verkohlten Haufen sehr interessiert, und als das letzte Fünkchen verlosch, sagte Röse: „Jetzt ist das Schulmeisterlein hinausgegangen.“

Es war bei ihnen ein beliebtes Spiel, Funken in einem verkohlten Papierknäuel verlöschen zu sehen.

Die munteren Fünkchen, welche sprühten und knisterten und vergingen, das waren die Schulkinder, die nach Hause liefen, und der letzte Funke war eben – „das Schulmeisterlein“.

Frau Rat lachte hell auf bei Röses Bemerkung, schloß das Kind in die Arme und küßte es, und alle drei waren seelenvergnügt. —

Um diese Zeit begab es sich, daß der Großherzog Karl August aus Wien von dem großen Kongreß, der den verworrenen Streit der Völker schlichten sollte, zurückkehrte.

Empfangsfeierlichkeiten wurden vorbereitet. Die Weimaraner schmückten ihre Häuser, Ehrenpforten wurden gebaut. Die Schützengilde, die Feuerwehr, die Innungen, die Schulen, alles beriet sich. Es war ein so wichtiges und emsiges Treiben im Städtchen, als sollten die Schützengilde, die Feuerwehr, die Innungen, die Schulen das Wohl des ganzen Reiches schaffen und erwägen.

Der Bürgermeister, unserer Ratsmädel Vater, hatte alle Hände voll zu thun. Frau Rat nähte für die beiden Kinder neue, weiße Kleider. Ihre Mädchen waren dazu ausersehen, dem heimkehrenden Fürsten in Gesellschaft noch anderer hübscher Geschöpfe Blumen und Lorbeerkränze von einer niederen Estrade aus auf den Weg zu streuen, während er vorüberritt.

Die Stadtverordneten, die Schützengilden, die Feuerwehr, die Innungen, die Schulen hatten die Bestimmung getroffen, daß die weißgekleideten Mädchen mit offenem Haar und in Kränzen den Fürsten begrüßen sollten. Die Ratsmädchen, weil sie so gut zu einander paßten und so hübsch nebeneinander aussahen, sollten ganz vornan stehen. Und Röse war das Amt überkommen, einen wunderschönen Lorbeerkranz Karl August gerad auf den Degengriff zu werfen, oder doch wenigstens auf sein Pferd, wenn es ihr mit dem Degen zu schwer würde.

Es war eine außerordentliche Ehre für sie, das sah sie selbst ein und that sich etwas zu gute darauf. Das Wetter am Einzugstage war schön und klar, die Luft kräftig und frisch, die Fahnen wehten in der Sonne, vom Winde bewegt. Es duftete nach Tannen und Grün von allen Häusern herab, vor jeder Thür. Musikbanden zogen durch die Gassen nach den verschiedenen Versammlungsorten des Einholungszuges. Es pfiff, trommelte, schrie, schimpfte, lachte, sang auf allen Straßen, daß es eine wahre Freude war. Die weißgekleideten Mädchen versammelten sich wie Züge weißer Tauben in der Esplanade. Die frische, sonnige Luft schien, wie sie die Fahnen regte, auch die Gemüter munter zu bewegen. Man war so lustig, so ganz feiertäglich und erwartungsvoll gestimmt.

Die Mädchen kletterten auf ihre Estrade, der Wind wehte in blondem, braunem Haar, in weißen, duftigen Falten, wehte über der hübschen Schar hin, wie über ein blühendes Feld, etwa wie über ein Mohnfeld, das in weißen, rosigen Farbentönen steht.

Alle Glocken begannen zu läuten, voll und schön. Die weimarischen Glocken sind von einem seltenen Wohlklang. Die eine haben sie im Dreißigjährigen Kriege gestohlen, von irgendwo ganz Besonderem her. Freudenschüsse klangen dumpf dazwischen. Da näherte sich der Zug. Den Mädchen auf der Estrade klopfte das Herz, denn der Augenblick war sehr feierlich.

Die Musik erklang, so eine recht herzhafte Musik.

Und als Karl August auf seinem Pferde von ferne zu sehen war, da reckten sich alle Hälse. „Du, Marie,“ rief Röse, „da reitet ja der Ottokar Thon neben ihm, – gucke, gucke! Marie, sieh doch!“ rief Röse, ganz bewegt von allem Festjubel, „das ist er! Du kannst Dich darauf verlassen. Er ist jetzt Adjutant, das muß er sein. Den haben wir aber in Jahren nicht gesehen! Er soll ja ganz etwas Besonderes geworden sein, ist Lützowscher Jäger, – Du weißt doch?“ —

„Ja, ja,“ sagte die Schwester etwas gedankenlos.

„Höre, Marie,“ rief Röse wieder, als die beiden Reiter herangekommen waren, „ich werfe dem Adjutanten meinen Kranz zu, das sollst Du sehen.“

„Du bist verrückt,“ sagte Marie, „da könntest Du in eine schöne Bredouille kommen – der Lorbeer ist für den Herzog.“

„I gar,“ sagte Röse.

Da ritt der Herzog eben der Estrade zu, und die Mädchen jubelten hoch auf, und der ganze Zug jubelte, und aus allen Fenstern ringsumher schrieen und riefen sie. Der Wind wehte Rösen und Marien das lange Haar, das sie so einhüllte, daß man nur ein Streifchen ihrer weißen Kleider sah, wie goldene Fahnen über die Schultern, dem Herzog entgegen, ganz, als hätte es sich der Wind so ausgedacht.

Das mochte ein sonderbar hübscher Anblick sein; denn Karl August schaute lächelnd und nickte zu den Mädchen hinauf, hielt sein Pferd an und sprach ein paar Worte zu seinem Adjutanten.

In dem Augenblick flog Rösens Lorbeerkranz auf Karl August zu und richtig, verfehlte ihn, weil ihr die Haarsträhnen über das Gesicht geflogen waren, daß sie nicht recht sehen konnte, und der Kranz blieb an dem Degenknauf des jungen Adjutanten hängen.

Da lächelte Karl August noch einmal, und als der junge Offizier den Kranz loslösen wollte, um ihn dem zu überreichen, dem er bestimmt war, da machte der Herzog eine Bewegung, die zu bedeuten schien: „Da, wo er ankam, laßt ihn nur.“

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
05 июля 2017
Объем:
184 стр. 8 иллюстраций
Правообладатель:
Public Domain

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