Читайте только на ЛитРес

Книгу нельзя скачать файлом, но можно читать в нашем приложении или онлайн на сайте.

Читать книгу: «Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten», страница 8

Böhlau Helene
Шрифт:

Wie die Enkelin der Ratsmädel zum Blaustrumpf wurde

Das ist so zugegangen. Sie dachte weder an Gott und die Menschen, fühlte weder Unruh' noch Erregung, weder Hoffnung noch Verzagen, aber hatte eine Art Zuversicht und wußte wohl weshalb. Ein günstiges Schicksal umgab sie wie ein Zauber, und sie sah den Dingen, die da kommen sollten, mit einem köstlichen Herzensfrieden entgegen.

An nichts glaubte sie so fest wie an diesen Zauber, dessen Kern fürs erste auch nicht verraten wird, denn, wer weiß, vielleicht steht sie noch unter dessen Schutz – und Schweigen ist eben bei jedem Zauber die Hauptsache.

Mit welcher Harmlosigkeit, so erzählt die Enkelin selbst, ließ ich es zu, als junges Ding, daß meine ersten Arbeiten gedruckt wurden; hatte mich nicht darum bemüht, nichts deshalb versucht, ein Zufall brachte es zuwege, ein Zufall machte mich zum Blaustrumpf. Von der schwerwiegenden, wenig schmeichelhaften Bedeutung dieses Wortes ahnte ich nichts – nicht das Geringste.

Ich und Blaustrumpf! Zum Lachen!

Ich fühlte mich so froh – so unbedacht!

Was ich that, das war gethan – das stand mit dem, was andre thaten, in keiner Verbindung. Ich empfand mich als Wesen für sich und verglich mich ein für allemal nicht mit andern.

Ich las über meine in die Welt geschickten Träume viel Gutes – und wunderte mich.

Unzufriedenes natürlich auch, – selbstverständlich.

Das Gute freute mich; man hört sich gern loben, das stärkt die Persönlichkeit.

Die Unzufriedenen hab' ich daraufhin betrachtet, ob sie mir in irgend etwas helfen könnten, ob sie belehren könnten; als ich aber sah, welcher Wirrwarr daraus entstehen würde, wenn ich auf alle hören wollte, da kein Urteil mit dem andern übereinstimmt, so ließ ich Gutes und Böses bald friedlich liegen und dachte: Auf wen soll man hören? Auf was soll man hören? Der eine hebt, was der andre sagt, gewöhnlich wieder auf mit dem Gegenteil, und der Dritte wieder, was der Zweite sagt. Und was ist nun das Rechte? Wer ist nun der Vortreffliche, von dem man sich überzeugen lassen soll?

In einem Hefte der »Kunst für Alle« sind reizvolle Wandgemälde eines eigenartigen Künstlers aufgenommen und entsprechend gewürdigt.

Auf dem einen dieser Bilder ist in Gestalt eines dunkelhaarigen Mädchens die Wissenschaft dargestellt, die auf einem Sessel zwischen ihren Emblemen sitzt und einer allerliebsten Gesellschaft einen Vortrag hält.

Hinter ihr steht gravitätisch auf langen Beinen ein Marabustorch, das Symbol der Weisheit.

Was aber haben seine langen Beine und der spitze Schnabel dem Marabu genutzt? Gar nichts.

Denn der Besprecher der Gemälde hat sich in die Seele des Künstlers vertieft und hat gefunden, daß der Künstler mit einem vortrefflichen, sachgemäßen Humor eine Löffelgans hinter diese weibliche Wissenschaft gesetzt hat.

Was konnte er Besseres tun?

Wie stimmt das alles!

Wie ist Idealität und Realität hier glücklich verbunden! Wissenschaft personifiziert als weibliche Figur! Lehrend! Was wird sie lehren? Die Löffelgans hinter ihr gibt die Würdigung dessen, was sie lehrt.

Der Kritiker ist entzückt und phantasiert sich weiter in die Intentionen des Künstlers hinein.

Er empfindet in der Tiefe seines eigenen Gemütes, wie der Künstler sich feinsinnig nicht mit einer einfachen Gans begnügt hat, die ja vollkommen genügt hätte, den Wert eines Frauenzimmers auszudrücken. Durch des Kritikers Hirn bewegen sich allerlei übereinstimmende Dinge. Er nimmt an, der Künstler habe etwas von Küche, Löffel, »Löffelgans«, Weib, Blaustrumpf, Wissenschaft sagen wollen. – Solches beweist, daß dem Marabu seine langen Beine und sein spitzer Schnabel nichts nutzen, wenn der Kritiker seine Augen und sein Verständnis schon auf die Löffelgans gespitzt hat.

Der Künstler ist in diesem Fall nicht schuld an der Täuschung, sein Marabu ist ein echter, guter Marabu, gegen den sich nichts sagen läßt, und der nichts zu wünschen übrig läßt.

Bekanntlich ist ein Marabu schlank und langbeinig, und eine Löffelgans dickgedrungen und kurzbeinig.

Das thut aber nichts, es bleibt dabei: der langbeinige Marabu ist eine kurzbeinige Löffelgans.

»Marabu,« sagt der Künstler.

»Löffelgans,« schreit der Herr Kritiker und behält natürlich in den Augen aller Einsichtigen recht.

»Also die Löffelgans,« so argumentiert der Kritiker weiter, »ist leider verzeichnet, die Beine sind zu lang geraten, der Schnabel zu spitz, so daß sie eine gewisse Aehnlichkeit mit einer Storchabart bekommen hat.«

»Aber lieber Herr, es ist ja keine Löffelgans!«

»Mein Bester,« erwidert jener, »das ist allerdings eine.«

Und so bleibt es und bliebe ein ewiger Kanon, wenn der Klügere nicht nachgäbe.

Und es geschehen noch ganz andere Dinge.

Davon soll ein Künstler sich das Leben schwer machen lassen? soll nach dem würdigen Schelten oder Loben seinem Marabu, den die Kritik zur Gans umzaubert, künftighin kürzere Beine machen, soll betroffen und zerknirscht sein und sich bessern?

Gottlob, daß man nicht so oft zerknirscht, so oft reuevoll, so oft überzeugt ist, wie weise Ratgeber, getreue Freunde, kluge Kritiker es wohl wünschen möchten!

Nun, da ich einige Worte über die weisen bösen Kritiker und Krittler verraten habe, sieht es aus, als wäre mir sehr übel mitgespielt worden; denn an nichts glaubt man so gern und so fest als an das Schlimme, das einer von sich selbst spricht. Im ganzen ist es mir aber unverdientermaßen gut ergangen. Das Beste, was ein Sterblicher von sich sagen kann, denn mit dem »Verdientermaßen« sieht es gewöhnlich windig aus; aber unverdient gut ergangen ist ein grenzenloser Spielraum für alles Wünschenswerte.

Welche Freundlichkeit hab' ich erfahren! Wie hat Verständnis oft wohlgethan! Welche liebenswürdigen Menschen hab' ich kennen gelernt!

Jetzt, da ich über meine eigene Person und das Leben dieser Person etwas sehr unnötigerweise berichten will, ist es mir, als säße ich in einem bequemen Wagen und führe leicht und behaglich dieselbe Strecke, die ich einst mühsam und beschwerlich zurücklegte.

Aus diesem bequemen Wagen grüße ich sie alle, die mir mit warmem Herzen wohlgethan, die es der Mühe wert hielten zu sagen: Sei unsres Mitgefühls sicher, wir halten zu dir! Wir haben dich verstanden.

Ich begegne auch Leuten, die mir ganz besonders nahe bekannt sind, mit deren Schicksal ich mich mehr, als es gut ist, beschäftigte.

Man soll aber vor der eignen Thür kehren und andre Leute ungeschoren lassen.

Aber die Menschen sind ein thörichtes Geschlecht! Als ob die Welt nicht Mühsal, Schrecken, Tod, Verzweiflung und Unsinn, Krankheit, Thorheit, Lug und Trug, Lachen, Weinen, Spott, Härte, Freud und Leid, Liebe und Haß, solch alles im Uebermaß brächte! Nein, die Menschen finden es nicht genug!

Da sind welche, die, wie vom bösen Geist getrieben, glauben, es sei unumgänglich notwendig, es sei ein Verdienst, wenn sie sich zu den unzähligen Geschöpfen, die leibhaftig auf Erden sinnverwirrend durcheinander wimmeln, noch welche hinzuträumen, hinzuklügeln.

Das, was Haut und Knochen hat, tagtäglich in Massen zu Grunde geht, stirbt, neu entsteht im ewigen Wechsel, das genügt ihnen nicht; sie schaffen mit Mühe, Begeisterung, Qual und Glück, mit ihrem Herzblut Hirngespinste und sind entzückt, wenn diese den Gestalten gleichen, die sie zu sehen gewohnt sind, und freuen sich ihrer eigenen Käuze, die sie selbst geschaffen, ganz unbändig; sie erscheinen ihnen als außerordentlich wichtige Personen.

Wer diese ihre Käuze lobt, den halten sie für einen vernünftigen, weitherzigen Menschen.

Sie schaffen ihren Käuzen Schicksale, Ereignisse, lassen sie leiden, beglücken sie, und wehe dem, der findet, daß sie dies nicht gerecht, sachgemäß und vernünftig betreiben oder gar vergessen haben, über ihre Käuze ein vollgerüttelt Maß zeitgemäßer Moral auszuschütten.

Wie ernst und eifrig wird dies Spiel betrieben – tödlich ernst – das ganze Glück der wunderlichen Schöpfer hängt an dieser großen Thorheit.

Geraten die Käuze nicht, finden sie kein Gefallen, so ist der Urheber dieser Käuze ein gelieferter Mann, verachtet, gebrochen, – und wenn es noch so ein gesunder, guter, braver Bursche wäre, mit tüchtigen Zähnen und Armen.

Es ist eine Art Verrücktheit, »holder Wahnsinn« – aber was auf Erden ist nicht Wahn? Was auf der Welt thun wir, wobei uns nicht die Sinne umnebelt und verwirrt sind von Vorurteilen, Gewohnheiten, Ueberkommenem?

Sehen wir in irgend einem Ding klar?

Können wir den eigentlichen Wert irgend eines Dinges beurteilen? Gewiß nicht. Also frisch darauf los im Nebel! Uns braucht es nicht zu kümmern. Wer einmal zu den Lebenden gehört, dem ist der Tod gewiß, und was zwischen Geburt und Tod liegt, das macht sich wie von selbst.

Alles, was geschehen ist, geschieht oder geschehen wird, mag es offenkundige Thorheit, oder scheinbare Weisheit sein, füllt das Leben der Generationen aus, führt sie ihren Weg bis zum Vergehen, und keine Thorheit ist Thorheit genug, daß sie nicht ein Menschenleben würdig beschäftigen könnte, eins oder das Leben von Millionen.

Gut ist es, wenn man während des tollen Reigens, der durch das Leben führt, zu dem Mode, Sitte, Vorurteil und Verwirrung den Takt geben, einen ruhigen, praktischen Gedanken in Hirn und Herz halten kann, den nämlich: »Es ist gut, einander zu helfen, es ist das einzige, was Wert hat.«

Herzen und Werke, in denen dieser Gedanke zu spüren ist, mögen gelten.

Mir gefällt es auch, wenn einer seinen Käuzen, mit denen er nun einmal, halsstarrig, wie er ist, die Welt bereichern möchte, wenn er diesen Käuzen Sack und Pack voll Menschenliebe steckt.

Mir gefällt es, wenn einer im heiligen Glauben, Gutes zu thun, seine Käuze ausschickt wie ein Meister seine Jünger. Ich bin jetzt scheinbar weit abgekommen.

Aus meinem behaglichen Wagen also schaue ich nach allen Seiten und sehe überall Leute, die mir sehr bekannt sind, was niemand nach dem eben Gesagten Wunder nehmen wird, denn diese Leute sind meine geliebten Käuze – meine selbstgeschaffenen Gestalten, würde ein ästhetisch Gebildeter sagen.

Da kommt ein armer Judenjunge und reicht mir die Patsche, ein gutes Kerlchen; er hat nicht die übliche krumme Nase, oder vielleicht hat er so eine. Er ist auch ein armes Bürschchen. Sein Herz kann das Böse auf der Welt nicht ertragen, er wird davon zu mächtig gepackt. Salin Kaliske habe ich ihn genannt.

Selbst ein sehr überzeugter Antisemit kann ihn ruhig seines Weges gehen lassen, denn er ist ein kleiner Christusjudenmensch – solch ein Kind, wie unser Erlöser eines war.

Weshalb hab' ich ihn wohl nicht mit einer besonders krummen Nase ausgestattet und mit der naturgeschichtlichen Geldgier? Weshalb bin ich sparsam verfahren mit der Zuteilung der allbekannten Attribute?

Vielleicht hat dies mir Spaß gemacht; vielleicht hab' ich die Ansicht, daß wir in dem lobenswerten Streben nach Wahrheit uns allzusehr mit dem gröbsten Aeußerlichen begnügen, und mehr als je das Beste und Wertvollste achtlos beiseite lassen.

Ich begegne weiter rechtem Gesindel, Leuten, die besorglich wenig Anlage zu Würde und Vortrefflichkeit haben. Ein kräftiger, lebensvoller, geprüfter Mensch geht dort, ein düsterer, grober Geselle, der in der Todesstunde sich mächtig verliebt und sterbend den guten Freund um die Braut bringt, der so kraftvoll und lebendig in den Tod einzieht, wie andere auf Lebenshöhen nicht gehen.

Da läuft ein schönes Pärchen, ein leichtsinniges Mädel und ein liebestrunkener Gesell, ein rechter Lump, der nicht begreifen kann, daß seine unbeglückte Leidenschaft verklingen muß, der über seine unglückliche Liebe tobt.

Kraft auf Kraft beginnt sich in ihm zu regen. Er möchte etwas leisten und schaffen, seiner unerwiderten Liebe ein Denkmal setzen; doch ist er unbegabt.

Er hat das mächtige Empfinden des Künstlers und nichts mehr. Aber er schafft etwas in heiliger Einfalt aus sich selbst, aus seiner eigenen Schönheit.

In dunkler Nacht im ernsten Klostergarten, im Mondschein am hohen Kreuz hängt die göttliche Gestalt des Erlösers, lebenatmend, geisterhaft. Davor in angstvollem Schauer das hübsche leichtsinnige Geschöpf, das zitternd und erbebend vor dem Eindruck gewaltiger Leidenschaften die dunklen verwachsenen Gartenwege zurückhuscht.

Dann begegne ich Leuten, verschiedenen Leuten, denen hab' ich auf die Stirn geschrieben: Der Liebe ist Gerechtigkeit Sünde. Mit diesem für diese Welt sehr thörichten Abzeichen müssen sie umherlaufen.

Dort wandern zwei lustige, schöne Mädchen, die Ratsmädel, die voller munteren Streiche stecken, die ihr Wesen in Weimar treiben, zu Goethes Zeit, und hinter ihnen her ziehen allerlei Personen aus Weimars goldenen Tagen, die Rabenmutter, die alte Kummerfelden, die Leute aus der Gassenmühle, Budang, der prächtige Bursch, das ehrbußliche Weiblein, der blonde mächtige Förster mit seinen armen Töchtern, die eine, die Anne, weiß, was es heißt, die Sünde der Welt auf sich nehmen, mit eigenem Leid fremdes heilen, diese stille, große Anne! Und ihr braver Bräutigam! Welche Menschengröße! Welche Menschenbeschränktheit! Das sind nicht die Adelsmenschen des Genusses, die Raffinierten, aber es sind die ganz Starken, die ganz Zuverlässigen.

Da kommt eine grenzenlos gemütliche Gesellschaft, schwachsinnig vor Behagen. Das sind die verspielten Leute!

Vor denen nehmt euch in acht, schrecklich sind sie in ihrer Gemütlichkeit, treten alles nieder, was hoch steht, flachen und wetzen ab, was ihnen nicht paßt, ersticken alles mit ihrer wattenen Herzensgüte – das sind die rechten, schlimmer wie Raubtiere; wohlversorgt leben sie, essen gut, trinken gut, sind gesund und wohlgestellt – Ehrenmänner – Ehrenfrauen – aber aufgepaßt!

Hütet euch vor ihnen!

Da kommen noch manche Echte aus dem alten Weimar. Der alte Apotheker mit seiner gemütlichen Apotheke, der unheimliche Apothekergehilfe, der jeden Todesfall voraus weiß. Sperbers, die Gutsbesitzer in ihrer köstlichen Hülle und Fülle. Die zwölf Pastorskinder, die vom Nachtwächter schlafen gelegt werden, und bei denen allstündlich der Nachtwächter nachschaut, ob sie auch nächtliche Ruhe halten.

Wie gut haben es all diese Weimaraner, diese Alten, in ihren köstlichen Gärten! O, welches Behagen! Ich denke an den alten Doktor Tiburtsius in den Kußwirkungen, der sich hinter dem Rücken seiner vortrefflichen runden, kleinen Gattin einen Garten kauft, um ihr und ihren fidelen Gästen zu entwischen, und welche Abende er in diesem duftenden, Grün strotzenden Garten verbringt – und wie er dann später entdeckt wird! Und daß ich es nicht vergesse, Goethe und Karl August sind auch dabei unter diesen alten Echten, und Mamselle Muskulus im Veilchenhut auch, und der alte verrückte französische Colonel, der mit Madame Kummerfelden im verschneiten Entenfang, der Nähschule der Kummerfelden, ganz im geheimen Romeo und Julia aufführt.

Die Hemdenmätze der alten Kummerfelden kommen auch anmarschiert, und Franz Horny und Schillers Sohn, die Kameraden der wilden Ratsmädel, die der alten Jüdin alle weimarischen Esel über den Hals gejagt haben – und das dritte zarte, süße Ratsmädel, das Münchner Nönnchen, das katholische Kind, das in die Ratsmädelfamilie hineingeschneit kommt, das entsagende Geschöpfchen, das mitten im freudigsten Leben neidlos steht – und zu guter Letzt der Jenenser Bäckerlehrling, der seine schauervolle Johannisnacht mit seinem süßen Bräutchen, dem würdigen katholischen Geistlichen, den glotzenden Hausleuten und dem Tod oben unter dem Dachraum des uralten Hauses zu Ende feiert.

Leute aus einer Geschichte, die »Der Rangierbahnhof« heißt, seh' ich dort – und ich rufe: O, du meine arme kleine Olly! Du weißt es, wie bitter schwer das Weib zu tragen hat, wenn es mit ganzer Seele die Kunst liebt – und jung ist und leben möchte – und aus einem Zärtlichkeitstraum, aus so einem weichen, weichen Traum in der Ehe erwacht.

Aus welchem Sumpf stammst du! Wie ging es bei dir daheim sonderbar zu! Mit welchem Lärm und Getöse rangierten die hyperästhetischen Naturen, die aus der Kunst doch eine gute Milchkuh machen wollten! Aus welchem Lügen- und Schwatznest stammst du! Und wie bist du rein und feurig geblieben! Wie rührend komisch bist du in deinem Haushalt!

Wie tragisch ist alles! Ach, und dein Sterben!

Welch eine Last liegt auf solch einer Weibesseele. Pflicht und Schaffenswonne. Wie wütet das in solchem armen Herzen!

Wie ist es euch schwer gemacht, ihr armen Weiberseelen, am Besten hier auf Erden teilzunehmen!

Und noch so eine arme Seele ganz andrer Art begegnet mir – Dorothea in »Reines Herzens schuldig«. Sie ist so ganz in Liebe erwacht, in heißer Liebe – und muß in einem Leben verschmachten, das ihr nichts bietet, kein Glück, auch nichts, was an Stelle des Glücks treten könnte.

Als ich diese Gestalt schuf, war ich sehr jung und hoffte, dies Buch würde von guten Menschen gelesen, die sich mit dem Gedanken trügen, wie man den Vernachlässigten, Unglückseligen auf Erden, von deren Dasein die arme Dorothea Zeugnis gibt, helfen könnte.

Und daß es solche gute Menschen gibt, hab' ich zu meiner größten Freude erfahren – und ich sehe nicht ein, weshalb ich nicht ein wenig prahlen soll, weshalb ich nicht ein paar von jenen Briefen und Zeilen hier wiedergeben soll, die mir von bekannten, unbekannten, unberühmten und sehr berühmten Händen geschrieben wurden und wie Freudenboten ins Haus kamen, damit die Leute, die diesen kleinen Lebensabriß lesen, doch auch eine Ahnung bekommen, was für ein glückliches Menschenkind ich bin.

»Berlin … Reichstag.

Männer lesen selten Romane, Männer meines Berufes gar nicht. Ihr ›Reines Herzens schuldig‹ las ich zweimal hintereinander. Die Feder eines Dichters in Herzblut getaucht. Sie sprechen einmal: ›Wenn du den Dichter findest, dem es gelungen ist, das tiefste Leiden versöhnend darzustellen, den halte fest wie einen Freund.‹

Möge Ihnen – in Leben und Kunst – das hohe Ziel zu teil werden: die erhabene Heiterkeit eines Sophokles und eines Mozart!«

Ein andrer Brief:

»Ihre drei neuen Bücher schmücken meinen Weihnachtstisch. Ich habe sie mir selbst beschert, doch als eigenste Gabe von Ihnen. Jedes Wort eines Dichters, das mir seine Seele offenbart, nehme ich dankerfüllt als sein ganz unmittelbares Geschenk entgegen. Nicht viele geben so viel wie Sie. Eines Abends, wenige Tage vor dem Fest, las ich Ihren ›Herzenswahn‹. Ihr übermächtiges Empfinden riß mich fort, Ihr Mut, diese Gefühle auszusprechen, begeisterte mich. Zugleich dachte ich mit Bangen an das Schicksal dieser Bücher; mir war's, als sähe ich sie schutzlos in der Welt umherirren; ich wünschte innigst, daß sie zarte Finger und warme Herzen anträfen. Ich fürchte, auch Ihre Dorothea wird nicht oft verstanden werden; die freie Menschlichkeit hat so wenig Raum in dieser verschnörkelten Welt.«

Und noch ein dritter Brief von einem Arzt.

»An die Schriftstellerin Helene Böhlau

Ich habe den ›Rangierbahnhof‹ gelesen und war zugegen, wie Köppert das Seelchen fand, ich durfte der dritte im Bunde sein; auf mich ist von dem Glücke übergegangen, das zwischen den beiden erstehen durfte. – Das will ich nicht vergessen und Ihnen lange dankbar sein, weil Sie mich zu den zwei Menschen führten, bei denen ich rein und gut sein konnte.«

So, nun habe ich glücklich meine Prahlerei zu Ende gebracht und könnte noch ein ganzes Weilchen fortfahren, doch möchte ich nicht, daß jemand meine Skizzen unmutig aus der Hand legte, und ich will mir meine Freunde erhalten.

Meine Geschichte der Dorothea gehört übrigens nicht zu den trübseligen. Ich habe sie ausgespickt mit allerlei lustigem, freundlichem und thörichtem Volk. Da ist ein Herr von Bublitz, ein fetter Schlingel, der dem Wohlthätigkeitssport obliegt, da ist ein prächtiger lustiger Onkel, schöne Mädchen die Hülle und Fülle, eine gräfliche Hochzeitsgesellschaft, die des Guten zu viel gethan hat.

Das mag noch alles gehen; aber da laufen welche aus Stambul, wunderliches Volk in wunderlicher, göttlich schöner Umgebung, alles wächst und blüht und duftet und leuchtet, und die Menschen wachsen und blühen mit und werden freudig und gesund. Es sind gar liebe Leute, die »im frischen Wasser«.

Ich begegne noch manchem Gesellen; dort, fern von den andern, dem guten Reichlin aus dem »Herzenswahn« mit seiner kleinen überspannten Käthe.

Ein altes Pärchen, »die alten Leutchen«, geht zufrieden miteinander. Die kleine zierliche Frau hat mit ihrem würdigen Herrn ein Lebtag im dunklen Lädchen gesteckt und kommt im Alter zu einem Landhaus und köstlichen Garten, so daß das schwärmerische Persönchen in einer Glücksfülle steckt, die sich ganz wunderlich ausnimmt. Ein widerwärtiger, langbeiniger Ladenjunge schleicht hinter der kleinen Alten her, trägt ein Buch in der Hand, in dem eine Wurstschale als Buchzeichen steckt. Der lange Bengel ist dem Weibchen sehr fatal.

Zu guter Letzt Leute aus einem Roman, »Das Mutterrecht«, Leute, die mir wahrhaft ans Herz gewachsen sind. Laßt es euch sagen, vom alten Kutscher Jermak, wie er über seine Herrin denkt, über ihr Kindchen, wie er von den verlassenen Mädchen spricht, von Gott und der Welt, den Popen, den schwarzen Völkern, und alles zu seinem jungen Herrn im Schlitten, wie er von dem Schandfleck der Familie, der Schwester Jekatherina, spricht.

Dort geht sie, auf den schwarzen Ebenholzstock gestützt, diese herbe, vornehme Frau, diese ganz souveräne, eine Frau, in der der Geist mächtig wurde, eine Herrin des Lebens. – Und Christine, du Reine, auf dich kam die größte Schmach des Weibes, unter der noch keine in der gebildeten Welt frei dahergehen konnte. Diese schwere Schmach hat noch jede zu Boden gedrückt und zur Lügnerin gemacht. – Dich nicht!

Frei hältst du dein Kindchen im Arm.

Wie eine dunkle Wolke liegt die Verachtung der Menschen über dir; aber in deiner Seele ist es nach schwerem Kampf sonnig klar geworden. Auch du bist Herrin geworden, dein Kind ein Königskind – das Kind des freien, ungebeugten Weibes.

Wie geht es dem Rothsplätz, bei dem du Schutz gefunden hast? dem Manne aus dem Volk, dessen Gesicht immer zur Erde gekehrt ist, und doch so heiter blickt wie der liebe Abendhimmel. Er hat dir gezeigt, dir, dem armen gehetzten Geschöpf, wie weit das Volk, das arme Volk den Reichen, den Hochgebildeten voraus ist. – Nicht wahr, er hat dich und dein Kind vor ihnen geschützt wie mit Mauern, in seinem Haus warst du frei und unbescholten?

Diese Armen hatten, was Reichen fehlt. Sie waren menschlicher. – Bei ihnen hatte das Weib schon gesiegt.

Diese Leute möchte ich nun in Wahrheit guten Menschen anempfehlen. Redet mit ihnen! Ich bitte euch, sucht sie zu verstehen. Sie sagen auch viel mehr, als es auf den ersten Blick scheinen möchte – viel mehr. –

All diese Gestalten, von denen ich euch hier sprach, sind der Ausdruck eines so überaus reichen, lebendigen Lebens, der Ausdruck einer Seele, die durch Schweres ging, die Schweres kannte und fühlte, die aber im tiefsten Grunde glückselig und dankbar ist, denn ihr wurde das höchste Glück zu teil, den Menschen zu finden, der sie ganz verstand, der in seiner großen Geistesreife und seinem Können und tiefem Wissen und seiner Güte hilfreich zu ihr stand, der aus einer wunderbaren Fülle sie belehrte, dem sie alles dankt – auch alles Glück auf Erden, Freund, Lehrer, Gemahl zugleich – und jede Stunde segnet sie, die sie beisammen sind.

Wie ist es mir aber in den Sinn gekommen bei so glücklichem Leben, mich mit solchem Volk zu befassen?

Ich begreife es heut noch nicht.

Die Arbeit allein, die Mühe, die Not, die Sorgen, ehe solch ein Kauz sich präsentieren kann, hätte mich abschrecken sollen, – denn ich war so faul, so wundervoll faul!

Noch denke ich mit einiger Sehnsucht daran zurück, denn sie war charaktervoll diese Faulheit – sie war etwas! – Da gab es nichts auf Erden, was mich hätte zu irgend einem Fleiß anspornen können.

Als ich mit dem ersten Verslein im Fibelbuch geplagt werden sollte, sagte ich einsichtsvoll: »Dazu bin ich noch viel zu klein,« und blieb bei dieser Meinung und lernte keine Verslein wie andre brave Kinder.

Ich kam in eins jener fürchterlichen Institute, in denen Kindern während ein paar Vormittagsstunden das Spielen gelehrt wird, auf Kommando in Reih und Glied; ich sollte alles genießen, was die Zeit einem jungen Menschlein bietet. Aber diese ernste Spielmaschine erschien mir abschreckend; ich empfand eine Scheu vor den schon abgerichteten Kindern, die es verstanden, sehr unnötige Lieder zu singen, die es verstanden, im Takte in die Hände zu klopfen und mit den Füßen zu strampfen, die wegen ganz unsinniger Dinge gelobt und getadelt wurden. Das alles geschah in einem dämmerigen, staubigen Raum, es war mir, als würden da schreckliche Dinge getrieben.

Ich schrie und jammerte, die Güte der Spiellehrerinnen, die mich beruhigen wollten, machte mir einen verdächtigen Eindruck. Sie drückten mir eine Puppe in die Arme, eine fremde, mir sehr widerliche Puppe in einem Ballkleid mit einer schwarzen Porzellanfrisur, eine Puppe, wie ich sie mir nicht dummer vorstellen konnte.

Ich legte dieses Geschöpf sehr verächtlich auf die Erde und sagte, daß man nur Kinder tragen könne, keine großen Leute, die Puppe wäre eine alte Frau.

Da lachten die Lehrerinnen und verlangten, ich solle in einen Kreis treten, den die Spielschüler bildeten, und solle so thun, als grübe ich im Sande und pflanzte eine Blume, dann solle ich mich anstellen, als nähme ich einen Rechen, damit der Sand wieder geglättet werden könnte. Die Kinder würden, während sie ein Liedchen sängen, dies alles ausführen, ich hätte es nur nachzumachen.

Ich stand im Kreis, war aber zornig und außer mir, die Kinder erschienen mir immer unheimlicher, das ganze Thun immer sinnloser, die Stube immer düsterer; da sah ich eine Thür offen, lief schreiend hinaus, die Treppe hinab, hinter mir her die Lehrerin; ich war aber flinker.

Mit aller Liebe, allen Bitten, allen Versprechungen brachte niemand es dahin, mich zu einem zweiten Besuch dieses unheimlichen Instituts zu bewegen.

Es fand sich wohl auch, daß es ohne dieses ginge, ich war ein zufriedenes Kind, kannte keine Langeweile, steckte mit meinen zwei Schwestern den ganzen Tag in unserm hübschen Garten, hatte meine wundervolle dunkle Ecke unter einem Holundergebüsch, in die verkroch ich mich, und stundenlang harrte ich dort. Ich erinnere mich, daß es mir da unbeschreiblich wohl war. Ich bildete mir auf meine eigene Faust ein, irgend ein Tier zu sein, ein Vogel oder ein Hase, ein Löwe oder irgend etwas, und in dieser Vorstellung verging mir die Zeit aufs angenehmste.

Ich kam in die Schule, und man sagte mir vorher, daß es unmöglich sein würde, aus der Schule auszureißen. Das war mir schrecklich zu hören.

»Das mag etwas Schönes sein!« dachte ich mir. Der Kindergarten lebte mir in düsterster Erinnerung. Und ich kam in die Schule. Der Lehrer verkündete mir, daß ich ihn »Sie« zu nennen hätte.

Ich hatte noch niemand »Sie« genannt. Ich grübelte nach, weshalb ich dies thun sollte, und vergaß es darüber; ich konnte mich auch in die Schule nicht hineinfinden.

Das Lernen fiel mir schwer, es interessierte mich auch nicht im geringsten. Die Naturgeschichte, oder wie sie in den untersten Klassen benannt wurde, der »Anschauungsunterricht«, machte mir Spaß, da war ich dabei.

Das war aber auch das einzigste, das allereinzigste.

Die biblische Geschichte gefiel mir zwar. Ich liebte es, wenn der Lehrer erzählte; wenn dieselbe Geschichte aber ihren Weg durch die Klasse nahm, überkam mich eine jämmerliche Langeweile, ich hätte weinen mögen. Da kam ich auf einen glücklichen Gedanken: ich stellte mir vor, in unserm Garten in meiner grünen dunklen Ecke zu sitzen, statt auf der Schulbank, stellte mir weiter vor, ein Hase zu sein, der im Grünen in seinem Neste hockt, die Ohren anlegt und in die blaue Luft blinzelt; wenn nun das Erzählen an den Hasen kam, wußte er natürlich nichts, wie es auch einem guten Hasen zukommt, und das erwies sich als sehr übel für seinen Ruf. Es geschahen auch wunderliche Dinge, der arme Hase sollte sagen, aus was der Mensch besteht – und blieb die Antwort schuldig. Da hoben sich die Fingerchen so frech und keck um ihn her in die Höh', ein ganzes Feld, und nickten und schnickten, und die Bravste sagte im schulgemäßen Ton: »Aus Leib und Seele.«

»Aus Leib und Seele,« mußte ich wiederholen und setzte hinzu: »aber die Wassernixen haben keine Seelen,« da lachten alle, und der Lehrer verwies mir solch dummes Zeug.

»Was in Märchenbüchern steht,« sagt er, »ist immer unwahr.«

Ich aber steckte voller Fragen und hätte gern mit dem Lehrer eine längere Unterhaltung angeknüpft. Ich wollte wissen, was die Seele ist, wollte erfahren, woher man weiß, daß man eine hat, wollte wissen, weshalb die Märchengeschichten unwahr und die biblischen wahr sind.

»Was ist denn mit der Seele?« frug ich meine Nachbarin.

»Na, was denn?« frug diese von oben herab. »Wer freilich so dumm ist, wie du, hat keine.«

Das war mir sehr lieb zu hören. Ich wußte zwar nicht weshalb; aber es war mir angenehmer, zu denken, daß ich keine Seele habe. Es schien mir einfacher und besser, und gerade weil die andern alle eine hatten, gefiel es mir, keine zu haben.

Nach diesem Gespräch beruhigte ich mich und verwandelte mich wieder in den Hasen.

Bei solchem Phantasiespiel aber, das zum Zweck hatte, mich über die Beschwerlichkeiten der Schule hinwegzutäuschen, erging es mir oft übel.

Ich weiß, einmal packte mich der Rechenlehrer ganz desperat an den Schultern, um mich in die Ecke zu stellen. Ich aber, wild, bös und wütend, fahre mit beiden Händen in das Tintenfaß, das in die Bank eingelassen war, halte mich daran und schreie jämmerlich: »Rühr mich nicht an, rühr mich nicht an!«

Das war dem Rechenlehrer sehr einleuchtend. Er mochte nicht Lust haben, nähere Bekanntschaft mit meinen beiden schwarzen Tintenhänden zu machen – und ließ mich unangefochten sitzen. Die Mädchen aber flüsterten untereinander: »Die ist klug, die ist doch schlau.«

Das hörte ich und empfand, daß dies erste Lob aus dem Munde der Kameradinnen mir sehr wohl that.

»Führt sie hinaus und wascht ihr die Hände, damit sie nichts einschmiert,« rief der Rechenmeister, und ich fühlte, daß man mit Hochachtung mir behilflich war, die Spuren meines siegreichen Kampfes unschädlich zu machen.

Das aber blieb der einzige Lichtblick in meiner kurzen Schullaufbahn.

Die Lehrer straften mich beinahe nie, waren freundlich mit mir; in der Erinnerung ist es mir, als hätten sie eine sanftere Art mit mir zu sprechen angenommen, als mit den andern Mädchen; aber es war nicht das Rechte. Ich war und blieb bedrückt. Ich hatte keinen Erfolg aufzuweisen. Meine Hefte gab man mir gewöhnlich stumm, kopfschüttelnd zurück.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
05 июля 2017
Объем:
170 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

С этой книгой читают