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Читать книгу: «Halbtier», страница 10

Böhlau Helene
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11

Sie hatte so in sich selbst verschlossen gelebt – in ihrer Arbeit.

Sie hatte gewissermaßen nicht für ihre eigene Person erstrebt, was sie nun anfing, zu besitzen.

Das Weib in ihr war es, was sich mühte, was rang, was ein Ziel verfolgte, was tief erregt bei jedem Mißlingen verzweifelte, was aufjauchzte bei jedem Gelingen.

Sie wollte den Begriff Weib in sich selbst umwerten, umgestalten. Erlöser-Seligkeit und Schmerzen standen ihrer Seele nach.

Weltfremd, jahrelang nur von einem fanatischen Arbeitsgeist besessen, war ihr vieles jetzt so neu.

Wie mit wunden Nerven hatte sie seit jener Nacht vor fünf Jahren das Weib-sein empfunden. Das Geschöpf zweiter Klasse sein, das Ausgeschlossen-sein von allem geistig Lebendigen, das Stehengebliebene, Unentwickelte – nur Körperliche.

Es war so etwas Trauriges – um das Weib …

Sie arbeitete fanatisch, sprach aber zu keinem von ihrer Arbeit – kein Wort über Kunst! Taktlos – albern von einem Weib. Wozu? Einfach lächerlich!

Wo sie hinblickte, traf sie auf eine schmähliche Kränkung.

Jedes Buch, das sie aufschlug, bestätigte was sie empfand.

Begeisterte sie sich an einem großen Geist der Vergangenheit, mußte sie vergessen und darüber hinwegsehen, daß dieser Geist nicht über die Erde gegangen war, ohne daß er dem Weib ein neues Schandmal aufgedrückt hatte. – Wie ein Fluch traf sie es, als sie auch durchschaut hatte, daß Buddha, der Wundervolle, der Tiefste der Tiefen, der Welterlöser, Leidensüberwinder, das Weib ausgeschlossen hatte – ausgeschlossen aus ihrem ureigensten Reich der Leidensüberwindung und Erkenntnis des Leidens.

Wohin sie sah, Schmach!

Sie litt unter der scharfen Einsicht in ihrer Lage – der Lage des Weibes.

Wie ein leidenschaftlicher – verzweifelter Fanatismus ergriff sie es oft.

Ihre Seele war so eine freie und frohe. Stolz, ausgelassen, freiheitstrunken wäre sie gern gewesen – wenn sie nicht immer alles gesehen und durchschaut hätte.

Wie Peitschenhiebe fuhr es oft über sie hin.

Sie konnte nicht so dumpf leben wie die andern – so breit, behaglich, angebetet und verachtet. Das stille, starre Totengesicht mit dem Zug der Weltüberwindung, der Schmerzüberwindung verließ sie jetzt seit Wochen nicht. – Sie wollte und mußte dies Antlitz in sich schaffen. —

Sie wollte etwas bilden. – Das Antlitz des Weibes.

In dieser Zeit hörte sie zum ersten Mal mit Bewußtsein von der unglaublich wunderlichsten Sklavenbewegung.

Das Weib begann zu revoltieren, das Weib, das, so lang es Menschen auf Erden giebt, sich geduckt hatte. Das unüberschaubare Zeiten sich hatte treten und mißhandeln lassen, das wie ein hungriges Raubtier seit Jahrtausenden was es wollte, erlistet und erschlichen hatte.

In einer kleinen Provinzstadt, in einer Kochschule war ein sonniger Saal mit Tannenguirlanden und frischen Laubgewinden, Blumensträußen und Fähnchen dekoriert. Da kamen die Frauen zusammen.

Isolde trat etwas spät, von der Reise ermüdet, in den Saal ein, als schon alle versammelt waren.

Eine heiße, sonnige Luft.

Das welkende Laub strömte betäubend duftend seine Säfte aus. So etwas Mattes, wie Herbstgeruch in der schwülen Luft.

Kleiderstoffe, ein ganzes Feld von Hüten aller Arten und Formen. —

Häßlich, wie jede Menschenansammlung, eine Anhäufung von Lappen, die alles Menschliche versteckt, etwas Formloses, Totes, Trocknes.

Diese vielen Frauen, in ihren vielen Kleidern, bedrückten und verstimmten Isolde.

Aus all dem Wust die kleinen, welken, dummen, vom Leben angekränkelten Mondchen, die menschlichen Gesichter.

Was für ein Angefaultes, Angefressenes ist so eine Menschenmenge! – so etwas Trauriges, Schauriges, kümmerlich Verdecktes.

Vor weißverhangenen, sonnenbeschienenen Vorhängen saßen die Frauen vom Vorstand, kräftige Matronen; ein schmaler, langer Tisch vor ihnen. Die weißen, blendenden Vorhänge hinter ihnen ließen sie wie kompakte, schwarze Schatten erscheinen.

Die Versammlung wurde in würdiger Form geleitet.

Ein Präsident konnte den Reichstag nicht vortrefflicher eröffnen.

Aus der Menge erhob sich hin und wieder aufgefordert eine und sprach, mit einem befangenen Stimmchen, von ungeheuren Dingen, unter denen die Menschheit seufzt.

Sie faßte diese Dinge bei einem kleinen Zipfel und zeigte ihn wie ein winziges Pröbchen von einem ganz wunderbaren, riesigen Stoff, in den ungeheure Gestalten, geheimnisvolle, mächtige Muster eingewirkt sind.

*

Isolde kannte ein altes Kloster in Südtirol, das hoch auf einem Felsen liegt, ein Kloster zur ewigen Anbetung.

Sie hatte einen Winter mit ihrer Mutter in Südtirol zugebracht und am Allerseelentag war sie zu diesem Kloster in der Dämmerung hinaufgestiegen.

Weißverhangener Himmel, als wollte schon Schnee kommen; Regen rieselte, und Nebel stiegen dicht aus dem Thal auf und schieden das Kloster zur ewigen Anbetung von aller Welt ab, so daß es von keinem Auge mehr gesehen wurde. Geheimnisvoll, wie eine Gralsburg, schimmerte, wenn der Nebel ein wenig riß, ein Turm, eine Fensterreihe, wie mitten aus Wolken.

Eine unsagbare Einsamkeit war da oben – eine herzbeklemmende, bange Einsamkeit.

Und hoch vom Felsen, aus der kleinen, im tiefen Nebel verborgenen uralten Klosterkirche heraus kamen zwei Stimmchen, wie im unendlichen Raume schwebend – so traurig, so weltverlassen. So körperlos mystisch, so übermenschlich weh sangen die Stimmchen am Allerseelentag vom Tod und vom Leiden der Welt.

Dieselben Stimmchen, im Raume schwebend, drangen jetzt wieder zu ihr, rührend, weltfremd, schmerzbeladen, ihre Seele bedrängend. Dazu parlamentarische Würde und Sicherheit, ein ganz wunderliches Gemisch. So etwas Strammes, als hätten die mächtigen dunkeln Schatten der Frauen am Vorstandstisch, vor dem grellen Hintergrund, Boden unter den Füßen und könnten auf eignem Grund sich regen, so etwas Gesetzmäßiges, Wichtiges, als wären die Gesetze schon da, um besser, menschenwürdiger zu leben.

Dazu der Saal mit den Guirlanden und Fähnchen! so unbeholfen sicher. Ein ganz eigner banger Eindruck.

In Isoldens Seele war das reine Totenangesicht wie eingebrannt. Das Gesicht, das mit seinem Ausdruck des Großgewordenen durch Leiden, wie eine Sonne alle lebendigen, befriedigten Gesichter überstrahlte. Es wurde ihr hier schwerer an dies Gesicht zu glauben, als irgendwo sonst.

Und doch – in den weltfremden, weltverlassenen Stimmchen zitterten Laute, so rührend und lallend sie auch klangen, in denen das ganz Tiefe, das große Wollen lag – das Wollen, das sich Bahn bricht, sei es wie es sei.

*

Isolde träumte, während die kompakten Schatten Bericht erstatteten, was in Sache der Frauen in diesem Jahr geschehen und nicht geschehen war. Gut bürgerliche Vereinsbefriedigung lag währenddem über ihnen.

Isolde träumte, daß sie aufgestanden und an den Tisch vor den gelben Sonnenhintergrund getreten wäre und in die Blendung hinein und zu den mächtigen, dunkeln Schatten gesprochen hätte:

„Würdige Frauen, laßt doch eure Barmherzigkeit jung sein!

Jung und stark.

Laßt sie nicht alte ausgekrochne, ausgeschlichne Geleise schleichen.

Thut doch etwas ganz Erstaunliches! Etwas, worüber die Welt in Lachen ausbricht, in Zorn und Wut. Weil ihr zu trotten versucht, wie der Mann trottet, so schwer und bedächtig – glaubt ihr, ihr habt es schon erreicht, was ihr wollt – oder werdet’s erreichen? – O weh, etwas Altes!“

Aber das klagende Stimmchen im Raum ist noch so jung.

„Ich beschwöre euch, thut etwas Königliches, etwas Freies! Nichts Althergebrachtes. Nichts Kluges – nichts Vernünftiges – laßt die That der Frau wie eine lang verschüttete, eingeengte Quelle mächtig rücksichtslos hervorsprudeln – thut etwas, das davon zeugt, daß ihr den großen Willen habt, den weltüberwindenden Willen. Breitet eure großen Flügel aus wie Glucken. Bereitet dem jungen starken Weib ein Nest.

Ein eignes Nest mitten in der harten, frechen Welt. Baut eine uneinnehmbare Veste aus eurem Willen. Ohne daß ein Funke von Verachtung in eurem Blick aufsteigt, laßt in unangetasteter Reinheit das junge Weib ein Kind ihr eigen nennen dürfen. – Ein Kind und Arbeit! Gebt ihnen Arbeit, bei der ihnen die Seele weit wird, und ein Kind, das ihnen das Herz froh macht. Seht ihr – ich gebe euch den großen Willen – nehmt ihn!

Laßt sie nicht in der Arbeit, nach einem Kind hungernd, wie ein Raubtier verlangen.

Macht etwas Ganzes aus ihr!

Breitet eure großen Flügel aus wie Glucken und laßt ihnen nichts geschehn!

Schützt sie, und sie sind geschützt, sagt, sie sind ehrbar – und sie sind ehrbar.

Schlagt ihn, er hat keinen Freund!

Aber hat er einen Freund, wer will den Menschen dann berühren? Wer kann ihm ernstlich schaden?

Des Menschen Wille schafft die Welt! Weshalb dem jungen Weib nicht ein Nest, worin es werden kann, was es werden will und werden muß, wenn es einmal mit beiden Lungen frei atmen kann, wie ein Geschöpf Gottes und beides hat, ein Kind und Arbeit. Und aus diesem kleinen Nest wird eine neue starke Menschheit kommen – allen zum Trotz, die eine Menschheit von Sklaven und Haustieren wollen.

Achtung wird das Weib unter der Sonne genießen.

Lachen und jubeln wirds!

Die ungeheure Gesetzeslast und die Mißachtung hat die Frau mit einem leichten Fußtritt bei Seite geschoben wie durch ein Wunder, und wieder wie durch ein Wunder ist sie nun frei geworden – und sieht, daß sie nie gefangen war.

Streicht ihr über die verwirrten Augen mit sanften, klugen, wollenden Mutterhänden! und breitet die großen Flügel aus wie Glucken.“

So hatte Isolde, im Stuhl zurückgelehnt, thöricht geträumt, gerade als die würdigen Frauen am Vorstandstisch die Frage aufwarfen: „Soll die Frau den Titel des Mannes führen oder nicht?“

Und dann kam wieder eine andre sehr vernünftige, untadelhafte Frage – sehr korrekt.

Isolden war es zu Mute, als müßte draußen ein dunkles, starkes Gewitter ausbrechen.

Es schien aber helle, grelle Julisonne, kein Wölkchen am Himmel. Schwüle, erdrückende Schwüle im Saal. Die Laubguirlanden strömten ihre Säfte aus.

Es duftete nach sterbendem Laub und heißen Körpern, eine einschläfernde Atmosphäre.

Und doch stieg aus dieser drückenden Atmosphäre etwas Starkes, Lebendiges auf. Für eine feine Seele voller Weltliebe war es auch zu spüren.

Aber was ein Sturm sein sollte, war noch ein kleiner, spitzer Luftzug wie aus einer Fensterritze.

12

Es war in diesem selben Jahr, Weihnachts-Heiligerabend. —

Der Zusammenschlag aller Herzen, alter und junger, trauriger und fröhlicher, durchzieht wie ein mächtiger Strom die Stadt, liegt wie ein leuchtender Nebel über den Häusern, klingt von den Türmen in vollen, schweren Tönen, hallt in den Schritten der Menschen, die durch die Straßen eilen.

Weihnacht! Weihnacht! Weihnacht!

Der großen Weihnachtsstimmung kann kein Herz entfliehen und wenn es sich in seinem Weh bis in den dumpfsten, tiefsten Keller vergrübe. Es müßte mit hinein in den Zusammenschlag.

Da fühlt ihr’s einmal: das „All-Eine“. Das Zusammenfließen der Seelen, das Empfinden, Früchte an einem Baum zu sein.

In allen Heimstätten feiern sie Weihnachten.Aus den Fenstern der Häuser an der Leopoldstraße strahlt es festlich in die Nacht hinaus, glänzen die lichtvollen Weihnachtsbäume wie Sterneninseln.Draußen leichter, schon hart getretener Schnee und doch ein milder Winterabend, zwischen Gefrieren und Tauen. Die hohen, kahlen Pappeln ragen schattenhaft zart in den blanken Sternenhimmel hinein.Stadtgeräusche klingen heut anders als sonst, so scheint es jedem. Die Pferdebahn kommt so eilig, weihnachtlich daher. Die Droschken fahren, als führen sie irgend eine Überraschung zu irgend einem Ziel.Ja, lebendiger ist alles, als sonst und heimlicher.Einer scheint dem andern noch bekannt. Man freut sich mit denen, die sich freuen können und freuen. Das fremde Leid greift zum Herzen und nicht nur an die Nerven, und auch nicht nur zum Herzen, nein, bis in den Geldbeutel hinein, der tiefer und unzugänglicher beim menschlichen Geschöpf sitzt als Herz und Nieren.

Aus den Fenstern der Häuser an der Leopoldstraße strahlt es festlich in die Nacht hinaus, glänzen die lichtvollen Weihnachtsbäume wie Sterneninseln.

Draußen leichter, schon hart getretener Schnee und doch ein milder Winterabend, zwischen Gefrieren und Tauen. Die hohen, kahlen Pappeln ragen schattenhaft zart in den blanken Sternenhimmel hinein.

Stadtgeräusche klingen heut anders als sonst, so scheint es jedem. Die Pferdebahn kommt so eilig, weihnachtlich daher. Die Droschken fahren, als führen sie irgend eine Überraschung zu irgend einem Ziel.

Ja, lebendiger ist alles, als sonst und heimlicher.

Einer scheint dem andern noch bekannt. Man freut sich mit denen, die sich freuen können und freuen. Das fremde Leid greift zum Herzen und nicht nur an die Nerven, und auch nicht nur zum Herzen, nein, bis in den Geldbeutel hinein, der tiefer und unzugänglicher beim menschlichen Geschöpf sitzt als Herz und Nieren.

Ja, ein schöner Abend, ein sehr merkwürdiger Abend, der Abend der Weihnachts-Heiligennacht.

Bei Doktor Freys waren sie auch in Feststimmung und Festerwartung.

Die Mutter, Isolde und Bruder Karl sitzen im Salon und warten auf den Vater, um im Speisezimmer den Weihnachtsbaum anzuzünden und dann während des Lichterglanzes ein kleines, festliches Abendessen miteinander zu verzehren – und Frau Doktor Frey ihr Haferschleimsüppchen.

Um den Weihnachtsbaum stehen von Tüchern verdeckte Tische mit Geschenken.Es ist alles bereit. – Das Hasten und Eilen des ganzen Tages ist einer leichten Abgespanntheit gewichen. – Der große schöne Baum hell erleuchtet. Tannennadelduft mischt sich mit dem frühlingszarten Atem von Maiglöckchen, Hyazinthen und Tulpen, die in einer schönen Schale, wie ein ganzes Blumenbeet, auf dem großen Tisch im Salon unter der Hängelampe stehen und ihr zu früh erwecktes Leben in die heiße Zimmerluft ausströmen, statt in hellen Maiensonnenschein hinein.

Es ist alles bereit. —

Das Hasten und Eilen des ganzen Tages ist einer leichten Abgespanntheit gewichen. – Der große schöne Baum hell erleuchtet. Tannennadelduft mischt sich mit dem frühlingszarten Atem von Maiglöckchen, Hyazinthen und Tulpen, die in einer schönen Schale, wie ein ganzes Blumenbeet, auf dem großen Tisch im Salon unter der Hängelampe stehen und ihr zu früh erwecktes Leben in die heiße Zimmerluft ausströmen, statt in hellen Maiensonnenschein hinein.

Isolde geht ab und zu in das Weihnachtszimmer, schlingt noch ein paar glänzende Fäden über einen Tannenstrauß mit Rosen, oder ordnet etwas an den Geschenken. Die Ausschmückung des Zimmers zu Weihnachten ist immer ihr Werk gewesen.

Wie fremd sind sich doch die drei wartenden Menschen in dem Salon – komisch fremd.

Mutter, Sohn und Tochter. Fremd wie sich nur Familienglieder sein können. Wie kennen sie jede Äußerlichkeit aneinander, jede Angewohnheit!

Sie kennen sich bis zum Überdruß, das heißt: jedes die Larve des andern.

So sitzen sie und hängen ihren Gedanken nach.

Was weiß Mama von dem inneren Leben ihrer Tochter und Isolde von Mamas innerem Leben?

Sie sieht Mama sitzen in ihrem schwarzseidenen Kleid. So fein ist die Gestalt, das müde Gesicht mit dem leidenden, etwas stumpfen Ausdruck. In Mamas Gesicht ist etwas Ausgelöschtes.

Wer hat das ausgelöscht?

Das Leben?

Jedenfalls. Mama wird doch schon alt; noch nicht gar so alt – nein. Sie ist aber wie mitten im Leben eingeschlafen. Gerade als es anfing gut zu werden.

Isolde denkt, wie Mama sich früher geplagt hat, eigentlich so stumpf wie eine Magd, die fürs Leben gekauft ist, der der Herr kein freundliches Wort zu geben braucht. Er ist ihrer sicher.

Sie kann sich nicht eines besonders liebenswürdigen Ausdruckes erinnern, den der Vater je an Mama gewendet hätte.

‚Na Alte‘, so ganz gedankenlos hingesagt – das hört sie in der Erinnerung, so ein klein wenig Ironie dabei – so von oben herab.

Mamas Heirat war eine Liebesheirat gewesen, gegen den Willen ihrer Eltern.

„Ah“ – Isolde dehnte sich im Stuhl und streckte die Hände von sich. ‚Triste! … Gott behüte einem vor so etwas.‘

Mama ist ein Kind geblieben, ein armes unwissendes Kind: – müde gearbeitet, ohne Liebe, ohne Sonne.

Isolde hat das Gefühl, sie möchte zu ihr hingehen und sie küssen und streicheln; dann fängt aber Mama immer zu klagen an um alles Mögliche – und auch darum, daß sie zu nichts Appetit hat und nichts vertragen kann.

Isolde weiß das schon.

Es ist für Mama nicht gut, zärtlich mit ihr zu sein. Sie kann damit nichts mehr anfangen.

Isolde denkt daran, wie Papa vor Jahren Mrs. Wendland den Hof gemacht hat. Er hat immer irgend eine Flamme gehabt.

Komisch, wie eigentlich Mama sich damit abgefunden hat. Sie weiß von Mamas Art zu denken und zu fühlen gar nichts. Und jetzt ist’s mit Papa auch nicht so ganz geheuer. Er ist gar zu vortrefflicher Laune.

Isolde erinnert sich daran, wie damals Papa sich vor Mrs. Wendlands Thür in einen Gentleman verwandelt hatte und wie Marie und sie selbst darüber entsetzt waren.

Ja, das war sehr sonderbar gewesen, unvergeßlich sonderbar. Sie hatten jetzt fast immer einen wohlsoignierten, blühenden, jovialen Papa, gutgekleidet, jugendlich, von bester Gesundheit und vortrefflich im Betragen.

Allerdings hatten sie dies Vergnügen nicht allzu oft, denn er hielt sich viel in Berlin auf und auch in München war er, wie immer, der Vielbegehrte.

Aber merkwürdig daß er heut nicht kam, heut am Weihnachts-Heiligenabend.

Mama saß ganz still wie vor sich hinbrütend. Ungeduldig hatte Isolde Mama überhaupt nie gesehen, und eigentlich kannte sie Mama zumeist nur wartend, – auf den Vater wartend. Auch nachts wartete sie – lang, lang, das wußte Isolde ja. Mama wartete von jeher nachts und schlief nicht eher ein, bis der Vater kam.

Was mochte wohl Mama ihr Lebtag diese vielen, vielen Stunden gedacht haben?

Schrecklich.

Wie in sich verschlossen sie doch war. Ganz geheimnisvoll – Nachttier-haft, rührend ihre eignen dunkeln Wege gehend. Wie sah Mamas Leben aus, wenn man es mit ihren eignen Augen betrachtete?

Isolde konnte die Blicke von Mama gar nicht weg wenden.

Karl hob sich aus seinem Fauteuil, in den er sich hineingerekelt hatte – zog seine Uhr – „Neune schon!“

Seine Stimme war erregt. Karl hatte auch heute Abend außer der Familienfeier etwas vor.

Natürlich.

Er ging ein paar Mal im Salon auf und nieder, griff nach der Abendzeitung zum so und so vielten Mal und versank wieder in dem weichen, bequemen Polster, die Hand in seinem dicken Haarschopf vergraben, die Blicke gedankenlos über das Zeitungsblatt hinschweifend. Mit der Spitze seines Fußes klopfte er ungeduldig im Takt auf das Parkett.So ein harter trockner Ton.Isolde wurde ganz nervös davon.Mama sagt: „Heut kommt Papa aber spät. Das Abendessen wird uns verderben.“Dann saßen alle drei wieder ganz still eine lange Zeit.„Karl, klopf nicht so mit dem Fuß auf,“ bat Isolde.Draußen an der Hausthür schellte es auf eine eigentümliche Weise.„Das ist Papa nicht,“ sagt Isolde.

So ein harter trockner Ton.

Isolde wurde ganz nervös davon.

Mama sagt: „Heut kommt Papa aber spät. Das Abendessen wird uns verderben.“

Dann saßen alle drei wieder ganz still eine lange Zeit.

„Karl, klopf nicht so mit dem Fuß auf,“ bat Isolde.

Draußen an der Hausthür schellte es auf eine eigentümliche Weise.

„Das ist Papa nicht,“ sagt Isolde.

Alle drei schauen wie erschreckt, wie unangenehm berührt.

„Nein, das ist Papa nicht,“ sagt Mama auch. „Bewahre.“

„Na, und dreiviertel auf zehn wär’s jetzt glücklich.“ Karl war sehr ungeduldig geworden.

*

Da that sich die Thür auf. Das Zimmermädchen erschien in blendend weißer, festtäglicher Schürze. „Nun,“ – Isolde wollte weiter fragen, da sah sie in ein paar wirre entsetzte Augen, in ein erdfahles Gesicht.

Sie fragten jetzt alle drei beunruhigt: „Nun? Was denn? Was ist denn?“

Das starre, erdfahle Gesicht über der weißen Schürze veränderte sich nicht. Die Lippen bewegten sich, um zu sprechen, brachten aber keinen Ton hervor.

„Nun,“ fragte Karl, „was ist denn eigentlich los?“

Und da kam es – in abgerissenen, unklaren Worten:

Dem Herrn war was passiert.

Alle drei hatten sich von den Stühlen erhoben und standen und starrten im ersten Augenblick.

Das Hirn will das Schwere nicht ins Bewußtsein aufnehmen, das Leben soll behaglich sein, gleichmäßig. Nur keinen Schreck, keine schlimmen Überraschungen, das empört, das lähmt.

Da drangen Geräusche bis in den Salon, ungeschickte, schwere, fremde Schritte.

Karl stürzte zur Thür.

Bebend, flüsternd sagte Isolde etwas und faßte heftig nach der Hand des Mädchens.

Die starrte ohne Erwiederung – aber der Druck ihrer Hand sagte alles.

Da wendete Isolde ihre Blicke auf die Mutter. Die stand noch unbeweglich – nach irgend einem Halt mit ratlosen Augen suchend.

Isolde trat zu ihr, schlang den Arm um ihre Schultern, um sie zu stützen.

Karl hatte das Zimmer verlassen.

Die Thür war angelehnt geblieben, die Schritte draußen drangen jetzt deutlicher schwer in den Salon.

„Soll der Herr in sein Schlafzimmer gebracht werden?“ fragte das Mädchen.

Mama ging jetzt, auf Isolde gestützt, zur Thür hinaus. Es lag etwas Hausfräuliches in der Art, wie sie das that, etwas Geschäftiges – ihre alte Weise. Es gab für sie zu thun. Es mußte für einen Gast gesorgt werden.

Drei Männer hatten Doktor Frey aus der Droschke die Treppe heraufgebracht. Ein Droschkenkutscher, ein Dienstmann und ein Herr hielten den schlaff herabhängenden Arm des Toten gefaßt.

Die Hand des Toten hielt ein mit weißem Wollpelz überzogenes Schäfchen mit rotem Halsband, ein Spielzeug, umklammert.

„Er soll in sein Schlafzimmer gebracht werden,“ sagte Mama langsam, völlig klanglos.

Karl stand verblüfft, der Schreck und der Schmerz ließen seine Züge merkwürdig dumm und ratlos im Ausdruck erscheinen.

Die drei Männer folgten Frau Doktor Frey und Isolde.

Jetzt hatte auch Karl seinen Vater mit angefaßt und blickte in das bläuliche, schlappe Gesicht und auf den haltlosen Körper, der einer großen, schweren Masse glich.

Der Droschkenkutscher sagte etwas, um seine Teilnahme auszudrücken, etwas von einem „bösen heiligen Christ“ – das klang schaurig, wie die Stimme aus einem alten Märchen.

Mamas in sich gekehrtes Benehmen stach wunderlich gegen das Betragen aller übrigen Personen ab.

Das Hausgesinde war so außer sich, daß ein lautes Schluchzen und Heulen den Raum erfüllte.

Karl hatte das Dumme, Ratlose, Verblüffte in den Zügen.

Isolde war vor Entsetzen ganz überwältigt, wich keinen Schritt von ihrer Mutter – nicht mehr sie zu stützen, um von ihr gestützt zu werden. Und da war über Mama wieder das Nachttierhafte, Geheimnisvolle gekommen, vor dem Isolde vor Jahren sich so gefürchtet hatte.

Wie oft hatte Mama in der langen Ehe ihren Mann tief in der Nacht empfangen, wenn er zu ihr zurückgekehrt war, ohne daß ihr von seiner Seele, seinem Wesen auch nur ein Teilchen mehr gehört hätte, als jetzt. Sein Körper war zu ihr zurückgekehrt – sein für sie toter Körper, nicht anders als heute – nein – nicht anders.

Ihre Ruhe war die Ruhe langen, stummen Leidens, einer langen, schweren Erfahrung.

Sie hatten ihn auf sein Bett ausgestreckt und der Herr, der sich als Arzt vorstellte, versuchte das weiße Wollschaf aus der Hand des Toten zu lösen. Es war ein so ganz unmöglicher Anblick, die gelbe Totenhand um das lächerliche Ding geklammert zu sehn; so leidenschaftlich geklammert, wie der Mensch die lächerlichen Dinge des Lebens umklammert hält.

Es gelang ihm nicht Doktor Frey von diesem komisch grausigen Anhängsel zu befreien.

„Lassen Sie doch,“ sagte Mama. Sie hatte den Blick nicht von dieser gelben, armen Hand mit ihrem Spielzeug gewendet.

Jetzt sprach der Arzt mit Karl, gewissermaßen als mit dem männlichen Oberhaupt der Familie. Er bot seine weitere Hilfe an und that allerhand geflüsterte Fragen. Dann ging er, ein Mann in Amt und Würden, der augenblickliche Beistand der schwer getroffenen Familie.

Isolde lag erschüttert in einem Stuhl, das Gesicht in die Hände vergraben.

Karl ging im Zimmer hin und her und schaffte den Rock des Vaters, den dieser vor dem Ausgehen über den Stuhl vor dem Bett geworfen hatte, stumpf und unbewußt beiseite. Darauf goß er ein halbgefülltes Wasserglas gedankenlos ins Waschbecken. Er machte, wie es schien, Ordnung. Seine Züge verloren für keinen Augenblick das Verblüffte.

Mama kniete neben der Leiche ihres Mannes nieder, nahm die schwere Hand des Toten sanft in die Höhe und versuchte den starren Fingern das Spielzeug zu nehmen. Durch einen Zufall wohl, gelang es ihr leicht. Isolde schaute entsetzt ihrem Thun zu, auch Karl.

Jetzt legte sie die Hand still behutsam zurück und blickte auf.

Ihre beiden Kinder sahen in ein bleiches, rührendes Gesicht, auf das der Schmerz oder sonst ein Gefühl, einen Jugendhauch gelegt hatte.

Es war der Ausdruck einer weltfremden Nonne, die von Dingen sprechen sollte, die ihr nicht über die Lippen wollten, von sündhaften, schweren Dingen. Die Lippen regten sich wohl schon, – die Worte fehlten noch. Wie hilfesuchend blickte sie auf Karl und Isolde.

„Laßt es ihn nicht entgelten,“ sagte sie leise bittend, – „der Vater hatte da was Liebes. Es ist da auch ein Bübchen.“

Sie zeigte auf das kleine Schäfchen wie zur Erläuterung.

So kniete Mama vor ihren Kindern. Die Hände legten sich ihr bei ihrer großen Bitte wie zum Gebet zusammen.

Isolde stürzte mit einem Strom von Thränen zu ihr hin und schlang die Arme um sie und erstickte Mama fast mit ihrer Liebe.

Nun kannte sie Mama. Da lag die arme Seele vor ihr, geläutert wie reines Gold – ganz ausgeglüht. – Weltfremd.

Ihr Lebtag bedrückt und mißachtet, haftete nichts an dieser Seele von Wissen und Macht, nichts, wovon sie irgend eine Ehre hätte; – aber stärker schien da etwas zu sein, als alles Starke auf Erden: das große Welt- und Schmerzüberwindende lag in ihr. Es war in ihr etwas geworden, durch Bedrückung und Mißachtung, etwas so Junges in dieser alten Welt, in der alle Kräfte beladen und ausgenutzt sind, etwas so Unbelastetes.

Isolde hing schluchzend wie in einer erlösenden, seligen Extase an Mama. Ihre Seele verschmolz mit Mamas Seele.

Das war so rein und stark, was sie da in Mama verstand und empfand, so vornehm.

Nichts Größeres auf Erden als Weib sein!

Sie empfand die Kraft ihrer armen Mama, als könne solche Kraft, die alte, müde Menschheit, wenn sie sich frei und bewußt über sie ergösse, erlösen und verjüngen; die Kraft, die in ihrer unscheinbaren, gedrückten Mama verschüttet und begraben war.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
27 сентября 2017
Объем:
190 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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