Читать книгу: «Verzehrt », страница 4

Шрифт:

KAPITEL SIEBEN

Heftiger Regen schlug gegen die Fenster, als sie auf dem Internationalen Flughafen von Seattle-Tacoma landeten. Riley sah auf die Uhr. Zuhause war es jetzt zwei Uhr Nachmittags, aber hier erst elf Uhr am Vormittag. Das würde ihnen Zeit geben, um noch heute den Fall in Angriff nehmen zu können.

Bill und sie begaben sich zum Ausgang, als der Pilot aus dem Cockpit kam und beiden jeweils einen Regenschirm reichte.

"Die werden Sie brauchen", sagte er mit einem Grinsen. "Winter ist die schlimmste Jahreszeit, um hier in der Gegend zu sein."

Riley musste ihm zustimmen, als sie die ersten Stufen hinunterstieg. Sie war froh, dass sie die Regenschirme hatten, aber sie wünschte sich, sie hätte sich wärmer angezogen. Es war kalt und regnerisch.

Ein SUV hielt am Rand der Rollbahn. Zwei Männer in Regenmänteln eilten aus dem Wagen auf das Flugzeug zu. Sie stellten sich als Agenten Havens und Trafford von der FBI Außenstelle in Seattle vor.

"Wir bringen Sie zur Gerichtsmedizin", sagte Agent Havens. "Der Teamleiter des Falls wartet dort auf Sie."

Bill und Riley stiegen ein und Agent Trafford fuhr sie durch den strömenden Regen. Riley konnte kaum die üblichen Flughafenhotels entlang der Strecke sehen. Sie wusste, dass es dort draußen eine ganze Stadt gab, aber nun war sie kaum zu sehen.

Sie fragte sich, ob sie überhaupt etwas von Seattle zu sehen bekommen würde.

*

Sobald Riley und Bill sich im Konferenzraum von Seattles Gerichtsmediziner niederließen, konnte sie die Probleme fast riechen. Sie tauschte einen Blick mit Bill, der ebenfalls die Anspannung zu spüren schien.

Teamleiter Maynard Sanderson war ein breiter, kantiger Mann mit einer Ausstrahlung, die Riley irgendwo zwischen Soldat und Priester einordnen würde.

Sanderson funkelte einen stämmigen Mann an, dessen dicker Walrossschneuzer seinem Gesicht einen permanent finsteren Blick zu geben schien. Er war als Perry McCade, Polizeichef von Seattle, vorgestellt worden.

Die Körpersprache der beiden Männer und die Plätze, die sie am Tisch eingenommen hatten, sprachen Bände. Der letzte Ort, an dem sie sein wollten, schien der gleiche Raum zu sein. Außerdem war sie sich sicher, dass beide Männer es hassten, Riley und Bill hier zu haben.

Sie erinnerte sich an das, was Brent Meredith ihnen vor ihrer Abreise aus Quantico gesagt hatte.

"Erwarten Sie kein herzliches Willkommen. Weder die Polizei noch das FBI sind froh, Sie zu sehen."

Riley fragte sich, in welche Art von Mienenfeld sie hier geraten waren.

Ein Machtkampf tobte unausgesprochen im Raum. Sie wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis es verbal wurde.

Im Gegensatz dazu sah die Gerichtsmedizinerin Prisha Shankar unbesorgt aus. Die dunkelhäutige, schwarzhaarige Frau war etwa in Rileys Alter und schien stoisch und unerschütterlich zu sein.

Sie ist hier schließlich in ihrem eigenen Revier, dachte Riley.

Agent Sanderson begann das Meeting.

"Agenten Paige und Jeffreys", sagte er zu Riley und Bill, "schön, dass Sie es den ganzen Weg von Quantico hierher geschafft haben."

Seine eisige Stimme machte deutlich, dass er das Gegenteil meinte.

"Froh zu Diensten zu sein", sagte Bill, der nicht sehr sicher klang.

Riley lächelte und nickte.

"Meine Herren", sagte Sanderson, der damit die Anwesenheit der beiden Frauen ignorierte, "wir sind alle hier, um zwei Morde zu untersuchen. Ein Serienmörder könnte sich hier in Seattle niedergelassen haben. Es liegt an uns, ihn zu stoppen, bevor er wieder tötet."

Polizeichef McCade knurrte hörbar.

"Möchten Sie einen Kommentar abgeben, McCade?", fragte Sanderson trocken.

"Das ist kein Serienfall", grummelte McCade. "Und es ist kein FBI Fall. Meine Jungs haben es unter Kontrolle."

Riley begann zu verstehen. Sie erinnerte sich daran, dass Meredith ihr gesagt hatte, die Autoritäten vor Ort seien mit dem Fall ins Schwimmen geraten. Jetzt konnte sie sehen, warum. Niemand war bereit wirklich zusammenzuarbeiten, niemand konnte sich auf etwas einigen.

Polizeichef McCade war wütend, weil das FBI sich in seinen Mordfall einmischte. Und Sanderson kochte vor Wut, weil das FBI Bill und Riley geschickt hatte, um Ordnung in die Sache zu bringen.

Eine Verkettung unglücklicher Umstände, dachte Riley.

Sanderson wandte sich an die Gerichtsmedizinerin und sagte, "Dr. Shankar, vielleicht wollen sie zusammenfassen, was wir bisher wissen."

Scheinbar unberührt von der Anspannung im Raum, drückte Dr. Shankar auf eine Fernbedienung und rief ein Foto auf der Leinwand auf. Es war das Führerscheinfoto einer recht einfach aussehenden Frau mit glatten Haaren in einem dumpfen Braun.

Shankar sagte, "Vor anderthalb Monaten, ist eine Frau namens Margaret Jewell in ihrem Zuhause im Schlaf gestorben, scheinbar durch einen Herzanfall. Sie hatte am Tag zuvor über Gelenkschmerzen geklagt, aber laut ihrer Frau, war das nicht ungewöhnlich. Sie litt an Fibromyalgie."

Shankar drückte wieder auf die Fernbedienung und ein weiteres Führerscheinfoto erschien. Es zeigte einen Mann mittleren Alters mit einem freundlichen, aber melancholischen Gesicht.

Sie sagte, "Vor ein paar Tagen kam Cody Woods ins South Hill Krankenhaus und klagte über Schmerzen in der Brust. Außerdem schien er auch Schmerzen in den Gelenken zu haben, was jedoch nicht überraschend war. Er litt unter Arthritis und hatte erst eine Woche zuvor ein neues Kniegelenk eingesetzt bekommen. Innerhalb weniger Stunden, nachdem er ins Krankenhaus aufgenommen worden war, ist auch er an einem scheinbaren Herzanfall gestorben."

"Zwei vollkommen unzusammenhängende Tode", murmelte McCade.

"Wollen Sie jetzt sagen, dass keiner von beiden Mord war?", warf Sanderson ein.

"Margret Jewell, wahrscheinlich", sagte McCade. "Cody Woods, sicherlich nicht. Wir lassen zu, dass wir uns von ihm ablenken lassen. Wir trüben das Wasser. Wenn Sie es einfach meinen Jungs und mir überlassen würden, könnten wir den Fall schnell lösen."

"Sie hatten anderthalb Monate für den Jewell Fall", sagte Sanderson.

Dr. Shankar lächelte geheimnisvoll, als McCade und Sanderson aneinandergerieten. Dann drückte sie wieder auf die Fernbedienung. Zwei weitere Fotos tauchten auf.

Es wurde still im Raum und Riley sah überrascht auf die Leinwand.

Die beiden Männer auf den Fotos schienen aus dem Mittleren Osten zu kommen. Einen von ihnen erkannte Riley nicht. Aber sie erkannte den anderen.

Es war Saddam Hussein.

KAPITEL ACHT

Riley starrte auf das Bild auf der Leinwand. Was konnte die Gerichtsmedizinerin nur mit dem Bild von Saddam Hussein sagen wollen? Der ehemalige Präsident des Irak war 2006 für Verbrechen an der Menschheit hingerichtet worden. Was für eine Verbindung konnte er zu einem möglichen Serienmörder in Seattle haben?

Nachdem sie den Effekt des Fotos kurz hatte sinken lassen, sprach Dr. Shankar wieder.

"Ich bin mir sicher, dass Sie alle den Mann auf der linken Seite kennen. Der Mann rechts ist Majidi Jehad, ein Schia Kritiker gegen Saddams Regime. Im Mai 1980 hat er die Erlaubnis erhalten, nach London zu reisen. Als er an einem Polizeirevier in Baghdad anhielt, um seinen Reisepass abzuholen, wurde ihm ein Glas Orangensaft angeboten. Er verließ den Irak, scheinbar gesund und munter. Er starb, kurz nachdem er in London ankam."

Dr. Shankar zeigte weitere Fotos, von mehr Männern aus dem Mittleren Osten.

"Alle diese Männer hat das gleiche Schicksal ereilt. Saddam hat hunderte von Regimekritikern auf die gleiche Weise beseitigt. Als einige von ihnen aus dem Gefängnis entlassen wurde, bekamen sie zur Feier einen Drink, um auf ihre Freiheit anzustoßen. Keiner von ihnen lebte sehr lang."

Chief McCade nickte verstehend.

"Thallium Vergiftung", sagte er.

"Ganz genau", sagte Dr. Shankar. "Thallium ist ein chemisches Element, das in ein farbloses, geruchsloses und geschmackloses, lösliches Pulver verwandelt werden kann. Es war Saddam Husseins bevorzugtes Gift. Aber er hat es nicht erfunden. Es wird manchmal "Gift der Giftmischer" genannt, weil es langsam wirkt und Symptome zeigt, die als Todesursache missverstanden werden können.

Sie drückte auf die Fernbedienung und weitere Gesichter erschienen, darunter auch der kubanische Diktator Fidel Castro.

Sie sagte, "1960 nutzte der französische Geheimdienst Thallium, um den Rebellenanführer Félix-Roland Moumié in Kamerun zu töten. Und es wird weithin angenommen, dass der CIA in mehreren erfolglosen Versuchen Fidel Castro zu töten, Thallium verwendet hat. Der Plan war, Thallium Pulver in Castros Schuhe zu streuen. Wären sie damit erfolgreich gewesen, wäre Castros Tod nicht nur erniedrigend, sondern auch langsam und schmerzhaft gewesen. Sein ikonischer Bart wäre ihm vor seinem Tod ausgefallen.

Sie drückte auf die Fernbedienung und die Gesichter von Margaret Jewell und Cody Woods erschienen wieder.

"Ich erzählen Ihnen das, damit Sie verstehen, dass wir es mit einem sehr cleveren Mörder zu tun haben", sagte Dr. Shankar. "Ich habe Spuren von Thallium in den Körpern von Margaret Jewell und Cody Woods gefunden. Es besteht kein Zweifel daran, dass beide vom gleichen Mörder vergiftet wurden."

Dr. Shankar sah sich im Raum um.

"Irgendwelche Kommentare bis hierher?", fragte sie.

"Ja", sagte Chief McCade. "Ich glaube immer noch nicht, dass die Morde in Verbindung stehen."

Riley sah ihn überrascht an. Aber Dr. Shankar schien diesen Kommentar erwartet zu haben.

"Warum nicht, Chief McCade?", fragte sie.

"Cody Woods war ein Klempner", sagte McCade. "Wäre es nicht möglich, dass er während seines Jobs dem Thallium ausgesetzt war?"

"Das ist möglich", nickte Dr. Shankar. "Klempner müssen sehr vorsichtig sein, um alle Arten von giftigen Substanzen zu vermeiden, so wie Asbest und Schwermetalle, darunter Arsen und Thallium. Aber ich denke nicht, dass das bei Cody Woods der Fall war."

Riley merkte interessiert auf.

"Warum nicht?", fragte sie.

Dr. Shankar drückte auf die Fernbedienung und ein toxikologischer Bericht erschien.

"Diese Morde scheinen Thallium Vergiftungen zu sein, mit einem Unterschied", sagte sie. "Keines der Opfer zeigt bestimmte klassische Symptome – Haarausfall, Fieber, Erbrechen, Unterleibsschmerzen. Wie ich schon sagte, es gab Gelenkschmerzen, aber wenig anderes. Der Tod kam schnell und wirkte wie ein gewöhnlicher Herzanfall. Es war kein schleichender Tod. Wenn meine Mitarbeiter nicht so auf Zack wären, hätten sie vermutlich nicht einmal gemerkt, dass es sich um Thallium Vergiftungen handelt."

Bill schien ähnlich fasziniert zu sein wie Riley.

"Wir haben es also mit was zu tun – Designer Thallium?", fragte er.

"So etwas in der Art", sagte Dr. Shankar. "Meine Mitarbeiter arbeiten noch daran, den chemischen Mix des Cocktails zu ermitteln. Aber eine der Zutaten war definitiv Potassium Ferrocyanide – eine Chemikalie, die Sie vielleicht als den Farbstoff Preußischblau kennen. Das ist seltsam, denn Preußischblau ist das einzig bekannte Gegenmittel bei einer Thallium Vergiftung."

Chief McCades großer Schnurrbart zuckte.

"Das ergibt doch keinen Sinn", knurrte er. "Warum sollte jemand das Gegenmittel zusammen mit dem Gift verabreichen?"

Riley wagte eine Vermutung.

"Vielleicht, um die Symptome der Thallium Vergiftung zu überdecken?"

Dr. Shankar nickte zustimmend.

"Das ist auch meine Theorie. Die anderen Chemikalien, die wir gefunden haben, interagieren mit dem Thallium auf eine komplexe Weise, die wir noch nicht verstehen. Aber sie helfen vermutlich dabei, die Symptome zu kontrollieren. Wer auch immer dieses Gift gemischt hat, weiß, was er tut. Er muss sehr gute Kenntnisse von Chemie und Pharmakologie haben."

Chief McCade trommelte mit den Fingern auf den Tisch.

"Das nehme ich Ihnen nicht ab", sagte er. "Ihre Ergebnisse des zweiten Opfers werden wahrscheinlich von den Ergebnissen des ersten Opfers beeinflusst. Sie haben gefunden, wonach Sie gesucht haben."

Zum ersten Mal zeigte das Gesicht von Dr. Shankar eine Spur von Überraschung. Riley war ebenfalls von der Dreistigkeit des Polizeichefs überrascht, Dr. Shankars Expertenmeinung anzuzweifeln.

"Warum denken Sie das?", fragte Dr. Shankar ruhig.

"Weil wir einen Verdächtigen im Fall Margret Jewell haben", sagte er. "Sie war mit einer Frau verheiratet, Barbara Bradley – nennt sich selbst Barb. Die Freunde und Nachbar des Paars haben gesagt, sie hätten Probleme gehabt, laute Streits, die die Nachbarn geweckt haben. Bradley hat eine Vorstrafe für Körperverletzung. Die Leute sagen, sie hätte ein wildes Temperament. Sie hat es getan. Wir sind uns sicher."

"Warum haben Sie sie nicht festgenommen?", verlangte Agent Sanderson.

Chief McCades wich den Blicken aus.

"Wir haben sie befragt, bei ihr zu Hause", sagte er. "Aber sie ist schlüpfrig und wir haben noch nicht genug Beweise, um sie festzunehmen. Wir sind dabei, den Fall aufzubauen. Es dauert eben."

Agent Sanderson grinste spöttisch.

Er sagte, "Nun, während Sie den Fall gegen sie aufbauen, scheint es, als wäre ihre Verdächtige losgezogen und hätte jemand anderen getötet. Sie sollten besser das Tempo anziehen. Sie könnte gerade den nächsten Mord vorbereiten."

Chief McCades Gesicht wurde rot vor Wut.

"Da liegen Sie falsch", sagte er angestrengt ruhig. "Ich sage Ihnen, Margaret Jewells Mord war ein Einzelfall. Barb Bradley hatte kein Motiv für den Mord an Cody Woods oder sonst jemandem, soweit wir wissen."

"Soweit Sie wissen", wiederholte Sanderson sarkastisch.

Riley konnte spüren, wie die unterschwellige Anspannung an die Oberfläche kam. Sie hoffte, dass das Meeting nicht mit einem Faustkampf enden würde.

Währenddessen ratterte es ihn ihrem Kopf, in dem Versuch alle Details zusammenzufügen, die sie erfahren hatte.

Sie fragte Chief McCade, "Wie wohlhabend waren Jewell und Bradley?"

"Überhaupt nicht", sagte er. "Untere Mittelklasse. Tatsächlich denke ich, dass die finanziellen Probleme ein Teil des Motivs gewesen sein könnten."

"Was macht Barb Bradley beruflich?"

"Sie macht Lieferungen für einen Wäscheservice", sagte McCade.

Riley spürte, wie sich eine Ahnung in ihrem Kopf formte. Sie dachte, dass ein Mörder, der Gift nutzte, wahrscheinlich eine Frau war. Und als eine Lieferfahrerin, könnte diese Zugang zu verschiedenen Gesundheitseinrichtungen haben. Das war definitiv jemand, mit dem sie reden wollte.

"Ich hätte gerne die Adresse von Barb Bradley", sagte sie. "Agent Jeffreys und ich sollten sie befragen gehen."

Chief McCade sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren.

"Ich habe Ihnen gerade gesagt, dass wir das bereits getan haben", sagte er.

Offensichtlich nicht gut genug, dachte Riley.

Aber sie unterdrückte den Drang, das laut zu sagen.

Bill warf ein, "Ich stimme Agentin Paige zu. Wir sollten uns Barb Bradley selbst einmal ansehen."

Chief McCade fasste dies wohl als Beleidung auf.

"Das erlaube ich nicht", sagte er.

Riley wusste, dass der FBI Teamleiter, Agent Sanderson, McCade überstimmen konnte, wenn er wollte. Aber als sie Sanderson hilfesuchend ansah, starrte er sie wütend an.

Ihr Mut sank. Auch wenn Sanderson und McCade sich gegenseitig hassten, so waren sie doch in ihrer Ablehnung gegenüber Bill und Riley vereint. Soweit es sie betraf, hatten Agenten aus Quantico in ihrem Territorium nichts zu suchen. Ob es ihnen klar war oder nicht, ihre Egos waren wichtiger als der Fall selbst.

Wie sollen Bill und ich hier nur etwas erledigen können? fragte sie sich.

Im Gegensatz zu ihnen, schien Dr. Shankar so ruhig und gefasst wie immer zu sein.

Sie sagte, "Ich wüsste gerne, warum es eine so schlechte Idee ist, dass Jeffreys und Paige Barb Bradley befragen."

Riley war von Dr. Shankars bestimmtem Auftreten überrascht. Schließlich übertrat sie als Gerichtsmedizinerin gerade ihre Grenze.

"Weil ich meine eigenen Ermittlungen führe!", schrie McCade nun fast. "Die richten doch nur Chaos an!"

Dr. Shankar lächelte ihr unerschütterliches Lächeln.

"Chief McCade, stellen Sie wirklich die Kompetenz zweier Agenten aus Quantico in Frage?"

Dann, an den FBI Teamleiter gewandt, fügte sie hinzu, "Agent Sanderson, was haben Sie dazu zu sagen?"

McCade und Sanderson starrten Dr. Shankar mit offenen Mündern an.

Riley bemerkte, dass Dr. Shankar sie anlächelte. Riley konnte nicht verhindern, dass ihr ebenfalls ein bewunderndes Lächeln über das Gesicht huschte. Hier, in ihrem eigenen Gebäude, wusste Shankar, wie sie eine autoritäre Präsens zeigen konnte. Es war egal, wer sonst dachte, er hätte das Sagen. Sie war ein harter Brocken.

Chief McCade schüttelte resigniert den Kopf.

"Okay", sagte er. "Wenn Sie die Adresse wollen, dann bekommen Sie sie."

Agent Sanderson fügte schnell hinzu, "Aber ich will, dass jemand von meinen Leuten dabei ist."

"Das klingt fair", sagte Riley.

McCade kritzelte die Adresse auf ein Stück Papier und reichte sie Bill.

Sanderson beendete das Meeting.

"Meine Güte, hast du jemals zwei so arrogante Trottel gesehen?", fragte Bill Riley auf dem Weg zu ihrem Wagen. "Wie zum Teufel sollen wir dabei irgendetwas auf die Reihe bekommen?"

Riley antwortete nicht. Wenn sie ehrlich war, dann wusste sie es auch nicht. Sie spürte, dass der Fall auch ohne diese Machtkämpfe schwierig genug werden würde. Sie und Bill mussten den Fall schnell lösen, bevor noch jemand starb.

KAPITEL NEUN

Heute war ihr Name Judy Brubaker.

Sie genoss es, Judy Brubaker zu sein.

Die Menschen mochten Judy Brubaker.

Sie ging schnellen Schrittes um das leere Bett, strich die Laken glatt und schüttelte die Kissen auf. Während sie das tat, lächelte sie der Frau zu, die in dem bequemen Sessel saß.

Judy hatte noch nicht entschieden, ob sie sie töten würde.

Die Zeit läuft dir davon, dachte Judy. Du musst dich entscheiden.

Der Name der Frau war Amanda Somers. Judy hielt sie für eine seltsame, scheue und mausgraue kleine Kreatur. Sie war erst seit gestern in Judys Pflege.

Während sie weiter das Bett machte, fing Judy an zu singen.

Weit weg von zu Haus'

So weit weg von zu Haus'––

Dieses kleine Baby ist weit weg von zu Haus'.

Amanda stimmte mit ihrer leisen, näselnden Stimme ein.

Du sehnst dich danach

Jeden Tag

Zu traurig zu lachen, zu traurig zu spielen.

Judy war ein wenig überrascht. Amanda Somers hatte bisher kein wirkliches Interesse an dem Lied gezeigt.

"Mögen Sie das Lied?", fragte Judy Brubaker.

"Ich denke schon", sagte Amanda. "Es ist traurig, ich nehme an, das passt zu meiner Stimmung."

"Warum sind Sie traurig? Ihre Behandlung ist abgeschlossen und Sie können wieder nach Hause. Die meisten Patienten freuen sich darüber."

Amanda seufzte, sagte aber nichts. Sie faltete ihre Hände. Mit ihren Fingern zusammen, bewegte sie ihre Handflächen voneinander weg. Sie wiederholte die Bewegung einige Male. Es war eine Übung, die Judy ihr beigebracht hatte, um den Heilungsprozess nach ihrer Karpaltunneloperation zu unterstützen.

"Mache ich das richtig?", fragte Amanda.

"Fast", erwiderte Judy, hockte sich neben sie und berührte ihre Hände, um die Bewegung zu korrigieren. "Sie müssen die Finger gestreckt lassen, sodass sie sich nach außen biegen. Denken Sie daran, Ihre Hände sollten aussehen wie eine Spinne, die Liegestütze auf einem Spiegel macht."

Amanda machte es nun korrekt. Sie lächelte und sah recht stolz auf sich selbst aus.

"Ich kann fühlen, wie es hilft", sagte sie. "Danke."

Judy sah Amanda zu, wie sie die Übung wiederholte. Judy hasste die kurze, hässliche Narbe, die sich über den unteren Teil von Amandas rechter Hand zog.

Unnötige Operation, dachte Judy.

Die Ärzte hatten Amandas Vertrauen und Naivität ausgenutzt. Sie war sich sicher, dass eine weniger dramatische Behandlung genauso gut, wenn nicht besser funktioniert hätte. Eine Armschiene vielleicht oder Kortikosteroid Injektionen. Judy hatte schon zu viele Ärzte gesehen, die auf eine Operation bestanden, ob sie notwendig war oder nicht. Es machte sie immer sehr wütend.

Aber heute war Judy nicht nur wütend auf die Ärzte. Sie spürte auch Ungeduld mit ihrer Patientin. Sie war sich nicht sicher, warum.

Es ist nicht leicht, etwas aus ihr herauszubekommen, dachte Judy, als sie sich auf die Bettkante setzte.

Während ihrer Zeit zusammen, hatte Amanda Judy reden lassen.

Natürlich hatte Judy Brubaker auch viele interessante Dinge zu erzählen. Judy ähnelte der jetzt verschwundenen Hallie Stillians nicht sehr, die die Persönlichkeit einer gütigen Tante gehabt hatte.

Judy Brubaker war gleichzeitig schlichter und auffallender und sie trug normalerweise einen Jogginganzug anstatt konventioneller Kleidung. Sie liebte es, Geschichten von ihren Abenteuern zu erzählen – Fallschirmspringen, Drachenfliegen, Tauchen, Bergsteigen und anderes. Sie war per Anhalter durch Europa und weite Teile Asiens gereist.

Natürlich war nichts davon wirklich passiert. Aber es waren wundervolle Geschichten.

Die meisten Leute mochten Judy Brubaker. Leute die Hallie womöglich zu übertrieben freundlich gefunden hätten, mochten Judys direkte Art sehr viel mehr.

Vielleicht passt Amanda nicht zu Judy, dachte sie.

Aus welchem Grund auch immer, Amanda behielt ihre Gedanken für sich. Sie war Mitte Vierzig, aber erzählte nie von ihrer Vergangenheit. Judy wusste immer noch nicht, was Amanda beruflich tat, oder ob sie überhaupt arbeitete. Sie wusste nicht, ob Amanda jemals verheiratet gewesen war – auch wenn die Abwesenheit eines Eheringes darauf hindeutete, dass sie derzeit nicht verheiratet war.

Judy gefiel es nicht, wie die Dinge liefen. Und die Zeit lief ihr davon. Amanda konnte jederzeit aufstehen und gehen. Und Judy versucht immer noch zu entscheiden, ob sie sie vergiften sollte oder nicht.

Ein Grund für diese Unentschlossenheit war reine Vorsicht. Die Dinge hatten sich in den letzten Tagen drastisch verändert. Ihre letzten beiden Morde waren jetzt in den Zeitungen. Es schien, als hätte ein kluger Gerichtsmediziner das Thallium in den Leichen entdeckt. Das war eine beunruhigende Entwicklung.

Sie hatte einen Teebeutel mit einem veränderten Rezept dabei, das ein wenig mehr Arsen und etwas weniger Thallium verwendete. Aber Entdeckung war immer noch ein Risiko. Sie wusste nicht, ob die Tode von Margaret Jewell und Cody Woods zu ihrem Rehabilitationsaufenthalt oder ihren Pflegerinnen zurückverfolgt worden war. Diese Methode des Tötens wurde gefährlicher.

Aber das größte Problem war, dass es sich nicht richtig anfühlte.

Sie hatte keine Verbindung zu Amanda Somers.

Sie hatte nicht das Gefühl, sie zu kennen.

Einen "Toast" zu Amandas Abschied vorzuschlagen, würde gezwungen, vielleicht sogar vulgär wirken.

Allerdings war die Frau noch hier, bewegte ihre Hände und zeigte keine Anzeichen für einen baldigen Abschied.

"Wollen Sie nicht nach Hause?", fragte Judy.

Die Frau seufzte.

"Nun, Sie wissen, dass ich noch andere Probleme habe. Zum Beispiel mit meinem Rücken. Es wird schlimmer, je älter ich werde. Mein Doktor sagt, dass ich eine Operation benötige. Aber ich weiß nicht. Ich denke immer wieder, dass ich vielleicht nur eine richtige Therapie brauche. Und Sie sind eine so gute Therapeutin."

"Danke", sagte Judy. "Aber Sie wissen, dass ich hier nicht Vollzeit arbeite. Ich bin freiberuflich tätig und heute ist hier mein vorerst letzter Tag. Falls sie noch länger bleiben, dann leider nicht in meiner Pflege."

Judy wurde durch Amandas wehmütigen Blick überrascht. Amanda hatte ihr selten direkt in die Augen gesehen so wie jetzt.

"Sie wissen nicht, wie es ist", sagte Amanda.

"Wie was ist?", fragte Judy.

Amanda zuckte ein wenig mit den Schultern, aber schaute weiter in Judys Augen.

"Von Menschen umgeben zu sein, denen man nicht voll vertrauen kann. Leute die sich scheinbar um einen sorgen und vielleicht tun sie das auch, aber dann wieder, vielleicht auch nicht. Vielleicht wollen sie nur was von dir. Ausnutzer. Allesamt. Es gibt viele solcher Leute in meinem Leben. Ich habe keine Familie und ich weiß nicht, wer meine Freunde sind. Ich weiß nicht, wem ich vertrauen kann und wem nicht."

Mit einem leichten Lächeln fügte Amanda hinzu, "Verstehen Sie, was ich meine?"

Judy war sich nicht sicher. Amanda sprach noch immer in Rätseln.

Hat sie sich in mich verknallt? fragte Judy sich.

Es war nicht unmöglich. Judy war sich bewusst, dass Leute oft dachten, sie wäre lesbisch. Das amüsierte sie jedes Mal, denn sie hatte nicht wirklich darüber nachgedacht, ob Judy lesbisch war oder nicht.

Aber vielleicht war es das gar nicht.

Vielleicht war Amanda einfach einsam und sie hatte angefangen Judy zu vertrauen, ohne es zu merken.

Eines war jedoch sicher. Amanda war emotional instabil, wahrscheinlich neurotisch, sicherlich depressiv. Sie musste viele verschiedene Medikamente nehmen. Falls Judy einen Blick auf sie werfen konnte, dann wäre sie vielleicht in der Lage einen Cocktail nur für Amanda zu brauen. Das hatte sie schon einmal getan und es hatte seine Vorteile, vor allem in Zeiten wie diesen. Es wäre gut, das Thallium Rezept dieses eine Mal auszulassen.

"Wo wohnen sie?", fragte Judy.

Ein seltsamer Ausdruck huschte über Amandas Gesicht, als versuche sie herauszufinden, was sie Judy erzählen sollte.

"Auf einem Hausboot", sagte Amanda.

"Ein Hausboot? Wirklich?"

Amanda nickte. Judys Interesse war geweckt. Aber warum hatte sie das Gefühl, dass Amanda ihr nicht die Wahrheit sagte – zumindest nicht die ganze Wahrheit?

"Wie interessant", sagte Judy. "Ich habe über die Jahre immer mal wieder in Seattle gelebt und es gibt so viele Hausboote hier in der Gegend, aber ich habe noch nie eines von innen gesehen. Eines der wenigen Abenteuer, die ich noch nicht erleben durfte."

Amandas Lächeln wurde heller, aber sie sagte nichts. Dieses unerklärliche Lächeln fing an Judy nervös zu machen. Wollte Amanda sie auf ihr Hausboot einladen? Hatte sie überhaupt ein Hausboot?

"Machen Sie auch Hausbesuche?", fragte Amanda.

"Manchmal, aber …"

"Aber was?"

"Nun, in Situationen wie dieser, ist es nicht erlaubt. Das Rehabilitationszentrum würde das als Abwerben ansehen. Ich habe eine Vereinbarung unterzeichnet es nicht zu tun."

Amandas Lächeln wurde nun ein wenig schelmisch.

"Nun, was wäre so falsch daran, wenn sie mich einfach besuchen würden? Kommen Sie vorbei. Schauen Sie sich meine Wohnung an. Wir können uns unterhalten. Ein wenig Zeit zusammen verbringen. Schauen, wo es uns hinführt. Und dann, wenn ich mich entscheide Sie anzuheuern … nun, das wäre dann doch etwas anderes, oder nicht? Definitiv kein Abwerben."

Judy lächelte. Sie begann Amandas Klugheit zu schätzen. Was sie vorschlug, würde die Regeln trotzdem biegen, wenn nicht sogar brechen. Aber wer sollte davon wissen? Und es würde Judys Plänen entgegenkommen. Sie würde all die Zeit haben, die sie brauchte.

Und wenn sie ehrlich war, dann fing Amanda an, sie zu faszinieren.

Es würde spannend sein, sie kennenzulernen, bevor sie sie tötete.

"Das kling wundervoll", sagte Judy.

"Gut", zwitscherte Amanda, die nicht länger traurig klang.

Sie griff in ihre Tasche, nahm einen Stift und einen Block heraus und schrieb ihre Adresse und Telefonnummer auf.

Judy nahm den Zettel entgegen und fragte, "Wollen Sie einen Termin machen?"

"Oh, es ist nicht nötig so formell zu werden. Irgendwann demnächst ist okay. In den nächsten zwei Tagen. Aber kommen Sie nicht unangemeldet. Rufen Sie erst an. Das ist wichtig."

Judy fragte sich, warum das so wichtig war.

Sie hat sicherlich das ein oder andere Geheimnis, dachte Judy.

Amanda stand auf und nahm ihren Mantel.

"Ich entlasse mich jetzt. Aber denken Sie daran. Rufen Sie an!"

"Das werde ich", sagte Judy.

Amanda ging aus dem Raum in den Flur, das Lied vor sich hin singend, ihre Stimme nun viel glücklicher und fester.

Kein Grund zu weinen

Träum' lang und tief.

Übergib dich dem Lied des Schlafs.

Als Amandas Stimme im Flur immer leiser wurde, sang Judy sich den Rest des Liedes leise selber vor.

Kein Seufzen mehr,

Schließ nur deine Augen

Und du wirst im Traum nach Hause gehen.

Letzten Endes lief es doch so, wie Judy es wollte.

Und dieser Tod würde etwas Besonderes werden.

Бесплатный фрагмент закончился.

399 ₽
Возрастное ограничение:
16+
Дата выхода на Литрес:
10 октября 2019
Объем:
261 стр. 3 иллюстрации
ISBN:
9781640290211
Правообладатель:
Lukeman Literary Management Ltd
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают

Новинка
Черновик
4,9
176