Читать книгу: «Die Lüge eines Nachbarn», страница 3

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Scheiße …

Schnell trat sie einen Schritt zurück. Rhodes nahm ihren Platz am Fenster ein und kniete sich hin, um sich den Abdruck anzuschauen. „Hoffentlich haben Sie ihn nicht so sehr ruiniert, dass er unbrauchbar ist“, spie sie.

Chloe biss sich auf die Zunge, um nicht gereizt zu antworten. Schließlich hatte Rhodes recht. Aus irgendeinem Grund hatte sie etwas so Auffälliges wie einen Fußabdruck übersehen. Ich bin einfach zu sehr mit mir beschäftigt, dachte sie. Vielleicht hat Johnsons Wechsel der Abteilungen mehr Auswirkungen auf mich, als ich dachte.

Aber sie wusste, dass es eine schlechte Ausrede war. Denn bisher war dieser Tatort im Wesentlichen nichts anderes, als das Sammeln von Beweisen – und das war es ja, was sie von Anfang an machen wollte.

Mit einem verlegenen und wütenden Gefühl verließ Chloe den Raum, um wieder zu Atem zu kommen und ihre Gedanken zu sammeln.

„Großer Gott“, sagte Rhodes, als sie den Fußabdruck untersuchte. „Fine … warum schauen Sie sich nicht dort draußen um und sehen, ob Sie etwas Nützliches finden können? Es gibt Einschusslöcher in der Küchenwand, die ich mir noch nicht anschauen konnte, als sie draußen waren. Ich werde das hier zu Ende bringen …, wenn es überhaupt zu retten ist.“

Wieder musste Chloe einige abscheuliche Kommentare herunterschlucken. Sie war hier im Unrecht und das bedeutete, dass sie darüber hinwegsehen musste, dass Rhodes sich wie eine Zicke benahm. Also blieb sie ruhig und ging zurück in den zentralen Bereich der Wohnung, in der Hoffnung, einen Weg zu finden, es wiedergutzumachen.

Sie ging in die Küche und sah die Einschusslöcher, die Rhodes erwähnt hatte. Sie sah die Gehäuse in jedem Loch, mehrere Zentimeter tief im Gips. Sie war sich sicher, dass sie nur darauf basierend bereits herausfinden konnten, um welche Art Waffe es sich gehandelt hatte. Soweit es Chloe betraf, waren die Einschusslöcher ein Selbstläufer – ein einfacher Hinweis, der ihnen gerade genug Information liefern würde, um den Fall weiterlaufen zu lassen.

Vielleicht gibt es ja noch etwas anderes, dachte sie.

Sie ging zurück zum Flur und blieb dort stehen, wo der Flur mit dem Wohnbereich verbunden war. Wenn der Mörder tatsächlich durch das Fenster im Schlafzimmer hereingekommen war, war dies höchstwahrscheinlich der Standort, von dem die Schießerei begonnen hatte. Der Mangel an Blut oder Chaos im Schlafzimmer deutete darauf hin, dass dort nichts Gewalttätiges passiert war.

Sie schaute zur Couch und sah die Blutspritzer auf dem Boden davor. Wahrscheinlich der erste Schuss, dachte sie. Sie sah sich die Szene genau an und konnte sich alles in ihrem Kopf vorstellen. Der erste Schuss hatte jemanden auf der Couch getötet. Das hätte bewirkt, dass jeder andere auf der Couch schnell aufgesprungen war und vielleicht dabei den Couchtisch umgestoßen hatte. Vielleicht war derjenige darüber gestolpert oder hatte versucht, darüber zu springen. Unabhängig davon zeigte das Blut und die verschüttete Limonade auf der anderen Seite des umgestürzten Couchtisches, dass diese Person es nicht nach draußen geschafft hatte.

Es wunderte sie trotzdem. Sie ging langsam durchs Wohnzimmer und folgte dem Weg, den die Kugeln vermutlich geflogen waren. Die Menge an getrocknetem Blut auf der Rückseite der Couch gab ihr genug Anzeichen dafür, zu schlussfolgern, dass die dort sitzende Person sofort gestorben war. Sie konnte in der Couch kein Einschussloch sehen, was bedeutete, dass das Opfer irgendwo am Kopf getroffen wurde.

Chloe konnte leicht zwei Einschusslöcher in der Küchenwand sehen, etwa drei Zentimeter voneinander entfernt. Sie konnte sie von der Couch aus sehen. Aber wenn es dort zwei verirrte Schüsse gab, gab es vielleicht noch mehr woanders. Wenn es noch mehr gab, würde ihr das vielleicht erlauben, auf eine genauere Abfolge der Ereignisse in der gesamten Szene zu schließen. Sie ging zum Couchtisch und hockte sich hin. Wenn hier jemand gestolpert wäre, bevor er erschossen wurde, hätte der Mörder nach unten gezielt. Sie sah sich nach anderen verirrten Schüssen um und fand keine. Der Mörder hatte offenbar sein Ziel getroffen.

Sie sah jedoch etwas anderes, nachdem sie nicht einmal gesucht hatte. Rechts von ihr stand ein kleiner Schreibtisch an der Wand. Auf ihm standen eine dekorative Schüssel und ein gerahmtes Bild. Zwischen die Tischbeine gedrückt, gab es einen verschlissenen Weidenkorb mit alter Post und Büchern. Zwischen diesem Korb und den hinteren Beinen des Tisches befand sich ein Handy.

Sie hob es auf und sah, dass es ein iPhone war. Sie drückte auf die Einschalttaste und der Bildschirm wurde erleuchtet. Das Hintergrundbild war eine Abbildung von Black Panther. Sie drückte die Home-Taste und erwartete, dass der Sperrbildschirm angezeigt werden würde. Als dies nicht der Fall war, war sie überrascht. Stattdessen öffnete es sich ohne Probleme.

Es war wohl das Telefon des Sohns, dachte sie. Und vielleicht haben es die Eltern so eingestellt, dass es keine Gerätekennung gab, sodass sie jederzeit Zugriff darauf hatten.

Sie brauchte einen Moment, um zu verstehen, was sie sah. Sie sah das Gesicht eines kleinen Jungen mit seltsamen zombie-ähnlichen Merkmalen. Sie prüfte den Rand des Bildschirms und sah dann die verräterischen Anzeichen von Snap-Chat. Vor sich sah sie ein Video (oder einen „Schnappschuss“), der noch nicht gesendet worden war.

„Heilige Scheiße“, flüsterte sie.

Dann bemerkte sie, wie warm sich das Telefon anfühlte. Sie sah auf die Batterieanzeige in der oberen rechten Ecke und stellte fest, dass sie rot war.

Sie rannte mit dem Telefon in der Hand in Richtung Flur. „Rhodes, sehen Sie ein Ladegerät dort drinnen?“, schrie sie. Es gab eine kleine Pause, bevor Rhodes antwortete. „Ja. Auf dem Nachttisch.“

Als sie die Worte vollständig ausgesprochen hatte, war Chloe bereits im Raum angekommen. Sie sah das Ladegerät, von dem Rhodes sprach und rannte sofort darauf zu.

„Was ist es?“, fragte Rhodes.

Chloe kam nicht umhin zu denken: Das möchten Sie gerne wissen, Sie Zicke? Aber sie blieb ruhig, bis sie das Telefon ans Ladegerät angeschlossen hatte.

„Ich glaube, der Sohn war auf Snap-Chat, als der Mörder hereinkam. Und ich glaube, er wollte einen Schnappschuss an einen Freund senden. Nur, dass er nie die Chance dazu bekommen hat, ihn abzuschicken.“

Sie spielte das Video ab, das auf dem Bildschirm angezeigt wurde, als sie das Telefon gefunden hatte. Darauf war ein kleiner Junge, vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt. Er streckte die Zunge heraus, sein Gesicht wurde vom Filter mit der zombie-ähnlichen Animation bedeckt. Innerhalb von zwei Sekunden ertönte der erste Schuss. Das Telefon wackelte und dann ertönte ein zweiter Schuss. Der Junge schien auf den Boden zu fallen, das Telefon ruckelte wieder herum und dann wurde der Bildschirm schwarz – wahrscheinlich landete es dort, wo sie es später hinter dem kleinen Schreibtisch gefunden hatte.

Damit endete der Schnappschuss. Die ganze Aufnahme war ungefähr 5 Sekunden lang.

„Spielen Sie es noch einmal ab“, sagte Rhodes. Chloe ließ das Video nochmals laufen und achtete dabei auf die verwackelten Momente. Etwa eine Viertelsekunde lang hatte sich im Flur eine Gestalt gebildet, die ins Wohnzimmer kam. Es war kurz, aber es war da. Und weil das Telefon relativ neu war, war das Bild trotz der hektischen Bewegungen relativ klar. Chloe konnte mit ihrem ungeübten Auge kein Gesicht erkennen, aber sie wusste, dass das FBI kein Problem haben würde, eine Bild-für-Bild-Analyse durchzuführen und das Filmmaterial zu verbessern.

„Das ist buchstäblich die rauchende Pistole“, sagte Rhodes. „Wo haben Sie das Telefon gefunden?“

„Unter dem Schreibtisch im Wohnzimmer, gegen die Wand gedrückt.“

Chloe konnte sehen, dass Rhodes von dem Fund begeistert war, ihr aber nicht zu viel Anerkennung schenken wollte. Stattdessen nickte sie zustimmend und machte sich wieder an die Arbeit, die Fußabdrücke unter dem Fenster abzustauben.

Sie beide hatten das Gefühl, dass Dank des Snap-Chat-Videos ihre Arbeit hier fast erledigt war. Sie hatten das perfekte Beweisstück und alles, was sie danach tun würden, wäre aufgrund von Methodik und Routine.

Chloe dachte, sie könnte genauso gut mitspielen und keine weitere Spannung zwischen ihnen beiden verursachen. Sie nahm das Telefon mit sich zurück ins Wohnzimmer. Sie ging dann in die Küche und begann, die Kugeln aus der Wand zu graben. Aber sie wusste, dass der Schlüssel zu dem Fall in dem Telefon lag, dass sie bei sich trug. Es würde den Mörder dieser Familie vor Gericht bringen. Und in ihrem Hinterkopf konnte sie nicht anders, als das Gefühl zu haben, dass dies zu einfach gewesen war. Sie war sich sicher, dass Rhodes über dasselbe nachdenken würde – und darüber, wie sie es für Chloe vielleicht nach hinten losgehen lassen könnte.

Kapitel vier

Zwei Stunden später kehrten sie zum FBI-Hauptquartier zurück und Chloe war sich sicher, dass sie mehr als genug Beweise hatten, um bis zum Ende des Tages einen Verdächtigen verhaften zu können. Das Snap-Chat Video war das aussagekräftigste Beweisstück, was sie gefunden hatten, aber sie hatten auch zwei gute Fingerabdrücke entdeckt, den Fußabdruck auf dem Schlafzimmerteppich und zwei Haare, die am unteren Rand des Schlafzimmerfensters feststeckten. Sie präsentierten Assistant-Director Garcia ihre Funde, als sie sich um einen winzigen Konferenztisch im hinteren Teil seines Büros zusammengesetzt hatten. Als Chloe ihm zeigte, was sie auf dem Telefon gefunden hatte, konnte sie sehen, wie er versuchte, ein zufriedenes Lächeln zu unterdrücken. Er war außerdem erfreut darüber zu sehen, wie professionell und nach Vorschrift Rhodes alle Beweise, die sie gefunden hatten, zusammengetragen und katalogisiert hatte.

Vielleicht sollte sie auch die Abteilung wechseln, dachte Chloe etwas giftig.

„Das ist unglaubliche Arbeit“, sagte Garcia, als er vom Tisch aufstand und sie betrachtete, als wären sie preisgekrönte Schüler. „Sie haben schnell und gründlich gearbeitet und ich kann keinen Grund sehen, warum wir aufgrund dieser Beweise keine solide Verhaftung erreichen sollten.“

Beide Agenten bedankten sich. Chloe fühlte sich ein wenig besser, als sie bemerkte, dass Rhodes Komplimente genauso unangenehm fand, wie sie selbst.

„Nun, Agentin Fine, ich habe kurz vor Ihrer Ankunft hier einen Anruf von Director Johnson erhalten. Er möchte sich in etwa fünfzehn Minuten mit Ihnen treffen. Agentin Rhodes, warum gehen Sie nicht hinunter ins Labor, um zu sehen, was mit all den Beweismitteln passiert, wenn sie hergebracht werden?“

Rhodes nickte und spielte noch immer die Rolle der guten Schülerin. Chloe jedoch fühlte sich wieder in Panik versetzt. Als sie Johnson gestern besucht hatte, hatte er sie ziemlich überrumpelt. Was plante er denn jetzt?

Sie behielt ihre Fragen für sich und ging den Flur entlang zu seinem Büro. Als sie den kleinen Empfangsbereich betrat, sah sie, dass seine Tür geschlossen war. Seine Sekretärin deutete auf einen der Stühle an der Wand, während sie mit jemandem am Telefon sprach. Chloe setzte sich und nahm sich endlich einen Moment Zeit, um darüber nachzudenken, was der heutige Tag für sie und für ihre Karriere bedeutet hatte.

Einerseits hatte sie ein signifikantes Beweisstück entdeckt, welches wahrscheinlich zur Verhaftung eines Bandenmitglieds führen würde, das eine ganze Familie getötet hatte. Im selben Moment hatte sie jedoch auch einen Anfängerfehler begangen, als sie einen möglicherweise ziemlich guten Fußabdruck beschädigt hatte. Sie dachte, dass auf lange Sicht gesehen, der Fußabdruck dank der Snap-Chat-Beweise keine Rolle spielen würde. Trotzdem war es ihr unglaublich peinlich gewesen, so von Rhodes zurechtgewiesen zu werden. Sie dachte, im günstigsten Fall würden sich die Dinge miteinander aufheben – ihr fantastischer Fund und ihr idiotischer Fehler.

Als sich die Tür zu Johnsons Büro öffnete, wurden ihre Gedanken unterbrochen. Sie blickte zur Tür und sah, wie Johnson seinen Kopf herausstreckte. Er sah sie an, sagte aber nichts. Er winkte sie nur zu sich in sein Büro. Es war unmöglich zu sagen, ob dies ein Ausdruck von Eile oder Ärger war.

Sie betrat sein Büro und als er die Tür hinter ihr geschlossen hatte, deutete er auf den Stuhl auf der anderen Seite seines Schreibtischs – ein Platz, der Chloe immer vertrauter wurde. Als er sich hinter seinem Schreibtisch gesetzt hatte, dachte Chloe, sie könnte seinen Gesichtsausdruck endlich lesen. Sie war sich ziemlich sicher, dass er irgendwie irritiert war.

„Sie sollten wissen“, sagte er, „dass ich gerade mit Agentin Rhodes telefoniert habe. Sie hat mir erzählt, wie Sie am Tatort einen Fußabdruck praktisch mit Ihren Füßen zertrampelt haben.“

„Das ist richtig.“

Er nickte enttäuscht. „Ich bin hin- und hergerissen, weil sie einerseits genauso neu ist wie Sie selbst. Und anzurufen, nur um Sie anzuschwärzen, kotzt mich an. Aber im selben Moment bin ich froh, dass sie es mir erzählt hat. Auch wenn dies Ihr erster Tag ist, ist es wichtig, diese Art von Dingen im Auge zu behalten. Sie verstehen natürlich, dass ich nicht jeden Agenten, der einen Fehler gemacht hatten, in mein Büro rufe, um ihn danach zu fragen. Aber bei Ihnen dachte ich, ich sollte mal nachhaken, da ich Sie sozusagen in letzter Minute ziemlich überrumpelt habe. Haben Sie das Gefühl, dass Sie das etwas aus der Bahn geworfen hat?“

„Nein. Ich habe es einfach übersehen. Ich war extrem auf das Fenster fixiert und habe den Abdruck nicht einmal gesehen.“

„Das ist verständlich, wenn auch ein wenig unbeholfen. Assistant-Director Garcia sagte mir jedoch, dass Sie Beweise gefunden haben, die direkt zu einer Festnahme führen sollten – ein Mobiltelefon mit einem offenen Snap-Chat-Fenster. Richtig?“

„Ja, Sir.“ Und aus Gründen, die sie selbst nicht verstand, hatte sie das Gefühl, sie wollte hinzufügen: Aber jeder hätte es finden können. Es war pures Glück.

„Ich halte mich für einen relativ verzeihenden Mann“, sagte er. „Aber ich möchte, dass Sie wissen, dass viele weitere Fehler, wie der mit dem Fußabdruck, einige ziemlich ernsthafte Folgen haben können. Im Moment möchte ich Sie und Rhodes mit einem anderen Fall beauftragen. Oder haben Sie ein Problem mit ihr zu arbeiten?“

Das Wort Ja lag auf ihren Lippen, aber sie wollte nicht kleinlich wirken. „Nein, ich denke, das kriege ich hin.“

„Ich habe mir ihre Akte angesehen. Ihre Lehrer sagen, dass sie sehr scharfsinnig ist, aber die Tendenz hat, Dinge alleine zu machen. Mein Rat an Sie wäre also, sie nicht die volle Kontrolle über einen Fall übernehmen zu lassen.“

Ja, das habe ich auch schon bemerkt, dachte Chloe.

„Und um fair zu sein, ich habe sie deswegen gewarnt“, fuhr er fort. „Ich sagte ihr auch, dass ich es nicht schätze, wenn brandneue Agenten versuchen, andere unter den Bus zu werfen. Ich erwarte also, dass sie sich beim nächsten Fall anders verhält. Assistant-Director Garcia und ich werden von hier an alles beaufsichtigen, nur um sicherzustellen, dass alles nach Vorschrift erledigt wird.“

„In Ordnung. Ich weiß das zu schätzen.“

„Abgesehen von der Beinahe-Zerstörung eines Abdrucks denke ich, dass Sie heute gute Arbeit geleistet haben. Ich möchte, dass Sie den Rest des Tages damit verbringen, einen Bericht über den Tatort und Ihre Interaktion mit Agentin Rhodes zu verfassen.“

„Ja, Sir. Noch etwas?“

„Das ist alles für den Moment. Nur … wie gesagt …, wenn Sie beginnen, das Gefühl zu haben, dass meine kurzfristige Änderung Ihrer Pläne Ihre Arbeit beeinträchtigt, lassen Sie es mich wissen.“

Sie nickte, als sie aufstand. Als sie das Büro verließ, fühlte sie sich, als wäre sie gerade noch einmal davongekommen – wie ein Kind, das in das Büro des Schuldirektors gerufen worden war und lediglich mit einem Schlag aufs Handgelenk entlassen wurde. Und dass Johnson das meiste ihrer Arbeit des heutigen Tages gepriesen hatte, beruhigte sie.

Sie ging zurück zu ihrem kleinen Arbeitsplatz – der mehr wie eine glorifizierte Arbeitsnische war – und ihre Gedanken wirrten umher. Sie fragte sich, ob es jemals einen neuen Agenten gegeben hatte, der gleich zweimal in weniger als achtundvierzig Stunden in das Büro des Directors gerufen worden war. Sie fühlte sich deshalb sowohl begeistert, als auch gleichzeitig irgendwie sehr überwacht.

Als sie auf den Fahrstuhl wartete, sah sie einen anderen Agenten um die Ecke kommen. Chloe erinnerte sich vage an sein Gesicht von der kleinen Gruppe von Agenten, die am Vortag in die ViCAP-Gruppe aufgenommen worden waren.

„Sie sind Agentin Fine, nicht wahr?“, sagte er mit einem Lächeln.

„Das bin ich“, antwortete sie und wusste nicht, wohin das Gespräch führen sollte.

„Ich bin Michael Riggins. Ich habe gerade von dem Fall gehört, der Ihnen und Rhodes zugewiesen wurde. Bandenbedingter Familienmord. Soweit ich gehört habe, steht bereits eine Verhaftung an. Das muss eine Art Rekord sein, oder?“

„Ich habe keine Ahnung“, sagte sie, obwohl auch sie das Gefühl hatte, dass alles sehr schnell gegangen war.

„Hey, wissen Sie, nicht alle neuen Agenten sind heute ins Feld hinausgegangen“, sagte Riggins. „Einige steckten in Recherchen oder Papierkram. Ich habe gehört, dass einige von uns heute nach der Arbeit gemeinsam etwas trinken gehen. Sie sollten vorbeikommen. Es ist das Lokal zwei Blocks entfernt, Reed’s Bar. Wir könnten eine echte Erfolgsgeschichte brauchen, um unsere Stimmung zu heben. Aber vielleicht laden Sie Rhodes nicht ein. Alle … nun, niemand scheint sich wirklich für sie zu interessieren.“

Chloe wusste, dass es gemein war, aber sie konnte nicht anders, als bei dem Kommentar zu lächeln. „Vielleicht komme ich“, sagte sie. Es war die beste Antwort, die sie geben konnte … viel besser, als zu erklären, dass sie sehr introvertiert war und nicht der Typ, der sich einfach mit Leuten, die sie nicht kannte, in einer Bar aufhielt.

Der Aufzug kam an und die Türen öffneten sich. Chloe stieg ein und Riggins winkte ihr zum Abschied zu. Es war bizarr, jemanden zu haben, der neidisch auf ihre Situation war, besonders nach dem Gespräch, das sie gerade mit Johnson geführt hatte. Es war ein Gefühl, was sie irgendwie dazu trieb, in die Bar gehen zu wollen, auch wenn es nur für ein einziges Getränk und eine halbe Stunde ihrer Zeit war. Die Alternative war, zurück in ihre Wohnung zu gehen und weiter auszupacken. Und das war nicht gerade etwas, was ihren Geist beflügelte.

Der Fahrstuhl brachte sie in die dritte Etage, wo sich ihr Arbeitsplatz, gemeinsam mit denen anderer Agenten, befand. Als sie den Flur entlang ging, kam sie an Rhodes vorbei. Sie dachte daran Hallo zu sagen oder ihr ganz sarkastisch für das unverhoffte Treffen mit Johnson zu danken. Aber am Ende entschied sie sich, darüber hinwegzusehen. Sie würde nicht auf Rhodes kleine Spielchen hereinfallen. Und doch war es genug für Chloe, der Frau nur im Flur zu begegnen und böse Blicke auszutauschen: Ja, sie würde heute Abend in die Bar gehen. Und sollte sich ihr Tag nicht drastisch ändern, würde sie wahrscheinlich auch mehr als nur ein Getränk trinken.

Das scheint in letzter Zeit öfter zu passieren, sagte sie sich.

Es war ein Gedanke, der sie den Rest des Tages weiterverfolgte, aber genauso wie die wiederkehrenden Gedanken an ihren Vater, gelang es ihr, ihn in die dunklen Ecken ihres Bewusstseins zu verbannen.

Kapitel fünf

Als sie um 18:45 Uhr in der Bar ankam, war es ziemlich genau, was sie erwartet hatte. Sie sah mehrere bekannte Gesichter, aber niemanden, den sie gut kannte. Und das lag daran, dass sie überhaupt keinen von ihnen gut kannte. Ein weiterer Nachteil des kurzfristigen Wechsels der Abteilungen durch Johnson war, dass es nur sehr wenige Personen in der ViCAP-Gruppe gab, die die gleichen Kurse oder Schulungsmodule besucht hatten, wie sie selbst.

Die zwei Gesichter, die sie am ehesten erkannte, waren beide männlich. Der Erste war Riggins. Er saß mit einem anderen männlichen Agenten zusammen und unterhielt sich lebhaft über etwas. Und dann war dort auch noch Kyle Moulton, der gutaussehende Agent, der angeboten hatte, nach der ersten Orientierung mit ihr zum Mittagessen zu gehen – der Mann, der er ihr dadurch aufgefallen war, weil er sie gefragt hatte, ob sie irgendwelche gewalttätigen Tendenzen hätte. Sie war etwas entmutigt, als sie sah, dass er mit zwei anderen Frauen sprach. Es war allerdings keine Überraschung. Moulton war unglaublich gutaussehend. Er sah ein bisschen wie Brad Pitt in seinen früheren Jahren aus.

Sie beschloss, ihn nicht zu unterbrechen und sich stattdessen bei Riggins hinzusetzen. So eingebildet es auch klingen mochte, sie fand es gut, mit jemandem Zeit zu verbringen, der ihre Leistung vom Morgen als etwas Bewundernswertes angesehen hatte.

„Ist dieser Platz frei?“, fragte sie, als sie sich neben ihn auf den Stuhl setzte.

„Selbstverständlich“, sagte Riggins. Er schien sich wirklich zu freuen, sie zu sehen. Seine leicht pummeligen Wangen wurden von seinem Lächeln breiter. „Ich bin froh, dass Sie sich entschieden haben, herzukommen. Kann ich Ihnen ein Getränk ausgeben?“

„Sicher. Nur ein Bier. Für den Moment.“

Riggins winkte dem Barkeeper zu und bat ihn, Chloes ersten Drink auf seine Rechnung zu schreiben. Riggins selbst trank Rum und Cola, wovon er noch ein zweites Glas bestellte, als er nach Chloes Getränk fragte.

„Wie war Ihr erster Tag?“, fragte Chloe.

„Es war okay. Die meiste Zeit meines Tages habe ich mit Nachforschungen verbracht – für einen Fall, bei dem ein zwischenstaatlicher Drogenkurier beteiligt war. Es klingt langweilig, aber es hat mir tatsächlich Spaß gemacht. Wie war ein ganzer Tag mit Rhodes an Ihrer Seite?“, fragte Riggins. „Sicher war es großartig, den Fall gleich zu lösen, aber sie hat bereits einen Ruf, dass sie schwer zu handhaben ist.“

„Es war ziemlich angespannt. Sie ist eine großartige Agentin, aber …“

„Sagen Sie es“, sagte Riggins. „Ich kann sie keine Zicke nennen, weil ich es nicht mag, eine Frau vor einer anderen Frau als zickig zu bezeichnen.“

„Sie ist keine Zicke“, sagte Chloe. „Sie ist nur sehr direkt und gründlich.“

Ihr Gespräch dauerte noch ein wenig an und es war alles sehr zwanglos. Chloe warf einen Blick hinüber zu Agent Moulton. Eine der Frauen war gegangen und nun sprach er nur noch mit der Anderen. Er lehnte sich dicht vor und lächelte. Chloe tendierte dazu, wenn es um Beziehungen ging, etwas naiv zu sein, aber sie war sich ziemlich sicher, dass Moulton in diese Frau verliebt war.

Dies enttäuschte sie auf eine Weise, die sie nicht erwartet hatte. Es war erst zwei Monate her, seit sie und Steven sich getrennt hatten. Sie nahm an, dass sie sich nur für Moulton interessierte, weil er das erste freundliche Gesicht gewesen war, das mit ihr gesprochen hatte, nachdem ihr Johnson den Teppich unter den Füßen weggezogen hatte. Das, und außerdem war der Gedanke ganz alleine zurück in ihre neue Wohnung zu gehen, nicht sonderlich ansprechend. Die Tatsache, dass er unglaublich gutaussehend war, spielte auch eine Rolle.

Ja, es war ein Fehler gewesen, hierherzukommen. Ich kann zu Hause viel billiger trinken.

„Sind Sie in Ordnung?“, fragte Riggins.

„Ja, ich glaube schon. Es war nur ein langer Tag. Und so wie es aussieht, wird morgen genauso lang werden.“

„Fahren Sie oder laufen Sie nach Hause?“

„Ich fahre.“

„Oh … dann biete ich Ihnen lieber nicht an, Ihnen noch ein weiteres Getränk zu kaufen, oder?“

Chloe lächelte trotzdem. „Das ist sehr verantwortungsbewusst von Ihnen.“

Sie warf einen kurzen Blick zurück zu Moulton und der Frau, mit der er gesprochen hatte. Sie waren beide gerade dabei aufzustehen. Als sie auf dem Weg zur Tür waren, legte Moulton sanft seine Hand um den unteren Rücken der Frau.

„Kann ich fragen, warum Sie einen Weg gegangen sind, der zu einer Karriere wie dieser geführt hat?“, fragte Riggins.

Sie lächelte nervös und trank ihr Bier aus. „Familienangelegenheiten“, antwortete sie. „Danke, dass Sie mich eingeladen haben, Riggins. Aber ich muss jetzt nach Hause gehen.“

Er nickte, als würde er verstehen. Sie bemerkte auch, dass er sich langsam in der Bar umsah und feststellte, dass er der Einzige war, der noch übrigbleiben würde. Irgendwie kam ihr dabei der Gedanke, dass Riggins möglicherweise auch seine eigenen Geister hatte, mit denen er zu kämpfen hatte.

„Passen Sie auf sich auf, Agentin Fine. Möge der morgige Tag genauso erfolgreich sein wie der heutige.“

Sie machte sich auf den Weg und dachte bereits darüber nach, wie sie ihren Abend beenden wollte. Sie hatte noch immer Kisten zum Auspacken, ein Bettgestell zum Aufstellen und eine Menge Wäsche und Küchenutensilien, die verstaut werden mussten.

Nicht ganz das aufregende Leben, das ich erwartet hatte, dachte sie mit etwas Sarkasmus.

Als sie auf dem Weg zu ihrem Auto war, das noch immer in der Tiefgarage unter dem FBI-Hauptquartier geparkt war, klingelte ihr Telefon. Als sie den Namen auf dem Bildschirm sah, wurde sie von Wut durchströmt und hätte es fast völlig ignoriert.

Steven. Sie hatte keine Ahnung, warum er sie anrufen würde. Und deshalb entschied sie sich, zu antworten. Sie wusste, wenn sie es nicht täte, würde sie das Mysterium darum verrückt machen.

Sie beantwortete den Anruf und mochte es überhaupt nicht, wie nervös sie sich augenblicklich fühlte. „Hallo Steven.“

„Chloe. Hallo.“

Sie wartete und hoffte, dass er ihr mitteilen würde, warum er angerufen hatte. Aber es war noch nie seine Art gewesen, gleich auf den Punkt zu kommen.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte sie.

„Ja, alles ist gut. Entschuldigung … ich habe überhaupt nicht darüber nachgedacht, was du denken würdest, wenn ich dich anrufe …“

Er verstummte und erinnerte Chloe damit an eine der vielen kleinen nervenden Eigenschaften, die er nie an sich selbst bemerkt hatte.

„Was willst du, Steven?“

„Ich möchte mich mit dir treffen; zum Reden“, sagte er. „Nur um uns mal wieder zu sehen und zu hören, wie es uns so geht, weißt du?“

„Ich glaube nicht. Das wäre nicht die beste Idee.“

„Ich habe keine Hintergedanken“, sagte er. „Das verspreche ich. Ich habe nur … irgendwie das Gefühl, dass es Dinge gibt, für die ich mich entschuldigen muss. Und ich brauche … nun, ich denke, wir brauchen einen Abschluss, weißt du?“

„Sprich für dich selbst. Die Dinge sind für mich ziemlich abgeschlossen. Kein Abschluss nötig.“

„Gut. Dann betrachte es als einen Gefallen. Ich möchte nur eine halbe Stunde. Es gibt einige Dinge, die ich gerne loswerden möchte. Und wenn ich ehrlich bin … würde ich dich einfach gerne noch einmal sehen.“

„Steven … ich bin beschäftigt. Mein Leben ist im Moment verrückt und …“

Sie hielt inne und wusste nicht einmal, was sie noch sagen sollte. Und in Wirklichkeit war es ja nicht so, als hätte sie einen vollen Kalender mit sozialen Terminen, der sie daran hindern würde, ihn zu sehen. Sie wusste, dass es für Steven eine riesige Sache war, einen solchen Anruf zu tätigen. Er musste sich demütigen, was etwas war, das ihm noch nie leichtgefallen war.

„Chloe …“

„Gut. Eine halbe Stunde. Aber ich komme nicht zu dir. Wenn du mich sehen willst, musst du nach DC kommen. Die Dinge hier sind im Moment verrückt und ich kann nicht …“

„Das kann ich machen. Wann passt es dir am besten?“

„Samstag. Zur Mittagszeit. Ich schicke dir eine Nachricht mit einem Ort, wo wir essen können.“

„Hört sich gut an. Vielen Dank, Chloe.“

„Gern geschehen.“ Sie hatte das Gefühl, dass sie noch mehr sagen sollte, irgendetwas, um die Anspannung zu lösen. Aber am Ende sagte sie nur: „Tschüss, Steven.“

Sie beendete das Gespräch und steckte ihr Handy in die Tasche. Sie kam nicht umhin, sich zu fragen, ob sie nur nachgegeben hatte, weil sie sich in einer ziemlich einsamen Position befand. Sie dachte an Agent Moulton und fragte sich, wo er und seine Freundin wohl hingegangen waren. Aber noch mehr als das, fragte sie sich, warum ihr das so viel ausmachte.

Sie erreichte ihr Auto und fuhr nach Hause, als sich die Straßen von DC langsam im Sonnenuntergang verdunkelten. Es war eine bemerkenswerte Stadt. Trotz der ewigen Staus und der seltsamen Mischung aus Geschichte und Handel war sie irgendwie wunderschön. Es versetzte sie in einen melancholischen Zustand, als sie zu ihrer Wohnung fuhr – eine leere neue Wohnung an einem Ort, von dem sie sich glücklich schätzte, ihn gefunden zu haben, der sich jetzt aber wie eine isolierte einsame Insel anfühlte.

* * *

Als ihr Telefon sie am nächsten Morgen aus dem Schlaf riss, unterbrach es sie mitten in einem Traum. Sie versuchte, sich schnell daran zu erinnern, als er ihr entglitt, stoppte sich dann aber und fragte sich, ob es sich überhaupt lohnte. Die einzigen Träume, die sie in der letzten Zeit gehabt hatte, betrafen ihren Vater, gestrandet und allein im Gefängnis.

Sie dachte manchmal, sie könnte sogar seine Stimme hören, wie er eine alte Johnny Cash Melodie summte, die er oft in ihrer Wohnung gesungen hatte, als sie ein kleines Mädchen gewesen war. „A Boy Named Sue“, dachte sie. Oder vielleicht nicht. Alle diese Songs begannen langsam gleich für sie zu klingen.

Trotzdem war „A Boy Named Sue“ in ihrem Kopf, als sie auf ihrem Nachttisch nach ihrem Telefon suchte. Als sie ihr Handy aus dem Ladegerät zog, sah sie, dass es 6:05 Uhr morgens war – nur fünfundzwanzig Minuten früher, als sie ihren Wecker gestellt hatte.

„Hier ist Agentin Fine“, antwortete sie.

„Agentin Fine, es ist Assistant-Director Garcia. Ich brauche Sie sofort in meinem Büro. Versuchen Sie es innerhalb der nächsten Stunde. Ich habe heute Morgen einen dringenden Fall, auf den ich Sie und Agentin Rhodes so schnell wie möglich ansetzen möchte.“

„Ja, Sir“, sagte sie, als sie sich aufsetzte. „Ich bin sofort unterwegs.“

Im Moment war es ihr egal, dass es ein weiterer Tag mit Rhodes war. Alles, was sie interessierte, war, dass es bisher mit den Fällen 1:0 für sie stand und sie bestrebt war, diesen Rekord noch auszubauen.

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299 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
15 апреля 2020
Объем:
261 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9781640296169
Правообладатель:
Lukeman Literary Management Ltd
Формат скачивания:
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