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FAZIT

Ich kann und werde in diesem Artikel keine Lösung für „illegales Larp-Zeug“ anbieten, weil es einfach keine Patentlösung gibt. Dennoch (oder gerade deswegen) möchte ich für einen offenen und bewussten Umgang mit dem Thema plädieren. Mein Aufruf ist: Geht Risiken ein! Macht euch kundig, wie die „Rechtslage“ aussieht und dann handelt stets so, dass die Maxime dieser Vorschriften eingehalten wird und es eine gelungene Veranstaltung wird. Betrachtet Regeln als eine weitere Ressource in Logistikfragen, wie „Anzahl der Untotenkostüme“. Redet miteinander und mit den normalen Menschen in den Behörden, tauscht euch weiterhin aus, profitiert von den Erfahrungen der anderen und handelt nicht aus Angst heraus.

LITERATUR

Beschussgesetz (BeschG): Gesetz über die Prüfung und Zulassung von Feuerwaffen, Böllern, Geräten, bei denen zum Antrieb Munition verwendet wird, sowie von Munition und sonstigen Waffen. Online verfügbar auf www.gesetze-im-internet.de/beschg/index.html (abgerufen am 30.06.2015).

Bolle, Jörg: LARP-Entwicklung Statistik 2002–2013. Online-Artikel von 2013, abrufbar unter www.section32.de/fantasy/larpentwicklung2 (abgerufen 30.06.2015).

Cronert, Tobias: Larp Unfall Statistik. Online-Artikel vom 23.10.2009, abrufbar unter www.larpwiki.de/UmfrageLarpVerletzungen (abgerufen 30.06.2015).

TOBIAS CRONERT ist Diplomphysiker und promoviert zurzeit am Forschungszentrum Jülich beziehungsweise der RWTH Aachen. Er ist Rettungssanitäter und macht sich von Zeit zu Zeit Gedanken über sein Larp-Hobby, das er seit der Jahrtausendwende ausübt. Diese Gedanken versucht er manchmal aufzuschreiben, damit die Allgemeinheit auch etwas davon hat.

1 BeschG § 2 Abs 1.1.

2 Bolle, 2013.

3 Cronert, 2009.

Björn-Ole Kamm

DIE KRAFT VON NUR 100 YEN
LARP IN JAPAN

Die Geschichte des Larps in Japan reicht kaum weiter zurück als die späten 2000er, und als Praxis erfuhr es erst um 2012 größere Aufmerksamkeit, als DragonSys in einer angepassten und kommentierten Übersetzung erschien.

So jung wie Fantasy-Larp in Japan ist, sieht es sich mit einer Reihe an materiellen Einschränkungen konfrontiert, von denen eine die Zugänglichkeit von Raum betrifft – Japans größte Larp-Gruppe trifft sich in einem Gemeindezentrum und nur selten im Wald, geschweige denn auf einem Campingplatz oder in einem Schloss. Des Weiteren ist auch die Verfügbarkeit von den in Europa üblichen Larp-Utensilien beschränkt, allen voran Latexwaffen.

Japans Larper haben jedoch Zugang zu einer außergewöhnlichen Quelle für Ausrüstung: 100-Yen-Shops (hyaku-en-kinitsu-ten, oder kurz hyakkin).1 Diese Geschäfte bieten eine breite Vielfalt an Produkten, die von Küchenutensilien und Briefpapier, über Kleidung und Toilettenartikel, zu Speisen und Getränken reicht – die meisten dieser Waren sind von annehmbarer bis guter Qualität und werden für 100 ¥ (ca. 0,75 €) verkauft. Unter diesen Produkten finden Larper auch eine Fülle an ihrer Profession angemessenem „Zeug“: metallene Anhänger, pseudo-mittelalterlicher Schmuck, steampunkige Uhren, Apothekergläser, Masken, Kerzen, Räucherwerk und mehr.

In Anlehnung an Japans erste „How-to-larp“-Publikationen2 diskutiert dieser Beitrag die Entwicklung und den aktuellen Stand von Larp in Japan: Wie kam Fantasy-Larp „im europäischen Stil“ nach Japan? Wie wurde diese Praxis an die lokalen Gegebenheiten angepasst? Welches Verhältnis besteht zu Geschwisterpraktiken wie Cosplay (Verkleiden) und Tischrollenspielen? Der Beitrag analysiert die Wege der Aneignung einschließlich der diskursiven und materiellen Einschränkungen, mit denen die Praktiker verflochten sind.

Allerdings stellt dieser Beitrag den subjektiven und tatsächlich erfahrenen Einschränkungen auch Möglichkeiten gegenüber. Es werden die kleinen (und großen) Gegenstände im Wert von nur 100 ¥ betrachtet, die Teil des Praxis-Netzwerk Live-Rollenspiel in Japan geworden sind.

LARP ALS PRAXIS-NETZWERK

Ich bezeichne Rollenspiele nicht als Hobby oder Szene, sondern versuche ihre Vielfältigkeit in Bedeutung und Materialität durch den Begriff assemblage of practices abzubilden.3 Assemblage verweist auf ein komplexes Gefüge aus teilweise verbundenen Praktiken, wobei jede Tischrollenspielrunde und jedes Larp eine spezifische Konfiguration innerhalb dieses assemblage oder Netzwerks darstellt. Eine „Praxis als Netzwerk“ hat eine gewisse Dauerhaftigkeit erreicht, so dass andere sie erkennen, darüber sprechen und sie selbst umsetzen können. Sie besteht dabei aus voneinander abhängigen, materiellen und semiotischen Elementen,4 einer komplexen Verbindung aus Körpern (und Verkleidungen), Körperbewegungen (wie Schreiben und Würfeln beim Tischrollenspiel; Körpersprache),5 Gegenständen und Objekten („Zeug“), aber auch beispielweise aus Kompetenzen in Rhetorik, Geschichtenerzählen, Strategie und Taktik, einem Verständnis für die Spielregeln, Kenntnis von direkt oder indirekt zitierten Genres und Motiven (Fantasy, Horror), einer Vorstellung von den zu erhaltenden physischen und psychischen Gratifikationen und so weiter. Nicht nur Menschen, sondern auch „Zeug“ nehmen hierbei die Rolle von Akteuren ein, das heißt ihre An- oder Abwesenheit, ihr Verhältnis zu anderen Elementen haben einen entscheidenden Effekt auf das Netzwerk.6 Praktiken-als-Netzwerk sind rekursiv, das heißt mit jeder Performanz (Durchführung) wird das Netzwerk geringfügig neu arrangiert (wie Regeldetails, nötige Kompetenzen, Art der Körperbewegungen und so fort).7 Manche Knotenpunkte („Elemente“) erhalten durch diese Rekursivität jedoch eine gewisse Festigkeit, so dass „Charakter-Konstrukt“ beispielsweise ein festes Element der meisten Arrangements von Rollenspielen geworden ist (auch wenn die interne Zusammensetzung sich unterscheidet). Andere Knotenpunkte können an Zentralität verlieren, so dass auch Larps ohne Spielleitungen praktiziert werden.

Konzeptualisiert man Larp als solch ein Netzwerk aus heterogenen menschlichen und nicht-menschlichen Elementen, so kennzeichnet diese Praxis in Japan weniger eine irgendwie besondere „Japanizität“. Sie nimmt vielmehr durch das Nachzeichnen der Verbindungen zwischen diesen verschiedenen Elementen Gestalt an. Fantasy-Larp „im japanischen Stil“ kombiniert globale Elemente des Larp mit lokalen Materialien, so dass die Praxis (wiederholt) neu zusammengefügt wird.

LARP IN JAPAN

Ich selbst habe mich jedoch an der Produktion eines singulären, das heißt statischen Japans beteiligt, als ich fragte, „warum Japan nicht larpt“8 – als ob eine Nation, die abstrakte Entität, larpen könnte und es die eine japanische Gesellschaft gäbe, die die Abwesenheit von Larp bedinge. Obwohl Japan als das Ursprungsland von Cosplay gilt, musste ich von Tischrollenspielern und Game-Designern erfahren, dass Verkleiden und somit Larpen nicht mit Rollenspielen in Verbindung gebracht wird.9 Viele kennen das Arrangement raibu RPG (wörtlich „live RPG“) in Japan, das jedoch trotz der „Live“-Kennzeichnung eher dem Format des Tischrollenspiels zuzuordnen ist. Raibu RPGs sind Schnitzeljagd-ähnliche Sessions auf Events wie der Japan Game Convention (JGC), bei denen vierzig oder mehr Spieler in Gruppen mit jeweils eigenem GM aufgeteilt werden. Das Setting ist meist ein riesiges Dungeon-Abenteuer, und die Spielerinnen erkunden auf „klassische“ Pen & Paper-Manier in 90-minütigen Sessions unterschiedliche Teile der „Katakomben“. Nach jeder Session treffen sich die Gruppen, um Informationen und Gegenstände auszutauschen. Am Ende kommen alle Gruppen in einem Raum zusammen, um einen Drachen oder ein vergleichbar mächtiges Monster zu bezwingen. Der Fokus dieser Spiele liegt weniger auf Rollenspiel und Charakterentwicklung als auf Rätseln, Puzzeln und Kampftaktik.

Cosplay ist eine weitere larp-ähnliche Praxis, die das Verkleiden als ein Charakter fokussiert und stark mit Japan in Bezug gebracht wird. Kosupure ist eine Lehnwortkreation aus „costume“ und „play“, womit in der Regel das Verkleiden als eine Figur aus Manga und Anime gemeint ist.10 Cosplay hat seine Wurzeln in der Japan Science Fiction Convention der 1970er, bei der eine Kostümshow im Stile der „Masquerade“ der Sci-Fi WorldCons etabliert wurde.11 Um 1977/78 begannen Teilnehmer damit, ihre Kostüme auf Anime-Figuren basieren zu lassen, und die Praxis breitete sich auch auf dem Comic Market aus (Tokyos größtem Markt für Amateur-Manga und -Games).

Der Rollenspiel-Designer Okada Atsuhiro, der Cosplay-Erfahrung hat, sieht den Hauptunterschied zwischen Rollenspiel und Cosplay in der „Spielweise“ der Charaktere:12 Eine Rollenspielerin möchte wie ein anderer Charakter handeln oder ihn zumindest in einer Geschichte oder einem Game spielen. Ein Cosplayer andererseits möchte wie ein bereits existierender Charakter aussehen. Hinasaki Yū, die Gründerin der Larp-Gruppe Reimūn (siehe unten), sieht ähnliche Unterschiede und fügt hinzu, dass Cosplay sich vor allem um das Fotografieren der Verkleideten drehe.13

Wie beim Cosplay ist auch beim Softair in Japan die Anzahl derer, die auch Rollenspielen nachgehen, extrem gering. Jedoch denken einige Larper nun darüber nach, Softair-Gelände für größere Fantasy-Cons zu verwenden.14

Larp, vor allem in seiner in Europa beliebten Fantasy-Variante, kam erst kürzlich nach Japan. Vor 2012 organisierte der Videospieleentwickler und Englischlehrer Nicholas Wagon zwei kleinere Horror-Larps und ein Crime-Scene-Larp.15 In Anbetracht des Mangels an von japanischen Rollenspielern organisierten Cons versuchte ich, eine Antwort auf die Frage zu finden, warum Larp in Japan kaum praktiziert wird, und konnte diese Abwesenheit mit „Raum“ in Bezug setzen – Raum im physischen Sinne, aber auch im Bezug darauf, was meine Informanten als angemessenes Verhalten in der Öffentlichkeit ansahen. Beide Arten von „Raum“ schienen weder Teil der Erfahrungen noch der Erwartungen von Rollenspielerinnen zu sein, die in Japan lebten. Der „Kulturvermittler“ (cultural broker) Nico Stahlberg widerlegte meine Forschungsergebnisse jedoch in dem Sinne, dass er Tatsachen schuf, wodurch sie nun veraltet sind: Heute gibt es Larp in Japan!

DIE TRANSFORMATION VON DRAGONSYS

Nico pflegte sich selbst als „unternehmerischen Studenten“ zu bezeichnen und studierte Asien- und Afrikawissenschaften, Schwerpunkt Japan, an der Humboldt Universität Berlin.16 Von 2011 bis 2012 nahm er an einem Austauschprogramm mit der Tōkai Universität, Tokyo, teil, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern und um Larp voranzubringen, wie sich herausstellte. An der Tōkai trat er in den universitätseigenen Rollenspielclub ein, machte aber die Erfahrung, dass sein Vokabular nicht ausreichte, um richtig an den Ereignissen am Spieltisch teilzuhaben. Bevor er nach Tokyo kam, hatte er sich bereits über Rollenspiel in Japan informiert und stolperte so auch über den Artikel „Why Japan does not larp“, der über die Webseite des Knudepunkts 2011 zugänglich war. Er fragte sich, ob es tatsächlich kein Larp in Japan gebe und ob man das nicht ändern könne. Nico selbst kam zum Larpen via Reenactment, aber fand, dass das letztere zu sehr um „Authentizität“ besorgt war. Bei seiner Websuche stieß er auf das Forum von JIGG, der Japan International Gamers Guild, einer Gruppe für Brett-, Karten und Rollenspieler, die 1992 von zwei Lehrern aus den USA ins Leben gerufen wurde, damit sie sich während ihrer Zeit in Japan mit Gleichgesinnten austauschen konnten. Auf dem Forum fand Nico den Ruf nach einem „Larp Consultant“, also einem Berater, der andere zum Larpen führen könnte. Jay Noyes, ein langjähriges Mitglied der SCA (Society for Creative Anachronism) und Gründer von „Castle Tintagel“ in Tokyo, einer Schule für mittelalterliche Kampfkunst, hatte diesen Aufruf gestartet, da er großes Potenzial darin sah, Larp dem Portfolio seiner Schule hinzuzufügen, er selbst aber keine Larp-Erfahrungen hatte. Nico traf sich bald mit Jay, um zu besprechen, wie er sich Larp im Rahmen von „Castle Tintagel“ vorstellte: „Es gab keinerlei Grundlage, auf der man Larp hätte aufbauen können“, erinnert sich Nico, „also würde Tintagel diese Grundlage werden, die Larp eine Struktur geben könnte“. Aus der Lektüre von „Why Japan does not larp“ schloss Nico, dass es nicht möglich sein würde, Larp wie in Deutschland aufzubauen, und dass man viele oder zumindest einige der vertrauten Elemente von Larp anpassen, umstellen und verändern müsste. Ihm waren zwar auch US-Regelsysteme bekannt, er betonte aber, dass er sich im Prinzip nur auf seine Erfahrungen in Deutschland beziehen konnte.

Sein erster Schritt war es, mit japanischen Rollenspielern und Jays Schülern in Kontakt zu treten. Um wirklich bei den Grundlagen anzufangen, fragte er, was ein Regelsystem ihrer Ansicht nach ausmachte. Die Antworten kann man zusammenfassen mit „strikte Anleitungen und Vorgehensweisen“ – damit kam etwas wie DKWDK („Du kannst, was Du kannst“) nicht in Betracht. Diese Antworten decken sich mehr oder weniger mit dem Feedback, das Nicholas Wagon zu seinem Crime-Scene-Larp in Akihabara erhielt. Die Spieler bevorzugten klare Regeln, die ihnen genau vorgeben, was sie wie tun können – zumindest so lange, bis sie genug Erfahrungen gesammelt hätten, um zu einem freieren, weniger regelgeleiteten Spiel überzugehen. Dies ist kein ungewöhnliches Muster der „Evolution“ von Larp, wenn wir uns die verschiedenen Editionen von veröffentlichen Larp-Systemen anschauen, die zunehmend freieres Spiel statt komplexe und einschränkende Regeln bieten. Bezogen auf das Setting waren die meisten von Nicos Informanten an den Genres Fantasy und Sword-and-Sorcery interessiert, wie sie sie von Literatur und Tischrollenspielen her kannten. Mit Tintagel im Zentrum seiner Bemühungen, ein Netzwerk aufzubauen, entschied sich Nico daher auch für ein pseudo-mittelalterliches (Low) Fantasy Setting.

Auf Grundlage dieser Vorüberlegungen und den deutschen Larp-Regeln, mit denen er am engsten vertraut war – DragonSys17 – begann Nico zusammen mit Sugiura Nobutaka, einem Tintagel-Mitarbeiter, ein Regelsystem für die „Tintagel-Larps“ zu entwickeln. Obwohl DragonSys ein strenges Regelsystem für die Charaktererschaffung und den Einsatz von Fertigkeiten bis hinzu Magie bietet, war es doch eher für Larps geschaffen worden, die mindestens ein Wochenende dauern. Von dem Feedback in Japan zu urteilen, waren die Zeitbeschränkungen hier sehr viel größer. In meinen Gesprächen mit Nico gestand er, dass es ihm nicht gelungen war, die Regeln komplett umzuschreiben, was sich später vor allem auf das Erlernen von Fertigkeiten oder die Herstellung von Tränken auswirkte. Während das letztgenannte viel Zeit bei einem Mehrtagescon in Anspruch nehmen sollte, so wirkte sich eine ähnlich lange Dauer als störend für ein Spiel aus, das nur ein paar Stunden lief. Während der ersten von Tintagel organisierten Larps änderten sie mehrmals die nötige Dauer für derartige Unterfangen, um der geringen Zeit gerecht zu werden.

Nico und Sugiura stellten ihre Arbeit 2012 über die Webseite von Tintagel einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung. Das Regelwerk betitelten sie Patoria Sōrisu (Patria Solis)18 und veröffentlichten es als kostenlose PDF. Nico hatte eine Erlaubnis vom G&S Verlag erhalten, aber nur für eine nichtkommerzielle Nutzung und nur für Japan.

EIN BEWUSSTSEIN FÜR LARP SCHAFFEN

Nico, Sugiura und Jay begannen, Larp zu bewerben und zu Workshops einzuladen, wobei sie sich der „üblichen“ Kanäle bedienten wie der Tintagel-Webseite, Flyern in Game Shops und der Social Networking Site mixi. jp. Zu ihren ersten Workshops kamen ungefähr zwanzig Teilnehmer, von denen die meisten weiblich waren. „Einige der Männer waren nur da, weil ihre Freundinnen dies wollten“, so Nico. Er stellte fest, dass zwar die meisten Workshop-Teilnehmenden Tischrollenspiele kannten, Larp jedoch eine andere Nutzergruppe ansprach. Dabei bemerkte er auch einiges an Zurückhaltung gegenüber einer Teilnahme, da Rollenspiele mit (männlichen) otaku-Stereotypen der Andersartigkeit in Verbindung standen. Jedoch war die Überraschung groß, da vor allem „normale“ Leute und Frauen zu den Workshops kamen. Wie sich herausstellte, war die Hälfte der Teilnehmerinnen nur gekommen, um Informationen zu Larp zu erhalten, denn es registrierten sich nur zehn Personen für das erste Con. Nico beschreibt ihr erstes Larp als eine Mischung aus Tavernenspiel und „Mord im Dunkeln“, bei dem die Spieler herausfinden mussten, wer den Baron von Schloss „Ebendar“, einer zentralen Location in ihrer Karminya-Kampagne, vergiftet hatte. Die Spieler führten ein magisches Ritual durch, um herauszufinden, wer den Baron angegriffen haben mag, „was cool für Anfänger war. Sie hatten diese Idee vor allem daher, weil es in den Regeln beschrieben worden war“, kommentiert Nico. Andererseits, wenn etwas nicht in den Regeln von Patoria Sōrisu stand, mussten die Spieler mehrmals ermutigt werden, es auszuprobieren.

Inklusive einer kurzen Session im Wald organisierte Tintagel sechs Karminya-Larps bis 2013, wobei die ersten von Nico geleitet wurden. Tintagel setzte sein Angebot (kostenpflichtiger) Workshops fort, die einen steten Fluss interessierter Spielerinnen anzogen. Seit Ende 2013 wurden jedoch keine neue Cons der Kampagne beworben oder durchgeführt.

Die Entscheidung, Patoria Sōrisu kostenlos anzubieten und Larp durch Workshops zu lehren, verhinderte jedoch, dass Tintagel zum einzigen Rechen(schafts)zentrum („centre of calculation“)19 wurde. Eine sehr aktive Teilnehmerin, Hinasaki Yū (ein Pseudonym), gründete auf der Grundlage dessen, was sie bei den Workshops und Larps gelernt hatte, eine Orga in Iruma City, Präfektur Saitama, mit dem Namen SW 1.0 Fāranndo LARP Circle Reimūn (Laymun) und einer Spielwelt, die mit der des klassischen Tischrollenspiels Sword World RPG (SW 1.0) identisch ist. Sword World war der japanische „Goldstandard“ des Fantasy Pen & Paper in den 1990ern, und sein Setting ist weltweit bekannt durch das Manga- und Anime-Franchise Record of Lodoss War.20 Hinasakis Club organisiert monatliche Larps im Iruma City Gemeindezentrum und hostet auf seiner Webseite einen Trailer über seine Aktivitäten, die Ein-Raum-Mysteries kombiniert mit Latexwaffenkämpfen „im europäischen Stil“ gleichen.21 2013 veröffentlichte die Gruppe auch eine Einführungsbroschüre, in der sie beschreibt, wie man passende Kleidung herstellt oder wo man Ausrüstung erwerben kann.22 Darauf folgten weitere Guidebooks23 und eine Anleitung zum Management einer Larp-Gruppe24 – auf diese Bücher (siehe Abb. 1) werde ich später zurückkommen. Die Gruppe versammelt derzeit etwa 30 Personen, Hinasaki merkte jedoch an, dass trotz Werbung auf mixi.jp aus den Tischrollenspielern kein „Nachwuchs“ zu erwarten sei und die Gruppe demnach stagniert.

Abb. 1: Larp Guidebooks

Hinasaki half auch bei der Übersetzung des „Larp Census 2014“ von Aaron Vanek und Ryan Paddy ins Japanische. Die Anzahl derer, die bei dieser Umfrage „Japan“ als Aufenthaltsland wählten, entspricht mehr oder weniger der Anzahl an Laymun-Mitgliedern (29 am 1. Mai 2015).25 Drei Jahre zuvor hätte diese Zahl gen Null tendiert. Die meisten dieser Larperinnen kennen Nico, was ihn zu einem der wichtigsten Akteure in der Übersetzung und Adaptierung von Larp für Japan macht.

Hinasaki Yū hat diese Rolle von ihm übernommen, und ihre Guidebooks zählen zu den auffälligsten „nicht-menschlichen“ Akteuren in diesem Bereich. Diese Bücher geben Schritte an die Hand, wie ein Larp organisiert werden und wie man das richtige „Zeug“ für diese Praxis erhalten kann. Unter diesen Quellen für Ausrüstung nehmen die 100-Yen-Shops einen herausragenden Platz ein.

100-YEN-SHOPS

In den 1990ern galten 100-Yen-Shops noch als Symbol für die (anhaltende) Rezession, die durch das Platzen von Japans Vermögensblase ausgelöst wurde. Nur zehn Jahre später waren sie jedoch bereits akzeptierter Teil des alltäglichen Lebens.26 Verstanden als Räume, in denen nicht „Waren“, sondern eine bestimmte „Atmosphäre“ oder Vergnügen mit nur einer einzelnen Münze gekauft werden können, reihen sich die hyakkin hinter Kaufhäusern, Supermärkten und Convenience-Stores ein und haben ihren Platz als „viertes großes Handelsgeschäft“ in den Köpfen und dem Konsumverhalten der Menschen eingenommen.27

Zuvor waren es Supermärkte und Kaufhäuser, die in den 1960ern 100-Yen-Ecken oder Sonderverkäufe anboten, bei denen die Kunden Waren zu relativ günstigen Preisen erwerben konnten. Das erste Geschäft mit den Namen „100-Yen-Shop“ wurde 1985 in Kasugai City (Aichi) eröffnet. Yano Hirotake, der Gründer von Daisō Inc. (Hiroshima), eröffnete sein erstes Ladengeschäft 1991 mit dem Ziel, ein neues Einkaufserlebnis der niedrigen Preise und hohen Produktqualität zu erschaffen – manchmal blieb er dabei unter der Gewinnschwelle. Sein Ziel war es, so viele qualitativ hochwertige Produkte wie möglich anzubieten, so dass die Verbraucher sich keine Sorgen um die Kosten machen müssten und ihre Zeit mit der Suche nach „Schätzen“ verbringen könnten (takara sagashi).28 Dieses Bild der „Schatzsuche“ beschreibt auch die Suche von Larpern nach Ausstattung. Yanos Geschäftsstrategie war so erfolgreich, dass Daisō nicht nur die Nummer 1 unter den gegenwärtigen hyakkin-Ketten in Japan ist, sondern auch einen Jahresumsatz aufweist, der mit 2,7 Milliarden € mehr als das Doppelte von dem beträgt, was die drei Hauptkonkurrenten (Seria, CanDo, Watts) zusammen erreichen.

Daisō hat seinen Einzugsbereich um die Regionen Ost- und Südostasien, Australien, Nord- und Südamerika sowie den mittleren Osten erweitert. Nach einer Phase mit nur 0,1% Wachstum, die zu Zweifeln an diesem Geschäftsmodel führten,29 spricht die aktuelle Expansion eher für ihren Erfolg.

Wenn Wirtschaftswissenschaftler versuchen, den Erfolg von hyakkin in Japan zu erklären (und warum sie nicht in Europa funktionieren würden), verweisen sie gerne auf Japans waribashi bunka, seine „Wegwerfkultur“:30 Während Europäer Dinge für Jahrzehnte verwendeten, würden Japaner neue, saubere Dinge bevorzugen und hätten keine Schwierigkeiten damit, Dinge nach ihrer Benutzung wegzuwerfen, erklärt Fernsehökonom Morinaga Takuro.31 Wenn er nur einmal beobachtet hätte, wie Europäer bei Japanbesuchen in die 100-Yen-Shops strömen – um alles Mögliche für die Wohnungseinrichtung zu kaufen, angefangen bei Geschirr, Latschen, Toilettenbürsten, bis hinzu Gewürzen oder auch Schmuck, Make-Up und Souvenirs – dann wüsste er, dass Nationalkultur hier wenig erklärt. Wichtig für den Kontext dieses Beitrags ist jedoch, dass hyakkin durch ihre 5.000 Geschäfte in Japan allgegenwärtig geworden sind, und dass ihre Produkte von einer höheren Qualität (und Langlebigkeit) sind als man für 100 ¥ erwartet.32

Als Larp mehr Aufmerksamkeit (und tatsächliche Ausführung!) in Japan zu erfahren begann, blieben die Möglichkeiten der hyakkin als Quelle für Ausstattung nicht unbemerkt.

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138 стр. 14 иллюстраций
ISBN:
9783938922590
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