Читать книгу: «Uppers End», страница 6

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„Ja, das Zeug war auch abscheulich. Süße Pampe, igittigitt! Wurst und Brot und Käse und Schinken und natürlich Butter – hmm, das waren die wirklich leckeren Sachen.“ Linda schwärmte immer noch bei dem Gedanken an diese

Leckereien.

Hannah erinnerte sich weiter: „Es machte mir Spaß, zuzusehen, wie es dir schmeckte. Ich hielt dir ein Stück frischen Gouda hin, und du hast mit Wonne hineingebissen. Wenn ich dich nicht gebremst hätte, hättest du den ganzen großen Block Käse aufgegessen. Es gab wenig, was du nicht mochtest. Wenn ich es so recht bedenke, war das nur Milchsuppe mit Haferflocken, Makkaroni in Milch gekocht mit Dörrobst und Rübenkraut. Da konntest du richtig wütend werden, wenn das auf den Tisch kam. Aber das waren glücklicherweise die einzigen Dinge, die du damals verschmäht hast. Jedenfalls musste ich mir endlich keine Sorgen mehr machen um dein Gedeihen. Deine Entwicklung ging prächtig voran.“

„Zu prächtig“, erinnerte sich Linda. „Bald war ich so dick, dass meine Speckrollen mich daran hinderten, mich so zu bewegen, wie ich wollte. Ich weiß noch, wie Ute und Hans mich gehänselt haben. Dicke, fette Fumm haben sie mich genannt und gelacht, wenn ich versucht habe mich am Tisch hochzuziehen, weil ich stehen wollte, es mir aber nicht gelang. Ich wurde fuchsteufelswild, wenn sie das machten. Meine Wut steigerte sich dann ins Unermessliche. Das hatte zur Folge, dass ich noch wütender wurde. Vor lauter Wut lief mein Gesicht rot an. Das nahmen die beiden natürlich zum Anlass, mich noch mehr zu ärgern. Ich hätte platzen können vor Wut. Rote, dicke, fette Pute nannten sie mich und lachten mich aus. Wenn unsere Mutter hinzukam, um nach dem Rechten zu sehen, rettete mich das auch nicht. Sie lachte einfach mit. Ich war stocksauer.“

„Das sah aber auch zu drollig aus, was du da so gemacht hast.“

„Drollig?! Ich glaub es hackt! Weißt du, wie das ist, wenn man sich nach Kräften bemüht, trotzdem scheitert und zum guten Schluss auch noch ausgelacht wird? Deine Hilfe hätte ich gebraucht. Ein paar aufbauende Worte hätte ich gebraucht. Deine fürsorgliche Begleitung hätte ich gebraucht – aber ganz bestimmt nicht das! Und genau das habt ihr immer und immer wieder mit mir gemacht. Egal, was ich auch vollbrachte, es war immer nur drollig. Keiner von euch hat jemals meine Leistungen gewürdigt – ganz im Gegenteil! Und wenn ich dann besser war als meine lieben Geschwister, dann war es erst recht nicht gut, denn das durfte auf gar keinen Fall sein. Weißt du noch Hannah, als du versucht hast, Hans den einfachen Dreisatz zu erklären? Ich weiß es noch genau. Hans ging schon fünf Jahre lang zur Schule, ich noch nicht. Ich sollte in einigen Monaten endlich eingeschult werden. Ich freute mich so sehr darauf. Nun ja, Hans brütete über seinen Hausaufgaben. Es wollte ihm nicht gelingen, seine Rechenaufgaben zu lösen. Du kamst ihm zu Hilfe und ich gesellte mich dazu, denn mir war langweilig. Also hörte ich zu: ´Peter hat zwölf Bonbons. Er möchte sie mit seinen beiden Freunden teilen. Wie viel Bonbons bekommt jeder von ihnen? ´. Ich weiß, ich weiß es, rief ich. Du schautest mich an, seufztest und schicktest mich weg. Ich war so stolz, die Lösung zu wissen, aber ich wurde von dir einfach nur missbilligend weggeschickt. Im Weggehen rief ich: vier! Ich ging enttäuscht ins Kinderzimmer und malte ein Bild. Mit Buntstiften malte ich Bäume, Gras, Pilze und mittendrin einen Hirsch. Ich fand das Bild wunderschön. Besonders schön fand ich meinen Hirsch mit dem großen Geweih auf dem Kopf. Als ich fertig war ging ich wieder ins Wohnzimmer. Hans hatte endlich seine Schularbeiten erledigt. Mittlerweile war auch Ute vom Spielen mit ihrer Freundin wieder zurück. Stolz präsentierte ich mein Gemälde. Ich wollte es Mama schenken. Doch statt Lob erntete ich Hohn. Ute und Hans prusteten sofort los, als sie meinen Hirsch sahen. `Wie sieht der denn aus? Hahaha, was hat der denn auf dem Kopf? Sind das Antennen? Nein, wie süß! Kann der die Kinderstunde im Fernsehen empfangen? Hahaha`. Auch du hast mitgelacht, Hannah.“

„Linda, jetzt stellst du dich aber was sehr an! So schlimm, wie du das machst war das nun auch wieder nicht! Wenn du das erlebt hättest, was man mit mir gemacht hat, dann hättest du Grund dich zu beklagen.“

„Das ist mal wieder typisch für dich. Immer musst du mich übertrumpfen wollen. Bei dir war immer alles viel schlimmer. Meins war nie schlimm genug, um überhaupt ernst genommen zu werden. Hannah, du hast da was gehörig verwechselt: Du warst meine Mutter und ich das Kind. Es war nicht meine Aufgabe, dich zu bemitleiden, sondern umgekehrt! Deine Aufgabe war

es für mich zu sorgen und mich zu beschützen – verdammt noch mal!“

„Was du wieder hast, Linda. Weißt du was, wenn du erst mal …“. Weiter kam Hannah nicht.

„Fängst du schon wieder so an? Lass es doch einfach sein!“

Hannah verschränkte beleidigt ihre Arme vor dem Körper.

„Ich bin hier das Opfer, sieht das denn keiner?“, murmelte sie leise.

Linda hatte das gehört. „Sicher sehe ich das. Ich sehe das Kind Hannah, das von seiner Familie nicht gut behandelt wurde. Das ist die eine Sache, aber das hat doch nichts mit mir zu tun. Ich brauchte Hannah, die Mutter, die sich um mich kümmert und es besser macht als ihre Familie damals. Manchmal denke ich, du wolltest aus mir eine Verbündete machen, die dich in deinem Leid bedauert. Habe ich Recht?“

Hannah schwieg.

„Also kann ich dein Schweigen als Zustimmung deuten?“

Hannah schwieg beharrlich weiter.

„Okay, lassen wir das! Wo war ich noch stehengeblieben? Ach ja, ich hab´s wieder: Ich wollte so laufen wie Ute und Hans. Also, ich ließ mich nicht frustrieren. Natürlich ärgerten mich die blöden Kommentare meiner Geschwister, und das andauernde Verniedlichen und Auslachen auch. Aber eines Tages gelang es mir dann: Ich konnte mich ganz alleine hinstellen und laufen. Zunächst war ich natürlich noch sehr wackelig auf den Beinen, doch ich übte fleißig und bald lief ich wie ein Döppken. Da lachte keiner mehr, denn ich zeigte es ihnen und lief allen davon. So zogen die Wochen ins Land. Bald war ich drei Jahre alt und konnte ziemlich viel von dem, was Ute und Hans konnten. Alles in allem war ich ganz zufrieden. Das sollte sich bald ändern, denn es geschah etwas Seltsames: Ich erkannte plötzlich die Menschen. Ich denke, das kam daher, weil ich mich nicht mehr so sehr auf mich selber konzentrieren musste. Ich beobachtete jetzt vermehrt meine Mitmenschen. Meine Bewegungsfähigkeit hatte ich ja mittlerweile gut erlernt. Die brauchte meine Aufmerksamkeit nicht mehr. Jetzt war was anderes dran. Ich vermute, meine Fähigkeit Menschen in ihrem Innersten zu erkennen, hatte ich aus meinem ursprünglichen Zuhause mitgebracht. Wahrscheinlich konnte ich das immer schon. Es war nur vollkommen aus meinem Fokus verschwunden, weil ich zu sehr damit beschäftigt war zu überleben und meine Bewegungsfähigkeiten zu trainieren. Nun, beides hatte ich gemeistert und nun waren meine „Antennen“ wieder bereit zu empfangen. Ich spürte, ob ein Mensch in seinem Inneren gut oder böse oder einfach nur leer war. Nicht, dass ich mich etwa bewusst darauf konzentrierte, es geschah vielmehr einfach so. Jemand begegnete mir und ich wusste, wie er war. Damals war mir gar nicht klar, dass ich damit eine besondere Gabe besaß. Daher sprach ich auch nie darüber. Ich sah keine Notwendigkeit dafür, denn ich dachte, wenn ich es ganz selbstverständlich wahrnehmen konnte, mussten es wohl alle anderen auch können. Erschreckt hat es mich trotzdem, denn der erste, den ich erkannte, war mein Opa Heinrich. Heinrich kam, wie er es häufig tat, an einem Vormittag zu uns, um Hannah zu fragen, ob er für sie Besorgungen machen sollte. Heinrich war damals schon arbeitsunfähig, sodass er Zeit hatte, Hannah zu helfen. Ich erinnere mich genau, Heinrich klingelte an unserer Wohnungstüre und Hannah öffnete ihm. Ich saß wenige Meter entfernt auf einem Stuhl an unserem Esstisch. Von meinem Platz aus hatte ich einen guten Blick auf die Türe. Als Hannah also die Türe öffnete, überkam mich plötzlich große Angst. Es wurde eng und dunkel in mir – ganz so, als hätte jemand das Licht in mir ausgeknipst. Ich starrte auf Heinrich. Er stand im Türrahmen - ein kleiner gebeugter Mann im dunkelgrauen Anzug mit gleichfarbigem Hut auf dem Kopf, dessen Krempe seine Stirn und seine Augen mit Schatten bedeckte. Ich hörte Hannah, wie sie ihn freundlich begrüßte und ihn bat hereinzukommen. Das tat er auch. Heinrich blieb einige Schritte vor mir stehen, hob seinen Kopf, sodass sein Gesicht ans Licht kam und guckte mich an. Ein eiskalter Schauer lief über meinen Körper. Da stand er - der Teufel! Aus stahlgrauen Augen, die zugleich kalt und funkelnd von innen heraus zu leuchten schienen, fixierte er mich mit seinen Blicken. „Na Kleine, hast du Lust mit mir zu gehen?“, fragte er mich. Beinahe hätte ich laut geschrien, machte es aber nicht und versteckte mich lieber unter dem Tisch. Hannah lachte. Das konnte ich gar nicht verstehen. Wieso? Wieso lachte sie und war freundlich zum Teufel? Ich war entsetzt. Bald erkannte ich warum: Als ich mich traute nochmals hinzuschauen, das war als Heinrich sich von Hannah verabschiedete, war es, als hätte sich eine freundliche Maske vor sein Gesicht geschoben. Ungläubig guckte ich ihn an. Er lächelte. Doch noch einmal zuckte kurz dieser kalte Blick auf, der schnell wieder verschwand. Ich konnte das alles damals nicht einordnen, zumal Hannah mich anhielt nett zu Heinrich zu sein: ´Du musst lieb sein zu Opa, hörst du Linda?!´“

Der Teufel

„Und ich hörte auf Mama. Auch wenn ich mich fürchterlich vor Heinrich fürchtete - ich war lieb zu meinem Opa. Ich weiß noch genau, obwohl ich erst gut drei Jahre alt war, dachte ich damals: Besser hin und wieder kurz lieb sein müssen zu Opa, als mich mit Hannah anzulegen. Ich wog die Unannehmlichkeiten gegeneinander ab und entschied mich dafür, lieber auf Hannah zu hören. Schließlich war sie meine Mutter. Überhaupt hörte ich immer auf Hannah, denn gegen sie kam ich nicht an – niemals. Viel später erfuhr ich, wie ihr das gelingen konnte: Sie erzog uns Kinder nach einer bestimmten Devise. Es war eine perfide Art, die sie aus ihrer eigenen Kindheit kannte und von dort übernommen hatte. Die Methode war sehr wirkungsvoll. ´Du musst ihren Willen brechen. Wenn dir das gelungen ist, dann hast du gewonnen und kannst sie nach deinem Willen führen´, sagte sie mir viel später einmal, als wir uns über Kindererziehung unterhielten. Da wurde mir einiges klar. Hannah war ein Kind ihrer Zeit. Das tausendjährige Reich war damals ihre Kinderstube. Sie wurde erzogen im Räderwerk einer menschenverachtenden Ideologie, gekoppelt mit den vermeintlich hehren Überzeugungen des alleinrichtigen Glaubens. Konkret bedeutet das für Hannah: Sei folgsam und nimm dir die großen Märtyrer des alleinrichtigen Glaubens zum Vorbild. Mit anderen Worten hieß das nichts anderes, als: Selber denken ist nicht gut für dich - das können andere besser. Und wenn du nicht leidest, lebst du dein Leben nicht richtig, denn die Erde ist ein Jammertal durch das der gute gläubige Mensch wandeln muss. Hannah war sehr überzeugt von dieser Auffassung, auch was Kindererziehung anging. Schlussendlich gelang es ihr sogar, dass ich an mir selber zu zweifeln begann. Auch meine Wahrnehmung, die andere Menschen betraf, zweifelte ich an. Ich beschloss, sie zu verdrängen. Wenn Hannah der Auffassung war, ich sollte lieb zu Opa sein, dann konnte er nicht böse sein. Jedenfalls schlussfolgerte ich das daraus. Sie war die Große und musste es wissen. Deshalb musste ich mich wohl geirrt haben. Mit der Zeit beachtete ich meine Intuition gar nicht mehr und ich verließ mich viele Jahre auf Hannahs Überzeugungen. Das änderte sich erst wieder, als ich Kanep am Gymnasium begegnete. Mir fällt gerade auf, das war auch exakt der Zeitpunkt, an dem mir auch in der Schule wieder beigebracht wurde selber zu denken. Ich musste mir sogar seitens der Lehrer eine eigene Meinung zu allen möglichen und unmöglichen Dingen bilden. Es wurde von mir verlangt. Das galt übrigens für meine Mitschüler auch. Leider waren einige damit überfordert und ließen es bleiben. Sie übernahmen lieber unreflektiert die Ansichten anderer. Das war viel bequemer als selber zu denken. Wenn ich so darüber erinnere, war das Beste an der Schule für mich überhaupt, dass sie versuchten uns beizubringen, eigenständig zu denken und somit eine kritische Haltung einnehmen zu können. Leider kam genau dies nicht gut in meiner Familie an. Ich geriet in einen Konflikt. Einerseits wollte ich den Lehren der Schule, die mir sensationelle Möglichkeiten boten, folgen, andererseits war da die Beschränkung meiner Familie. In meiner Familie galt ein ungeschriebenes Gesetz: Immer konform sein und nicht durch eigenes Gedankengut aus der Rolle fallen. Um zur Familie zu gehören, musste man ihrem Weg folgen – wieso auch immer. Das fragte ich mich so manches Mal. War es Bestimmung? Oder vielleicht, damit man am gesellschaftlichen Leben teilhaben darf? Im Fall meiner Familie bestand das Dazugehören jedenfalls definitiv darin, in der großen Schar der wöchentlich in die Gebetsstätte wandernden Menschen des Orts mitzugehen und mit gefalteten Händen, wegen vermeintlicher Verfehlungen reue- und demütig und natürlich adrett gekleidet, zu beten. Idealerweise sollte man dazu möglichst zentral im Tempel stehen, damit man gesehen wird, wie man Gebetsmantras murmelt. Manchmal knieten sich auch alle hin oder sie zeichneten mit der rechten Hand das Logo des alleinrichtigen Glaubens auf ihren Körper. Ihre linke Hand ruhte unterdessen auf ihrem Bauch, also dem mittleren Quodpunkt.“

„Linda, das hast du gut beschrieben“, bestätigte Fridolin. „Sie machten das, um sich nochmals von der ursprünglichen Quelle abzuschirmen. Das wollte ich eben noch dazu sagen, damit ihr eine Erklärung für dieses seltsam anmutende Gebaren habt. Als ich das zum allerersten Mal miterlebt habe, kam mir das auch ziemlich schräg vor. Warum zum Kuckuck, fragte ich mich, zeichnen sie sich das Logo auf ihren Leib? Das machen die mit all den vielen anderen Firmenlogos doch auch nicht. Oder Linda, hast du schon mal beobachtet, dass jemand das Firmenlogo der Apothekerzunft mit seiner Hand auf sich drauf zeichnete?“

„Nö, natürlich nicht! Warum sollten sie das auch tun? Ich finde sowieso, das war doch eigentlich ganz schön dumm von den Anhängern dieses Glaubens. Sie haben sich dadurch doch selber geschadet.“

„Aber genau das ist doch das Ansinnen dieses alleinrichtigen Glaubens. Sie wollten die Menschen von der Quelle ihres Seins abschirmen. Die alleinige Herrschaft über die Menschen sollte den Glaubenshütern dadurch sicher sein. Um das zu erreichen war ihnen jedes Mittel recht. Ihre erste Handlung war, dem Neuankömmling auf der Erde eine Hand auf die am obersten Punkt des Kopfes gelegene Stelle zu legen. Diese Stelle ermöglichte dem Sein weiterhin den Zugang zur Quelle des Quod, auch auf der Erde, wenn sie sie nicht abschirmten. Natürlich wussten die Mächtigen des alleinrichtigen Glaubens, dass der ungehinderte Zugang für jedermann zu dieser Quodquelle ihre Autorität, ja sogar ihre Daseinsberechtigung unmittelbar ad absurdum führen würde. Deshalb waren sie penibel darauf bedacht, jeden Neuankömmling rasch zu entbinden und den selbstversorgenden Zugang zu verschließen. Die Entbindung von der Quodquelle sicherte den Hütern des alleinrichtigen Glaubens für alle Zeiten ihre Machtstellung. Sie beteuerten, sie seien die einzigen, die den Menschen mit der Quelle verbinden könnten.“

„Das ließen die sich erzählen?“, fragte Max ungläubig. „Hättet ihr das auch mit mir gemacht?“

„Ja Max. Zu dem Zeitpunkt – ja, bestimmt sogar. Die Hüter hatten uns wirklich glaubhaft erzählt, dass kein Mensch von sich aus fähig ist, sich mit der göttlichen Quelle zu verbinden. Das sollte laut ihrer Aussage nur gehen, wenn sie selbst das vermitteln würden. Der Weg zur Quelle wäre nur über sie möglich. Wir wussten es damals nicht besser. Heute weiß ich, dass jedes Sein, dass auf der Erde ankommt, wissentlich von ihnen von der Quodquelle entbunden wird. Natürlicherweise geschieht das sowieso zunächst physisch. Sobald der Neuankömmling von der Quod spendenden Mutter abgenabelt wurde, versiegt der Fluss, weil die Leitung unterbrochen wurde. Das ist ein absolut naturgegebener und vorgesehener Akt. Wenig später aber kommt ein Hüter des alleinrichtigen Glaubens und legt seine Hand oben auf den Kopf des Neuankömmlings. Dadurch wird die andere Versorgungsleitung, die über den Kopf besteht, unterbrochen. Dieser Akt ist allerdings unnatürlich. Er ist gewollt initiiert. Damit ist das Sein fast gänzlich von der autarken Versorgungsleitung zu seiner Seins-Heimat abgeschnitten. Dieses Vorgehen fundamentierte, wie ich schon erwähnte, die Grundlage dieses Glaubens. Die mächtigen Hüter setzten alles daran, die Menschen von sich abhängig und gefügig zu machen. Es gelang ihnen sogar, sehr vielen Menschen überzeugend zu vermitteln, dass die Rituale für die Neuankömmlinge und die später noch einmal zur Festigung praktizierten Rituale, den Menschen auf der Erde die Anbindung zur Quelle erst wieder ermöglichen würde - vorausgesetzt natürlich, sie, die Hüter, hatten ihre Hand dabei im Spiel. Kaum einer hatte die Idee, es könnte genau andersherum sein. Jedenfalls ging ihr Plan auf. Auch meine Familie glaubte das und war folgsam. Sie gestatteten den Schergen der Mächtigen, natürlich guten Glaubens, mich sofort nach meiner Geburt von der Seins-Quelle abzunabeln, damit ich ihnen nicht entwischen konnte und dadurch schlussendlich auch folgsam sein würde. Doch Upper hatte mir einen Auftrag und gutes Rüstzeug gegeben, das stärker war als sie. Ich muss zugeben, eine gewisse Zeit ließ ich mich auf den alleinrichtigen Glauben ein, denn schließlich wollte ich Teil meiner Familie sein. Ich manifestierte als Kind sogar meine Zugehörigkeit zu diesem Glauben, indem ich mich von den Hütern der „Wahrheit“ zwei Jahre lang belehren ließ. Den Abschluss der Belehrungszeit bildete die feierliche Einführung der Kinder in diese Community. Danach war ich offiziell aufgenommen in die verschworene Gemeinschaft der sonntäglichen Gebetswanderer. Der Weg bis dahin war qualvoll für mich. Er wurde erschwert durch die Tatsache, dass ich damals meinte, Heinrichs wahres Sein gesehen zu haben. Mir war nicht bewusst, wie gefährlich das für mich war. Ich kannte damit etwas, was eigentlich niemand wissen durfte. Bisher hatte Heinrich es geschafft, sein Geheimnis vor allen zu hüten, doch jetzt war ich da. Ich war zwar nur ein kleines Mädchen, aber ich hatte einen starken Archetyp ohne Schatten im Gepäck. Heinrich merkte wohl, dass mit mir was nicht stimmte. Er stellte sich die Frage, ob ich eine Bedrohung für ihn darstellen könnte, oder ob ich einfach nur ein naives harmloses Kind sei. Er wollte und konnte kein Risiko eingehen. Hätte er gewusst, dass Hannah mir sehr bald tief eingeimpft hatte, er sei mein lieber Opa und ich darauf vertraute, hätte er sich viel Mühe und mir Schmerzen ersparen können. Aber so nahmen die Dinge ihren Lauf. Heinrich brachte mich peu á peu in seine Gewalt. Das machte er ganz subtil, unter den Augen meiner gesamten Familie. Was waren die alle dumm und einfältig. Sie bemerkten nicht, dass mitten unter ihnen ein Verbrecher schaltete und waltete wie es ihm gefiel.“

Während Linda ihre Geschichte erzählte war es mucksmäuschenstill. Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können, so still war es. Niemand rührte sich. Die meisten der Anwesenden standen mit offenen Mündern da und folgten fassungslos Lindas Bericht. Nur Heinrich, Martha und Hannah hüllten sich in beklommenes Schweigen. Sie waren entsetzt darüber, wie Linda es wagen konnte solche Sachen über sie zu erzählen. Niemals hätten sie gedacht, dass sie solch ein Nestbeschmutzer ist. Am liebsten hätten sie sich jetzt aus dem Staub gemacht, doch Kanep bewachte sie mit Argusaugen. Auch Upper war ergriffen von dem, was er da hörte, denn er sah seine Vermutung bestätigt. An diesem Punkt musste er Linda unterbrechen, um zur Sicherheit eine Bestätigung direkt von Linda zu erhalten: „Du willst uns also damit sagen Linda, dass Heinrich nicht der gute Mensch war für den ihn die allermeiste hielten? Du hieltest ihn sogar für den Teufel?“

„Ja, so ist es. Das ist auch heute noch meine Meinung. Davon bin ich felsenfest überzeugt.“

„Gibt es sie doch noch“, murmelte Upper. Nachdenklich strich er mit seiner Hand über sein Kinn und murmelte weiter: „Ich dachte, wir hätten sie alle erwischt und unschädlich machen können.“

„Upper, was redest du da? Ich verstehe das nicht! Was soll das heißen: Der Teufel und es gibt die doch noch? Wer sind: DIE?“

„Okay, ich erklär es euch: Damals, als ein Quodteilchen das eine große Sein traf und zum Bersten brachte, brach es ja auseinander. Das habe ich eben erzählt. Das große Sein beinhaltete natürlich nicht nur das Gute, ist ja klar, sondern auch das Böse als solches. Die Menschen auf der Erde nannte es den Teufel. Nur verhält es sich tatsächlich so, dass es nicht den Teufel schlechthin gibt, genau so wenig wie es den Tod als Einzelwesen nicht gibt. Ihr wisst, dass jeder, der zur Erde reist, von seinem persönlichen Fridolin begleitet wird. Fridolin besitzt als einziger von uns Dreien die Fähigkeit sich x-beliebig zu vervielfältigen. Es gibt Milliarden Fridolins und jeder ist derselbe. Wenn ihr so wollt, wird jeder Reisende deshalb von seinem persönlichen Tod begleitet. So verhielt sich das lange Zeiten auch mit dem sogenannten Teufel. An jeden Erdenreisenden heftete sich ein Teufel. Ich hatte damals zu Beginn der Seins-Reisen auch gar nichts dagegen einzuwenden, denn schließlich war auch er ein Teil des einen großen Seins und kam außerdem ganz freundlich daher. Es sprach nichts gegen seine Mitreise. Heute bevorzuge ich übrigens den Begriff Leviathan – der passt besser. Teufel ist mir zu einseitig, zu undifferenziert. Ich habe erkannt, es verhält sich viel diffiziler mit dem Teufel. Leviathan ist ein besserer Begriff, denn er steht einerseits für den Teufel, andererseits auch für Chaos und Verführung, den mitgebrachten Auftrag auf der Erde zu vernachlässigen, sowie für die pure Sündhaftigkeit der Menschen. Was ich euch damit sagen will ist, dass es lange ganz normal war, dass jedes Sein in Begleitung von Fridolin und Leviathan reiste.“

„Aber das ergibt doch keinen Sinn“, überlegte Kanep. „Warum Fridolin mitreist ist mir klar, denn er ist der Reiseleiter und Pfadfinder. Jeder Mensch braucht ihn, auch wenn die allermeisten auf der Erde, wegen des Vergessens an Zuhause bei der Ankunft, sich dessen nicht mehr bewusst sind. Meistens ist diese Erinnerungslücke durch ein Gefühl der Angst gefüllt worden, okay, aber im Grunde genommen will jeder zurückkehren. Mir erschließt sich nicht, warum Leviathan mitreist – warum zum Kuckuck soll der von Nutzen sein? Kein Mensch will den Teufel haben! Kannst du mir das mal bitte erklären Upper? Es will mir nicht in meinen Kopf. Alles, was du uns bisher erklärt hast, scheint logisch. Nur hier entdecke ich nicht einmal einen Hauch von Sinnhaftigkeit.“

„Kanep, du alter Logiker, ich habe befürchtet, dass du fragen würdest. Wie immer muss es für dich eine Erklärung geben. Du forderst mich ganz schön heraus, mein Lieber. Nur ist es – wie soll ich sagen – gar nicht so einfach das zu erklären.“

„Das versteh ich. Aber als Bibo musst du das doch wissen, oder willst du uns das nicht erklären?“

Upper druckste peinlich berührt rum: „Nun ja, weißt du Kanep, ähem, die Sache ist die“, Upper hielt inne. Er bemerkte in welch unangenehme Situation Kanep ihn gebracht hatte. „Dieser schlaue kleine Mistkerl“, schmunzelte er innerlich. Einerseits war Upper voller Anerkennung für Kanep, andererseits war er not amused über seine Frage, die er tatsächlich nicht beantworten konnte. Da half nur eins: die Wahrheit. Anderenfalls würde er sich immer weiter in fadenscheinige Ausflüchte verstricken und irgendwann unglaubwürdig erscheinen. Und genau das durfte auf gar keinen Fall passieren, denn dann wäre seine Position als Bibo in Frage gestellt. Nicht auszudenken, was dann geschähe. Die Grundfeste der Zeit ohne Zeit würden wahrscheinlich wackeln oder gar einstürzen. Es half also alles nichts, Upper musste die Wahrheit sagen um zu bestehen. „Kanep, du fragst mich nach dem Sinn, warum das Böse in Persona mitreiste – weißt du was, mein Lieber: es gibt keinen. Niemand weiß, warum. Auch ich nicht. Die Dualität ist schon durch den Archetyp und den Schatten gegeben und die Trinität durch die jeweils drei Aspekte darin. Die einzige Idee einer Erklärung die ich dir anbieten kann ist die: Er will Schaden anrichten – warum auch immer.“

„Upper, ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, dass er dir schaden will?“

„Wieso sollte er mir schaden wolle?“, fragte Upper verwundert.

„Vielleicht, weil er der Gegenpol zu dir ist? Er ist immerhin das Böse.“

„Moment, Moooment mein Lieber! Verstehe ich dich richtig, dass du glaubst, ich sei das Gute? Nein, nein mein lieber Kanep, da muss ich dich leider enttäuschen. Sicherlich bin ich der Bibo und verteile die guten Aspekte mit dem Archetyp an die Reisenden – zugegeben, das ist eine sehr dankbare Aufgabe – aber dadurch bin ich nicht unbedingt der Gute schlechthin. Ich bin Upper, aber bestimmt nicht das einzig gute Sein.“

„Okay, das muss ich dann für mich wohl korrigieren. Das lass ich erst einmal so stehen. Aber es stellt sich mir immer noch die Frage, wie der Leviathan das anstellt, ich meine, zur Erde zu reisen. Ich glaube rausgehört zu haben, dass dir seine Mitreise zunächst unbedenklich erschien, später jedoch nicht mehr und hast ihm das untersagt.“

„Da hast du gut zugehört, stimmt. Ich denke, er heftet sich einfach an, ohne zu fragen. Und damit er nicht vor der Abreise noch weggejagt wird, versteckt er sich. Ich habe da gerade ein Bild im Kopf, das dir die Sache verdeutlichen könnte: Stell dir eine Flasche vor, die mit Wasser gefüllt ist – also eine Flasche Wasser - so …“ Upper hielt plötzlich eine Flasche mit Wasser in seiner Hand und hielt sie hoch. „Das sollen das Sein und der Begleiter sein. Wenn du so willst ist Fridolin das Gefährt, also die Flasche, und das Sein ist das Wasser. Oh, das passt sogar sehr gut, fällt mir gerade auf, denn das passt auch von der Chemie her: H=Sein und 2-O=Archetyp und Schatten. Verstehst du Kanep, H-2-0 ist die chemische Bezeichnung für Wasser.“

„Wow, du hast Recht Upper! Soweit so gut, aber wo ist da Platz für den Teufel?“

„Das wirst du gleich sehen, ich bin ja noch nicht fertig mit meinem Bild. Wir haben nun eine Flasche pures Wasser. Nun Kanep, stell dir bitte vor, die Flasche Wasser enthält zusätzlich ein Gas. Was hättest du dann?“

„Sprudelwasser?“, antwortete Kanep zögerlich.

„Genau, Kanep! Und was ist letztendlich in der Flasche?“ Upper wartete die Antwort erst gar nicht ab. Er war selber so begeistert von seinem Bild, mit dem er Kanep und den anderen die Erklärung gab, dass er euphorisch ausrief: „Na, Wasser! Es ist und bleibt Wasser! Heureka! Wasser! Da hast du deine Erklärung! Leviathan reist einfach mit, ohne die Einheit von Sein, Archetyp und Schatten zu stören und kann sogar nach der Ankunft von allen unbeachtet verduften. Da braucht es keinen Sinn. Es ist einfach so, wie es ist.“

„Das ist ganz schön raffiniert. Da wundert es mich nicht, wenn keiner Verdacht schöpft.“

„Mich auch nicht, Kanep – mich auch nicht mehr. Tss, tss, tss so ein gerissener Hund. Da kannste Mal sehen, trickst sogar Tomasin, Fridolin und mich aus. Aber gut, jetzt habe ich es erkannt.“

„Und was willst du jetzt machen? Ich meine, du musst doch was dagegen tun! Das muss aufhören Upper! Die müssen weg! Es sollen nicht noch mehr Leute unter denen leiden müssen.“ Linda redete aufgebracht auf Upper ein.

„Linda, Linda, ruhig! Sicher werde ich etwas unternehmen, doch das muss gut überlegt sein, damit es diesmal effektiv glückt. Wenn es mir diesmal gelingt, einen Teufel zu entlarven, dann müssen alle anderen Teufel sich in diesem zurückziehen. Das ist das Gesetz des All Einen. Damit könnte ich auf einen Schlag die ganze Bande dingfest machen – Wow!“

„Das hört sich so an, als ob du es schon einmal probiert hättest.“

„Das habe ich tatsächlich. Es hat sich damals so zugetragen:

Während Fridolin zuverlässig war, missbrauchte Leviathan mein Vertrauen. Er verführte die Menschen. Sie sollten sich von mir abzuwenden und ihr eigenes Ding zu machen. Viele glaubten Leviathan und folgten ihm. Das konnte natürlich nicht lange gut gehen. Schon bald brach das Chaos auf der Erde aus. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Spuk zu beenden. Als erstes untersagte ich, wie ich eben schon erwähnte, Leviathan weitere Mitreisen. Weil er mein Vertrauen missbraucht hatte, stürzte ich ihn zur Strafe vom Rand dort drüben ins Nichts, um ihn unschädlich zu machen. Dann löschte ich mittels einer Naturkatastrophe epischen Ausmaßes jede Lebensgrundlage auf der Erde aus und wies Fridolin an, meine entsendeten Seins zurück zu begleiten. Ich war mir sicher, ich hätte alle Teufel, die womöglich noch existierten, unschädlich gemacht. Doch wie Linda mir jetzt bestätigt hat, gelang es wohl doch dem einen oder anderen Leviathan sich in die Rückreisewelle zu mogeln und somit zu überdauern. Jedenfalls war es mir augenscheinlich nicht gelungen, den Teufel, den ich vom Rand geschubst hatte zu vernichten. Der Kerl muss sich irgendwie gerettet haben.“

„Soll das heißen, Heinrich ist ein Leviathan?“

„Das kann ich dir noch nicht so genau sagen. Es wäre auch möglich, dass sich einer bei ihm angeheftet hatte, aber dazu brauch ich mehr Informationen, um das sagen zu können. Deshalb, berichte doch bitte weiter Linda, damit ich mir ein vollständiges Bild machen kann.“

„Das wäre ja der Oberklopper! Linda im Clinch mit dem Teufel – ich fass es nicht! Ich muss schon sagen, meine Liebe, ich bin beeindruckt.“ Kanep drückte mit anerkennender Geste, die mit einer Prise Ungläubigkeit gewürzt war, Linda seine Bewunderung aus. Linda zwinkerte Kanep, der immer noch Heinrich, Martha und Hannah aufmerksam bewachte, keck zu.

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