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Die Leiden einer Ehe

»Es war ein so wunderschönes Fest, Kind. Noch nie habe ich vor Glück so geweint wie auf deiner Hochzeit«, wisperte Margarethe, die Nadel zwischen den Lippen, mit der sie geschickt Gesches Haar vom Knoten löste. Seit einer Stunde war sie bei der Tochter, um ihr beim Auskleiden zu helfen. Auf den Samtbezügen der Stühle lagen die Mieder und Unterröcke, während die Mägde geschäftig im Zimmer umherliefen, um die übrigen Hochzeitskleider in den Schränken und Truhen zu verstauen.

»Was geschieht zwischen einem Mann und seiner Ehefrau?«, fragte Gesche leise die Mutter. Sie fühlte sich nicht wohl dabei.

Bisher war der schönste Tag in ihrem Leben ganz nach ihren Wünschen gelaufen. Marie hatte sie morgens in aller Herrgottsfrühe mit schwerem Herzen angekleidet und auf dem Zimmer des Schwiegervaters wie eine Königin geschmückt. Dabei war ihr so manche Träne in den Brautstrauß gefallen, und sie hatte mehr als einmal die Prozedur mit dem Herrichten eines Opferlamms verglichen. Um acht Uhr kamen Vater und Mutter. Beide vergossen Tränen, als sie Gesche in dem weiten weißen Brautkleid sahen, und schlossen sie gerührt in ihre Arme. Gesche lachte leise vor sich hin. Ach, wie sehr hatte sie sich über Christophs Geschenk, ein Paar silberne Schuhe und ein Paar Seidenstrümpfe aus Hamburg, gefreut. Oh, wenn er sie doch hätte nur sehen können, in ihrem weißen Hochzeitskleid mit den Schuhen, die so gut zu den feinen Seidenstrümpfen passten. Die Trauung wurde im Miltenberg’schen Hause vollzogen, in der großen Hinterstube mit den wertvollen Ölgemälden. Pastor Horn hatte ihren Bund unter dem Bildnis der Mutter Jesu mit dem Kinde gesegnet. 30 der feinsten Herrschaften waren gekommen und hatten zu Abend gegessen. Bis um zwei Uhr nachts hatten sie getanzt und gelacht, und ihr Ehemann hatte nicht mit Komplimenten über ihre Schönheit gespart. Obwohl er mit Herrn von Post gewettet hatte, dass er nicht weinen würde, waren ihm die Tränen über die Wangen geflossen, als er zärtlich ihre Hände berührte und sie sanft auf den Mund geküsst hatte. Noch während sie speisten, hatte sie seine Finger auf ihrem Nacken gespürt. Kühle Finger, die ein seltsames Kribbeln hervorriefen. Heiß dagegen brannte sein Brautgeschenk, die goldene Halskette mit dem glitzernden Diamanten, auf ihrer weißen Brust. Jetzt lag er seltsam kalt zwischen ihren Brüsten. Sie nahm das Gestein zwischen ihre Finger und schloss die Augen. Dabei versuchte sie sich vorzustellen, was sie in diesem Augenblick für ihren Ehemann empfand. Doch so sehr sie es sich auch wünschte, es wollte kein Gefühl für ihn aufkommen. In ihrem Herzen gab es keine Regung, es blieb kalt, so kalt wie der Stein in ihrer Hand. Zu der anfänglichen Euphorie gesellte sich jetzt Angst, und sie bedauerte es lediglich, dass er sie nicht ein einziges Mal zum Tanze geführt hatte. Doch der Anblick ihres Spiegelbildes beruhigte sie wieder. Sie war stolz auf sich. Stolz auf ihre Schönheit, der alle Gäste, selbst der alte Herr Miltenberg, an diesem, ihrem schönsten Tag, gehuldigt hatten.

»Bring deinem Ehemann den Gehorsam entgegen, den du uns, deinen Eltern, entgegengebracht hast. Alles andere findet sich von selbst«, wurde sie von Margarethe aus den Gedanken gerissen.

Verwirrt schaute sie der Mutter ins Gesicht und erinnerte sich plötzlich an den Vater, wie er am Tag zuvor in ernstem Ton zu ihr geredet hatte, ihren Mann für alle Zeit treu zu lieben, ihn mit Fleiß und Ordnungsliebe zu erfreuen, fleißig in die Kirche zu gehen und den alten Schwiegervater zu ehren. Ihm ja immer die Speisen zu geben, deren sein kranker Körper bedurfte. »Darf ich keine Wünsche hegen, liebe Mutter?«, fragte sie plötzlich und nahm Margarethe den Kamm, mit dem sie ihr langes Haar glatt strich, aus der Hand.

Margarethe schüttelte den Kopf. »Eine Frau hat ihrem Mann zu gehorchen. Du wirst ihn schon lieben, mein Kind, es sind deine eigenen Worte, erinnerst du dich …«, fügte sie etwas sanfter hinzu. »Bedenke, er ist ein sehr wohlhabender und schöner Mann. Schon das sind Gründe genug. Er wird dir die Welt zu Füßen legen, wenn du es nur verstehst, ihn an dich zu binden.«

»Aber wie ist sie, die Liebe zwischen Mann und Frau, Mutter?« Gesche erinnerte sich an die tragische und zarte Liebe zwischen ihren Lieblingsfiguren Ferdinand und Luise. Seitdem träumte sie von ebenso romantischen Gefühlen. »Wird er zärtlich zu mir sein, Mutter?«

»Als Ehefrau hast du deinem Mann Kinder zu gebären, Gesche. Einzig und allein deswegen wirst du diese Nacht bei deinem Gatten liegen. Allein deine jungfräuliche Tugendhaftigkeit ist entscheidend für dein weiteres Leben mit ihm als seine Ehefrau und Mutter seiner Kinder.«

Gesche sah, wie sie sich mühte, die schwere Bettpfanne unter das Laken zu schieben, mit einem verschmitzten Lächeln auf dem zu früh gealterten Gesicht. Noch nie war es ihr so deutlich geworden, wie rissig ihre Lippen vom ewigen Nadelhalten waren und wie sehr das Wollnähen ihre einst so klaren braunen Augen vorzeitig getrübt hatte. Sie spürte, dass die Mutter ihrer Frage auswich, und umfasste die über das Bett gebeugte Gestalt mit einem langen, nachdenklichen Blick.

Ihr Kopf lag auf dem seidenen Kissen, zwischen Spitzen­volants und Daunenkissen, umgeben von der Flut ihrer blonden Haare. Leise hatten die Mutter und die Mägde den Raum verlassen, nicht ohne noch vorher die Bettpfanne zu entfernen und die Kerzen auf den silbernen Leuchtern an den Wänden auszulöschen. Nun blickte sie mit klopfendem Herzen hinauf zu den Schnitzereien am Baldachin.

Jedes Geräusch, selbst das leise Piepsen einer verirrten Maus, verursachte ihr plötzlich Qualen banger Erwartung. Mit einem Mal war der Lärm der rauschenden Festlichkeit verklungen, und es herrschte wieder Stille im Haus. Eine lähmende Stille, die ihr große Angst einjagte. Die meisten Gäste waren spät wieder abgefahren oder schliefen, vom Wein berauscht, in den Zimmern. Eben noch von Vater und Mutter behütet wie ein Kleinod, spürte sie sich plötzlich in der Einsamkeit ausgestoßen wie ein Kuckuck aus dem warmen Nest. Schließlich wurde es ihr kalt, und sie zog die Bettdecke hinauf bis an das Kinn. Der seidene Stoff wärmte nicht, er fühlte sich kühl an, wie ein Totenlaken. Um sich abzulenken, versuchte sie, sich die letzten Stunden ins Gedächtnis zu rufen. Leichtfüßig wiegte sie sich noch einmal in den Armen der Offiziere unter den bewundernden Blicken der Zuschauer. Bei dem Gedanken an die vielen Geschenke, die sie bekommen hatte, begannen ihre Augen erneut zu glänzen. Marie, die den ganzen Tag nicht von ihrer Seite gewichen war, hatte sie zum Dank einen wertvollen goldenen Ring geschenkt, von denen sie nun im Überfluss hatte. Zu dumm nur, dass Marie ihr unter Tränen die Großzügigkeit mit einem Gegengeschenk vergalt, einer kleinen goldenen Mundtasse. Als sich später beim Vergleich der köstlichen Metalle herausstellte, dass der Ring eine falsche, wertlose Komposition war, verließ Marie die Festlichkeit wütend und enttäuscht. Bei dem Gedanken, dies könnte ein böses Omen für ihre Zukunft bedeuten, fror sie noch stärker. Wehmütig dachte sie an den Vater. Oh ja, den Vater hatte sie zu Recht stolz und glücklich gemacht. Richtig traurig war es ihr beim Abschied zumute gewesen, und sie wäre am liebsten wieder mit ihm nach Hause gegangen. Wie ihr so in diesem Moment die Tränen über die Wangen liefen, raschelte es hinter dem schweren Türvorhang und Gerhard trat in das Zimmer. Er stand im Halbdunkel, und sie vernahm vorerst nur seine schweren Schritte. Mehrmals verhielt er im Schritt, und es war wieder still. Dann hörte sie, wie er eine Schranktür öffnete und wie sein Kehlkopf glucksend auf und nieder hüpfte.

Ihre Finger verkrampften sich in der Bettdecke. Der Vater trank nie. Er ehrte Gottes Gebote. Dass Gerhard dem Wein reichlich zusprach, davon redete die ganze Stadt. Der Geruch wurde stärker und kitzelte ihre Nase. Gerhard stand vor dem Bett. Er hielt eine silberne Lampe in der Hand. Das Licht flackerte leicht, als er sich zu ihr auf den Bettrand setzte. Sie sah, dass auch seine Hände leicht zitterten. In dem seidenen Nachthemd, mit der nackten Brust, kam er ihr fremd vor, und der ungewohnte Anblick entlockte ihr ein schwaches Lächeln. Ängstlich und zugleich in neugieriger Erwartung auf das, was nun kommen würde, wich sie ein Stück vor ihm zurück. Das schummrige Licht verhinderte, dass sie in seine Augen sehen konnte, trotzdem spürte sie seinen Blick, wie er eindringlich prüfend über die Bettdecke glitt und an den Formen ihres Körpers hängen blieb.

»Du bist so wunderschön«, hörte sie seine Stimme. Sie klang rau und ging in ein Keuchen über. »Schön wie eine seltene Blume, die man nicht pflücken sollte, um ihren Liebreiz nicht zu zerstören.«

Er schmeichelte ihr, während seine Hand langsam, erst sanft, dann fest knetend, die Formen ihres Körpers nachzuzeichnen begann, seine Hand verhielt einen Moment auf ihrem Schoß. Dann setzte er die Lampe auf dem Nachttisch ab. Plötzlich ging sein Atem schneller, wurde hastiger und überschlug sich. Dann vermischte sich der Geruch des Alkohols mit seinem Schweiß. Sein Gesicht war dicht über ihr. »Hast du Angst?«, fragte er mit heiserer Stimme.

Sie nickte.

»Musst du nicht haben«, keuchte er. »Ich tu dir nicht weh.«

Plötzlich spürte sie, wie seine Hand nach der Decke fasste. Fast brutal riss er sie mit einer einzigen Bewegung zur Seite. Im gleichen Augenblick warf er sich auf sie. Der schwere Körper wollte sie erdrücken, und sie bekam keine Luft. Plötzlich waren seine Finger überall. In roher Begierde kneteten und quetschten sie, verursachten Schmerzen.

Verwirrt schloss sie die Augen und dachte an Christoph, an Viktor, an seine Küsse und an den Vater, der ihr zum Abschied noch einmal ans Herz gelegt hatte: »Liebe deinen Mann und ehre deinen Schwiegervater!«

Dann war es plötzlich ganz still. Der schwere Körper war von ihr heruntergerollt und lag nun neben ihr im Bett. Angespannt lauschte sie in die Dunkelheit. Sie spürte nichts mehr. Alles war vorbei. Gestorben war die Illusion von den romantischen Gefühlen zwischen Mann und Weib, dem zärtlichen Werben um die Geliebte, von dem sie heimlich so viel in den Romanen gelesen hatte. Zerbrochen an roher Begehrlichkeit.

Vorsichtig begann sie, ihre Beine zu bewegen. Erst die Zehen, dann den Fuß, dann das Bein. Der Schmerz kam wieder. Es war ein schmerzhaftes Ziehen, irgendwo im Schoß. Erschrocken richtete sie sich auf. Mit zitternden Fingern griff sie nach dem Leuchter und hielt die Lampe so, dass der Lichtschein zwischen die geöffneten Schenkel fiel. Auf dem Laken aus weißem Batist ein roter Blutfleck. Neugierig zog sie die Beine an und rieb mit dem Hacken darauf umher. Hartnäckig blieb der Fleck. Das beunruhigte sie nicht, die Mutter hatte sie vorbereitet. Dann leuchtete sie hinüber zu ihrem Ehemann. Gerhard lag auf dem Rücken und hielt das Gesicht unter dem Arm verborgen. Seine Atemzüge hörten sich ruhig und gleichmäßig an. Trotzdem war sie sich nicht sicher, ob er schlief, und so wagte sie sich noch ein Stück weiter. Was sie dann sah, entlockte ihr einen unterdrückten Schreckenslaut, und sie wünschte sich, ihrer Neugierde niemals nachgegeben zu haben. Rasch betete sie mit geschlossenen Augen, in der Hoffnung, dass Gott sie nicht dafür bestrafte, was sie eben so leichtsinnigerweise in Augenschein genommen hatte. Gerhards Betttuch war verrutscht und gab einen Teil der entblößten Hüften frei. Auch wenn ihr Glaube und die Schamhaftigkeit ihr strengstens geboten, den Blick von dem männlichen Schoß abzuwenden, heftete sie jetzt den Blick wie gebannt auf Gerhards Unterbauch. Ein kleiner nierenförmiger Knoten, in der Nähe der Leiste, groß wie eine Erbse unter der weißen Haut, zog sie magisch an. Gleichzeitig fürchtete sie sich vor der Mutter, die in ihrem Geiste gebietend den Finger erhob. Doch wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, leuchtete sie weiter suchend die kräftigen Oberschenkel hinab, bis ihr an der weißen Innenhaut eine ähnliche Geschwulst auffiel. Sie hatte sich geöffnet und nässte. Der üble Geruch reizte ihre feine Nase. Erschrocken, die Hand vor der Nase, richtete sie das Glas der Lampe nun auf Gerhards Unterarme. Das weiße Fleisch vom Handknöchel bis zum Ellenbogen war übersät von seltsamen blauroten Flecken.

Trotz des Ekels, den sie nun vor der seltsamen Krankheit empfand, war sie doch nun Miltenbergs Ehefrau, bis der Tod sie schied. So war es nicht verwunderlich, dass sie sich plötzlich ernsthaft um ihn Sorgen machte und ihn sogleich sanft an der Schulter rüttelte. »Mein Ehemann, mon aimé …«, rief sie ängstlich und schüttelte ihn heftiger, als er nicht gleich reagierte.

Der reichliche Alkoholgenuss erschwerte es Gerhard, die müden Lider zu öffnen. Als er einige Sekunden später mit weit aufgerissenen Augen verwirrt um sich starrte, war ihr Gefühl für ihn nur noch von Ekel und Selbstmitleid geprägt. Dieser fremde Körper aus Haaren, weißem Fleisch und Pusteln sollte fortan als ihr Ehemann neben ihr liegen? Strafte sie der Herrgott jetzt etwa auf diese Weise für die kleinen Diebereien der Kinderzeit, indem er ihr Verfall und Siechtum in das Bett legte? Verzweifelt schlug sie die Hände vor das Gesicht und begann, leise mit dem Schicksal zu hadern. Erst als Gerhard, bemüht, die Blöße vor ihr zu bedecken, vor ihr stand, sah sie zu ihm auf.

Verwirrt fuhr er sich mit den Händen durch das zerwühlte blonde Haar: »Ich hatte Gott gebeten, es vor dir zu verbergen. Aber er hat mein Beten nicht erhört.« Als sie keine Antwort gab, ließ er sich zu ihren Füßen nieder. Mit einer hilflosen Bewegung legte er ihr ein weißes Taschentuch in den Schoß und umfasste zaghaft ihre Knie. Unschlüssig, wie er sich verhalten sollte, kniete er vor ihr auf dem Boden und bettelte mit den Augen um einen Blick von ihr.

»Wenn du meine Hand ausgeschlagen hättest, oh Gesche, dann hätte ich Bremen für immer verlassen und wäre in die Fremde gezogen. Denn dir dann jemals wieder zu begegnen, hätte mir furchtbare Schmerzen bereitet. Dein Jawort hat mich so glücklich gemacht, dass ich darauf vor Freude dem bei meinem Oheim versammelten Sattleramt gleich zwei Bohlen Punsch zum Besten gegeben habe. Verachte mich nicht und bleib bei mir, Gesche«, bat er. »Auch wenn der Herrgott mich nun für mein liederliches Leben mit einer Lustkrankheit bestraft hat. Ich schwöre dir, ich werde mein Versprechen halten und es dir nie an etwas fehlen lassen und dich in meine Welt als eine Dame einführen.«

Noch verwirrt von der rohen Begierde und geschmeichelt von der plötzlichen liebevollen Anbetung, überwand Gesche ihren Ekel. Bei dem Gedanken an ihr bisheriges Leben streckte sie die Arme nach ihm aus und zog ihn mit einem neu gewonnenen Gefühl der Macht über ihn an ihre Brust.

*

Einige Wochen später.

Margarethe trat hilflos von einem Fuß auf den anderen. Sie stand hinter der Stuhllehne und schaute unschlüssig auf die Tochter herab. Gesche saß vor ihr über den Tisch gebeugt und hatte das Gesicht in der Armbeuge vergraben. Leise schluchzte sie vor sich hin. Hilflos musste Margarethe zusehen, wie die schmalen Schultern unter dem Seidentuch auf und nieder zuckten. Dabei hätte sie die Tochter zu gern in die Arme genommen und sie getröstet. Doch Gesche hatte sich in den wenigen Wochen ihrer Ehe verändert. Sie schien zurückhaltender in ihrer Liebe zu den Eltern geworden zu sein. Schon seit Längerem hegte Margarethe den Verdacht, dass ihr geliebtes Kind wenig Freude in der Ehe fand, und machte sich deshalb die heftigsten Vorwürfe. Immer wenn sie Gesche besuchten und sie freudestrahlend von ihr durch das Miltenberg’sche Haus geführt wurden, dann vergaßen sie bei all ihrem Stolz auf die junge Hausfrau, welche das neue Hauswesen mit Geschick und Klugheit führte, dass sie heimlich leiden könnte. Denn Miltenberg, glücklich über die neue Haus- und Küchenordnung, überhäufte sein Weib in ihrer Nähe mit teuren Geschenken und ließ es nie an verliebten Schmeicheleien fehlen. »Wie sollen wir dir helfen, liebes Kind, wenn du mir nicht sagst, was dein Herz bedrückt?«, unternahm sie einen erneuten Versuch, Gesche zum Reden zu bewegen. Sanft berührte sie dabei ihre Schulter und überlegte, womit sie sie erfreuen könnte. »Soll ich dir eine heiße Schokolade bringen lassen?«, fragte sie und ließ sich nun auf dem Stuhl ihr gegenüber nieder. Die Beine machten schon lange nicht mehr mit und schmerzten beim längeren Stehen. »Du mochtest doch immer so gern heiße Schokolade?«

Das Angebot verfehlte die Wirkung nicht, und Gesche hob den Kopf. Blinzelnd, mit roten Augen schaute sie die Mutter an. Die vom Weinen angeschwollenen Augen mit den verwischten Tränenspuren auf der durchsichtigen Haut berührten das Mutterherz. Doch geschickt wusste sie ihr Mitgefühl über das veränderte Aussehen vor der Tochter zu verbergen. Tröstend, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, sagte sie: »Na, siehst du. Ich bin doch deine Mutter und weiß, was dich aufheitert.«

»Nichts weißt du, Mutter«, schluchzte Gesche, »überhaupt nichts.«

Zumindest hatte sie nicht verlernt zu widersprechen, stellte Margarethe nun ernüchtert fest. Sie erwartete eine Erklärung und suchte in ihrem Ledertäschchen nach einem Taschentuch. Als sie es gefunden hatte, reichte sie es der Tochter mit den Worten: »Nun wische dir erst einmal die verlaufene Schminke vom Gesicht, Kind. Du siehst ja aus, wie eine aus diesen Häusern …«

»Ja, sprich es ruhig aus. Ich sehe aus wie eine seiner Huren, und es ist mir sogar egal«, jammerte Gesche. Sie zerfloss weiterhin vor Selbstmitleid und gab ihr das bestickte Taschentuch zurück. »Seit Wochen meidet Miltenberg das Alleinsein mit mir. Bis spätabends ist er außer Haus und sucht sein Vergnügen bei Spiel und Trank in anrüchigen Etablissements. Vor ein paar Tagen erst hat ihn die Schwiegermutter, die er angeblich hasst, gebeten, ihn bei ihrer Abreise nach Braunschweig zu begleiten. Und Miltenberg hat nichts Eiligeres zu tun gehabt, als ihr zu folgen. Stell dir vor, der Mutter, jener Frau, die ihn einst fast ruiniert hat. Daraufhin habe ich voller Sehnsucht auf seine Rückkehr gewartet, in der Hoffnung, die kurze Trennung würde ihm vielleicht guttun und in meine Arme zurückführen. Aber Miltenberg hat sich nicht geändert. Er treibt es jetzt nur noch schlimmer als zuvor«, schluchzte sie hörbar.

»Du bist ihm doch eine gute Ehefrau? Ist er vielleicht krank, dein Ehemann?«, fragte Margarethe, neugierig geworden, und nahm der Magd das Tablett mit der Schokolade aus den Händen. Mit einem kleinen Silberlöffel rührte sie das dampfende Getränk um und reichte es Gesche. »Das Servieren ist Aufgabe der Mägde«, rügte Gesche die Mutter und wurde dadurch für einen Augenblick von ihrem Kummer abgelenkt.

»Ich kann mich schlecht an solchen Luxus gewöhnen. Musst Geduld mit mir alter Frau haben«, antwortete Margarethe und rückte vertraulich näher. Schon seit langer Zeit brannte ihr diese eine Frage auf den Lippen. »Vielleicht liegt es daran, dass du noch nicht schwanger von ihm bist?«

»Wie soll ich denn schwanger von ihm werden, wenn er nicht in meinem Bett schläft.«

»Dann ist er doch krank. Eine so hübsche Frau wie dich, mein Kind, lässt ein Mann nicht so kurz nach der Hochzeit allein.«

»Möglich«, überlegte Gesche und erfand eine Notlüge. »Er hat es jetzt öfter an den Augen und ist sehr in sich gekehrt. Ich glaube, er leidet an Depressionen.«

»Ja, es ist bestimmt seine erste Ehe, die ihm noch immer zu schaffen macht«, entschuldigte Margarethe den Schwiegersohn und pries seine Vorteile. »Dafür bekommst du doch aber alles, was du dir nur wünschst von ihm. Denk nur an die schönen Kleider, von denen du früher immer so geträumt hast, den kostbaren Schmuck und die vielen gesellschaftlichen Vergnügungen, bei denen du als große Dame auftrittst.«

»Ach ja.« Gesche seufzte. »An meinen Kleidern habe ich schon meine eitle Freude und an dem Stand der vornehm gebietenden Dame auch. Aber bei all dem fühle ich mich so leer und einsam.«

»Das liegt sicher daran, dass du dabei gänzlich in Gottesvergessenheit geraten bist. Du gehst nicht mehr zur Beichte, und selbst sonntags sieht man dich nicht in der Kirche.«

»Ohne Miltenberg gehe ich nirgendwo allein hin, nicht einmal in die Kirche. Ich bin eine tugendhafte Ehefrau«, antwortete Gesche, ärgerlich über die Mutter, die sie nicht verstehen wollte.

»Nun ist aber genug«, beendete Margarethe das Gespräch und überlegte, wie sie der Tochter helfen konnte. Gleich darauf kam ihr eine Idee. Sie ergriff Gesches Hände.

»Sinchen«, liebevoll gebrauchte sie den Kosenamen aus der Kinderzeit, »stell dir vor, im nächsten Monat, im Juli, finden wieder die Korporals-Mahlzeiten statt. Vater und ich werden diesmal hingehen, und es wäre reizend, wenn ihr beide, dein Ehemann und du, uns auf diese Festlichkeiten begleiten würdet. Du weißt, wie lustig es auf diesem Gelage zugeht. Es bietet euch vielleicht ein wenig Abwechslung.«

Sofort war Gesche wie umgewandelt. Der Vorschlag zauberte wieder Farbe und ein Lächeln in ihr Gesicht. Die Aussicht eines Ballbesuchs wirkte Wunder und vertrieb sofort jeden Kummer.

»Oh, Mutter, du erfüllst mir damit einen Herzenswunsch!«, jubelte sie und schloss Margarethe stürmisch in die Arme. »Wie wird Miltenberg sich erst freuen.«

Vor Freude völlig aufgelöst, zog sie Margarethe hinter sich her die Treppe hinauf, wo sich das eheliche Schlafzimmer befand. Dort öffnete sie lachend den Kleiderschrank und begann sogleich, eifrig in den Schubladen und Kästen zu wühlen. Margarethe beobachtete sie gespannt, während ihre Hände prüfend über die in Rosa gehaltene, golden bestickte Damastbettdecke strichen. So viel Wohlstand, dachte sie, viel zu schade, um darin zu liegen, und tat Miltenberg Abbitte dafür, dass er ihr Kind so verwöhnte, als Gesche zwei der kostbaren Stücke neben sie auf das Bett warf.

»Welches Kleid, meinst du, wird mir zu Gesicht stehen? Das rote oder das blaue? Oder soll mir der Vater ein ganz neues aus glänzender weißer Seide nähen?«, plapperte sie, und Margarethe konnte sich nicht sattsehen an der zarten, grazilen Schönheit der Tochter, die über ein neues Kleid wie närrisch lachen konnte. Um sie glücklich zu sehen, wetteiferte sie mit Miltenberg, und so las sie ihr gern jeden Wunsch von den Augen ab. »Ich werde Vater beauftragen, dass er dir ein Kleid näht, um welches dich alle Offiziersdamen beneiden werden. Und ich schwöre dir, Madame Miltenberg, unser geliebtes Kind, wird in diesem Jahr die Schönste auf dem Fest sein.«

Krampfhaft bohrten sich Gesches Fingernägel in das weiche Holz, bis die schmalen Knöchel vor Anstrengung weiß anliefen. Der kleine Mahagonitisch vor dem großen Spiegel hatte sie in ihrer Hilflosigkeit aufgefangen. Seit Minuten lehnte sie nun schon so mit geschlossenen Lidern, die Stirn gegen das kalte Glas gepresst. Nur langsam wollte das Gefühl der Ohnmacht von ihr weichen und ließ sie wieder klarer sehen und denken. Es war nicht das erste Mal, dass es ihr unwohl wurde und ihr Leib sich krampfartig zusammenzog. Hatte sie anfänglich versucht, sich einzureden, der Walzer und der reichlich geflossene Rotwein seien schuld an dem Übel, spürte sie nun mit dem feinen Instinkt des Weibes, dass sie von ihrem Gatten schwanger ging. Die Erkenntnis war niederschmetternd für sie. So niederschmetternd, dass sich ihr hübsches Gesicht zu einer hässlichen Grimasse verzog. Allein im Foyer, überkam sie plötzlich beißende Ironie. Sie neigte den Oberkörper nach hinten, um den Bauch zu betonen, und sagte bissig zu ihrem Spiegelbild: »Nun, fühlst du dich so glücklich, Madame? Dick und hässlich. Niemand wird dich mehr beachten. Einsamkeit und geistige Leere werden dein künftiges Leben bestimmen.« Oh, wie sie sich vor diesem Leben fürchtete, wie sehr sie sich vor den Schmerzen einer Geburt ängstigte und wie sehr sie dieses ungeborene Kind in ihrem Bauch bereits jetzt dafür hasste.

Lautes Gekicher im Hintergrund ließ sie erschrocken zusammenfahren, und die Angst, dass ihr Geheimnis entdeckt worden war, trieb ihr schamhaft die Röte in die Wangen. Rasch legte sie ein Lächeln auf und zupfte verwirrt ein paar verirrte Löckchen aus der Stirn. Gleichzeitig strafften sich ihre Schultern. Sie hatte Miltenberg im Spiegel entdeckt, mit verschwitzter Brust, im offenen Hemd und mit zwei liederlichen Frauenzimmern. Die jungen Frauen kannte sie nicht. Sie gehörten zu jenen bunten, schillernden Offizierstöchtern, die wenig von Ehrbarkeit und Sitte hielten. Miltenberg in ihrer Mitte schien reichlich vom Wein genossen zu haben. Das blonde Haar klebte ihm wirr in wilden Locken am Kopf. Den Frack hatte er irgendwo abgelegt und das gebundene Tuch am Hals gelöst. Rote Schminke zierte die helle Seide. Obwohl alle drei unbeholfen über das Parkett schwankten, hielt er die Frauen fest in seinen Armen. Die drei schienen bester Laune zu sein. Die Weiber lachten und kreischten, als Miltenberg Gesche vor dem Spiegel bemerkte. Gleich darauf kniff er die Weibsbilder mit den Fingern in das Hinterteil und scheuchte sie wie Hühner davon.

»Oh, mon aimant! Madame, blumengleich und kaum zu unterscheiden von einer Tulpe oder einem Maiglöckchen. Eure Schultern sind so rund, die Brüste voll, und da ist eine Taille, die sich mit den Händen umspannen lässt. Welch göttliche Schönheit!«, rief er erstaunt. Provozierte sie mit einem ihm eigenen Zynismus und schmeichelte ihr. Aber er meinte es stets ehrlich, wenn er so zu ihr sprach, und hatte auch in diesem Moment das Empfinden, der schönsten Frau, die ihm je begegnet war, gegenüberzustehen.

»Lass mich dich meinen Kameraden vorstellen, meine Liebe. Besonders meinem besten Freund darf ich ein solches Kleinod nicht vorenthalten«, bat er sie.

Die schillernden, immer noch kichernden Damen interessierten ihn jetzt nicht mehr. Er wedelte mit den Händen, und sie hörte, wie er den davon schwirrenden Paradiesvögeln ein leises »Scht … scht …!« nachschickte. Dann trat er hinter sie. Sie sah ihn im Spiegel, lässig, mit einem Blick voller Sinnlichkeit und Ironie. Eine seltsame Mischung Mann aus verworfener Weichheit, Eitelkeit und sinnlichem Begehren. »Bleibst du nach dem Fest bei mir?«, fragte sie leise, obwohl sie längst wusste, dass ihre Frage unbeantwortet bleiben würde.

»Aber Madame, wir haben Verpflichtungen«, lächelte er ausweichend und legte ihr sanft die langen, schmalen Finger um den Hals. Gesche spürte ein feines, betörendes Kribbeln auf ihrer Haut und schloss für einen Moment die Augen. Als sie die Lider vorsichtig öffnete, zierte eine goldene Kette mit funkelnden blutroten Steinen ihr Dekolleté.

»Ein Geschenk für dich, meine Liebe, als Ausdruck meiner Bewunderung.« Die roten Smaragde, eine wunderschöne Filigranarbeit, ein Meisterwerk, verwandelten ihren weißen Hals in den einer Königin. Augenblicklich hatte sie die Ängste um die Schwangerschaft vergessen. Die blauen Augen bekamen ihren Glanz zurück, und sie betrachtete entzückt das Geschmeide.

»Oh, wie wunderschön, Gerhard«, hauchte sie, »die Steine passen so gut zu dem roten Spitzenkleid.« Sie schickte einen triumphierenden Blick zu den beiden Damen, die sich nun, eifrig kokettierend, mit zwei Offizieren trösteten.

Gnädig reichte sie Miltenberg die Fingerspitzen ihrer kleinen Hand. »Du hast mich schon viel zu lange warten lassen, Gerhard«, schmollte sie. »Nun stell mich rasch deinem neuen Freund vor. Ich bin nur allzu begierig darauf, ihn kennenzulernen.«

Die Klänge zu einer Passacaille, einem spanischen Volkstanz, setzten ein, und die ersten Paare drehten sich in schnellen Menuettschritten, als Gerhard mit Gesche an der Seite in den Saal trat. Gesche suchte mit den Augen nach den Eltern und fand sie an einem der überfüllten Tische längsseits der Tanzfläche. Der Vater und die Gesellen lärmten und prosteten sich gegenseitig zu. Wie die anderen rauchten sie Zigarren und diskutierten, wie es zurzeit üblich war, über den neuen Kaiser, während die Mutter zwischen den älteren Damen der Schneiderzunft steif nach der Tochter Ausschau hielt. Gesche erwiderte den Blick der Mutter, in Gedanken nochmals bei den robengeschmückten Damen in den Gängen. Sie sah den Neid in ihren Blicken, den sie geschickt hinter wedelnden Fächern zu verbergen wussten, und auch die Bewunderung, die ihr ihre Ehemänner entgegenbrachten. Miltenberg aber zog sie eilig hinter sich her, hinauf zu einer Gruppe Kaufleute an der oberen Tanzfläche neben dem Orchester. Dorthin hatte sich eine auffällig gekleidete Gruppe zurückgezogen. An den eleganten, aber auch nachlässigen Anzügen der Herren erkannte Gesche die oberen wohlhabenden Bürger. Als sie an Miltenbergs Arm näher trat, brachte man ihr sogleich die Ehrerbietungen einer Dame ihres Standes entgegen. Wolfgang von Post küsste, erfreut über das Zusammentreffen, ihre Fingerspitzen und meinte laut, damit es alle hören sollten: »Ist Madame nicht ein wunderschönes Kleinod. Schön wie unsere Königin Luise. Aber mir scheint, sie ist momentan ebenso traurig. Liegt es etwa an Euch, Miltenberg?«

»Mein Freund, Ihre Anbetung für meine Ehefrau geht über das Maß hinaus«, drohte ihm Miltenberg lachend mit dem Finger. »Meine Gattin genießt ihr neues Glück mit mir! Ein solches Juwel ist eines Dichters wert und nicht mit der Königin zu vergleichen.«

»Monsieur von Post, ich bin kein Opfer wie unsere Königin«, gab Gesche geschmeichelt zurück. »Mein Gatte hat recht. Natürlich würde auch ich mit meinem hungernden Volk leiden. Aber ich würde mich nicht den Schmähungen und Kränkungen Napoleons aussetzen wie Luise, sondern den Kaiser zu Fuß bewegen, in Preußen Abbitte für die beklagenswerten Opfer in Auerstedt zu tun.«

Die witzige, geistreiche Antwort rief eine allgemeine Heiterkeit unter den Herren hervor, und augenblicklich wurde Gesche zum Mittelpunkt der Gesprächsrunde.

»Aber, dem Herrn sei Dank, sind wir nicht von derartigen politischen Ereignissen betroffen. Unsere Schöne hat vollkommen recht. Uns Bremer Bürgern ergeht es doch bisher nicht schlecht unter der Herrschaft des französischen Kaisers. Die Seefahrt steht in ihrer vollen Blüte genauso wie die Handelsverbindungen mit dem jungen Amerika. Wir pflegen unsere Beziehungen zu Paris, und unser Geistesleben erfährt derzeit eine Blüte wie noch nie.«

956,63 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
Объем:
372 стр. 4 иллюстрации
ISBN:
9783839230183
Издатель:
Правообладатель:
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