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Gigmit verfügt über Datenbanken von Bands, die sich bei der Plattform bewerben, und von Veranstaltern und Unternehmen, die nach günstigen Bands suchen. Diese Daten werden von der Plattform zusammengebracht. Und so kommt es etwa zu Auftritten in Telefonläden: »Danke, liebes gigmit Team, für die großartigen Bands und eure tolle Beratung und Unterstützung bei den o2 Live Gigs im o2 Live Store Berlin«, wird auf der Website ein Vertreter von »Phocus Brand Contact« zitiert, der »im Auftrag von Telefonica Deutschland« gearbeitet hat. Oder man bucht Tourneen im »Showcase Format DYKNOW« für »Upcoming Artists aus der ganzen Welt«, die die »vielversprechendsten Bands« als »local support« auf Deutschland-Tour begleiten sollen, etwa ein »französisches Rock-Power-Trio« namens Baltimore, das »sein eigenes Rock-Serum aus dem Saft der 90er und 00er Jahre produziert« – also reichlich abgestandenes Gesöff, das sein Haltbarkeitsdatum lange überschritten haben dürfte, trotz aller »künstlerischer Exzellenz, Dringlichkeit und bemerkenswerter Brutalität«.59 Und was kann eine Band da verdienen? »Die Bands des Line-Ups erhalten einen 50/50 Door Deal nach einem Break von 50 EUR«, steht unter dem Angebot. Heißt: ihr spielt auf eigenes Risiko, ihr »erhaltet« eigentlich: nichts außer ein paar leeren Versprechungen. Daneben steht: »Maximale Dealgage von €448,80.« Dealgage ... Wird schon so was sein.

Für die Macher*innen von Gigmit ist dieses Goldmacher-Angebot ein »Schritt zur nachhaltigen Vernetzung der internationalen Livemusik-Industrie«, deren Ziel es sei, »vor allem unbekannte Künstlerinnen und Künstler dabei zu unterstützen, Live-Gigs in Deutschland zu spielen und sich mit der hiesigen Szene vernetzen zu können«. Wobei die Gigmit-Leute gleich klarstellen, daß »die Zeit der risikobereiten Nachwuchsförderung eigentlich vorbei ist«. Und so geht auch Gigmit keinerlei Risiko ein: Stand 5. November 2018 verzeichnet Gigmit seit seiner Gründung »8 100 900 Euro ausgeschriebene Gagen« und »66 076 ausgeschrieben Gigs«. Was »ausgeschrieben« bedeutet, kann man nur vermuten – tatsächlich ausgezahlte Gagen oder wirklich stattgefundene Gigs dürften es nicht sein, denn dann würde es auch da stehen. Doch wenn man die Gesamtsumme der »ausgeschriebenen« Gagen durch die Zahl der »Gigs« teilt, erfährt man, was Sache ist: Die Durchschnittsgage, die Gigmit »ausgeschrieben« hat, beträgt ganze 122,60 Euro. Pro Band, nicht pro Musiker*in! Kohle scheffeln nur die Macher*innen von Gigmit: 2016 hat die Sony Music Entertainment Germany einen »mittleren sechsstelligen Betrag« in Gigmit investiert und dafür 15 Prozent der Firmenanteile erhalten.60

Warum Sony sich an Gigmit beteiligt oder der weltgrößte Tickethändler Ticketmaster und der Kräuterlikörhersteller Jägermeister mit der Gig-Plattform kooperieren, kann man sich vorstellen. Daß jedoch auch die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und die Europäische Union die Get a Gig GmbH finanzieren, ist höchst unerfreulich.

In Berlin existiert eine »Förderinitiative Live Music Accelerator Berlin« (LMAB), deren vorgebliches Ziel es ist, daß »auch kleine Berliner Clubs und noch unbekannte Berliner Artists gut besuchte Gigs in Berlin veranstalten können«. Interessant: Die Künstler sollen ihre Konzerte also selbst veranstalten, wenn es nach der LMAB geht – Musiker*innen als kleine Ich-AGs, Musikförderung im Hartz-IV-Style. Es geht um »smartes Digitalmarketing«. LMAB behauptet, »Online-Marketing Partner von u. a. Spotify, Moderat und Universal« zu sein, und als solcher wisse man, »wie erfolgreiche Konzertwerbung heute gelingt«. Und dieses Wissen, verrät die Förderinitiative, »wollen wir mit dir teilen«: »Du hast in der Vergangenheit viel Potenzial verschenkt? Hol es dir jetzt zurück (das Potenzial? BS) und Get The Crowd mit digitalen DIY-Lösungen.«

In Wahrheit gibt es diese »Förderinitiative« gar nicht, wie ein Blick ins Impressum verrät. Dort findet sich lediglich eine »GET a GIG GmbH«. Und das ist just die GmbH, die unter der gleichen Anschrift auch die Firma »Gigmit« betreibt, also die oben beschriebene Plattform, die ihre Gig- und Venue-Datenbank gegen Bezahlung zur Verfügung stellt. Und der »CEO« von LMAB (der sogenannten »Förderinitiative«) ist gleichzeitig auch CEO von Gigmit, nur daß er sich dort im Impressum als »Geschäftsführer« bezeichnet. Hier tun sich zwei Firmen, Gigmit und Ticketmaster, zusammen, denen es um Big Data geht, und die unter dem Deckmäntelchen der Club- und Künstlerförderung ein eiskaltes neoliberales Geschäft betreiben. Und ihr Treiben lassen sie sich mit öffentlichen Geldern vom Kultursenat und von der Europäischen Union finanzieren.

Nun ist die Gigmit-Plattform im realen Konzertgeschäft natürlich einigermaßen bedeutungslos, da mögen ihre Macher*innen noch so eifrig behaupten, sie seien »Europas große Plattform für Live Music Booking«. An dieser Stelle geht es nur darum, das neue Denken und auch den neuen Jargon zu beschreiben, die im Konzertgeschäft und allgemein bei den neoliberalen Jungtüchtigen Einzug gehalten haben. Es ist ein neuer Jargon der Eigentlichkeit: Alles ist Event. Man pflegt Pep-Talks, und man bookt (get the crowd!) mit allen Pseudo-Marketing-Tricks Live-Music-Gigs mit maximalen Dealgagen, die leider, leider in der Realität unterhalb des Existenzminimums liegen. Dieses Denken, dieses Daherplappern ist signifikant für eine Szene, die mit Kultur nichts zu tun haben will und für die Musik nur Mittel zum Geldverdienen ist. Es könnten (siehe Breaking Bad) genauso gut Autowaschanlagen oder (natürlich gewinnträchtiger) Drogen sein, nur sind die letztgenannten Geschäftstätigkeiten in der Mittelschicht natürlich nicht so cool und prestige-trächtig wie ein Job in der Musikindustrie.

Die neue Beliebigkeit zieht sich durch das ganze Konzertgeschäft unserer Tage und ist beileibe nicht auf die großen Firmen beschränkt. Da gibt es das »Anything goes« der Tourneeveranstalter, die Tourneen beliebiger Künstler beliebiger Genres gleichzeitig in ihren Anzeigen oder Publikationen anpreisen. Da kann man dann den exaltierten Dubstep-Songwriter James Blake neben Iron Maiden, Judas Priest und dem italienischen Schmuserocker Zucchero finden oder den US-Surfer Donavon Frankenreiter neben Ben Folds, Lady Gaga neben Nada Surf und alle vereint mit den reaktionären Böhse Onkelz. Oder da versucht eine Volksmusikagentur, die Hochkaräter wie Andreas Gabalier, Hansi Hinterseer und die ewig untoten Amigos unter Vertrag hat, auch mit dem US-Rapper 6ix9ine Geld zu machen. Gemein ist den Künstler wohl nur, daß sie allesamt auf die eine oder andere Art Zombies sind. Und dem Imperiengeschäft ist es sehr egal, ob mit Volksmusik-, Rock- oder Rap-Zombies Geld gemacht wird.

Nicht zuletzt geht es den Konzernen des Imperiengeschäfts um Sponsoring. Wie wir gesehen haben, erzielt der weltgrößte Konzertveranstalter Live Nation im Bereich »Sponsoring & Advertising« seine höchsten Gewinne (nämlich rund 250 Millionen Dollar im Jahr 2017). Und besonders fällt die extrem hohe Marge in diesem Bereich auf, bei 445 Millionen Dollar Umsatz macht Live Nation durch Sponsoring und Anzeigen gigantische 56 Prozent Gewinn.

Kein Wunder, daß auch die CTS Eventim AG Anfang 2017 eine eigene Geschäftseinheit für Marketing und die Vermittlung von Sponsoring gegründet hat. Prompt stiegen die Umsatzerlöse im Bereich Sponsoring um 330 Prozent, von 2,6 Millionen Euro in 2016 auf 8,6 Millionen Euro, was natürlich im Vergleich zu den Zahlen, die Live Nation in diesem Bereich schreibt, eine geradezu lächerlich kleine Summe ist. Das Sponsoring-Geschäft ist jedoch noch stark ausbaufähig. Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC) wurden im Jahr 2017 in Deutschland insgesamt 1,94 Milliarden Euro mit »Live Entertainment-Angeboten« umgesetzt. Davon betrugen die Umsätze durch Sponsoring 416 Millionen Euro.61 Laut der PwC-Studie wachsen Werbeerlöse auch deutlich schneller als Verkaufserlöse. Für Konzerne wie Live Nation, CTS Eventim oder AEG kommen Sponsoring-Einnahmen im Sportbereich hinzu, egal, ob sie wie AEG Eishockey- oder Fußballteams gleich selbst besitzen und über Arenen verfügen, in denen auch große Sportveranstaltungen stattfinden können, oder ob sie einfach »nur« Ticketing-Dienstleister sind, als die sie »über Cross-Selling-Funktionalitäten die Erlöse im Merchandising, Catering und Sponsoring erhöhen« können, wie es im CTS Eventim-Jahresbericht so hübsch heißt.62

Sponsoring in der Live-Industrie bedeutet heute etwas völlig anderes, als wir es aus der Vergangenheit kennen. Es geht nicht mehr darum, daß eine Marke einfach nur eine Tournee finanziell »unterstützt«. Die Sponsoring-Queen Marcie Allen, Gründerin und Präsidentin von MAC Presents, hält diese Art von Tour-Sponsoring für tot. Auf der Canadian Music Week (CMW) erklärte Allen 2018, daß die »Marken«, die »Brands«, heute am kompletten Geschäft beteiligt sein wollen. Sie wollen die ganze Enchilada und nicht mehr bloß den geriebenen Käse obendrauf. Es geht den Brands darum, soviel Wertschöpfung aus ihren Sponsoringaktivitäten zu erhalten, wie irgend möglich. Sie wollen im Idealfall nicht nur am Konzertgeschäft teilhaben, sondern auch beim Album involviert sein oder die kompletten Daten auswerten können. Die Marken oder Brands waren im Musikgeschäft lange Zeit »die rothaarigen Stiefkinder im Zimmer«, wie Marcie Allen sagt. Heute haben die Brands dagegen »einen legitimen Sitzplatz am Tisch«, sie sind selbst mächtige Akteure. Allen, die Musik-Kampagnen für etliche Banken, Fluglinien, aber auch für Uber durchgeführt hat und Bands wie Metallica oder die Foo Fighters zu ihren Klienten zählt, sieht ihre Rolle weder als Vertreterin der Brands noch der Künstler: »We represent the deal«, sagt sie perfekt diplomatisch. Und wenn der »Deal« nicht für beide Seiten eine »Win-win-Situation« darstelle, ist es eben kein Deal.

Es ist die alte amerikanische Apologie des Kapitalismus: Der Deal ist gut für uns alle! Was der Wirtschaft nützt, nützt den Menschen! Alle gewinnen, niemand verliert! Natürlich ist diese Ideologie auf mehreren Ebenen einfach nur dumm, was allein schon dadurch deutlich wird, daß es in der Wirtschaft kein Produkt, keine Ware und keine Handlung gibt, von der alle profitieren würden. Schließlich muß mindestens einer den Profit ja auch bezahlen. Wer bezahlt also für den Win-win-Deal beim Sponsoring? Natürlich die sogenannten Konsument*innen – seien es diejenigen, die die Tickets kaufen, seien es diejenigen, die die Waren der Sponsoren kaufen, in die der Sponsoringbetrag natürlich eingepreist ist.

Laut Marcie Allen geht es den wenigsten Künstlern heutzutage einfach um einen Scheck. Und dann folgt ein Satz, den man sich auf der Zunge zergehen lassen sollte: »Brands can make artists and consumers genuine ambassadors by capturing the passion that goes into making and enjoying music63 Marken können Künstler und Konsumenten zu echten Botschaftern machen, indem sie die Leidenschaft einfangen, die zum Musikmachen und Zuhören gehört. Man macht und hört also Musik, um Markenbotschafter der Konsumgüterindustrie zu werden. Was für eine Perspektive!

Doch genau darin, in solchen »integrated campains«, sehen die Profis die Zukunft des Sponsorings. Es geht um Authentizität, es geht um das Erzählen einer Geschichte. Das ist ja bereits seit längerem der Horror der Tonträgerindustrie, die sich nur noch Gedanken darüber macht, »welche Geschichte wir mit einem neuen Produkt erzählen können« (und mit »Produkt« meinen sie ein Musikalbum oder eine künstlerische Darbietung). Und bei diesen zu erzählenden Geschichten geht es nicht mehr um die Musik an sich, sondern beispielsweise darum, wo sie entsteht, was die Beteiligten beim Herstellen der Musik fühlen, welche Gedanken sie bewegt haben, unter welchem Titel man all das zusammenfassen kann (weswegen sogar Klassikalben mittlerweile Titel wie »Light and Dark«, »Memory«, »Six Evolutions«, »Nightfall«, »Elements« oder »Life« tragen statt schlicht die Namen der Werke, die von den Interpret*innen eingespielt wurden).64 Hinzu kommt der allgegenwärtige Authentizitätsterror, der Fluch unserer Tage. Wir sind nicht mehr einfach nur Menschen, die so gut sie es können vor sich hin leben und werkeln, sondern wir müssen unser Leben, unser Dasein, irgendwie kuratieren und dann unser Leben gemäß dieser kuratierten Version unseres Lebens leben. Das nennt man dann authentisch. Es kommt auf einen authentischen Lebensstil an, in dem wir zum Produkt der Konsumindustrie degradiert werden: »Das Smartphone ist Ausdruck von Lebensstil«, erklärt uns Max Yoshimoto, Director Industrial Design bei Google. »Farbe und Feeling: Hier passt alles zusammen. Gestalte dein Pixel 3 so, daß es perfekt zu dir paßt«, lockt der Prospekt von Google.65 Und Google ist im Zweifelsfall auch immer »an deiner Seite«: »So smart begleitet dich Google Assistant durch den Tag«. Wir müssen lernen, welche Ausstellungen und Konzerte man besuchen, welche Bücher und Zeitschriften man lesen, welche Klamotten und welche Accessoires man tragen sollte, um gewisse Grade von Hipness zu erreichen: Je mehr »hygge« zum Beispiel, desto besser. Wir machen uns selbst unablässig zu einer Art Schaufenster. Als einigermaßen wohlhabender Teil der Gesellschaft stellen wir unser Know-How aus, was Kunst, Musik, Essen, Luxusgüter, Immobilien, Tourismus und etliche andere Faktoren des von Distinktionen geprägten Selbst angeht.

Diese neue Version der Konsumgesellschaft ist allerdings nicht mehr zentralistisch, wie sie Pier Paolo Pasolini 1973 beschrieben hat,66 sondern ausdrücklich diversifiziert. Insofern existiert auch kein »vom Zentrum geforderter Konsens zu den herrschenden Modellen« mehr, der »bedingungslos und total« sein muß. Vielmehr verlangt das herrschende System lediglich eine (natürlich nach wie vor »bedingungslose« und »totale«) Zustimmung zu einem Konsens des allgemeinen Konsums, der jedoch extrem vielfältig und ausdifferenziert stattfinden kann und soll. Und natürlich ist der Unterschied zum von Pasolini in den siebziger Jahren beschriebenen Modell letztlich doch nur geringfügig, denn im Prinzip geht es nach wie vor darum, daß die Menschen dem »allgemeinen Hedonismus« frönen und sich als Personen verstehen, »deren Leben sich nur über Konsum-Güter bestätigt«. Nur ist die Unterordnung unter die Konsumgüterindustrie noch extremer, als sie es früher war. »Damals« reichte der bloße Kauf von Konsumgütern noch aus, um sich dem Diktat zu unterwerfen, heute dagegen müssen sich die Konsumenten mit Haut und Haar der Konsumgüterin­dus­trie verkaufen, die Hand in Hand mit der Bewußtseins­industrie die Kontrolle über unser Dasein übernommen hat. Die Produkte, die wir kaufen, und die Brands, die wir auswählen, machen uns zu ständigen Botschaftern der jeweiligen Marken, mit denen unser Konsum und unser Leben aufs Engste verwoben ist.

Wie eng Konsum und Leben miteinander verknüpft sind, zeigt sich besonders beim Thema »Big Data«. Der Überwachungskapitalismus ist gerade auch im kulturellen Sektor ein wesentlicher Teil der Imperiengeschäfte. In Deutschland zählt CTS Eventim neben Amazon und Otto zu den drei größten E-Commerce-Playern überhaupt. Die Ticketingkonzerne sind unermüdliche Sammler von Kunden- und Käuferdaten. Das Ticketing geschieht »unter Verwendung modernster Datenverarbeitung und Datenübertragungstechniken«, wie es im CTS Eventim-Geschäftsbericht heißt. Der Konzern generiert »aus Daten systematisch Erkenntnisse. Und aus diesen Daten entwickeln wir Geschäft. Dies gelingt uns immer besser. Denn unsere Datenbasis ist besonders wertvoll, weil unsere Webshops hohe Außenumsätze generieren«, schreibt Klaus-Peter Schulenberg in seinem Brief an die Aktionäre im März 2019.67 Und die Bedeutung dieser Daten für die Wertschöpfung steigt in hohem Maße an. »Dem allgemein als Big Data umschriebenen Trend hat der CTS Konzern in den letzten Jahren mit dem Aufbau des Fachbereiches Information Science entsprochen«, erfahren wir von CTS Eventim.68 Was bedeutet das konkret? Zunächst natürlich eine Optimierung von datengetriebenen Marketing-Kampagnen, mit denen »die Reichweite der Shop-Plattformen kontinuierlich ausgebaut« wird. Der Konzern sammelt ständig unsere Daten, nicht nur beim eigentlichen Verkaufsvorgang, wenn wir also Konzertkarten kaufen, sondern auch bei all unseren Bewegungen auf seiner Website oder seinen Apps. Ich habe weiter oben bereits beschrieben, daß nahezu alle Apps mittels mobilem Tra­cking Daten der Nutzer weitergeben, wir also permanent und komplett ausgeschnüffelt werden. Wer denkt, daß sich ausgerechnet die weltweiten Großkonzerne des Ticketings diese Möglichkeiten nicht zunutze machen würden, der dürfte in seiner Naivität auch noch an Weihnachtsmann und Osterhasen glauben. Längst generieren »so gut wie alle ermittelten Firmen Menschenprofile«, und seitdem das mobile Internet alltäglich geworden ist, »expandieren die Tra­cker in die neuen Werbegefilde«. Es geht nicht mehr nur um Werbung, sondern »um die damit einhergehenden technischen Möglichkeiten der zielgerichteten Ansprache und Manipulation von Nutzern« (Constanze Kurz).69

Und die Ticketingkonzerne wissen mittels Cookies und systematischer Schnüffelei nicht nur über unsere kulturellen Interessen beim Kartenkauf Bescheid. Bei den meisten Festivals sind die »Bändchen«, die man ums Handgelenk trägt und die zum Eintritt berechtigen, mit NFC-Chips ausgestattet. NFC bedeutet »Near Field Communication«, also »Nahfeldkommunikation«, und ist ein Funkstandard zur drahtlosen Datenübertragung. Banken und Geschäfte nutzen NFC zum kontaktlosen Bezahlen kleinerer Beträge. Immer mehr Kreditkarten verfügen mittels NFC über eine kostenlose Bezahlfunktion für Beträge bis zu 25 oder 50 Euro ohne Eingabe einer PIN. Mittlerweile können mit Hilfe von Smartphones, die mit NFC-Technologie ausgestattet sind, auch Autotüren entriegelt werden. Der Nutzung und der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Der vermeintliche Vorteil von NFC-Technologie in Smartphones besteht darin, daß damit auch bei ausgeschalteten Geräten oder solchen mit leerem Akku eine Kommunikation mittels NFC weiterhin garantiert ist. Dank NFC sendet unser Smartphone also kontinuierlich weiter und liefert den Trackern wertvolle Daten.

Doch zurück zum Festival-Bändchen: Auch dieses Bändchen liefert permanent Daten, es dient nicht nur dem Eintritt zum Festival, sondern auch der Bezahlung unserer Konsum­aktivitäten, ob wir ein Bier damit kaufen oder eine Portion Pommes oder ein T-Shirt am Merch-Stand. Dadurch, daß die entsprechenden Daten mit den Daten des Festivalveranstalters kombiniert werden können, läßt sich ein komplettes Bewegungs- und Konsumprofil unseres Festivalbesuchs erstellen. Dies ist für die Brands von besonderem Interesse: Festivalveranstalter können zum Beispiel einer Bier- oder einer Wodka-Marke aus den Daten aller Festivalbesucher*innen genau erklären, zu welcher Uhrzeit oder bei welcher Musik besonders viel Bier oder Wodka konsumiert wird. Die Fans wandern als Datenschleudern übers Festival. Sie sind gläserne Konzertbesucher*innen. Die kompletten Konsumtätigkeiten werden zu Persönlichkeitsprofilen zusammengestellt, und da der Festivalveranstalter ja in den meisten Fällen auch gleichzeitig der Ticketverkäufer ist, können die Daten, die die Fans unfreiwillig auf dem Festival preisgegeben haben, auf einfachste Art und Weise mit den Daten verbunden werden, die sie beim Kauf ihrer Konzertkarten auf ihren PCs, Laptops oder Smartphones bereits unfreiwillig zur Verfügung gestellt haben.

Anfang März 2019 hat Ticketmaster bekannt gegeben, daß man zunächst in den USA, bald aber auch andernorts Eintrittskarten auch über Amazons Abhörstationen »Echo« und »Echo Dot« verkaufen werde. Die Fans können Amazons »Alexa«, das seine Besitzer*innen ausspioniert und die Abhördaten in der Amazon-Cloud speichert, einfach mit ihrer Stimme nach Konzertkarten suchen lassen, und der Kauf dieser Karten kann dadurch abgeschlossen werden, daß die Ticketmaster-Konten mit Alexa verbunden werden.70 Kundendaten und -konten werden von den Internetgiganten untereinander ausgetauscht und miteinander vernetzt. Die »Big Brothers« CTS Eventim, Live Nation und Ticketmaster beobachten uns nicht nur, sondern haben uns komplett durchleuchtet und wissen alles über uns. Wer hat uns verraten? Megadaten.

In der öffentlichen Diskussion wird gern große Verwunderung darüber geäußert, wie widerstandslos die chinesischen Bürger*innen sich einem »Sozialpunktesystem« unterwerfen, das ihr Verhalten bis ins Kleinste beobachtet und entweder belohnt oder bestraft. Doch bei uns ist es keinen Deut anders, nur daß in den westlichen Systemen die Unterwerfung unter eine derartige Überwachung mit dem Begriff der »unternehmerischen Freiheit« geadelt wird. Wenn Konzerne ihre Kunden mit Konsumanreizen steuern, besteht unsere Freiheit bestenfalls darin, auf die Konsumangebote reinzufallen, uns also manipulieren und verführen zu lassen.

Die amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff beschreibt diesen Zustand als »Überwachungskapitalismus«, der »die menschliche Erfahrung als kostenlosen Rohstoff für die versteckten kommerziellen Operationen der Extraktion, Vorhersage und des Verkaufs reklamiert«, eine nachgerade »parasitäre ökonomische Logik« in einer »aus der Art geschlagenen Form des Kapitalismus, die sich durch eine Konzentration von Reichtum, Wissen und Macht auszeichnet«, eine Art »Putsch von oben«.71 Letztendlich handelt es sich um eine Form von Enteignung und um eine systematische Mißachtung des Konzepts der informationellen Selbstbestimmung, das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland den Rang eines Datenschutz-Grundrechts hat: Wir alle haben das Recht, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und die Verwendung und Nutzung unserer personenbezogenen Daten zu bestimmen, und niemand Anderes. Wenn wir die Daten, die die Konzerne ständig von uns sammeln, überhaupt zur Verfügung stellen wollten, müßten Google, Facebook, CTS Even­tim oder Hurricane, Lollapalooza & Co. sie uns entweder abkaufen oder wenigstens um unser Einverständnis zu ihrer Nutzung durch die Konzerne bitten. Vor allem aber sollten wir die Freiheit haben, die Weitergabe und den Weiterverkauf der Daten zu verweigern. Doch davon kann im datengetriebenen Überwachungskapitalismus unserer Tage, der ein wesentlicher Teil des Imperiengeschäfts darstellt, natürlich keine Rede sein.

Der Kommunikationswissenschaftler Nick Couldry spricht in diesem Zusammenhang von »Datenkolonialismus«: »Es wird suggeriert, daß die Daten über unser Leben einfach so da seien und von Konzernen verwendet werden müssen, um gesellschaftlichen Fortschritt zu erzielen.«72 Das aber sei »der Beginn eines neuen Kolonialismus, bei dem unser ganzes Leben in Daten umgewandelt wird«, mit den Großkonzernen als Kolonialisten, die die erzeugten und gesammelten Daten mit intransparenten und mit von uns, den sozusagen angezapften »Datenquellen«, nicht nachvollziehbaren Algorithmen zugunsten ihrer neuen Geschäftsfelder ausbeuten.

Im Überwachungskapitalismus unserer Tage sind die Menschen keine handelnden Subjekte mehr und auch nicht mehr wie im industriellen Kapitalismus Arbeitskräfte und Kunden des herrschenden Systems. Im Überwachungskapitalismus, zu dem Google, Facebook, aber eben auch CTS Eventim oder Ticketmaster und nicht zuletzt auch die Telekom und wie sie alle heißen beitragen, sind die Menschen »in erster Linie Informationsquellen, Datenmaterial eines Apparats, dessen Funktionsweisen uns weitgehend verborgen bleiben. Es ist (...) ein Kapitalismus, der uns beobachtet, um seine Produkte zu entwickeln« (Shoshana Zuboff).73 Das Internet unterliegt der Kontrolle der Konzerne, und diejenigen, die es kontrollieren, legen auch die Grenzen der Freiheit jedes einzelnen fest. Wir sind gefangen in der fortschreitenden Digitalisierung unseres Lebens. Die meisten unserer Aktivitäten (aber auch unserer »Passivitäten«) werden registriert, getrackt und bewertet.

Daß dieses Datengeschäft zu großen Teilen in einem rechtlichen Graubereich stattfindet, macht die Sache nicht besser. Wie gesagt: Wir haben ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Wir müßten erstens gefragt wer­den, ob wir damit einverstanden sind, daß unsere Konsumdaten zum Beispiel während eines Festivalbesuchs ständig abgefragt werden. Und zweitens müßten wir gefragt werden, ob wir damit einverstanden sind, daß diese Daten weiterverwendet und weiterverkauft werden. Dies geben, so möchte ich meinen, bereits die aktuellen Datenschutzverordnungen her. Doch wo kein Kläger, da keine Klage, und wo kein Widerstand, da wird Unrecht zum Recht.

Nicht anders ist es bei den Daten, die die Tickethändler über uns sammeln. Diese Daten gehören laut geltendem Datenschutzrecht uns, es sei denn, wir haben leichtsinnigerweise der weiteren Datennutzung beim Bestellvorgang zugestimmt, dann können die jeweiligen Konzertveranstalter sie in einem engen, klar definierten Rahmen weiterverwenden, beispielsweise zur Zusendung einer Werbemail. In keinem Fall gehören diese Daten jedoch den Tickethändlern. Diese betreiben ja ein reines Vermittlungs- und Provisionsgeschäft. Es sind jedoch die Ticketkonzerne, die diesen Datenschatz schamlos ausbeuten, ohne sich um Datenschutz zu kümmern.

Ich habe 2013 in Das Geschäft mit der Musik beschrieben, wie sich CTS Eventim nach außen zu den bestehenden Gesetzen des Datenschutzes bekennt und verspricht, daß die Daten nicht nur der Verbraucher*innen, sondern auch die der Konzert- und Tourneeveranstalter, die ihre Tickets über die Plattformen des CTS Eventim-Konzerns verkaufen, auf allen Ebenen geschützt seien und keinesfalls den konzerneigenen Konzert- und Tourneefirmen zur Verfügung gestellt werden. Die Realität sah aber schon damals anders aus. In einer »Research-Publikation« der DZ Bank AG über CTS Eventim wird angegeben, daß CTS Eventim seine Monopolstellung auch für die »Ticketing-Analyse vergangener Konzerte (auch Konzerte, die nicht von CTS durchgeführt werden)« nutzt. Man darf getrost davon ausgehen, daß die Ti­cketingkonzerne den Datenschutz nicht übermäßig ernst nehmen und im Zweifel alle für den Ausbau ihrer Sponsoring-Aktivitäten und ihrer Imperiengeschäfte notwendigen Daten fröhlich hin und her schieben, wie sie es für höhere Sponsoring-Profite oder zur Optimierung ihrer Plattformen benötigen. Es kontrolliert sie ja niemand. Keiner weiß, was die Tickethändler hinter den Konzernmauern auf ihren Großrechnern so treiben. Es geht um »die korrumpierte Nut­zung der Technologie durch bestimmte vorherrschende Ge­schäftsprinzipien, bei denen die Menschen, die das vordergründige Angebot nutzen, nicht die eigentlichen Kunden sind, sondern die, die versuchen, die Menschen in ihrem Sinne zu manipulieren«, sagt der Internetpionier Jaron Lanier.74

Aber haben wir denn gar keine Möglichkeiten, uns dieser korrumpierten Nutzung von Technologie und von unseren Daten und letztlich den Imperiengeschäften mit all den moralischen und zum Teil sicher auch illegalen Verwerfungen zu widersetzen? Als Einzelne wohl kaum. Zumal die bestehenden Gesetze eben meist nicht zugunsten der Menschen, sondern im Interesse der Konzerne gemacht wurden. Denken Sie an die Datenschutzrichtlinien: Natürlich »informiert« uns neuerdings jede Webseite über ihre Cookies-Praxis. Doch haben wir die Möglichkeit, uns den Cookies zu verweigern? In aller Regel nicht. Nach meinen Beobachtungen gibt es bei nicht einmal fünf Prozent aller Websites die Möglichkeit, sich der Überwachung der eigenen Internetnutzung durch Cookies zu entziehen und trotzdem die entsprechende Seite weiter nutzen zu können. Gewöhnlich bekommen wir zu lesen: »Durch die weitere Nutzung dieser Seite stimmen Sie unserer Cookies-Praxis ausdrücklich zu.« Wie so oft im digitalen Alltag gilt: Derartige »Opt-in«-Verfahren ergeben nur einen Sinn, wenn es eine reelle Chance gibt, daß man auch ohne ausdrückliche Zustimmung das Internetangebot weiter nutzen kann. Dies ist in aller Regel nicht gewährleistet, und insofern sind diese Mittel des Datenschutzes die Bildschirme nicht wert, auf die sie gepixelt werden. Wir benötigen umfassenden Datenschutz als selbstverständlichen Standard zur digitalen Selbstverteidigung. Und dazu würde natürlich auch die Transparenz der »GAFA« (also der Konzerne Google, Amazon, Facebook, Apple) gehören – und der sonstigen multinationalen Großkonzerne – sowie die Besteuerung ihrer Gewinne in den Ländern, in denen sie ihre Geschäfte machen.

Die EU-Kommission bemüht sich seit geraumer Zeit, das sogenannte Country-by-Country-Reporting öffentlich zu machen: Multinationale Konzerne sollen verpflichtet werden, Umsatz, Gewinn und Steuerzahlungen nach Ländern aufgeschlüsselt zu veröffentlichen. Dies würde die nationalen Finanzbehörden in die Lage versetzen, die Unternehmen dort zu besteuern, wo sie tatsächlich ihre Gewinne erwirtschaften. Die Firmen könnten nicht mehr dorthin ausweichen, wo die Steuerlast am geringsten ist. Doch woran ist dieser gutgemeinte Vorschlag der EU-Kommission gescheitert? An Deutschland. Laut Süddeutscher Zeitung »lehnt die Bundesregierung den Vorschlag ab, daß Steuerinformationen öffentlich zugänglich gemacht werden«. Bundesfinanzminister Scholz (SPD) ist wie seinem Vorgänger Schäuble (CDU) das deutsche Steuergeheimnis heilig, er hat sich offensichtlich lieber gemeinsam mit Low-Tax-Staaten wie Malta, Irland und Luxemburg gegen Frankreich gestellt, das die Transparenzinitiative der EU-Kommission ausdrücklich unterstützt hat. So wird das nichts mit der in Sonntagsreden so häufig beschworenen Eindämmung des Einflusses von GAFA & Co.

Aufkäufe und Fusionen im Konzertgeschäft soweit das Auge beziehungsweise das Internet reicht: Kommen wir ein letztes Mal auf die Imperiengeschäfte im Livemusik-Sektor zurück. Wir erleben dies alles im Großen wie im Kleinen, hierzulande und weltweit. Und es betrifft nicht mehr nur die Big Player Live Nation und CTS Eventim und ihre Tochterfirmen. Nein, das Prinzip des Imperiengeschäfts haben mittlerweile auch kleinere Firmen und Konzerne verinnerlicht. Überall wimmelt es von Investoren, werden Fusionen vereinbart und Firmenkäufe getätigt. Kein Wunder – alle wollen am prosperierenden Konzertgeschäft teilhaben. Laut einer Studie von PricewaterhouseCoopers (PwC) wird die weltweite Livebranche in den nächsten Jahren erstmals 30 Milliarden US-Dollar Umsatz erreichen. Spätestens für das Jahr 2022 prognostiziert PwC einen Umsatz von insgesamt 30,55 Milliarden Dollar durch Ticketverkäufe (24,36 Mrd. Dollar) und durch Sponsoring.75 Allein in der ersten Jahreshälfte 2018 haben die 50 bestverkaufenden Tourneen der Welt 2,21 Milliarden Dollar eingespielt, 12 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2017. Noch stärker sind allerdings die Ticketpreise für diese 50 Tourneen angestiegen, nämlich um 14 Prozent auf durchschnittlich 96,31 Dollar.76 Interessant ist der Vergleich der Zahl der verkauften Tickets und der Ticketpreise: Der Rekordumsatz wurde mit 500 000 weniger Tickets als 2017 erreicht, eben aufgrund der drastisch gestiegenen Ticketpreise.

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