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Читать книгу: «Eva Siebeck», страница 2

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II

Eva Siebeck hatte keine Familie: Geschwister hatte sie nie besessen, und die Eltern waren seit mehreren Jahren gestorben. Sie war – obgleich als Sproß eines angesehenen freiherrlichen Hauses geboren – in beschränkten Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater, ein vermögensloser Offizier, hatte eine gleichfalls vermögenslose Cousine geheirathet. Als Eva ungefähr zehn Jahre alt war, stürzte der damals Majorsrang bekleidende Baron Holten mit dem Pferde, wobei er sich den Fuß brach, und wurde – mit Obersten-Charakter – in den Ruhestand versetzt. Seine Pension und eine von reichen entfernten Verwandten gewährte Apanage gaben nunmehr die ganzen Hilfsquellen ab, mit welchen die Gatten ihr Leben und die Erziehung ihres Töchterchens bestreiten mußten. Um dies auf halbwegs standesmäßige Weise zu ermöglichen, ließen sich Baron und Baronin Holten in einer kleinen Kreisstadt nieder. Hier waren die Lebensmittel billig und die allgemein herrschenden Lebensgewohnheiten sehr einfach.

Dennoch wurde Eva nicht nur nicht einfach, sondern geradezu glänzend erzogen. Freilich kostete das nicht viel, denn Gouvernante und Meister gaben die Eltern selber ab. Baronin Holten besaß umfassende Sprach- und Musikkenntnisse, konnte auch recht hübsch malen, welche Talente sie auf die kleine Eva übertrug; und der Baron – der seit jeher ein Freund geistiger Anregung gewesen und nunmehr, seit der Unterbrechung seiner militärischen Laufbahn, sich ganz und gar verschiedenen Studien widmete und seine größte Zerstreuung in der Lektüre wissenschaftlicher und dichterischer Werke fand – beschäftigte sich seinerseits mit Evas litterarischer Ausbildung.

Das kleine Mädchen war sehr begabt, und mit jedem Tage wuchsen ihre Fertigkeiten und Kenntnisse. Nebenbei entfaltete sich auch ihre Schönheit zu frühzeitiger Blüte. Mit dreizehn und vierzehn Jahren besaß sie die Erscheinung einer erwachsenen Jungfrau. Schon hatten – als sie ihren fünfzehnten Geburtstag feierte – ein Apothekergehilfe, ein dicker k. k. Major a. D., ein Hausherrensohn und ein Gymnasial-Unterlehrer, welche sich aus der Entfernung in die junge Baronesse verliebt, schriftlich und schwärmerisch um ihre Hand angehalten und waren ebenso schriftlich und lächelnd abgewiesen worden.

Daß die so herrlich begabte Kleine bestimmt sei, eine glänzende Stellung in der Welt einzunehmen, das stand bei den Eltern fest. Auch in ihr selber regten sich allerlei ehrgeizige Wünsche und Hoffnungen. Damals war es, daß die Idee, als große Tragödin die Welt zu erobern, in ihrem Innern keimte. Davon aber wollten Vater und Mutter nichts wissen. Die Trägerin des Namens Holten konnte sich – so meinten sie – nicht dazu erniedrigen, die Bühnenbretter zu betreten; ihr würde eine viel passendere und zugleich sicherere Möglichkeit geboten sein, ihr Glück zu machen: nämlich dasjenige, was in der Gesellschaftssprache eine »gute Partie« heißt. Aus diesem Ziele machten übrigens die Eltern dem Töchterchen gegenüber kein Hehl. Eva selber hatte nichts dagegen einzuwenden. Eine große Dame zu werden, ihre angeborenen Gelüste nach vornehmer Lebensführung befriedigen zu können: eine solche Aussicht lächelte ihr wohl zu. Aber als wichtigste Bedingung zur Annahme einer »guten Partie« behielt sie – die Poesie-Belesene – sich im Geiste vor, daß dabei auch das Herz seine Rechnung finden, daß ihr einstiger Gatte so liebend und so geliebt sein müsse, als nur irgend möglich. In dem kleinen Städtchen, das die Holtens bewohnten, hätte sich zur Verwirklichung dieser Pläne schwerlich Gelegenheit gefunden. Daher ward beschlossen, daß Eva, wenn herangewachsen, ein oder zwei Winter in Wien zubringen sollte, um dort in die große Welt, welcher sie der Geburt nach ja angehörte, eingeführt zu werden. Die hierzu nöthigen Mittel – nämlich ein paar Tausend Gulden für Toiletten, Wohnung u. s. w. – konnten in einigen Jahren zurückgelegt werden. Große Summen waren ja nicht erforderlich; denn die Eltern beabsichtigten keineswegs, in der Hauptstadt ein Haus zu machen und ihre Tochter selber auf Bälle, Theater u. s. w. zu begleiten; – dieses Amt sollte eine bestimmte Dame aus ihrem Verwandtenkreise übernehmen. Sie wollten nur gleichzeitig in Wien sein, um Eva nicht aus den Augen zu verlieren, um ihre Triumphe in nächster Nähe zu genießen und um sie in der Wahl eines Freiers zu leiten. Oftmals war berechnet und zu Papier gebracht worden, welcher Betrag erforderlich sei, um die Auslagen dieses – im eigentlichsten Sinne des Wortes – Eroberungszuges zu decken. Die Berechnungen hatten ergeben, daß noch bis zu Evas zwanzigstem Geburtstage gespart werden müsse.

Dieses Datum stand nun am Zukunftshorizont des heranwachsenden Mädchens wie die Pforte zu einer neuen, mit hundert Verheißungen gefüllten Existenz; der darauf gewendete Blick ließ sie alle kleinlichen Entbehrungen der Gegenwart, alle Einförmigkeit geduldig ertragen, und der Fleiß, den sie darauf verwendete, ihren Geist und ihre Talente auszubilden, hatte seinen Ansporn in der Idee, daß, je reichere Bildungsschätze sie sich aneignete, desto würdiger würde sie sein, jene Pforte zu überschreiten und die Glücksgaben in Empfang zu nehmen, die ihrer drüben harrten.

Die literarisch-wissenschaftliche Erziehung, welche Oberst Holten seiner Tochter angedeihen ließ, war nicht etwa eine moderne, vom Geist der Neuzeit durchdrungene. Er war selber kein moderner Mensch. Von den bewegenden Fragen und Entdeckungen der letzten Jahrzehnte war er unberührt geblieben. In der Literatur verehrte er nur die sogenannten Klassiker; die in jüngster Zeit aufgetauchten Schriftsteller verachtete er nicht etwa— er wußte einfach nichts von ihnen; ebensowenig hatte er eine Ahnung von dem Umschwung in den Naturwissenschaften. Sein Standpunkt hierin war über die in seiner Jugend offiziell gelehrten Anschauungen nicht hinausgewachsen. Bei alledem war er ein Mann von hoher Bildung, von gediegenem Wissen, von seinem ästhetischen Geschmack. Immerhin: indem er Eva seine Anschauungen und Kenntnisse mittheilte, indem er ihr seine Lieblingsschriftsteller zu lesen gab, brachte er sie auf eine hundertmal höhere Geistesstufe, als von den meisten ihrer Alters- und Standesgenossinnen eingenommen zu werden pflegt, welche im Kloster eigentlich nur Kinderbücher zu lesen bekommen und in einem Geiste aufgezogen werden, der den Begriffen eines vergangenen Jahrhunderts entspricht. Unter der Leitung ihres Vaters kräftigte sich ihr Verstand; es bildeten sich in ihrer Seele hohe, sittliche Ideale heran; sie ward wißbegierig und begeisterungsfähig sie lernte, an geistigen Genüssen sich laben. Aus den gemeinschaftlichen Lesestunden in den Werken von Schiller, Jean Paul, Lessing, Tiedge, Wilhelm von Humboldt u. A. ging sie stets in gehobener Stimmung hervor. Daneben waren andere Stunden der Wissenschaft gewidmet: Astronomie und Physik, Geschichte und Erdkunde, sogar ein wenig Philosophie; jedoch, wie gesagt, nach jenem älteren Stande der Kenntnisse, wie solcher vor dem Auftreten der Entwickelungslehre herrschte und in den niederen Schulen und unter den meisten Leuten eigentlich noch herrscht.

Mit ihrer Mutter – zur Vervollkommnung in den modernen Sprachen – betrieb Eva fleißig belletristische Lektüre: unzählige englische Romane; auch – mit Auswahl – französische: Dumas Vater, Chateaubriand, die sämmtlichen Theater von Scribe, und unter den neueren einige verhältnismäßig unschuldig erscheinende: Ohnet, Greville und Andere. Auf diese Art gewann Eva einen Einblick in die Welt und in das gesellschaftliche Treiben, eine Einsicht, welche die sie umgebende enge und kleinliche Wirklichkeit ihr niemals hätte bieten können. Aus den englischen Romanen hatte sie die Vorstellung geschöpft, daß die Liebe und eine darauf folgende – durch verschiedene Herzenskonflikte und Mißverständnisse etwas verzögerte – Heirath den Schicksalsinhalt jedes Mädchenlebens abgeben müsse. Daß eine solche Geschichte auch in ihrer Zukunft sich abspielen werde, dessen war sie sicher. Sie sah dem Leben mit hohen Ansprüchen, mit Spannung und mit Vertrauen entgegen; sie hatte das Bewußtsein ihres eigenen Werthes. So wie ihr Spiegel und das bewundernde Nachsehen der Leute auf der Straße ihr verriethen, daß ihr Aeußeres schön sei, so zeigte ihr der in das eigene Innere gesenkte Prüfungsblick, daß ihr Geist für alles Schöne begeistert, ihr Herz für alles Gute empfänglich war; daß ihr Vorsatz fest stand, tugendhaft und rein und würdevoll durchs Leben zu gehen. Sie fühlte sich fähig, zu beglücken; sie hatte die stolze Ueberzeugung, daß – was immer die Gaben seien, die ihr zukünftiger Gatte ihr böte: Reichthum, Rang, grenzenlose Liebe – sie mit der Gegengabe ihres Selbst eine gleichwerthige Vergeltung zu gewähren habe.

Aber so glatt, wie sie und ihre Eltern das Zukunftsprogramm sich aufgestellt hatten, sollte dieses nicht abgewickelt werden. Die schlimmsten Plänestörer von allen: Krankheit und Tod, sollten auch diese Pläne durchkreuzen. Zwei Jahre vor der anberaumten Wienfahrt brach in dem Städtchen der Typhus aus, und als eines seiner ersten Opfer ward, nach Verlauf von acht Tagen, Oberst Baron Holten hingerafft.

Das war der erste Kummer, der erste große Schmerz in Evas Leben. Sie konnte es gar nicht fassen: ihr Lehrer, ihr Freund, ihr lieber, seelenguter, edler Vater – todt!… Aus dem Hause fortgetragen – ins Grab gelegt – auf ewig, ewig verloren! Wie? er hatte das nicht erleben sollen, wofür er die ganze Zeit gearbeitet, worauf sein ganzes Streben und Hoffen gerichtet war: das Glück seiner Tochter… Ihr war es nun, als wäre das schönste Ziel ihrer Zukunft verfehlt; und ihr Leid war ein so tief empfundenes, daß sie vermeinte, sei jetzt alles alles verloren, als hätte sie gar kein Recht mehr, an ein freundliches Schicksal zu denken.

Und in der That: die nächste Zukunft gestaltete sich nichts weniger als freundlich für das junge Mädchen. Die Lebensverhältnisse wurden noch knapper als zuvor, denn mit dem Tode des Obersten war dessen Ruhegehalt weggefallen und Mutter und Tochter mußten von der Apanage leben, welche nunmehr – auch auf die Hälfte herabgemindert – der Baronin Holten als Wittwengehalt gewährt wurde. In der ersten Zeit, wo die Beiden nur der Trauer lebten, in die der Verlust des Gatten und des Vaters sie versetzt hatte, ging ihnen ihre Verarmung nicht so nahe, dieselbe war ihnen nur wie eine matte Nebenerscheinung des andern, eigentlichen Unglücks.

Nach und nach aber machte das Leben seine Rechte wieder geltend; die Zeit bewährte ihre unausbleibliche kummerlindernde Gewalt, und nach einem Jahre begannen Mutter und Tochter wieder ihre Blicke in die Zukunft zu richten. Der Sparplan, die so oft berechneten Überschläge behufs Evas Einführung in die Welt – das alles war vereitelt. Was thun? Der bis jetzt zurückgelegte Betrag konnte mit dem besten Willen nicht vermehrt werden. Da kam Baronin Holten auf den Einfall: Wie wäre es, wenn wir die bisher gemachten Überschläge auf einen geringeren Maßstab herabsetzten und wenn wir das vorhandene Sümmchen gleich noch in diesem Fasching riskirten? Die elenden paar Gulden konnten sie doch nicht reich machen, würden für Eva doch keine Versorgung abgeben, und möglicherweise konnten sie verhelfen, daß das Mädchen ihr Glück finde. Möglicherweise? … Nein, gewiß – sagte die mütterliche Eitelkeit. Eva würde die »Beaute« der Saison sein und die anderen herrlichen Eigenschaften dazu…nein, Sünde und Jammer wäre es, diese blühende Jugend zu vergraben, also abgemacht: »Wir nehmen das Geld aus der Sparkasse und reisen nach Wien.«

Eva sagte natürlich nicht nein. Zwar kostete sie der Gedanke Thränen. daß an den ihr bevorstehenden Triumphen ihr theurer Vater, der sich so daran gefreut hätte, keinen Theil mehr haben sollte; aber sie war es ja ihrer Mutter, sie war es sich selber schuldig, die Glückschancen nicht auszuschlagen. Und nachdem der Entschluß einmal gefaßt war, begann sie sich lebhaft auf die Ausführung zu freuen. Das Leben, das Leben kennen lernen! Was sie bisher nur gelesen, gehört, geträumt, das sollte sie in Wirklichkeit erfahren; und das selige Gefühl der Liebe – welches ihre aufgeblühte Jugend ersehnte und errieth – würde vielleicht in ihrem Herzen aufgehen können und mit seinem Zauber alles Leid und allen Kummer ihr vergüten, die sie im letzten Jahre durchgemacht.

Alles war vorbereitet. Gräfin Rosa Koloman, die in Wien lebende Verwandte, welcher die Aufgabe zugedacht war, Eva in die Welt zu führen, hatte ihre Zustimmung gegeben; das Geld wurde aus der Sparkasse behoben und in den Schreibtisch gelegt. Der Tag der Abreise war auf die kommende Woche festgesetzt, und schon sollte mit dem Einpacken begonnen werden, als Baronin Holten von einem ziemlich heftigen Unwohlsein befallen ward.

»Es wird nichts sein, liebes Kind, in acht Tagen bin ich wieder frisch und wohl. Der lebhafte Wunsch allein, unsere Wienfahrt anzutreten, wird mich gesund machen. Und schlimmsten Falles müßtest Du ohne mich zu Tante Rosa gehen.«

Aber das Unwohlsein artete in eine lange schwere Krankheit aus, und selbstverständlich wich Eva nicht von ihrer Mutter Seite. Als Diese halbwegs genesen war, war der Fasching zu Ende. Die Wienfahrt wurde auf den nächsten Winter verlegt.

Aber auch im nächsten Winter konnte die Fahrt nicht stattfinden, denn die Baronin ward von Neuem auf das Krankenlager geworfen; diesmal, um nicht wieder gesund zu werden. Schlag, Lähmung, schließlich Gehirnerweichung – und dieses elende Siechthum dauerte über drei Jahre. Für Eva eine harte Prüfungszeit. Aufopfernd und hingebend pflegte sie die arme geliebte Kranke, jeden Schmerz, den Dieselbe litt, auch selber mitleidend. Dazu die Trauer um ihre eigene ungenossene, unverwerthete Jugend… Der ganze frohe Lebensmuth, der vor diesen Unglücksfällen des jungen Mädchens Sinn erfüllt hatte, war jetzt gebrochen. Sie hoffte und erwartete nichts mehr. Das Spargeld mußte natürlich herhalten, um die Mehrauslagen für Doktor und Apotheke zu decken; aber auch dieses fing schon an, knapp zu werden. Nach und nach wurde die Kranke launenhaft und boshaft. Ihre geistigen Fähigkeiten nahmen so sehr ab, daß von ihrer eigentlichen Persönlichkeit schließlich nichts mehr in der jammervollen Gestalt enthalten war, die da im Rollstuhl ächzte und stöhnte und welche gewartet werden mußte, wie ein hilfloser Säugling.

Zum Glück fiel die Aufgabe dieses Wartens und Pflegens nicht dem jungen Mädchen ganz allein zu, sondern wurde zum großen Theil von einer anhänglichen, schon seit mehreren Jahren im Hause lebenden Dienerin besorgt. So fand Eva doch noch öfters ein Paar Stunden des Tages Zeit, um sich bei ihren Büchern ein wenig zu erholen. Von Tante Rosa Koloman erhielt sie öfters theilnehmende Briefe und auch Geschenke. Ebenso freundschaftlich zeigte sich ihr eine Freundin, welche mit der Familie Holten im Laufe der Jahre öfters zusammengekommen war. Dieselbe – Dorina von Borowetz – war die Frau eines Obersten, eines einstigen Regimentskameraden des verstorbenen Baron Holten. Auch von ihr kamen regelmäßig Briefe, welche über den Zustand der Dulderin Erkundigungen einzogen und der Pflegerin Muth zusprachen.

Endlich ward Evas Mutter von ihren Leiden erlöste und das junge Mädchen stand allein in der Welt.

Als Antwort auf die mitgetheilte Todesnachricht erhielt Eva zwei Briefe: den einen von Tante Rosa, den andern von Freundin Dorina. Das Schreiben der Gräfin Koloman enthielt einen Check für mehrere hundert Gulden, aber kein Wort der Aufforderung, daß die Verwaiste nunmehr Aufenthalt im Hause der Schreiberin nehmen sollte. »Du wirst mich ferner von Deinen Planen unterrichten,« schrieb sie, »gegenwärtig begebe ich mich nach Ostende, dorthin kannst Du mir Deinen nächsten Brief adressiren.« Frau von Borowetz hingegen bat, Eva möge so bald als möglich und wenn sie wolle auf immer zu ihr kommen. »Viel kann ich Dir bei uns nicht bieten, doch wirst Du ja vorläufig, in Deiner Trauerzeit, keine Ansprüche auf gesellige Vergnügungen machen. Was Du bei mir findest, ist ein herzliches Willkommen – ein gemüthliches zu Hause.«

Eva nahm den Antrag dankbaren Herzens an.

Sie löste nunmehr ihren Haushalt auf, verkaufte sämmtliche Einrichtungsstücke, bei welchen Vorkehrungen ihr der alte Hausarzt behilflich war, und zehn Tage später, begleitet von Dorina, welche selber gekommen, die Freundin abzuholen, reiste sie nach ihrem neuen Heim.

III

Das Regiment des Obersten von Borowetz lag in der Kreisstadt Krems an der Donau. Hier bewohnte er mit seiner Frau eine geräumige und ziemlich elegant eingerichtete, ärarische Wohnung. Der neuen Hausgenossin ward ein großes und behaglich möblirtes Zimmer angewiesen. Das Haus wurde auf verhältnißmäßig großem Fuß geführt: ausgezeichnete Tafel, mehrere Personen Dienerschaft, Equipage, häufig Gäste.

Dorina von Borowetz – eine geborene Südtirolerin – war zweiunddreißig Jahre alt, lebhaft, hübsch, stets nach der neuesten Mode gekleidet. Der Oberst, etwa zehn Jahre älter, hatte ein ziemlich finsteres Aussehen und barsches Wesen. Er schien in seine Frau noch immer verliebt – jedenfalls war er sehr eifersüchtig und ließ diese Leidenschaft öfters durchblicken.

Eva gegenüber zeigte er sich zuvorkommend und galant. – Zu wiederholten Malen dankte er ihr für die Freude und Ehre, die sie seinem Haus erwiesen, indem sie es als Heim erwählt, und sprach die Hoffnung aus, daß sie lange – daß sie immer da bleiben möge.

»Aber mein lieber Borowetz,« bemerkte darauf einmal Dorina, »wie kannst Du glauben, daß man uns so ein hübsches, reizendes Geschöpf auf lange lassen wird? Dein ganzes Offizierkorps wird sie heirathen wollen.«

»Es wäre schon recht, wenn sie sich Alle in sie verliebten,« murmelte der Oberst mit einem finstern Blick auf seine Frau.

»Aha – damit Keiner mir den Hof mache, nicht wahr?« sagte Dorina. »Du mußt wissen, Eva, daß der Mohr von Venedig nebst ein halb Dutzend Tigern aus der einen Waagschale hoch in die Luft flögen, wenn auf der andern mein Gemahl säße. Er würde es wirklich verdienen, betrogen zu werden.«

Der Oberst schlug mit der Faust auf den Tisch und sprang von seinem Sessel auf.

»Solche Scherze sind sehr unpassend,« sagte er und ging geradewegs zur Thür hinaus, indem er sie lärmend hinter sich zuschlug.

Dorina schaute ihre Freundin fragend an, als wollte sie sagen: Nun, jetzt hast Du‘s gesehen – wie gefällt Dir das?

Eva schwieg verlegen. Der Auftritt hatte auf sie einen peinlichen Eindruck gemacht.

Die Andere seufzte tief auf:

»Ich glaube, er würde mich tödten, wenn —« Sie hielt inne.

»Da ist wohl keine Gefahr,« meinte Eva. »Du brauchst nur seine Eifersucht nicht zu reizen, und das hast Du – verzeih mir – vorhin mit der Phrase gethan: Er würde wirklich verdienen —«

»Er verdient es auch.«

»Dorina!«

»Schau nicht gar so tugendhaft entrüstet, als ob es in der Welt nicht mehr Ehemänner gäbe, die – doch genug … Einen großen Gefallen würdest Du mir erweisen, wenn Du ein wenig mit meinem Manne kokettiren wolltest …«

»Dorina!«

»Wie hübsch mein Name klingt in dem vorwurfsvollen Tone! Ich sehe schon, Du bist eine Anstandsboldin – es wird mich Mühe kosten, Dir von Deiner Steifheit etwas abzuschütteln. Lustig muß man sein – und nicht prüde darf man sein: leben und leben lassen. Dein Gesicht wird immer länger… Es ist ja nicht schlimm gemeint.

»Ich weiß, Du scherzest nur.«

»Aber, wie vorhin mein gestrenger Oberst treffend bemerkte, »solche Scherze sind sehr unpassend,« – wie? Du hast mich freilich, wenn ich bei Deinen Eltern auf Besuch war, nicht von meiner natürlichen Seite kennen gelernt. Diese Beiden – besonders Dein Vater – imponirten mir so gewaltig daß in ihrer Gegenwart meine Art unwillkürlich etwas Nonnenhaftes annahm. Aber mit Dir, Du junges Ding, werde ich mir doch keinen Zwang anthun sollen?«

»Mein Vater war durchaus nicht, wofür Du ihn gehalten zu haben scheinst. Er konnte sehr heiter sein und hatte durchaus nichts Strenges an sich. Daß er Tugend und Ehre und strenge Pflichterfüllung hoch hielt —«

Dorina hob die Arme zum Himmel.

»Da haben wir‘s! Der reinste Moralpredigtstil. Es fehlt nur noch der »sittliche Ernst« und dergleichen mehr. Ich glaube, darin war Dein Vater groß.«

»Mein Vater war ein braver, edler Mensch,« entgegnete Eva in gekränktem Tone und wie bittend.

»Das bezweifle ich nicht, ich habe ihn sehr gern gehabt, dabei aber ein wenig mich vor ihm gefürchtet … Hoffentlich werde ich mich nicht auch vor Dir fürchten müssen, wenn Du etwa der zehn Jahre älteren Freundin gegenüber die Lehrmeisterin und Richterin herauskehren wolltest. Du kennst die Welt und die Menschen nicht, außer aus Büchern. Aus diesen hast Du Dir einen idealen Maßstab geholt, der auf das Leben, das wirkliche Leben, nicht paßt – merke Dir das.«

Fortan unterdrückte Eva jede Kritik, obschon Dorinas Benehmen und Aeußerungen ihr häufig zu einer solchen Anlaß geboten hätten. So oft sie etwas verletzte, rief sie sich jene Worte ins Gedächtniß: »Dein idealer Maßstab paßt nicht auf das Leben.« Sollte denn das Leben wirklich so ganz anders – um so Vieles schlechter, niedriger, würdeloser sein als die Vorstellung, die sie sich davon gemacht? … Nein, nimmermehr! tröstete sie sich … Es gibt nur verschiedene Menschen. Dorina war ein gutes, angenehmes Ding – nur ein wenig frivol; der Oberst ein heftiger, unliebenswürdiger Charakter; die Leute, die im Hause verkehrten, meist unbedeutende, schwunglose, enggeistige Geschöpfe – aber die Welt barg doch große Seelen und Herzen: dafür bürgten ihr ihr Schiller und ihr Shakespeare. Gewaltige Erlebnisse gab es, erhabene Ziele … und vor Allem: Liebe … ach, wann sollte für sie die Stunde schlagen, wo sie auf den Schwingen dieses herrlichen Gefühls zu den lichtesten Lebenshöhen gehoben würde?

Indessen verlief die tägliche Existenz ziemlich prosaisch und inhaltslos. Die Gewohnheitsgäste des Hauses Borowetz erschienen dem jungen Mädchen recht uninteressant. Die Frauen sprachen immer nur von häuslichen Dingen: Dienstbotenkreuz, Kindererziehung oder – wenn sie vornehm waren – von Toiletten: die Herren unterhielten sich mit Jagdgeschichten und – je nach ihrem Stande – von Regiments- oder Büreauangelegenheiten. Aber auch diese Gespräche gaben sie so bald als möglich auf, um sich an die Whisttische zu setzen.

Junge, elegante Offiziere, welche wohl gern das Haus besucht hätten, um der schönen Oberstin zu huldigen, wurden von dem grimmigen Obersten ferngehalten. Dennoch hieß es – selbst Eva, die es natürlich nicht glaubte, war das Gerücht zu Ohren gekommen – dennoch hieß es, daß die fesche Dorina mitunter Gelegenheit gefunden, Liebschaften anzuknüpfen. Selber konnte Eva nichts bemerken, was solchen Verdacht begründet hätte. Unter den Besuchern des Hauses war keiner, den Dorina mehr auszeichnete als die andern, und keiner, der einer solchen Auszeichnung werth erschien. Freilich war Eva nicht immer an Dorinas Seite. Diese besuchte Kasino-Bälle, machte Piknik-Ausflüge zu Wagen und zu Pferde mit, an welchen Vergnügungen Eva, so früh nach dem Tode der Mutter, unmöglich theilnehmen konnte, noch wollte. Im Ganzen war es ein ziemlich leeres und interesseloses Dasein.

Doch plötzlich, oder vielmehr nach und nach war dem jungen Mädchen das Leben dennoch interessant und inhaltsvoll erschienen. Es mochte wohl sechs Monate nach ihrer Ankunft in Krems sein. Seit einiger Zeit, regelmäßig um dieselbe Stunde, ritt an dem Hause ein junger Offizier vorbei, den sie einmal bei einem Abendempfang im Hause gesehen, und der ihr als Lieutenant Graf Siebeck vorgestellt worden war.

Anfänglich hatte sie auf dieses Vorüberreiten nicht geachtet; als aber eines Tages Dorina, welche neben ihr auf dem Balkon stand, bemerkte: »Ah, da höre ich den gewissen Trab – Dein Anbeter kommt,« da war sie aufmerksam geworden.

»Mein Anbeter? Was meinst Du?«

»Offenbar macht Dir der Siebeck Fensterparaden.«

Wie? sollte sich wirklich Jemand in sie verliebt haben? Unnatürlich wäre das eben nicht … Der Gedanke machte ihr Freude, und von nun an horchte sie selber um die bestimmte Stunde auf, ob der Laut des Pferdetrabes noch nicht zu vernehmen sei, und wenn sie denselben erkannte, begann ihr Herz zu klopfen.

Das erste Herzklopfen … Sie konnte es sich gar nicht erklären – warum dieses rasche Pochen? Aber wenn auch unerklärlich: angenehm war es sicher; und desto angenehmer, weil es unerklärlich war. Er grüßte herauf. Sie dankte und wurde roth dabei. Ja, offenbar Fensterparaden … Denn er ritt nicht nur einmal vorüber, wie wenn sein Weg zufällig an dem Hause vorüberführte, sondern nach einer Weile kehrte er um und kam ein zweites Mal daher, an den folgenden Tagen sogar drei- und viermal. Und jedesmal stellte sich dasselbe Herzklopfen ein, so bang und süß, so geheimnißvoll … Des Morgens, wenn sie erwacht, ist ihr erster Gedanke: Ob er heute wohl – — und Abends, ehe sie einschläft, trachtet sie sich jene Empfindung zurückzurufen, mit welcher sie durch das gewisse Herzklopfen bekannt geworden war. Die Folge davon ist, daß sie im Traum das Hufgeklapper hört, daß dabei dasselbe Bangen, welches in der Wirklichkeit sie erfaßt, nun in zehnfacher Stärke ihre Brust beengt.

Verliebt? War sie verliebt? … Sie wollte diese Idee abschütteln, ging es doch wider ihren Mädchenstolz, daß ihr Herz gar so leicht sollte erobert worden sein – durch bloßes Vorüberreiten eines nicht einmal besonders hübschen jungen Menschen! Da ging es in den englischen Romanen doch ganz anders her: wie schwer ward es da dem Helden meist gemacht »to woe and to win« – zu, werben und zu gewinnen. Freilich andere ihrer literarischen Erfahrungen wiesen auf Leidenschaften hin, die vom Himmel herabgefahrenen, wie der Blitz; von lebenslänglich dauernder Liebe, die in einer Sekunde – durch den Tausch eines Blickes – geboren ward. Hatte Romeo etwa jahrelang um Julie geworben? … Das Gefühl ist da – so viel war gewiß. Sie hatte es ja weder gerufen noch großzuziehen getrachtet; von außen war es über sie gekommen – die Offenbarung einer höheren Macht. Jetzt verstand sie erst den tiefen Sinn des mythologischen Amor mit seinen Pfeilen: ja, – von einem Gotte kam das Geschoß! Daß, dieser Gott Niemand anders als die Natur selber sei – das wußte sie nicht. Noch eine andere Erklärung legte sich Eva zurecht: vielleicht war es ihr Schicksal, das sich da zu verwirklichen begann – ihre »Bestimmung.« Daß die allnächtlichen Träume mithalfen, die neue Flamme anzufachen, dies schien ihr die Annahme zu bestätigen, es sei eine höhere, vorsätzlich wirkende Macht, welche über sie verfügte, denn Träume sind ja, der gewohnten naiven Auffassung gemäß, Kundgebungen, Eingebungen von Oben. Gegen das Gefühl ankämpfen? Nun, ein paar Male versuchte sie es wohl; aber genügende Kraft zum Kampfe hat man nur gegen das Unangenehme und Lästige; gegen das Süße und Freudenspendende läßt sich blos dann mit Erfolg kämpfen, wenn das Bewußtsein unabweislicher Pflicht dazu drängt. Aber welche Pflicht verletzte Eva, indem sie sich in einen jungen Mann verliebte, der ihr Fensterparaden machte? indem ihre Gedanken an dem Bilde Desjenigen hingen, dessen Gedanken sicherlich ebenso innig – und sehnsüchtiger noch – mit ihrem Bilde erfüllt waren?

Das einzige Beschämende war, daß sie sich sagen mußte: Du kennst ihn nicht, weißt nichts von den Eigenschaften seines Geistes und seines Gemüthes; weißt nicht, ob er auch so vornehm von Gesinnung ist, wie von Namen, ob sein Charakter so korrekt ist, wie sein Sitz im Sattel; kurz, ob er werth sei, von einem hingebenden, nach Idealen strebenden Mädchenherzen geliebt zu werden.

Doch auch diese Zweifel wurden aufgehoben. Eines Morgens erhielt Eva einen Blumenstrauß ins Haus geschickt. Von Siebeck ohne Zweifel. Die Blüthen dufteten ihr Dinge zu, die sie bisher noch nie vernommen. »Er liebt Dich! Er liebt Dich!« hauchten sie alle – besonders deutlich sagte das ein zwischen zwei Nelken verstecktes Kräutchen. Wenn sie das Gesicht in das Bouquet vergrub, was sie an diesem Tage wohl hundert Mal wiederholte, so suchte sie immer jene Stelle auf, wo das beredte Pflänzchen gar so eindringlich seine Liebesbotschaft ausströmte.

Zwei Tage darauf ein neuer Strauß und diesmal – es versetzte ihr einen süßerschütternden Schlag – schimmerte durch die Blätter ein Billetchen hervor. Mit erregungszitternden Händen entfaltete sie das Blatt: ein Liebesgedicht. Vier Strophen begeisterter Anbetung. Eva war in literarischen Dingen genug bewandert, um zu erkennen, daß das Gedicht ein echtes – das heißt aus keiner Sammlung herausgeschriebenes war, denn hier und da zeigten Reim und Rhythmus dilettantische Schwäche; doch die Gedanken waren voll zarter Poesie, die Gefühle voll edlen Feuers … Er war also werth, er verdiente geliebt zu werden – ; da fiel von ihrem Herzen die letzte beengende Klammer herab, und es weitete sich in dem Gefühle vollbewußter, nunmehr willkommen geheißener – erster Liebe.

In kurzer Zeit folgte ein zweites Gedicht und nach gleichem Zwischenraum ein drittes. Indessen, die Fensterparaden hatten aufgehört. Das war für Eva ein Verlust, denn ihn zu sehen war ja nunmehr ihr höchstes Glück – ; freilich jetzt, wo er sich schriftlich erklärt, bedurfte es dieser reitenden Huldigung nicht mehr. Doch warum kam er nicht ins Haus?

Eva lag mit sich im Kampfe: sollte sie sich ihrer Cousine Dorina anvertrauen? Einestheils lechzte sie darnach, von dem zu reden, wessen ihr Herz so voll war; anderntheils empfand sie ihr Geheimniß als einen Schatz, als ein Heiligthum, das durch etwaige spöttische Worte oder dergleichen nicht verletzt werden durfte, und Frau von Borowetz hatte so eine Art, Alles von der leichten, scherzhaften Seite aufzufassen.

Die anonymen Blumensträuße hatte Dorina wohl kommen gesehen und dieselben neckend kommentirt. Eva verrieth jedoch nicht, von wem sie glaubte – nein wußte —, daß sie geschickt wurden. Uebrigens war die junge Frau seit einiger Zeit sehr viel außer Hause, und wenn sie da war, so schien sie eigenthümlich zerstreut, als ob ihre Gedanken an ganz anderen Orten weilten. Das war Eva ganz recht, denn auch ihre Gedanken waren mit etwas Anderem ausgefüllt, und es war ihr lieb, daß sie nicht durch gleichgiltige Gespräche davon abgelenkt wurden. Sie erklärte sich Dorinens augenblicklich verändertes Wesen dahin, daß ihr der Gatte vielleicht wieder ein paar unangenehme Auftritte gemacht, und des Obersten Benehmen schien diese Annahme zu bestätigen: noch nie hatte sie ihn so übellaunig, so bärbeißig gesehen, wie in der letzten Zeit. Die arme Dorina! … Das war doch ein hartes Schicksal, so einen Mann zu haben. Warum hatte sie auch, ohne Liebe, nur um sich zu »versorgen«, diese unselige Wahl getroffen?

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
30 августа 2016
Объем:
280 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain