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Zwölf

Im Polizeipräsidium ging es zu wie in einem Wespennest. Die SOKO »Karl« bestand aus vierzig Frauen und Männern, die Zugriff auf die gesamten Ressourcen des Apparates hatten. Hochleistungscomputer und unschlagbare Software kamen ebenso zum Einsatz wie Kommunikationsmittel und das Internet. Die Entführung des Industriellen Karl Grothner hatte bundesweit oberste Priorität und würde, angesichts des gewaltigen Einsatzes, der betrieben wurde, schon bald zu Ende sein. So hatte es nur wenige Minuten gedauert, bis der Besitzer des gestohlenen Nummernschildes ermittelt worden war und eine Liste aller blauen Renault Mégane Kombi des entsprechenden Baujahrs vorlag. Streifenwagen waren ausgerückt, und als sich herausstellte, dass alle Fahrzeuge, die noch zugelassen waren, als Fluchtauto der Entführer nicht in Frage kamen, zeigte die Datenbank alle im letzten halben Jahr abgemeldeten Autos dieses Fabrikats an. Nach weniger als zwei Stunden saß der Schrotthändler, ein Mann namens Klaus Borkowski, in einem der Vernehmungszimmer und beteuerte, sich nicht an den Käufer des Autos erinnern zu können. Der Vorbesitzer des Renault wurde ebenfalls hergebracht und identifizierte das Fahrzeug als seinen alten, vor Monaten abgemeldeten Kombi. Die Beulen auf der Motorhaube hatte er zweifelsfrei erkannt. Die Fahndung aus der Luft hatte nichts gebracht, der Wagen blieb verschwunden. Das unscharfe Bild, das die Einsatzkamera des Streifenwagens aufgenommen hatte, wurde in die Gesichts-Erkennungs-Datei eingespeist, auch wenn nur das Kinn des Mannes zu sehen war, der das Auto gesteuert hatte. Doch hier war die Technik an ihre Grenzen gestoßen und der Gesichtsausschnitt konnte nicht zugeordnet werden. Sieben Stunden nach der Entführung stürmte ein Mitarbeiter in das Büro von Paul Gruhlich, der mit zerzaustem Haar und Schweißflecken unter den Armen gerade dabei war, dem Staatsanwalt noch einige Stunden Zeit abzuringen, bevor dieser vor die Presse trat, die das Präsidium seit Bekanntwerden der Entführung belagerte.

»Wir haben ... hören Sie ... wir haben noch keine belastbaren Erkenntnisse. Nein ... auch nicht ... ich bitte Sie lediglich ... lassen Sie uns ... ich melde mich doch, wenn ... ja ... und tschüss.« Gruhlich sah entgeistert auf sein Telefon.

»So ein Arsch, hat einfach aufgelegt. Was haben Sie? Sagen Sie mir, dass Sie was haben und ich falle hier vor Ihnen auf die Knie.« Gruhlich sah den Forensiker flehend an.

»Wir haben die DNA von einem der Täter isolieren können. Wir vermuten, dass er in dem Lastwagen geschlafen hat, den Kopf auf das Lenkrad gelegt. Der Typ hat gesabbert und wir haben eine erstklassige DNA-Probe von ihm.« Der Forensiker strahlte.

»Ja und? Mann, ich trete Ihnen die Hose in Flammen, wenn Sie mir nicht auf der Stelle sagen, ob Sie die DNA zuordnen konnten.« Gruhlich hatte keine Nerven für Spielchen und Verzögerungen.

»Der Mann heißt Marius Kleinhans. Mehrfach vorbestraft wegen Einbruchdiebstahls. Hat in Fuhlsbüttel gesessen. Alle Daten von ihm sind ins SOKO-Netzwerk eingespeist.«

Sofort griff Paul Gruhlich zu seiner Tastatur und rief die entsprechende Seite auf, ohne den Mann in seinem Büro länger zu beachten. Sekunden später sah er das gestochen scharfe Foto von Marius Kleinhans auf dem Bildschirm, von vorne, von rechts und von links aufgenommen. Bilder vom Erkennungsdienst. Kaum zwei Jahre alt.

»Das Kinn?« Gruhlich sah nicht einmal auf, als er das fragte.

»Unser Mann, kein Zweifel.«

»Sonst noch Spuren?«

»Im Kanal haben wir nichts gefunden. Im Laster jede Menge DNA und Fingerabdrücke, aber das meiste wird von den Bauarbeitern stammen. Kleinhans ist abgetaucht, seit er entlassen wurde. Hat nur Einbrüche begangen. So ein Ding zieht der nie im Leben alleine durch, schätze ich.« Der Forensiker sah Gruhlich fragend an.

»Wenn Sie was finden, sofort zu mir!« Der Chef der SOKO nickte dem Spurensicherer kurz zu, mehr konnte er als Lob derzeit nicht übermitteln. Gruhlich griff zum Telefon und informierte den Staatsanwalt. Nur zehn Minuten später war Marius Kleinhans zur Fahndung ausgeschrieben, sein Bild an den Presseverteiler gegangen und über fünfzig Beamte waren ausgeschwärmt, um jeden Verwandten und Bekannten, jeden, der mit Kleinhans jemals in Verbindung gestanden hatte, über dessen Aufenthaltsort zu befragen. Seine Festnahme war nur noch eine Frage der Zeit, dessen war sich Gruhlich sicher. Er wählte Gerald Picards Nummer.

»Sieht aus, als hätten wir einen der Täter. Komm bitte her. Kann sein, dass wir dein SEK schnell brauchen.« Gruhlich wartete die Antwort seines Freundes nicht ab und legte auf. Wenig später war Gerald eingetroffen und Gruhlich hatte ihn über den Sachstand informiert.

»Das ist doch ein Kleinkrimineller. Wie kommt der an so eine Sache? Ich meine, wenn ich ein Casting mache, um so ein Ding abzuziehen, dann wäre der Vogel der letzte, den ich mir ans Bein binden würde. Oder meinst du, die Russenmafia, oder wer immer dahinter steckt, nimmt so einen Havaristen ins Team? Einen, der auf das Lenkrad sabbert? Einen, von dem alle erkennungsdienstlichen Dinge polizeilich bekannt sind? Im Leben nicht, Paul.« Picard sah seinen Kollegen an.

»Du meinst, die haben ein Bauernopfer angeheuert? Damit wir uns an dem festbeißen, während die längst über alle Berge sind?« Enttäuschung schwang in Gruhlichs Stimme mit.

»Da verwette ich meine Eier drauf. Dieser Kleinhans ist ein kleiner Fisch, den sie uns zum Fraß vorwerfen. Was aber trotzdem bedeutet, dass wir ihn unbedingt kriegen müssen, falls der überhaupt noch lebt. Normalerweise gehen solche Leute kein Risiko ein. Naja, immerhin ein Anfang.«

Dreizehn

Klaus Borkowski war betrunken. Drei Stunden hatte er auf dem harten Stuhl im Vernehmungszimmer gesessen. Er konnte sich wirklich nicht erinnern, wer den Renault gekauft hatte.

»Zweihundert Euro für den Renault dahinten.« Er hatte damals kaum aufgesehen. Er hatte hinter seinem verschmierten Schreibtisch gesessen, der übersät war von öligen Blinkrelais und anderen Fahrzeugteilen, Papieren und Kaffeetassen. Es waren selten Leute auf dem Schrottplatz, um Teile zu kaufen, und er hatte seinen Schwanz rausgeholt und hatte sich einen gewichst, ein zerlesenes Pornoheftchen vor sich. Dann war plötzlich dieser Typ aufgetaucht, war einfach in das Büro marschiert und hatte ihm die Kohle auf den Tisch gelegt. Beim Onanieren erwischt zu werden ist das Schlimmste, was einem Mann passieren kann, und so hatte sich Klaus Borkowski ganz eng an den Schreibtisch gedrückt und den Kopf gesenkt, als studiere er die Bauweise eines Blinkerhebels. Ohne aufzublicken und seinen Kunden zu begrüßen, hatte er nur genickt.

»Schlüssel steckt.«

Der Typ war wieder verschwunden, hatte die Batterie des Renault angeklemmt und den Wagen tatsächlich starten können. Borkowski, der seinen, mittlerweile wieder geschrumpften, Penis wieder verstaut hatte, konnte durch das Fenster sehen, wie der Schrotthaufen von einem Renault den Platz verließ. Dabei hatte er den Mann sehen können, der hinter dem Lenkrad saß, aber diesen Sachverhalt den Bullen mitzuteilen, kam ihm nicht in den Sinn.

Er goss Rotwein in sein Wasserglas und trank es in einem Zug leer.

»Scheiß Bullen. Was habe ich mit dem Mist zu tun?«, lallte er in den Raum, der nach Schmieröl und Schweiß stank. Plötzlich flog die Tür auf und zwei Männer stürmten herein. Maskierte Männer. Einer griff ihm sofort an die Kehle, und bevor Klaus Borkowski begriff, was vorging, war seine Nase gebrochen und die rechte Schulter ausgekugelt. Nicht einmal die Zeit zum Schreien blieb ihm, denn der Angreifer hatte ihm mit der behandschuhten Hand den Mund und die Nase gleichzeitig zugehalten.

»Reden wir über deine letzten Verkäufe hier«, hörte er noch, bevor der Mann ihm das linke Ohr abschnitt und er in einem Meer aus Schmerz versank. Später redete er. Ohne Unterlass. Danach starb er. Als die beiden Männer die Baracke des Schrottplatzbesitzers verließen, klingelte in der Hosentasche des Mannes, der Borkowski das Ohr abgeschnitten hatte, ein Handy. Er nahm das Gespräch an, nachdem er die Rufnummer auf dem Display erkannt hatte. »Ja?«

»Seid ihr schon auf dem Schrottplatz?«

»Ja, aber wir sind hier fertig. Haben aber nur eine Beschreibung von dem Kerl.« Die Stimme am anderen Ende der Leitung schwieg einige Sekunden. »Die Arbeit hättet ihr euch sparen können. Die Polizei hat den Mann schon identifiziert. Ich habe alle Daten von ihm hier. Seht zu, dass ihr da wegkommt und lasst den Schrotthändler in Ruhe, der bringt uns jetzt nichts mehr.«

»Der hat seine Ruhe.«

»Dann ist gut. Bis gleich.« Das Gespräch war beendet und die beiden Männer verließen den Schrottplatz, einer von ihnen grinsend.

Im Keller

Manchmal war es schon hell, wenn er aufwachte. Immer war dann die Flasche gefüllt und es gab zu Essen. Brot. Selten lag eine halbe Salatgurke in der Schale oder eine Möhre. In bestimmten Abständen fand er ein Stück Fleischwurst vor, das war dann immer ein besonderes Geschenk. Was ihm ganz und gar nicht behagte, war, dass er seine Notdurft hier im Keller verrichten musste. Mittlerweile gab es kaum noch eine Stelle auf dem Boden, die sauber war. Er fühlte sich sehr schmutzig. Den Gestank, den seine Hinterlassenschaften erzeugten, nahm er nicht mehr wahr. Er kannte es nicht anders, und so hatte er sich damit abgefunden. Seine Versuche, Kontakt mit demjenigen aufzunehmen, der ihn hier unten eingesperrt hatte, blieben stets erfolglos. Er aß, er trank, er erleichterte sich. Dazwischen schlief er. Und wenn er nicht schlief, lag er mit geschlossenen Augen auf seiner Pritsche und versuchte herauszufinden, wer er war. Doch da gab es nichts, was ihm einfiel. Manchmal sah er Gesichter. Doch die lösten bei ihm nichts aus. Er hatte einen immer wiederkehrenden Traum. Da war ein Tannenbaum. Woher er wusste, dass es ein Tannenbaum war, konnte er nicht sagen, doch es war einer und somit war alles gut. Bunte Kugeln hingen an dem Baum und oben auf der Spitze glänzte ein goldener Stern. Bunte Pakete waren unter den Baum gelegt worden und alle diese Geschenke waren für ihn. Das wusste er. Seine Pakete und Päckchen. Doch immer, wenn er im Traum diese wunderschönen bunten Geschenke auspacken wollte, geschah dasselbe. Es war nie etwas darin. Sie bestanden nur aus dem Geschenkpapier. Waren sie vor dem Auspacken noch schwer und fest, blieb zum Schluss nur das Einwickelpapier übrig. Das machte ihn sehr traurig und er dachte, dass ihn doch jeden Tag aufs Neue jemand beschenkte. Brot, Wasser und manchmal Fleischwurst. Und den Anzug, den er trug. Und die Socken, die allerdings mittlerweile sehr dreckig waren. Wenn er den Geschenketraum hatte, wachte er jedes Mal traurig auf. Ihm war, als wäre da noch jemand in seinem Traum gewesen. Aber dieser Jemand war nie zu sehen. Als stünde er oder sie hinter ihm. Dieser Jemand musste den Baum geschmückt und die Geschenke vorbereitet haben. Betrügergeschenke, die nur Vorfreude erzeugten, die dann aber sofort in Enttäuschung umschlug. Er fühlte, dass dieser Jemand ihn liebhaben musste, wenn er sich solche Mühe machte mit dem Baum und den bunten Päckchen. Und ihn hassen musste, denn immer war die Enttäuschung, die Demütigung, nichts geschenkt zu bekommen, das viel intensivere Gefühl. Und natürlich war das Absicht. Dieser Jemand wollte, dass er sich so fühlte. Der war böse. Anders als derjenige, der ihn hier festgekettet hatte. Dessen Geschenke waren real. Brot, Wasser, der Anzug. Und manchmal eine Möhre.

Wenn das Licht an war, sah er oft seine Hände an. Seine Arme. Er zog sich aus und betrachtete seinen Körper. Das war ER. ER. Die Fußnägel waren zu lang und alles an seinem Körper war schmutzig. Aber das war ER. Aber wer war ER? Nur dieser Körper? Warum war ER nur dieser Körper? Es war für ihn intuitiv klar, dass ER noch mehr war, denn sonst hätte er nicht diese Erinnerungen. Auch wenn er die Gesichter nicht kannte, an die er sich manchmal erinnern konnte, so konnten sie doch nur deshalb in seinem Gedächtnis sein, weil er sie irgendwann wirklich gesehen hatte. Wenn er doch nur wüsste, wie sein Gesicht aussah. Vielleicht würde er dann wissen, wer ER war? Das waren dann die Momente, in denen er nach dem Menschen rief, der ihn hier gefangen hielt. Sein Sprachvermögen war zurückgekehrt und mittlerweile konnte er wieder sinnvolle Sätze bilden. Diese Entwicklung hatte er nicht bewusst wahrgenommen. Für ihn waren alle seine Worte sinnvoll und entsprachen genau dem, was er sagen wollte.

»Hallo? Ist da jemand? So komm doch her! Sag mir, wer ich bin und warum ich hier bin. Ich habe kein Wasser mehr, kann ich noch welches bekommen? Halloooo? Ist denn niemand da?« Stets blieb sein Rufen scheinbar ungehört. Und die temporäre Demenz, die er durch sein Hirntrauma erlitten hatte, mutierte in den Tagen und Wochen seiner Anwesenheit im Keller zu einer ausgewachsenen Psychose. Wahnhaft und von tiefsten Depressionen geprägt, vegetierte er in den Tag hinein. Die Substanz in dem Wasser tat ihr Übriges, um seinen geistigen Zustand noch zu verschlimmern. Er begann in den wenigen Stunden, in denen er nicht schlief, seine fehlende Erinnerung durch Fantasie-Szenen zu ersetzen.. In Ermangelung äußerer Reize schuf er sich eine eigene, völlig abstrakte Welt. Platzende Geschenke, Mondgesichter und Fleischwurst. Das Geräusch der Kette, dieses matte Klimpern, spielte stets eine Rolle, denn es war das einzige Geräusch, das immer präsent war. Bei jeder noch so kleinen Bewegung erzeugte die Kette dieses Geräusch. Er sprach stundenlang mit sich selbst. Nicht zitierfähiges, wirres Zeug von buntem Papier, kreischenden Katzen, der Kette und dem Brot. Der Pfützen und Kothaufen. Einmal war er aufgewacht und vernahm ein neues, aufregendes Geräusch. Ein Summen. Periodisch an- und abschwellend. Dann kurze Pausen und wieder das Summen. Mal hier, mal dort. Es war dunkel. Plötzlich, völlig unerwartet, eine Berührung in seinem Gesicht. Er erschrak, und die Berührung war zu Ende. Als er das nächste Mal im Gesicht berührt wurde, zwang er sich, still liegen zu bleiben, und er konnte fühlen, wie der Reiz, der seine Gefühlsnerven so zum Vibrieren brachte, in seinem Gesicht umherwanderte. Manchmal verharrte er an einer Stelle, seinem Mundwinkel oder unterhalb seiner Nase. Dann war das Gefühl so intensiv, dass er es nicht ertragen konnte und er sich bewegte. Sofort war der Reiz fort und verwandelte sich in dieses Summen.

»Komm doch zurück. Komm her zu mir. Fass mich an.« Doch die Fliege, die sich in den Keller verirrt hatte, fand lukrativere Stellen innerhalb des Kellers, und als er das nächste Mal erwachte, war sie fort. Nicht jedoch, ohne ihre Eier in die unappetitlichen Haufen im Keller gelegt zu haben. Er hatte auf diese Weise sehr viele Mitbewohner bekommen, wie sich später herausstellte. Bald spürte er deren Berührungen nicht mehr, und auch das Summen wurde von seiner selektiven Wahrnehmung ausgeblendet. Wie das Rasseln der Kette.

Vierzehn

Marius hatte seinem unfreiwilligen Gast eine Waschschüssel in den Keller gestellt, damit dieser sich das Blut aus dem Gesicht waschen konnte. Grothner hatte noch immer auf der Pritsche gesessen und ihn nur musternd angesehen. Als Marius die Treppe zum Kellereingang hinaufstieg, sagte Grothner nur ein Wort.

»Drei.« Marius hatte sich auf der Treppe umgedreht und blickte durch das heruntergeklappte Visier des Motorradhelms zu Karl Grothner hinab.

»Was, drei?«

»Frank Minor hat drei Kinder. Eines ist erst zwei Jahre alt. Mit dem Großen fuhr er immer an den Bliestersee, um dort zu Angeln. Die verstanden sich prächtig. Einmal hat Minor den Wagen heimlich mit nach Hause genommen und seine Kinder damit herumgefahren. Ich habe ihn trotzdem nicht entlassen. Er ahnte nie, dass ich das wusste, noch bevor er den Mercedes zurückbrachte. War ein guter Mann, der Frank Minor.«

»Wovon reden Sie? Ich kenne keinen Frank Minor«, presste Marius unter dem Helm hervor.

»Doch, kennen Sie. Sie haben ihn getötet. Ich sah sein Gehirn an mir vorbeifliegen.« Grothner lächelte sein grausames Lächeln.

»Soll ich Ihnen was verraten? Ich habe wirklich Respekt vor Ihnen. Sie haben mich in Ihrem Keller eingesperrt. Gratulation. Sie haben dafür einen guten Menschen getötet. Musste bestimmt sein. Kollateralschaden nennt man das. Rechnen Sie die Kinder von Minor dazu, denn der Tod ihres Vaters wird ihr Leben verändern, und sicher nicht zum Guten.« Grothner lehnte sich zurück und stützte sich auf seinen Ellenbogen ab. Marius Kleinhans stand wie erstarrt auf der Treppe und sein Visier beschlug von innen. Er öffnete es und Grothner konnte sehen, dass sein Entführer unter seinem Helm schwitzte.

»Hören Sie, ich wollte das nicht. Konnte doch nicht ahnen, dass Ihre gepanzerte Karre so wenig Schutz bietet.« Seine Stimme hatte etwas Weinerliches, befand Grothner und setzte nach.

»Sie werden mit den Konsequenzen Ihres Handelns leben müssen. Und jetzt sage ich Ihnen noch einige Spielregeln und Fakten, die Sie eben nicht erwähnen konnten, weil ich es bin, der sie diktiert.« Marius unterbrach Karl mit zu schriller Stimme.

»Sie haben mir überhaupt keine Regeln vorzugeben. Sie sollten beten, dass Sie lebend aus der Sache hier herauskommen. Ich weiß genau, was ich tue. Halten Sie sich an das, was ich Ihnen gesagt habe, und alles wird gut.«

»Ach, wird es das? Für mich ganz sicher. Wie gut es allerdings für Sie ausgeht, bestimme einzig und alleine ich.« Grothner saß noch immer zurückgelehnt und scheinbar in sich ruhend auf der schmalen Liege.

»Ich habe so einen Fall vorhergesehen und entsprechende Anweisungen erteilt. Anweisungen, die weit über das hinausgehen, was der Staat mit Ihnen veranstalten wird, sobald man Sie gefasst hat. Wollen Sie wissen, was ich angeordnet habe?« Nun beugte er sich vor, legte seine Unterarme auf die Knie und sah zu Marius empor. Trotz des Blutes im Gesicht wirkte er auf Marius eher amüsiert als ängstlich. Die Sache lief ganz und gar nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Er hatte das Gefühl, ihm würde etwas entgleiten, als würde Grothner ihm etwas aus der Hand ringen. Er beschloss, sich von Grothner fernzuhalten und kein Wort mehr mit ihm zu wechseln, wenn er erst einmal aus diesem Keller heraus war.

»Sagen Sie, was Sie meinen sagen zu müssen, und danach rate ich Ihnen, den Mund nur noch aufzumachen, wenn ich Sie etwas frage, verstanden?« Marius hatte sich Mühe gegeben, seine Stimme kalt und beherrscht klingen zu lassen, aber durch den Helm klang sie gedämpft, als spräche er mit einem Taschentuch im Mund.

»Neben der Polizei sucht eine Gruppe von Männern nach Ihnen, die in meinem Auftrag handeln. In dem Moment, in dem Sie Ihre Show abgezogen haben, wurden sie bereits aktiv. Glauben Sie mir, die haben ihre Verbindungen zur Polizei, und sie bekommen alles von dem mit, was bei den Ermittlern vorgeht. Diese Männer sind keine gesetzestreuen Bürger. Ich habe sie gekauft, weil sie jeden Weg gehen, um ihren Auftrag zu erfüllen. Wenn die Sie vor der Polizei finden, sind Sie ein toter Mann.« Grothner schwieg einige Sekunden, um die Worte wirken zu lassen.

»Ist die Polizei schneller, dann wird das, was Ihnen im Gefängnis so alles passieren wird, eng an das gekoppelt sein, was mit mir geschieht. Sterbe ich, sterben Sie. Behandeln Sie mich nicht so, wie ich es wünsche, kommen unbeschreibliche Dinge auf Sie zu, aber Sie werden leben, mehr oder weniger. Behandeln Sie mich gut, besser sehr gut, kann es sein, dass es mir reicht, Sie der Obhut der Staatsgewalt zu überlassen. Ihnen muss klar sein, dass Sie hiermit niemals durchkommen. Jemand wird Sie schnappen, alles andere ist Illusion. Sie bestimmen jetzt nur noch, wie es Ihnen danach ergeht. Haben Sie das verstanden?« Karl Grothner hatte in lautem, festem Ton gesprochen. Ohne Emotionen, als würde er einen Vortrag über Bilanzen oder Geschäftsabschlüsse halten. Dabei hatte er seinen Blick unablässig fest in die Augen des Entführers gebohrt. Er wirkte, als würde er in seinem Ledersessel hinter seinem Schreibtisch sitzen und nicht in diesem erbärmlichen Kellerloch. Marius hatte die Treppe wieder verlassen und stand nun vor ihm. Seine Hände schlossen und öffneten sich. Auch er starrte Grothner in die Augen. Schweiß rann ihm von der Stirn in die Augen. Die Hitze unter dem Motorradhelm kam ihm unerträglich vor. Sein Magen hatte sich zusammengezogen und fühlte sich an, als habe er glühende Kohlen darin. Er wollte wütend sein, er sollte hier der Mann sein, der das Sagen hatte. Er war der Täter, Grothner das Opfer. Nur stellte sich diese Wut nicht ein. Grothner bluffte. Das konnte nicht anders sein. Doch intuitiv spürte Marius, dass er diese Hoffnung gar nicht zu nähren brauchte. Und erst diese Erkenntnis brachte ihm die Wut, die er brauchte in diesem Moment.

»Einen Scheiß haben Sie. Einen Scheiß glaube ich Ihnen.« Er fasste Grothner an den Schultern und bemühte sich, ihm dort Schmerzen zuzufügen. Um ganz klar und deutlich zu zeigen, wer der Boss ist. Grothner sah in weiter ungerührt an und verzog keine Miene.

»Das Spiel ist also eröffnet. Sie belasten gerade Ihr Konto. Machen Sie weiter.« Grothner bleckte die Zähne und senkte die Mundwinkel.

»Sollten Sie nicht lieber Ihr Erpresserschreiben an den Mann bringen?«

Marius ließ ihn los, wandte sich um und stürmte die Treppe hinauf. Er schlug die Kellertür laut hinter sich zu und verschloss sie mit einer Kette, bevor er sich den Helm vom Kopf riss und ihn von sich schleuderte. Der Helm prallte gegen eine Fensterscheibe, die sofort zerbrach, und wurde von den von außen vor das Fenster genagelten Brettern aufgehalten.

»Scheiße, verdammtes Arschloch!«, brüllte er in die Leere der Räume. Mit der Faust schlug er gegen den bröseligen Putz der Dielenwand. Der Schmerz holte ihn zurück.

»Alles im Griff, du hast alles im Griff. Ja. Alles gut.« Der Typ im Keller konnte ihn mal. Den brauchte er nicht. Der bluffte, weil er die Hosen voll hatte. Aber in einem Punkt hatte er recht. Er musste nun den nächsten Schritt gehen. Er musste seine Bedingungen diktieren. Das war eine heikle Angelegenheit, denn in diesen technischen Zeiten konnte er unmöglich einfach beim Grothner-Konzern anrufen. Noch bevor er zur Nennung der Lösegeldhöhe gekommen wäre, würde man seinen Standort identifiziert haben. E-Mail und Computer konnte er auch nicht benutzen, auch hier ließe sich über die IP-Adresse die Herkunft ermitteln. Und selbst der klassische Brief konnte heutzutage jedem Briefkasten zugeordnet werden, in den er geworfen wurde. Das würde die Ermittler viel zu schnell auf seine Spur bringen. Er hatte sich entschlossen, in dieser Sache vollkommen unkonventionell vorzugehen. Er hatte bereits in der Vorbereitungszeit ein einziges Schreiben formuliert. Es würde keine weiteren Schreiben geben. Darin hatte er geschrieben, dass er weder verhandeln noch feilschen würde. Er setzte eine Frist von genau sieben Tagen, um das Lösegeld in Höhe von zehn Millionen Euro zu beschaffen und zur Verfügung zu halten, bis er mitteilte, wo und wie die Übergabe zu erfolgen hatte. Er hatte auf einem Flohmarkt eine alte Polaroid-Kamera erstanden und sich noch vor dem Kauf von deren Funktionsfähigkeit überzeugt. Sie musste ohnehin nur ein einziges Bild produzieren. Aber um dieses eine Foto zu schießen, musste er zurück in den Keller, zu ihm, und dazu fühlte er sich derzeit nicht in der Lage. Morgen, morgen war früh genug. Bis dahin würde Grothner wohl kaum verhungert oder verdurstet sein. Und sicher wäre er weniger herausfordernd, wenn er ohne Nahrung und Flüssigkeit die ersten vierundzwanzig Stunden hinter sich gebracht hatte. Alles gut. Er war der Boss.

Grothner hatte den Ausbruch seines Entführers in seinem Keller genau beobachtet. Und er wusste, was seine Worte bei dem Mann ausgelöst hatten. Nämlich genau das, was sie auslösen sollten. Er würde nun nicht mehr mit ihm sprechen. Erst mussten die Samenkörner, die er gepflanzt hatte, austreiben. Vierundzwanzig Stunden sollten reichen. Karl fand nach und nach Gefallen an dem Spiel.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
310 стр.
ISBN:
9783957770424
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