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Bernhard

»… und wollen Sie sie ehren, in guten wie in schlechten Tagen? Dann sprechen Sie ein deutliches Ja.«

Ich musste mich räuspern. »Ja«, sagte ich.

Magda

»… und wollen Sie ihn ehren, in guten wie in schlechten Tagen? Dann sprechen auch Sie ein deutliches Ja.«

»Ja«, flüsterte ich.

Bernhard

Der Ring. Jemand hielt mir das Kissen mit den Ringen hin. Ich nahm den kleineren. Dann Magdas Hand. Ich versuchte, ihr den Ring anzustecken. Nicht sehr geschickt. Sie zuckte ein wenig. Ich bekam den Ring nicht auf ihren Finger. Sie zuckte wieder. Den Ring hatte ich immer noch in der Hand.

Magda

Er hielt meine Hand wie den Flügel eines Schmetterlings. Ganz leicht, ganz sanft. Es kitzelte furchtbar, ich zuckte, ich konnte nicht anders. Prompt ließ er den Ring fallen. Das fängt ja gut an, dachte ich, aber innerlich musste ich lachen.

Bernhard

Ich weiß nicht mehr, wie viele Hände ich schüttelte. Wie viele Menschen ich umarmte. Magda, meine Frau, war jedenfalls nicht darunter. Sie schüttelte neben mir Hände. Und umarmte dieselben Menschen. »Viel Glück«, wünschten ihr alle. »Gratuliere zu so einer Frau«, sagten sie zu mir. Die Frau brauchte scheinbar Glück. Der Mann nur die richtige Frau.

Wir fuhren zur Feier ins Gasthaus. Wir hatten am Währinger Gürtel reserviert. Spätestens um Mitternacht wollten wir wieder verschwinden. Das hatten wir so vereinbart. Wir lassen die Feier Feier sein. Wir fahren hinaus in die Himmelstraße. Zu den Karaseks, wo sie wohnte. In die Hochzeitsnacht. Gehörte ja schließlich dazu zum Heiraten. Wie lange war es noch bis Mitternacht?

Magda

Bernhard nahm mich beiseite und sah mich bedeutungsvoll an. Ich wusste zuerst nicht, was er meinte. Er zeigte auf die Uhr. Es war erst zehn, aber er deutete zum Ausgang.

Als die Gäste mitbekamen, dass wir uns schon davonmachten, gab es ein Murren und Geschwätz.

Das geht doch nicht.

Wie unhöflich.

So was tut man nicht.

Wie peinlich.

Bernhard stand neben mir und lächelte. »Ihr könnt euch ja weiterhin gut unterhalten«, sagte er. Was genau wir machen wollten, sagten wir nicht. Aber alle wussten es.

Liebe.

Bernhard

Magda und ich stiegen ins Taxi. »Himmelstraße, in Döbling«, sagte ich zu dem Fahrer.

Artig wie Erstklässler saßen wir auf der Rückbank. Magda lehnte ihren Kopf an meine Schulter. Mehr nicht. Als wollten wir uns alles aufheben. Jede kleinste Berührung.

Es würde nicht das erste Mal sein. Schwanger, wie sie war. Aber es würde das erste Mal als Mann und Frau sein. Würde das einen Unterschied machen? Einen kurzen Moment lang überfiel mich eine Art Wehmut.

Nie wieder würde ich durchs Fenster bei Magda einsteigen müssen. Die Karaseks waren Künstler. Aber so künstlerisch war ihre Einstellung unserer Meinung nach auch wieder nicht, dass sie Männerbesuche ihrer Gesellschaftsdame im eigenen Haus geduldet hätten. Magdas Zimmer samt Bad und Küche lag im Erdgeschoß. Einmal hatte ich ein Stück der Mauer herausgeschlagen, als ich einstieg. Mit dem Fuß.

Jetzt war es mit den Heimlichkeiten vorbei. Jetzt waren wir sogar zum Vollzug verpflichtet. Der Gatte muss seinen Mann stehen. Die Ehefrau muss ihm zu Willen sein. So wird es bei uns nie werden, dachte ich. Wir haben vorher Liebe gemacht. Wir werden weiterhin Liebe machen. Jetzt ganz offiziell. Jetzt hatten wir die Erlaubnis der Kirche und des Staates.

Magda

Ich lehnte mich an Bernhard, an diese Schulter, die mir gerade offiziell zum Anlehnen zugesprochen worden war. Mir war, als wolle mir alles Mögliche durch den Kopf gehen, in Wahrheit war ich nur glücklich. Ich hätte ewig in diesem Taxi sitzen können, neben meinem Mann. Wie schnell das alles gegangen war. Wir fuhren die Billrothstraße entlang, wie vertraut das alles war, und doch so anders. Ich hatte jetzt einen neuen Nachnamen.

Im Heurigen-Stadtteil Grinzing schmetterten ein paar Betrunkene ein Wienerlied. Sie hatten sich um die Schultern gefasst und torkelten vom Gehsteig auf die Straße und wieder zurück. Der Text und die Melodie ersoffen im Wein, den sie in sich hatten. Bernhard und ich sahen uns an. Selbst dieses Ständchen gefiel uns.

Es war ungewohnt, als ich das Haustor aufsperrte und wir beide die Villa durch die Vordertür betraten. Keine Heimlichtuerei mehr. Ich war stolz. Ich wollte Bernhard die Tür aufhalten, aber so lief das nicht. Mit einem Schwung schnappte er mich, hob mich hoch und trug mich über die Schwelle.

»Ist zwar nicht unsere …«, sagte er, als er mich drinnen absetzen wollte. Sein »aber« blieb in der Luft hängen. Er hielt inne, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. Schließlich hob er mich wieder hoch und trug mich zur Tür meines Zimmers. »Das ist unsere Schwelle«, sagte er, schlug die Tür mit dem Fuß hinter sich zu und ließ mich aufs Bett sinken.

Bernhard

Was für eine Nacht. Was für ein Morgen. Was für ein Leben. Vorsichtig lugte die Sonne zum Fenster herein. Als wolle sie taktvoll nachsehen, ob wir mit unserem Liebesspiel schon fertig waren. So gesehen konnte sie sich gleich wieder verziehen. So gesehen brauchte sie es erst gar nicht noch einmal zu versuchen, denn damit würden wir nie fertig sein. Nie. Wie siegessicher man doch ist mit 20.

Wir starteten unser Eheleben mit einem fulminanten Frühstück. Fulminant bedeutete: zwei weiche Eier, zwei Kaisersemmeln, Orangensaft. Es war das erste Frühstück von vielen. Nicht immer so fulminant. Aber immer gemeinsam. Es war auch der Anfang unserer Flitterwochen. Unseres Flitterwochenendes, besser gesagt. Es war Samstagfrüh. Mehr als 48 Stunden hatten wir nicht. Danach würde der Rest unseres Lebens beginnen und damit der Kampf, wie meine Eltern das genannt hatten. »Heirate bloß nicht so früh«, hatten sie gesagt, »krieg nur kein Kind so jung.« So war es weitergegangen. Du wolltest doch studieren, Bub. Rechtswissenschaften. Weißt du nicht mehr? Etwas Besseres werden. Brav arbeiten untertags. Abendkurs und in der Nacht lernen. Da kannst du kein Kind brauchen. Das schreit in der Nacht. Eine Frau. Die das vielleicht nicht aushält. Die jungen Damen sind ja heute nicht mehr so. »So wie wir«, sollte das wohl heißen. Ihr könnt noch Kinder genug kriegen. Später. Es gibt ja Möglichkeiten …

Meine Eltern hatten nichts gegen Magda. Im Gegenteil. Sie wären zufrieden mit meiner Wahl gewesen. Wenn ich sie mit 25 getroffen hätte. Als fertiger Jurist. Nicht mit 20. Sie hielten Magda auch für eine gute Ehefrau. Eine Hausfrau. Eine Mutter. Doch sie trauten den neuen Zeiten nicht. Kalter Krieg. Freie Liebe. Krieg in Vietnam. Kulturrevolution in China. Hier ein Udo Jürgens mit »Merci, Chérie«. Dort ein langhaariger John Lennon, der von seiner Band behauptete: »Wir sind populärer als Jesus.« Schon dieser Name. Beatles. So etwas lief jetzt in ihrer Welt umher. Es war nicht mehr die ihre.

Ganz unrecht hatten sie auch nicht. Es war ein Kampf. Wir hatten keine Unterstützung. Von niemandem. Wie auch? Es hatte ja jeder seinen eigenen Kampf.

Ich studierte nicht. Ich arbeitete bei einer Baufirma im Büro, als Assistent des Prokuristen. Und hatte ein Kind. Fast wäre Magda gestorben bei der Geburt. Kaiserschnitt. Irgendetwas war mit dem Skalpell. Sie war danach ein paar Wochen sehr krank. Ich war verrückt vor Angst. Das schweißte uns noch mehr zusammen.

Irgendwann stellte sie sich dann doch ein. Die Normalität. Dann der Trott. Er begann erst nach vier, fünf Jahren. Als der Kampf ausgefochten war. Mit der Arbeit war es leicht damals. Es gab genug. Jeder konnte aus der einen Firma herausgehen und in die nächste hinein. Von der Baufirma wechselte ich zu einer Ölfirma. Es ging uns nicht schlecht. Wir wohnten in einer kleinen Wohnung am Margaretengürtel. Vater. Mutter. Kind. Simon.

Sex war nicht mehr das Wichtigste. Kleine Familien saugen ihn auf. Manchmal saugen sie ihn ganz auf. So schlimm war es bei uns nicht. Wir machten immer noch Liebe. Nur nicht mehr so oft. Und nicht mehr so intensiv.

Unser intensivstes erotisches Abenteuer dieser Zeit erlebten wir im Urlaub in Veli Lošinj. Am Meer. Damals Jugoslawien. Wir waren campen. Mit unserem Mini. Der Campingtisch passte gerade hinten rein. Ein Koffer drauf. Ein kleiner Klappsessel. Wir fuhren endlos. Dann machten wir Rast. Mitten in der Nacht. An der Raststätte. Wo genau, weiß ich nicht mehr. Wir dösten sofort ein. Der kleine Simon auf der Rückbank. Auf einmal fing das Auto zu schaukeln an.

Ich war in der Sekunde hellwach. Ich brauchte ein bisschen, um zu durchschauen, was da los war. Eine Frau saß auf unserer Kühlerhaube. Wie sahen ihren Rücken. Ein Mann stand zwischen ihren Beinen. Wir sahen alles undeutlich. Es war neblig, die Scheibe beschlagen. Es hatte geregnet. Der Mini bewegte sich im Rhythmus der beiden.

Wir verhielten uns still. Wir waren atemlos. Nur Simon wollte wissen, was da vor sich ging. »Nichts«, sagte ich, »schlaf weiter, alles ist gut.« Als die beiden weg waren, stieg ich aus. Ich sah nach, ob die Kühlerhaube eine Delle hatte. Unser intensivstes erotisches Abenteuer. Der Sex zweier Fremder.

Es war uns nicht einmal aufgefallen. Was ich nie für möglich gehalten hatte, war geschehen. Unser Liebesleben war Routine geworden. Wie siegessicher man sich doch irrt mit 20.


46 Jahre nach unserer Hochzeit
Magda

»Gute Nacht, Schatz.« Bernhard hauchte mir einen Kuss auf die Wange. Aus den Augenwinkeln sah er auf den Fernseher. Es lief Werbung. »Mach nicht zu lange«, sagte er.

»Gute Nacht«, sagte ich.

Er ging in unserem Haus auf Teneriffa nach oben, wo das Schlafzimmer lag. Ich streckte die Beine aus und machte es mir auf dem Sofa bequem. Ich liebte diese einsamen Stunden. Dabei liebte ich auch Bernhards Gesellschaft, nach wie vor. Seit 46 Jahren waren wir verheiratet, eigentlich unvorstellbar lange, und trotzdem noch immer glücklich. Ein Herz und eine Seele. Das war bei uns keine leere Floskel. Wir waren einander so verbunden, dass wir dem anderen meistens nicht einmal in die Augen sehen mussten, um zu wissen, was er dachte oder fühlte.

Die Leidenschaft war etwas in den Hintergrund getreten, das schon. Die Begierde wird eben bequem. Die Libido lümmelt irgendwann lieber herum, als sich auf etwas zu stürzen. Man merkt es nicht richtig. Unversehens hat man mehr Freude daran, am Abend auf dem Sofa alleine die Beine ausstrecken zu können, als sich in wildem Sex den Rücken zu verrenken. Ich stand auf und holte mir Chips aus der Küche.

Als ich zurückkam, lief Action im Fernsehen. Mir war jetzt nicht nach Schüssen und Verfolgungsjagden. Das Programm auf dem nächsten Sender war auch nicht viel besser. Polizisten stürmten ein Haus. Oder war es ein Lokal? Ja, es war ein Lokal. Eine Razzia. Schon wieder Gewalt und Geschrei. Doch dann änderte sich das Bild. Rückblende, die Ruhe vor dem Sturm, Bilder von dem Lokal vor der Razzia. Ich musste zweimal hinsehen. Die Menschen darin waren alle fast nackt.

Nackte Haut war längst kein Skandal mehr im Fernsehen, doch ebenfalls nichts, wonach mir jetzt war. Aber etwas an dieser Art von Nacktheit ließ mich, mit der Fernbedienung in der Hand, auf dem Sender bleiben. Hier nur ein paar hochhackige Schuhe, dort ein BH, der nichts verdeckte. Wenn schon Stoff, dann war er durchsichtig. Nicht nur Frauen zeigten, was sie hatten, auch Männer liefen ziemlich ohne alles umher. Dabei taten alle so, als wäre das ganz normal, als wären sie bei einer Vernissage, bei der man sich keine Bilder, sondern die anderen Gäste ansah. Alle bewegten sich dabei natürlich, saßen an Tischen, an einer Theke, sprachen miteinander, berührten einander, und das war kein Science-Fiction-Film mit dem Titel »Der nackte Planet« oder so. Es war real. Ich setzte mich auf dem Sofa ein Stück weiter auf.

Das Ganze kam mir vor wie so eine Art Indoor-FKK-Strand. Die Reporterin, die den Beitrag gestaltet hatte, nannte es einen Swingerklub. Aha, dachte ich, Swingerklub. Ich hatte das Wort schon gehört, mir aber noch nie überlegt, was damit gemeint war. Mit Foxtrott und dergleichen, wie ich einmal vermutet hatte, hatte es jedenfalls nichts zu tun, es wurde nicht getanzt, und außerdem wäre man dabei bekleidet gewesen.

Die Kamera lotste mich durch die Gänge des Klubs. Das Bild war etwas verwackelt, was ich normalerweise nicht leiden konnte. Handkamera, hatte mir Bernhard einmal erklärt. Wie auch immer, ich wurde davon seekrank. Nur jetzt störte es mich nicht. Ich sah einen Raum, der ein einziges Bett war, auf dem sich acht Pärchen rekelten. Acht mindestens.

Sie rekelten sich nicht nur. Ich setzte mich noch ein Stück auf, beugte mich vor, wie um genauer durch ein Schlüsselloch spähen zu können. Ein Blick durch ein Schlüsselloch, das traf es genau. Durch ein Schlüsselloch sieht man etwas, das nicht für fremde Augen bestimmt ist. Etwas Geheimes, Verbotenes, etwas Anrüchiges und möglicherweise Reizvolles. Aus der Sicht des Betrachters ist das der Nervenkitzel. Das war wohl genau der Effekt, den solche Reportagen haben sollten.

Ich sah, wie sich die Menschen berührten, wie sie sich streichelten, und das nicht an unverfänglichen Stellen wie dem Oberarm. Da verschwand schon einmal eine Hand aus dem Blickfeld, überdeckt von den unscharfen Flecken der Fernsehzensur. Sogar die Boulevardsender durften nicht alles zeigen. Deshalb hier ein Flimmerfleck, dort ein Flimmerfleck, aber gerade so, dass es nicht der Fantasie überlassen wurde, was hinter dem Flimmern geschah. Da ging es zur Sache, so drückte es die Reporterin aus. Gruppensex. Bis der Kreis zur Razzia sich schloss und die Polizisten das Etablissement stürmten.

Nach der Reportage ging ich hinaus auf unsere Terrasse. Es war fast ein Uhr, die Nachbarn im Haus links von uns schliefen. Ich hielt mich am Geländer fest und sah in die Ferne, auf den Atlantik. Ich liebte diesen Blick, deswegen hatten wir den Bungalow hier gekauft, etwas abseits der Küste, mit schönem Meerblick an drei Seiten und kleinen Palmen, riesigen Kakteen, Hibiskus, Aloe Vera und Strelitzien im Garten. Früher hatten wir unsere Urlaube hier verbracht, jetzt konnten wir es uns aussuchen, wann wir aus Wien hierherkamen. Meist taten wir das von Oktober bis Dezember, dann wieder von Januar bis März. Manchmal blieben wir auch über Weihnachten.

Der Himmel war sternenklar. Nachdem sich meine Augen an das Nachtschwarz gewöhnt hatten, konnte ich sogar ein Schiff in der Ferne erahnen. Unser Haus liegt nicht so nahe an der Küste, dass ich das Wasser rauschen hörte, aber ich konnte es riechen.

Ich atmete tief ein, denn ich war aufgewühlt. Der Bericht hatte etwas geweckt in mir, das ich fast schon vergessen hatte. Das Bedürfnis nach körperlicher Liebe. Das Bedürfnis nach Lusterlebnissen.

Es war nicht vorbei damit bei uns. Bernhard war gut in Schuss für sein Alter. Eher war ich es, die heute Migräne oder morgen Waschtag hatte, oder was es da noch so an Ausreden gab. Jetzt hatte ich weder das eine noch das andere. Ich ging hinauf ins Schlafzimmer.

Es war dunkel und ruhig im Raum. Bernhard lag ruhig da. Leise sagte ich seinen Namen. »Bernhard?« Nichts. Ich berührte seine Schulter. »Schatz?« Nichts. Ich lauschte auf seinen Atem. Absolut gleichmäßig.

Wie schade.


Bernhard

»Gestern habe ich eine Reportage über eine Razzia in einem Swingerklub gesehen.«

Es waren Magdas erste Worte an diesem Tag.

»Dir auch einen guten Morgen«, sagte ich.

Sie hatte eine Reportage gesehen, wiederholte sie. Über eine Razzia. In einem Swingerklub. Es schien irgendeine Bedeutung für sie zu haben. Der Tag fing spannend an.

Ich schlug die Decke etwas zurück und drehte mich zu ihr. Sie war schon ziemlich wach. Um die Razzia ging es ihr jedenfalls nicht, so viel war klar. »Weißt du überhaupt, was dort passiert? In so einem Swingerklub?«, fragte ich sie.

»Bis gestern wusste ich es nicht«, sagte sie. »Aber jetzt weiß ich es … auch nicht so genau.«

Sie schwang sich aus dem Bett und ging nach unten. Als ich ihr folgte, hatte sie den Frühstückstisch bereits gedeckt. Nicht auf der Terrasse. In der Früh war es um diese Jahreszeit zu kühl. Februar. 16, 17 Grad, mehr nicht. Heute wehte der Wind besonders frisch. Wir nahmen unser Frühstück im Wohnzimmer.

»Was ist?«, fragte Magda. »Warum siehst du mich so an?« Sie ließ das Messer sinken.

»Du bist irgendwie so …«

»So …?« Ihr Ton war aufreizend. Ihr Gesichtsausdruck keck.

»Sexy«, sagte ich. Vorsichtig. Um die Stimmung nicht zu zerstören. Solche Momente waren selten. Filigran. Konnten sich ändern. Ich hatte schon einige davon vertrieben, indem ich versucht hatte, sie festzuhalten und etwas aus ihnen zu machen. Es war immer wie Fliegenfangen gewesen. Man beeilte sich, schon waren sie weg.

»Sexy?«, fragte Magda. »So fühle ich mich auch. Warum auch nicht?«

Warum auch nicht? Gute Frage. Vielleicht weil das nicht mehr so oft vorkam. Nach 46 Jahren Ehe. Vielleicht weil wir manchmal beinahe wie Geschwister zusammenlebten. Vielleicht weil unsere Hormone anscheinend glaubten, dass das gesetzliche Pensionsalter auch für sie galt.

Magda saß wie gemalt vor mir. Die Ellbogen auf den Tisch gestützt. Rechts das Messer in der Hand. Links das Butterbrot. Vor ihr die Papaya, der frisch gepresste Orangensaft, Serrano-Schinken. Etwas ging ihr durch den Kopf. Das wusste ich. So gut kannte ich sie. Meistens wusste ich auch, was es war. Heute nicht. Nicht genau. Es hatte etwas mit dieser Reportage zu tun. So viel war klar.

»Ich habe eine Frage«, sagte sie.

Ich hob die Augenbrauen.

»Was genau passiert eigentlich in so einem Klub? Ich meine, alle sind fast nackt, jeder berührt jeden, aber anscheinend gehen alle zu zweit hin.«

Ihr Interesse schien nicht akademisch zu sein. Es schien konkret zu sein. Die Besucher gingen Hand in Hand in Swingerklubs. Liebespaare. Ehepaare. Menschen wie sie und ich. Sie verhielten sich normal, gewissermaßen bürgerlich. Trotzdem ging es um Sex. Das faszinierte sie anscheinend.

Ich wusste natürlich, was ein Swingerklub war. »Swingen heißt …« Ich räusperte mich. Die Worte spießten sich. Magda war einfach nicht der Typ für solche Themen. Schon Worte wie »Penis« fielen selten in unseren Unterhaltungen. »Also, es geht um Partnertausch«, sagte ich, »und um andere Dinge.«

»Was für Dinge?«

»Gruppensex.«

»Oh.«

»Tja.«

»Ich dachte es mir.«

Wir taten, als wäre das ein ganz normales Gespräch. Tatsache war: Nichts an diesem Gespräch war normal. Wir waren so, wie ältere Ehepaare eben sind. Jung gewesen in den Fünfzigern. Teenager in den frühen Sechzigern. Sofern man zu der Zeit überhaupt Teenager war. Damals waren junge Menschen Halbstarke. Wer kein Rebellen-Gen hatte, war bieder. Nicht ganz so bieder wie die Eltern. Aber doch noch. Man dachte anders. Das schon. Innerlich war man im Aufbruch. Doch man blieb äußerlich im Wesentlichen beim Alten. So vergingen die Jahre. Bis sich das Alte immer richtiger anfühlte.

Unsere Generation sprach nicht über Sex. Schon gar nicht offen. Ein Durchschnittsehepaar unserer Generation hat diesbezüglich wohl auch nicht viel zu besprechen. Aufbau der Existenz. Ja. Erziehung der Kinder. Sicher. Das waren die Hauptthemen. Hätte man über Sex geredet, es hätte sich ziemlich öd angehört. Zumal nach ein paar Jahrzehnten Ehe. Sex war brav. Selten. Eher leidenschaftslos.

Doch, wir hatten Sex. Das war vielleicht schon mehr, als manche andere Paare sagen konnten. Unsere Ehe war gut. Sie war besser als alles, was wir in der Richtung kannten. Rundherum. Wir hatten uns im Laufe der Zeit nicht auseinandergelebt. Im Gegenteil. Wo der eine anfing, wo der andere aufhörte. Wir wussten es nicht mehr genau. Unsere Lebenslinien verliefen nicht parallel. Sie waren zu einem Strang geworden.

Es hatte Versuche gegeben. In unserer wilden Zeit. Ich hatte Bücher über Tantra gelesen. Mehrere. Ich hatte mich dafür interessiert. Für die Methoden, die sexuelle Lust zu steigern. Hängen geblieben war die genaue Reihenfolge der kurzen und der langen Stöße. Die kurzen gehen nur fünf Zentimeter hinein und erregen trotzdem genauso wie die langen. Magda hatte das Mathematik genannt. Sie war sich vorgekommen wie ein Objekt. Dann hatte sie gemerkt, dass es funktioniert. Unser Sex-Fundus bestand aus dem damals – als wir jung waren – Üblichen plus der Tantra-Reihenfolge der kurzen und langen Stöße.

Seitensprung war bei uns kein Thema. Weder bei Magda noch bei mir. Undenkbar. Ging gar nicht. Gefühlsmäßig. Swingerklub? Wir beide. Nicht einmal ein Gedanke. Oder ein Gedanke vielleicht schon, aber ein stiller. Ein heimlicher. Ein unaussprechlicher.

Magda schwieg. Es war, als könnte ich hinter ihre Stirn sehen. Wie es rotierte. Wie die Neugier mit dem Anstand kämpfte. Ja, es war Neugier. Warum auf einmal?

»Partnertausch?«, fragte sie. »Käme für mich nicht infrage.«

»Muss es auch nicht«, sagte ich.

Eine Zeit lang war sie still. »Muss es auch nicht?«, fragte sie nach einer Weile. »Wie meinst du das eigentlich?«

»Dass dich niemand in einen Swingerklub schleppen will«, sagte ich. »Ich jedenfalls nicht.«

»Das will ich hoffen«, sagte sie.

Etwas in diesem Satz klang, als wäre sie ein kleines bisschen enttäuscht.

»Wenn es dich wirklich interessiert, können wir einmal hingehen und zusehen«, sagte ich.

»Wie?«

»Hingehen. Zusehen. Herausfinden, was passiert. Nur so.«

»Nur so?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich dachte, es hätte dich interessiert. Wegen der Reportage. Aber egal.«

Sie dachte wieder eine Weile nach. »Es könnte etwas passieren«, sagte sie schließlich.

»Was soll geschehen?«

»Was dort eben so geschieht.«

Ich fasste mir ein Herz und stand auf. Intuitiv, weil ich das Gefühl hatte, dass vielleicht etwas in Bewegung kam, und Bewegung war immer gut. Ich ging um den Tisch herum. Ich war noch im Morgenmantel. Vor ihr blieb ich stehen. Ich öffnete leicht den Mantel. »Schau, was passiert ist«, sagte ich. »Nur vom Reden.«

»Nur vom Reden«, wiederholte Magda. Durchaus beeindruckt.

Das war der Anfang unserer erotischen Frühstücksgespräche.

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