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3.

Die Stelle als Briefträger war eine der besseren, die ich gehabt habe. Mir war nicht so malerisch zumute wie bei Bukowski, aber es war gut, weil du die meiste Zeit allein bist. Niemand kontrolliert dich, du kontrollierst niemand. Du kommst gegen halb sechs Uhr morgens in die Sentralpost. Dort wartet auf dich schon ein Haufen Briefe, Ansichtskarten, Reklamezettel, dieses oder jenes Paket, amtliche Umschläge im A4-Format, mittwochs und freitags die Gratiszeitung Osloposten.

Du sortierst die Sendungen, legst sie in Fächer, nach Straßen, Hauseingängen, Hofeinfahrten, Stockwerken, Wohnungen, Büros. Das dauert bis acht, spätestens bis halb neun. Dann gehst du los und hast die ganze Post spätestens bis halb zwei zu verteilen. Meine Route lag im Zentrum von Oslo, sie umfasste mehrere Straßen, sechshundert Haushalte, an die dreißig Firmen und Geschäfte, eine Kirche und ein Hospiz beziehungsweise eine Pension für Drogenabhängige. Der Typ, der mir zwei Wochen lang den Job beibringen sollte, hatte auf dieser Route zwanzig Jahre gearbeitet. Bald würde er aufhören, Post auszutragen, denn er war schon zu alt, um so große Taschen zu schleppen und dazu noch den Wagen durch den Schnee zu schieben. Er würde in die Postkontrolle wechseln und dort auf seine Pension warten. Den ersten Tag, den ich mit ihm ging, lief alles wie geschmiert. Er arbeitete und erklärte, und ich nickte.

Am zweiten Tag erschien er nicht zur Arbeit. Er hatte sich krank gemeldet. Ich fing an, die Postsendungen zu sortieren. Das ist leicht, wenn du ein und dieselbe Route zwanzig Jahre gehst und alles auswendig weißt. Wenn du es nicht weißt, musst du ein Notizbuch zu Hilfe nehmen, in das alle Personen und alle Adressen eingetragen werden, wenn jemand zuzieht oder wegzieht, stirbt oder geboren wird. Der Typ, der mich in die Arbeit einführen sollte, hatte in dieses Notizbuch in den letzten zehn Jahren keinen einzigen Buchstaben eingetragen. Ich kehrte von der Auslieferung um fünf Uhr nachmittags zurück. Die Hälfte der Sendungen hatte ich nicht ausgeliefert, weil ich den Empfänger nicht gefunden hatte.

Als ich zur Sentralpost zurückkam, war nur noch der Portier da. Er sah mich, schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge. Er war gut fünfzig Jahre alt und hatte eine Rockabilly-Frisur, die er trug, seit Elvis aus dem Leim gegangen war. Die Glatze auf dem Hinterkopf war so augenscheinlich, dass man sie auch von vorne sah. Er fragte mich, ob ich ein Problem mit dem Lesen hätte, wenn ich so langsam sei.

Ich sagte, dass ich keines hätte. Er zeigte mir, wo ich die Briefe lassen solle, für die ich keinen Empfänger gefunden hatte. Ich musste sie auseinandersortieren.

Als ich nach Hause kam, machte ich mir etwas zu essen, und nachdem ich gegessen hatte, dachte ich, dass ich mir jetzt gern einen Joint anstecken würde.

XI
1.

Nach zwei Wochen gelang es mir endlich, die Post vor halb zwei auszutragen. Um zwei war ich mit dem roten Postwagen, in dem nur noch die fast leere Posttasche und drei leere Säcke mit dem Siegel der norwegischen Post lagen, wieder zurück. Mit den neuen Kollegen ging ich auf Bier und Pizza. Stumm schielten sie auf mein Stück mit dem Schinken. Als sie sahen, dass ich die Post vor halb zwei austragen kann, dass ich Schweinefleisch esse und Bier trinke, wurde ich einer von ihnen.

Die Woche über arbeitete ich, nach der Arbeit ging ich auf ein Bier oder schlenderte durch die Stadt. Dann ging ich nach Hause, machte mir etwas zu essen, schaute zusammen mit meinen Mitbewohnern einen Film, schlief, wachte um halb fünf auf und ging wieder zur Arbeit bei der Post. Freitags betranken wir uns zu Hause, und samstags gingen wir aus und betranken uns wieder. Egil legte jeden Samstag in einem Klub auf, weshalb ich umsonst hineinkam. Im Klub waren morgens um halb eins alle betrunken oder auf Speed. Egil beschleunigte den Rhythmus, und alle hüpften wie wild. Die Jungs näherten sich den schöneren Mädchen von hinten, und die wackelten mit nach hinten gestrecktem Po und versuchten die schwarzen Girls aus den amerikanischen Musikvideos nachzumachen. Heiße und weniger attraktive Mädchen machten aufgegeilte Jungs an. Um drei endete alles wie bei einer Razzia. Alle rannten raus, um ein Taxi zu erwischen, bevor sich eine kilometerlange Schlange gebildet hatte. Das machten in der Hauptsache die, denen es geglückt war, jemanden abzuschleppen. Die weniger Glücklichen gingen zu Fuß auf Kebab und Cola und dann nach Hause, torkelnd und unzufrieden herumbrüllend.

Sonntagmorgens zwischen drei und sieben ist Oslo die traurigste Stadt auf der Welt.

2.

Es vergingen mehrere regnerische und immer dunklere Wochen. Briefträger mögen keinen Regen, aber mich störte er nicht. Ich kam nass, durchgefroren und hungrig nach Hause. Es war ein wahrer Genuss, die nassen Sachen auszuziehen, heiß zu duschen, etwas Trockenes und Warmes anzuziehen, mir eine Bakalarsuppe zu machen, sie am Fenster zu schlürfen, hinauszusehen und nicht nachdenken zu müssen. Manchmal kochte Egil für uns beide, manchmal ich. Er beklagte sich in der Zeit zunehmend, dass er viel zu lernen habe und dass ihm der Regen schon auf den Keks gehe und er es kaum erwarten könne, dass es schneit und wir langlaufen können. Ich stimmte ihm zu, dass es wirklich höchste Zeit sei, dass es schneit. Dann hatten wir einander nichts mehr zu sagen, und jeder ging auf sein Zimmer. Man konnte sagen, dass sich Egil mehr mit Musik als mit Worten ausdrückte, sodass unser Miteinander sich im Großen und Ganzen darauf reduzierte, dass er auf Partys der DJ war und ich dazu tanzte. Manchmal, wenn es Schnee gab, gingen wir langlaufen. Wenn ich nicht arbeitete, auf einer Party abhing oder langlief, verbrachte ich meine Zeit mit Lesen. Manchmal versuchte ich auch zu schreiben, aber hauptsächlich lag ich auf dem Bett, rauchte Haschisch, hörte Musik und sah aus dem Fenster.

Ich musste oft daran denken, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ich auf meine Ex stoßen würde. Ich wusste nicht, ob ich sie überhaupt sehen wollte. Vielleicht war es das Beste, sie anzurufen, ein Treffen auszumachen, sich in einem Café zu sehen und eine halbe Stunde miteinander zu reden. Länger halte ich es in einer Kneipe nicht aus, ohne etwas zu trinken. Aber wenn ich anfange zu trinken, dann ist alles gelaufen. Was ist gelaufen? Alles. Warum also sollte ich mich überhaupt mit ihr treffen? Wir würden uns früher oder später sowieso begegnen, vielleicht wäre es besser, früher. Vielleicht. Vielleicht wäre es besser, nie. Wir bräuchten uns überhaupt nicht zu unterhalten; uns gegenseitig anzusehen würde reichen, dass uns leichter wird. Vermutlich würde uns leichter werden. Du weißt, dass es das nicht wird. Ein Wort von ihr genügt, um dich wütend zu machen, oder völlig fertig. Da ist es doch besser, wenn wir uns später treffen.

3.

Wir trafen uns Mitte Dezember. Es hatte gerade angefangen zu schneien. Dicke feuchte Flocken versprachen, dass der Schnee nicht auf den Gehsteigen der Stadt liegen bleiben würde. Aber in den Wäldern oberhalb von Oslo, in Nordmarka, lag der Schnee sicher schon einen halben Meter hoch. Ich war mit der Arbeit fertig und schlenderte durch die Stadt, schwebte fast durch die Schneeflocken. Ich hatte kein Ziel, ich konnte nur nicht an einem Ort sein. Dann kam ich auf die Idee, zum Friedhof hinaufzugehen, um Ibsen zu besuchen, und dann durch Grünerløkka nach Hause. An der Straßenbahnhaltestelle bei VG, unter der vorragenden Fassade des Gebäudes, stand sie. Vor ihr ein Kinderwagen. Das Kind, genau genommen noch ein Baby, war kaum zu sehen, es wurde von der Plane des Wagens verdeckt und war in einen Wollschal gewickelt. Auf dem Kopf hatte es eine Wollmütze, sodass von ihm nur seine blauen Augen zu sehen waren. Es brüllte, offenbar vor Wut. Als ich zu ihnen trat, um sie zu begrüßen, hörte es auf, begann zu schluchzen und mit dem Kopf hin und her zu wackeln.

Sie stand währenddessen ruhig da und sah nachdenklich vor sich hin. Als ich sie begrüßte, drehte sie den Kopf zu mir, lachte herzlich, kam näher und umarmte mich freundschaftlich.

Wir wechselten ein paar Sätze. Das Kind fing wieder an zu weinen, aber nicht mehr so laut, weil es sich schon etwas beruhigt hatte. Ich hatte so viele Fragen und wusste, dass ich die Antworten nicht würde ertragen können. Ich wollte sie fragen, wo sie wohnt, was sie tut, wie es ihr geht. Ich wollte sie fragen, wessen Kind das ist. Aber diese Frage konnte ich ihr jetzt und hier nicht stellen, nicht an der Straßenbahnhaltestelle vor dem VG-Gebäude, während der erste Schnee fällt und ihr und wer weiß wessen Kind im Wagen liegt und greint. Diese Fragen werde ich ihr nie und nirgends stellen können, denn wenn die Antworten nicht wehtäten, würde ich ihnen nicht glauben. Und wenn sie wehtäten, weiß ich nicht, ob ich mit ihnen leben könnte.

Sie fragte mich, ob ich es eilig hätte. Vielleicht könnten wir irgendwohin auf einen Kaffee oder Tee gehen? Ich hatte es nicht eilig. Ich stellte mir uns beide in einem Café vor, das weinende Kind neben uns, und das Gespräch, das wir führen würden, und die Fragen, die ich gern stellen würde, ihre Fragen, auf die ich nicht gern antworten würde, und den wahrscheinlichen Streit, den wir anzetteln würden. Und noch schlimmer, ich stellte mir vor, dass wir im Bett landen, dass wir uns wieder in ein vergiftetes Knäuel aus Liebe, Hass, Misstrauen, Leidenschaft und Eifersucht verstricken würden. Alles das sah ich vor mir. Ich sah alle unsere Möglichkeiten vor mir. Das war mein Problem. Ich glaubte, die Zukunft vorherzusehen, vor allem dann, wenn sie nicht glänzend zu sein versprach.

Ich sagte, ich hätte keine Zeit. Sie wandte sich dem Kind im Wagen zu und stellte mich vor, als würde sie zu einem erwachsenen Menschen sprechen. Die Kinderaugen waren rot vom Weinen, sahen mich aber an. Sie wickelte den Schal ab, damit ich sein Gesicht sehen konnte. Sie sagte, es sei ein Junge, sagte aber weder seinen Namen noch wie alt. Sie beugte sich hinunter, wischte sein verweintes Gesicht ab und hob ihn heraus. Sie hielt ihn mir hin, damit ich ihn besser sehe. Ich reichte ihm die Hand, und er ergriff meinen Finger. Sie lächelte von einem Ohr zum anderen und sagte:

– Ist er nicht süß?

Ich zog den Finger schnell zurück, und der kleine Junge fing wieder an zu weinen. Er sah mich an, und mir schien, als hätte er diese großen, glänzenden Augen vor gut dreißig Jahren von mir gestohlen und wollte sie mir jetzt zurückgeben. Sie versuchte, ihn mir in den Arm zu legen, aber ich wich erschrocken zurück. Ich sagte, sie solle damit aufhören. Sie sah mich an, kam wieder näher und fragte mich ganz verwundert:

– Aufhören? Womit … aufhören?

Ich rückte von ihr weg, wütend, aber ich konnte den Blick nicht von dem Jungen wenden, der nicht aufhörte zu weinen. Dann sah ich, dass sie lächelte, ich wandte mich ab und ging hastig die Straße hinunter, überall um mich herum waren Schneeflocken. Ich hörte sie etwas rufen, drehte mich noch einmal um und sah, wie sie dastand, das Kind in den Armen, wie sie rief, aber ich hörte es nicht mehr. Wieder wandte ich mich um und lief in die Dunkelheit hinein, in den Schnee.

Ich lief zum Friedhof, weil ich wusste, dass ich nur dort Ruhe finden würde.

XII
1.

Großvaters Hütte steht auf einer Anhöhe oberhalb einer schmalen Schotterstraße. Würde man diese Straße bergab in Richtung Norden gehen, dem Lauf des kleinen Flüsschens folgend, käme man zum Dorf M., wo ich mich mit dem Nötigsten versorge, dann zu noch einem Dorf und zu noch einem, um am Ende in die Save-Niederung zu gelangen, zu der Stadt, die auf der bosnischen Seite der Save liegt. Und würde man von der Hütte aus demselben Weg in die Gegenrichtung folgen, käme man zu einem Weiler, dessen unglückliches Schicksal es verdient, wenigstens flüchtig erwähnt zu werden. Hier endet die Straße.

Man weiß nicht genau, wann, aber die Bewohner des Dorfes M. sagen, es sei vor urlangen Zeiten gewesen, „zu Kulin Bans Zeiten“, da sei ein rumänisch-walachischer Stamm, oder zumindest ein Teil davon, an den Fuß des Majevica-Gebirges in Nordostbosnien gelangt. Dort seien sie geblieben und hätten ein kleines Dorf gegründet. Die Leute hätten sie Karawlachen genannt, was so viel wie Schwarze Wlachen bedeutet, und viele Unwissende hätten sie als Roma angesehen. Aber mit den bosnischen Roma, die sich ebenfalls in mehrere Stämme aufteilen, hatten die Karawlachen nicht viel gemein. Sie sprachen eine andere Sprache, sie bettelten nicht, sie gaben sich mit keiner Art Schmuggel ab. Was sie unterschied, war zudem die Tatsache, dass sie Ackerbau und Viehzucht trieben, wohingegen für die Roma Ackerbau der Sklaverei gleichkommt. Man muss auch erwähnen, dass die Karawlachen Orthodoxe waren, im Unterschied zur Mehrzahl der bosnischen Roma, die Muslime sind. In ihrem Dorf erbauten sie eine kleine Kirche, und hinter ihr wuchs nach und nach ein Friedhof. Ende der Siebzigerjahre bekamen sie auch eine Schule. Zdravko Čolić gab ein Benefizkonzert, von dessen Erlös Schulsachen und Bücher angeschafft wurden. Den Karawlachen half das aber nicht dabei, sich ihre Herdplätze zu erhalten, nach Hunderten von Jahren verließen sie sie in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts für immer.

2.

Als Junge kam ich mit Großvater und Mutter oft auf unsere „Ranch“, wir blieben dort immer für mehrere Tage. Die Karawlachinnen konnte man oft sehen, wie sie in ihren bis auf den Boden reichenden bunten Plisseeröcken zum Einkaufen stramm den Weg ins Dorf hinunter marschierten. Sie trugen in Schnecken gelegte Zöpfe an beiden Seiten des Kopfes. Darüber trugen sie Tücher in grellen Farben, Gelb, Orange und Rot, die sie im Nacken banden, wie Piraten. Sie hatten stets dicke Knotenstöcke über ihrer Schulter, an deren hinterem Ende ein dickes Bündel baumelte. Darin trugen sie ihre Erzeugnisse ins Dorf, und zurück kehrten sie mit Lebensmitteln beladen, die sie dort gekauft hatten. Manchmal führten sie auch Pferde mit. Die waren zwar klein, fast kleiner als Esel, aber doch Pferde. Die Mähne, dicht und schwarz glänzend, tadellos gestriegelt, reichte ihnen fast bis zu den Knien. Gewöhnlich trugen sie Saumsättel, die mit allen möglichen Dingen beladen waren, und manchmal konnte man sehen, wie die Karawlachinnen sie im Damensitz ritten, so wie Frauen reiten.

Die Männer sah man seltener, weil sie fast alle, wie man das damals nannte, „saisonal“ auf Arbeit in Deutschland waren. Sie trugen Hüte mit schmaler Krempe, hatten gezwirbelte Schnurrbärte und lange, spitz zulaufende Koteletten. Gewöhnlich trugen sie Anzüge, aber ohne Krawatten.

Wenn in Deutschland Feiertage waren, zu Weihnachten oder Ostern, wurde der Weg, der an der Hütte vorbeiführt, zu einer belebten Autostraße. Den ganzen Tag über, aber auch nachts, dröhnte ein Mercedes, Ford Taunus, Opel Rekord und Volkswagenkombi nach dem anderen vorbei, vollgepackt mit allen möglichen Waren aus Germanien. Die Karawlachen lebten so: Die Männer arbeiteten im Ausland und die Frauen hüteten das Haus und zogen die Kinder auf. Alle sprachen mindestens drei Sprachen: das muttersprachliche Karawlachische, Serbokroatisch, wie man damals unsere Sprache nannte, und Germanski, wie die Karawlachen es nannten. Aber in der praktischen Anwendung waren sie nicht konsequent und beschränkten sich nicht auf eine Sprache. In ein und demselben Satz wechselten sie, wenn sie es brauchten, alle drei Sprachen, und das mehrere Male, oft ohne selbst zu wissen, welcher sie sich bedienten.

3.

Unsere „Ranch“, diesen zerfurchten Acker von siebeneinhalb dulum, hatte mein Großvater von einem gewissen Ibrahim gekauft, einem Trunkenbold, dem Bruder von Onkel Mujo, Großvaters Kriegskamerad bei den Partisanen. Ibrahim hatte das Geld rasch vertrunken und war kurz darauf gestorben. Großvaters Kriegskamerad Mujo, der Bruder dieses Ibrahim, hatte seine Äcker und Lichtungen oberhalb unserer „Ranch“. Er war ein großer, kräftiger und gesunder alter Mann, immer heiter und zu einem Scherz aufgelegt. Er erzählte, wie es eines Sommers haufenweise Schlangen und alles mögliche Ungeziefer gegeben und er in dem Jahr siebzehn Hornvipern erschlagen habe. Ein paar Mal brachte er eine tote Schlange mit und zeigte sie uns. Einmal erzählte er, wie er ein Bündel Ruten geschultert und es bergauf getragen und dabei geschwitzt habe, wie er aber plötzlich im Nacken etwas Eisiges verspürt habe. Als er das Rutenbündel abgeworfen hatte, war eine Hornviper herausgekrochen gekommen.

– Ich ziehe sofort meine Axt, um sie mit dem flachen Stück zu erschlagen, aber ich konnte nicht. Du hast mir nichts getan, also tue ich dir auch nichts.

Er passte auf unser Anwesen auf, wenn wir nicht da waren, und oft half er Großvater und beriet ihn in vielen Dingen: wann die Pflaumen spritzen, wie sie gegen die Nager schützen, wann sie düngen, wann sie pflücken und wie Sliwowitz brennen.

Von den Karawlachen sagte er, das seien gute und ehrliche Leute, die er immer höflich grüße, und sie wünschten ihm einen „guten Tag“ oder ein „merhaba, Hausvater“, und er ihnen genauso zurück.

– Aber – gab er Großvater noch den Rat – ladet sie nicht zu euch ein, auf einen Kaffee oder zum Essen, sie könnten sich daran gewöhnen, und ihr hättet keine Ruhe mehr vor ihnen. Den ganzen Tag werden sie bei euch um die Hütte herum sitzen, sage ich euch.

Die Karawlachinnen saßen wirklich oft unterhalb der Hütte, wo der Bach fließt. Dieses Bächlein fließt durch unseren Acker und mündet in den Fluss, der sich zum Dorf hin schlängelt. Im Sommer, wenn Dürre herrschte, konnte sogar der Fluss trockenfallen, aber unser kleiner Bach führte immer Wasser. Er hieß bei uns „lebendiges Wasser“ und man konnte davon ohne Abkochen trinken. Großvater hatte ein Metallrohr angebracht, und so sah es aus wie ein Brunnen. Deshalb setzten sich die Karawlachinnen oft her zu einer Rast, labten sich am Wasser und setzten ihren Weg fort. Großvater störte das nicht, aber Mujo runzelte die Stirn. Er sagte, er habe einmal eine Karawlachin dabei erwischt, wie sie direkt neben dem Bach geschissen habe. Der Dreck habe noch gedampft, sagte er. Dann habe er sie gezwungen, ihren Dreck aufzusammeln, egal wie und womit. Sie habe mit weinerlicher Stimme gesagt: – Wie, Hausvater? Ich habe nichts, womit.

– Wie?! Was weiß ich, wie? Mit den Händen, da hast du, wie! – Und sie habe den Dreck auf den Händen weggetragen.

Es stimmte nicht, dass sie sich daran gewöhnt hätten wiederzukommen, wenn man sie nur einmal auf einen Kaffee einlud. Manchmal wollten sie gar nicht kommen, sie redeten sich heraus, dass sie es eilig hätten, obwohl sie es genau genommen nirgendwohin eilig hatten.

Die Karawlachinnen gingen langsam, gebeugt von der Last, ohne Kraft zu verschwenden, denn bis zum Dorf und zurück ist es weit, an die fünfzehn Kilometer. Wenn sie sich unserer Hütte näherten, grüßten sie schon von Weitem:

– Oh, Hausvater, einen guten Tag, merhaba, seid Ihr gesund?

Zu Majka sagten sie: – Wie geht es dir, hanuma, bist du früh auf den Beinen? Hört dein Kleiner auf dich?

Dann sagte Majka jedes Mal, dass ich ihr Enkel sei.

Großvater und Majka luden sie manchmal auf einen Kaffee ein, und meistens kamen sie auch, aber nicht immer. Sie setzten sich ein wenig hin, unterhielten sich darüber, wie die Pflaumenbäume trugen oder wie der Mais stand oder ob eine Dürre zu erwarten sei oder Überschwemmungen. Am Ende, beim Verabschieden, kamen dann alle einträchtig zu dem Schluss, dass die Gesundheit das Wichtigste sei.

Ich stand meistens daneben, hörte zu, was sie sagten, und nahm meinen ganzen Mut zusammen, um eine der Karawlachinnen zu fragen, ob ich auf ihrem Pferdchen reiten dürfe.

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