Читать книгу: «Wie 'Waltzing Matilda' Australien ins Leben rief»
Steffi Becker
Wie ‚Waltzing Matilda‘ Australien schuf
Eine lebhafte Spurensuche nach der Geschichte Down Unders
Impressum
ISBN 978-3-86408-139-2 (epub) // 978-3-86408-140-8 (pdf)
© Vergangenheitsverlag, 2012 – www.vergangenheitsverlag.de
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
Für meine Eltern, die nicht daran zweifeln, dass ihre Tochter irgendwann schon ihren Weg finden wird.
Für meine australische Seelenverwandte, die fast jeden Schritt auf roter Erde mit mir gemeinsam ging.
Und
für den einen Australier, der 16.000 Kilometer wie einen Katzensprung anfühlen lässt.
Inhalt
„Noch ein Reisebericht?!“
Vorwort
„Von Null an“
Australien für Einsteiger
„Wohin des Weges?“
Die Entdeckung des 5. Kontinents
„Aller Anfang ist schwer“
Die Anfänge als Strakolonie
„Ich bin dann mal weg“
Der Aufbruch der Pioniere
„Einer für alle, alle für Einen“
Die Föderation der Kolonien
„Lest we forget“
Die Bewährung in den Weltkriegen
„Men at Work“
Die Einwanderungsflut der Nachkriegsjahre
„God save the Queen“
Die Verbundenheit zum Mutterland
„Träum schön“
Das Verhältnis zu den Ureinwohnern
„I love a sunburnt country”
Nachwort
Quellen
„Noch ein Reisebericht?!“
Vorwort
Nein. Bestimmt nicht. Wer schon einmal wie ich in Australien herumgekurvt ist, weiß, dass es da draußen hunderte von Schreibwütigen gibt, die meinen, ihre Erlebnisse Gott und der Welt mitteilen zu müssen. Gerade Australien ist ein reinster Abenteuerspielplatz, wenn es um wahnwitzige Erfahrungen geht. Da kann ein Hobby-Tipper schon so einige Seiten mit füllen. Ein Blick bei Thalia oder Dussmann reicht aus, um das Land der Regenbogenschlange oder 100% Down Under zu erleben. Noch viel erschlagender ist das Internet. Wer will, kann wie auch immer, was auch immer und warum auch immer schreiben. Das alles nennt sich dann „Reise-Blog“ oder „Australien-Blog“ oder „Herman und Gertrude around the world“ – Blog. Versteht mich nicht falsch. In den Weiten des WWW lässt sich auch so mancher Beitrag von mir finden – auf Myspace genauer gesagt. Aber spätestens seit Facebook die soziale Netzwerkwelt erobert hat, surft dort eh keiner mehr herum.
Abb. 1: Einer der wenigen Momente, in denen ich mein Reisebuch füllte. Melbourne Airport.
Als mir die Frage durch den Kopf schoss, ob ich über meine Zeit in Australien schreiben wollte, kam die Antwort nur sehr schleppend – das geschieht bei mir gelegentlich. Während der zwölf Monate in diesem eigentlich unbeschreiblichen Land verfasste ich klägliche drei Blogs. Zwar trug ich eine Art Tagebuch mit mir herum, aber darin kritzelte ich eher aus Pflichtgefühl. Keine Ahnung, woran es lag – ich hatte in dieser Zeit kaum Lust, auch nur einen Tippfinger krumm zu machen. Freunde und Familie blieben also auf dem Trockenen und konnten sich nur mit Fotos zufrieden geben. Ich denke, die Auseinandersetzung mit dem Erlebten hat sich damals mehr in meinem Kopf abgespielt und wollte dort auch bleiben. Es gibt jene Momente, die man einfach nur mit sich selbst teilen möchte. Sicherlich gingen dadurch Erinnerungen verloren, die üblicherweise einen Reisebericht versüßen. Mein Gedächtnis war hoffnungslos geflutet. Allerdings hatten sich mir in der Zwischenzeit bereits ganz andere Ideen aufgetan.
Ich habe Geschichte studiert und würde es, wenn ich könnte, lebenslänglich tun. Aber das ist ein anderes Thema. Innerhalb der drei Universitätsjahre lief mir keine einzige Veranstaltung über den Weg, die sich mit der Vergangenheit Australiens auseinandersetzte. Nicht, dass ich damals danach gesucht hätte. Dafür war ich viel zu sehr in Martin Luther vertieft. Doch als ich den Australia Day – den australischen Nationalfeiertag – im Sommer 2011 miterlebte, begannen sich meine historisch veranlagten Fühler aufzurichten. Zu diesem Zeitpunkt lebte ich in einer Kleinstadt namens Sea Lake in Victoria. Am Morgen des 26. Januars, einem drückend heißen Tag, versammelten sich etwa drei Dutzend Einwohner im Park gegenüber dem Pub, meinem damaligen Arbeitsplatz. Sie aßen Burger, jawohl zum Frühstück, sangen die Nationalhymne und hissten die Flagge, ehe eine ehemalige Bürgerin der Stadt das Gedicht ‚My Country‘ von Dorothea Mackellar1 vortrug:
I love a sunburnt country,
A land of sweeping plains,
Of ragged mountain ranges,
Of droughts and flooding rains.
I love her far horizons,
I love her jewel-sea,
Her beauty and her terror -
The wide brown land for me!
Abb. 2: “The wide brown land for me!”, Outback, New South Wales.
Mit Gänsehaut bestückt, kamen meine Gedanken am Ende des Vortrages ins Rollen. Wer sind diese Australier eigentlich und was für eine Geschichte nistet in ihren Köpfen? Um die Antwort darauf zu finden, bedarf es wahrlich keines neuen Wälzers. Es ist ein Einfaches, in die Bibliothek zu gehen und ein Buch über Australiens Vergangenheit heraus zu fischen. Ach wo! Ich denke viel zu altmodisch. Tippe einfach die Worte „Geschichte Australien“ bei Google hinein und schon erklärt Wikipedia dir die Welt (und wie sie dir gefällt). Außerdem lag es mir fern, mich in die seriöse Feldforschung zu stürzen und neue Thesen über die australische Geschichtsschreibung aufzustellen. Die Idee meines Buches ist es vielmehr, die etwas zu kurz geratene Vergangenheit Down Unders dank eigener Eindrücke in die Welt hinaus zu tippen. Mal nachdenklicher, mal süffisanter, mal nüchterner. Diejenigen, die Bill Bryson und seine Bücher, vor allem „In a sunburned country“, kennen, wissen, was sie erwartet. Ein bisschen weniger Reiseinformation, ein wenig mehr Geschichtsinput.
Wer also bitteschön ist nun diese ‚Waltzing Matilda‘? Ihr werdet schon sehen bzw. lesen. Rod Stewart kommt in diesem Buch jedenfalls nicht vor.
1 Dorothea Mackellar, 1885-1968, war eine sehr erfolgreich schreibende australische Dichterin.
„Von Null an“
Australien für Einsteiger
Australien. Wohl ein Land wie kein anderes. Gut, letztendlich behauptet das jedes Land von sich. Aber nirgendwo sonst treffen auf Mutter Erde so viele Extreme aufeinander: der einzige Kontinent, der zugleich eine Nation und Insel ist, die geringste Bevölkerungsdichte, die älteste Landmasse, das flachste Land, der trockenste bewohnte Erdteil, die giftigsten Tiere ... Kein Wunder, dass die Engländer dieses andere Ende der Welt als einladende Alternative zu Gefängnis und Todesstrafe ansahen.
Abb. 3: Gefährliche Strandliebschaft. Cable Beach, Broome, Western Australia.
Doch bevor ich schon zu weit ins Thema vorstoße, hier zunächst ein paar Fakten:
Das Commonwealth of Australia, so der offizielle Titel, ist eine parlamentarische Monarchie und darf die britische Queen ihr Staatsoberhaupt nennen. Mit einer Gesamtfläche von 7,69 Millionen Quadratkilometern ist Australien der sechstgrößte Staat der Erde und schlappe 21 Mal größer als unser Heimatland. Wir hatten nur eine Mauer aus Beton zu überwinden, um uns nicht mehr einander fern zu fühlen. In Down Under sind es auch ohne Hürde und Stacheldraht 3.800 mal 4.000 Kilometer, die manchen Einheimischen daran hindern, jemals den Westen oder Osten seines Landes zu erleben. Bei solchen Ausmaßen scheint es umso rätselhafter, dass die Entdeckung der recht auslandenen Landmasse so ewig gedauert hat.
Anyway, wie die Australier sagen würden – bis heute fanden rund 23 Millionen Menschen aus aller Herren Länder ihr Zuhause auf dem Inselkontinent. Der überragende Anteil ist europäischer Herkunft, gefolgt von den Asiaten. So traurig es auch klingt – der indigene Anteil ist mit 2,4% leider kaum noch der Rede wert. 23 Millionen Einwohner, das bedeutet nicht mehr und nicht weniger als drei hausende Menschen pro Quadratkilometer. Über mangelnde räumliche Entfaltung kann sich hier wahrlich keiner beschweren. Obwohl. Wenn 92% von ihnen in den Städten leben, wird es mitunter schon einmal eng. Australien ist durch und durch urban. Gerade der Südosten des Landes sowie das Gebiet um Perth/Western Australia sind wahre Massenaufläufe. Selbst einem Großstadtberliner können diese Menschenherden nach Monaten im Busch schon einmal zu viel des Guten werden. Besagter Busch, oder das Outback, welches den größten Teil des Staates ausmacht, ist nämlich weitestgehend unbewohnt. Stundenlanges Fahren, ohne einer einzigen atmenden Seele zu begegnen. Außer man zählt Blöken und Muhen dazu – 74 Millionen Schafe und 27 Millionen Rinder müssen ja irgendwo weiden. Von den Mücken mal ganz abgesehen.
Sechs Bundesstaaten sowie zwei selbstverwaltete Territorien und kleine Inseln teilen das Land unter sich auf. Die Planhauptstadt Canberra wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts als räumlicher und politischer Kompromiss zwischen den Diven Melbourne und Sydney entworfen. Gelungen oder nicht, darüber streitet der Besucher noch heute. Worüber Eintracht herrscht, ist die Besonderheit der Natur. Seien es paradiesische Strände, wuchernde Tropen oder dürstende Wüsten, steile Küsten, staubiger Busch oder zerklüftete Gebirge – in Australien findet sich alles, was das Landschaftsherz begehrt. Abwechslungsreich ist auch das Klima. Zum Norden hin wird es tropisch, der Süden zeigt sich europäisch (Tasmanien ist ein zweites wettertechnisches England) und im Outback – da ist der Himmel sowieso meist immer blau und die Haut entweder schokobraun oder rot. Dürre, Überschwemmungen, Buschbrände und Zyklone sorgen schließlich für die jährliche klimatische Gefahrenzulage, was das Leben am unteren Ende der Welt betrifft.
Abb. 4: Water over Road. Manchmal bräuchte man wohl besser ein Schlauchboot statt ein Auto, um vorwärts zu kommen.
Australien blieb jahrtausendelang isoliert, sodass eine einzigartige Vielfalt der Flora und Fauna entstand. 85% der Pflanzenwelt kommt nur hier vor. Spinnen, Schlangen, Quallen, Haie und Krokodile bilden die bisweilen tödliche; Heuschrecken, Mücken, Fliegen und Mäuse die lästige und Kängurus, Koalas sowie Wombats die süße Tierwelt Down Unders.
12% des Landes sind zu Schutzzonen erklärt worden. Allein das sagenhafte Great Barrier Reef entlang der Ostküste bildet mit 345.000 Quadratkilometern einen riesigen Teil davon. Es gehört neben 18 weiteren Orten wie der Oper in Sydney und dem Kakadu Nationalpark im Northern Territory zum UNESCO Weltkultur- und naturerbe.1
Australiens „Tyrannei der Ferne“ ermöglichte Landschaften und Lebewesen aller Art eine völlig unbeherrschte Entwicklung – einschließlich der Aboriginals, den Ureinwohnern des Landes. Sie gelten als die älteste, noch lebende indigene Bevölkerung der Welt. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind ihre Vorfahren von Südostasien aus nach Australien gelangt, als der Meeresspiegel um einiges flacher war. Wann genau diese Migration stattfand, darüber ist sich die Forschung noch immer uneins. Ein Alter von 50.000 Jahren wird auf Grund anatomischer Funde weitestgehend akzeptiert. Keinerlei schriftliche Quellen, mit Ausnahme der Felsmalereien, berichten über die Ursprünge der Aboriginals. Sie kommunizieren nicht mit geschriebenen Worten, sondern durch Erzählungen, Gesang sowie Tanz – und das über Generationen hinweg. Im Mittelpunkt ihres Daseins steht die sogenannte Traumzeit. Sie ist so etwas wie eine alles lenkende Parallelwelt, welche den Kontinent erschuf und noch immer formt. In der Schlangen, Dingos und Hasenkängurus miteinander kämpften und ihre Spuren in der Landschaft hinterließen. Und deren Gegenwart die Lebensweise und Rituale der Ureinwohner bestimmt. Etwas schwulstig, ich weiß. Die Bibel erklärt sich einfacher.
Ehe ich mich allzu sehr in religiöser bzw. spiritueller Feinarbeit verliere, lassen wir die Geschichte des Kontinentes beginnen – nur wann und wo?
1 Für eventuell zukünftige Weltkulturerbe-Jagden in Australien siehe http://www.environment.gov.au/heritage/about/world/index.html.
„Wohin des Weges?“
Die Entdeckung des 5. Kontinents
Zum einem gäbe es da die Geschichte der besagten Aboriginals. In ihrer Weltanschauung existieren jedoch weder Vergangenheit, Gegenwart noch Zukunft. Das Träumen ist kontinuierlich, aber nicht chronologisch. Ein nie endender Kreis sozusagen – ohne Vor- oder Rückwärtsgang. Im eigentlichen Sinne fängt ihr „historisches Dasein“ erst an (und hört sarkastischer Weise auch beinahe zeitgleich wieder auf), als die andere, zweite Geschichte Australiens beginnt – die der europäischen Besiedlung.
Es war einmal vor unserer Zeit, da glaubte der Mensch, die Erde sei eine Scheibe. Da aber einfach kein Schiff über den Tellerrand kippen wollte, kam man zu der Erkenntnis, dass es sich wohl doch um eine Kugel handelt. Eine Kugel, die im Lot gehalten werden müsse. Nun lagen die bekannten Kontinente Europa, Afrika und Asien allesamt auf der nördlichen Hälfte. Also wird es wohl weiter unten eine andere große Landmasse geben, welche das Gleichgewicht des Erdballs aufrechterhält. Wo und in welchen Ausmaßen auch immer. Wen sonst, als den alten Griechen, kam die Idee einer ‚terra australis incognita‘ – dem unbekannten südlichem Land? Zumindest der Name des Kontinentes ist damit um einiges älter als der Beginn der Siedlungsgeschichte. Natürlich vermutete man zugleich das sagenhafte Atlantis hinter diesem mysteriösen Südland. Irgendwo musste sich ja schließlich das Paradies der Menschheit befinden. Nur lag der Kontinent zu weit entfernt, als dass er so einfach zu entdecken war. Auch die heutige Anreise per Flug lässt den Passagier gelegentlich vermuten, dass er den Erdball hinter sich lässt und irgendwo im Nirgendwo landet. Denken wir an den Seefahrer von damals, der nichts weiter vor sich erspähte außer endlosem Meer und von Skorbut geplagte Matrosen mit ausgefallenen Zähnen. Die Aussicht war nicht unbedingt rosig. Australien blieb noch lange schleierhaft.
Abb. 5: Ferner geht’s beinahe nimmer. Alice Springs, Northern Territory.
Währenddessen spielte sich in dem Südland vielleicht kein emsiges, aber doch reges Treiben ab: Schon längst waren die Völker des Pazifiks miteinander im Austausch, unter ihnen auch die Aboriginals und Torres Strait Insulaner. Indische und chinesische Händler sowie Fischer des heutigen Ozeaniens dürften die Küsten Australiens bereits das ein oder andere Mal betreten haben. Der Dingo ist der einschlägigste Beweis – eingeführt vor ca. 6.000 Jahren durch südostasiatische Seefahrer.
Wie so oft in der Geschichte waren es materielle Interessen, die den Handel über die Alte Welt hinaus trieben. Der Pazifik versprach nicht nur die große Stille, sondern auch neue Geschäftspartner. Die systematische Suche nach dem Schein-Atlantis blieb den Männern des Okzidents überlassen. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts segelte ein spanisches Schiff unter Kapitän Luis Vaez de Torres durch die Meerenge, die heute seinen Namen trägt. Allerdings hielt er diese Entdeckung geheim – warum auch immer. So waren es nicht die Portugiesen, auch nicht die Spanier und schon gar nicht die Engländer, die den ersten dokumentierten „weißen“ Schritt auf der roten Erde vollführten. Australien stand kurz davor, in Tulpen, Windmühlen und Gouda aufzugehen. Die Holländer waren’s.
Als erste gesicherte Erkundung gilt die Skizzierung der Cape York Halbinsel durch Willem Janszoon im Jahre 1606. Mehr zufällig als willentlich stießen seine Landesgenossen daraufhin auf immer neue Abschnitte des Kontinents. Ihre Schiffe waren eigentlich auf den Weg nach Niederländisch-Indien, dem modernen Indonesien. Die damaligen Navigationssysteme lehrten, dass die Westwinde des Südpazifiks, die „Brüllenden Vierziger“, ein schnelleres Vorankommen versprachen. So bogen die Seefahrer gewöhnlich erst kurz vor Australien scharf nach Norden ab und segelten weiter Richtung Archipel. Vom Winde verweht, verpassten die Holländer öfters die Ausfahrt und landeten – mal ohne, mal mit Schiffbruch – an der Westküste Australiens. So lief eines ihrer Schiffe, die „Batavia“, 1629 dort auf ein Riff. Während einige Männer mit dem Beiboot nach Java segelten, um Rettung zu holen, folterten, misshandelten und verputzten sich die Ausgesetzten derweil selbst. Davon unbeirrt, kartographierten ihre Weggefährten auch in den folgenden Jahren den Küstenverlauf, hielten es aber nicht für nötig, weiter ins Landesinnere vorzustoßen. Den Höhepunkt erreichte die holländische Seefahrt im Südpazifik mit der Entsendung Abel Tasmans. Er schaffte es tatsächlich, die Südküste Australiens komplett zu verfehlen, obwohl er auf gesamter Länge parallel zu ihr segelte. Immerhin steuerte er sein Schiff soweit südlich, dass er 1642 das heutige Tasmanien, damals von ihm Van Diemen‘s Land getauft, und weitere Inseln wie Fidschi, Tonga und den Süden Neuseelands entdeckte. Tasmans Reisen waren es letztendlich, die dem Kontinent (oder das, was davon bekannt war) den Namen Neu-Holland verliehen. Es liegt nicht allzu fern, dass auch das heutige Neuseeland ihm die Bezeichnung verdankt – ‚Nova Zeelandia‘. Das nur nebenbei. Was wusste man also Mitte des 17. Jahrhunderts über das Land dort unten? Nicht sonderlich viel. Die Holländer fertigten zwar Karten an, doch mit unzähligen Lücken. Zudem stuften sie den Kontinent als unprofitabel ein und unternahmen keine weiteren Erkundungen. Neu-Holland wirkte verlockend, doch große Reichtümer und schnelle Gewinne versprach man sich hier (noch) nicht. Ade, du Tulpe. Man zog sich zurück.
Europa erlebte seine Umbrüche. England trat endgültig auf die Bühne der großen Seemächte und führte unangefochten Regie. William Dampier war der erste Brite, Abenteurer und Pirat, der Richtung Australien schipperte und nach und nach die Nordwestküste erkundete. Das war 1684. Nur kurz darauf verpuffte die englische Entdeckungsmotivation. Und wurde erst wieder angezündet, als plötzlich die Franzosen im Gerangel um Land und Handelspartner des Südpazifiks eingriffen. Die Engländer fürchteten um ihre Vormacht. Schleunigst schickten sie 1768 einen jungen und hoch motivierten Seefahrer auf Kurs – James Cook. Erklärtes Ziel der Reise war die Dokumentierung des Verlaufs der Venus. Natürlich begrüßte es der englische König, wenn nebenbei etwas Land für die Krone abfiele – von Venus geleitet quasi. Gesagt, getan. Nachdem Cook feststellte, dass Neuseeland aus zwei und nicht wie bisher angenommen aus einer Insel besteht, segelte er weiter Richtung Australien und erreichte schließlich als erster Europäer die Ostküste.
Abb. 6: Die Ostküste so unberührt, wie James Cook sie vielleicht sah. Daintree National Park, Queensland.
Am 19.4.1770 setzte er den Anker in Botany Bay, einer Bucht südlich von Sydney. Weiter ging es die Ostküste hinauf. Bei Cape Tribulation nördlich von Cairns blieb sein Schiff, die Endevour, im Riff hängen. Nachdem die Reparaturarbeiten einige Zeit in Anspruch nahmen, vergaß Cook nicht, das Land auch noch offiziell für die englische Krone in Besitz zu nehmen. Dies geschah auf Possession Island – der Name ist Programm. Er taufte es New South Wales. Aus Heimweh oder Inspiration, man weiß es nicht. James Cook war es, der das Schicksal eines Kontinentes in seinen Händen hielt.
Was ist aus jener Zeit in der Erinnerung der Australier hängengeblieben? Nun ja – von den Seefahrern außer James Cook scheint kaum einer in ihrem Langzeitgedächtnis überlebt zu haben. An der Westküste lassen sich hier und da Spuren der Niederländer und ihrer Konkurrenten finden. So trägt die Insel, auf der Kapitän Dirk Hartog samt Crew 1616 ankerte, seinen Namen. Die Reinigungsfirma, für die ich in Broome, Western Australia gearbeitet habe, heißt Roebuck Bay Cleaning. Roebuck – so wie das Schiff von William Dampier. Immerhin ist ein ganzer Archipel nach ihm benannt. Derby, etwa 200 Kilometer nördlich von Broome, widmete dem Engländer sogar ein Monument, da er 1688 hier mit seinem Schiff an- und schnell wieder ablegte. Eines muss jedoch hinzugefügt werden – beinahe alles in Western Australia, mit Ausnahme der Hauptstadt Perth, entzieht sich dem Wissen der Restaustralier. Man ist weit ab vom Schuss hier drüben. Anders sieht es da schon aus mit Abel Tasman. Die Insulaner ent-tauften Van Diemen‘s Land und nannten es fortan Tasmanien samt Einwohner, dem tasmanischen Teufel. Der Holländer ist also in zweierlei Munde, als Insel und kannibalisch veranlagte tierische Australien-Ikone. Das ist wohl mehr wert als jede Statue. Auch wenn es davon einige gibt.
Abb. 7: Er verdankt einem Holländer den Namen – der Tasmanische Teufel.
Keiner dagegen erfreut sich so großer Bekannt- und Beliebtheit wie James Cook. Die Australier feiern seine Ankunft als einen ihrer Gründungsmomente. Er war es, der den Erdteil in Form brachte und der Welt weiterempfahl. Seine „Urlaubsgrüße“ bewogen England dazu, sich das zurecht philosophierte Niemandsland einzuverleiben. Cook traf zwar während der Reise auf Ureinwohner und bezeichnete sie als „far more happy than we Europeans [...].“ Doch da die Aboriginals nach Ansicht der Krone in der Steinzeit hängen geblieben zu sein schienen, kamen sie als Handelspartner nicht in Frage und wurden ignoriert. New South Wales ging in den Besitz König Georges III. über. Natürlich war die Landung Cooks Motiv zahlreicher Gemälde; so auch in J. A. Gilfillans ‘Captain Cook Taking Possession of the Australian Continent on Behalf of the British Crown, AD 1770‘ anno 1866.1 Die Geschehnisse in Botany Bay wirken feierlich: gehisste Union Jacks, trommelnde und marschierende Soldaten sowie in der Ecke kauernde Ureinwohner. In Wahrheit hat Cook laut Reisetagebuch nur eine Flagge gehisst und eine Tafel mit Datum und Namen der Schiffe hinterlassen. Auch die spätere offizielle Besitznahme auf Possession Island war weniger pompös. Nach einer kurzen Zeremonie feuerten die wenigen Soldaten ihre Waffen ab und blieben nicht länger als eine Stunde. Gilfillan malte patriotisch. Mit Erfolg. Das Photoshop des 19. Jahrhunderts. Cook wurde idealisiert. Der Engländer barg einen großen Vorteil. Seine Fußspuren hinterließen keine Tritte gegen die Aboriginals. James Cook und seine Reise auf der Endevour erhielten den Podiumsplatz des 1. Kapitels der australischen Geschichte – „Cook is never just a dead man: he is an emblem of a moment in history and, for many people, still a national founder-figure.“2
Heute können Australien-Bummler entlang der Ostküste seine Fährte aufnehmen. Es gäbe da das Captain Cook Memorial Light, ein Leuchtturm nahe Coolangatta, Queensland. Ein Monument im Touristenparadies Byron Bay, New South Wales, welches dank Cook den Namen von Vize-Admiral John Byron, dem Großvater des Poeten Lord Byron, erhielt. Oder romantisch-veranlagte Orte wie der Endeavour Panoramaausblick in Kiama, New South Wales. Seien es Denkmäler, Ortsnamen, Gedichte oder kitschige Souvenirs, James Cook hat seinen Platz im australischen Gedächtnis gefunden. Wer möchte, pilgert auf seiner Route. Nur braucht der Reisende heute Räder und keine Segel unter den Füßen. Australier haben die Angewohnheit, ihre großen Lebensadern – die Highways – nicht mit langweiligen Nummern wie wir sondern mit den Namen ihrer Schöpfer zu versehen. 75 Kilometer Straßenbeton verbinden als ‚Captain Cook Highway‘ die Städte Cairns und Mossman im Norden Queenslands. Nur allzu gerne bremst der Tourist zum Leidwesen der Folgenden alle fünf Minuten scharf ab, um ein weiteres Bild mit blauem Himmel, türkisfarbenem Wasser, grünen Palmen und gelbem Strand zu schießen. Jedes Foto ist eben anders. Licht und so. Unmittelbar in der Nähe liegt wie passend Cooktown – das Ende der zivilisierten Welt. Nördlich von hier gibt es nur noch Busch. Oder besser gesagt Dschungel. Von Grünzeug umgeben ist auch eine weitere Erinnerungsstätte Cooks.
Abb. 8: Cook’s Cottage inklusive gehisstem Union Jack im Vorgarten. Fitzroy Gardens, Melbourne, Victoria.
Australien fehlt es an historischen Stätten. Schiefe Türme oder endlose, vom All aus zu sehende Mauern lassen sich nicht finden. Sightseeing wird hier unten überwiegend in der freien Natur ausgelebt, nicht zwischen Tür und Angel. Doch der Aussie3 weiß sich zu helfen – er importiert Geschichte. Sir Wilfred Russell Grimwade hatte in den 1930er Jahren genügend Geschichtsinteresse und Geld, um das ursprünglich in Yorkshire, England stehende Cottage der Familie Cook nach Melbourne in die Fitzroy Gärten zu übersiedeln. Der Geschäftsmann war der festen Überzeugung, dass der häusliche Spirit des Seefahrers auf die Besucher übergehe, mehr als ein Buch jemals hergeben könnte.4 Auch ich durfte die Cook‘sche Aura erfahren, als ich in eines der historischen Familienkostüme hineinschlüpfte, um im Kräutergarten nebenan Unkraut zu jäten oder meinen Kopf durch eine Fotoleinwand steckte und als Tochter Cook das Gesicht verzog. Hier bricht keine Informationsflut über den Besucher ein, sondern eine längst vergangene Atmosphäre illusioniert ihn. Erlebte Geschichte eben.
Abb. 9: Wer sich wie die Frau an Cooks Seite fühlen möchte, kann im Cook‘s Cottage in ihre Kleider schlüpfen.
Der eingebaute Souvenirshop schildert zusätzlich zwischen Cook-Korkenzieher und Cook-Ratzefummel anschaulich dessen Reisen. Der große Bildungsappetit wird im Cook’s Cottage nicht gesättigt, doch der kleine historische Hunger zwischendurch gestillt. Die Lage in einem öffentlichen Park trägt zur Idylle bei. Dass nur 200 Meter weiter riesige Wolkenkratzer unwesentlich am historischen Bild kratzen oder dass die frische Tomate in der Küche bestimmt aus dem nächsten Coles-Supermarkt stammt, vergisst man schnell. Worte wie die folgenden aus der Besucherbroschüre des Jahres 1934 holen den Besucher gekonnt in die Vergangenheit zurück „We are certain that something of Cook lives and lingers in the walls of the cottage today. […] It knew the great navigator as Australia knew him. Its doorsteps rang to his heel as he entered. Its walls heard his voice, (...). Within them must be stored memories of the sacred bonds which tie loving father and devoted son.” Der Geist von Cook sei mit dir.
1 Wer jetzt neugierig geworden ist, schaut sich das Bild am besten an unter http://catalogue.nla.gov.au/Record/550770.
2 N. Thomas: The uses of Captain Cook: early exploration in the public history of Aotearoa New Zealand and Australia; in: A. E. Coombes (Editor), S. 149.
3 Aussie ist die einheimische, verkürzte Bezeichung für einen Australier.
4 Ob James Cook wirklich selbst in diesem Haus lebte oder er nur ab und an seine Eltern hier besuchte, bleibt ungeklärt. Aber es ist bekanntlich der Gedanke, der zählt.
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