Читать книгу: «Totensee, oder Die Odyssee des van Hoyman (eine historische Erzählung) & Der viereinhalbte Mann (eine Kriminalgroteske)», страница 2

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Zwei Tagesmärsche noch und zwei Nächte die trotz der Decke eisig kalt waren und er würde sich einen Fährmann suchen müssen. In der zweiten Nacht traute er sich endlich ein kleines Feuer zu entfachen, damit die zwischenzeitlich sehr nass gewordene Decke trocknen konnte, sodass sie wieder ihren Zweck erfüllte. Am darauf folgenden Tag erreichte Pit unterhalb der Stadt den großen Fluss. Obwohl er Wind und Wetter gewohnt war, zerrte der noch immer vorhandene Frost an seinen Kräften.

In der Nähe des Ufers sah Pit, nachdem er sich durch ein Gebüsch auf einen engen Pfad gezwängt hatte, eine Schänke aus derem Schornstein heraus dicker Qualm drang der wohlige Wärme verhieß. Seitlich der Schänke gewahrte Pit ein größeres Ruderboot mit mehreren Riemen, welches ihn eventuell sogar hinüber zum anderen Ufer würde bringen können. Er vergaß alle Vorsicht und trat durch die große, eichene Eingangstür der alten Schänke in den Vorraum wo allerlei Zeug, Mantelsäcke, Jacken und sogar einige Ruder herumhingen und standen.

Der Gastraum war gut besucht. Die Gäste, augenscheinlich Fischer, Seeleute und manch fragwürdiges andere Gesindel kümmerten sich nicht weiter um ihn, nachdem einige ihn aus dem Augenwinkel heraus gemustert hatten. Pit setzte sich ruhig in eine dunkle Ecke an einen kleinen Tisch. Bei dem dicken, etwas schmierig aussehenden Wirt bestellte er einen Krug Bier und eine Schüssel mit dem undefinierbaren Brei, welcher in dem großen, eisernen Kübel über dem Feuer vor sich hin köchelte. Pit war müde und fühlte sich zerschlagen. Der Brei und das warme, schwere Bier brachten zwar kurzfristig die Lebensgeister zurück, aber nachdem das Bier schmeckte und nach dem einen Krug ein zweiter und dritter folgte, verabschiedeten sich diese auch wieder.

Pit wankte auf den Vorhof und zum nahen Gebüsch um notwendigerweise sein Wasser ab zu schlagen, welches er sonst im Gasthof hätte tun müssen, was den guten Wirt wohl verärgert hätte. Nachdem er notdürftig alle Gerätschaften wieder dort verstaut hatte, wo sie hin gehörten, hörte Pit hinter sich ein Geräusch. Sein plötzlich schmerzender Hinterkopf ließ ihm nur noch aufblitzende Gedanken an Inquisition, Folter und Tod wahrnehmen. Dann gingen alle Lichter aus und Piter van Hoyman sank in sich zusammen.

Ein voreiliger Schwur

Manfred war immer ein besserer Koch als ein besserer Mensch gewesen. Aber hatte er diese Situation verdient? Gestern noch hatte er am Strand der Großen Insel in Westindien gesessen und an einem Stock schnitzend auf den Donner der Bordkanone gewartet, der die letzten Boote zurück an Bord beordern würde. Er gehörte immer zu den letzten, die an Bord gingen und wusste nicht, was die anderen der schaurigen Gang zu übertriebener Eile bewog. Die Reise in die Heimat war noch lang und beschwerlich genug. Er hatte dafür gesorgt, dass wie immer ausreichend Wasser und Nahrung an Bord des kleinen Handelsschiffes gebracht wurden. Alles schien komplikationslos wie immer.

Manfred war der uneheliche Spross einer Marketenderin, und eines nicht identifizierten Subjektes, die in einem Tross von Landsknechten mitgelaufen war und sich durch das Zubereiten von Speisen leidlich über Wasser hielt und so sich selbst und ihren Sohn durchbrachte. Also hatte es Manfred früh gelernt aus wenigen Zutaten recht schmackhafte Speisen zuzubereiten, die dazu angetan waren Schläge der rauen Gesellen zu vermeiden. Kochen wurde zu seiner Passion und als er größer und kräftiger wurde, half er der Mutter täglich und trug fleißig zum Lebenserhalt bei. Seine Mutter war bereits über vierzig Lenze alt und durch das harte Leben recht gebrechlich geworden, als sie sich eines schönen Tages aus dem Leben stahl und verschied. Manfred war allein unter Söldnern, die nichts anderes zu tun hatten, als den vor Trauer und Gram gebrochen Dasitzenden grinsend zu fragen, ob die Alte endlich die Hufe hochgerissen hätte und wann er geruhen würde, das Essen fertig zu stellen. Es hagelte Schläge und bei der nächsten Gelegenheit entlief der Geschundene und ließ die ganze Blase hungrig und fluchend zurück. Als Hilfskoch und später als Smutje auf verschiedenen Schiffen schlug er sich nun durchs Leben und träumte jedoch immer von einem eigenen Gasthaus. Alle Träume waren jetzt mit einem Schlag zunichte gemacht.

Und nun lag Manfred bäuchlings auf dem Rest des Großmastes, an dem noch eine halbe Rahe und Teile des Segels hingen und trieb in der warmen Dünung der See. Die Eile des Kapitäns, noch vor Eintritt der Regenzeit, mit der meist schwere Stürme einhergingen, Segel gen Heimat zu setzen, hatte dazu geführt, dass ein Segel am Horizont übersehen wurde, was sich als ein fataler Fehler herausstellte. Zwar waren sie nicht ein Ziel erster Wahl für Piraten, da sie nicht zu den Gold führenden Galeonen der Mächtigen zählten, aber dennoch stellten sie für Seeräuber eine lohnende Prise dar und wenn der Raub nur dazu führte, keinen Hafen anlaufen zu müssen, sondern sich aus fremden Vorräten bedienen zu können.

Schnell, zu schnell war das leichtere Piratenschiff herangekommen. Schon mit der ersten Breitseite ging der Großmast in Stücke und ein Tampen wickelte sich um Manfreds beide Beine und zog ihn mit Mast und Takelageteilen unaufhaltsam ins Meer. Manfred, der von der sonstigen Besatzung gern Fred gerufen wurde, war dem Tode geweiht. Hätte er nicht seine Machete in der Hand behalten, er wäre so gefesselt sicherlich elendiglich ersoffen. So aber schlug er wild auf die Taue, die auf dem Maststumpf lagen, ein und als diese nachgaben, kam er frei. Aber auch der Mastrest nebst Rahteil und einigem Segeltuch kamen frei und entfernten sich stetig, den armen Fred mitführend, von den Schiffen.

So konnte Fred aus sicherer Entfernung mit ansehen und anhören, wie das Geschreie immer leiser und weniger wurde, wie seine Kameraden allesamt gemeuchelt wurden und zu Guter Letzt das Schiff geplündert und in Brand gesteckt wurde. Manfred hatte nun das zweifelhafte Vergnügen der letzte Überlebende dieser Tragödie zu sein. Glück gehabt, oder Gott oder der Teufel hatten ein Einsehen.

Fred der glückliche Koch lag nun schon einige Tage und Nächte bäuchlings mit den Beinen im Wasser auf seinem Mastfloß. Mehrere große Dreiecksflossen umkreisten das Treibgut aber der Segelrest der unter Freds Beinen einen großen Sack gebildet hatte schützte ihn vor den gefräßigen Fischen. Diese kamen so um die Verkostung eines sicher recht schmackhaften Koches. Aber, sehr mager und zart wäre er eh nicht gewesen und selbst das sonst freundlich dreinblickende Pfannkuchengesicht war zwischenzeitlich salzverkrustet und ungenießbar. Fred hatte Wahnvorstellungen und nur noch wenige, klare Momente, in denen er seine Lage realistisch beurteilen konnte. Der Durst peinigte ihn mehr als der Hunger, welcher irgendwann kaum noch zu spüren war.

Er war auf offener See und hatte nur die Optionen zu verdursten, rechtzeitig an einen Strand gespült, oder von einem Schiff entdeckt und aufgepickt zu werden. Selbst konnte er nichts weiter tun. Er war der See und der Sonne ausgeliefert und ergab sich in sein Schicksal. Manfred der Koch träumte einen Traum, der ihm immer in Erinnerung bleiben sollte und der sein großes Lebensziel beinhaltete. Er befand sich in einem großen Gasthof voller Menschen und es war sein eigener und er durfte kochen, kochen, kochen. Und seine Gäste jubelten ihm zu und priesen seine Speisen und seine Kunst, bis…, ja, bis ein großer Wolkenbruch kam und die Decke des Gasthofes einstürzte und alles voller Wasser war.

Wasser, Wasser, stöhnte Fred und leckte gierig über seine nun feuchten Lippen. Die ersten Ausläufer der Regenzeit hatten ein Einsehen gehabt und entluden sich in einem gewaltigen Regenguss mit Tropfen, die einem im Nu den Mund füllen konnten. Niemals vorher hatte Fred Regenwasser als so angenehm empfunden. Er trank sich satt und wäre fast an den großen Schlucken gestorben. So schnell, wie der Regen gekommen war, so schnell hörte er wieder auf. Als wenn ein gütiger, gnädiger Gott die Schleusentore geöffnet und wieder geschlossen hätte. Und wieder vergingen einige Tage, in denen Manfred zwar von seinen körpereigenen Reserven zehren musste, aber ab und zu der gnädige Regen kam und ihn labte. Seinen Traum vom eigenen Gasthof aber konnte Fred nie vergessen.

Fred schlief auf Sack und Mast, als er von hinten eine Stimme vernahm: „Ahoi, Seemann, bitte an Bord kommen zu dürfen, ha, ha. Oder willst Du etwa mit?“ Als Fred sich berappelt hatte und realisierte, dass die Stimme tatsächlich real war und nicht seinem wirren Kopf entsprang, wollte er natürlich mit. Aus eigener Kraft war dieses zwar nicht möglich, aber viele hilfreiche, stattlich starke Hände packten ihn und er verließ sein Floß glücklich und schlief friedlich wieder ein.

Das Große Handelsschiff war auch auf der Rückreise in heimatliche Gefilde und als Fred leidlich wieder hergestellt war, dankte er dem ersten Offizier überschwänglich für sein Leben und schwor, so lange an Bord zu arbeiten, bis er nicht mehr gebraucht würde. Das wurde wohlwollend angenommen. Da der letzte Koch wegen verdorbenen Essens Kiel geholt worden war und dieses seinem Leben nicht zuträglich erschien, hatte Fred nun die Schiffskochstelle auf Lebenszeit.

Voreilige Treueschwüre führen nie zu einem guten Ende und so kam es, dass dem guten Fred viel zu spät bewusst wurde, dass er auf einem Sklavenschiff angeheuert hatte. Auf Heimatkurs waren natürlich keine Sklaven mehr an Bord, aber er sollte noch manche traurige Fracht mit nach Westindien begleiten und bekochen.

Nun war es schon das vierte Jahr und die vierte Heimfahrt gewesen und sie löschten schnell ihre Fracht, damit sie bald wieder auslaufen konnten und nicht zwischen die kriegerischen Flotten gerieten die derzeit die Meere des alten Europas unsicher machten. Fred hatte sich mit seiner fragwürdigen Arbeitsstelle abgefunden und hoffte nur, irgendwann einmal zu alt für dieses Geschäft sein zu dürfen und träumte immer wieder von einem Gasthof an Land.

Verschleppt

Langsam gingen die Lichter bei Piter van Hoyman wieder an und der höllische Kopfschmerz verhinderte vorerst jegliche Art anderer Wahrnehmung. Unter dieser Folter der Inquisition würde er alles gestehen. Ein salziger Geruch stieg Pit in die Nase und über ihm flatterte ein riesiger Drache mit den Flügeln. Langsam, in die Sonne blinzelnd, öffnete Pit erst ein und dann das andere Auge und erblickte über sich große Segel, die im Wind flatterten. Viele Stunden hatte er traumlos auf einem Haufen dicker Seile verbracht, was auch seinem Rücken nicht gut getan hatte. Pit fühlte sich wie krummgeschlossen.

Er konnte sich kaum rühren und entschied sich, erst einmal abzuwarten, was geschehen würde. Augenscheinlich war es nicht die Inquisition, welche hier zugeschlagen hatte. Über ihm erschien ein breit grinsendes Pfannkuchengesicht, welches, mit einem schwarzen Rauschebart versehen, voller Ästhetik glänzte. „Na, wieder wach und unter den Lebenden? Weißt wohl nicht mehr, dass du bei uns angeheuert hast?“ Pit schwante nichts Gutes. Für einen Bauern wie ihn, auch wenn er an der Küste geboren war, war die See immer etwas Schreckliches, von dem man sich geflissentlich fern zu halten hatte.

Wie vom Blitz getroffen, setzte er sich auf. Die Schmerzen waren kurzfristig vergessen. Nur schnell von Bord und wieder festes Land unter den Füßen. Aber da war kein Land. Wenigstens nicht in greifbarer Nähe. Weit am Horizont zeigte sich der Streifen Küste, welcher einmal seine Heimat gewesen war. Auch die Flussmündung ließ sich noch hinter dem Schiff erahnen. Pit konnte zwar schwimmen, was die Seeleute wohl alle nicht beherrschten, aber das war bei dem eiskalten Wasser dann doch zu weit. Entmutigt fiel Pit auf den Haufen Tampen zurück. Er war Gefangener der See. Wenn sie doch wenigstens gen Norden fahren würden dort war sein Ziel, sein „gelobtes Land“.

Aber die Reise ging südwärts. Wenn Pit die Geschichten der guten Erna richtig verstanden hatte, lag dort Portugal oder Spanien oder gar Afrika, wo die Menschenfresser wohnten. Das Elend nahm kein Ende. Vorbei die schönen Winternächte voller Geilheit und Unbefangenheit. Sie waren aus seinem hämmernden Schädel vorerst entschwunden. Was so ein Klaps alles nach sich zieht, sinnierte Pit.

„Ruh dich noch etwas aus“, sagte das Pfannkuchengesicht, was sich später als Manfred der Schiffskoch vorstellte. „Du wirst noch früh genug dein Süppchen verdienen müssen.“ Pit schloss die Augen, haderte noch ein wenig mit seinem Schicksal, mit Gott und der Welt und glitt ab in einen Traum voller Schmerz und Selbstmitleid. Etwas erholt, aber immer noch mit einem Gefühl wie aufs Rad geflochten, erwachte Pit nach geraumer Zeit und folgte Fred, welcher ihm wortlos winkte mitzukommen, in die Kombüse, dem einzigen Ort an Bord wo ein Feuer, gesichert in einem Ofen, entzündet werden durfte. Bei Sturm musste es sofort gelöscht werden, damit das Schiff nicht ein Raub der Flammen würde.

Fred erzählte Pit, dass Eric der Nordmann ihn vom Landgang mitgebracht habe. Eric hatte lachend erzählt, er habe Pit einen übergezogen und dann gefragt, ob er nicht als Schiffsjunge oder als Liebchen anheuern wolle. An Bord waren Erics abartige Gelüste hinlänglich bekannt und der erste Offizier entschied, dass Pit, sollte er den Schlag überleben, als Schiffsjunge und Küchenhilfe bleiben dürfe. Es war bezeichnend, dass der erste Offizier und nicht der spanische Kapitän Estrell diese Entscheidung traf. Estrell litt stark an Seekrankheit und war bei etwas schwererer See stets volltrunken und dienstuntauglich.

„Hüte dich vor Eric. Das ist der mit der Narbe schräg überm Gesicht. Er ist abartig und brutal“, sagte Manfred. „Schlimmer als ein Priester?“ fragte Pit. „Rede nicht so daher Junge“, meinte Fred. „Einige von der Mannschaft sind tief gläubig und würden einen Ungläubigen schnell über die Reling befördern. - Aber ja, er ist schlimmer als jeder Schweinepriester. Ich hoffe, du wirst es niemals kennenlernen, das Ungeheuer in ihm.“ „Danke, der Schlag reicht mir vorerst vollkommen“, erwiderte Pit.

Während Manfred das Essen für die Mannschaft zubereitete und Pit ihm schon zur Hand ging, unterhielten sie sich weiter, über ihre Herkunft und manch andere Belanglosigkeit. „Dieses scheint mir ein wahrhaft riesiges Schiff zu sein. Was haben wir geladen und wohin geht die Reise überhaupt? Wann segeln wir wieder gen Norden?“ fragte Pit. „Nach Norden, ha ha ha? Die nördlichen Küsten werden wir wohl viele Monde nicht wieder sehen. Wir fahren weit nach Süden auf eine Insel vor Afrika. Dort laden wir schwarzes Gold und fahren damit nach Westen, nach Indien“, erwiderte Fred.

Dass musste Pit erst mal verdauen. Was war schwarzes Gold und wo zum Teufel lag Indien? Im Westen gab es doch nur Wasser. Nach einiger Zeit des Verdauens dieser Nachricht, traute sich Pit, nach dem schwarzen Gold zu fragen. „Nein, schwarzes Gold hat nichts mit Holzkohle zu tun und Menschenfresser gibt es dort wohl auch nicht. Die Menschenfresser sind wohl eher wir“, erklärte Fred. „Dieses hier ist ein Sklavenschiff. Das schwarze Gold sind die armen Seelen, die wir vor Afrika aufnehmen und in die neue Welt verschleppen, wo sie, sollten sie die Fahrt überleben, fleißig arbeiten dürfen. Dort werden sie dann für uns zu richtigem Gold. Eine widerliche, aber einträgliche Geschichte. Aber, da Mutter Kirche sich nicht einig werden kann, ob es sich bei den Schwarzen um Tiere oder Halbmenschen handelt, ist unser Handeln auch vor Gott völlig in Ordnung.“

Die Tage vergingen. Pit verbrachte diese mit Deckschrubben und Arbeiten in der Kombüse. Es wurde von Tag zu Tag wärmer und die Sonne brannte vom Himmel, wie Pit es noch nie erlebt hatte. Es gab keinen Sturm, aber ein leicht achterlicher Wind und eine sanfte Dünung machten die Fahrt recht angenehm. Auch der Kapitän wurde an Deck gesichtet, gab ein paar Kommandos, opferte der See und entschwand erneut für Tage.

Nachts in den Hängematten im Mannschaftsraum hatte Pit seine liebe Not sich vor den lüsternen Blicken und eindeutigen Angeboten Erics des Schrecklichen in Acht zu nehmen. Glücklicher Weise stand er unter dem besonderen Schutz des Schiffskochs, sodass es sich Eric wohl zweimal überlegen würde, ihn anzugreifen, und damit verdorbenes Essen zu riskieren.

„Land in Sicht“, hallte es vom Mast. Die afrikanische Küste und einen Tag später die ersehnte Insel waren deutlich zu erkennen. Pit sah zum ersten Mal eine Insel mit rauchenden kahlen Bergen, welche unten in eine üppige Vegetation mit ihm unbekannten Bäumen und Sträuchern über gingen. „Das sind keine Bäume“, erklärte Fred, „das sind Palmen, die überall in südlichen Gegenden wachsen. Sind eher wie übergroße Grashalme, meine ich. Auf einigen wachsen Nüsse, so groß wie dein Kopf und auf anderen Datteln, pflaumenartige süße Früchte. Übrigens Nüsse“, erklärte Fred weiter, „sollten wir Zeit für einen ausgiebigen Landgang haben und auf einen Feuerberg steigen, sei vorsichtig bei den Erdspalten, sonst verbrennst du dir deine an den heißen Dämpfen. Und mit einem gekochten Gemächt geht’s einem schlecht, ha, ha, ha.“ „Behalt dein Seemannslatein für dich“, sagte Pit und fühlte sich doch etwas verkohlt, ob solcher unglaublichen Geschichten. Kopfgroße Nüsse. Heißer Dampf aus der Erde. Schwachsinn. Wer sollte so etwas glauben.

Das Schiff ging vor Anker und ein Vorauskommando ging mit dem Beiboot an Land, um die Lage zu peilen. Nach ein paar Stunden kamen die Männer wieder zurück und gaben Entwarnung. Es waren keine Piraten in Sicht, aber auch noch kein schwarzes Gold angelandet. Also, alles auf Warteposition. Auf der Insel gab es ein kleines Nest mit wenigen Häusern und Hütten und ebenso vielen fragwürdigen Insulanern. Solche sind ja bekanntlich überall etwas merkwürdig, da sie sich untereinander fortpflanzen, sinnierte Pit mal wieder. Als Bauer war Pit Inzucht bekannt, auch wenn er es nicht für eine Strafe Gottes hielt, sich aber trotzdem die Zusammenhänge nicht weiter erklären konnte.

Das Nest hatte so etwas wie einen natürlichen Hafen, eine geschützte kleine Bucht mit einem Felsen, der wie eine natürliche Kaimauer geformt war. Da der Kapitän froh war, erst einmal auch aus der sanftesten Dünung heraus zu sein, und er diesen Liegeplatz bereits ausgiebig kannte, wurde das Schiff mit Tauen an den Felsen gezogen und fest vertäut. Eine Wachmannschaft blieb zurück, die kleinen Bug- und Heckkanonen wurden ausgepackt und vorsichtshalber geladen. Der Großteil der Mannschaft und Offiziere hatte Landgang. Dieser sollte erst sein Ende finden, sobald die Sklavenhändler von der Küste in Sicht kamen. Pit und Fred meldeten sich ab und verschwanden bald im Dickicht der üppigen Vegetation. Pit sah nun die Wunder der Natur aus nächster Nähe. Nüsse, die auf Palmbäumen wuchsen und die manchmal gefährlich nahe an ihnen einschlugen, wenn sie reif zu Boden gingen. Kopf groß, wie Fred es vorausgesagt hatte.

Fred hatte ein großes Hackmesser mitgenommen. Er nannte es liebevoll seine Machete. Die großen Nüsse schlug er damit auf und sie tranken das erfrischende, wohlschmeckende Wasser und aßen von dem weißen Fruchtfleisch. „Machete nennen es die Spanier in Indien“, meinte Fred. „Würde dir auch recht gut anstehen, wenn du etwas spanisch könntest. Ist sehr hilfreich in Indien.“ Er wog sein Hackmesser liebevoll in den Händen. „Hilft auch gut gegen Piraten, meine Machete“, lachte Fred.

„Komm lass uns weiter. Bevor die Fracht eintrifft, will ich dich noch eines Besseren belehren. Von wegen Seemannslatein.“ Sie marschierten weiter und je höher sie kamen desto geringer wurde die Vegetation. Als sie dann ganz aufhörte, standen sie direkt vor einem der rauchenden Berge. Das Gestein war wie erstarrter Lehm, den ein Riese durch seine Finger gequetscht hatte, und der dann vor Schreck versteinerte. Es hatte viele verschiedene Farben und sah eigentlich recht hübsch aus, wenn es Pit nicht so gruselig vorgekommen wäre.

Aber das war noch nicht das Erstaunlichste. Wie Fred wahrheitsgemäß erzählt hatte, rauchte es aus dem Felsen und an manchen Stellen musste man tatsächlich aufpassen, dass man sich nichts verbrannte. „Da unten ist die Hölle“, sagte Fred. „Wahrscheinlich hat der Teufel die Steine gekocht und dann ausgespien.“ Pit hatte eine andere Idee, nämlich dass es doch eher das Hinterteil des Teufels sein musste, was diese Würste geformt hatte. Der bestialische Gestank nach faulen Eiern ließ auf arge Blähungen schließen.

Sie lachten herzlich über Pits Ideen und als sie endlich ein Teufelsloch fanden, was keine stinkenden Dämpfe, sondern heißen Wasserdampf produzierte setzten sie sich und garten darüber das Fleisch, welches Fred lobenswerterweise noch an Bord eingesteckt hatte. Das am Stock gekochte Fleisch hungrig vom Knochen nagend, blickten sie von ihrem hohen Aussichtspunkt weit über die See. Im Osten meinte Pit Land zu erkennen. „Das dürfte die afrikanische Küste sein“, meinte Fred, „aber sie ist normalerweise außer Sichtweite. Hab aber davon gehört, dass es Spiegelungen geben soll, die sogar Schiffe an den Himmel zaubern sollen. Wenn ich daran glauben würde, würde ich es für ein schlechtes Omen halten.“ Pit und Fred stiegen höher und höher den Höllenberg hinauf, bis sie den schmalen Grad des Kraterrandes erreichten. Unten im Krater war zwischen aschfahlen und gelben Nebelschwaden das Feuer der Hölle zu sehen. Pit standen die Nackenhaare zu Berge. Schaudernd wendete er sich ab. Nicht nur, dass er nun die Hölle mit eigenen Augen erblickt hatte. Nein, auch sein gesamtes Weltbild geriet zumindest zeitweilig ins Wanken. Wenn es augenscheinlich eine Hölle gab, gab es dann auch einen Gott? – Das ist nicht die Hölle, dachte Piter van Hoyman und schon stimmte sein Weltbild wieder mit der realen Welt überein.

Die großartige Aussicht in den Krater hinein wurde von einer noch großartigeren Aussicht in die andere Richtung übertroffen. Weiter als von diesem höchsten Punkt der Insel konnte keiner über See blicken. Das Land, was dann doch wohl eine der besagten Luftspiegelungen war, war verschwunden. Überall, im Westen wie auch im Osten nur Wasser, die weite See. Am Horizont im Osten, wo sie das vermeintliche Land gesichtet hatten, tauchten nun mehrere Schiffe oder besser größere Boote auf. „Sind das Piraten“, fragte Pit? „Nein, dass scheinen unsere braven Handelspartner zu sein“, meinte Fred. „Warum sind wir nicht selbst an die afrikanische Küste gefahren? Wäre doch einfacher gewesen.“ „Ja, aber nicht sicherer“, meinte Fred. „Das Nest an der Küste ist größer und wird zurzeit oft von Piraten heimgesucht. Außerdem erscheint es dem Kaptein sinnvoll, dass die Schwarzen schon mal eine kleine Seereise hinter sich haben, um zu schauen, wer es eventuell überlebt und bis nach Indien schaffen könnte.“ Rosige Aussichten, schauen wer es überlebt, dachte Pit.

„Lass uns umkehren, sonst gibt es Ärger, wenn wir noch nicht da sind, wenn die armen Teufel eintreffen.“ Sie machten sich an den Abstieg und gingen den Weg zurück. Pit und Fred kamen gerade noch rechtzeitig, um die Boote anlanden zu sehen. Mit Joch und Tauen versehen, stolperten die Schwarzen an Land. Das waren die ersten schwarzen Leute, die Pit zu Gesicht bekam und sie kamen ihm wie Menschen vor. Hatte die Mutter Kirche sie nicht zu Nichtmenschen erklärt? War das nur geschehen, weil man sie sonst nicht wie Vieh verkaufen konnte? Halts Maul, dachte Pit. Hast dich schon öfter um Kopf und Kragen geredet und auf solche Kragen, wie sie die armen Teufel tragen, kannst du geflissentlich verzichten.

Es waren wohl um die zwei- bis dreihundert schwarze Menschen, welche stark genug erschienen, um die Reise in einem Stück zu schaffen. Pit kannte die Vorräte, die an Bord waren und die gute Erna hatte ihm genügend Rechnen beigebracht, um zu überblicken, für wie viele Menschen und für wie viele Tage Wasser und Essen reichen konnten, immer vorausgesetzt, sie würden nicht in eine Flaute kommen. Pit fragte Manfred, wie lange ihre Reise denn gehen würde und es wurde ihm schlecht, als er herausfand, dass mindestens ein Drittel diese Höllenfahrt nicht überleben würde.

Die kräftigsten Männer, Frauen und großen Kinder wurden unter Wehklagen ihrer selbst und der Zurückgebliebenen an Bord gebracht und die braven Geschäftspartner, welche ebenfalls eine schwarze Hautfarbe hatten, wurden ausbezahlt. Ein gewisser Teil der Mannschaft wurde zur Sklavenaufsicht abgestellt, was nicht bedeutete, dass sie etwa ihre anderen seemännischen Pflichten vernachlässigen durften. Es war klar, dass auch der schreckliche Eric zu dieser Gang gehörte.

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