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3 Reflexion des Handelns – eine grundlegende Kompetenz

3 Reflexion des Handelns – eine grundlegende Kompetenz

Im folgenden Ausschnitt fordert Regula von Felten, dass erfolgreiche Lehrerinnen und Lehrer fähig und bereit sein müssen, ihr eigenes Handeln zu reflektieren und zu verändern. Dazu gehört, Routinen zu hinterfragen und sein berufliches Handeln einer reflexiven Rechtfertigung zu unterziehen.

< Reflexion als Mittel, eigenes Handeln zu entwickeln

Eine erfolgreiche Lehrperson verfügt über ausreichendes Wissen und Können, um die Anforderungen des Schulalltags zu erfüllen. Sie kann beispielsweise Lernziele formulieren und begründen, Inhalte sinnvoll strukturieren und verschiedene Lehr-Lern-Arrangements realisieren. Sie versteht es, Schülerinnen und Schüler zu beobachten, ihre Ressourcen und Defizite wahrzunehmen und sie individuell zu begleiten. Sie kennt Möglichkeiten, um ein Gespräch zu eröffnen und zu leiten, Konflikte in der Klasse anzugehen und die Gemeinschaftsbildung zu fördern. Sie kann auf die Vorwürfe eines Vaters an einem Elternabend oder auf die Kritik einer Schülerin angemessen reagieren. Sie weiß, in welchen Situationen sie eine weitere Fachperson beiziehen sollte, und kann alleine und im Team Verantwortung übernehmen. Von ihr wird vieles und ganz Unterschiedliches erwartet.

Nur ein umfangreiches Handlungsrepertoire macht es möglich, die vielfältigen Aufgaben des Lehrberufs zu bewältigen. Trotzdem muss eine Lehrperson stets damit rechnen, dass bisher bewährte Handlungen nicht zum Erfolg führen. Schülerinnen und Schüler, Eltern und Teammitglieder reagieren oft anders als erwartet. Eine Lehrperson sollte daher fähig und bereit sein, ihr eigenes Handeln zu reflektieren und zu verändern.

Probleme, die im Schullalltag auftreten, fordern heraus und bieten gleichzeitig die Chance, Handlungsroutinen aufzubrechen und die eigene Kompetenz zu erweitern.

«So notwendig und sinnvoll Routinen auch sind, sie verleiten dazu, Situationen zu nivellieren, die Sensibilität für Differenzen verkümmern zu lassen, den Blick für die geänderten Verhältnisse zu verlieren und schließlich sein eigenes pädagogisches Konzept nicht mehr infrage stellen zu wollen. Kompetentes Wissen und Handeln muss deshalb auf einer übergeordneten Ebene thematisiert werden. Es muss sich der reflexiven Rechtfertigung stellen» (Plöger 2006, S. 22).

Um die Bedeutung der Reflexion zu begründen, bezieht Wilfried Plöger die Systemtheorie Luhmanns ein und verdeutlicht, dass die Kompetenzen von Lehrpersonen Resultat von Selektions- bzw. Reduktionsprozessen sind. Handlungsroutinen kommen durch Negation anderer Möglichkeiten zustande. Eine Lehrperson hält an einmal Bewährtem fest. Sie kann und will sich nicht jeden Tag neu entscheiden, denn dann wäre sie letztlich handlungsunfähig. Pädagogisches Wissen und Können hat aber immer nur eine vorläufige Gültigkeit und muss als potenziell wandelbar angesehen werden. Eine Lehrperson muss offen bleiben für die vorerst ausgeschlossenen Möglichkeiten und diese wieder in die pädagogische Reflexion einbeziehen (ebd., S. 22 ff.).

Steht die Reflexion des eigenen Handelns im Vordergrund, beziehen sich die Argumentationslinien auch häufig auf Donald A. Schöns «Epistemologie der Praxis» (Wittenbruch 2007; von Felten 2005; Altrichter & Lobenwein 1999; Dick 1999; Herzog 1995). Schön zeigt in seinen beiden Werken «The Reflective Practitioner» (1983) und «Educating the Reflective Practitioner» (1987) auf, wie wichtig es ist, dass Praktikerinnen und Praktiker ihr Handeln aus Distanz betrachten. Befreit von Handlungsdruck, können Probleme überhaupt erst wahrgenommen werden. «In real-world practice, problems do not present themselves to the practitioner as givens. They must be constructed from the materials of problematic situations which are puzzling, troubling, and uncertain. In order to convert a problematic situation to a problem, a practitioner must do a certain kind of work» (Schön 1983, S. 40).

Diese Art von Praxisreflexion bezeichnet Schön als «reflection-on-action». Nach dem Unterricht analysieren Lehrpersonen Geschehenes. Sie beziehen bisher unberücksichtigte Aspekte ein, fassen das Problem, betrachten es aus unterschiedlichen Perspektiven und suchen nach möglichen Handlungsalternativen. Schließlich gilt es, neu entdeckte Handlungsmöglichkeiten in der weiteren Praxis zu erproben, ihre Wirkung zu überprüfen und das eigene Wissen und Können auf diese Weise zu erweitern und zu differenzieren.

Um die Fähigkeit zur Reflexion und zur Entwicklung des eigenen HandeIns – in eben beschriebenem Sinne – zu erwerben, sieht Schön (1987) ein spezifisches Ausbildungssetting vor. Anhand von Beispielen aus der Ausbildung von Architektinnen und Architekten illustriert er, wie Studierende im reflexiven Praktikum mit ihren Coachs zusammenarbeiten. Begleitet von erfahrenen Praktikerinnen und Praktikern, üben sich Architekturstudierende darin, Probleme in der Praxis zu erkennen, nach adäquateren Handlungsweisen zu suchen und so das eigene Wissen und Können schrittweise zu entwickeln.

Erfolgreiche Praktikerinnen und Praktiker verfügen aber nicht nur über die Fähigkeit, ihr Handeln im Nachhinein zu reflektieren, sie sind auch in der Lage, unvorhergesehene Situationen während des Handelns neu zu interpretieren und geschickt darauf zu reagieren. Schön spricht in diesem Zusammenhang von «reflection-in-action».

«Reflection-in-action has a critical function, … we may, in the process, restructure strategies of action, understandings of phenomena, or ways of framing problems […]. Reflection gives rise to on-the-spot experiment. We think up and try out new actions intended to explore the newly observed phenomena, test our tentative understandings of them, or affirm the moves we have intended to change things for the better» (Schön 1987, S. 28).

«Reflection-in-action» meint also ein Neurahmen («reframing») einer Situation während des Handelns. Die Situation erscheint dadurch in neuem Licht und weist der Lehrperson die Richtung für weitere Handlungsschritte. Dieses Im-Austausch-mit-der-Situation-Sein («reflexive conversation») und das unmittelbare Reagieren auf Unerwartetes erfordert Präsenz, Gefühl und Kreativität. Entscheidungen fällt die Lehrperson dabei intuitiv, und es wird ihr im Nachhinein nicht auf Anhieb gelingen, das Geschehene zu erklären. Was nicht heißt, dass das Wissen und Können von Lehrpersonen irrational ist (Dewe, Ferchhoff & Radtke 1992, S. 85).

«Reflection-in-action is a process we can deliver without being able to say what we are doing. Skillful improvisers often become tongue-tied or give obviously inadequate accounts when asked to say what they do. Clearly, it is one thing to be able to reflect-in-action and quite another to be able to reflect on our reflection-in-action so as to produce a good verbal description of it» (ebd., S. 31).

Um Ereignisse im Unterricht klar zu fassen und das eigene Handeln zu begründen, sind daher Phasen der Rechenschaftslegung unabdingbar. In diesen beziehen sich Lehrpersonen auf ihre persönlichen Überzeugungen, was eine gute Schule bzw. guter Unterricht ausmacht, und haben Gelegenheit, diese aufzuarbeiten.» ›

Literatur

Altrichter, H. & Lobenwein, W. (1999). Forschendes Lernen in der Lehrerbildung? Erfahrungen mit reflektierenden Schulpraktika. In U. Dirks & W. Hansmann (Hrsg.), Reflexive Lehrerbildung. Fallstudien und Konzepte im Kontext berufsspezifischer Kernprobleme (S. 169–196). Weinheim: Deutscher Studien Verlag.

Dewe, B., Ferchhoff, W. & Radtke, F. (1992). Das «Professionswissen» von Pädagogen. Ein wissenstheoretischer Rekonstruktionsversuch. In dies. (Hrsg.), Erziehen als Profession. Zur Logik professionellen Handelns in pädagogischen Feldern (S. 70–91). Opladen: Leske + Budrich.

Dick, A. (1999). Vom Ausbildungs- und Reflexionswissen in der LehrerInnenbildung. In U. Dirks & W. Hansmann (Hrsg.), Reflexive Lehrerbildung. Fallstudien und Konzepte im Kontext berufsspezifischer Kernprobleme (S. 149–167). Weinheim: Deutscher Studien Verlag.

Felten, R. von (2005). Lernen im reflexiven Praktikum. Eine vergleichende Untersuchung. Münster: Waxmann.

Herzog, W. (1995). Reflexive Praktika in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, Beiträge zur Lehrerbildung, 13 (3), S. 253–273.

Plöger, W. (Hrsg.) (2006). Was müssen Lehrerinnen und Lehrer können? Beiträge zur Kompetenzorientierung in der Lehrerbildung. Paderborn: Schöningh.

Schön, D. A. (1983). The Reflective Practitioner. How Professionals Think in Action. New York. Basic Books.

Schön, D. A. (1987). Educating the Reflective Practitioner. San Francisco: Jossey-Bass.

Wittenbruch, W. (2007). Stichwort: Reflexives Lernen, Engagement. Zeitschrift für Erziehung und Schule, 1, S. 31–43.

Auszug aus: Felten, R. von (2011). Lehrerinnen und Lehrer zwischen Routine und Reflexion. In H. Berner & R. lsler (Hrsg.), Lehrer-Identität – Lehrer-Rolle – Lehrer-Handeln. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren © 2011 Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler; Verlag Pestalozzianum, Zürich.

4 Lernen ist nicht Reflex, sondern Reflexion

4 Lernen ist nicht Reflex, sondern Reflexion

Dieser Ausschnitt setzt sich mit den Relationen zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den subjektiven Theorien von Lehrpersonen und ihrem Handeln auseinander. Der Autor zeigt auf, wie Lehrpersonen sich mithilfe von Reflexion über die eigenen subjektiven Theorien bewusst werden und sie mit handlungsrelevanten Theorien aus der Wissenschaft begründen, überdenken und erweitern können.

< «Nichts ist praktischer als eine gute Theorie»

Die Quellenzuschreibung zu dieser listigen Überbrückung des Theorie-Praxis-Grabens reicht von den Philosophen Immanuel Kant und Karl Popper über den Physiker Albert Einstein bis zum Sozialpsychologen Kurt Lewin. Vielleicht stärkt dies noch die universelle Gültigkeit des Bonmots. Wichtiger jedoch als die Herkunft ist die Aussage mit ihrer List: Es wird nicht etwa der Nutzen der Theorie für die Praxis betont, sondern gar die Theorie selbst als praktisch bezeichnet!

Jede Profession verfügt über ihre Berufstheorie und -wissenschaft, und Professionelle können im Unterschied zu angelernten Hilfskräften ihr berufliches Handeln auf diese Berufstheorie beziehen: Der Maler weiß, wie er Wände und Decke im Bad der Altbauwohnung vorbehandeln und streichen muss, damit der schöne Anstrich nicht nach wenigen Monaten blättert. Er verfügt über eine Berufstheorie. Der Hilfsmaler streicht dann die Farbe in diesem oder jenem Kübel nach Anweisung.

Auf Bildung übertragen, heißt das: Die professionelle Lehrperson plant ihr berufliches Handeln in Verbindung der Situation mit relevanter und aktueller Theorie. Sie handelt und reagiert in der Praxis theoretisch fundiert, und sie reflektiert den Lehr-Lern-Prozess theoriegeleitet.

Professionelle Handwerker verfügen über eine differenzierte Berufstheorie, nutzen diese und sind stolz auf sie. Hingegen ist es ernüchternd und auch erschreckend, wie gerade im Bildungsbereich die Berufswissenschaft schlicht kaum zur Kenntnis genommen wird, ja wie es oft gar zum guten Ton gehört, Berufstheorien zu negieren und schlechtzureden.

Die Lern- und Unterrichtsforschung hat im Laufe der letzten Jahrzehnte gesichertes Wissen zu Lernen und Lehren angereichert und stellt dadurch ganz «praktische» Theorien zur Verfügung. […]

Alle Lehrpersonen handeln auf der Basis von Theorie: ihrer subjektiven Theorie zu Lehren

Subjektive Theorien sind handlungsleitend

Die häufige Gegenüberstellung, ja Abgrenzung von Theorie und Praxis ist wenig nützlich, Theorie und Praxis sind nur scheinbar ein Gegensatz. Zum einen sind Absicht, Entwicklung und Verifizierung jeder wissenschaftlichen Theorie auf eine Praxis bezogen, und zum andern «gibt es kein Alltagshandeln und damit eben auch keine Praxis ohne Theorie: Auch der Alltagsmensch – und damit auch die Alltagslehrperson [Anm. d. V.] – handelt auf der Basis von (subjektiven) Theorien. Er besitzt und benutzt mehr oder minder differenzierte Konzeptsysteme über seine Umwelt und über sich selbst» (Dann 1994).

Bezogen auf das berufliche Handeln von Lehrpersonen, bedeutet dies, dass sie über subjektive Theorien als verdichtete Erfahrung und kumuliertes Wissen verfügen, auf die sie bei der Planung und der Durchführung von Unterricht und beim Nachdenken darüber zurückgreifen.

Was sind denn subjektive Theorien?

In Anlehnung an Dann (1994) können subjektive Theorien wie folgt umschrieben werden:

•Subjektive Theorien sind relativ stabile und strukturierte Kognitionen zur Selbst- und Weltsicht.

•Sie sind teilweise implizit («Selbstverständlichkeiten» und unreflektierte Überzeugungen), teilweise dem Bewusstsein der Handelnden zugänglich.

•Ähnlich wie wissenschaftliche Theorien enthalten subjektive Theorien eine zumindest implizite Argumentationsstruktur (zum Beispiel Wenn-dann-Beziehung) und haben die Funktionen der Situationsdefinition, der Erklärung, der Vorhersage von Ereignissen, der Entwicklung von Handlungsentwürfen und Plänen.

•Darüber hinaus sind subjektive Theorien direkt situativ handlungssteuernd. Zusammen mit anderen Faktoren (z. B. emotionalen) beeinflussen sie so das beobachtbare Verhalten im Rahmen zielgerichteten (Berufs-)Handelns.

Subjektive Theorien steuern auch unbewusst

Die zentralen Berufssituationen von Lehrpersonen, also Unterrichtssituationen, sind hochkomplex, mehrdimensional und mehrdeutig, zum Teil unvorhersehbar und höchst dynamisch.

Ob in diesen dynamischen und komplexen Situationen differenzierte Theoriebestände für bewusste handlungsbezogene Kognitionen verfügbar gemacht werden können, sei hier zumindest infrage gestellt. Wahl (1995) stellt fest, dass es der Lehrperson möglich sein muss, «Situationen sekundenschnell zu identifizieren […] und wirksame Handlungsweisen blitzschnell auszuwählen. […] Wie empirische Untersuchungen zeigen, sind die Prozesse der Situations- und Handlungsauffassung so eng miteinander verbunden, dass die Lehrperson mit der Wahrnehmung der Situation zugleich die besten Lösungsmöglichkeiten sieht.»

Diese auf die aktuelle Situation bezogenen «besten Lösungsmöglichkeiten» stellen nur noch einen Bruchteil des gesamten Theorie- und Erfahrungswissens dar. Nach den Untersuchungen von Wahl «werden pro Situationstyp in der Regel zwischen einer und sechs typischen, das heißt bewährten Lösungen bereitgehalten. Als mathematischer Durchschnittswert ergibt sich 1,502, das heißt, dass pro ‹typische› Situation durchschnittlich ein bis zwei ‹typische› Reaktionen bereitgehalten werden» (ebd.).

Immer noch: Die wirksamste Lehrer- und Lehrerinnenbildung ist die eigene Lernbiografie

Drei bis vier Jahren formaler Ausbildung von Lehrpersonen oder Dozentinnen und Dozenten stehen etwa sechzehn bis zwanzig Jahre Sozialisation in Bildungseinrichtungen gegenüber.

Lehrpersonen lernen das Lehren als Lernende in etwa 18 000 Lektionen. Dabei wird ihre subjektive Theorie zu Lehren aufgebaut. So verwundert es nicht, dass die wohl wirksamste Lehrerinnen- und Lehrerbildung die eigene Lernbiografie ist.

In ihrem Handeln greifen Lehrpersonen also nicht nur auf Wissens- und Erfahrungsbestände zurück, die sie in ihrer Aus- und Weiterbildung erworben haben. Gerade in dynamischen und hochkomplexen Situationen basieren die Reaktionsscripts auf alten und bewährten Mustern, die im Laufe ihrer gesamten Bildungssozialisation aufgebaut wurden. Das hat zur Folge, dass die angewendeten Handlungsscripts oft nicht mit der bewussten Planungsabsicht und den Erklärungs- und Deutungsansätzen übereinstimmen. […]

Lernen ist nicht Reflex, sondern Reflexion: Die Verbindung von Aktion und Reflexion

In Anlehnung an die zentrale These des brasilianischen Pädagogen Paolo Freire (1996) wird Veränderung und damit auch Lernen nur wirksam in der Verbindung von Aktion und Reflexion. Lernen – und damit auch das Lernen zu lehren – ist damit nicht Reflex, sondern Reflexion.

Auf der Ebene der Schülerinnen und Schüler heißt dies, dass besinnungsloses Anhäufen von Wissen ohne situativen Bezug, ohne Be-Deutung, ohne Nach-Denken, ohne intersubjektiven Diskurs wirkungslos bleibt.

Auf der Ebene des Lernens der Lehrpersonen, also in Bezug auf unsere Weiterentwicklung, bedeutet dies, dass in der subjektiven Theorie gefestigte Prinzipien, bewährte Rezepte, automatisiertes Handeln, «1,5 Reaktionsscripts auf Problemsituationen», also die eigene Form der best practice permanent hinterfragt, in Bezug gesetzt, überprüft, ergänzt, erweitert oder gar ersetzt werden müssen, oder anders ausgedrückt: Es zeichnet berufliche Professionalität aus, dass die alltäglichen «Reflexe» immer wieder der Reflexion und Veränderung zugeführt werden.

Wirksame Reflexion braucht Bezugssysteme

Wie es bei physikalischen Wellen erst beim Auftreffen auf ein anderes Medium mit unterschiedlichem Wellenwiderstand (z. B. Grenze Luft–Wasser […]) zur Reflexion kommt, benötigt Reflexion des beruflichen Denkens und Handelns Bezugssysteme, die außerhalb der subjektiven Theorien liegen und eine andere «Beschaffenheit» aufweisen. Um den «Berg der Praxis» reflektieren zu können, braucht es den «See der Theorien» als anderes Medium.

Zu wirksamer Reflexion kommen wir also nur,

•indem wir alternative Aktionen in Betracht ziehen,

•uns «praktische und gute» Theorien aus der Berufswissenschaft über Literatur und Weiterbildung aneignen

•und indem wir mit Kolleginnen und Kollegen über deren subjektive Theorien und ihre Bezüge zu wissenschaftlichen Theorien in Austausch treten.

Dank metakognitiver Kompetenz sind wir in der Lage, aus der erweiterten Sicht dieser außerhalb liegenden Referenzpunkte auf unsere Aktionen und unsere subjektive Theorie zu blicken.

Für professionelles Handeln im (Lehr-)Beruf ist theoriegeleitete Reflexion Nutzen und Verpflichtung zugleich. Voraussetzung dafür ist, dass wir offen sind für

wissenschaftliche Theorien unseres Berufsfeldes. ›

Literatur

Freire, P. (1996). Pädagogik der Unterdrückten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Dann, H.-D. (1994). Pädagogisches Verstehen: Subjektive Theorien und erfolgreiches Handeln von Lehrkräften. In K. Reusser & M. Reusser-Weyeneth (Hrsg.), Verstehen. Psychologischer Prozess und didaktische Aufgabe (S. 163–182). Bern: Huber.

Wahl, D., Wölfing, W., Rapp, G. & Heger, D. (Hrsg.) (1995). Erwachsenenbildung konkret. Mehrphasiges Dozententraining. Eine neue Form erwachsenendidaktischer Ausbildung von Referenten und Dozenten. Weinheim: Deutscher Studienverlag.

Auszug aus: Birri, T. (2006). «Nichts ist praktischer als eine gute Theorie». In D. Berlinger, T. Birri & B. Zumsteg, Vom Lernen zum Lehren. Ansätze für eine theoriegeleitete Praxis. Bern: hep (Aus der Praxis für die Praxis, H. 33/34), S. 8–18 (überarbeitet) © hep verlag, Bern.

5 Reflexionsfähigkeit und -praxis der Lehrperson

5 Reflexionsfähigkeit und -praxis der Lehrperson

Im folgenden Ausschnitt werden einige zentrale Erkenntnisse aus einem Forschungsprojekt dargestellt, das sich mit der Analyse der Reflexionsfähigkeit und -praxis der Lehrpersonen beschäftigt. Entstanden ist die Untersuchung im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt «Standarderreichung beim Erwerb von Unterrichtskompetenz im Lehrerstudium und im Übergang zur Berufstätigkeit» (Baer et al. 2005).

‹ Der Beruf der Lehrperson hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Die traditionelle Rolle der Lehrperson als Informationsvermittlerin ist in den Hintergrund getreten. In der heutigen Zeit sind dank der elektronischen Medien fast alle Informationen dieser Welt per Knopfdruck erhältlich. Die Lehrperson ist damit viel mehr zu einem Wegbegleiter von Kindern und Jugendlichen geworden, der an der Seite steht, anleitet und begleitet (Herz 2004).

Damit haben sich auch die Anforderungen an angehende und praktizierende Lehrpersonen geändert. Als charakteristisch für den Lehrberuf wird die beachtliche Vielfalt von Arbeitsaufgaben gesehen. Die Aufzählung reicht von Unterrichten, Erziehen, Diagnostizieren und Beurteilen, Beraten bis zur Schulentwicklung (Bauer 2002). In Anbetracht der vielfältigen Aufgaben, die eine Lehrperson im täglichen Berufsleben zu bewältigen hat, sollte sie ihre eigenen Handlungen konsequent reflektieren, um sich beruflich weiterentwickeln und sich den praktischen Anforderungen anpassen zu können. Das Handeln der Lehrperson ist damit nicht bloß ein gewohnheitsmäßiges Tun, sondern ein intelligentes Handeln, das durch explizites und implizites Wissen gesteuert ist und sich auf vielfältige Reflexionen abstützt (Messner & Reusser 2000).

Um zu erfahren, ob und inwiefern Lehrpersonen über ihr Handeln und ihren Unterricht reflektieren, wurden junge Lehrpersonen im Berufseinstieg, die ihre Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) absolviert hatten, und erfahrene Lehrpersonen, die für die PHZH als Praktikumslehrpersonen tätig waren, mit verschiedenen Instrumenten befragt. Dabei waren die Aussagen der Lehrpersonen in den mündlichen Interviews besonders aufschlussreich.

Sehr erfreulich sind die positiven Einstellungen, die die Lehrpersonen gegenüber der Reflexion von Unterricht äußern. Die Lehrpersonen sind grundsätzlich der Ansicht, dass die Reflexion ein wichtiger Bestandteil der Lehrerarbeit ist, der zu einer verbesserten Unterrichtsqualität und zur Unterrichtsentwicklung beiträgt. Gemäß den Angaben der Lehrpersonen gehört die Reflexion zu den alltäglichen Arbeiten, und die Reflexion von Unterricht wird regelmäßig und bewusst vorgenommen. Die Aussagen der Lehrpersonen machen jedoch auch deutlich, dass die Reflexion zumeist individuell und wenig strukturiert abläuft. Als Zeitgefäße werden insbesondere Mittagspausen, die Pausen zwischen zwei Unterrichtslektionen oder der Reiseweg vom Schulort nach Hause genutzt. Die Reflexion findet dabei zumeist in Gedanken statt, eine Verschriftlichung oder eine Reflexion auf der Grundlage von schriftlichen Vorlagen wird sehr selten vorgenommen. Als Grund für diese eingeschränkte Reflexionstätigkeit wird von den Lehrpersonen angegeben, dass im Unterrichtsalltag zumeist wenig Zeit für die Reflexion vorhanden ist. Dies einerseits, weil kaum institutionalisierte Gefäße für die Reflexion zur Verfügung stehen, zum anderen, weil der Alltag mit so vielen anderen Aufgaben und Ämtern beladen ist, dass für eine gezielte Reflexion keine Zeit oder Energie mehr aufgewendet werden kann. Viele Lehrpersonen bedauern diesen Zustand und würden sich wünschen, dass vermehrt Möglichkeiten für kollegiales Reflektieren, beispielsweise beim Besprechen von Unterricht oder bei Unterrichtshospitationen, vorhanden wären.

Die Aussagen der Lehrpersonen sind sehr verständlich und nachvollziehbar. Nebst allen anderen Aufgaben noch Zeit und Energie für die individuelle oder kollegiale Reflexion zu finden, ist im Unterrichtsalltag nicht immer leicht. Umso wichtiger ist es, dass sich eine Lehrperson bereits in der Ausbildung Gedanken dazu macht, welche Kriterien, Ziele und Inhalte eine Reflexion umfassen kann und welche Möglichkeiten der Umsetzung in der Berufspraxis bestehen. Denn wie jede andere Kompetenz erfordert auch die Reflexionskompetenz Fähigkeiten und Fertigkeiten, die angeeignet und geübt werden müssen. Nur dann ist es möglich, auch im teilweise hektischen Berufsalltag gezielt, regelmäßig und bewusst zu reflektieren. Damit wird sich nicht nur die Qualität des eigenen Unterrichts verbessern. Die Reflexion kann auch dabei helfen, sich über die Hintergründe und Ziele der eigenen Handlung bewusst zu werden und diese gegenüber Drittpersonen darlegen zu können, sich selber, die eigenen Ansichten und Fähigkeiten besser kennenzulernen und dadurch die Grenzen des eigenen Handelns zu erkennen, neue, erweiterte Sichtweisen einzunehmen und sich dadurch bei der Arbeit längerfristig wohlzufühlen (Dauber 2006). ›

Literatur

Baer, M., Guldimann, T., Fraefel, U. & Müller, P. (2005). Standarderreichung beim Erwerb von Unterrichtskompetenz im Lehrerstudium und im Übergang zur Berufstätigkeit. Zürich und St. Gallen: Pädagogische Hochschule (Forschungsgesuch zuhanden des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung [Projekt Nr. 100013-112467/1]).

Baer, M., Guldimann, T., Kocher, M., Larcher, S., Wyss, C., Dörr, G. & Smit, R. (2009). Auf dem Weg zu Expertise beim Unterrichten – Erwerb von Lehrkompetenz im Lehrerinnen- und Lehrerstudium. Unterrichtswissenschaft, 37 (2), S. 118–144.

Bauer, K.-O. (2002). Kompetenzprofil: LehrerIn. In H.-U. Otto, T. Rauschenbach & P. Vogel (Hrsg.), Erziehungswissenschaft: Professionalität und Kompetenz (S. 49–63). Opladen: Leske + Budrich (UTB).

Dauber, H. & Zwiebel, R. (Hrsg.) (2006). Professionelle Selbstreflexion aus pädagogischer und psychoanalytischer Sicht. Schriftenreihe zur humanistischen Pädagogik und Psychologie. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Herz, O. (2004). Konzepte für Deutschland VIII: «Im Leben lernen – im Lernen leben». Otto Herz im Gespräch mit Ralf Lilienthal. a Tempo, (8), S. 6–9.

Messner, H. & Reusser, K. (2000). Berufliches Lernen als lebenslanger Prozess. Beiträge zur Lehrerbildung, 18 (3), S. 277–294.

Auszug aus: Wyss, C. (2010). Unterrichts- und Reflexionskompetenz. Eine mehrperspektivische Analyse von Lehrpersonen im Berufseinstieg und erfahrenen Lehrpersonen. Dissertation, Universität Zürich.

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