Читать книгу: «Altsein ist auch nur ein Teil vom Ganzen», страница 2

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Wie kann man

jemandem helfen,

der aus Gewohnheit ständig

klagt und jammert?

Ihm einen Grund geben.

Maßregelung

Alter schützt vor Lernen nicht, könnte das folgende Ereignis beweisen: Kira und Grassy nehmen ihre Mahlzeiten getrennt ein. Kira im Bad, Grassy in der Küche. Sind beide fertig, inspizieren sie die Schüssel des anderen. Und sollte nur noch ein Krümelchen zu finden sein, findet es der andere triumphierend und tut, als wäre es eine ganze Mahlzeit.

Vor ein paar Tagen war Grassy zu früh fertig. Er tippelte gedankenverloren den gewohnten Weg. Ich saß im Wohnzimmer und hörte einen Schrei aus Angst, Schuld, Wut, Ärger und Enttäuschung. Der kleine Kerl hatte vergessen, dass Kira Kampfhund-Gene hat. Er ließ sich von mir trösten und sagen: »Wir alten Kerle sollten immer so tun, als ob die Frauen Recht haben.«

An den folgenden Tagen sah ich die Konsequenz des Kleinen. Nach jedem Essen blieb er auf der Türschwelle stehen, bildete sozusagen ein Spalier für Kira. Erst wenn sie an ihm vorbei war, machte er sich hemmungslos über ihre Schüssel her. Je des gefundene Stückchen bestärkte seine Gewissheit: Dieser besondere Genuss ist Folge meines devoten Verhaltens.

Dass er ihr heimlich die Zunge rausstreckte, könnte eine Wunsch-Sinnestäuschung von mir sein.

Eben durchzuckte mich ein Lächeln und darauf stand: Nicht nur meine Hunde sind mir treu, ich ihnen auch.

Ist mir ein Mensch unsympathisch,

aber mein Hund mag ihn

(oder umgekehrt),

sollte das ein Grund sein,

meine Gefühle zu überdenken.

Erkenntnisse

Ich habe diesen alten Hund aufgenommen, um ihm zu geben, was ich habe: einen erträglichen, zufriedenen Lebensabend. Und nun hat der kleine Kerl den Spieß umgedreht, er schenkt Freude ohne Ende.

Am Anfang unseres Zusammenseins habe ich mehrfach in der Nacht geprüft, ob er noch atmet. Das lässt mich heute schmunzeln. Tagtäglich nimmt seine Vitalität zu. Vom wehleidig-humpelnden Greis ist er zum stolzen Spanier geworden. Er begrüßt die Hausbewohner mit seinem ureigensten Ganzkörperwedeln. Nach jedem Beinchenheben scharrt er angeberisch wie ein Löwe. Bekomme ich Besuch, baut er sich in Kampfhundmanier auf, lässt minutenlang sein heiser-nerviges Bellen hören und schützt mich so vor überflüssiger Kommunikation.

Selbst seine Gebrechen scheinen einen Sinn zu haben. Weil er alles gehört, alles gesehen hat, was für ihn wichtig war, hat er sich eben für Sehschwäche und Schwerhörigkeit entschieden. Im Gegensatz zu mir kommt er ohne Brille, Zahnprothesen und Hörgerät aus. Er hört und sieht allein auf das, was von innen kommt; seine lebensbejahende Fröhlichkeit ist einmalig. Sollte aber doch mal etwas ganz Besonderes am Wegesrand sein, informiert ihn die Nase.

Noch eine beispielhafte Auffälligkeit entdeckte ich kürzlich. Grassy ist zuweilen räumlich und zeitlich total desorientiert, darum lebt er eben einfach lustig weiter! Mit anderen Worten: Er nimmt es nicht zur Kenntnis, dass seine Zeit vielleicht schon abgelaufen ist, lässt sich von dem leiten, was der Tag ihm gibt, was sein Inneres ihm schenkt. Spürt er mich im Seelengrau, findet er einen Weg, sein kleines Köpfchen in meine Hand zu schmiegen. Und auch das tut er mit ganzer Hingabe, genießt es, als wär’s das erste Mal. Nein, vielleicht ist’s für ihn das erste Mal, weil er eben das Mal zuvor vergessen hat.

Wer immer klagt, was er alles versäumt habe, sollte Hinsehen lernen.

Wahrscheinlich hätte ich mir

dieses Leben nicht ausgesucht,

wenn nicht etwas in mir gewusst hätte,

dass ich’s so hinkriege.

Plato

»Er soll furchteinflößend aussehen, liebenswürdig sein und sich natürlich gut mit meiner Hündin Berta verstehen«, sagte ich zum Tierheimleiter. Berta und ich waren in Deutschland und suchten einen neuen Mitbewohner für unseren Waldbauernhof in Litauen. Ich lebte mit den Tieren allein dort. Weit weg von Menschen. In den letzten Monaten waren immer mal wieder Typen erschienen, die Schnaps, Zigaretten, Geld wollten. Berta konnte zwar laut und wütend bellen, das beeindruckte die Kerle aber nicht.

Wir gingen die Zwingerreihen ab. Und da war er: ein Tierheim-Ladenhüter, eine Kreuzung zwischen Rottweiler und Berner-Sennenhund mit der Masse eines ausgewachsenen Freilandschweines, neun Jahre alt, kampfvernarbtes Gesicht, hängende Unterlippe. Er lief langsam, Gelenke und Gewicht hatten etwas gegeneinander. Plato kam aus dem Zwinger, ich hockte mich nieder, der Hund setzte sich vor mich. Berta, interessiert und entspannt, kam dazu. Es war ein Kennenlernen mit unausgesprochener, dreifacher Sympathie.

Ich konnte ihn nicht gleich mitnehmen. Der Leiter rief: »Plato, komm.« Plato blieb bei uns. Berta und ich gingen in den Zwinger. Plato folgte. Ich sagte: »Das ist er! Ich hole ihn morgen ab.« Der Tierheimleiter meinte: »Für ihn brauchen Sie nichts zu bezahlen. Der ist zu alt. Sie werden aber sicher noch einige Monate Freude an ihm haben.« Am nächsten Tag fuhr ich mit meinem Tiertransport, bestehend aus Plato, Berta, elf Chabo-Hühnchen plus Hahn zurück in unsere Waldidylle. Aus den prophezeiten »einigen Monaten« wurden dreieinhalb Jahre.

Platos Freundlichkeit und Geduld machten ihn zu einem Weisen auf dem Hof. Ohne Bellen schaffte er es, Konflikte gewaltfrei zu entschärfen. Nur sein Erscheinen, sein vernarbter, dicker Kopf brachten Streitende zur Ruhe. Es gab nur eine einzige Unstimmigkeit zwischen uns, gleich zu Anfang, nachdem er bei mir war, und die lief folgendermaßen ab: Ich sah, wie Plato mit gesenktem Kopf, irgendwie schuldbeladen, über die Wiese schlich. Etwas an seinem Gesicht war anders. Es schien, als hätte er die Backen aufgeblasen. Ich schrie (der Hund hörte etwas schwer): »Plato, aus!« Der Hund senkte den Kopf noch tiefer, öffnete widerwillig das Maul. Da fielen drei (!) Zwerghuhn-Eier heraus, sie gingen nicht mal im Gras kaputt. Ein konsequenter Erzieher sollte in solchen Situationen nicht lachen, ich weuß. Aber Konsequenz macht auch nicht immer Spaß.

Einige Tage später standen wieder die aufdringlichen Typen vor dem Tor, die nicht begreifen konnten, dass es männliche Menschen gibt, die keinen Schnaps trinken. Normalerweise wären die Kerle unaufgefordert aufs Grundstück gekommen. Aber Plato wurde sichtbar. Sein Brummen hörte sich wie ein Knurren an. Ich griff demonstrativ ins Halsband, rief »Stopp!« und tat, als müsse ich Plato vom Tor wegziehen. So verlief der letzte Versuch, Schnaps, Zigaretten oder Geld zu schnorren. Obwohl der Große etwas auf Diät sein sollte, bekam er an diesem Abend eine reichliche Portion.

Plato entwickelte sich zu einer regelrechten Plaudertasche. Er hat circa zwanzigmal in den dreieinhalb Jahren gebellt. Aber wir verstanden uns auch so, weil Kommunikation mehr als Quatschen ist. Sein Gehör wurde mit der Zeit schlechter. Ich brauchte nur auf den Oberschenkel zu schlagen, das hieß »Komm!« und er folgte.

Er überlebte Berta, half mir sehr über diesen Verlust hinweg. Schließlich kam der Tag, als der große Kerl gar nicht mehr aufstehen konnte. Mühte sich, knickte ein, jammerte. Die Ärztin sagte: »Er hat doch viel mehr gehabt, als er erwarten konnte.« Dann gab sie ihm die Spritze. Sein großer Kopf lag auf meinem Schoß und sog die Tränen auf.

Ohne diese außergewöhnlichen Ereignisse und Erfahrungen wäre mein Leben geradlinig und langweilig gewesen und ich müsste ihnen noch heute nachjagen.

Ein bisschen dement schützt davor,

nachtragend zu sein.

Leicht dement?

Es geht dahin; wie’s kommt, ist’s recht.

Bei Hunger wird gegessen.

Da malmt die Kuh, dort schluckt der Specht

und ich kau selbstvergessen.

Ja, selbst vergessen ist nicht schlecht,

wenn grad die Launen stressen.

Mich wiederfinden, wär mir recht.

Wen könnt ich sonst vergessen?

Die meisten Fehler der jungen Jahre

kann man erst im Alter

genießen.

Altersstarrsinn

Zu wissen, wo man etwas ändern kann, was anderen nützt, ist ein edles Ziel.

Ich wollte edel sein und begann Grassys Fell zu kürzen. Dieser Sommer zeigte nämlich die Wirkung des Klimawandels von morgen. Stückchen für Stückchen, Strähne für Strähne fiel dem Kleinen vom Körper. Seine Geduld war begrenzt, meine auch.

Wir einigten uns auf Teilzeitarbeit, sind schließlich beide Rentner, müssen uns von nichts mehr treiben lassen. So blieb Grassy halbfertig: sein Körper edel geschoren, sein Kopf löwenwollig und die kurzen Beine sehen wie mittelalterliche Pluderhosen aus. Das hat was.

Mit abnehmender Haarfülle wuchs Grassys Selbstbewusstsein (bei mir wäre das umgekehrt), angefangen bei der stolzen Körperhaltung über die Wandergeschwindigkeit bis zu nachdrücklichen Willensäußerungen und Bestimmer-Tendenzen. Er macht jetzt Sofa und Schoß zur Chefsache und wer hier Chef ist, steht mittlerweile auch fest.

Er weiß einfach, mit welchem Charme er auf die Nerven geht, hat mich voll im Griff.

Caro nennt das Altersstarrsinn.

Ich nenne das Selbstfindungsergebnis.

Wo Humor und Menschlichkeit verschmelzen, wächst akute Infektionsgefahr.

Von Menschen nicht mehr gebraucht,

vermisst, gefragt zu sein,

machte mich erst traurig und lähmte.

Da merkte ich,

wie sehr mich die Hunde brauchen,

und ich wurde wieder interessant,

sogar für mich.

Nasenschein

Seitdem ich weiß, dass Grassy das Großvatergetrödel beim Spaziergang gar nicht braucht, stellt sich die Frage, warum er’s tut. Zumal er durchaus in der Lage ist, auf dem Nachhauseweg die Leine richtig fest nach vorn (!) zu straffen.

Ich denke, die Beantwortung der Frage hängt mit seinen Defiziten zusammen. Bekanntlich sieht er sehr schlecht und hört noch schlechter. Aber seine Nase ist überragend. Kira guckt, riecht, hört am Anfang jeder Wanderung nach allen Seiten. Unwichtiges lässt sie unbeachtet, kann es ganz schnell ignorieren. Nur bei Interessantem lässt sie sich Zeit. Grassy kann das nicht. Er muss dem Geruch ein Bild zuordnen oder, noch komplizierter, dem Geruch ein Geräusch und dem Geräusch ein Bild. Und das dauert eben.

Außerdem ist er alt, hat Lebenserfahrung, kennt ja schon so viele bemerkenswerte Erscheinungen. Der Kleine muss Ereignisse suchen, in denen er die erschnüffelten Bilder findet. Daraus könnten dann ganz besondere Erinnerungen zutage treten. Aber das dauert noch länger.

Nicht dass ich ungeduldig bin. Aber meist sind Kira und Blacky schon vom Horizont verschluckt, wenn Grassy den zweiten Strauch in Nasenschein nimmt (Augenschein geht ja nicht).

All das Gedenke ist mir sowieso zu umständlich, ich erfreue mich einfach an Grassys Schnüffelerleben.

Solange mir der Kopf noch Fragen stellt und Antworten anbietet, ist das Leben lebenswert.

Fröhlichkeit

geht künstlich

nicht.

Schwingungsbarometer

Es war vorschnell und deshalb wahrscheinlich falsch: Ich glaubte nämlich, Grassys Nase sei das einzig richtig funktionierende Sinnesorgan. Nein, das Erspüren, Erfühlen, Empfangen geringster Erschütterungen ist noch so ein Informationsmagnet.

Dass Hunde Mitgefühl haben und auf unseren Seelenzustand reagieren, habe ich ja schon beschrieben. Aber aus hauchhaften Regungen, z. B. dem Husten einer Ameise, Mitteilungen zu entnehmen, ist doch bemerkenswert.

Neulich trat ich leicht, aber sinnlos-trotzig auf den Waldboden. Der Zwerg ärgerte mich mal wieder, wandertechnisch. Er guckte erstaunt auf, als sei etwas nicht ganz so Gutes in seinen Körper gedrungen, hatte das Treten als Vibration wahrgenommen, hatte es gefühlt.

Sein Langzeitgedächtnis fing an zu arbeiten. Es suchte nach ähnlichen Ereignissen aus der Vergangenheit, wie er sich damals verhalten hatte und was richtig war. Danach konnte er entscheiden, was heute von Vorteil wäre. Genauer gesagt: Ob er mich weiter ärgern könnte oder nicht. Ganz schön durchtrieben. Oder?

Woher stammt eigentlich die Behauptung, der Mensch sei die Krone der Schöpfung? Tiere können mit übler Nachrede, Hass, Neid, Missgunst, Gier nicht viel anfangen. So haben sie’s mir auch vermiest.


Grassy

Alles Tun aus Liebe, ohne Absicht,

kann eine Quelle sein, die in dir entspringt

und über dich hinaus

unaufhörlich

durch andere fließt.

Ein Sonnenband

Grassy versucht immer, in meiner Nähe zu sein, das reicht ihm. Ihm muss keiner sagen: »Ich hab dich lieb.« Das fühlt der, wenn’s so ist.

Kira, ihn und mich verbindet ein »Sonnenband«. Das sendet warme, leuchtende Lebensfreude von einem zum andern. Genau dann, wenn der’s gerade braucht. So bekommen meine depressiven Anwandlungen eine helle Umrandung, die mir sagt, wo es hingeht. Ein Sonnenband sollte jeder kennen. Es entsteht überall, wo ehrliche Zuwendung zu Hause ist, ohne Berechnung, ohne Absicht.

Ein wenig unersättlich ist Grassy schon. Menschen, die mich besuchen, bekläfft er so lange, bis sie ihn liebkosen. Vielleicht will er Kira und mir sagen: Nehmt alles Gute mit! Oder: Wer das Gute erzwingt, verstellt den Platz für Schlechtes, denn Schlechtes ist Last und die kommt von allein.

An Gutem bleiben oft nur die kleinen, fast unbewussten, ehrlichen Taten.

Interesse am Leben

kommt von

Interessen im Leben.

Überlegung

Was wäre, wenn ich meine Hunde nicht hätte? Spaziergänge würden an der Mülltonne enden. Suizidgedanken wären unterhaltsam, denn …

… wer sollte mir zeigen, wie in Würde Altern geht,

… wer könnte mir zeigen, wie ich mit »Gebrechen« umgehe,

… wem könnte ich Liebe, Zärtlichkeit, Zuwendung geben,

… wer sollte mir Liebe, Zärtlichkeit, Zuwendung geben,

… wem könnte ich ehrliche Freude schenken,

… wer würde mir ehrlich Freude zeigen,

… wer wäre überhaupt ehrlich,

… warum sollte ich noch Regelmäßigkeit pflegen,

… wozu sollte ich mich noch überwinden,

… wofür trüge ich Verantwortung,

… wer würde etwas von mir wollen?

Vor allem aber: Wer würde auf mein Schweigen antworten?

Frieden wächst nicht von oben nach unten oder umgekehrt. Frieden kann nur von innen nach außen wachsen.

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Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
Объем:
87 стр. 13 иллюстраций
ISBN:
9783946424116
Издатель:
Правообладатель:
Автор
Формат скачивания:
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