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Bebel August
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Die Versailler haben den Kampf gegen Paris viele Wochen lang geführt und sie haben nicht mit Zuckererbsen geschossen; daß es dabei Verwüstungen absetzt, ist selbstverständlich. Aber während der letzten 8 Tage, als sie mit Hilfe der Deutschen den Montmartre mit 50 schweren Geschützen besetzen konnten, haben sie mit glühenden Kugeln und selbst mit Petroleumbomben auf die Häuser geschossen und, wie nicht anders zu erwarten, viele davon in Brand gesteckt. So sind die meisten Brände durch die Versailler entstanden, die sie der Kommune in die Schuhe schieben. Als nun der Kampf in den Straßen entbrannte und seitens der Versailler mit wilder Grausamkeit geführt wurde, war die Kommune genötigt, einzelne Gebäude zu Verteidigungszwecken anzuzünden, um die Versailler für eine Weile zurückzuhalten. Ist denn diese Handlungsweise so ungerecht und unerhört, daß man sie als Mordbrennerei bezeichnen darf? Die Deutschen haben bei der Belagerung von Straßburg 500 bis 600 Häuser demoliert, nur um die Stadt zur Uebergabe zu zwingen, obgleich sie mit der Zivilbevölkerung keinen Krieg führten. Als die Festung Soissons übergeben wurde, betätigten die verschiedensten Berichterstatter, daß fast kein Haus in der Stadt unversehrt sei, daß ganze Straßen vernichtet, fast alle Dächer zerschossen, aber die Wälle der Festung intakt seien. Man beschoß die Privathäuser und verwundete und tötete die Bevölkerung, damit diese in ihrer Not die Offiziere zur Uebergabe zwang. Ich habe nicht gelesen, daß die liberale Presse diese Art der Kriegführung mißbilligt hätte. Und wie die Deutschen gegen die Festungen, so handelte Thiers gegen Paris, und da will man es der Kommune als Verbrechen anrechnen, wenn sie sich, so gut es ging, wehrte! Bei dem Aufstand 1849 in Dresden verlangte Herr von Beust von den zu Hilfe gerufenen Preußen, sie sollten die Stadt in Brand schießen, und das wäre geschehen, wenn nicht der kommandierende Graf von Waldersee erklärte, er hoffe auch ohne das mit den Insurgenten fertig zu werden. Allerdings hat man es aber dann an anderen Barbareien nicht fehlen lassen. So hat man zum Beispiel eine Anzahl Gefangene von der großen Elbbrücke in das Wasser gestürzt, und wenn sie versuchten, sich an dem Geländer festzuhalten, hackte man ihnen mit Säbeln die Finger ab. Aehnliche und schlimmere Grausamkeiten begingen die Versailler Ordnungsbanditen wochenlang in Paris.

Der größte Teil der Brände entstand also durch die Beschießung von Paris seitens der Versailler, wie das auch ein Augenzeuge, der eben in jener Zeit in Paris war und sich schon seit 20 Jahren dort aufhielt, der italienische Abgeordnete Patrucelli della Gattinea, in der „Gazetta d'Italia“ öffentlich erklärt hat. Derselbe schrieb, man müsse annehmen, daß von zehn in Brand geratenen Häusern sicher neun durch die Versailler Bomben in Brand geschossen worden seien. Die Brandstiftungen der Kommune seien zu Verteidigungszwecken geschehen. Da nun die Zahl der angezündeten und niedergebrannten Häuser sich auf zirka zweihundert belief, so träfe hiernach die Kommune ein verhältnismäßig geringer Teil.

Meine Herren, die Zeit, die mir gewährt ist, ist bereits weit vorgeschritten, ich habe nur noch wenige Minuten, ich werde aber die Belege für das von mir Angeführte entweder in der Duplik oder in einer zweiten Versammlung, die abzuhalten nötig sein wird, beibringen. Ich kann alles, was ich gesagt, durch gegnerische Aussagen als wahr beweisen….

Ich kam dann nochmals auf die Erschießung der Geiseln, die angeblich Ferré veranlaßt habe, zu sprechen und fuhr fort:

Die Kommune hat gehandelt, wie sie nach Lage der Dinge handeln mußte, und wer ihr Verfahren nicht billigt, wird es wenigstens erklärlich finden und entschuldigen.

Mit der Anklage gegen Ferré schloß Herr Sparig, ich muß jetzt ebenfalls schließen. Sicher steht fest, daß die Kommune nichts getan hat – und ich hoffe, noch Gelegenheit zu haben, dies weiter zu beweisen —, dessen sie sich zu schämen brauchte, und daß sie an Gewalttaten nichts begangen hat, was nicht in Europa die monarchischen Regierungen in ähnlichen Momenten hundert- und tausendmal ärger getan haben. (Stürmischer, lang anhaltender Beifall.)

Vorsitzender Motteler: Meine Herren, wir müssen die Sache kurz machen; soeben hat mir der Herr Polizeidirektor mitgeteilt, daß er nur bis 12 Uhr die Versammlung tagen lassen könne.

Nachdem dann Sparig kurz, aber völlig belanglos geantwortet, nahm ich nochmals das Wort:

Meine Herren, Herr Sparig hat auf meine Rede nicht geantwortet, er hat sich auch nicht bereit erklärt, eine zweite Versammlung abzuhalten, obgleich wir bei der vorgeschrittenen Zeit heute nicht fertig werden können. Ich bin nun genötigt, auf einige der letzten Bemerkungen des Herrn Sparig kurz einzugehen. Herr Sparig hat seinen eigenen Mut gepriesen, daß er uns entgegen getreten ist. Ob ein großer Mut dazugehört, einer Partei entgegenzutreten, von der man behauptet, daß sie nur aus einem Häuflein phantastischer Köpfe besteht, will ich dahingestellt sein lassen.

Herr Sparig hat dann die Hoffnung ausgesprochen, daß die heutige Versammlung zu einer lebhafteren Beteiligung bei den Wahlen beitragen werde; das hoffen auch wir. (Heiterkeit.) Wir werden dabei keinen Schaden haben. (Zustimmung.) Bisher hat jeder Wahlkampf gezeigt, daß wir einige hundert Stimmen mehr erhielten als vorher, und ich hoffe, die heutige Versammlung hat dazu beigetragen, daß dies bei der nächsten Reichstagswahl erst recht der Fall sein wird. (Heiterkeit, Bravo!)

Herr Sparig hat sich auch für verpflichtet erachtet, im Namen der Nachkommen Blums dagegen zu protestieren, daß ich denselben in Verbindung mit der Kommune gebracht. Ich weiß nicht, woher Herr Sparig die Vollmacht hat, gegen etwas zu protestieren, was nicht geschehen ist. (Heiterkeit.) Ich weiß so gut wie irgend jemand, daß Robert Blum kein Sozialist war, aber er war ein guter Demokrat und ein echter Republikaner, und das ist mehr, als Herr Sparig ist. (Beifall. Herr Sparig verneigt sich. Stürmische Heiterkeit.) Ich habe nur erklärt, daß die Kommune sich in einer ähnlichen Lage befand, wie 1848 in den Oktobertagen Wien. Und daß Robert Blum, der damals in Wien war, sich mit einer Entschiedenheit für die Fortsetzung der Revolution ausgesprochen, wie das seitens der Kommune nicht entschiedener geschehen konnte. Und da ich vorhin auf eine Rede von Robert Blum aus jenen Tagen Bezug nahm, so will ich hier bemerken, daß dieselbe sich in einem Buche befindet, das ein Herr Artur Frey zu Ehren Blums herausgegeben hat und in welchem er sich bemüht, Robert Blum als Mensch, Schriftsteller und Politiker darzustellen. Die betreffende Stelle der Rede lautet:

„Keine halbe Revolution! Fortschreiten, wenn auch blutiges, auf der eingeschlagenen Bahn, vor allem – keine Schonung gegen die Anhänger des alten Systems, die Ruhe aus selbstsüchtigen Absichten begehren; gegen diese werde ein Vernichtungskrieg geführt.“

Kann der entschiedenste Sozialist sich entschiedener ausdrücken, als es hier von Robert Blum gegen die Gegner der Revolution geschah?

(Beifall.)

Und nun hören Sie auch eine Stelle aus der Proklamation, welche Windischgrätz an die Wiener erließ:

„Die Stadt ist befleckt worden durch Greueltaten, welche die Brust jedes Ehrenmannes mit Entsetzen erfüllen! … Wien befindet sich in der Gewalt einer kleinen, aber verwegenen, vor keiner Schandtat zurückschaudernden Faktion; Leben und Eigentum sind einer Handvoll Verbrecher preisgegeben!“

Stimmt das nicht bis aufs Wort mit den Erklärungen überein, die Herr Thiers über Paris und die Kommune erließ? (Zustimmung) Herr Sparig hat weiter gesagt: solange die Sozialdemokratie der Phantasie des Internationalismus huldige, könne sie seitens seiner Partei keine Beachtung finden. Auf das letztere verzichten wir. (Heiterkeit.) Aber ist denn die Idee der Internationalität wirklich etwas Phantastisches? Aus der Familie wurde der Stamm, aus mehreren Stämmmen der Staat und die Nation, und schließlich entwickelt sich aus der engen Verbindung der Nationen die Internationalität. Das ist der historische Verlauf. Und indem der Sozialismus sich auf den Standpunkt der allgemeinen Menschenliebe und Brüderlichkeit stellt, indem er dafür kämpft, daß die nationalen Kriege und Verhetzungen aufhören, daß die Nationen in friedlicher Arbeit und Kulturförderung zusammengehen, vertritt die Sozialdemokratie die höchste Kulturidee, die überhaupt denkbar ist. (Beifall.)

Indem man nun unsere Partei, weil sie den engherzigen nationalen Standpunkt bekämpft, weil sie gegen die Rassenkämpfe Front macht und die Idee der Völkerverbrüderung vertritt, beschimpft, verleumdet und verfolgt, geschieht ihr nur, was zu allen Zeiten den Vorankämpfenden geschah. Meine Herren! Gehen Sie beispielsweise heute noch in ein gut katholisches Land und hören Sie einmal, mit welcher Unkenntnis über Luther geurteilt wird! So ist es allen Parteien in der Welt gegangen, die den Fortschritt vertraten, und so erging es auch der liberalen. Heute, wo die liberale Partei am Ruder ist und die Herrschaft hat, betrachtet sie ihre Welt für die beste der Welten, und wir, die wir dies nicht anerkennen wollen, wir werden von ihr heute behandelt, wie sie selbst von der feudalen Partei vor kaum zwanzig Jahren behandelt wurde. Ganz natürlich das!

Wir lassen uns durch solche Anschuldigungen nicht beirren, wir wissen, daß unsere Zeit kommt, daß die Verhältnisse uns in die Hände arbeiten, daß mit der Zunahme des Klassengegensatzes, mit dem Verschwinden der Mittelschicht, des Kleinbürgertums, das in die Reihen der Lohnarbeiter geschleudert wird, die Sozialdemokratie immer stärker wird, bis sie endlich die Macht in Händen hat. (Lebhafter Beifall.)

Herr Sparig hat sich gefreut, daß bei der letzten Landtagswahl in Chemnitz kein Sozialdemokrat in den Landtag gekommen ist. Die Freude dürfte ihm bald zu Wasser werden. (Heiterkeit.) Es ist aber bezeichnend für ihn, daß er damit sein Wohlgefallen an einem Wahlgesetz kundgibt, das nur durch seine reaktionären Bestimmungen eine Volkswahl verhindert. (Beifall.) Indes der Sozialdemokrat wird doch in den Landtag kommen, wenn auch dieses Jahr nicht, so im nächsten Jahre gewiß (Bravo, Heiterkeit), und hätte der Chemnitzer Stadtrat die Wahlliste ebenso geführt, wie er die Steuerliste führt – zwei Dinge, die bekanntlich auch in Leipzig nicht harmonieren —, so wäre er schon drinnen. (Große Heiterkeit und Beifall.)

Endlich hat Herr Sparig, indem er sich an die hier anwesenden Vertreter der konservativen Presse wandte, gemeint, die konservative Presse werde jetzt wohl einsehen, daß die Nationalliberalen mit der Sozialdemokratie nichts zu schaffen haben. Das hat sicherlich noch kein Mensch wirklich geglaubt, und die, welche es geschrieben haben, am allerwenigsten. (Heiterkeit.)

Tatsache ist, daß der Streit zwischen Konservativen und Nationalliberalen nur als ein Streit wie zwischen zwei unzufriedenen Eheleuten betrachtet werden kann. Mischt sich ein dritter hinein, so sind sie einig. (Heiterkeit.) … Vor einigen Wochen stand im „Leipziger Tageblatt“ ein Artikel, in dem allen Gegnern der Sozialdemokratie zugerufen wurde: „Bilden wir allesamt eine einzige große Ordnungspartei.“ Nun, wir gratulieren Ihnen dazu, Sie werden's nötig haben. (Heiterkeit.) Wir haben es auch kürzlich in Chemnitz gesehen. Anfangs lagen sich dort Konservative und Nationalliberale in den Haaren und beide Parteien wollten einen Kandidaten aufstellen, weil keine der anderen das Feld gönnte, doch als es hieß, ein Sozialist würde aufgestellt, da hörte der Streit auf, da hieß es. „Alle gegen Bebel.“ (Große Heiterkeit und Beifall.)

Mit meinen Ausführungen schloß die glänzend verlaufene Versammlung.

Neue Verfolgungen

Anfang Januar 1876 hielten die sächsischen Parteigenossen eine sehr gut besuchte Landesversammlung in Chemnitz ab, in der man sich bereits mit der Aufstellung der Kandidaten für die nächste Reichstagswahl beschäftigte, die man Januar 1877 erwartete. Die Stimmung war trotz aller Verfolgungen vorzüglich. Mit Beginn des Jahres hatten die Berliner Genossen in der „Berliner freien Presse“ sich ein Lokalblatt geschaffen, das sich allmählich eine bei Freund und Feind angesehene Stellung eroberte. Jetzt wurden auch die ersten Zeichen einer Wandlung der gesamten Politik des Reiches bemerkbar. Mit der Entlassung des Präsidenten des Reichskanzleramtes Delbrück, die Ende April erfolgte, wurde die offizielle Schwenkung nach der schutzzöllnerischen Seite eingeleitet. Der preußische Handelsminister v. Camphausen, der noch kurz zuvor im Reichstag die Lohnherabsetzungen durch die Unternehmer als Mittel, aus der Krise herauszukommen, gerechtfertigt hatte und dafür von Eugen Richter das Lob erntete: Alle Hochachtung vor einem Minister, der es wagt, so unpopuläre Wahrheiten auszusprechen, folgte ihm später in die Wüste nach. Unterdessen nahmen die Verfolgungen gegen die Parteigenossen ununterbrochen ihren Fortgang, ganz besonders wegen Beleidigungen des Reichskanzlers. Bismarck hatte die Gewohnheit angenommen, daß er seine Strafanträge en masse hektographieren ließ und denjenigen Staatsanwälten zur Anklageerhebung zusandte, die ihm einen Beleidiger namhaft gemacht hatten.

Diese Strafanträge wurden von ihm unausgesetzt bis zum Ende seines Amtes – Februar 1890 – gestellt. Dieselben gingen in die Tausende, und die Verurteilten halfen die Gefängnisse bevölkern. Von Charaktergröße legte dieses Verfahren kein Zeugnis ab, es wurde selbst von vielen seiner Verehrer mißbilligt.

Getreu den Intentionen Bismarcks setzte ferner Tessendorf seine Verfolgungen der Arbeiterorganisationen fort. Hatte er bei seiner Anklage gegen die Leiter des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins wegen Vergehens gegen das preußische Vereinsgesetz März 1875 den Antrag auf dessen Unterdrückung mit den Worten begründet: „Zerstören wir die sozialistische Organisation, und es existiert keine sozialistische Partei mehr“, Worte, die sein ganzes Unverständnis der Bewegung bewiesen, so sah er sich jetzt zu weiteren ähnlichen Maßregeln veranlaßt. Die Unterdrückung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins war durch die Gründung der Sozialistischen Arbeiterpartei in Gotha wettgemacht worden. Diese sollte jetzt an die Reihe kommen. Es gelang ihm auch, bei der Ratskammer des Berliner Stadtgerichtes einen Beschluß zu erlangen, wonach sowohl die Berliner Mitgliedschaft der Partei wie die Partei selbst für ganz Preußen für vorläufig geschlossen erklärt wurden. Der Parteivorstand antwortete auf diesen Beschluß mit einer Ansprache an die Parteigenossen, sie sollten unbekümmert um denselben in die Agitation für die nächsten Reichstagswahlen eintreten. Die Partei solle zeigen, daß sie sich durch Beschlüsse, wie jenen der Ratskammer des Berliner Stadtgerichtes, nicht einschüchtern lasse. Es sei nunmehr erst recht notwendig, daß jeder einzelne Genosse seine volle Schuldigkeit für die Partei tue. Dem Trumpf Tessendorfs „Vernichtung der Sozialdemokratie“ müsse durch den Gegentrumpf „Es lebe die Sozialdemokratie“ geantwortet werden. Nunmehr wurden überall in Preußen an Stelle der aufgelösten Parteiorganisation lokale Organisationen ins Leben gerufen, die allerdings jeden Schein einer Verbindung mit der für das übrige Deutschland fortbestehenden Zentralorganisation vermeiden mußten. Das Vorgehen Tessendorfs erwies sich buchstäblich als ein Schlag ins Wasser, denn für die Anwerbung von Parteigenossen, die Verbreitung der Parteipresse und die Sammlung von Geldmitteln leisteten diese Lokalorganisationen mindestens so viel wie die aufgelöste Zentralorganisation.

Freilich war unter diesen Verhältnissen ein Parteikongreß im früheren Sinne nicht mehr möglich. Da wir aber einen solchen nicht entbehren wollten und konnten, traten Reichstagsfraktion und Parteivorstand zusammen, um zu beraten, was geschehen solle. Man einigte sich sehr rasch auf den von mir gemachten Vorschlag, daß die Reichstagsfraktion einen allgemeinen Sozialistenkongreß einberufen solle, und zwar für die Tage vom 20. bis 23. August nach Gotha, wozu die Delegierten in öffentlichen Versammlungen gewählt werden sollten. Um andererseits den preußischen Parteigenossen die Leistung von Parteibeiträgen in unanfechtbarer Form zu ermöglichen, wurde beschlossen, monatlich ein ungefähr handgroßes Blättchen unter dem Titel „Der Wähler“ herauszugeben, das zum Preise von 20 Pfennig sich eines guten Absatzes erfreute.

Tessendorfs Verfolgungseifer begnügte sich aber nicht mit der Auflösung der Parteiorganisation in Preußen. Er ging alsbald auch gegen eine Anzahl Zentralverbände der Gewerkschaften vor, um diesen als „politischen Organisationen“ das Schicksal der Partei zu bereiten. Das gelang ihm auch bei vier derselben. Die aufgelösten Zentralleitungen siedelten nunmehr nach Hamburg über, dessen Vereinsgesetz ein Verbindungsverbot für politische Vereine nicht kannte.

* * * * *

Am 28. Juni war Most endlich nach 26 Monaten Haft aus Plötzensee entlassen worden. An demselben Tage kündigte Bracke öffentlich das Erscheinen einer von Most verfaßten Broschüre an, betitelt: „Die Bastille am Plötzensee“, in der er seine Erlebnisse erzählte und die Art und Weise schilderte, wie er und andere hinter dem Rücken der Beamten sich allerlei Vorteile beschafft und die Beamten hinter das Licht geführt hatten. Diese Veröffentlichung war eine Unklugheit. Kaum war die Schrift erschienen, so verlangte der Minister des Innern von dem nichts ahnenden Direktor des Gefängnisses Plötzensee Auskunft über die geschilderten Vorgänge. Das Resultat war, daß mehrere Beamte bestraft und entlassen wurden und von jetzt ab eine weit strengere Handhabung der Gefängnisordnung Platz griff. Auch wurden von jetzt ab – mit mir machte man, als ich ebenfalls in Plötzensee Quartier beziehen mußte, worüber weiter unten mehr, noch eine Ausnahme – die meisten politischen Gefangenen im sogenannten Maskenflügel interniert. Als Most im Jahre 1878 abermals auf sechs Monate in Plötzensee seinen Einzug halten mußte, vergalt man ihm seine Indiskretionen. Er wurde jetzt in strenge Isolierhaft genommen, und so oft er die Zelle verließ, mußte er, wie die anderen Insassen des Zellenhauses, eine schwarze Maske vorlegen, damit ihn niemand erkenne.

Entsprechend den um jene Zeit einen immer aggressiveren Charakter annehmenden Verfolgungen der Partei wurden auch die verhängten Strafen bemessen. Wo man vordem Wochen oder wenige Monate verhängte, erhielt jetzt der Verurteilte eine drei- und vierfach höhere Strafe zuerkannt. Urteile, die zwölf, fünfzehn, achtzehn und mehr Monate diktierten, wurden Regel. Einzelne Parteiblätter, wie der „Vorwärts“ und die „Berliner Freie Presse“, hatten ständig mehrere Redakteure in Haft. So erhielt zum Beispiel Saeweke-Chemnitz wegen Majestätsbeleidigung und was man als Gotteslästerung ansah zwei Jahre Gefängnis; vom Augsburger Schwurgericht wurden wegen verschiedener Preßvergehen R. Franz zu drei, E. Rottmanner und E. Köber zu je zwei Jahren Gefängnis verurteilt, eine Verurteilung, die in der ganzen Partei einen Sturm der Entrüstung hervorrief. In anderen Prozessen wurde Thomas-Augsburg zu zwei Jahren, Loof-Chemnitz zu einem Jahre vier Monaten verurteilt. Vahlteich erhielt im folgenden Jahre wegen verschiedener Preßvergehen achtzehn Monate Gefängnis, und zu der gleichen Strafe wurde im nächstfolgenden Jahre G.v.Vollmar, der Redakteur der „Dresdener Volkszeitung“ war, verurteilt. Diese Verurteilungen erregten schließlich in der Partei kaum noch Aufsehen; wer Redakteur oder Agitator war, mußte mit dem Gefängnis als einem unumgänglichen Attribut seiner Stellung rechnen. Mit Vollmar war ich infolge seiner Stellung als Redakteur der „Dresdener Volkszeitung“ in lebhafteren brieflichen Verkehr gekommen. Die verschiedenen Preßvergehen, in die er verwickelt war, legten ihm die Frage nahe, ob bei einer Verurteilung ihm die Pension, die er als schwer verwundeter Teilnehmer im Deutsch-Französischen Kriege bezog, nicht entzogen werden könne, und er ersuchte mich darüber um meine Meinung. Darauf antwortete ich ihm unter dem 17. Juni 1877 unter anderem:

„…Bezüglich Ihrer Pensionsangelegenheit habe ich mit Freytag noch nicht sprechen können, glaube auch kaum, daß er Ihnen mehr als ich wird sagen können.

Ich habe mir die Reichstagsverhandlungen angesehen. § 32 des Gesetzes, die Pensionierung und Versorgung der Militärpersonen, bestimmt unter b), daß durch rechtskräftige gerichtliche Verurteilung der Pensionsverlust herbeigeführt werden könne, und bestimmt dann weiter:

Die Pensionserhöhungen können jedoch durch gerichtliches Erkenntnis nicht entzogen werden.

Aus den Verhandlungen ergibt sich nun mit keinem Wort, in welchem Falle ein solches Aberkenntnis eintreten dürfe. Es wurde bei der Beratung darauf aufmerksam gemacht, daß im Reichsstrafgesetzbuch, das ja auch für Bayern gilt, alle Bestimmungen gestrichen wurden, wonach die Pension aberkannt werden könne. Im Gegensatz hierzu besteht aber das alte preußische Militärstrafgesetzbuch aus dem Jahre 1845, das solche Bestimmungen enthält. Da dieses aber meines Wissens für Bayern nicht gilt, so fragt es sich, welche bezüglichen Bestimmungen das bayerische Militärstrafgesetz enthält, diese kommen alsdann in Betracht und dieses Gesetz werden Sie sich wohl leicht verschaffen können.

Ich empfehle Ihnen äußerste Vorsicht in der Schreibweise, ich fürchte, man läßt Sie tüchtig hereinfallen. Da aber die Verurteilung auf keinen Fall den Verlust der Ehrenrechte nach sich ziehen kann, so fragt es sich, ob diese Entziehung nicht eine Bedingung für die Aberkennung der Pension ist, in welchem Falle Sie gedeckt wären. Daß gegen Sie als einen „Apostaten“ die herrschende Gewalt eine besondere Animosität besitzt, ist sicher…“

Große Genugtuung rief es hervor, als um jene Zeit in der Partei bekannt wurde, daß der oberste Gerichtshof im Herzogtum Braunschweig den General Vogel v. Falckenstein wegen der Lötzener Affäre verurteilt habe, an die Herbst 1870 von ihm gefangen gesetzten Genossen Entschädigung zu zahlen, und zwar an Bracke 2100 Mark, an Gralle 108 Mark, an Bonhorst 105 Mark, an Ehlers als selbständigen Gewerbetreibenden pro Tag 7,50 Mark, an Kühn als Arbeiter pro Tag 3 Mark.

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Дата выхода на Литрес:
17 ноября 2018
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