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Читать книгу: «Frau Dirne», страница 6

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Aus diesem Dokument hätte man gerade für die Zwecke, die Frau Ina und ihr Kreis angeblich verfolgten, viel lernen können. Freilich: die logische Folge wäre ein Verzicht auf das Experiment gewesen, das sie nun, wo der erste Schritt getan war, nicht mehr ausschließlich aus materiellen Gründen reizte. Hier erschloß sich einem Kreis von Menschen, denen – wie es Frau Olga faßte – »das Leben keine Surprisen mehr bot«, plötzlich ein Neuland, auf dem es Anregungen, Konflikte und Überraschungen gab, die außerhalb alles bisher Erlebten lagen. Sie empfanden daher Ännes Äußerungen als hemmend und störend und sträubten sich, sie sachlich zu prüfen.

»Ein räudiges Schaf ist in jeder Herde«, meinte die Baronin, und Frau Olga rümpfte die Nase und sagte wegwerfend:

»Sie spielt sich auf.«

»Jedenfalls ist sie renitent«, erwiderte Nelly Brückner, und der Professor ergänzte:

»Und nicht dumm.«

»Ich verstehe sie gar nicht«, gestand Frau Mira und fügte, was erfrischend wirkte, hinzu: »Aber ich gebe zu, das liegt an mir. Mir macht das viele Denken kein Vergnügen. Und mit Dingen, die mir nicht beim erstenmal Lesen eingehen, quäle ich mich nicht lange herum.«

»Aber Sie wollen doch nicht behaupten,« widersprach Frau Olga, »daß eine Dirne, die bis in ein Freudenhaus sank, geistig höher steht als Sie?«

»Warum nicht?« fragte die treuherzig.

»Weil Sie damit uns alle kränken«, erwiderte die Baronin.

»Wenn Sie einen derart geistigen Tiefstand als diesen Mädchen eigentümlich voraussetzen,« meinte der Professor, »dann weiß ich nicht, wie Sie sich vorstellen, erfolgreich auf sie wirken zu wollen.«

»Wir wollen nicht auf ihren Geist, sondern auf ihr Gemüt und ihre Seele wirken«, dozierte Frau Ina.

»Gerade dafür scheinen mir die Hinweise dieses Mädchens beachtenswert. Es hat genau so, wie Sie es beabsichtigen, durch eigenes jahrelanges Studium und Miterleben die Psyche dieser Mädchen . . .«

»Sie wollen doch nicht behaupten,« fuhr ihm Frau Ina, die seine Logik störend empfand, ins Wort, »daß dies Mädchen aus Studiumszwecken ihren Beruf ausübt.«

»Das nicht. Aber . . .«

»Nun, dann dürfte, und uns kann gewiß kein Mensch engherzig nennen, dieser Vergleich mit uns doch wohl etwas abgeschmackt sein.«

Der Professor neigte den Kopf ein wenig nach vorn und sagte:

»Verzeihung!«

»Bitte, bitte!« erwiderte Frau Ina. »Auf solche Anwürfe muß man bei unserem Wagnis eben gefaßt sein. Aber das soll uns nicht abhalten, unsere Pflicht zu tun. Auf diese Änne werden wir jedenfalls ein Auge haben müssen. Ihr Einfluß auf die Mädchen könnte verderblich sein.«

»Sie wird Ihnen noch manche Nuß zum Knacken geben«, meinte der Professor.

»Wie wäre es,« sagte Frau Olga, die die Gefahr erkannte, »wenn man sie als erste rettete?« – Alle sahen sie an; und sie fuhr fort: »Dann wär' man sie los.«

»Sie meinen, sie der menschlichen Gesellschaft zurückgewänne? Sozusagen als ersten Erfolg unserer Arbeit?« fragte die Baronin.

»Eine ausgezeichnete Idee!« meinte Nelly; aber der Professor widersprach:

»Das Tempo wird Ihnen niemand glauben.«

»Außerdem ist sie die Hübscheste«, sagte der Rittmeister, worauf ihn Frau Ina anfuhr:

»Was heißt denn das?« – Aber innerlich gab sie ihm recht und fand auch schnell einen Ausweg. »Es geht nicht!« sagte sie mit großer Bestimmtheit. »Wir wissen nur, sie geht eigene Wege und ist renitent. Ja, gibt uns denn das die Gewähr, daß sie auch wirklich die sittliche Kraft hat, um draußen neuen Versuchungen, an denen es gerade bei ihr nicht fehlen wird, zu widerstehen? Dazu wissen wir doch noch nicht genug von ihr.«

Der Rittmeister nickte mit dem Kopf, und die Baronin sagte:

»Das finde ich auch.«

Frau Olga, der das Pathos mißfiel, nahm ihrer Rede die Wirkung und sagte:

»Gewiß! Wenn sie rückfällig würde, könnte uns das schaden. Schlimmstenfalls isoliert man sie.«

»Von solchen Maßnahmen sollte man nur in den äußersten Fällen Gebrauch machen«, meinte der Professor.

»Überhaupt nicht!« ereiferte sich Mathilde Brückner. »Wir wollen doch gerade freie Menschen aus ihnen machen. Aber keine Zuchthäusler!«

»Gewiß! aber der Weg dahin ist eben verschieden«, erwiderte die Baronin. Und der Graf, der bei Mathilde Brückners Worten ins Zimmer trat, fragte:

»Ja, was wird denn, wenn der Veredlungsprozeß beendet und die Bude leer ist?«

»Dann nehmen wir die Mädchen eines anderen Hauses zu uns«, erwiderte Frau Ina. »Und so fort.«

»Für Abwechslung ist demnach gesorgt«, dachte Max Herzog, der den Geist der Gründung nicht faßte, und freute sich.

Acht Tage, nachdem die Prospekte abgesandt waren, stellte Wolfgang v. Erdt bei der konstituierenden Versammlung, an der nur die Gründer teilnahmen, fest, daß sich dreihundert Herren und hundert Damen um die Aufnahme in den Verein beworben. Da sie durchweg den ersten Gesellschaftskreisen angehörten, so hatte die Aufnahmekommission, die aus Mathilde Brückner, dem Grafen Scheeler, der Baronin und dem Professor bestand, leichte Arbeit. Es fiel niemand durch; mit anderen Worten: die monatlichen Mitgliedsgelder betrugen sechsmalhundertundfünfzigtausend Mark; oder im Jahr sieben Millionen achtmalhunderttausend Mark. Der Reinertrag versprach trotz der sehr hohen Unkosten Millionen.

Angesichts dieses Tatbestandes lehnte der Verein jedes weitere Mitgliedsgesuch ab. Die geschickte Form, in der das geschah, übte so starken Reiz, daß bald doppelt so viel Voranmeldungen vorlagen. Und eine Agitation, den numerus clausus zu erweitern, setzte im Interesse der Ziele des Vereins ein. Die Gründer waren klug und blieben fest.

»Übersicht und Wirkung bedingen Konzentration«, erwiderte der Vorstand. »So erwünscht reichliche Geldquellen sind: die finanzielle Seite ist nur von sekundärer Bedeutung. Man kann den Teufel nicht durch Belzebub austreiben; nur durch christliche Liebe.«

Und dieser Hieb gegen den Kapitalismus machte in der Öffentlichkeit einen vorzüglichen Eindruck.

»Endlich mal!« sagte man, atmete auf und dachte:

»Eine neue Zeit!«

Fünftes Kapitel

Die Eröffnung der »Neuf d'or« wurde ein gesellschaftliches Ereignis, von dem jeder sprach. Natürlich gab es Spaßvögel, die skeptisch waren und ihre Witze machten. Aber Frau Ina setzte sich darüber hinweg und meinte:

»Es gibt eben Menschen, denen nichts heilig ist.«

Und sie entwaffnete ihre Gegner, die nach der Eröffnung plötzlich verstummten, damit, daß sie sagte:

»Ich weiß nicht, ob zum Studium über die Art, auf die man Zuchthäusler bessert, der Besuch höherer Töchterschulen gerade das Geeignete ist.«

Am Tage der Eröffnung glichen die Parterreräume der » Neuf d'or » einem Blumengarten. Die kostbarsten Arrangements waren mit viel Geschmack von Frau Ina in den einzelnen Räumen verteilt. Jeder Besucher, und es fehlte an diesem Tage von den Mitgliedern kaum eins, erschrack, als er die Pracht sah, und dachte:

»Da hätte ich ja auch Blumen schicken sollen!«

Niemand ahnte, daß diese mehr als dreihundert Blumenstücke, die jeden Besucher in seinem Gefühl von der gesellschaftlichen Legalität des Unternehmens bestärkte, von Frau Ina bestellt waren. Und da keine Karten daran hingen, so tat manch einer vor einem besonders kostbaren Stück, als wenn es von ihm wäre.

Die kostbaren Möbel, die jeder Tiergartenvilla zur Ehre gereicht hätten, gewannen noch durch die Blumen und die Art ihrer Verteilung. An den Wänden hingen wertvolle Stiche von Boucher, Fragonard und Daniel Vierge, und nicht, wie Frau Olga in Vorschlag gebracht hatte, pornographische Bilder, die künstlerisch zwar einwandfrei, aber so eindeutig waren, daß jeder Besucher sofort wußte, wo er sich befand.

»Aber, aber! Frau Herzogin!« war ihr Frau Ina entgegengetreten. »Sie sind ja gar nicht im Bilde.«

Und dann war sie zu dem ersten Kunsthändler der Stadt gegangen und hatte ihn davon überzeugt, daß es für sein Renommée als Mensch und Kunsthändler von größter Bedeutung sei, die Ausschmückung des Hauses kostenlos zu übernehmen. Der Händler bedankte sich, als Frau Ina ihn verließ, immer wieder dafür, daß sie gerade an ihn dabei gedacht hatte, und sandte ihr in die Privatwohnung, um seiner Freude einen sichtbaren Ausdruck zu geben, eine wertvolle Skizze eines berühmten Meisters.

Genau so erfolgreich operierte sie bei einem der ersten Innenarchitekten, der die vollständige Möblierung des Hauses übernahm. Ein Album mit künstlerischen Photographien sämtlicher Räume bekam jedes Mitglied am Tage der Eröffnung als Geschenk. Auf dem Deckel aus Sämisch-Leder war mit der Hand gepreßt eine große goldene Neun. Dies in zweitausend Exemplaren hergestellte Album, das nicht in den Buchhandel kam, war bald eins der gesuchtesten Stücke aller Biblophilen und wurde zu märchenhaften Preisen unter der Hand verkauft. Es enthielt nichts Anstößiges, galt vielmehr als Musterbeispiel eines modernen Wohnhauses, so daß es bald der Wunsch jeder hohen Tochter war, die in die Ehe ging, »á la Neuf d'or » eingerichtet zu werden.

Sorge bereitete den Mitgliedern beiderlei Geschlechts die Toilettenfrage. Denn, was man zu der Eröffnung eines Bordells anzog, stand in keinem Ratgeber des gesellschaftlichen Tons. Ein Freund und Regimentskamerad des Grafen Scheeler fragte einfach an:

»Erbitte Auskunft, wie man bei Eröffnung des Klubs zu erscheinen hat.«

Und er erhielt die Antwort:

»Gar nicht! Denn Sie haben eine völlig falsche Vorstellung von dem Unternehmen. Ein moralische Anstalt ist kein Klub. Sie werden bei uns also nicht finden, was Sie suchen. Wir erlauben uns daher, Ihnen das bereits gezahlte Mitgliedsgeld in Scheck wieder beizulegen.«

Das sprach sich, wohl nicht ganz von selbst, herum, machte vorzüglichen Eindruck und hatte zur Folge, daß am Tage der Eröffnung die Offiziere in Uniform, die Zivilisten im Cutaway und hohen Hut und die Damen in Teetoilette kamen.

Über den Bürgersteig war ein Zelt gespannt, das an beiden Seiten geschlossen war. Neugierige, die gerade in dieser Straße nicht der besten Gesellschaft angehörten, kamen also bei der Auffahrt nicht auf ihre Kosten. Um so mehr die Mitglieder. Denn die Besitzerinnen der umwohnenden Häuser, die primitiver und daher richtiger dachten als der vergnügungssüchtige Adel, die übersättigten Millionäre und die gelangweilten und verwöhnten Damen der Gesellschaft – diese um ihr Geschäft besorgten Weiber mit ihrer guten Witterung, standen, als die Wagen vorüberfuhren, an Türen und Fenstern und überschütteten die Mitglieder mit Schimpfworten, die wie Peitschenhiebe auf ihre gepflegten und verzärtelten Körper klatschten. Und dies Ungewohnte bereitete ihnen gleichzeitig Schmerzen und Genuß.

Um so angenehmer empfanden sie den Kontrast, als sie mit beklommenen Herzen die Empfangsräume der » Neuf d'or » betraten. Mathilde Brückner an der Seite ihrer Tochter empfing sie. Mutter und Kind, Kunst und Unschuld, dieser Kontrast zu dem Lärm der Straße übte wohltuende Wirkung. Man fühlte sich geborgen. Und von da aus war es nur noch ein Schritt, um sich wohlig und wie zu Hause zu fühlen.

Frau Ina, die an der Seite der Baronin und des Grafen die Mitglieder im mittleren Salon empfing, sagte:

»Sie haben draußen eine kleine Probe von dem Geist bekommen, dem die bedauernswerten Geschöpfe bedingungslos ausgeliefert sind. Wer wagt da noch auf die Ärmsten einen Stein zu werfen? Schwach und widerstandslos schon in dem Augenblick, in dem man sie in diese Häuser hineinschleppt, wird unter dem Einfluß dieser Hyänen natürlich die letzte sittliche Kraft in ihnen vernichtet. Gelingt uns das Rettungswerk an denen hier, dann werden wir ein Allheilmittel gegen die Prostitution in ihrer widerwärtigsten Gestalt gefunden haben. Denn erst hier, wo die freie Bestimmung über den eigenen Leib, die jeder Straßendirne bleibt, fortfällt, verlieren die Mädchen das Letzte, den Rest ihrer Persönlichkeit, und hören auf, Menschen zu sein. Das aber ist unsere Aufgabe: dem Menschlichen in ihnen und damit dem Sittlichen wieder zum Durchbruch zu verhelfen.«

Die meisten nickten zustimmend, viele schüttelten ihr die Hand. Manche waren enttäuscht, aber zeigten es nicht. Alle aber erwarteten doch etwas Besonderes.

Eine Stube weiter präsidierte die Herzogin mit ihrem Papagei und ihrem Gatten. An der Tür stand Anton Drexler in blauem Frack und seidenen Kniehosen, durch die er noch gemeiner wirkte. Überhaupt stach das Bild dieses Zimmers merklich von dem der übrigen ab. Und wenn es auch nicht gerade wie ein Übergang zu dem Milieu wirkte, dessen Geistes sie bei der Auffahrt einen Hauch verspürt hatten, so verlor man hier doch das Gefühl, sich in gleichwertiger Gesellschaft zu bewegen. Frau Olgas Mann trug zwar wie alle Besucher einen Cutaway und hatte sogar wildlederne graue Handschuhe an. Aber man stellte ihn sich, wie er so mit dem blaugelben Papagei auf der silbernen Stange neben der Herzogin stand, doch als Pendant zu Anton Drexler im blauen Frack und kurzen seidenen Hosen vor.

In diesem Zimmer wirkten außerdem Wolfgang v. Erdt und der Professor. Sie sichteten. Meist wies sie schon Stand und Name des Besuchers den richtigen Weg. Wer reinen Herzens kam, den geleiteten sie, noch bevor er mit der Herzogin und ihrem Anhang in Berührung kam, gleich in das nächste Zimmer. Die andern, von denen man annehmen konnte, daß sie Wohltäter nicht aus rein platonischen Interessen waren, überließ man der Herzogin.

Die blieb durchaus Dame; was sie sagte, war aber mehr orientierender Art; weniger ethisch als die Gesänge Frau Inas. Natürlich war es das Ziel – auch nach Frau Olga –, die Mädchen dieses Hauses, und daran anschließend die aller andern Häuser, der menschlichen Gesellschaft zurückzugeben. Selbstredend! darüber war kein Wort zu verlieren. Das bedingte aber nicht Unmögliches: daß man aus Dirnen lediglich dadurch, daß man Kitsch durch wertvolle Möbel ersetzte, Engel machte. Auch dadurch, docierte sie, daß man sie aus ihrem Milieu herausrisse und zur Arbeit brächte, erzeuge man keine innere Wandlung. Sie alle würden nach Ablauf kurzer Zeit rückfällig werden und wären dann für immer verloren. Der Heilungsprozeß müsse von innen heraus, allmählich, scheinbar durch sie selbst erfolgen. Sozusagen in Ausübung ihres Berufs müsse ihnen die Erkenntnis kommen. Darum müsse der Betrieb auch aufrechterhalten werden. Aber jeder, der die Absicht habe, sich aktiv daran zu beteiligen, habe die Pflicht, diese Gelegenheit zu benutzen, um in dem Sinne der Bestrebungen des Vereins auf die Mädchen einzuwirken. Es sei eine informatorische Stelle geschaffen, deren Aufgabe es sei, den Besuchern Ratschläge und Fingerzeige zu geben. Über Einzelheiten könne sie sich natürlich nicht auslassen. Das sei nur von Fall zu Fall möglich. Jeder könnte aber das Vertrauen haben, daß man seinen Wünschen in jeder Art Rechnung tragen werde.

Soweit Frau Olga. Und wer wollte, verstand sie. Nur daß Frau Mira Rießer und Fräulein Nelly Brückner diese Instanzen sein sollten, leuchtete ihnen nicht ein.

»Wir müssen doch auch auf die weiblichen Besucher Rücksicht nehmen«, erwiderte Frau Olga auf einen Einwand. Aber der Fragesteller wurde dadurch nicht klüger. Ein Jüngling, dem der Trieb den Blick trübte oder schärfte und der trotz des gesellschaftlichen Milieus rein sachlich blieb, sagte:

»Das ist ja alles gut und schön; aber wann wird denn nu hier eigentlich der Betrieb jeöffnet?«

»Wie Sie sehen, heute!« erwiderte Frau Ina. Aber Frau Olga, die offener war, gab ihm, als er kurz darauf zwei Zimmer weiter dasselbe fragte, zur Antwort:

»Morgen Abend um sieben.«

Es folgten zwei durch Ziehen einer Wand geschaffene, kleine, intime Räume, von denen es hieß, daß sie für Informationen bestimmt waren. In dem vorderen saß Frau Mira und unterhielt sich mit dem Professor.

»Halten Sie es für einen Gewinn,« fragte sie, »wenn es uns gelingt, sämtliche Bordells in Mädchenpensionate zu verwässern?«

»Ja, schätzen Sie die Moral denn gar nicht ein?« erwiderte der Professor.

»So wenig wie die Langeweile. Eins ist so dumm wie das andere. Im Bordell amüsiert sich wenigstens der eine Teil: der Besucher.

»Sie werden doch zugeben, daß Anstalten dieser Art verbesserungsfähig sind?«

»Unbedingt! Man sollte sie mit dem raffiniertesten Komfort ausstatten und darin Künste pflegen, die einem Marquis de Sade Staunen abgenötigt hätten. Phantasie, lieber Professor, Komfort und Phantasie, darauf kommt es an in der Liebe!«

»Mir scheint doch, daß Sie nicht ganz auf dem Boden des Programms dieses Vereins stehen«, sagte der Professor und lachte laut.

»Was glauben Sie denn, daß all diesen Menschen da näher liegt,« erwiderte Frau Mira und wies auf die Gäste, die jetzt in den festlich hergerichteten Garten strömten, »soziale Fürsorge oder der Geschlechtstrieb?«

»Gewiß! Der Geschlechtstrieb ist das Primäre.«

»Ach was! ob primär oder sonst etwas. Schaffen Sie das Kinderkriegen ab und am selben Tage wird der Liebesakt das beliebteste Gesellschaftsspiel sein.«

»Jedenfalls amüsanter als das, was uns Herr v. Erdt dort vorsetzen wird«, erwiderte der Professor und wies auf den Hintergrund des Gartens, an dem eine Bühne und eine Leinwand aufgeschlagen waren. Obgleich es nicht mehr hell war, so wurde doch durch ein Querzelt, das von der Bühne aus über den ganzen Garten gespannt war, künstlich völlige Dunkelheit erzeugt. Die Mitglieder rissen sich um die Plätze, denn sie hofften, nun komme die Überraschung, auf die sie von dem Augenblick an warteten, an dem sie den Büttenprospekt mit der Aufforderung zum Beitritt in der Hand gehalten hatten.

»Neuf d'or« am Tage der Übernahme lautete der Titel des ersten Bildes. Und auf der Leinwand sah man Frau Löschner in der Mitte der Mädchen – jenes ekelerregende Bild, das Frau Ina am Tage ihres ersten Besuches in der »Neuf d'or« hatte aufnehmen lassen. Was man da sah, war der Ausdruck tierischster Gemeinheit. Das in Tränen, Fett und Schminke aufgelöste Gesicht der Alten, daneben die Grimassen aufgeputzter und verschminkter Dirnen, die so wenig Menschen glichen, daß es keinen Unterschied mehr machte, ob sie heulten oder lachten, sich auf die Röcke traten oder sie bis zum Bauche hochgeschlagen hatten. Es lag eine Meisterschaft in diesem Bilde, so wie es Frau Ina damals gestellt hatte.

Grausen und Entsetzen ging durch die Reihen. So also sahen die Insassen derartiger Häuser aus, dachten viele, und die Damen begriffen nicht, daß es Männer gab, die das goutierten. Die Männer wieder, die sich auskannten, schüttelten sich und dachten: bex! sie scheinen sich da absichtlich ein besonders abschreckendes Ensemble zusammengestellt zu haben; und viele bedauerten, den Beitrag bezahlt zu haben.

Aber ihr Ekel wandelte sich beim nächsten Bild in höchstes Staunen.

»Neuf d'or« acht Tage nach der Übernahme, lautete der Text. Und es gab wohl keinen, der diese Wandlung vom vertierten Menschen zur höheren Tochter selbst im Verlaufe von Jahren für möglich gehalten hätte. Nur die mittelste Person war eine andere. An die Stelle der alten Löschner war Frau Ina getreten; aber daneben saßen ungepudert und ungeschminkt, einfach frisiert und distinguiert gekleidet, die acht Mädchen; ein Bild, das in seiner Züchtigkeit als Reklame für ein erstes Pensionat hätte gelten können. Lebhafte Diskussion setzte ein. Laut wurden Zweifel geäußert, auf die Frau Ina und v. Erdt vorbereitet waren. Denn es erschienen nun beide Aufnahmen als Doppelbild nebeneinander, und es gab Merkmale, auf Grund deren v. Erdt die Identität nachwies und selbst die hartnäckigsten Zweifler überzeugte.

Und nun begann von Erdt seinen Vortrag, dessen Titel lautete: »Unser Programm«.

Er erklärte, daß es das Ziel sein müsse, der bereits erfolgten äußeren Wandlung die innere folgen zu lassen; und er bekannte, daß das für beide Teile ein dornenvoller Weg sei. Bis die Erkenntnis durchbreche, müsse man auf Eigensinn und Renitenz gefaßt sein. Denn Mädchen, die daran gewöhnt seien, den Tag über zu faulenzen, sich auf der Chaiselongue zu räkeln, Zigaretten zu rauchen und Karten zu spielen – in diesem Augenblicke hob sich der Vorhang und ein lebendes Bild, das die Mädchen stellten, illustrierte trefflich die Worte des Redners – Mädchen, die so ihre Tage verbrachten, erst mal an ein geregeltes Leben zu gewöhnen, sei an sich schon eine schwierige Aufgabe.

»Das sind sie!« waren die Worte, in denen sich die Spannung fast Aller löste. Wie ein Wunder bestaunten sie das Bild. Und die Beherrschtheit der Mädchen, die sonst keine Hemmung kannten, nun aber wie leblos dasaßen und sich nicht zu rühren wagten, war erstaunlich. Selbst Frau Ina hatte das nicht für möglich gehalten. Der Vorhang, der verabredungsgemäß erst herabgehen sollte, wenn die Mädchen unruhig wurden, war wohl drei Minuten lang hoch, als sich Frau Ina durch die Haltung der Mädchen verleiten ließ, hinter die Bühne zu kommen und ihnen zuzurufen:

»Gut! gut! ich bin zufrieden! Und nun bewegt euch, als wenn wir garnicht da wären. Gebt euch ganz ungeniert.«

Der Vorschlag entzückte von den Mitgliedern alle. Nur die Damen auf den ersten Bänken fürchteten sich vor einer Annäherung. Weniger entzückt schienen die Mädchen.

Änne, die mit dem Rücken zu dem Publikum gesessen hatte, stand einfach auf und ging, ohne sich auch nur umzusehen, hinaus. Ein Paar stießen sich an und kicherten. Andere saßen nun womöglich noch steifer als zuvor. Nur Marianne sah mit verträumten Augen die feine Gesellschaft an, und als der eine und andere sie anlächelte, nickte sie ihm mit strahlenden Augen zu. Eine distinguierte Dame in der ersten Reihe stieß ihren Mann an, wies auf Marianne und sagte laut:

»Sieh nur, Egon, wie prachtvoll, dies Kind!«

Frau Ina wiederholte ihren Ruf:

»So bewegt euch doch ungezwungen, als wenn wir nicht da wären!«

»Fällt uns nicht ein!« widersprach ein kleines, etwa vierundzwanzigjähriges Mädchen, das sich Martalotte nannte, und brüllte in den Garten: »Wir sind doch keine Schaustücker.«

Ein Goldstück flog aus einer der hinteren Reihen auf die Bühne. Martalotte fing es auf und sagte:

»Das is was andres!«

Weitere Goldstücke folgten, und nun kam Bewegung unter die Mädchen. Sie vergaßen, wo sie waren, kreischten, griffen nach dem Gold, jagten es sich ab, beschimpften sich, tummelten sich auf der Erde – nur Marianne blieb sitzen, folgte mit glänzenden Augen jedem Stück, das durch den Saal flog und strahlte über das ganze Gesicht.

Die Dame auf der ersten Reihe stand auf und warf ihr aus nächster Nähe ein Goldstück zu. Sie sah sie groß an und rührte sich nicht.

»Warum fangen Sie nicht?« fragte die Dame erstaunt.

Marianne schüttelte den Kopf und sagte:

»Es sieht viel schöner aus.«

Zwischen den Mädchen war es unterdessen zu Streit und Tätlichkeiten gekommen. Motte, die gewandter war als die anderen, hatte die weitaus meisten Stücke gefangen. Die anderen fielen über sie her und suchten, sie ihr abzuringen. Frau Inas Wunsch ging in Erfüllung; die Mädchen bewegten sich, als wenn sie unter sich wären. Freilich anders, als Frau Ina es sich dachte.

Anfangs glaubten alle, es sei so gewollt und im Programme so vorgesehen. Es erregte sie. Sie hatten das Gefühl, einer Schaustellung wilder Tiere beizuwohnen. Daß das Gitter fehlte, beängstigte sie zwar und beeinträchtigte den Genuß. Immerhin: sie hatten ihre Überraschung; der Vorgang peitschte ihre Nerven. Jetzt mußte augenblicklich der Dompteur kommen, die Bestien bändigen. Empfindsame fühlten den Knall der Peitsche schon in den Ohren.

Und wahrhaftig! Frau Ina trat auf. Die Leute klatschten. Aber statt mit der Peitsche dazwischenzufahren, schrie sie verzweifelt:

»Vorhang runter!«

Wolfgang von Erdt bemühte sich längst; der Vorhang funktionierte nicht, irgend etwas war gerissen. Alle erkannten nun ihren Irrtum und waren entsetzt. Nur Nelly Brückner, die nicht ganz unbeteiligt schien, behielt ihr süßverbindliches Lächeln.

Schon standen viele auf und drängten zum Ausgang; aber sie wandten doch immer wieder den Kopf zur Bühne, das wutentbrannte Leben da oben fesselte sie. – Da rettete Doktor Winter, der durch sein ungeduldiges Fragen nach der Öffnung des Betriebes zuvor unangenehm aufgefallen war, auf einfachste Art die Situation. Er ging, die Hände in den Hosentaschen, an die kämpfende Gruppe heran und sagte in aller Ruhe:

»Hundert Mark der, die zuerst in ihrem Zimmer ist.«

Blitzschnell stieben sie auseinander und stürzten in ihre Zimmer.

»Ausgezeichnet haben Sie das gemacht!« sagte Frau Ina und reichte dem jungen Mann die Hand. Der machte eine kurze Verbeugung, stellte sich vor und sagte:

»Winter.«

»Sie kennen sich, scheint's, aus in dem Milieu.«

»Es ist das Bequemste. Man bleibt frei und geht Unannehmlichkeiten aus dem Wege.«

»Dann dürfen wir also hoffen, Sie öfter bei uns zu sehen?«

»Alle Tage. Die Schwarze da« – und er wies auf Marianne – »gefällt mir ausgezeichnet.«

»Wenn Sie sich nur eines der Mädchen annehmen,« erwiderte Frau Ina. »Ich glaube auch, das ist die richtige Methode.

»Ich bin konservativ. Auch darin. Sagt mir, was nicht oft vorkommt, ein Mädchen zu, dann existiert keine andere für mich.«

»Ich will hoffen, daß es Ihnen gelingt.«

Winter sah Frau Ina verständnislos an.

»Ja, das sind doch keine Heiligen!« sagte er.

»Sie dazu empor zu entwickeln, wird uns auch kaum gelingen,« erwiderte Ina. »Wir müssen uns damit zufrieden geben, sie zu anständigen Gliedern der Gesellschaft zu machen.«

»Ja, wozu denn?« fragte Winter erstaunt.

»Aber haben Sie unseren Prospekt denn nicht gelesen?«

»Flüchtig! Ich habe mehr daran herumgerochen. Eine etwas bessere Aufmachung, dachte ich mir. Und die tat wahrhaftig einmal not.«

»Ja, aber wir verfolgen doch soziale Ziele.«

»Sehr lobenswert! Den armen Mädchen, die so viel Freude um sich verbreiten, das Los etwas angenehmer zu gestalten. »

»Das Schwierige ist, sie dahin zu bringen, daß sie es auch wirklich als angenehm empfinden.«

»Na ja, das ist wahr. Spaß macht es ihnen natürlich nur in den seltensten Fällen. Das liegt zum großen Teil an den Männern. Aber auf die können Sie natürlich nicht einwirken.«

»O doch!« widersprach Frau Ina. »Um des Zweckes willen scheuen wir kein Mittel. Wir haben hierfür eine besondere Stelle eingerichtet.«

»Wie spaßig! was tut die Stelle?«

»Die Damen der Gesellschaft haben das Kreuz auf sich genommen.«

»Die Damen der Gesellschaft?« wiederholte Winter und glaubte falsch verstanden zu haben.

»Ja! Frau Rittmeister Mertens, Frau Doktor Rießer und Fräulein Brückner, die Tochter der berühmten Mathilde.«

»Unmöglich! – Ja, was tun die?«

»Das bleibt ihnen überlassen. Ich denke mir, daß sie dabei ganz individuell verfahren.«

»Ja, die Damen können uns doch unmöglich Anweisungen für den Verkehr mit den Mädchen geben?«

»Gerade das ist ihre Aufgabe.«

»Das finde ich himmlisch!«

»Die Mitglieder sollen versuchen, seelisch auf die Mädchen einzuwirken.«

Winter verzog das Gesicht.

»Ob das den Genuß erhöht?« Er sagte es mehr zu sich, als daß er sie fragte. Frau Ina überhörte es denn auch und fuhr fort:

»Sie können das natürlich am ehesten, da Sie in nächste Berührung mit den Mädchen kommen.«

Winter griente und sagte:

»Das stimmt.«

»Sehen Sie!« erwiderte Frau Ina und glaubte, ihn überzeugt zu haben.

»Nur bezweifle ich, ob in diesem Falle ein Zusammenhang zwischen dem Körperlichen und Seelischen besteht. Grade, daß die Seele draußen bleibt, daß man sie sozusagen in der Garderobe ablegt, das ist's, was ich vorhin mit »bequem« bezeichnete.«

»Ein wahrhaft wohltätiger Mensch opfert eben auch seine Bequemlichkeit.«

»Gibt es das?« fragte Winter ungläubig.

»Ich gebe zu, daß es selten ist.«

»Und dann: in diesem Falle.« – Er dachte nach und schüttelte den Kopf. Frau Ina beobachtete ihn scharf. Und da sie wußte, daß Winter der Sohn eines der ersten Großindustriellen war und einen ausgedehnten Bekanntenkreis hatte, so lenkte sie ein und sagte:

»Natürlich üben wir auf niemanden einen Zwang aus. Auf die Mitglieder so wenig, wie auf die Mädchen. Sie können die Instanz umgehen. Aber wir werden Ihnen dankbar sein, wenn Sie uns gelegentlich Aufschlüsse über ein oder das andere Mädchen geben.«

»Nee!« erwiderte Winter bestimmt.

»Aus der Schule wird nicht geplaudert. Und dann: mir verdirbt's die Freude, mit dem Besuch noch so'ne Art Seelenforschung zu verbinden. Damit erweist man den Mädchen auch keinen Dienst. Denen ist am wohlsten, wenn man sie ihrer Gedankenlosigkeit überläßt. Wenn Sie wirklich den Wunsch haben, ihnen etwas Gutes zu tun, so legen Sie Mittags und Abends einen Gang ein – davon haben sie mehr. Damit, was Sie da wollen, so weit kenn' ich mich aus, tun Sie ihnen nur weh.«

Das waren im Grunde dieselben Gedanken, wie bei Änne. Hier, das erkannte Frau Ina, lag eine Gefahr für die geschäftliche Seite des Unternehmens. Wirkte man im Sinne des Programms, woran sie ernstlich nie dachte, so flog das ganze Unternehmen in die Luft. Aber geschehen mußte etwas. Nicht im Interesse der Mädchen – was lag daran? – wohl aber im Interesse der Mitglieder, die nicht waren wie Winter, denen neben der Sensation auch wirklich an einer Verwirklichung der bei der Gründung genannten Ziele lag. Und die gab es – auch wenn es Winter, dem in seinen Kreisen solche Menschen noch nicht begegnet waren, nicht glauben wollte.

Ein Umgehen der Instanz lehnte Winter ab.

»Ich muß das kennen lernen'» sagte er. »Ich bin kein Mensch, der sich durch ethische Einwände sein Recht auf Vergnügen verekeln läßt.«

»Sie gefallen mir!« sagte Frau Ina ziemlich unvermittelt, und Winter, der sie erst jetzt recht ins Auge faßte, dachte: jünger müßte sie sein. Er verbeugte sich, küßte ihr die Hand und sagte:

»Sie mir auch, Gnädige.«

»Vielleicht machen Sie uns mal das Vergnügen.«

»Gern. – Aber erst sehe ich mich mal hier um.«

Inzwischen hatte Wolfgang von Erdt seinen Vortrag, der nur als begleitender Text für die mit großer Mühe gestellten lebenden Bilder gedacht war, fortgeführt. Nun, ohne die Bilder, wirkte die Rede trocken und nüchtern. Er stellte das bisherige Faulenzerleben der Mädchen, die sich den Tag über auf den Chaiselongues herumräkelten, Zigaretten rauchten, pornographische Bücher lasen und Karten spielten, der Lebensführung gegenüber, durch die der Verein den Boden für ihre Wiedermenschwerdung vorbereite. Am frühen Morgen wurde geschwommen, geturnt, Tennis gespielt und, während sie Handarbeiten machten, aus guten Büchern vorgelesen. Sodann – und darauf legte man den Hauptwert – erlerne jede, entsprechend ihrem Wunsche und ihrer Veranlagung, ein praktisches Gewerbe, das ihr zur gegebenen Zeit ermögliche, auf eigenen Füßen zu stehen.

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Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
Объем:
270 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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