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Drei

Alles war bereit für einen spannenden Nachmittag auf Bayerns ältester Trabrennbahn. Die bayerische und die deutsche Fahne sowie Fahnen vieler Sponsoren waren gehisst. Die Tribünen und die aufgestellten Biertischgarnituren neben der Zielgeraden waren schnell besetzt. Viele Besucher kamen mit Campingstühlen und suchten sich ein schattiges Plätzchen am Schlussbogen neben der Bande. Die Bahn war von den Verantwortlichen des Rennvereins wieder hervorragend präpariert worden. Das Personal in den Verpflegungszelten und Wettbuden wartete bereits auf Kundschaft und auch das Wetter spielte mit. Im Innern der Bahn platzierten die Mitarbeiter eines hiesigen Autohauses, die diese Plattform gerne als Werbung für sich nutzten, ihre Nobelkarossen. Der »Verein für Traber- und Warmblutzucht im Rottal« hatte alles bestens organisiert und keine Mühe gescheut, seinen Gästen einen unvergesslichen Nachmittag zu bereiten. Als Bahnsprecher verpflichteten die Verantwortlichen den bekannten Sportkommentator Hartwig Thöne, der vielen Besuchern als Moderator des Senders »Sport1« bekannt war. Thöne galt nicht nur als Fußballfachmann, sondern auch als ausgewiesener Trabrenn-Experte, der die Highlights des Trabrennsports auf nahezu allen deutschen Rennbahnen kompetent und emotional zugleich kommentierte.

Wie jedes Jahr war der Tisch mit der Nummer 25 auf der altehrwürdigen Holztribüne, die Anfang des 20. Jahrhunderts von den damaligen Rossnarrischen im Jugendstil errichtet worden war, auf den Namen Thomas Huber reserviert. Von dort hatte man einen herrlichen Überblick über das 1.000-Meter-Oval und das zweite Wahrzeichen Pfarrkirchens, die Wallfahrtskirche Gartlberg, die hoch über der Stadt thronte. Letztere interessierte die ehemaligen Schüler des Pfarrkirchner Gymnasiums an diesem Tag allerdings wenig.

Schon eine halbe Stunde vor Rennbeginn war die Runde der Freunde komplett. Neben Thomas Huber und Helmut Drexler fanden sich wie immer Berni Ebner, Karl Denk und Florian Sattler zum Wetten ein. Erstmals ergänzte Rudi Kellner die Runde, den Helmut Drexler gestern Abend zufällig getroffen und ihn bei dieser Gelegenheit zum Mitwetten überredet hatte.

»Ich hab überhaupt keine Ahnung von Pferden und genauso wenig vom Wetten«, stellte Kellner gleich zu Beginn klar.

»Das macht nichts. Hauptsach, du hast a Geld dabei«, kommentierte Thomas Huber augenzwinkernd. Schnell einigten sich die Schulfreunde, dass jeder vorerst 20 Euro in einen gemeinsamen Wettpott einzahlte, den Banker Helmut Drexler verwaltete. Insgesamt hatte das Sextett so ein Startbudget von 120 Euro, von dem bei den einzelnen Rennen ein bestimmter Betrag gesetzt werden sollte. Anschließend holten sich die Männer jeweils eine Radlermaß. Ein Grund zum Anstoßen fand sich immer.

»Welche Wettarten gibt’s eigentlich?«, wollte der Wettnovize Rudi Kellner wissen, bevor er seine 20 Euro lockermachte.

»Grundsätzlich gibt es Sieg- und Platzwetten sowie die eher schwierig zu treffenden Zweier- und Dreierwetten. Bei der Siegwette musst du den Sieger des Rennens vorhersagen, bei der Platzwette muss dein gewettetes Pferd unter die ersten drei kommen, wobei sich die Gewinne bei dieser Wettart logischerweise sehr in Grenzen halten. Und bei der Zweier- und Dreierwette musst du die ersten zwei beziehungsweise die ersten drei in der richtigen Reihenfolge vorhersagen«, erklärte der Experte Helmut Drexler.

»Ich denk, wir sollten beim ersten Rennen mit einer Siegwette anfangen«, schlug Thomas Huber vor.

Das erste Rennen war gleichzeitig der erste Vorlauf zum Eurocup der Amateure, der mit acht Pferden besetzt war.

»Was haltet ihr von Dark Fighter, der mit der Nummer fünf?«, fragte Berni Ebner in die Runde, nachdem er sich im Traberjournal über die Starter informiert hatte.

»Der Dark Fighter ist eigentlich ein ganz gutes Pferd, aber der Gegner sitzt im Sulky«, mutmaßte Drexler.

»Was heißt denn das schon wieder?«, fragte Rudi Kellner ungeduldig nach.

»Das heißt, dass der Fahrer des Pferdes, Manfred Dietl, nicht der Geschickteste an der Fahrleine ist«, erklärte Drexler.

»Aber vielleicht hat er ja mal eine Sternstunde, der Manfred«, hoffte Florian Sattler.

»Kennst du den Dietl?«, wollte Berni Ebner wissen.

»Ja, klar kenn ich den Manfred. Der wohnt in Pflanzenöd, ungefähr zwei Kilometer von mir entfernt. Der ist auch bei der Schönauer Feuerwehr, genau wie ich. Mittlerweile ist der Manfred einer der größten Eierproduzenten in der Region«, erklärte Sattler, der aus Schönau kam, ungefähr zehn Kilometer nördlich der Rottaler Hauptstadt.

»Wie viele Hühner muss man denn haben, um zu den größten Eierproduzenten zu gehören?«, fragte Ebner neugierig nach.

»Das kann ich gar nicht genau sagen. Es sind bestimmt einige Tausend, und alle in Boden- und Freilandhaltung. Der liefert seine Eier in ganz Süddeutschland aus«, entgegnete Sattler.

»Das ist ja schön und gut, aber hilft uns nicht bei der Frage, auf wen wir setzen sollen«, unterbrach der Polizeibeamte Thomas Huber den landwirtschaftlichen Exkurs.

»Hast du den Dietl vielleicht g’fragt, wie er seine Chancen einschätzt?«, wollte Karl Denk von seinem ehemaligen Schulfreund Florian wissen.

»Ja, letzte Woche hab ich ihn in Schönau beim Einkaufen ’troffen und da hab ich mit ihm g’redet«, antwortete Sattler.

»Mach’s nicht so spannend. Was hat er g’meint?« Thomas Huber wurde langsam ungeduldig.

»Er will auf Sieg fahren, hat er g’sagt«, bestätigte Sattler.

»Das wollen s’ alle«, bemerkte Helmut Drexler abwertend.

»Trotzdem sollten wir schon rein aus patriotischen Gründen auf das Pferd des Pflanzenöders setzen«, fasste Thomas Huber die Diskussion zusammen. Die Tippgemeinschaft war einverstanden. Helmut Drexler füllte den Wettschein aus und bezahlte die Wette mit zehn Euro im nahen Wetthäusl.

Wenig später trabten die acht Pferde hinter dem Startauto her. Vor ihnen lagen genau 2.100 Meter, was 100 Meter mehr als zwei Bahnrunden bedeutete. Die Zuschauer erhoben sich und beobachteten den Start. Alle Pferde traten glatt ein und liefen in der vorgeschriebenen Gangart, nämlich im Trab. Manfred Dietl ließ sein Pferd ruhig eintreten und reihte sich am Schluss des Feldes in zweiter Spur ein. Das Achter-Feld positionierte sich in vier Zweierreihen.

Bereits nach einer halben Runde steuerte Manfred Dietl, der von den zahlreichen einheimischen Zuschauern angefeuert wurde, sein Pferd nach außen in die dritte Spur und griff an.

»Was macht der denn jetzt? Das ist doch viel zu früh«, kommentierte Helmut Drexler die Aktion des Fahrers.

Die innen trabenden Pferde reagierten auf den Angriff des Pflanzenöders und zogen ihrerseits das Tempo an, wodurch Dark Fighter in der dritten Spur hängen blieb.

»Unseren ersten Zehner können wir abschreiben«, befürchtete auch Thomas Huber, dem klar war, dass das Pferd durch die weiten Wege in der dritten Spur nicht mehr gewinnen konnte.

So kam es auch. Dark Fighter musste dem aufwendigen Rennverlauf, den ihm sein Fahrer beschert hatte, Tribut zollen. Bereits im letzten Bogen zogen die inneren Pferde an dem müden Dark Fighter vorbei. Auf der Zielgeraden brach das Pferd völlig ein, und Manfred Dietl kam nahezu im Schritttempo unter dem Gelächter vieler Zuschauer als Letzter an.

»Ich hab doch gleich g’sagt, dass der Dietl kein Talent für den Sport hat. Der kann bestimmt gut Eier verkaufen, aber von Trabrennen hat der keine Ahnung. Wenn er angreift, muss er schnell nach vorne fahren oder mit seinem Speed bis zum Einlauf warten«, schimpfte Helmut Drexler.

»Da wird der Manfred keine gute Nacht haben. Der ist immer so schnell in seiner Eitelkeit ’kränkt«, ergänzte der Feuerwehrkamerad Florian Sattler.

In diesem Moment trat Hans Baumgartner, der langjährige und mittlerweile pensionierte Kollege des Polizeibeamten Thomas Huber, an den Tisch der enttäuschten Wettgemeinschaft. Mit seinen 63 Jahren machte der Brillenträger, trotz seiner angegrauten Haare, noch einen sehr sportlichen Eindruck.

»Servus, Hans. Hast einen Tipp für uns? Unser Pferd ist grad Letzter ’worden.«

»Grüß dich, Thomas, ja, auf den Dietl Manfred kannst ned wetten. Das hätt ich euch vorher sagen können«, antwortete der ehemalige Polizist und Rottaler Traberexperte.

»Das hab ich ihnen auch g’sagt, aber auf mich haben s’ ned g’hört«, frotzelte Helmut Drexler, der immer noch ein wenig sauer war.

»Und? Hast einen Tipp?«, hakte Thomas Huber nach.

»Wenn’s normal läuft, kann im nächsten Rennen der Biendl Gerd mit der Lovely Queen nicht verlieren«, mutmaßte Baumgartner.

»Und was ist mit dem Hengst vom Staudinger Sepp?«, fragte Thomas Huber.

»Der Staudinger Sepp hat zurzeit absolut keinen Lauf«, antwortete Hans Baumgartner und ging zurück zu seinem Platz.

»Wenn’s normal läuft. Wenn ich das schon hör«, grantelte der Neuwetter Rudi Kellner.

»Beim Trabrennen gibt’s keine Vollkasko-Versicherung. Da kann immer was passieren«, stellte Thomas Huber klar.

»Also gut, dann wetten wir auf die Lovely Queen, aber da werden wir nicht die Einzigen sein«, fasste Helmut Drexler die Diskussion nüchtern zusammen. Diesmal war die Wettgemeinschaft etwas mutiger und investierte gleich 20 Euro aus ihrem gemeinsamen Wettpott auf das Pferd des vielfachen bayerischen Champions Gerd Biendl.

Gleich nach dem Start ging Lovely Queen an die Spitze und führte das Feld bis zum Schlussbogen an. Auf der Zielgeraden sprangen die sechs Freunde auf und feuerten ihr Pferd lautstark an. Die Stute zeigte ihre Klasse. Sie löste sich auf der Zielgeraden vom Feld und gewann überlegen mit fünf Längen Vorsprung. Die Runde freute sich über ihren ersten Wettgewinn und klatschte sich gegenseitig ab.

»Ich hab’s g’wusst, auf die Tipps vom Baumgartner Hans kannst du dich verlassen.« Thomas Huber fühlte sich bestätigt.

Den Freunden war allerdings noch unklar, wie hoch der Wettgewinn ausfallen würde, da die aufgestellten Bildschirme mit den Eventualquoten von ihrem Platz aus nicht einsehbar waren. Als sie vom Bahnsprecher Hartwig Thöne erfuhren, dass die Siegquote von Lovely Queen lediglich 14 zu 10 betrug, war der Wettgemeinschaft die Ernüchterung an ihren langen Gesichtern anzusehen. Das bedeutete, dass sie für ihre eingesetzten 20 Euro trotz Sieg lediglich 28 Euro ausbezahlt bekamen.

Rudi Kellner brachte es auf den Punkt: »Das heißt, wir haben einen Reingewinn von acht Euro. Pro Mann entspricht das genau einem Euro und 33 Cent. Da werden wir nicht reich.«

Ein älterer Mann vom Nebentisch drehte sich um. »Jo, jo, auf der Rennbahn kann man scho a kloans Vermögen machen, du musst vorher aber ein großes g’habt haben!« Der Mann grinste schelmisch.

Die sechs Mitdreißiger mussten kurz überlegen, dann schmunzelten auch sie. Die Aussage des Nachbarn bremste jedoch nicht ihre Wettleidenschaft, im Gegenteil.

»Ich denk, wir sollten das Risiko erhöhen und die Dreierwette spielen«, schlug Thomas Huber vor.

Die Wettgemeinschaft war mit dem Vorschlag einverstanden. Von nun an übernahm der vermeintliche Experte Helmut Drexler den Vorsitz der Runde. Er beobachtete die Pferde beim Warmlaufen und machte sich Notizen in sein Traberjournal. Kurz vor den jeweiligen Rennen füllte er den Wettschein für die Dreierwetten aus. Die anderen Mitglieder der Wettgemeinschaft mussten nur seinen Vorschlägen zustimmen, was sie auch taten.

Leider stimmte das theoretische Wissen Drexlers mit dem praktischen Geschehen auf dem Renngeläuf häufig nicht überein. Einmal wechselte ein gewettetes Pferd auf der Zielgeraden in den Galopp und wurde disqualifiziert. Ein anderes Mal gewann ein Außenseiter, der nicht auf dem Wettschein der sechs Freunde stand.

Nachdem sich der eingesetzte Wettpott mittlerweile nahezu halbiert hatte, konnte sich Karl Denk eine kleine Spitze in Richtung Thomas Huber nicht verkneifen. »Gut, dass heuer deine Marion ned dabei ist, sonst hätten wir uns wieder was anhören dürfen.«

»Das Kapitel Rennbahn ist für die Marion beendet. Die habe ich für ein paar Tage nach Griesbach zum Wellnessen g’schickt«, rechtfertigte sich Huber.

»Eine gute Idee«, kommentierte Berni Ebner lachend.

Da es auch in den nächsten Rennen für die fidele Runde nichts zu ernten gab, hatte Rudi Kellner einen Vorschlag. »Du, Thomas, geh doch mal zu deinem Ex-Kollegen und frag ihn, ob er noch einen Tipp für uns hätte, weil so kommen wir ned weiter.«

»Ja gut, ich geh ihn fragen, schlechter als die Tipps vom Helmut können seine kaum sein«, frotzelte Thomas.

»Was kann ich dafür, wenn die Pferde ned so laufen, wie ich mir das vorstell? Außerdem könnt ihr es auch ned besser. Ich sag nur Manfred Dietl«, flachste Helmut.

Wenig später kam Thomas zurück und brachte einen ausgefüllten Wettschein mit. »Der Hans hat g’meint, im nächsten Rennen hat der Antonio vom Schwarz Georg eine Riesenchance. Das ist ein Außenseiter und zahlt am Toto bestimmt dreistellig. Den spielen wir für 20 Euro auf Sieg. Was meint ihr?«

»Okay, das riskieren wir. Ist eh schon wurscht«, stimmte ihm Karl Denk zu.

»In der Tasche wird’s nicht mehr«, ergänzte Rudi Kellner.

Das Rennen entwickelte sich anfangs ebenfalls nicht zum Geschmack der Pfarrkirchner Wettrunde. Antonio lag hinter dem Führenden in der Innenspur und hatte während der zwei Runden keine Möglichkeit zum Überholen, da neben ihm ein anderes Pferd trabte, das ihm den Weg versperrte. Zu Beginn der Zielgeraden ließ jedoch das außen trabende Pferd nach, fiel zurück, und der Weg war frei für Antonio. Sein Fahrer Georg Schwarz erkannte sofort die Situation und steuerte den auf der Innenspur geschonten Hengst nach außen. Dann lief er locker unter dem Applaus des Pfarrkirchner Publikums und ganz besonders unter dem Jubel der Wettgemeinschaft an Tisch 25 an dem führenden Gespann vorbei und siegte mit großem Vorsprung.

»Ist das geil. Ich hätt ned ’glaubt, dass der Antonio noch rauskommt«, freute sich Thomas Huber.

»Ich wär nie auf den Antonio ’kommen«, gab Helmut Drexler unumwunden zu.

Die Freunde klatschten sich ab, prosteten sich freudestrahlend zu und tranken auf Hans Baumgartner, der ihnen den Tipp gegeben hatte.

Gespannt wartete das Sextett auf die Stimme Hartwig Thönes, die den endgültigen Einlauf und die Quoten bekannt gab. »Yes«, schrien sie vereint und machten die »Beckerfaust«. Für Antonio gab es eine Quote von 120 Euro für zehn Euro Einsatz auf Sieg. Das hieß, es gab eine Auszahlung von 240 Euro für die Wettgemeinschaft an Tisch Nummer 25.

»Das ist eine andere Hausnummer«, merkte Rudi Kellner betont nüchtern an.

»Jetzt müssen wir uns aber beim Baumgartner Hans bedanken«, forderte Florian Sattler.

»Ich bring ihm gleich eine frische Radlermaß vorbei«, schlug Thomas Huber vor.

»Bring ihm auch eine Leberkässemmel mit. Den müssen wir uns warm halten. Den Ex-Bullen können wir morgen auch wieder gut gebrauchen«, ergänzte Karl Denk nicht ohne Hintergedanken.

Zum Ende der Veranstaltung holten sich die zufriedenen Wetter eine Stärkung in den Verpflegungszelten der Pfarrkirchner Rennbahngastronomie. Mit Leberkäs-, Würstl- und Schnitzelsemmeln war das kulinarische Angebot wie jedes Jahr recht überschaubar.

Letztlich konnten die sechs Freunde den Renntag als Erfolg verbuchen. Ihren Einsatz von 20 Euro pro Person hatten sie mehr als verdoppelt. »Keine Bank dieser Welt zahlt höhere Zinsen als hier auf der Rennbahn, gell, Helmut«, scherzte Berni Ebner in Richtung seines Freundes Helmut Drexler, der bekanntlich bei einer Bank beschäftigt war. In der Hoffnung, dass es morgen am Pfingstdienstag, am Tag des Bayerischen Zuchtrennens, mindestens genauso gut lief, verabschiedete sich die gesellige Runde gegen 19 Uhr und freute sich auf den nächsten Tag.

Vier

Dienstag

Der Wettergott war erneut auf der Seite der Traber. Das Thermometer zeigte um die 25 Grad an, und die Sonne strahlte durch die wenigen Wolken am Himmel. Am Rottaler Nationalfeiertag, dem Pfingstdienstag, strömten noch mehr Zuschauer auf das Renngelände als am Montag. Die Bedeutung der Veranstaltung unterstrich die Präsenz des Bayerischen Rundfunks. Reporter Harald Mitterer interviewte sowohl einige Fahrer als auch den ein oder anderen Ehrengast und berichtete später in der Abendschau über das Bayerische Zuchtrennen. Natürlich war auch die regionale Polit-Prominenz vertreten, die von Hartwig Thöne namentlich begrüßt wurde. Die Politiker sollten später die Siegerehrung beim Bayerischen Zuchtrennen durchführen.

Die Männer am Tisch mit der Nummer 25 waren schon wie am Vortag eine halbe Stunde vor Rennbeginn vollzählig vereint, um die Pferde beim Aufwärmen zu beobachten. Besonders Helmut Drexler gab sein Fernglas nicht mehr aus der Hand und verfolgte genau, ob ein Pferd beim Warmlaufen galoppierte oder ob es mit gespitzten Ohren spritzig und voller Tatendrang seine Runden drehte. Gleichzeitig und ohne den Feldstecher abzusetzen, machte er sich Notizen in sein Traberjournal. Die anderen fragten sich, ob er dieses unleserliche Gekritzel später noch entziffern konnte – sie jedenfalls konnten es nicht. Wie am Vortag hatte jeder der sechs Freunde wieder einen 20-Euro-Schein in den Wettpott eingezahlt. Alles versprach einen erneuten spannenden und geselligen Nachmittag. Eine Sorge hatte das Sextett jedoch: Sie hatten ihre »Wett-Vollkasko-Versicherung« vom Vortag mit Namen Hans Baumgartner noch nicht gesichtet. Das erste Rennen begann in wenigen Minuten und war mit einem Gewinnspiel des örtlichen Möbelhauses WEKO gekoppelt. An diesem Gewinnspiel konnten alle Besucher teilnehmen, die bei der Siegwette mit mindestens fünf Euro Einsatz erfolgreich waren. Gegen Ende des Renntages wurden zehn Gewinner gezogen, von denen jeder einen Einkaufsgutschein über 50 Euro vom Möbelhaus erhalten würde.

»Zum Warmwerden könnte sich jeder von uns für eine Siegwette um fünf Euro ein Pferd aussuchen, damit wenigstens einer am Gewinnspiel teilnehmen kann«, schlug Helmut Drexler vor. Nach einer kurzen Diskussion hatte jeder sein Pferd gefunden. Drexler füllte für jedes der sechs Pferde einen eigenen Wettschein aus und bezahlte insgesamt 30 Euro im Wetthäusl.

Das erste Rennen begann. Die ehemaligen Abiturienten des Pfarrkirchner Gymnasiums feuerten ihre gewetteten Pferde an. Als Erster lief zur Freude des Wettnovizen Rudi Kellner sein Pferd durchs Ziel.

»Die dümmsten Bauern haben immer die dicksten Kartoffeln«, flachste Thomas Huber.

»Ich lern halt am schnellsten, das war in der Schule auch schon so«, konterte Rudi mit einem breiten Grinsen, der ein hervorragender Schüler am Gymnasium gewesen war. Jetzt musste die Wettgemeinschaft auf die Siegquote warten. Letztlich waren alle mit der Quote von 70 zu 10 zufrieden. Somit hatten die Tipper an Tisch 25 einen Reingewinn von immerhin fünf Euro erwirtschaftet, da sie 35 Euro ausbezahlt bekamen, und hatten zusätzlich ein Ticket für die Lostrommel des WEKO-Gewinnspiels gewonnen.

Die Stimmung der Wettrunde erhellte sich weiter, als sie unten an der Bande ihre personifizierte Wettversicherung sahen. »Servus, Hans, komm doch kurz zu uns her«, forderte ihn Thomas Huber von Weitem bestimmt, aber höflich auf.

Wenig später stand Hans Baumgartner vor dem Tisch der Mittdreißiger. »Was gibt’s, Männer?«, fragte der ehemalige Polizist, der insgeheim ahnte, welche Frage gleich gestellt werden würde.

»Du, Hans, hast ned ein paar Tipps für uns? Das hat gestern so gut klappt«, bezirzte ihn Thomas.

»Heut ist es schwer. Die Felder sind ausgeglichen oder der Favorit schaut meilenweit raus, wie im nächsten Rennen«, antwortete der 63-Jährige, der die Wettgemeinschaft damit enttäuschte.

»Du warst doch bestimmt im Stall hinten. Was wird denn da so g’redt?«, hakte Thomas nach, der sich mit der Aussage noch nicht zufrieden gab.

»Ja schon. Ich hab grad mit dem Schwarz g’sprochen.«

»Was hat er g’sagt?«

»Er hat g’meint, dass er sich mit dem Pangraz im Zuchtrennen eine große Chance ausrechnet.«

»Und was meinst du, Hans? Hat er für dich eine Siegchance?«

»Kann ich mir schon vorstellen. Der Pangraz ist ein Klassepferd und beim Schwarz läuft’s ganz gut zurzeit.«

»Warst auch beim Staudinger? Der hat doch den Kilian vom Dietl Manfred im Zuchtrennen am Start?«

»Ja, aber ganz kurz nur, der war ziemlich im Stress.«

»Wie schätzt du die Chancen vom Kilian ein?«

»Gott sei Dank kann ihn der Dietl nicht selber fahren. Es würd mich aber wundern, wenn der Sepp das Zuchtrennen g’winnt, weil er momentan gar keinen Lauf hat.«

»Danke, Hans. Wenn dir noch einer einfällt, immer gerne. Du weißt ja, wo wir sitzen.«

»Ja, ja, das weiß ich. Übrigens, danke für die Radlermaß und die Leberkässemmel gestern.«

Hans Baumgartner sah, wie Rudi Kellner für das Gewinnspiel des Möbelhauses seine Adresse auf die Rückseite des Wettscheins vom ersten Rennen schrieb.

»Du musst den Wettschein knicken«, schlug der Pensionär vor.

»Warum?«, fragte der verdutzte Kellner.

»Weil die Glücksfee einen geknickten Schein besser zwischen ihre Finger kriegt«, erklärte Hans Baumgartner und verließ die Runde.

»Das klingt einleuchtend«, bestätigte Berni Ebner.

»Wenn dir der Hans einen Tipp gibt, dann solltest du ihn befolgen. Das war schon bei der Arbeit so«, sagte Thomas Huber.

Gesagt, getan. Rudi Kellner knickte den beschrifteten Wettschein in der Mitte und brachte ihn zu einem eigens für das Gewinnspiel aufgestellten Behälter.

»Wie machen wir jetzt mit dem Wetten weiter?«, fragte Karl Denk in die Runde.

»Na ja, den Pangraz merken wir uns schon mal vor, und bei den anderen Rennen müssen wir unserem Helmut noch eine zweite Chance geben«, schlug Thomas Huber aus Mangel an Alternativen vor.

»Hoffentlich kann der Helmut sein Gekritzel im Traberjournal lesen«, unkte Florian Sattler.

»Kein Problem, Männer. Das schaffen wir«, antwortete Helmut Drexler, der mit dieser Aussage Optimismus verbreiten wollte. »Der Favorit Armino steht über dem Feld. Deswegen riskieren wir im nächsten Rennen gleich eine Dreierwette. Bei einer Siegwette auf Armino gibt es eh nicht viel zu g’winnen«, schlug er voller Überzeugung vor.

»Aber dann müssen wir auch den Zweiten und den Dritten vorhersagen«, konterte Rudi Kellner mit gebotener Skepsis.

»Da hätt ich schon eine Idee«, entgegnete Drexler.

»Lass den Helmut nur machen. Irgendwann findet ein blindes Huhn auch ein Korn«, flachste Thomas Huber.

Der Puls der sechs Freunde schnellte in die Höhe, als ihre gewetteten Pferde genau in der Reihenfolge das Ziel passierten, wie sie es getippt hatten.

»Wir haben die Dreierwette«, schrie Helmut Drexler voller Freude.

»Super, Helmut. Ist das geil, wir haben ’troffen«, freute sich auch Thomas Huber.

Alle klatschten sich ab und prosteten sich zu, als die Stimme Hartwig Thönes Ungemach ankündigte: »Die Rennleitung überprüft den Einlauf.«

»Was bedeutet das?«, fragte Rudi Kellner ungeduldig.

»Die Überprüfung ist eine Art Videobeweis wie beim Fußball«, erklärte Helmut Drexler besorgt.

»Können die uns dann unsere Dreierwette nehmen?«, hakte Rudi Kellner ungläubig nach.

»Ja, das könnt passieren, wenn die Rennleitung irgendetwas feststellt, das nicht korrekt abgelaufen ist.«

»Jetzt warten wir mal ab«, beschwichtigte Thomas Huber.

Nach langen Minuten des Bangens erklang die Stimme des Bahnsprechers erneut: »Die Rennleitung hat entschieden, dass das ersteingekommene Pferd Armino wegen Behinderung des Pferdes Nicole Way im ersten Bogen disqualifiziert wird.«

Buhrufe und Pfiffe hallten von den Rängen. Auch die Wettgemeinschaft an Tisch 25 war erbost.

»Das kann doch nicht wahr sein.«

»Jetzt hätten wir eine Dreierwette und dann so was.«

»Die verarschen uns doch.«

»Von mir aus können sie den Fahrer bestrafen, aber ned den Wetter.«

»Da braucht sich keiner wundern, wenn immer weniger g’wettet wird.«

»Wenn so etwas noch mal passiert, sieht mich kein Mensch mehr auf der Rennbahn.«

Es dauerte einige Rennen, bis sich die sechs Freunde beruhigt hatten. Das Wettfieber war deutlich abgeflacht.

Das änderte sich jedoch vor Beginn des Zuchtrennens.

»Was machen wir jetzt mit dem Pangraz im Zuchtrennen?«, fragte Florian Sattler, bei dem sich die Spiellust als Erstes wieder einstellte.

»Wenn dir der Baumgartner Hans einen Tipp gibt, dann solltest du ihn befolgen«, wiederholte Helmut Drexler sehr süffisant den vorherigen Satz seines Freundes.

»Ja, genau. Wir wetten den Pangraz um 50 Euro auf Sieg«, schlug Drexler vor. Trotz des hohen Einsatzes war die Wettgemeinschaft letztlich mit dem Vorschlag einverstanden.

Hartwig Thöne stellte die Teilnehmer am Bayerischen Zuchtrennen in einer Einzelparade vor. Er erwähnte nicht nur die Namen von Pferd und Fahrer, sondern auch die des Trainers und des Besitzers sowie die bisherigen Erfolge der Pferde und die aktuellen Quoten am Wettmarkt. Die meisten Zuschauer standen jetzt vor der Bande, um noch näher am Geschehen zu sein. So auch die sechs Freunde, die ihren Tisch verlassen hatten, um an der Bande ihr gewettetes Pferd anzufeuern. Favorit des Rennens war Dexter mit dem deutschen Champion Michael Nimczyk im Sulky, dem die sechs garantiert nicht den Daumen hielten.

Zwölf Teilnehmer reihten sich hinter dem Startauto ein. Nach dem Start übernahm Dexter sofort die Führung, was dem Wett-Sextett an der Bande ganz und gar nicht schmeckte. Pangraz dagegen befand sich im hinteren Teil des Feldes in zweiter Spur. Nach einer Runde griff Kilian mit Sepp Staudinger im Sulky in der dritten Spur an, kam aber nach wenigen Metern von den Beinen, galoppierte und wurde von der Rennleitung disqualifiziert.

»Da wird der Dietl Manfred fluchen«, kommentierte der Feuerwehrkamerad des Besitzers.

»Das interessiert mich weniger, viel wichtiger ist, wann der Schwarz mit dem Pangraz endlich losfährt«, entgegnete Berni Ebner, der sich Sorgen um seine Wette machte.

Als ob der Fahrer von Pangraz die Worte Ebners gehört hätte, steuerte Georg Schwarz eingangs des letzten Bogens seinen Hengst nach außen in die dritte Spur und griff vehement an. Pangraz machte schnell Boden gut und erschien zu Beginn der Zielgeraden neben dem Favoriten. Es entwickelte sich ein spannender Zweikampf um den Sieg zwischen dem westdeutschen Favoriten und dem Rottaler Traberhengst. Die zahlreichen Zuschauer feuerten die Pferde an, wobei die Sympathien eindeutig bei dem einheimischen Traber lagen, genauso wie bei der sechsköpfigen Tippgemeinschaft an der Bande.

Am Ziel hatte Pangraz die Nase vorne und gewann unter dem Jubel des Publikums das prestigeträchtige Bayerische Zuchtrennen in Pfarrkirchen. Die Freude der Wetter um Drexler, Huber und Co kannte keine Grenzen, die sechs lagen sich in den Armen.

Rudi Kellner hielt plötzlich inne und drückte mit seiner Aussage die Stimmung etwas. »Hoffentlich gibt es diesmal keinen Videobeweis.«

»Das glaub ich nicht. Es sind schon einige Minuten vergangen und der Bahnsprecher hat noch nichts von einer Überprüfung g’sagt«, beschwichtigte Helmut Drexler.

Kurze Zeit später wurde der Sieger bestätigt, was die erfolgreichen Wetter zu weiteren Freudensprüngen veranlasste.

Jetzt versammelten sich die Ehrengäste auf Zielhöhe für die Siegerehrung. Alle waren sie gekommen, um zu gratulieren: Michael Fahmüller, der Landrat des Landkreises Rottal-Inn, Wolfgang Beißmann, der Bürgermeister von Pfarrkirchen, der Präsident des Hauptverbandes für Traberzucht, die Sponsoren des Zuchtrennens sowie die Vorstandschaft des Veranstalters, des Vereins für Traber- und Warmblutzucht im Rottal.

Unter großem Applaus der Zuschauer, die sich an der Bande um die besten Plätze drängelten, kam das siegreiche Gespann, der Hengst Pangraz mit seinem Trainer und Fahrer Georg Schwarz und mit seinem überaus glücklichen Besitzer Klaus Erlacher, zu den Gratulanten. Hartwig Thöne moderierte auch die Siegerehrung. Als Erstes wurde Pangraz ein Siegerkranz übergestreift, was dem Hengst nicht sonderlich gefiel. Anschließend gratulierten die Honoratioren dem Fahrer und dem Besitzer des siegreichen Pferdes.

Hartwig Thöne interviewte zunächst den erfolgreichen Fahrer. »Herr Schwarz, Gratulation zu diesem großartigen Erfolg. Haben Sie eingangs des Schlussbogens noch an den Sieg geglaubt, als Sie sich im hinteren Teil des Feldes befanden?«

»Vielen Dank, Herr Thöne. An den Sieg habe ich immer geglaubt. Ich habe gewusst, dass Pangraz einen unheimlichen Speed hat. Und dass es dann auf der Zielgerade gegen den starken Dexter noch gereicht hat, ist umso schöner.«

Als Nächstes wandte sich der Moderator dem glücklichen Besitzer zu. »Gratuliere Ihnen, Herr Erlacher. Was bedeutet Ihnen dieser Sieg im Bayerischen Zuchtrennen in Ihrer Heimatstadt Pfarrkirchen?«

»Für mich geht ein Traum in Erfüllung. Ich bin schon als Kind mit meinem Vater auf die Pfarrkirchner Rennbahn gegangen und habe die Pferde bewundert. Und jetzt hat mein Pferd dieses prestigeträchtige Rennen gewonnen. Ich bin sprachlos«, antwortete der Besitzer, der sein Glück gar nicht fassen konnte.

»Ist das der Pfarrkirchner Notar?«, fragte Thomas Huber in die Runde.

»Ja, der hat seine Kanzlei am Stadtplatz. Ich kenn ihn nur vom Sehen«, antwortete Karl Denk.

Wenig später wurde zu Ehren des Siegers die Bayernhymne gespielt. Nachdem die zahlreichen Pressevertreter ihre Fotos geschossen hatten, begab sich Georg Schwarz mit Pangraz auf die Ehrenrunde. Das Gespann wurde von zwei feschen Reiterinnen auf prächtig herausgeputzten Rottaler Warmbluthengsten begleitet. Als nach der Bayernhymne der Queen-Klassiker »We are the Champions« gespielt wurde, musste sogar der coole Siegfahrer Georg Schwarz einige Freudentränen verdrücken.

»Wann bekommen wir unser Geld?«, fragte Rudi Kellner voller Ungeduld.

»Nachdem die Quoten bekannt gegeben werden. Wir wissen ja schon, dass wir 350 Euro bekommen«, entgegnete Thomas Huber, der sich gleich nach dem Rennen an einem der aufgestellten Monitore über die Siegquote informiert hatte. Die Quote von 70 zu 10 war angesichts des großen Anhangs, den Pangraz auf seiner Heimatbahn genoss, sehr stattlich und 350 Euro eine Menge Geld für die sechsköpfige Wettgemeinschaft.

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26 мая 2021
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