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Zum Kosmos der modernen Großstadtlegenden gehört auch die Geschichte des Mannes, der – je nach Erzählung mal in Las Vegas, mal in Amsterdam, mal in Hongkong – auf Geschäftsreise in einem Hotel war und nach mehreren Drinks an der Hotelbar mit einer verführerischen jungen Frau ins Gespräch kam. «Das Nächste, woran sich der Mann erinnerte, war, dass er in seinem Hotelzimmer aufwachte. Er lag in seiner Badewanne, welche mit Eis gefüllt war. Auf dem Spiegel im Badezimmer stand mit Lippenstift geschrieben: ‹Wir haben eine Ihrer Nieren entnommen! Rufen Sie den Notarzt an!› Das Telefon hatte jemand in der Nähe der Wanne platziert»[14]. Angeblich habe der Telefonist in der Notrufzentrale dann gestöhnt: «Nicht schon wieder!» und sofort einen Rettungswagen vorbeigeschickt. Hintergrund sei, «dass es anscheinend einen großen Schwarzmarkt für menschliche Organe gibt». Auch hier spielt wieder die Lust am Gruseln eine entscheidende Rolle dafür, dass die gefälschte Geschichte immer wieder neu erzählt und verbreitet wird.

Ein weiteres Beispiel für eine solche Urban Legend ist die Geschichte von Katzenbabys, die in Gläser gestopft werden, um sie in eine bestimmte Form zu bringen – so genannte Bonsaikitten. Eine ganze Webseite[15] beschäftigt sich mit diesem Thema und propagiert die grausam erscheinende Vorgehensweise: Wenn junge Katzen in Glasbehälter gepresst werden und dort einige Zeit verbringen müssen, nehmen sie die Form dieser Behälter an. So sei beispielsweise die Herstellung quadratischer Tiere möglich. «Natürlich ist das völliger Blödsinn», schreibt «Spiegel Online»[16], «die Fotos von den Misshandlungen sind Fälschungen. Doch das kann den Sturm der Empörung nicht stoppen. In Tausenden Protestmails wird zum Kampf gegen Bonsaikitten aufgerufen – und die Seite auf diese Weise nur noch bekannter. Sogar das FBI ermittelt. Große US-Zeitungen berichten über den Fall.» Wenn es um Tiere geht, erst recht um Tierbabys, ist öffentliche Aufmerksamkeit garantiert. Dabei handelt es sich bei den Bonsaikitten ursprünglich um einen studentischen Scherz von Nachwuchsakademikern am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Die Studentinnen und Studenten erfanden einen angeblichen «Dr. Michael Wong Chang», der die Umformung der Katzen als große Neuerung verkaufte – und damit eine Fake News in die Welt setzte, die sich seit dem Jahr 2000 hartnäckig hält. Zur gleichen Kategorie gehören auch die wiederkehrenden Geschichten von Krokodilen in städtischen Abwassersystemen oder von Piranhas und Schnappschildkröten in beliebten Badeseen.

Parodien

Eine weitere Kategorie von Fake News bilden erfundene Geschichten, die als Parodie angelegt sind. Die erwähnten Bonsaikitten könnte man eventuell als solche Parodie einstufen; ganz bestimmt sind es jedoch die Nachrichten, die vom Satiremagazin «Der Postillon» verbreitet werden. In Sprachduktus und Machart ähneln sie ganz normalen Medien- und Agenturmeldungen – nur dass sie eben nicht von der Deutschen Presseagentur (dpa) stammen, sondern vom Postillon (dpo). Der kleine Unterschied im Kürzel wird im Redaktionsalltag gelegentlich übersehen – und wenn die Themen dann so nachrichtenmäßig aufgebaut sind, dass grundsätzliche Verwechslungsgefahr besteht, gelingt es den Satirikern eben immer mal wieder, ihre Fakes in die Medien zu schmuggeln. Das schaffen sie besonders dann, wenn sie die Themen so wählen, dass nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann, dass sie auch wahr sein könnten. Ein Beispiel: die Nachricht vom 9. Januar 2018, dass der Paketdienstleister DHL seine Lieferungen nur noch nachts zwischen 0 und 5 Uhr zustellen will, weil dann die Empfänger mit größerer Wahrscheinlichkeit zuhause seien.[17] «Erfahrungsgemäß halten sich 50 Prozent der Empfänger tagsüber nicht in ihrer Wohnung auf, weitere 40 Prozent hören die Klingel nicht, weil sie gerade unter der Dusche stehen», wird ein angeblicher DHL-Sprecher im Text zitiert. «Und wenn dann ein gelber Zettel im Briefkasten liegt, herrscht Frust.» Beim neuen Lieferkonzept werde man selbstverständlich auch die Tatsache berücksichtigen, dass manche Menschen einen tieferen Schlaf haben: «Unsere Mitarbeiter werden angehalten, mindestens eine halbe Minute Sturm zu klingeln. Da dürfte auch der schläfrigste Online-Shopper wach werden.»

Wer genau liest, wird hier natürlich schnell die Parodie erkennen – doch durch das massenhafte Teilen in Social-Media-Netzwerken geht der Hinweis auf die ursprüngliche Quelle einer solchen Fake-Nachricht oft verloren, der Inhalt verselbstständigt sich und wird für wahr gehalten, wie die empörten Reaktionen zeigen. Und noch schwieriger wird es, wenn das kunstvolle Spiel mit Wahrheit und Lüge auf eine weitere Ebene gehoben wird. Auch das hat der Postillon durchexerziert.

Am 2. Januar 2014, einem Donnerstag, meldete die Saarbrücker Zeitung exklusiv, dass der CDU-Politiker und frühere Kanzleramtsminister Ronald Profalla in den Vorstand der Deutschen Bahn wechseln werde. Die Agentur dpa bestätigte die Meldung, zahlreiche Medien veröffentlichten den Seitenwechsel des Politikers daraufhin. In diese Situation hinein meldete auf seinen Social-Media-Kanälen auch der Postillon den Wechsel, verbunden mit dem Hinweis, man habe das schon einen Tag zuvor gewusst. Die entsprechende Meldung war auf den 1. 1. 2014 vordatiert worden – mit dem Effekt, dass nunmehr zahlreiche Leserinnen und Leser glaubten, die Saarbrücker Zeitung, dpa und alle anderen Medien seien einem Postillon-Fake zum Opfer gefallen[18]. «Ich finde es bezeichnend, wenn die sogenannten seriösen Medien für weniger glaubwürdig gehalten werden als der ‹Postillon›», sagte Postillon-Macher Stefan Sichermann kurz danach im Interview mit dem Spiegel[19]: «Vielleicht ist der ‹Postillon› im Lügen einfach besser als diese im Verbreiten von Wahrheiten.» Viele Zeitungen und Online-Seiten schrieben ungeprüft voneinander ab, kritisierte Sichermann die Medien. Das sei einer der Gründe dafür, warum Fake News so schwer zu erkennen seien und sich manchmal so schnell verbreiteten.

Hybrid-Fakes

Während solche Parodien noch als witziges und nachrichtenkritisches Medienphänomen eingestuft werden können, ist das bei so genannten Hybrid-Fakes, also Nachrichten mit wahrem Kern, aber gefälschtem Dreh, schon schwieriger. Bei solchen Nachrichten handle es sich häufig um «ideologisch geprägte Meldungen, die eine Kernwahrheit enthalten, die aber manipulativ oder nicht korrekt sind»[20], sagt Andre Wolf vom österreichischen Verein Mimikama, der unter anderem die Faktencheck-Webseite www.mimikama.at betreibt. «Da werden Bilder und Zitate in einen anderen Kontext gebracht, und durch Weglassung wird ein Szenario aufgebaut, das nicht stimmt», so Andre Wolf.

Typisch sei beispielsweise die Anfang 2017 in Deutschland verbreitete Nachricht, dass die Bundesregierung das Verbot von Angriffskriegen im Strafgesetzbuch gestrichen habe. Der entsprechende Paragraf war tatsächlich mit Wirkung zum 1. Januar 2017 gestrichen worden – aber er wurde, was in der Fake News nicht vorkam, durch einen neuen Passus ersetzt, der «Verbrechen der Aggression» unter Strafe stellt und sich dabei ausdrücklich auch auf Paragraf 13 des Völkerstrafgesetzbuchs bezieht. Dort heißt es: «Wer einen Angriffskrieg führt oder eine sonstige Angriffshandlung begeht, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.» Andre Wolf: «Faktisch ist das Gesetz also nicht abgeschafft, sondern eher verschärft worden.» Der Hybrid-Fake mit dem vermeintlich abgeschafften Verbot sorgt allerdings zuverlässig für höhere Empörung und für höhere Klickzahlen als die komplette Nachricht.

Das mitlesende Publikum in die Irre zu führen, darum ging es auch bei einem Hybrid-Fake, den die AFD im Märkischen Kreis Anfang des Jahres 2018 verbreitete. Nachdem ein Jugendlicher im rheinland-pfälzischen Kandel seine 15-jährigen Ex-Freundin erstochen hatte, war im Netz schnell bekannt geworden, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen geflüchteten Afghanen handelte. Rassistische Tweets und entsprechende Hetze waren die Folgen. Die AFD im Märkischen Kreis griff das am 1. Januar 2018 auf und postete zu diesem Thema folgenden Tweet:


Abbildung 6: Tweet AfD (Quelle: Twitter)

Erst bei genauerem Hinsehen ist erkennbar, dass der Text des SWR-Tweets nach dem Komma offenbar noch weiter geht. Und tatsächlich reagierte der Sender noch an demselben Tag mit einer Klarstellung, die gleichzeitig den Hybrid-Fake der AFD bloßstellte.


Abbildung 7: Klarstellungstweet des SWR (Quelle: Twitter)

Tatsächlich hatte der ursprüngliche Tweet des SWR deutlich mehr Informationen enthalten (s. Abbildung 8).


Abbildung 8: Ursprünglicher Tweet des SWR (Quelle: Twitter)

Dieses Beispiel veranschaulicht, wie leicht sich Nachrichten fälschen oder manipulieren lassen und wie schwer es für die Nutzerinnen und Nutzer sozialer Netzwerke manchmal ist, den Wahrheitsgehalt einzelner Beiträge (oder auch sinnentstellende Kürzungen) auf Anhieb zu erkennen. Der Disput zwischen SWR und AfD kann – wie alle Beispiele in diesem Kapitel – auch gut für die Unterrichtsgestaltung genutzt werden; anhand der Tweets ist eine Diskussion über den Faktenbegriff und über das journalistische Selbstverständnis der SWR-Redakteure[21] möglich.

Kampfbegriff

Eine weitere Bedeutungsebene von Fake News bringen vor allem Rechtspopulisten im deutschsprachigen Raum, aber auch US-Präsident Donald Trump immer wieder in die Debatte ein. Sie versuchen gezielt, den Begriff «Fake News» als abwertendes Label für missliebige Medien zu etablieren und deren kritische Arbeit damit zu diskreditieren. Diese Verunglimpfungen von Teilen der unabhängigen Presse haben innerhalb kurzer Zeit dazu geführt, dass Fake News und in der Folge Bezeichnungen wie «Lügenpresse» in manchen Kreisen zu einem Code geworden sind, anhand dessen sich Gleichgesinnte erkennen und ihr Missfallen über von ihnen nicht zu kontrollierende Medieninhalte ausdrücken. Beispiele dafür finden sich im Twitter-Account von Donald Trump en masse.


Abbildung 9: Beschimpfung der Presse durch Donald Trump (Quelle: Twitter)


Abbildung 10: Beschimpfung der Presse durch Donald Trump (Quelle: Twitter)

Tatsächlich ist es den Rechtspopulisten mit der wiederholten Etikettierung regulärer journalistischer Arbeit als «Fake News» mittlerweile gelungen, die frühere Definition des Begriffs als mediale Lüge aufzuweichen und umzudeuten. Wenn Schülerinnen und Schüler zu diesem Thema arbeiten, ist es daher unausweichlich, diese Begriffsverschiebung hin zu einem nationalistisch-populistischen Kampfbegriff ebenfalls zu thematisieren.

Köder

Noch ein weiteres Phänomen wird gelegentlich als Fake News bezeichnet: schlechter und reißerischer Journalismus, der das Ziel hat, hohe Aufmerksamkeit zu generieren. Da eine solche gesteigerte Aufmerksamkeit im Netz in aller Regel mit höheren Werbeinnahmen einhergeht, sprechen Fachleute hier auch von «Clickbaiting», dem Erhöhen der Zugriffszahlen durch das gezielte Ködern von Klicks. Ein Beispiel dafür lieferte die Bild-Zeitung am 30. 12. 2017. Sie veröffentlichte einen Text, der erkennbar darauf abzielt, hohe Klickzahlen zu generieren – der Artikel selbst ist dann erst hinter der Bezahlschranke sichtbar.


Abbildung 11: Fake-News als Clickbait (Quelle: www.bild.de)

Keine Fake News

Nicht zur Kategorie der Fake News gehören dagegen Recherchefehler, wie sie im journalistischen Alltag immer wieder vorkommen, beispielsweise falsch zugeschriebene Zitate, die falsche Bezeichnung von Funktionen oder Ämtern oder auch Fakten, die komplett übersehen oder in ihrer Bedeutung unterschätzt werden und deshalb (zunächst) nicht in die Berichterstattung mit einfließen.

Und noch eine weitere Kategorie gilt es zu erwähnen, die ursprünglich keine Fake News darstellen sollen, sich aber in Einzelfällen dennoch dazu entwickeln können: (Insider-)Späße, die aus Missverständnissen heraus zu echten falschen Nachrichten mutieren. So gibt es etwa in der Wissenschaft eine Tradition, mit Forschungs-Fakes die Scientific Community hereinzulegen[22]. Bis heute ist es an manchen Fakultäten üblich, dass etwa in die Literaturliste einer Dissertation eine falsche, frei erfundene Literaturangabe eingearbeitet wird. «Das habe ich in meiner Doktorarbeit genauso gemacht wie alle anderen Kommilitonen», erinnert sich der frühere Bochumer Universitätssprecher Joseph König. Aufgefallen sei das seinem Professor damals nicht. König hat sich seinen Humor das ganze Berufsleben über bewahrt: Alljährlich zum ersten April foppte er als Uni-Sprecher Wissenschaft und Medien mit Presseerklärungen, in denen Nonsens-Themen aus der Bochumer Ruhr-Universität ganz ernsthaft präsentiert werden. So verbreitete er Ende der 1990er-Jahre die Nachricht über die Einführung von Fahrstuhl-Benutzungsgebühren. Wer nur ein oder zwei Stockwerke den Lift benutzen wollte, sollte zahlen, weil diese Kurzstrecken die größten Kosten im Fahrstuhlbetrieb verursachten, lautete die Begründung. Zum Selbstläufer wurde 1995 Königs Meldung von der bevorstehenden Zertifizierung der Bochumer Professoren nach der DIN ISO 9000 im Rahmen eines angeblichen «Total-Qualitäts-Management-Systems». Das renommierte Handelsblatt fiel auf den Fake herein und druckte die Meldung nach. Einzelne Universitäten erkundigten sich daraufhin in Bochum nach der angeblichen «Hochschul-Zertifizierungs-Konferenz» (HZK), weil sie ihre Professoren ebenfalls dem DIN-Test unterwerfen wollten.

Ebenfalls im wissenschaftlichen Umfeld angesiedelt ist der Fake, den jeder Medizinstudierende kennt und den sich die Herausgeber des Standardwerkes «Pschyrembel» leisten: In dem medizinischen Wörterbuch gibt es einen Eintrag über die (erfundene) Steinlaus. Der Scherz ist mittlerweile zum Selbstläufer geworden. So hielt ein Düsseldorfer Medizinprofessor, bekannt für fehlenden Humor und knochentrockene Veranstaltungen, eigens eine wissenschaftlich anmutende Vorlesung über die Steinlaus ab, ohne dabei ein einziges Mal die Miene zu verziehen. Die Studenten allerdings lagen vor Lachen auf dem Boden. Als der Verlag zwischendurch einmal in einer Neuausgabe auf den Eintrag über die Steinlaus verzichtete, hagelte es Proteste – was in der nächsten Edition umgehend zur Rückkehr des nicht existierenden Tierchens führte.

Definition

In diesem Buch sprechen wir immer dann von Fake News, wenn es um die gezielte und bewusste mediale Verbreitung von Lügen geht mit dem Ziel, bei den Rezipienten ein bestimmtes Bild zu erzeugen oder eine bestimmte Handlung anzuregen. Ein gutes und in gewisser Weise sogar witziges Beispiel dafür lieferte US-Präsident Donald Trump, als er im Oktober 2017 sagte: «The media is really, the word, one of the greatest of all terms I’ve come up with, is ‹fake›»[23]. Der Begriff ‹Fake›, behauptet Trump allen Ernstes, sei die bedeutendste Wortschöpfung, die er jemals vollbracht habe. Das ist blühender Unsinn, man könnte auch sagen: eine dreiste Lüge. Denn genau diese Behauptung des Präsidenten ist eine Fake News, die nach demselben Prinzip funktioniert, das Donald Trump immer wieder anwendet: Einfach etwas zu behaupten – irgendwas davon wird schon als vermeintliche Wahrheit hängenbleiben. Tatsächlich ist der Begriff ‹Fake News› schon deutlich älter – und das Phänomen der gezielten Desinformation gibt es schon sehr viel länger.

Historische Beispiele für Fake News

Dass Herrscher und Mächtige sich vorteilhaft inszenieren, ist kein neues Phänomen, sondern war schon lange vor der Existenz von Massenmedien im heutigen Sinne zu beobachten. Bei Statuen oder Bildnissen, in Berichten anderer oder in den eigenen Schriften sorgten sie dafür, dass ein möglichst positives Bild von ihnen vermittelt wurde – nötigenfalls unter Verdrehung oder Weglassung bestimmter Tatsachen. Gut zeigen lässt sich das bereits bei Caesar und seinem Buch «De bello gallico». Darin schildert sich der römische Imperator als klugen, vorausblickenden und sehr strategisch denkenden Staatsmann und Heerführer – zweifellos in der Absicht, den Lesern gegenüber ein besonders gutes Bild abzugeben. Auch die Aussage «Veni, vidi, vici» («Ich kam, ich sah, ich siegte») deutet darauf hin, dass es Caesar sehr bewusst war, wie er öffentlichkeitswirksame Statements platzierte – schließlich hatte er sich lange mit öffentlichen Auftritten und Reden und mit Rhetorik beschäftigt.

Kriegsgewinnler in Aktion

Über vormoderne Fake News berichtet auch der Historiker Christian Maiwald vom Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität zu Köln. Im Blog «zeitenblicke»[24] beschreibt er, wie im Zusammenhang mit dem Griechischen Unabhängigkeitskrieg 1821 in Europa das Machen von Meinungen, also die Beeinflussung von Stimmungen durch Veröffentlichung bestimmter Fake News, von einigen Akteuren gezielt für ihre Zwecke genutzt wurde. «Eine unter der Bevölkerung Unsicherheit erzeugende Berichterstattung im öffentlichen Diskurs hat notwendigerweise Rückwirkungen auf die politischen Entscheidungsträger und ihr Handeln auf internationaler Bühne», schreibt Maiwald – und das gelte eben auch für das restriktive Europa der Ära Metternich: «Tatsächlich war die ‹öffentliche Meinung› zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine feste Größe in der Politik geworden.» Zeitungen, Journalisten, Redakteure und eine wissbegierige Leserschaft seien damals «einflussreiche Akteure in ziemlich allen europäischen Staaten» gewesen – und das wiederum stellte für die Regierenden eine echte Herausforderung dar. Denn während angesicht der Aufstände in Griechenland 1821 die Unterhändler der europäischen Großmächte noch darum rangen, einen drohenden russisch-türkischen Krieg abzuwenden, veröffentlichten einige Journale bereits falsche Nachrichten vom Scheitern genau dieser Verhandlungen, so der Historiker: «‹Krieg zwischen Sultan und Zar!›, lautete die griffige wie voreilige Parole, die Europas Öffentlichkeit in Unordnung versetzte. Wie wenig hilfreich diese dubiose Praxis für die Diplomaten vor Ort gewesen sein dürfte, lässt sich leicht erahnen.» Für Christian Maiwald stellt sich die Frage, wem diese Falschnachrichten nützten – und er kommt zu einer eindeutigen Antwort: Es waren Kriegsprofiteure, die auf Gewinne durch schwankende Aktienkurse an den Börsen in London und Paris setzen. «Gefälschte Briefe und fabrizierte Bulletins (= offizielle Verlautbarungen), welche vom (vermeintlich) bereits erfolgten Kriegsausbruch Zeugnis ablegten, sowie gewiefte Tricksereien, um staatliche Handelsblockaden zu umgehen und das Aufstandsgebiet mit Getreide (und Schlimmerem) zu versorgen, waren gewinnbringende Instrumente», so Maiwald. Für die Herrschenden habe es angesichts dieser Fehlinformationen nur die Möglichkeiten gegeben, einerseits auf die diplomatische Geheimhaltung zu pochen und andererseits öffentlich den Lügen entgegenzutreten oder sie – «notfalls mit dem Rotstift», wie der Historiker anmerkt – zu unterbinden. Wobei natürlich die Zensur auch wieder eine Form der Fehlinformation ist: Sie produziert Fake News durch Wegstreichen und Verschweigen.

Der Begriff «Fake News» taucht auf

Als eigenständiger Begriff taucht «Fake News» nach Recherchen des amerikanischen Merriam-Webster-Lexikons erstmals 1890 auf[25], als die Cincinnati Commercial Tribune am 7. Januar berichtet, der Minister Brunnell habe sich über die telegrafische Verbreitung von Fake News beschwert.

Secretary Brunnell Declares: Fake News About His People is Being Telegraphed Over the Country Cincinnati Commercial Tribune , 7. Juni 1890

Weitere Belege für die Verwendung des Terms finden sich im selben Jahr im Kearney Daily Hub und im Folgejahr im Buffalo Commercial.

Fake News. The following is handed to us for publication: Sunday’s Enterprise says that I and a companion were run over by the Neptune and thrown into the water. As can be proved by more than one, we did not so much as get our feet wet, nor were we helped into the Neptune. Clarence Collins. The Kearney Daily Hub, 7. Juli 1890

The public taste is not really vitiated and it does not in its desire for ‹news› absolutely crave for distortions of facts and enlargements of incidents; and it certainly has no genuine appetite for ‹fake news› and ‹special fiend› decoctions such as were served up by a local syndicate a year or two ago.

The Buffalo Commercial, 2. Mai 1891

Wesentlich länger wird nach den Recherchen der Lexikonmacher bereits die Formulierung «False News», «falsche Nachrichten», in Texten verwendet. Der älteste Nachweis bezieht sich hier auf ein Buch aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, das 1575 erschien.

Literarische Lügen

Dabei ist das Verbreiten von gefälschten Nachrichten gar nicht auf politische Akteure beschränkt. Der französische Schriftsteller Marcel Proust, Autor unter anderem des mehrbändigen Romans «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit», sorgte aktiv dafür, dass von ihm fabrizierte Nachrichten über seine eigenen Bücher veröffentlicht wurden: Er bezahlte für positive Rezensionen in einflussreichen Zeitungen und schrieb einige Kritiken auch gleich selbst, um sie dann gegen Bezahlung und unter falschem Namen veröffentlichen zu lassen[26]. Eingebunden in die Produktion dieser kulturellen Fake News war auch sein Verlagsleiter, dem Proust die Rezensionen zum Abtippen schickte. Im Begleitbrief dazu schreibt er, dass es auf diese Weise «keine Spur von meiner Handschrift» geben werde. Auch von «Geld, das den Besitzer wechseln wird», ist in den Briefen die Rede. Proust ließ sich die positiven Besprechungen einiges kosten: Für eine Lobeshymne auf «In Swanns Welt» zahlte er 1913 an den «Figaro» die Summe von 300 Francs, heute wären das etwa 1000 Euro. Der Text erschien auf dem Titelblatt. Und sogar 660 Francs war Proust eine weitere Rezension im «Journal des Débats» wert. Darin sparte er nicht mit Lob für sich selbst: «Ein kleines Meisterwerk» sei dem Autor da gelungen, «fast zu leuchtend für das Auge», und der Verfasser des Romans sei einfach unglaublich begnadet: «Was Herr Proust sieht und fühlt, ist völlig neuartig.»

Feindlicher Käfer im Anflug

Eine andere Fake-Nachricht wurde gleich mehrfach von ganz verschiedenen Protagonisten in die Welt gesetzt. Den Anfang machten die Deutschen im Ersten Weltkrieg, als sie den Pflanzenschädling Kartoffelkäfer zum «Franzosenkäfer» erklärten und dem Kriegsgegner vorwarfen, durch das Ausbringen der Insekten die deutsche Nahrungsmittelversorgung sabotieren zu wollen[27]. Auch im Zweiten Weltkrieg hatte der Kartoffelkäfer Konjunktur als vermeintliches Kriegsmittel des Feindes: Es seien amerikanische und britische Flieger, die den Schädling über Deutschland abgeworfen hätten, um das Volk auszuhungern, lautete die Fake-News-Kampagne der Nationalsozialisten. 1941 verteilten sie in hoher Auflage «Die Kartoffelkäfer-Fibel» an Schülerinnen und Schüler im ganzen Reich; diese mussten daraufhin tagelang die Felder durchstreifen und Käfer einsammeln. Die Bilder in der Fibel zeigen unter anderem Jungen in HJ-Uniform bei einem solchen Einsatz des Kartoffelkäfer-Abwehrdienstes (so hieß der tatsächlich) gegen den Ami-Käfer[28]. Interessanterweise warfen die Briten ihrerseits auch den Deutschen vor, Kartoffelkäfer über Großbritannien abgeworfen zu haben. Historiker haben mittlerweile gezeigt, dass die Wehrmacht tatsächlich versuchte, eine Kartoffelkäfer-Waffe zu entwickeln: 1943 ließ sie rund 14 000 Tiere züchten und aus 8 000 Metern Höhe über der Pfalz abwerfen, um zu sehen, ob die Tiere einen solchen Abwurf überleben würden. Das taten sie, doch zum ursprünglich geplanten Einsatz gegen die Kartoffelernte 1944 in England kam es trotzdem nicht mehr.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die politische Karriere des Kartoffelkäfers aber noch lange nicht zu Ende. Ab 1950 wurde in der DDR die Nachricht verbreitet, die Amerikaner versuchten mit abgeworfenen Käfern, die sozialistische Landwirtschaft anzugreifen. Am 16. Juni 1950 veröffentlichte das Neue Deutschland die Titelgeschichte «Gemeinsame Abwehrmaßnahmen gegen Kartoffelkäfer», der Untertitel lautete: «Außerordentliche Kommission stellt fest: USA-Flugzeuge warfen große Mengen Kartoffelkäfer ab.» Im Text folgten Einzelheiten über den «verbrecherischen Anschlag der amerikanischen kapitalistischen Kriegstreiber». Auszüge:

«Seit dem 22. Mai 1950 haben Flugzeuge, aus dem Westen kommend, über dem Gebiet der Republik Koloradokäfer abgeworfen. Die ersten außergewöhnlichen Kartoffelkäferfunde wurden am 22., 23. und 24. Mai in Sachsen festgestellt. Aus den Kreisen der Bevölkerung wurde zunächst unabhängig davon Mitteilung gemacht, daß in dieser Zeit vom 22. bis 24. Mai Flugzeuge bemerkt worden sind, die teilweise auf einer außergewöhnlichen Flugstrecke aus der amerikanischen Zone in das Gebiet der Republik einflogen. Die Kriegstreiber im amerikanischen Lager haben, den Fußspuren Hitlers und seiner japanischen Spießgesellen folgend, aus Furcht vor dem Anwachsen der Friedenskräfte und in Erkenntnis der Schwäche der eigenen Position, die Verschärfung des sogenannten ‹Kalten Krieges› auch durch Anwendung der Methoden bakteriologischer Kriegsführung aufgenommen. Der Abwurf von Koloradokäfern auf das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik ist dafür ein Beweis.»

Sogar der US-Botschafter in Moskau wurde in den Fall hineingezogen: Er musste bei der sowjetischen Regierung antreten, um eine Protestnote gegen den amerikanischen Käferangriff auf den Bruderstaat DDR entgegenzunehmen.

Wieder wurde eine Broschüre gedruckt, dieses Mal hieß sie «Karl Kahlfraß und sein Lieschen. Bilderbuch für große und kleine Kinder» und wurde vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der DDR herausgegeben. Darin: Bilder von Jugendlichen in FDJ-Uniformen beim Kartoffelkäfer-Sammeleinsatz auf dem Feld. «In einem Klassenraum der Schule hatte man eine grüne Puppenbühne aufgebaut. Eine ganze Schulstunde lang wurde ein Puppenspiel aufgeführt. Darin ging es darum, dass vom bösen Amerikaner, das war eine Art Teufelspuppe mit Ziegenbart und einem Zylinder aus der amerikanischen Flagge, Kartoffelkäfer und seine gefrässigen Larven auf das Feld der Oma losgelassen wurden. Der tapfere Kasper kämpfte gegen sie und gewann natürlich», erinnert sich eine frühere DDR-Schülerin an das Jahr 1951[29]. «Bei mir blieb hängen, dass Amerikaner bösartig sind und dass die Streifen der amerikanischen Flagge vom Kartoffelkäfer stammen.» Und natürlich wurden die Schüler am Ende gefragt, ob sie der Oma nicht helfen wollten im Kampf gegen den bösen Ami-Käfer. Tatsächlich hatte es Ende der 1940er-, Anfang der 1950er-Jahre eine Kartoffelkäferplage in der DDR gegeben. Die Überflüge amerikanischer Maschinen von und nach Westberlin wurden dafür als Urheber angesehen – obwohl zur selben Zeit auch die Landwirtschaft im gesamten süddeutschen Raum unter einer Kartoffelkäferplage litt[30].

Ein KZ-Baumeister als Präsident?

Aus den Zeiten des Ost-West-Konflikts nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es ebenfalls zahlreiche Beispiele von gezielten Lügen und Fehlinformationen. Ziel war hier oftmals die Verwirrung und Destabilisierung des gegnerischen Lagers. Eindrucksvoll zeigt sich das etwa an der Affäre um Heinrich Lübke. Dieser sollte 1964 als Bundespräsident wiedergewählt werden und hatte in seiner ersten Amtszeit wiederholt das Selbstbestimmungsrecht für alle Deutschen eingefordert und den Alleinvertretungsanspruch der BRD für ganz Deutschland betont. «All dies machte ihn zu einem erklärten Gegner der DDR-Führung», schreibt die Historikerin Renate Schlief-Ehrismann[31]. Die ostdeutsche Regierung sinnt auf ein Gegenmittel und beginnt, Lübkes Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus zu untersuchen. Die «Kompromittierung führender politischer Persönlichkeiten» sei damals erklärte Strategie der DDR-Führung gewesen, so die Historikerin. Mit Wissen des Politbüros des Zentralkomitees der SED wird ab dem Frühjahr 1964 eine gezielte Verleumdungskampagne gegen den westdeutschen Bundespräsidenten in die Wege geleitet. Und Lübkes Biografie bietet tatsächlich Angriffspunkte: Heinrich Lübke arbeitete während des Zweiten Weltkriegs als Vermessungsingenieur bei einem Berliner Architektenbüro, das unter anderem den Aufbau der Raketen-Versuchsstation in Peenemünde begleitete. Die DDR-Führung lädt zu mehreren «Internationalen Pressekonferenzen» ein und präsentiert dort Material, das Lübke nicht nur als Planer kriegswichtiger Einrichtungen, sondern auch als KZ-Architekt diskreditiert. Mit anderen Worten: Der Präsident der BRD sei eine «Schlüsselfigur der faschistischen Regierung» gewesen und mithin ein «Kriegsverbrecher».


Abbildung 12: Kampagne gegen Lübke (Quelle: Sammlung Himmelrath)

Vermeintliche Belege hat die DDR-Führung auch: «Als Beweis legt sie Bauzeichnungen vor, sämtlich von Lübke unterschrieben beziehungsweise paraphiert», schreibt Renate Schlief-Ehrismann. Insgesamt handelt es sich um zehn Blätter mit Bauzeichnungen, zusammengefasst in einer Akte mit dem Titel «Vorentwurf zur Erstellung eines KZ-Lagers für 2 000 Häftlinge der Fa. KALAG bei Schaft VI in Neu-Staßfurt». Das Material sollte beweisen, dass Lübke «seit Mai 1944 das Konzentrationslager in Neu-Staßfurt entworfen, errichtet und 500 französische Häftlinge aus dem KZ Buchenwald als Arbeiter für den Bau ‹angefordert› habe, von denen hundert dort umgekommen sind», so die Historikerin. Das Bild des KZ-Baumeisters ist damit geprägt und sickert in den kommenden Jahren ins kollektive Gedächtnis Westdeutschlands ein – Lübke bleibt allerdings trotzdem im Amt.

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