Читать книгу: «Die Glocken der Stille», страница 2

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Zwischenzeitlich stand ich kurz davor, dem Fahrer zu sagen, den Sitz jenem Fahrgast anzubieten, als plötzlich zwischen den Haltestellen auf dem Weg jemand stand und mit Gesten ums Anhalten bat.

Der Fahrer machte eine Ausnahme und hielt an! Ein junger Mann, mit einer Narbe an der rechten Wange, stieg ein. Irgendwie, sobald ich denjenigen sah, tauchte auf einmal in meiner Erinnerung Mark auf, Frau Dudens Sohn, mit der charakteristischen Narbe, die ihn unvergesslich machte.

„Wie geht es, Freund?“, fragte der Junge mit einer Art Naivität, die dir bestätigte, dass du es mit jemandem zu tun hattest, der nicht allzu oft aus dem Haus kam, um sich auf eine Reise zu begeben.

„Aus der Stadt W. kommst du?“, fragte ich ihn.

„Nein“, antwortete er mir, „doch um etwas zu erledigen bin ich in die Stadt W. gekommen.“

Ich schaute ihn prüfend an.

„Und du“, fragte er mich, „woher kommst du?“

„Aus Berlin bin ich.“, war meine Antwort.

„Lehrer sind Sie?“, fragte erneut der junge Mann, und schaute auf mein Buch, das ich gerade aufgeschlagen hatte.

„Als Lehrer hatte ich die Universität abgeschlossen, doch arbeite ich als Journalist.“

„Einmal haben sie auch über mich geschrieben.“, meinte der Junge und atmete tief ein. „Schon möglich, dass du es gelesen hast: ᾿Der Junge mit der Narbe‘.“

In der Tat erinnerte ich mich an die Schrift und die Diskussion, die der Artikel in unserer Redaktion ausgelöst hatte. Unabhängig davon, dass jener bei der „Allgemeinen“ veröffentlicht wurde. Der Redaktionschef war baff, dass Menschen etikettiert werden durften, sowohl in den Titeln, als auch in der Schrift. Gerd, der Vizechef, fügte hinzu, dass es nicht seriös wäre, der Erzählung einen derartigen Titel zu geben, wie: „Behinderter, der den Normen entspricht“, oder „Blinder, der sich selbst gefunden hat“.

„Hast du jemanden in W.?“, fragte ich ihn.

Der Junge wirkte plötzlich mitgenommen, doch gleich beherrschte er sich wieder.

„Wie soll ich sagen … Ich bin einfach so hier wegen einer Sache. Es ist das erste Mal für mich und ich kenne keinen hier.“

„Dann wirst du in einem Hotel buchen müssen?“, fragte ich ihn weiter, überzeugt davon, dass er sich auch so verhalten würde.

„Doch, doch.“, antwortete er mir. „Möglicherweise wird mein Aufenthalt sich um einen weiteren Tag verlängern.“

Der Bus hatte letztendlich nicht mehr mit den ausgebesserten Schlaglöchern zu tun und so schüttelte er uns nicht mehr so sehr.

„Hast du Eltern?“, fragte ich ihn.

„Ja.“, antwortete er kurz und bündig. „Ich habe Mutter und Vater.“

„Sie arbeiten, sicherlich.“, fragte und bejahte ich, abgesehen von dem Alter des jungen Mannes mit der Narbe.

„Ah, nein.“, sagte er und atmete erneut tief ein. „Sie sind in Rente.“

Danach floss unser Gespräch leichter über mehrere Tagesprobleme, über die Sportsphäre und eher weniger über Themen des Kunst- und Kulturlebens. Der Junge mit der Narbe lebte in einem Dorf. Vor kurzem hatte er seinen Wehrdienst in einer Panzerbrigade beendet und jetzt arbeitete er als Traktorfahrer und Erntehelfer. Diese Kontinuität, wie es scheint, könnte den Korrespondenten der „Allgemeinen“ beeinflusst haben über ihn zu schreiben. Denn, wäre der einmalige Titel nicht gewesen, wäre der Text an dem Tag danach schon vergessen.

Es war nur logisch, dass wir beide uns an das Hotel „Inter City“ wandten, das ich bereits gut kannte und damit der Junge sich ebenfalls ein Zimmer mieten konnte.

„Wie heißt du?“, fragte ich ihn.

„Flober.“, antwortete er und ich zuckte zusammen. „Flober Marsch.“

„Und du?“

„Skipetar Sotti.“, antwortete ich und gab ihm die Hand.

Mein Hotelzimmer war schön, möglicherweise war es das gleiche Zimmer, in dem ich vor drei Jahren übernachtet hatte. Auch das Zimmer von Flober war gemütlich eingerichtet.

Da die Reise nach W. nicht von kurzer Dauer war, spürte ich die Notwendigkeit sobald wie möglich Mittag zu essen.

„Flober“, sagte ich, „willst du Mittag essen?“

„Ja.“, antwortete er, und wie ein treues Lamm folgte er mir. Dennoch war ich dabei, ihn wie einen Reisebegleiter und Kumpel zu betrachten.

Das Restaurant war das Gleiche: Mit den Tischbezügen und mit dem Standardwandfarbton und durch die Bilder aufgefrischt. Der einzige Unterschied waren die Menükarten auf den Tischen und die Baumwollgardinen. Aus der Anlage erreichte uns eine klassische Musik und ab und an war das Klappern der Deckel der Kochtöpfe und der Pfannen aus der Küche minimal zu hören.

Es war zu erkennen, dass Flober selten in einem Restaurant war und er bevorzugte das gleiche Menü zu kosten, was ich bestellt hatte.

Während der Junge, wie jeder neuankommende Besucher, sich bemühte, mit dem Restaurant vertraut zu werden, landeten meine Augen auf dem Tisch am Fenster, dort wo - wie damals auch -, ein Blumenstrauß stand. Es war der Tisch vom Mark und Flora.

Ich war mir sicher, dass sie nicht mehr hierhin kommen werden, weil die Beiden jetzt ein richtiges Paar sein mussten. Sie hatten ihr Zuhause und hierher kämen sie höchstens, um sich an ihre jungen Zeiten zu erinnern.

„Flober, du hast einen sehr interessanten Namen.“, sagte ich ihm. „Wie es scheint, waren deine Eltern große Sympathisanten des Gustave Flaubert, von der ᾿Frau Bovary‘.“, fügte ich hinzu, überzeugt davon, dass jemand mit dem großen französischen Schriftsteller sympathisierte und ihm dessen Nachnamen als Vorname gewidmet hatte.

„Ah, nein Skipetar“, sagte er und schien dabei zu überlegen, „viele Menschen haben das Gleiche behauptet. Doch weder Mutter, noch Vater sind belesen. Sie sind ganz einfache Menschen, Landarbeiter.“

„Nun dann, woher?“, bestand ich darauf, obwohl mir im Klaren war, dass ich meine Art der Fragestellung damit übertraf.

„Prost, zum Wohl!“, wünschte er mir und trank gleich darauf sein Bierglas mit einem Schluck aus.

Als ob der Instinkt des Journalisten sprach und sagte, dass hier etwas nicht stimmte, dass der Junge eine Sorge hatte, die sich in seiner Brust wie ein Fadenknäuel wickelte. Ich schaute ihn an, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Dabei kam er mir mal wie ein reifer Mann und mal wie ein kleines Kind vor.

Ich begriff, dass er mir keine Antwort geben wollte und ich versuchte, nicht mehr seinen Verstand zu belasten.

Der Junge aß mit Eile und so, ohne zu sprechen, trank er auch das nächste Bierglas leer.

Er sagte zu mir, dass er nun seinen Freund von der Bundeswehr treffen müsse, zahlte den Kellner und ging fort.

In der Zeit, als er rausgegangen war, traf der Zeitungsmitarbeiter, Busch, ein. Ihm ging es mittlerweile ausgezeichnet: Er wurde zum Chef der Grünen ernannt und hatte dennoch einen teuren Dieselwagen, sodass wir uns öfters in Berlin trafen.

„Verzeih mir, es hat sich etwas in die Länge gezogen“, sagte er, „weil der Sekretär nach mir verlangte, hatte ich keine andere Wahl.“

Wir begannen mit dem gemeinsamen Gespräch. Busch hatte den Schatten eines Eminenten gewonnen. Ohne irgendeine Verbindung, während des Gesprächs, nannte er die Führungsreihen des Bezirks und den Ereignissen der Stadt hatte er irgendwie ein Kreuz vermacht. Das war ein Zeichen der Emanzipation, doch auf der anderen Seite, erkannte ich auch ein Rennen hinter den Ziffern, des Kollegen X und Y, her. Bei denen ich nichts besonders sehen konnte, außer dem Platz auf ihrem Stuhl. Rein zufällig hatte sich ergeben, solchen Parteimitgliedern der Politikebene zu begegnen und mit ihnen über unterschiedliche Probleme zu kommunizieren. Ich wusste wie viel Wert deren Haut hatte.

Jemand grüßte ihn und Busch antwortete mit der gleichen Geste. Doch zwischenzeitlich blieben seine Augen auf den Tisch am Fenster gerichtet.

„Den Tisch haben Mark und Flora für heute Abend reserviert.“, sagte Busch und erzählte mir, dass jetzt, wenn Mark Blumen auf den Tisch stellte, alle wussten, dass sie an diesem Abend dort essen werden.

„Sie leben wie an dem ersten Tag, als die Liebe stark gefunkt hatte.“, fügte Busch hinzu. „Obwohl sie sich an die bekanntesten Gynäkologen, sogar auch in Düsseldorf, wandten, blieben sie kinderlos.“, sagte er, überzeugt davon, dass ich die Geschichte frisch in meiner Erinnerung hatte, ebenso auch Frau Duden.

„Das tut mir leid.“

„Der ganzen Stadt tut es leid.“, vervollständigte er. „Wie sollst du es sagen: Es ist kaum möglich, zwei gute Dinge zusammen zu bringen. Mark hat nun die Stelle als Trainer des Fußballvereins und deren finanzielle Lage ist so berauschend gestaltet, dass man nur neidisch drum sein kann. Es wird behauptet, dass Frau Duden auch in Wien Reichtum besaß.“

Beide waren wir der gleichen Meinung, dass ihnen, Mark und Flora, der aller größte Reichtum fehlt: Ein Kind. Knapp eine Million hatte ihnen ein Einheimischer, aus Deutschland, für das Klavier angeboten. Seitdem Flora in das Haus gekommen war, wirkt es jünger, und keiner von denjenigen, die dort ein- und ausgingen, glaubten, dass es noch ein gepflegteres Haus in ganz W. gäbe. Den Garten hatten sie an einen bekannten Fruchtkünstler zur Pflege anvertraut und jetzt gleicht er einem botanischen Garten. Der Weg aber vom Eingangstor bis zur Haustreppe hin, bewahrte die Tradition der Frau Duden und war mit zahlreichen Blumen geschmückt. Bei der Selektion, wenn die Stadt hohe Persönlichkeiten erwartete, kamen sie sogar hierher, um frische Blumen abzuholen.

Inzwischen trafen in dem Lokal Giuseppe und Dutz ein und - unerhört leise -, besetzten sie ihren Tisch und führten ein Gespräch fort, das mit Sicherheit noch nicht zu Ende war. Zu Recht hatte Busch mir mal erzählt, dass ihre Stadt, die Stadt von 1001 Merkwürdigkeiten sei.

Nach den beiden Freunden traf Mark in dem Restaurant ein. Außerhalb seiner Natur, ohne zu grüßen wie gewöhnlich, warf er einen Blick durch das Lokal und, weil - wie es schien - er den Gesuchten nicht sehen konnte, wandte er sich an den Kellner. Mark sprach flüchtig mit ihm und danach wandte er seine Schritte in Richtung auf unseren Tisch.

„Manchmal kann man seinen Augen nicht trauen.“, richtete er den Satz an mich, sobald er mir die Hand gab. „Ich war auf der Suche nach einem Jungen, mit einer Narbe an der Wange, und sie sagten zu mir, dass Sie …“

„Aha, Flober.“, intervenierte ich. „Doch kurz zuvor, nachdem er gegessen hatte, ging er um einen Freund aus der Bundeswehr zu treffen mit dem er als Soldat zusammen gedient hatte.“

Es war zu erkennen, dass Mark wegen einer Sache beunruhigt war, da sobald ich diesen Namen nannte, sein Gesicht rot wie Paprika wurde.

„Jedenfalls hat er ein Zimmer in demselben Hotel - wie ich auch - gemietet und …“

„Nein, nein“, unterbrach er mich mit einer unerklärlichen Eile, „ich werde ihn selber finden.“, und sobald er mir die Hand gab, ging er sehr flott raus.

„Es wird erzählt, dass ein Fußballer aus Wenden für unseren Verein spielen wird.“, erklärte Busch mir.

Welch eine Koinzidenz! Ein Fußballer, in seinem Verein, namens Flober! In dem Verein von Frau Dudens Sohn. Ich weiß nicht, doch dieses Ereignis zeigte mir eine andere Richtung auf. Während der wenigen Minuten Fahrt mit Flober, war ich mir sicher, dass hier nicht von einem Fußballer die Rede war, unabhängig davon, dass er nicht wenige Sportkenntnisse hatte.

Busch bat mich um Erlaubnis sich zu entfernen. Jetzt, als Chef der Grünen, hatte er nicht so viel Freizeit, wie vorher, und das begriff ich.

Ich bestellte noch einen Kaffee und einfach so meditierte ich. Giuseppe und Dutz führten die Diskussion fort. Keiner wusste worüber. Der Kellner räumte die Teller vom Nachbartisch, ansonsten herrschte auf der Straße ein unmöglich lautes Geräusch eines kaputten Auspuffs.

Vor meine Augen tauchten Flober, danach Mark und Flora und irgendwo auch Frau Duden auf. Die letzte hatte ich nie gesehen, doch ich kreierte sie wie eine Frau unter den ersten Klavierspielerinnen, die ich gewöhnlich in den Filmen mit der Thematik aus dem letzten Jahrhundert gesehen hatte.

Ich entsann mich, als Flora so plötzlich wegen einem „Kurs“ fortgegangen ist und für einige Monate in Köln war. Zu der Zeit soll sie kaum nach W. gekommen sein.

Ich erinnerte mich an das verbreitete Gerücht über die Beiden, wie Flora in einer regnerischen Nacht gesehen wurde, als sie aus einer Kölner Geburtsklinik kam. So, um die Zeit tot zu schlagen, schrieb ich auf dem Zettel mit Rechnung, den der Kellner mir mitgebracht hatte: Flober, Mark, Flora.

Sie erweckten in mir einen identischen Klang. Es war modern zu der Zeit, dass Eltern, mit den Buchstaben von ihren beiden Namen, derartige Namen kreierten, die sie ihren Kindern widmeten, meistens sehr schöne Namen, manchmal sogar auch unsympathische.

Ich schrieb erneut: Flober, Mark, Flora. Danach tauschte ich die Reihenfolge: Flora, Mark. Ich blätterte das Grammatikblatt aus meinem Intellekt auf und formte neu: Flo-ra, Ma-rk, Flo-ber. So vollbrachte ich die Zusammenführung der ersten Buchstaben und spürte, dass ich vor einer bitteren Realität stand: Flo-ber, Flober. Das künftige Kind dürfte nicht Flohmarkt, sondern Berti heißen.

Sobald ich mich in meinem Hotelzimmer befand, war ich davon überzeugt, dass ich gleich ein bisschen Schlaf benötigen würde, weil ich von der Reise müde geworden war. Dennoch fand ich keine Ruhe. Als ich zu der Überzeugung gekommen war, dass es zwischen Flober, Mark und Flora eine Verbindung gäbe und … Vielleicht befanden wir uns kurz vor einem Ereignis, das die gesamte Stadt beschäftigen würde.

Es war eine Angewohnheit von mir, dass ich den Raum nicht abschloss, wenn ich mich im Hotel ein wenig schlafen legte. Ich wusste außerdem, dass mich hier niemand beklauen würde. Was sollte man mir auch schon klauen, einen Notizblock?

Flober war in der Zeit gekommen, als der Schlaf meine Augen schwer gemacht hatte. Er klopfte die ganze Zeit an die Tür und ich hatte ihn kaum gehört. Möglicherweise hätte ich auch noch weitere zwei Stunden so verbracht, wenn mich nicht sein Klopfen und sein Weinen geweckt hätten.

„Flober!“, sagte ich zu ihm. „Was hast du denn?“

Doch er weinte ununterbrochen, sodass er mir keine Antwort geben konnte.

„Beherrsch dich.“, sagte ich zu ihm. „Jetzt bist du ein Mann und musst fähig sein, es zu verkraften.“

Aufgrund meiner Worte staunte er.

„Das kann ich nicht. Du kannst dir kaum vorstellen, was mir passiert ist.“, fügte er hinzu, mit der Naivität eines ehrlichen Jungen. „Von dem Augenblick an, als ich von zu Hause aus losgefahren bin, um hierher zu kommen, spürte ich, dass es so kommen müsste … Vielleicht hätte ich nicht kommen sollen … Selbst wäre ich nicht gekommen … Es ist sehr hart …“

Ich bot ihm eine Zigarette an und er zündete sie an.

„Heute traf ich meine wahren Eltern!“, sagte er mit einem triumphalen Gefühl, das seiner Reife entsprach.

„Flora und Mark.“, vervollständigte ich.

Flober war sprachlos.

„Wie?! Du weißt es?! ... Ich kann es kaum glauben, mein Freund Skipetar …“

Er war nun mit einem total besiegten Soldaten zu vergleichen.

„Schau.“, sagte er zu mir und holte einen Brief raus. „Der Vater und die Mutter schrieben mir und sandten einen Brief, sofort nach dem sie den Artikel „Der Junge mit der Narbe“ gelesen hatten. Der Name, das Alter und die Narbe auf der Wange stimmten vollständig überein. Doch auf keinen Fall konnten sie in den kleinen Ort kommen, wo ich wohne. Die Mutter war krank, außerdem die Narbe meines leiblichen Vaters auf der Wange, identisch mit meiner, hätten möglicherweise Probleme für meine Eltern auslösen können und Neugier in dem Dorf erweckt.“

Ich zog tief an meiner Zigarette und Flober auch.

„Die Mutter, vor lauter Freude, konnte sich kaum beherrschen. Sie küsste mich, streichelte mich, als ob ich ein Kindergarten Bub wäre. Sie weinte. Sie weinten beide gemeinsam.“

„Sie erklärten mir, sie hätten mich nie verlassen. Nie. Da sie mich einmal im Monat besuchen kamen, bis ich ein Jahr alt wurde … Bis an dem Tag, als die Jugendamtszuständige zu ihnen sagte, dass ich nicht mehr leben würde … Ich begreife nicht, wie so etwas zu Stande gekommen ist, es ist aber passiert …“

„Mit Sicherheit hat jemand interveniert und jemanden bestochen. Du möchtest es mir verzeihen, aber deine Adoptiveltern könnten eine Rolle dabei gespielt haben.“, sagte ich zu ihm.

„So könnte es möglicherweise auch gewesen sein.“, gab er zu.

Flober sprach und ich spürte, dass dieses Ereignis ihn reifer und männlicher gemacht hatte. Mir kam es so vor, als ob er, der total besiegte Soldat, jetzt zwischen zwei Liebesgefechten stünde.

„Vielleicht bin ich noch zu jung, um eine derartige Geschichte verkraften zu können.“, sagte er.

„Nein, Flober, nein. Du hast sie wie ein wahrer Mann verkraftet. Das erste Gefecht hast du gewonnen …“

„Ich weiß.“, unterbrach er mich. „Ich weiß, dass noch zusätzliche Sorgen hinzukommen und du wirst fragen: Nun was wirst du jetzt machen? Wirst du hier leben, zusammen mit den Beiden, die dich gezeugt haben, in der einmaligen Villa? Zwischen den tausend guten Dingen, oder wirst du in das Dorf zurückkehren, um mit den zwei alten Leuten zu leben, die ihr Leben für dich dahin gegeben haben?“

„Vielleicht würde ich das auch selber sagen.“

Flober streckte sich und schaute mir direkt in die Augen:

„Ich kam hierher um dich zu treffen. Denn, wäre ich nicht gekommen, würde ich mich unwohl fühlen. Ich kam um dir zu sagen, dass ich heute nicht im Hotel sondern bei Flora und Mark übernachten werde. Mein Vater, Mark, wartet auf mich am Hoteleingang.“

Ich ging hinter ihnen auch raus. Ich spazierte durch die Straßen, der nicht allzu großen Stadt, mit meiner Überzeugung, dass alle über das wundervolle Ereignis des Jungen mit der Narbe diskutierten. Ich weiß nicht wieso, aber meine Beine führten mich in Richtung Teschestraße, zu Frau Dudens Haus. Ich sah Herrn Tom, der gerade dort herauskam.

Vielleicht bei dem Spaziergang durch die Straßen, war die Zeit so schnell vergangen, dass meine Beine mich direkt zum Restaurant hinführten um Abend zu essen.

Das ungewöhnliche Ereignis hatte die Tische mit Gästen gefüllt, wie selten zuvor, und es gab keinen einzigen freien Platz. Menschenleer war nur der Tisch, mit den Blumen, von Mark und Flora. Ich ging zu dem Tisch und setzte mich dorthin. Alle richteten die Blicke auf mich, aber da sie wussten, dass ich nicht von hier war, sagte niemand ein Wort.

*

Die Arbeit als Journalist führt mich häufig in die Stadt W. Ich habe dort jetzt, außer Busch, reichlich Freunde und Bekannte. Sie kennen mich und ich kenne sie. Einige von ihnen wissen, dass ich Schriftsteller bin und wir diskutieren häufig über Literatur. Doch Sie, liebe Leserinnen und Leser, sind daran nicht besonders interessiert. Sie wollen mit Sicherheit wissen, wie es Flober ergangen ist.

Jemand könnte meinen, dass Flober keinen Grund hatte, seine wahren Eltern abzulehnen, weil sie keine Schuld an dem hatten, was geschehen war und sie ihn in keinem Augenblick verlassen hatten.

Die zwei guten alten Menschen auch nicht, die Flober zwischen wer weiß wie vielen Sorgen großzogen. Mit Flora und Mark erwartete ihn ein wohlhabendes Leben, das selten jemand haben dürfte. Mit den guten alten Menschen in dem Dorf, das laute Lärmen der Traktoren, Tag und Nacht, ein durchschnittliches Leben insofern.

Da aber irgendwo, neben einem Zaun oder neben einem alten Kamin, gab es ein Mädchen, das auf ihn wartete …

Ich habe sie letztes Jahr getroffen, auch dieses Jahr. Ich weiß alles was danach passiert ist. Doch dieses Mal habe ich mich entschlossen, Ihnen nicht zu erzählen, welchen Lauf die Dinge nahmen, nachdem Flober mitbekommen hatte, wer seine wahre Mutter und sein wahrer Vater waren.

DE-Wuppertal 2018

Der Ingenieur Arkamendon Vlora

Alles, innerhalb kurzer Zeit, wurde durch Diebstahl zur Farce. Die Arbeitsschichten waren zusammengebrochen. Der Diebstahl fand bei Sonnenlicht mitten am Tage statt. Selbst die Wache, ein ehemaliger Polizist, der während seiner Dienstzeit zahlreiche Diebe zur Strecke gebracht hatte, verhielt sich wie die Anderen auch. Er war ratlos.

Der Ingenieur Arkamendon Vlora starrte machtlos aus dem Fenster seines Büros. Er konnte es nicht fassen, was er sah und hörte. Die Geschäftsführer fühlten sich entmutigt. Ihnen fehlte der Schneid nach draußen zu gehen und der Masse zu befehlen: „Geht nach Hause! Hier gibt es keine Arbeit mehr. Wollt ihr morgen wieder hier arbeiten, oder ernährt ihr euch übermorgen zu Hause von Luft? Darum lasst das Material liegen!“

„Arkamendon!“

„Fatijon, ich denke, mein Herz versagt mir bald!“

„Lassen wir uns auch so verhalten, wie die Anderen es tun, Arkamendon, lass es! Unseren Fleiß beklauen wir selbst im Endeffekt ...“

Mit Fatijon war Arkamendon jahrelang in dem technischen Büro zusammen tätig gewesen. Er hatte selbst keinen Bruder, ihn betrachtete er aber wie einen solchen. Was er ihm empfahl, war wahrscheinlich gut gemeint, selbst hatte er jedoch nie daran gedacht.

„Nur wir beide blieben hier wie die Fische auf dem Sand.“

„Ich verstehe dich nicht!“, antwortete der Ingenieur außer sich.

„Ich verstehe mich selbst auch nicht. Sie nehmen doch selbst das Gerippe des Unternehmens mit ... An der vorderen Seite ist die Hölle los. Sie haben die Mauer gestürmt und ... Was soll ich noch dazu sagen ...“

„Nein!!!“, entfuhr es Arkamendon spontan, da er genau wusste, dass der Diebstahl immer dort stattfand, wo es einfach war und Stoff und Maschinen leicht waren, denn die anderen Abteilungen verfügten über eine tonnenschwere Maschinerie. Und selbst das Zerlegen würde sich schlechterdings schwierig gestalten. Es dauerte zu lange.

Zwischenzeitlich hörte Fatijon die Stimme des Direktors auf dem Korridor. Mal ging er raus, dann kam er wieder zurück. Selbst seine Schritte erkannte er, wie auch den charakteristischen Ton seines Redens durch die Nase. Schon möglich, dass der Direktor einige Wachen durch die Abteilungen geschickt hatte, jedoch kam keiner von ihnen wieder zurück. Oder sie haben die Wache bedroht, oder, sie alle hat somit der Orkan des Diebstahls unter sich begraben. Als Folge tobte der Direktor herum: „Es gibt keinen Staat, es gibt kein Komitee, nichts! Das Telefon der Polizei ist auch stets besetzt!“

„Genosse Arkamendon!“

Die Tür seines Büros hatte der Ingenieur zugezogen, dem Direktor war aber klar, dass er hier sein könnte. Er erinnerte sich genau, wie Arkamendon seinen Kopf immer über die Skizzen hielt, alle anderen Arbeiten waren ihm unwichtig bis auf seine technischen.

Arkamendon stand vor dem Fenster und schüttelte den Kopf. Mit gewagten Schritten pendelte er wie ein Tausendfüßler auf der Stelle. Durch das Guckloch in der Bürotür beobachtete er die Menschen in der Fabrik, die oft mit Materialien in den Händen rausgingen.

Er hob den Kopf. Vor sich hatte er das Foto der Mitarbeiter, das dekorativ gestaltet war. Unter anderem sah er sein Porträt. Seit Jahren hing es so. Er verließ den Raum.

„Wo gehst du hin?“, hörte er eine Stimme fragen.

„Endlich habe ich den LKW gefunden. Ich fahre nun meine Tour nach Hause.“

„Puste auf dein Essen, kühl es ab!“

„Warum?“

„Deine Tour haben sie vor einer knappen Stunde weggeschafft. Du hast Zeit!“

„Neeein!“

„Doch!“

Die Menschen liefen orientierungslos umher, Männer, Frauen, Mädchen, die vor Angst zitterten, weil sie es nicht wahrhaben wollten, was sie sahen und hörten.

Jemand hatte doch so viel Kraft, um die Frage zu wagen: „Was geschieht hier, Herr Ingenieur?“

Selbst er wusste nicht, was hier geschah. Er schaffte es nicht, den guten Menschen eine passende Antwort zu geben.

***

All das spulte sich in der Erinnerung wie ein Schwarz-Weiß-Film ab. An einem Tag entschloss er sich, das alles in einem Block zu notieren. Er hat jetzt viel Zeit. Im Leben hatte er sonst keine Zeit gehabt. Jetzt diente Arkamendon Vlora, der in der Tschechei als Ingenieur diplomiert war, als Wache des Unternehmens. Und das nicht im ideellen, sondern im physischen Sinne des Wortes.

Irgendwann hörte der Orkan des Diebstahls auf. Er blieb mit einigen Anderen in der Fabrik zurück. Wie die Blätter der Mimose verhielten sie sich, selbst das leitende Personal war durch die Massen eingeschüchtert. Dank seinem verdienten Namen blieb er und setzte sich ein wenig durch.

Bis zu dem Tag, als keiner mehr geblieben war - außer ihm, dem Direktor, der Sekretärin und ein paar Wachen des Objektes -, sorgte er sich um die Fabrik.

Die Hoffnung täuschte ihn aber. Der Gedanke, dass die Arbeit dort eines Tages erneut blühen würde, trog ihn. Außer Arkamendon war sonst kein weiterer Doktor der Maschinentechnik bekannt.

Einer der nachkommenden Direktoren war vorher sogar als Gabelstaplerfahrer tätig. Diesen könnte man mit unwilligen Arbeitslosen aus Istanbul vergleichen. Nach dem erwähnten Chaos hatte er den Namen des ernannten Direktors gehört, als dieser irgendwo an der Grenze mit Diebesgut erwischt wurde. Dort ernannte er sich zum Direktor der Fabrik! Wie er das dirigiert hatte, konnte Arkamendon nicht begreifen.

„Herr Arkamendon, das Wasser reicht uns bis zum Hals.“

„So ist es, Herr Direktor!“

„Es gibt kein Geld mehr! Ich mache mir Sorgen um dich!“

Arkamendon zitterte, wollte es aber nicht zeigen. Er hat über das Ende nachgedacht. Aber in solch einer Form?! ... Noch drei Jahre, und er hätte seine Rente erreicht. Mit dieser Fabrik hatte er sein gesamtes Leben in Verbindung gebracht. Unzählige Nächte und Tage wachte er über seinen Skizzen und Plänen. Wie viele harmonische und glückliche Momente hatte es gegeben? Wie viel Stress?

„Ich weiß es nicht, ich kann keinen anderen Ausweg finden! Arkamendon, die Chance für dich ist auch da! Der Gjon, die Wache des Einganges, fährt nach Italien zu seinen Söhnen und kehrt nicht mehr zurück. Hä, was meinst du?“

„Wozu?“

Der Direktor starrte den Ingenieur an, um sicherzugehen, ob er einfach den Naiven spielte.

„Wie wozu, Genosse Ingenieur? Ich habe keinen Ausweg ... Jeder gibt eine Menge aus für eine Stelle, als Wache.“

Jetzt begriff es Arkamendon. Und zitterte. Bis in die Tiefe seiner Seele zitterte er. Er stand am Rande eines bitteren Endes. Er, der berühmte Ingenieur der Fabrik, sollte als Wache am Eingang dienen! Gleich wie der Ex-Polizist, Dulli.

„Was sagst du dazu?“

Er hatte einiges zu sagen, aber die Tochter in der Matur, der Sohn Soldat, die Ehefrau mit einem Lohn als Lehrerin. ...

Und jetzt war er Wache seiner Fabrik. Der Direktor, der ihm den „Gefallen“ tat, sagte: „Es sind zwei oder drei andere Direktoren gekommen und gegangen. Also was ist?“

Es verging ein ganzes Jahr, in dem er am Eingang die Fliegen killte. In der Nähe des Einganges befand sich eine Dahlie. Er nahm so manches Blatt von ihr ab, um sein Gesicht so mit frischer Luft versorgen zu können.

Die Erinnerungen sind weniger geworden. Von der Fabrik sind nur die Wände geblieben. Sowie auch die tonnenschweren Maschinen, die damals aus Schweden geliefert wurden, die niemand zu stehlen wagte oder es auch nicht konnte.

Mitunter machte der Ingenieur Arkamendon das Tor hinter sich zu und ging durch die Abteilungen. Nur er kannte die wahren Werte der Maschinen. Er streichelte sie beinah, fasste sie an, dabei fühlte er, wie sein Körper schwach wurde. Ein Blick auf die Maschinen, und er fühlte sich erleichtert. Das reichte ihm für seine Sehnsucht. Für sie hatte er sich qualifiziert und spezialisiert und für das Wohl der Fabrik.

Erneut kehrte er zurück zu seinem Platz am Eingang. Kein Mensch war da, um das Tor aufmachen oder zumachen zu müssen. Der Direktor, selten kam er, oft aber auch nicht. Die Sekretärin hatte ausgesorgt. Sie hatte einen Laden gekauft, zwei Näherinnen beschäftigt, um Gardinen herstellen zu können. Für alle Fälle hatte sie auch den Stempel und das Register mit nach Hause genommen, die Schreibmaschine und anderes mehr. Da wurden ebenfalls Geschäfte für die Beschäftigungsdauer gemacht. Versuch du mal die Rente ohne Arbeit zu erreichen. Die Fabrik hatte hunderte von Mitarbeitern. Die Sekretärin hatte gelernt, sich gut aufzubauen und in der Firma zu platzieren. Es wird berichtet, dass sie schon immer alles arrangieren und organisieren konnte.

Und er, als Ingenieur, in der Aufstellung von fünf Personen, fungierte als Wache. Er wollte einfach nicht leblos werden ... Ansonsten ... willst du nicht? Außerhalb des Tores ist die Straße.

Jetzt herrschte eine andere Zeit. Wieder kam ein neuer Direktor. Keiner weiß wer er mal war, keiner kennt ihn. Er ist intelligenter als der Gabelstaplerfahrer, auch weiß er mehr als die anderen Wachen des Objektes.

Der neue Direktor war praktischer. Arkamendon übersetzte für ihn. Eines Tages sah er ihn ein Buch vom Pierangelo lesen. Er schaute Arkamendon an und fragte ihn: „Verstehst du Italienisch?“

Arkamendon ließ sich mit der Antwort Zeit.

„Englisch auch, Herr Direktor. Auch Tschechisch. Wegen meiner finanziellen Sorgen diene ich als Wache. Ich bin Ingenieur, in der Tschechei wurde ich diplomiert.“

Herr Direktor zögerte nicht ihn zu fragen: „Warum hast du keinen Kurs für Fremdsprachen eingerichtet?“

„Meine Ehefrau hat mir das oft einzureden versucht, ich kann es aber nicht, Herr Direktor! Lehren zu können, ist eine Art für sich. Ich habe nicht die Geduld, um mich mit anderen Menschen beschäftigen zu können.“

Der Direktor schüttelte den Kopf und sagte leise: „Englisch auch!“ Er schien über etwas nachzudenken.

„Englisch habe ich lernen müssen noch bevor die ausländischen Spezialisten zu uns kamen, um die Maschinen zu montieren.“

Der Direktor zeigte sein Mitleid. Das war ein Augenblick, wo seine Augen glänzten. Er legte seine Hand auf Arkamendons Schulter. „Wir werden miteinander mehr zu tun haben“, sagte er zu ihm.

Er verschwand für einige Tage. Aus den Nachrichten erfuhr Arkamendon, dass die Fabrik verkauft wurde. Tage später kam der Direktor wieder. Er war ungeduldig und aufgeregt.

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