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Am deutlichsten erkennt man dies an Nationen- und Religionsstereotypen. Stereotype sind anders als Frames pauschale Zuschreibungen kultur-mentaler Charaktereigenschaften, die für eine bestimmte Gruppe oder ein Land als typisch erachtet werden und die auch in modernen Mediensystemen eine erstaunliche Überlebensfähigkeit zeigen, so dass die Zahl der Studien hier schier unüberschaubar ist (vgl. die Metastudie von Thiele 2015). Da analytisch die Abgrenzung zwischen Stereotypen (als pauschalen Attributen für Nationen und Gruppen) und Frames (als argumentative Rahmung einer Handlung) schwierig ist (Hafez 2002a, Bd.1, S.47f.), werden in der Forschung diese verschiedenen Mikropropositionen des Diskurses häufig in Kombination untersucht. Viele Studien zeigen die starke Vorurteilsneigung von Auslandsberichterstattung etwa wenn es um Themen wie Islam (Hafez 2002a, Bd.2, S.207ff., Schiffer 2005, Poole/Richardson 2006, Mertens/de Smaele 2016) oder um Nationenstereotype geht (u.a. von Bassewitz 1990, Marten 1989, Tzogopoulos 2013). Stereotype existieren heute gerade auch im fiktionalen Bereich, umfassend erforscht wurden zum Beispiel Araber-Stereotype in Hollywoodfilmen (Shaheen 2009, Kamalipour 1995). Ethnische und religiöse Stereotype in fiktionalen und nicht-fiktionalen Medien sind nicht nur der Rohstoff für die Weltbilder des Rassismus und rechtspopulistischen Anti-Globalismus (Hafez 2013). In einem global integrierten Mediensystem hätten sie wohl auch keine Überlebenschance, da sie an die Diskriminierten selbst nicht verkaufbar wären. Wegen der strukturellen Interdependenzlücke globaler Massenkommunikation aber können sie in den nach wie vor stark isolierten nationalen Diskursgemeinschaften überleben. Auch wenn Massenmedien sicher nicht nur Stereotype produzieren, sondern Fakten und reale Zusammenhänge vermitteln, ist die schiere Existenz von Stereotypen in Massenmedien ein Beleg für die starke Domestizierung globaler Massenkommunikation.

Schwieriger ist die Beurteilung bei nicht-stereotypen Frames. Zahlreiche Studien weisen allerdings auch bei der argumentativen Vermittlung internationaler Sachverhalte auf Domestizierungseffekte hin. Hier nur einige Beispiele:

 die Mediendiskurse nach den Anschlägen des 11. September 2001 waren in westlichen und nahöstlichen Medien geradezu konträr und zeigten, wie stark nationale Mediensysteme lokalen Einflüssen ausgesetzt sind (Hafez 2005, S.62ff., vgl. a. Dimitrova/Strömbäck 2008);

 der palästinensisch-israelische Konflikt wird seit Jahrzehnten von beiden Seiten extrem unterschiedlich geframed (Müller 2017);

 die verbreitete Charakterisierung von Kriegen in Afrika als ethnische „Stammeskriege“ statt als Kriege um Macht und Ressourcen ist ein exogenes Framing (Williams 2011, S.150ff., Allen/Seaton 1999);

 beim Thema Terror sind westliche und arabische Mediendiskurse geradezu notorisch unterschiedlich, da zwar beide Sphären den Terror ablehnen, im Westen aber ein Mitverschulden westlicher Nahostpolitik am Terrorismus und im arabischen Raum eigene politische Versäumnisse tendenziell ausgeblendet werden (Badr 2017);

 da Akteure oft als „Sprecher“ und somit Transporteure von Frames in Medien erscheinen, ist von Bedeutung, dass auch bei scheinbar globalen Themen wie den Vereinten Nationen die Sprecherreferenzen deutlich national geprägt sind (Ulrich 2016, S.398f.);

 auch beim Thema Europa weisen eine Reihe von Studien trotz steigender Wahrnehmung des Themas und transnationaler Sprecherreferenzen (v.a. des EU-Personals und hochrangiger europäischer Politiker) auf zum Teil eklatante inhaltliche Unterschiede eines noch immer hochgradig segmentierten Mediendiskurses in Europa hin (Sievert 1998, de Vreese et al. 2001, Koopmans/Erbe 2003, Brüggemann et al. 2006, Hepp et al. 2012, AIM 2007);

 selbst Projekte des Bürgerjournalismus im Internet wie OhmyNews International oder Groundreport erzeugen vielfach ähnliche Domestizierungen wie die professionellen Medien (Dencik 2012, S.171).

Infolge der zahlreichen Studien der letzten Jahrzehnte haben Autoren wie Akiba A. Cohen (2013b), Kai Hafez (2002a/b, 2005, 2009b, 2011), Richard C. Stanton (2007), Bella Mody (2010), Kristina Riegert (2011) oder Miki Tanikawa (2019) die fortgesetzte Domestizierung von Medieninhalten auch in der Ära der Globalisierung (gerade in Krisenzeiten) betont und transnationale Konvergenz tendenziell in Zweifel gezogen. Diese einst revisionistische und globalisierungsskeptische Sichtweise, die die Einlösung des Konvergenzversprechens der globalen Massenkommunikation bestreitet, wird mittlerweile als der neue „Standard“ oder sogar die neue „Orthodoxie“ in der Wissenschaft betrachtet (Curran et al. 2015, S.1, 14). Zwar üben einige optimistischere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Kritik dahingehend, dass vergleichende Medieninhaltsanalysen verschiedener Länder durchaus auch Konvergenzen im Framing durch Massenmedien aufweisen, was sie damit erklären, dass gerade Weltnachrichtenagenturen eine gewisse vereinheitlichende Wirkung ausüben können (Curran et al. 2015, vgl. a. Wessler/Brüggemann 2012, S.91f., Lück et al. 2015, Volkmer 2014, S.3f., Bucher 2005, S.187f.). Aber auch diese Analysen wenden sich gegen eine Rückkehr zur Konvergenzmetapher des „globalen Dorfes“, die nicht angemessen erscheint, um den Ist-Zustand der Weltnachrichten zu charakterisieren.

In den optimistischeren Befunden, die von höherer Konvergenz ausgehen, werden zudem die systemischen Rahmenbedingungen der Nachrichten ausgeblendet, etwa wenn die Haltung zur Griechenlandkrise in Ländern mit sehr ähnlichen wirtschaftspolitischen Positionen untersucht wird oder aber der Diskurs zur Klimakrise als einem global verbindenden Thema. Die Domestizierung des Framings nimmt nämlich in aller Regel mit dem Grad der konflikthaften Involvierung der Nationalstaaten eklatant zu, da die internen Eigeninteressen der nationalen Systeme sich fast immer hegemonial in den Medien bemerkbar machen. Zudem kommt es bei der Konvergenz von Frames nicht nur darauf an, ob beliebige Argumente sich in verschiedenen nationalen Mediendiskursen niederschlagen, sondern ob die Responsivität sich auf die für den Konflikt zentralen Frames bezieht – was etwa beim Thema Terrorismus trotz gewisser Konvergenzen der Terrordiskurse nicht der Fall ist. Der Copy-and-Paste-Journalismus der Übernahme von Material der Weltagenturen weicht unter Bedingungen einer aktivierten öffentlichen Debatte meist schnell einer starken Eigenprägung der nationalen Mediendiskurse. Konvergenz in der globalen Massenkommunikation ist also bestenfalls eine instabile Größe – die Domestizierung bleibt die Tiefenstruktur der Medienglobalisierung.

Visuelle Globalisierung und Stereotypie

Synchronität durch Interdiskursivität existiert nicht nur auf der Ebene von Texten, sondern auch im visuellen Bereich. Vor allem Bilder steuern im internationalen Nachrichtenwesen die Emotionen der Rezipienten mit Blick auf Länder und Weltentwicklungen (Chaban et al. 2014). Es besteht zudem ein enges Text-Bild-Verhältnis: Das Textframing kann die Wahrnehmung von Bildern und umgekehrt die Bildwahrnehmung das Textverstehen beeinflussen. Einerseits überschreiten Bilder leichter Grenzen als Worte. Andererseits besteht dieser vereinfachte Zugang nur vordergründig, denn Bilder sind ebenso kontextabhängig und erklärungsbedürftig wie Texte (Müller/Geise 2015, S.24ff.). Zwar ist wegen des Fehlens einer „expliziten propositonalen Syntax“ (Geise et al. 2013, S.52) eine Bildanalyse nach dem Prinzip des „visuellen Framings“ schwer zu etablieren. Reduzierte Methoden der Analyse „visueller Stereotype“ untersuchen statt inhärenter Bildaussagen daher lediglich isolierte und häufig wiederkehrende Elemente und Symboliken (Petersen/Schwender 2009). Bilder müssen aber in jedem Fall wie Texte interpretiert werden und müssen vom Journalismus global „interdiskursiv“ behandelt und in nationale Diskurse „übersetzt“ werden.

Da das Bild integraler Bestandteil eines Diskurses ist, verwundert es nicht, dass hier dieselbe Grundproblematik von Konvergenz und Domestizierung diskutiert wird. Frauenzeitschriften etwa werden heute vielfach von international agierenden Verlagen herausgegeben, die visuellen Diskurse gleichen sich thematisch trotz bestehender Unterschiede in den Rollenmustern immer weiter an (Machin/van Leeuwen 2007). Dennoch scheint gerade die Auslandsberichterstattung kulturelle und politische Stereotype vielfach zu reproduzieren. Die EU beispielsweise wird visuell gern als bürokratischer und krisenanfälliger Apparat dargestellt (Chaban et al. 2014). Afghanistan ist visuell ein fast ausschließlich kriegsgeschütteltes Land geblieben, in dem Frauen unterdrückt werden – ein global verbreitetes Image, das lokale Fotojournalisten gerne korrigieren würden (Mitra 2017). Obwohl fiktionale Medienräume hier auch in zensierten Mediensystemen freier agieren können als das Nachrichtenwesen, ist die Vorstellung von einer transnationalen Hybridität, „Glokalisierung“ und Konvergenz auch im visuellen Bereich zu hinterfragen und lokale Produktions- und Rezeptionskontexte bleiben bedeutsam (McMillin 2007, S.111ff.).

Transnationale Medien: Contra Flows ohne Kosmopolitismus

Weltnachrichtenagenturen verstärken immerhin die interdiskursive thematische Synchronisation, wie wir gesehen haben, wenngleich von einer inhaltlichen Konversion durch nationale Medien nur sehr bedingt die Rede sein kann. Aber welche Rolle spielen hier transnationale Leitmedien wie BBC World, CNN, Al-Jazeera English, CCTV oder Telesur? Untersuchungen zeigen, dass auch sie im Wesentlichen die „Spitze des Eisbergs“ der etablierten globalen Nachrichten abbilden und insofern nur begrenzt einen thematischen interdiskursiven Contra Flow etablieren (Atad 2016, S.10, Schenk 2009, S.131). Allerdings sind subtile Verschiebungen in Richtung einer konstruktiveren und weniger negativen Medienagenda dort zu erkennen, wo etwa der englischsprachige Kanal Al-Jazeera English Afrika nicht mehr nur als Kontinent von Armut und Konflikten, sondern durchaus auch als Sphäre ökonomischer Erfolge und vielfältiger Lebenswelten präsentiert (Seib 2012, Robertson 2015). Im Bereich des Framing ist sich jedoch die Literatur weitgehend einig, dass globale Sender in hohem Maße die national gefärbte Sicht ihrer jeweiligen Heimatstaaten reflektieren. Dies gilt auch für viel gelobte Medien wie BBC World, einen Sender, der trotz seines interdiskursiven („dialogischen“) Anspruchs eine britisch konnotierte Themensetzung, Machtrhetorik und ein tradiertes Vertrauen in westliche Institutionen nicht verleugnen kann (Dencik 2012, S.39f., 56ff., Baumann et al. 2011, Atad 2016).

Dennoch sind einige Aspekte der transnationalen Sender bemerkenswert. Die thematische Übereinstimmung in ihren Agenden scheint der Minimaldefinition der Weltöffentlichkeit als einer global geteilten Agenda zu entsprechen, auch wenn, wie gesagt, die typischen Vermachtungstendenzen dieser von Großmächten betriebenen Transnationalisierung bei Themen und Frames auffallen. Die nationalen Deutungen zirkulieren zudem in internationalen Kommunikationsflüssen und es entsteht zwar kein kosmopolitischer interner, aber ein global verfügbarer externer Pluralismus dort, wo diese Medien parallel genutzt werden (el-Nawawy/Iskandar 2003, S.54). Schließlich werden gerade bei den positiveren Themendeutungen erste Anpassungen von Massenmedien an transnationale Publika und Märkte erkennbar. Zwischen den nationalen Produktions- und den globalen Rezeptionskontexten entsteht insofern ein hybrides Spannungsfeld. Durch globale Medien bilden sich in nationalen Mediensystemen also transnationale Teilstrukturen aus. Die begrenzt global erweiterten Arenen sind vor allem für Informationseliten von Belang, die oft mehrere globale Medien rezipieren und daher eine leicht verbesserte thematische Koorientierung erleben. Eine integrierte Weltöffentlichkeit, in der Medien unabhängig vom Nationalstaat quasi als „Vereinte Medien“ nationale Diskurse global synchronisieren, ist dies sicher noch nicht, ebenso wenig wie klar ist, ob der externe Pluralismus der globalen Leitmedien, der, wie die Frontstellung von CNN und Al-Jazeera 2001 und 2003 erwiesen hat, sehr konflikthaft verlaufen kann, die internationalen Beziehungen stabilisiert oder nicht.

Fazit: Unvollendete Synchronisation globaler Mediendiskurse

In der Gesamtschau scheinen die strukturellen Prägungen der Massenmedien den globalen Diskurs der Medien in hohem Maße zu determinieren. Fragmentarisch und unzuverlässig vernetzt durch egozentrische Mediensysteme und einige zentral gesteuerte Nachrichtenflüsse und transnationale Medien ist die Synchronisation durch konvergente Diskurse thematisch und inhaltlich in Ansätzen erkennbar, besticht aber vor allem durch vielfältige Formen der lokalen Domestizierung. Weltnachrichtenagenturen und transnationale Meinungsführermedien setzen zentrale Themen ohne interdiskursive Qualitätsgarantie. Von einem integrierten globalen Mediensystem oder zumindest einer responsiven Weltöffentlichkeit, in der die nationalen Mediensysteme globale Themen und Frames zuverlässig auf der Basis einer dezidiert globalen Journalismusethik aus den lokalen Diskursen herausdestillieren, sind wir gerade unter Bedingungen internationaler Krisen noch weit entfernt. Es bleibt die Frage, wie dieses Verhältnis anschließend theoretisch zu bewerten ist und welche Alternativen sich auftun.

2.2.2 Öffentlichkeitstheorie

Theoretische Perspektiven auf die „Weltöffentlichkeit“

Die Diskurspraxis der globalen Massenkommunikation, wie wir sie bisher skizziert haben, lässt sich nicht nur aus diskursanalytischer, sondern auch aus medientheoretischer Sicht beurteilen. Die deliberative Öffentlichkeitstheorie, die vor allem auf Jürgen Habermas (1990, 1992, 1995) zurückgeht, aber auch zahlreiche andere Autoren inspiriert hat, stellt vergleichsweise hohe Anforderungen an den Diskurs. Öffentlichkeit besitzt demnach eine zentrale Legitimierungsfunktion für die Demokratie (Beierwaltes 2002). Sie muss zudem „ubiquitär“ sein, also Fragen allgemeiner Relevanz behandeln, „reziprok“, das heißt Hörer- und Sprecherpositionen simulieren, möglichst „offen“ gegenüber verschiedenen Themen und „diskursiv“ im Sinne der Berücksichtigung rationaler Einwände (Peters 1994, S.45ff.). Hinzu kommt der Aspekt der Konsensbildung zur Problemlösung und gesellschaftlichen Integration, der allerdings in der agonistischen Öffentlichkeitstheorie bestritten wird, da eine Einigung oft schwer zu erzielen ist und Integration durch den Diskurs an sich erfolgt (Mouffe 2005, S.69ff.). Die Kriterien beschreiben im Detail das, was wir bislang mit „Responsivität“ und „Interdiskursivität“ bezeichnet haben. Im globalen Raum geht es also um die grenzüberschreitende Reflexion anderer Positionen aus anderen Ländern. Die Kernfrage aus Sicht der Öffentlichkeitstheorie besteht somit darin, ob nationale Mediensysteme und wenige transnationale Medien trotz schwacher Systeminterdependenz ihre Systemumwelten – die Öffentlichkeiten anderer Länder – adäquat repräsentieren können.

Interessant ist hier, dass die meisten Empiriker der Konvergenz (vgl. Kap. 2.2.1), egal ob sie eher Pessimisten oder Optimisten sind, im Kern dieselben öffentlichkeitstheoretischen und normativen Konvergenzziele verfolgen, auch wenn sie die Umsetzung in der Gegenwart unterschiedlich bilanzieren. Auch Diskurspessimisten wollen also Konvergenz, sehen aber Domestizierung als vorherrschend an, da sowohl Thematisierung und Framing als auch visuelle Gestaltung stark lokal gefärbt sind. Eine funktionierende Weltöffentlichkeit kann bei einer derartig eingeschränkten Synchronisation auf diese Weise nicht entstehen (Sparks 1998, 2000, Couldry 2014).

Nancy Fraser hat darauf hingewiesen, dass das Konzept Öffentlichkeit für den globalen Raum insofern neu durchdacht werden muss, als zum Beispiel gar nicht unmittelbar klar ist, in welcher Sprache der Diskurs geführt werden soll und wer die relevanten Akteure (Staaten, Gegeneliten) und Publika sein sollen (Fraser 2014, S.27). Weltöffentlichkeit kann entweder durch die Synchronisierung nationaler Öffentlichkeiten in national getrennten Mediensystemen oder durch die Etablierung eines transnationalen Mediensystems geleistet werden (Ulrich 2016, S.111ff.). Beide Modelle haben Vor- und Nachteile, da ein transnationales Mediensystem sich die Filterung durch nationale Systeme ersparen würde, nationale Systeme aber auch als nationale „Übersetzungshilfen“ und Kontextualisierungen für internationale Probleme fungieren können. Die meisten Theoretiker neigen daher zum pragmatischen Verfahren der Synchronisierung durch nationale Systeme, das aber bislang in hohem Maße an der Interdiskursivität gescheitert zu sein scheint. Die Herausbildung eines „Konsenses“ in der Weltöffentlichkeit ist zudem im nationalen Modell technisch kaum möglich, so dass Transnationalismus zumindest als zweite Säule der Weltöffentlichkeit erhalten bleiben muss.

Aus der Perspektive einer anderen Theorie, nämlich der Systemtheorie, ist die deliberative Öffentlichkeitstheorie, egal ob optimistisch oder pessimistisch beurteilt, ohnehin nichts als ein Ausdruck des „Hyperglobalismus“ (Werron 2010, vgl. Kap. 2.2.1). Aus Sicht der Systemtheorie in der Tradition Niklas Luhmanns erscheint es nicht so wichtig, wie sich Nationen durch Mediendiskurse verbinden und ob sie sich synchronisieren, sondern dass sie sich verbinden, denn jede Form der Konnektivität birgt die Chance auf gesellschaftliche Anschlusskommunikation (Luhmann 1970, Axford 2012, S.38, 45). In der Systemtheorie geht es primär um eine Reduktion von Umweltkomplexität, die Themenstrukturierungsleistung der Medien an sich ist wichtiger als ein bestimmter partizipativer und demokratischer Modus (Böckelmann 1975). Bei Luhmann ist daher auch „Weltgesellschaft“ vergleichsweise offen definiert, sie entsteht durch beliebige grenzüberschreitende Kommunikation und hat keinerlei Verwandtschaft mit dem Konstrukt der globalen Zivilgesellschaft (global civil society) (vgl. Kap. 5). In der Systemtheorie ist weder Qualität des Journalismus noch die Frage, ob Information oder Unterhaltung vermittelt wird, von Belang. Vielmehr steht eine postmoderne Ansammlung disperser Individualmeinungen im Vordergrund. Aus dieser Sicht gibt es am derzeitigen Zustand des globalen Mediendiskurses nichts auszusetzen. Fragmentarische Themenhaushalte und Frames, verbale und visuelle Stereotype oder auch defizitäre Sprecherreferenzialität sind in dieser Wissenschaftsschule samt und sonders legitime Weltbildkonstruktionen der Postmoderne.

Die Rolle der Weltöffentlichkeit für die Weltgesellschaft

Allerdings werden die Grenzen dieser Sichtweise deutlich, wenn man versteht, dass mit ihr auch Kriegspropaganda und rassistische Aufladungen in Massenmedien gerechtfertigt werden können (Hafez 2010, 2017b). Zwar sollte man die strukturelle Überforderung der deliberativen Theorie der Weltöffentlichkeit erkennen. Zugleich muss man aber vor der strukturellen Unterforderung durch die Systemtheorie warnen, die als grundlegende Makrotheorie keine praktikable Gesellschaftstheorie zu sein scheint. Medien verfügen aus der Sicht der deliberativen Öffentlichkeitstheorie über ein „ambivalentes Potenzial“ insofern, als sie durch ihre Angebote einerseits die Grundlagen zur Herstellung von Öffentlichkeit legen, die Medien aber den Raum der möglichen Kommunikation andererseits „hierarchisieren und einschränken“ (Burkart/Lang 2004, S.63ff.). Im Falle der globalen Kommunikation lassen sich Wirkpotenziale der globalen Massenkommunikation innerhalb wie außerhalb nationaler Systeme beobachten, die unter den Begriffen „Kosmopolitismus“ und „Global Governance“ firmieren können.

Auslandsberichterstattung hat direkte Auswirkungen auf die Haltung der Gesellschaft zu Fragen des Kosmopolitismus, Multikulturalismus und Rassismus. Menschen greifen in der Tendenz bei Fernbildern auf Medienwissen und bei Nahbildern auf eigene Erfahrungen zurück (Kruck 2008). Probleme entstehen insofern, weil Rassismus auf Vorurteilen gegenüber dem „abwesenden Fremden“ basiert, also keine Reaktion auf Fremde in der Nahumwelt ist, sondern die in den Medien konstruierte „chaotische Welt“, die dann aber auf die „Fremden“ in der Nahwelt („die Ausländer“ usw.) übertragen wird, zu denen kein Konkakt und über die also kein direktes Erfahrungswissen besteht (Chouliaraki 2006, Hafez 2002a, Bd.2, S.261ff.). Dabei darf man allerdings den Einfluss anderer Sozialisationsinstanzen (Familie, Gemeinschaft, Institutionen) auf Kernwerte des Menschen nicht unterschätzen (Hafez 2011, S.488f.).

Was die Frage der internationalen Wirkungen angeht, so gilt ein großer Teil der Rezipienten und Rezipientinnen als „passiv“, da diese an Auslandsnachrichten wenig interessiert sind oder primär auf Meinungen der Eliten, die sie in den Medien vorfinden, reagieren (die ihrerseits aber öffentliche Werte und Stimmungen antizipieren) (Powlick/Katz 1998). Die meisten Studien fragen dabei allerdings nach dem Interesse der Rezipienten und Rezipientinnen an internationaler Politik, nicht aber an der Welt als solches (Hafez 2011, S.490f.), was seinen Grund wohl darin hat, dass die Forschung annimmt, dass die meisten Publika ohnehin eher auf konkrete und konfliktive Ereignisse und nicht auf Lebensweltentwicklungen reagieren (Wanta/Hu 1993). In jedem Fall ist man sich einig, dass ohne Medienresonanz des Globalen auch keine Debatten über das Globale entstehen. Je mehr über ein Land berichtet wird, umso eher gehen Rezipienten davon aus, dass dieses Land bedeutsam ist; je negativer dies geschieht, umso negativer ist in der Regel auch das entsprechende Nationenbild der Menschen (Wanta et al. 2004, vgl. a. Iyengar/Simon 1993). Die Medienabhängigkeit der meisten Menschen wächst mit der Distanz des Publikums zum Weltgeschehen (vgl. a. Kap. 9.2).

Alternative Öffentlichkeitstheorien: „dialogischer“, konstruktiver und kosmopolitischer Journalismus

Was die Frage der innergesellschaftlichen Wirkung und des Kosmopolitismus angeht, so findet sich ein frühes Plädoyer für einen „dialogischen“ Auslandsjournalismus bei Hans Kleinsteuber (2004). Seine Vorstellung eines stärkeren Einbezugs lokaler und kultureller Perspektiven in den Journalismus zielt auf eine Belebung des „Dialogs der Kulturen“. Dieser soll der multikulturellen Gesellschaft neue Impulse verleihen und will die Interdiskursivität verbessern, die nicht mehr vorwiegend auf negative, eliten- und politikorientierte Nachrichten oder stereotype Unterhaltungsware Wert legt, sondern den Vorstellungsraum der interkulturellen Beziehungen erweitern soll. In ähnlicher Weise hat auch Richard C. Stanton auf das Erfordernis eines neuen „Konversationsansatzes“ (conversational model) hingewiesen, der das Informationsparadigma des Journalismus ergänzen müsse (2007, S.190ff.). Entscheidend sind demnach nicht mehr nur Nachrichten über elitäres Handeln, sondern die Interessen von Bürgern und der Zivilgesellschaft sollen im Vordergrund stehen.

Deutet man diese Ansätze auf Basis der Habermasianischen Öffentlichkeitstheorie, so wird von beiden Autoren eine Akzentverschiebung von der System- zur Lebensweltberichterstattung verlangt. In diese Richtung weisen auch Ansätze des „konstruktiven“ beziehungsweise „positiven Journalismus“, die sich durch eine Hinwendung zu Lebenswelthemen eine Korrektur des Negativbias von Auslandsnachrichten versprechen (Hafez/Grüne 2015). Derartige Ansätze machen deutlich, dass die Negativitätsfixierung der Auslandsberichterstattung nicht zuletzt den Populismus stärkt (Haagerup 2014, Russ-Mohl 2017). Eine entsprechende Neudefinition der Nachrichtenwerte wird gefordert.

In eine ähnliche Richtung zielen Ansätze eines „kosmopolitischen Journalismus“, wenngleich unter leicht veränderten Vorzeichen. Negativanlässe sollen hier nicht weniger vom Journalismus beachtet werden, wie im „konstruktiven Journalismus“, sondern gezielt erörtert werden, zum Beispiel bei Fluchtkrisen. Allerdings sollen die Ereignisse anders interpretiert werden als in der konventionellen Medienberichterstattung. Nicht mehr die stereotype Darstellung von Geflüchteten als bedrohliche Masse, sondern individuelle Schicksale und vor allem die Mitverantwortung der internationalen Politik und der Großmächte sowie die komplexen politischen und ökonomischen Weltbeziehungen sollen im Vordergrund stehen (Chouliaraki 2006, Silverstone 2007, Lindell/Karlsson 2016, Schmidt 2017).

Hier besteht zugleich eine Verwandtschaft zum dialogischen wie auch zum konstruktiven Journalismus, da auch im kosmopolitischen Journalismus Interdiskursivität wichtig ist, um die Reflexivität über „das Eigene und das Fremde“ zu verbessern und so kosmopolitische Impulse in die Einwanderungsgesellschaft zu senden. Alle drei alternativen Strömungen der Öffentlichkeitstheorie verschmelzen daher gewissermaßen in Ingrid Volkmers Ansatz zur „reflexiven Interdependenz“ der Weltöffentlichkeit, in dem sie Interdiskursivität, Lebensweltorientierung und Kosmopolitismus als neue Horizonte skizziert (2014, S.163ff.). Sich explizit auf Habermas, aber auch auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Immanuel Kant und John Rawls beziehend, beschreibt sie die gesellschaftlichen Veränderungen der Globalisierung insofern als fundamental, als Menschen im global reflexiven Journalismus nicht als „Fremde“, sondern als das globale „Selbst“ in Erscheinung träten. Die gesellschaftliche Reproduktion lokaler Identitäten, die durch isolierte Mediendiskurse entsteht, soll so abgemildert werden.

Weltöffentlichkeit und Global Governance: das Beispiel Europas

Europa und die Europäische Union sind ein Beispiel dafür, wie Medienberichterstattung sich auf die internationale Politik auswirkt. Als zentrales Ergebnis von Inhaltsanalysen kann festgehalten werden, dass eine gewisse thematische Konvergenz der Europaberichterstattung in den nationalen Medien Europas als Mindestkriterium einer europäischen Öffentlichkeit vorhanden ist. Jedoch ist das Framing vielfach national geprägt und wenig interdiskursiv ausgerichtet. In der wissenschaftlichen Literatur wird die mediale Domestizierung als hinderlich für die spezifische Form der Global Governance innerhalb der EU betrachtet, da diese zwar kein Bundesstaat ist, aber seit den Verträgen von Maastricht 1992 ein mit starken transnationalen Kompetenzen ausgestatteter Staatenbund (Splichal 2012, S.145ff.). Da aber die Medien und die Medienpolitik fast gänzlich in der Hand der Nationalstaaten liegen, somit der Einfluss der nationalen Politik auf die Medien enorm hoch ist, werden dezentrale Positionen gestärkt und die europäische Konsensbildung erschwert, während die Brüsseler Politik beständig um ihr Image kämpfen muss, weil sie als einzige politische Kraft über keinen strukturell abgesicherten Medieneinfluss verfügt.

Die meisten Autoren fordern in dieser Situation weniger die Schaffung transnationaler Medien als die bessere Verzahnung der nationalen Medien, um die Interdiskursivität der Medien zu verbessern (Habermas 2001, S.120, vgl. a. Gerhards 1993, 2000, Wessler/Brüggemann 2012, S.62). Die Vorstellung der Etablierung transnationaler europäischer Medien wird hingegen als „naives Modell“ bezeichnet, denn eine globale Nachrichtensendung von hoher Reichweite werde es „sicherlich nie geben“ (Wessler/Brüggemann 2012, S.65, vgl. a. Lingenberg 2010, S.118). Allerdings ist anzumerken, dass historisch wohl noch keine politische Formation entstanden ist, die nicht über die ihr entsprechenden Medien verfügte. Wie der moderne Nationalstaat von nationalen Medien begleitet und ermöglicht wurde, werden wohl auch globale Politikformen nur dann erfolgreich sein, wenn es wirkliche transnationale Medien gibt, die nicht mehr wie die heutigen Medien CNN, Al-Jazeera usw. im Grunde an Nationalstaaten gekoppelt sind. Die neuen Medien müssten nationale Medien nicht ersetzen, da diese innerhalb ihrer Sprachräume ideal angepasst und potenziell wichtige „Übersetzer“ in der Globalisierung sind. Sie wären aber gerade unter Krisenbedingungen weniger anfällig für nationale Alleingänge und könnten insofern die Informationsdefizite europäischer Bürger effektiver kompensieren (Morganti/Audenhove 2011). Das nationale Arenenmodell von Habermas und anderen wird daher andernorts als „Fehlkonzeption“ (misconception) bezeichnet, so dass wir von einer schwelenden wissenschaftlichen Kontroverse über die Etablierung unabhängiger europäischer Medien sprechen können (Ambrosi 2011, S.240).

Europa steht damit beispielgebend für andere transnationale Räume wie die Vereinten Nationen, Mercosur, NAFTA, die OECD oder ASEAN vor einem komplexen Entwicklungsproblem. Wenn Öffentlichkeit zur Legitimation von Herrschaft in der Moderne wichtig ist, dann wird Global Governance wahrscheinlich nur durch ein komplexes Zusammenspiel von stärker synchronisierten nationalen Medien und als unabhängige Instanzen etablierten transnationalen Massenmedien unterstützt werden. Man könnte auch von einer Kombination aus horizontaler und vertikaler globaler Massenkommunikation sprechen. Sowohl der „Brexit“ (ab 2016) als auch die Griechenlandkrise (ab 2010) haben neben allen politischen und ökonomischen Verwerfungen ihre Ursache auch im Versagen nationaler Medien im Kontext der EU. Massenmedien weiterhin als nationale Kulturgüter zu betrachten, wie es die europäischen Verträge der EU tun, während man zugleich Europawahlen abhält, ist eine Konstruktion, deren innere Widersprüche sich nicht allein durch Appelle an eine pan-europäische Medienethik lösen lassen werden, sondern immer auch durch Weiterentwicklungen der bestehenden Mediensysteme realisiert werden müssen. Zu den nationalen Arenen als Ort der Transnationalisierung muss also geradezu zwangsläufig ein direkter medialer Draht zwischen europäischen Bürgern und Bürgerinnen, dem Parlament in Straßburg und der Brüsseler Exekutive durch pan-europäische Medien und verbesserte journalistische Vernetzungen kommen (Ratavaara 2013). Mit dem wachsenden Zuspruch, den solche pan-europäischen Medien bei den Konsumenten fänden, würden sie auch in die Rolle von Leitmedien des nationalen europäischen Journalismus im Prozess der Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten hineinwachsen, was den derzeitigen Medien wie Euronews noch nicht hinreichend gelingt (Brüggemann/Schulz-Forberg 2009).

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