Читать книгу: «Als die Angst kam - als die Angst ging», страница 2

Шрифт:

Das Schulsystem mit seinem vollgepackten Lehrplan voller lebensferner Inhalte quält Generationen Heranwachsender. In der gesamten zwölfjährigen Schulzeit lernte man ausschließlich reines Faktenwissen. Kein Lehrer, Erzieher oder Verwandter vermittelte einem Kind oder Jugendlichem den Umgang mit Gefühlen oder Sorgen und Nöten. Obwohl es durchaus möglich ist, „einem Menschen verständlich zu machen, wie er mit seinen Gefühlen umgehen kann, ohne Körper und Geist zu ruinieren“, geschieht dies viel zu selten [10]. Doch auch in der schwierigen Phase der Magersucht und der Schlafstörungen erlebte ich keine einzige Panikattacke und keinen einzigen Angstanfall. Es gibt Wissenschaftler, die einen Zusammenhang zwischen einer in der Jugend durchlittenen Magersucht und dem Auftreten von Depressionen oder Angststörungen im Erwachsenenalter vermuten [11, 12], weil das Geschlechtshormon Östrogen in der Phase der Pubertät an der Steuerung der Hirnentwicklung beteiligt ist. Im Fall einer Magersucht produziert der Körper im Vergleich zu normalgewichtigen Heranwachsenden deutlich reduzierte Östrogenmengen, weshalb sich bestimmte Hirnregionen, vor allem der Hippocampus und die Amygdala, welche bei der Ausprägung von Angststörungen eine maßgebliche Rolle spielen (s. auch Kap. I), nicht adäquat weiterentwickeln. Doch bei Weitem nicht jeder Erwachsene, der an einer Angststörung leidet, war als Jugendlicher an Magersucht erkrankt. Zudem führt die Rückerlangung eines gesunden Körpergewichts zu einer Ausreifung der genannten Hirnareale. Trotzdem vermute ich auch in meinem Fall eine Verbindung zwischen der Jahre später sich ausprägenden Angsterkrankung und der Magersuchtsepisode im Jugendalter. Eine Psychologin erklärte mir: wenn eine Art der psychischen Störung nicht behandelt und geheilt wird, tritt sie in Form einer anderen Störung wieder hervor. Als Motiv für eine Magersuchtsstörung gilt unter anderem ein Kontrollzwang über den eigenen Körper. In der von mir durchlittenen Krankheitsgenese taucht später die Angst vor Kontrollverlust wieder im Rahmen der Angststörung auf.

Die Umgewöhnung auf das Gymnasium, welches sich in der meinem Heimatort benachbarten Großstadt befand, brachte keine Besserung meiner nun deutlich ausgeprägten Magersucht herbei. Zwar schloss ich einige Freundschaften zu neuen Schulkameraden, aber die unpersönliche Atmosphäre, welche in der städtischen Schule herrschte, ließ Gefühle der Fremdheit zurück. Der vertraute Umgang aus der alten Schule, der schon in der dortigen Leistungsklasse im letzten Schuljahr verloren ging, und die Unternehmensfreude der frühen Jugendtage kehrten nicht zurück. Trotzdem empfand ich den Schulwechsel als weniger einschneidend im Vergleich zu dem erwähnten Wechsel in die seltsame Leistungsklasse. Der tägliche Schulweg, welcher mittels einer einstündigen Straßenbahnfahrt und eines halbstündigen Fußweges bewältigt werden musste, glich für mich einem Aufbruch in eine Abenteuerexkursion. Angstzustände kannte ich damals noch keine. Oftmals stieg ich irgendwo an einer Zwischenstation aus, um in den fremden Straßen der großen Stadt spazieren zu gehen. Mit der Straßenbahn fuhr ich gern. Jeden Morgen marschierte ich frohen Mutes zur Haltestelle. Es störte mich weder, wenn viele Leute darin standen, dicht an dicht gedrängt, noch, wenn der Wagen ganz menschenleer war. Zu jener Zeit dachte ich nicht im bösesten Alptraum daran, dass eines Tages sich das Straßenbahnfahren für mich zu einem unüberwindbaren Hindernis gestalten würde. An den größten und unruhigsten Haltestellen im Zentrum einer Großstadt in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof, wo Straßenbahnen hin und her brausten, Unmengen an Menschen hin und her stürzten, empfand ich nicht den leisesten Anflug von Unruhe oder gar Angst. Wenige Jahre danach sollte es mir nicht mehr möglich sein, eine solche Haltestelle auch nur kurzzeitig zu betreten.

Trotz Magersucht und schwerer Schlafstörungen verschonten mich in meiner Jugendzeit die Angstanfälle noch. Als Jugendliche unternahmen wir weite Tagesausflüge mit dem Fahrrad, schwammen in einsamen Seen, entzündeten kleine Feuer, worin wir Kartoffeln rösteten. Einmal trat ich in einem Teich, in dem wir badeten, in eine Scherbe oder eine Muschelschale, woraufhin mein Fuß ganz fürchterlich blutete. Weder Angst noch Panik befielen mich, sondern seelenruhig radelte ich mit bluttriefendem Fuß zehn Kilometer bis nach Hause. Wenige Jahre später hätte ich einen Zitteranfall bekommen, der mich gezwungen hätte, Hilfe zu suchen; jemanden, der mich nach Hause bringt. Aber es wäre gar nicht so weit gekommen, denn ich wäre schon gar nicht in der Lage gewesen, mit einer Freundin an den See zu radeln. Doch damals, vor dem Ausbruch meiner Angsterkrankung, unternahm ich auch ganz allein mehrstündige Radtouren über Land. Ich erfreute mich daran. Angst tauchte nicht auf. Allerdings hatten Magersucht und Schlaflosigkeit die Unbeschwertheit meiner Jugendphase geraubt. Ein Freund erzählte mir von seiner Abiturklassenabschlussfahrt: „Wir hätten die Welt einreißen können; so gut fühlten wir uns.“ Im Gegensatz zu seiner Aussage vegetierte ich während der Abiturzeit als halb verhungertes, schlafloses Etwas dahin. In meinem Geist regten sich weder Wünsche noch Hoffnungen oder Sehnsüchte. Von innerer Verzweiflung über meine Schlafunfähigkeit verunsichert, traute ich mir auch keine Teilnahme an Klassenfahrten mehr zu, folglich auch nicht an der Abschlussfahrt. Damit isolierte ich mich noch stärker.

Trotz allem erwarb ich zum Abschluss der Gymnasialzeit ein glänzendes Abiturzeugnis, um in der Folge in derselben Großstadt fünf Jahre lang Biologie zu studieren. Auch während dieser langen Zeit entwickelte ich keine Angststörung, nicht einmal im Ansatz. Endlich gehörte mir auch ein eigenes Zimmer im elterlichen Einfamilienhaus, weil meine Großmutter zunehmend gebrechlicher wurde. Lange noch litt ich auch als Studentin unter Schlafstörungen. In alptraumartiger Weise träumte ich davon, wie meine Großmutter in mein kleines Zimmer zurückkehrte, woraufhin ich wieder zu meiner Mutter ins Schlafzimmer umziehen musste. Meine Magersucht verschwand im Lauf des Studiums, als ich einen Freund kennenlernte. Als er mir ein belegtes Brötchen anbot, schaffte ich es, nach mehr als drei Jahren wieder unbeschwert in ein solches zu beißen. Von da an blieb ich von Essstörungen jeglicher Art verschont. Trotz des zurückkehrenden normalen Essverhaltens blieb ich eine sehr zarte, schlanke Person. Auch wenn ich zukünftig sogar ungewöhnlich viel aß, behielt ich über viele Jahre hinweg bis etwa zum Ende des dritten Lebensjahrzehnts ein leichtes Untergewicht. Die Gegenwart meines Freundes heilte mich auch von meinen Schlafstörungen. Er erfüllte für mich in jener Zeit eine ganz wichtige Funktion, denn er rettete mich aus Magersucht und Schlaflosigkeit. Später entwickelte sich die Beziehung in zum Teil ungünstiger Weise. Doch aufgrund meiner weiter bestehenden Unselbständigkeit schlitterte in eine Abhängigkeit.

Die langwierigen Straßenbahnfahrten und die Fußstrecken, die ich schon von der Gymnasialzeit gewöhnt war, dauerten an, um die Örtlichkeiten meines Studienplatzes zu erreichen. Im Lauf des Studiums stieg ich immer öfter von der Straßenbahn auf mein Fahrrad um. So legte ich täglich am Morgen und am Abend eine anderthalbstündige Fahrradstrecke zurück, bei jedem Wetter, auch im Regen und Schnee. Meine selbst ausgesuchten und ständig variierten Fahrrouten führten mich durch viele Park- und Grünanlagen, vom Zuhause zu den Universitätsgebäuden, und am Abend, oftmals auch im Dunkeln, wieder zurück. Einige große, vielbefahrene Straßen und Ampelkreuzungen waren nicht zu vermeiden, was mich aber nicht störte; damals zumindest nicht. Wenige Monate nach dem Abschluss meines fünfjährigen Studiums und der anschließenden Diplomarbeit sollten mich in der Nähe großer Straßenkreuzungen gewaltige Schwindel- und Zitteranfälle erfassen. Doch während der Studienzeit war noch alles in Ordnung. Ich liebte dieses Radfahren, fühlte mich frei und glücklich. Undenkbar erschien damals, dass sich dies je ändern könnte. In meiner studienfreien Zeit unternahm ich ausgedehnte Radtouren über die Dörfer der Umgebung, durch Felder und Wälder. Ich mochte die ausdauernde Bewegung an der frischen Luft, die Beobachtung der Natur und die Einsamkeit. Wenn ich auf Landstraßen und Feldwegen entlang radelte, schaltete ich die Gedanken aus und achtete nur noch auf meine Sinneswahrnehmungen. So schwebte ich, einem tranceartigen Zustand gleich, in völligem Einklang mit den wegsäumenden Bäumen und Sträuchern und mit mir selbst über das Land. Im Rahmen der im Lauf des Biologiestudiums zu erledigenden Studienarbeit übernahm ich die Kartierung der Pflanzenarten eines Messtischblattquadranten. Diese Aufgabe machte mir großen Spaß, denn um die mir zugeordnete Region zu kartieren, konnte ich wiederum weite Strecken mit dem Fahrrad zurücklegen, durch Wiesen, Felder und Dörfer streifen. Es gab keine Angst, kein Zittern, keine Hilflosigkeit. Ich war gern unterwegs, vor allem auch allein. In den Semesterferien unternahm ich einmal gemeinsam mit meinen Eltern eine Flugreise auf eine griechische Insel. Der Flug bereitete mir keinerlei Schwierigkeiten. Ich ahnte nichts von der zerstörerischen Platzangst, die mein freies Leben schon bald ruinieren sollte.

In größeren Pausen, die im Stundenplan die Praktika, Vorlesungen und Seminare unterbrachen, unternahm ich große Spaziergänge durch städtische Parkanlagen und durch die Innenstadt mit ihren vielbesuchten Einkaufspassagen. Ich bummelte durch die großen Kaufhäuser, probierte Sachen an, besuchte Imbiss-Gaststätten. Besonders gern spazierte ich zur Adventszeit über den Weihnachtsmarkt. Manchmal begleiteten mich andere Studenten, aber ich war auch gern allein unterwegs, um mir in Ruhe alles anzuschauen und meine Freizeit zu genießen. In den Semesterferien arbeitete ich als Hilfskraft in einer Gärtnerei und in einem chemischen Institut. Auch dorthin fuhr ich jeden Morgen eine Stunde mit dem Fahrrad und am Nachmittag wieder zurück nach Hause. Oftmals legte ich einen Umweg zu einer Kaufhalle ein oder probierte eine neue Fahrstrecke aus. Solche Aktionen, die mir gefielen und mich körperlich fit und seelisch ausgeglichen hielten, konnte ich mir wenige Jahre später wegen eines stark angeschlagenen körperlich-seelischen Zustandes nicht mehr leisten.

Das Studium gefiel mir. Obwohl man als Student einer naturwissenschaftlichen Fachrichtung ein dichtes Programm aus Laborpraktika, Vorlesungen, Seminaren und Exkursionen absolvierte und die regelmäßig stattfindenden Testate und Klausuren eine straffe, ausdauernde Lernarbeit erforderten, genoss man eine freie Lebensgestaltung. Alle Abschlussprüfungen im Studium wie auch in der vorangegangenen Schulzeit bewältigte ich, ohne dass sich Ängste oder anderweitige seelische Störungen einstellten. Auch hatte ich mit meinen Studienkameraden neue Freundschaften geschlossen: wir lernten gemeinsam und trafen uns zu vielen spannenden Freizeitunternehmungen. Es war eine gute Zeit. Von meiner künftigen Angsterkrankung ahnte ich nicht einmal eine Spur.

III) Als meine Angsterkrankung begann

In der Initialgeschichte meiner Angsterkrankung verlagerte sich das Psychodrama meiner pubertären magersüchtigen Entwicklungsstörung in schwer erträgliche Angstanfälle, die eine eigenständige Lebensgestaltung ruinierten. Vor dem Ausbruch der körperlichen Symptomatik der Angststörung litt ich bereits an ins Negative geprägten Denkmustern, die sich darum drehten, dass etwas schief gehen oder unglücklich verlaufen könnte. Entweder kippte aufgrund jahrelanger Unterernährung mein Hirnbotenstoffwechsel in eine ungünstige Richtung oder ich hatte mir das mit negativen Inhalten besetzte Denken antrainiert, indem ich es aus meiner Familie übernahm.

Gegen Ende des Studiums galt es, sich ein Institut für die Durchführung der Diplomarbeit zu suchen. Die Auswahl war eingeschränkt, denn es wurde von den Professoren unserer Fakultät eine begrenzte Anzahl an Themen ausgegeben. Im Gegensatz zu den während des Studiums in großer Zahl und fachlicher Breite absolvierten Praktikumsversuchen, denen ich mich mit Freude und Interesse widmete, empfand ich bei den ersten Handgriffen im Labor, welche ich im Zug der Bearbeitung meines Diplomthemas zu tun hatte, einen großen Widerwillen. Ich zwang mich, mit den giftigen Chemikalien zu hantieren und mich vor die großen, brummenden Messgeräte zu setzen. Die Gerätebedienung lernte ich voller Druck und Angst, etwas falsch zu machen. Die Arbeiten bereiteten mir keine Freude. Doch meine Betreuer wie auch die übrigen Kollegen im für mich neuen Institut waren nett und hilfsbereit. Und so blieb ich, auch aus Mangel an Alternativen, dort.

Zu Beginn meiner Diplomandenzeit, im Alter von 23 Jahren, entschloss ich mich, die Fahrschule zu absolvieren. Weder Großstadt- noch Dunkel- oder Autobahnfahrten riefen bei mir auch nur einen Hauch von Beklemmung oder Angst hervor. Ich fuhr gern mit dem Fahrschulauto und bestand mühelos Theorie- und Praxisprüfung. Im stolzen Besitz des Führerscheins und eines kleinen Autos, welches mir meine Eltern schenkten, bereitete mir das eigenständige Autofahren Freude. Fast jeden Tag fuhr ich zur Universität und zu einer Forschungseinrichtung, wo ich meine Diplomarbeit begann. Auch fuhr ich weite Autobahnstrecken zu unserer Probenahmestelle auf einer Bergbauhalde. Wenn ich gemeinsam mit meinem Freund in den Sommerurlaub zur Mecklenburgischen Seenplatte fuhr, wechselten wir uns am Steuer ab. Außerdem verreiste ich in den Ferien oft ein paar Tage mit einer Freundin in verschiedene Mittelgebirge, wo wir schöne Wandertage verbrachten. Dabei nahm ich sie in meinem kleinen Auto mit und orientierte mich mühe- und angstlos auch in fremden Gegenden. Meine Freundin charakterisierte meine Fahrweise als ruhig und ausgeglichen und wunderte sich sehr, als ich es zwei Jahre später nicht mehr wagte, das Steuer zu übernehmen.

Als ich meine Diplomarbeit fertigstellte, bot mir mein betreuender Professor eine Arbeitsstelle als Doktorandin im selben Institut an, womit ich die Thematik der Diplomarbeit weiterführen konnte. Obwohl mir die Arbeitsinhalte nur bedingt zusagten, willigte ich ein, denn die Kollegen gefielen mir, der Weg vom Zuhause zum Institut war nicht weit, und es gab keine guten Alternativen, eine berufliche Anstellung zu finden. Ich bearbeitete meine Doktorarbeit in verschiedenen chemischen Laboren, wobei ich die meiste Zeit an diversen Maschinen verbrachte, an denen ich Messungen meiner Proben durchführte. Die Messdaten wertete ich am Computer aus, erstellte Grafiken und Texte zur Interpretation und dachte hauptsächlich nur noch über Zahlen nach. Die Thematik folgte dem in allen naturwissenschaftlichen Gebieten ausgeprägten Zwang zur Hyperspezialisierung und strotzte vor Gerätelastigkeit und Labortechnik. Für einen naturverbundenen Menschen keine Freude, sondern Qual. „Der Zwang zur Spezialisierung schränkt den Menschen nicht nur ein, er macht die Welt auch entsetzlich langweilig.“ [13] Angesichts eines Mangels an beruflichen Auswahlmöglichkeiten verdrängte ich meine ursprüngliche, phantasievolle Intention, die meinem Biologiestudium zu Grunde lag. Lediglich in der beschränkten Freizeit begab ich mich zur Natur zurück, arbeitete im Garten und unternahm am Wochenende Wandertouren mit meinem Lebensgefährten. Die naturwissenschaftliche Arbeitsweise, wie sie mir in den chemischen und biologischen Instituten begegnete und der ich mich beugen musste, funktioniert kalt, brutal, schnell, maschinengestützt, empfindungs- und herzlos. Logik und Verstand werden vom Gefühl abgekoppelt – ein für den Menschen und seinen Umgang mit der Natur und mit sich selbst fataler Fehler. „Die Verstandeskinder Großtechnologie und Naturwissenschaft haben uns in eine unvorhergesehene Falle getrieben. Von der Natur ist der Spätkultur-Mensch Lichtjahre entfernt. Eine Verantwortungsethik erweist sich als vollkommen ohnmächtig gegenüber der Eigendynamik der Forschung – typisch dafür die unaufhaltsame Gentechnik -, gegenüber der Unumkehrbarkeit technologischer Prozesse und gegenüber freigesetzten Giften.“ [14] Hinzu gesellte sich ein gewaltiger Arbeits- und Leistungsdruck. Nicht allein die künstliche, lebensfeindliche Laboratmosphäre trug Schuld an meinem Unglück, sondern in nicht minderer Heftigkeit belasteten mich Kurzzeitbefristungen von Arbeitsverträgen (s. nächstes Kapitel; Kap. IV).

Indessen bekamen ringsum in meinem Bekanntenkreis meine gleichaltrigen Freundinnen und Kolleginnen eigenen Nachwuchs und heirateten zumeist auch, wogegen meine Familiengründung nicht klappte. Der mich in Traurigkeit versetzende und Minderwertigkeitsgefühle hervorrufende Umstand war nicht meiner Gesundheit geschuldet, sondern war auf meinen Partner zurückzuführen, der kein Interesse für eine Familienplanung mit mir aufbrachte. Zu ihm gehörten schon zwei Töchter, die im selben Alter wie ich waren und längst eigene Wege einschlugen. Ihnen redete er sowohl Heirat als auch eigene Kinder ein, während er mir gegenüber diesbezüglich kalt blieb. Dennoch hing ich an ihm und unserer gemeinsamen Lebensgestaltung, so dass ich mich schließlich fügte, eine kinderlose Partnerschaft zu akzeptieren. Die von allen Seiten mich bedrängenden Fragen hinsichtlich meines ausbleibenden Nachwuchses belasteten mich trotzdem über viele Jahre sehr. Auch das uns von Kindheit an suggerierte Idealbild des Lebens, dass in der „erfolgreichen“ Suche nach einem Partner und einer damit verbundenen Familiengründung bestehen sollte, setzte mich unter nie abebbenden Druck, denn in meinem Lebensweg passierte diesbezüglich nichts. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir irgendjemand Trost spendete in der Hinsicht, dass auch andere Lebensweisen zur Zufriedenheit führen können. Die Emanzipation der Frau fand in meinem familiären wie auch beruflichen Umfeld kein Gehör. Auch der Wert sexueller Enthaltsamkeit oder die Unabhängigkeit vom anderen Geschlecht wurden nicht propagiert. Ich schämte mich hingegen, mit einem verheirateten Mann zusammen zu leben und keine Kinder zu bekommen. Zudem unterdrückte ich meine sexuellen Empfindungen, denn ich hatte einen Mann, und hatte doch keinen. Trotzdem blieb ich bei ihm. Hinzu kam, dass die mich in zunehmendem Maß einschränkende Angststörung von ihm in vielerlei Hinsicht abhängig machte. Zu Beginn versuchte ich oft, über unsere Partnerschaftsprobleme zu sprechen. Auch eine Beratungsstelle suchte ich auf. Doch mein Freund blockte immer mehr ab, auch in Hinsicht auf eine Scheidung von seiner ersten Frau, von welcher er schon getrennt lebte, bevor er mich kennenlernte. Schließlich fügte ich mich, statt mich zu trennen. Als ich meine Schwierigkeiten einer Psychologin erzählte, äußerte sie spontan: „Ich wäre wütend auf den Mann.“ Doch ich besaß ein solch niedliches Gemüt, dass ich Wut nicht empfinden konnte. In meiner Herkunftsfamilie hatte ich nie gelernt, mich mit anderen Familienmitgliedern in Streitereien zu reiben. Dadurch baute ich keine eigene Persönlichkeit auf, grenzte mich nicht von anderen Personen ab. Hinsichtlich meiner ohnehin nicht entspannenden Beziehung zu einem 36 Jahre älteren, verheirateten Mann setzte mich meine Mutter unter zusätzlichen Druck, da sie diese Geschichte anfangs möglichst zu verhindern versuchte. Ich war 20 Jahre alt, als sie mich ständig bettelte, abends nach Hause zu kommen.

Der Autor eines „Anti-Angst-Buches“ beschreibt sein Lebensgefühl zur Zeit der Angstentstehung als „totale Katastrophe“, geprägt von Einsamkeit, Leistungsdruck und Langeweile [10]. Auch ich hätte Geborgenheit, Entspannung, freudvolle Erlebnisse gebraucht, aber es gab nur Kampf, Krampf, Druck, Unsicherheit, Unzulänglichkeitsgefühle. Zudem wurde mir ständig Schuld auferlegt: ich wusste nicht, warum und wofür.

Plötzlich schlichen sich seltsame Angstgefühle in mein Leben ein. Auf dem Heimweg vom Forschungszentrum zu unserer Wohnung zitterte ich so stark, dass ich mein Fahrrad schieben musste. Mit letzter Kraft schleppte ich mich nach Hause, wo das Zittern allmählich abklang. Ähnlich erging es mir eines Morgens, als ich mit dem Auto zur Arbeit fuhr. Nach etwa zehn Minuten Fahrt begann ich heftig zu zittern, mir wurde übel und schwindlig. An einer roten Ampel stieg ich aus und klopfte am Fenster des hinter mir stehenden Wagens. Ich bat den darin sitzenden Mann, mit mir in eine Seitenstraße zu fahren. Dort hielten wir an und ich lief einige Schritte an der frischen Luft umher, worauf ich mich etwas erholte. Nachdem der hilfsbereite Mann sich vergewissert hatte, dass er mich wieder allein lassen konnte, fuhr ich weiter. Bald endete jede meiner Autofahrten mit einer solchen Zitterattacke. Immer öfter musste ich das Fahrzeug dann stehen lassen und mich von Verwandten oder Bekannten abholen lassen. Das ganze Dilemma besaß eine besondere Tragik auch deswegen, weil ich sehr gern selbst am Steuer saß. Einen heftigen Zitteranfall erlebte ich zum Beispiel auf der Fahrt von meiner Arbeitsstelle zu meinen Eltern. Da ich schon kurz nach dem Einstieg in den kleinen PKW bemerkte, dass ich mich nicht wohl fühlte, wählte ich einen kaum befahrenen Umweg über einige Dörfer. Meine Erfahrung hatte mir gelehrt, dass meine kombinierten Schwindel-Zitter-Übelkeitsanfälle sich umso stärker steigerten, je dichterer Straßenverkehr herrschte. Aber dieses Mal half auch kein Ausweichen auf einsame Straßen: weil ich mich sehr schwach fühlte und es mir schwarz vor den Augen wurde, war ich gezwungen, anzuhalten. Eine ganze Weile saß ich verängstigt im Fahrzeug und wartete auf das Abklingen der Symptome. Doch sie verschwanden nicht. Schließlich raffte ich mich auf, um zitternd und schlackernd die letzten etwa zwei Kilometer bis zum Haus meiner Eltern zu rollen. Während einer weiteren Heimfahrt mit meinem kleinen Auto schaffte ich es mit großer Mühe gerade noch bis zu meiner Großmutter, denn meine Füße zitterten so heftig an den Fußgelenken, dass ich das Gaspedal und die Bremse kaum noch zu drücken vermochte. So sehr ich mich auch bemühte und das selbstständige Fahren immer wieder probierte, ich vertrug das Autofahren einfach nicht mehr. Es war schade um die schöne Fahrerlaubnis und um den kleinen Wagen. Angst- und Unsicherheitsgefühle bemächtigten sich meiner Sinne. Sie bewegten sich in der Richtung, ich könnte das Steuer herumreißen und irgendwo dagegen krachen.

Während der Zeitspanne der Bearbeitung meines Diplomthemas sehnte ich mich nach einer Loslösung von meinem Elternhaus. Darum mietete ich mir eine kleine Wohnung. Allerdings schaffte ich es nicht, dort auch nur ein einziges Mal allein zu übernachten. Ich kapitulierte vor meiner Angst vor dem nächtlichen Alleinsein. Ich war ihr nicht gewachsen und wusste nicht damit umzugehen. Gegen Mitternacht flüchtete ich mit meinem kleinen Auto zu meinem Freund, welcher ein paar Straßen entfernt wohnte. Dabei erlitt ich einen furchtbaren Zitteranfall auf der kurzen nächtlichen Fahrstrecke. Zittrigkeit und Schwindelattacken manifestierten sich während jener Zeit zunehmend beim Autofahren. Auf Fotografien aus der damaligen Zeit wirkt mein schmaler Körperbau erschreckend kindlich. Das schreckliche Erbe meiner Magersucht war noch nicht überwunden, auch wenn ich längst zu einem normalen Essverhalten zurückgekehrt war.

Schließlich zitterte ich bereits auf kurzen Fahrstrecken von fünfminütiger Dauer, wenn ich vom Zuhause zu einer abendlichen Physiotherapiebehandlung gegen meine Rückenschmerzen fuhr. Das Gefährliche bezüglich des Autofahrens bestand darin, dass gleichzeitig mein Kreislauf verrückt spielte und es mir heftig vor den Augen verschwamm. Nachdem ich unzählige Male solche Anfälle erlitten hatte, setzte ich mich nie wieder ans Lenkrad. Dies war der erste hohe Preis, den ich für die Aufgabe meiner Lebensideale zu Gunsten einer dumpfen Gier nach privatem und beruflichem Ansehen und Erfolg und eines Zwanges zum Finden einer Arbeitsstelle zahlen musste. Ich erinnere mich an einen Besuch in einem unserem Institut benachbarten Betrieb, welcher Großmessgeräte herstellte. Der Leiter der Arbeitsgruppe, zu der ich gehörte, stellte mich dort vor. Ich fand die ganzen Messgeräte, die dort entwickelt und zusammengeschraubt wurden, einfach schrecklich. Aber ich dachte: „Du musst das können! Hier kannst du nach deiner Promotion einen Arbeitsplatz finden.“ Eine andere ehemalige Doktorandin aus einer benachbarten Arbeitsgruppe hatte soeben in dem Betrieb eine Anstellung bekommen. Und so quälte mich der Antrieb, dies auch können zu müssen, nicht hinter ihr zurückzustehen. Vor dem Hintergrund meiner schwierigen privaten Verhältnisse, die mir unter anderem eine Familienplanung verwehrten, welche meinen Lebenslauf in eine andere Richtung hätte lenken können, drückte die makellose berufliche Karriere umso stärker auf meinen Gemütszustand.

Wenn ich mich noch manchmal auf mein Fahrrad traute, um vom Forschungszentrum nach Hause zu radeln, ließ ich mich von einem Kollegen begleiten. In Gegenwart vertrauter Personen fielen die Zitteranfälle schwächer aus, obwohl ich mich auch dann schwach und unsicher fühlte. Strecken, die ich sonst mühelos und freudvoll mit dem Fahrrad bewältigte, verwandelten sich zu einem unüberwindbaren Hindernis, was nur noch mit der Hilfe von Freunden und Verwandten überbrückt werden konnte. Lediglich den Weg zu einem meiner Arbeitsorte, eine Fahrradstrecke von acht Minuten, bewältigte ich allein, und dies auch nur am frühen Morgen, wenn ich ausgeruht war. Abends holte mich mein Lebensgefährte mit dem Auto ab. Als ich es einige Jahre später doch ab und an wieder einmal wagte, wie in meiner Studentenzeit allein mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren, um zu einer weiter entfernten, neuen Arbeitsstätte zu gelangen, überfielen mich starke Schwindel- und Schwächeanfälle, die mich zwangen, das Fahrrad zu schieben. Meine Füße zitterten dabei so stark am Fußgelenk, dass ich nicht mehr in der Lage war, die Pedale zu steuern. Solche Attacken geschahen an Örtlichkeiten, die mir aus meinen jahrelangen Radfahrten als Studentin vertraut waren; nicht etwa in unbekannten Gegenden, in die ich mich ohnehin nicht mehr begab. Ich wusste nicht, wie ich meinen Körper beruhigen und stärken sollte. Einmal schleppte ich mich zitternd zu zwei Bauarbeitern, die Straßenbahnschienen reparierten. Ich fragte sie nach der Uhrzeit, in der Hoffnung, ein kurzes, lockeres Gespräch mit anderen Menschen würde mich aus meiner Angstverkrampfung herausholen. Aber sie reagierten mürrisch und desinteressiert, was mir einen weiteren Schock verpasste. Irgendwie schaffte ich es dann bis nach Hause, wie jedes Mal. Trotz der massiven, bedrohlichen körperlichen Symptome wie Schwindel, Zittern, Atemnot und Benommenheit passierte mir nie etwas Ernstes. Beim akuten Angstanfall stehen die Symptome auf körperlicher Ebene im Vordergrund. Dazu gehören: Schweißausbrüche, Schwäche, Herzklopfen, erschwerte, zu schnelle Atmung bis hin zur Atemnot, Zittern, Schwindel, Erstickungsgefühl, Pupillenerweiterung [4]. „Diese Zeichen der sympathikotonen Erregtheit wie auch die endokrinologischen Begleitreaktionen gleichen denen unter hohem Stress“ [15]. Auf psychischer Ebene stellen sich neben dem eigentlichen Angstempfinden Derealisations-, Depersonalisations- und Panikgefühle ein. „Panikzustände sind Stressreaktionen.“ [1] Wie bereits im Kap. I beschrieben, produziert der Körper als Reaktion auf eine akute Bedrohung das Hormon Adrenalin. Dieser natürliche Vorgang richtet keinen Schaden an, wenn die Adrenalinmenge nach dem Verschwinden der gefährlichen Situation wieder auf ihr Normalmaß zurückfällt [5]. Wenn die Bedrohung jedoch dauerhaft verbleibt, liegt im Körper ein chronisch erhöhter Adrenalinspiegel vor. Dies hat genau die Konsequenzen, die man im Rahmen von Angstattacken immer wieder erleidet. Wenn Stressspannung auf Stressspannung folgt, bleiben die Konzentrationen der Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol erhöht, was zu einer Daueranspannung führt, der kein Mensch gewachsen ist [2]. Eine Nachbarin, die seit fast zwei Jahrzehnten an einer Angsterkrankung litt, schilderte mir, wie sie ihren ersten bedrohlichen Angstanfall in einer Phase starker beruflicher und privater Überlastung erlitt. Sie arbeitete in einem Pflegeheim, wo sie unzählige Überstunden leistete. Untersuchungen beim Gefäßchirurgen, beim Ohrenarzt, beim Augenarzt sowie die Anfertigung eines Kopf-MRT`s (Magnetresonanztomographie) ergaben keinen Befund hinsichtlich ihrer eklatanten körperlichen Symptome.

Die Zitter-Schwindel-Anfälle beschränkten sich bald nicht mehr auf das Auto- und Fahrradfahren, sondern überfielen mich schließlich auch dann, wenn ich zu Fuß unterwegs war. Damit schränkten sie meine selbstständige, unabhängige Fortbewegung zur Gänze ein. In die Straßenbahn wagte ich mich wegen einer extrem ausgeprägten Platzangst auch nicht mehr hinein. In meiner Hilflosigkeit während eines Anfalls auf dem Heimweg von meiner Arbeitsstelle sprach ich eine andere Fußgängerin an und bat sie, mich nach Hause zu begleiten. Sie lief etwa eine Viertelstunde neben mir her und fragte mich wiederholt, ob dies ein Test sei. Offenbar war ihr mein Anliegen nicht geheuer. Ich aber war froh, eine Begleitung gefunden zu haben und endlich nach Hause zu gelangen. Meine Situation verschlimmerte sich indessen immer weiter. Vom 200 Meter von unserer Wohnung entfernten kleinen Lebensmittelladen ließ ich mich aufgrund eines extremen Schwächeanfalls von einer Verkäuferin bis zu unserem Haus begleiten. Einmal klingelte ich verzweifelt bei einer älteren Hausbewohnerin, weil mich starke Schwindelattacken befielen, als ich mich allein in der Wohnung meines Freundes aufhielt. Ihre Charakteristik, „ich dachte, ein kleiner Junge steht vor meiner Tür“, verdeutlichte meine der Magersucht geschuldete Unterentwicklung. Noch kurz zuvor genoss ich es sehr, mich ungestört in der Wohnung aufzuhalten, Tee zu kochen, schriftliche Arbeiten für mein Studium zu erledigen, Essen vorzubereiten und ähnliche Dinge ganz gemütlich zu tun. Zwischendurch ging ich ab und an im nahe gelegenen Park spazieren. Das zu Beginn meiner beruflichen Anstellung als Doktorandin einsetzende und bald regelmäßige Auftreten von angstdominierten Zitter-Schwindel-Übelkeitszuständen beendete meine bisherige ungezwungene, freie Lebensgestaltung mit einem Schlag. Nun wurde ich abhängig von Anderen, und zwar in extremer Weise. Den Weg zur Arbeit bewältigte ich nicht mehr allein. Da ich meine Spazierrunden sehr liebte, versuchte ich es immer wieder, wenigstens am frühen Morgen ohne Begleitung zum Forschungszentrum zu laufen. Zu Fuß benötigte ich für diese Strecke zwanzig Minuten. Doch jedes Mal, wenn ich mich der kurz vor dem Eingang zum Betriebsgelände befindlichen großen Ampelkreuzung näherte, überfiel mich eine starke Angst, woraufhin mir schwindlig wurde, mein Atem und mein Herz rasten, und das übliche, meine gesamte Fortbewegung hindernde Zittern einsetzte. Sobald die Ampel auf Grün schaltete, rannte ich keuchend, mit schlackernden Gliedmaßen und verschwommenem Blick, bis zum Pförtnerhäuschen. Dabei beherrschte mich nur ein einziger Gedanke: möglichst schnell dorthin zu gelangen. Erst, als ich dieses erreichte, verschwanden die Symptome. Bereits hier zeigte sich, dass die zur Behandlung von Angsterkrankungen häufig eingesetzte Konfrontationstherapie, auf die ich noch ausführlicher zu sprechen komme, nicht weiter half, denn ich konfrontierte mich täglich mit der Angst auslösenden Situation, ohne die Angst damit zu vertreiben. In ähnlicher Weise erging es mir mit weiteren Angstsituationen im Lauf der kommenden Jahre: jeden Tag stürzte ich mich in Alltagsumstände, die in mir massive Angstgefühle samt allen zugehörigen körperlichen Symptomen auslösten, ohne je eine Besserung meines psychischen und körperlichen Zustandes zu erreichen; ganz im Gegenteil: die permanente, aufgrund beruflicher Anforderungen nicht zu umgehende Konfrontierung mit angstdominierten Situationen wie Autofahren, allein zu Fuß gehen oder Vorträge in großen Räumen besuchen verstärkte meine Angststörung in fatalem Ausmaß.

Бесплатный фрагмент закончился.

1 435,42 ₽
Жанры и теги
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
210 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783754186497
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают