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»Welch schmerzlich der ganze Eindruck ist, den sie macht«, schreibt ihre Tochter Marie Valerie besorgt in ihrem Tagebuch. »Sehr erschrocken über ihr schlechtes Aussehen, die sichtliche Müdigkeit.« Die von Elisabeths Ärzten festgestellte, angebliche Herzschwäche beunruhigte ihre Familie zutiefst. Besonders Franz Joseph und die jüngste Tochter Marie Valerie lebten angesichts des vermeintlich bedrohlichen Gesundheitszustands der Kaiserin, der größte Rücksichtnahme erforderte, in ständiger Sorge.

Wie stellt sich der Tod Elisabeths aus heutiger medizinischer Sicht dar? Dr. Hildegunde Piza-Katzer, Spezialistin für plastische Chirurgie, hat die Ereignisse um das Attentat analysiert:

»Die über 60-Jährige befand sich zum Zeitpunkt der Tat in für ihr Alter ungewöhnlich guter Verfassung. Sie muss auch über eine fast übermenschliche Disziplin verfügt haben. Nur so ist es zu erklären, dass sie nach der tödlichen Attacke, die sie als furchtbaren Schlag verspürte, auf dem Quai du Mont-Blanc zu Boden fiel, sich aber aus eigener Kraft erhob, den zu Hilfe eilenden Passanten in verschiedenen Sprachen höflich dankte, ruhig ihre Frisur ordnete und sich mit festem, raschem Schritt auf das zur Abfahrt bereitstehende Schiff begeben konnte.

Aus dem Bericht der Hofdame wissen wir, dass sie sogar mehr verwundert als empört, auf jeden Fall aber mit normaler Stimme sprach: ›Was glauben Sie, wollte der Mann von mir? Vielleicht meine Uhr?‹

Dies ist bei unter schwerem Schock stehenden Personen durchaus möglich. Elisabeth verspürte trotz zertrümmerter vierter Rippe – eine Verletzung, die im Allgemeinen bei jedem Atemzug ungeheure Schmerzen verursacht – zu Beginn nicht viel. Sie war der Meinung, nur einen heftigen Stoß erhalten zu haben. Auf die Frage ihrer Hofdame erklärte sie ruhig: ›Ich glaube, die Brust schmerzt ein wenig.‹ Das enganliegende Mieder erwies sich als Stütze. Nur so erklärt sich, dass sie noch 120 Schritte zurücklegen konnte. Dann jedoch wurde sie blass, erbat den Arm ihrer Begleiterin und sank nieder. Man labte sie mit einem Zuckerstück. Bei der Öffnung ihres Mieders noch bei Bewusstsein, versuchte sie sich mit eigener Kraft nochmals aufzurichten. Sie atmete schwer. Mit den letzten Worten: ›Was ist nur mit mir geschehen?‹, sank sie in eine Ohnmacht, aus der sie nicht mehr erwachte. Auf Grund der Art der Verletzung verlief ihr Tod schmerzlos. Sie ist nach ca. 90 Minuten, als die Pumpfunktion des Herzens das allmählich eindringende Blut nicht mehr bewältigen konnte, ohne Todeskampf still verschieden.«

Die Tatwaffe: eine scharf zugeschliffene Dreikantfeile. Den Holzgriff ließ Lucheni von einem Freund, dem Lausanner Kunsttischler Benito Martinelli, anfertigen.

Zur Art und Weise von Luchenis Angriff meint Dr. Piza-Katzer: »Dieser ist nicht nur mit enormer Wucht, sondern auch sehr zielgerichtet erfolgt. Auf jeden Fall hatte der Täter für einen ungebildeten Laien ungewöhnlich große anatomische Kenntnisse. Die, wie sich später herausstellte, von ihm selbst dreikantig messerscharf zugeschliffene Feile war ein ideales Mordinstrument. Die sehr kompakte Kleidung des Opfers aus schwerem Stoff – Jacke, Seidenkleid, Mieder, darunter ein Batisthemd – barg das Risiko des Abgleitens der Waffe. Der Anschlag selbst gelang jedoch beim ersten Versuch, er hätte effizienter nicht durchgeführt werden können.«

»Nach Mittheilung des eben hier gewesenen Staatsanwalts von Genf ist man einem weitverzweigtem Complott auf der Spur, welches wahrscheinlich in London angezettelt und dann nach Zürich übertragen wurde. Es soll ursprünglich gegen Seine k. und k. Apostolische Majestät geplant gewesen sein, wovon man aber abgegangen sei, da man den Coup in der Schweiz ausführen wollte und gegen die Kaiserin einen ebenso schweren Schlag zu führen meinte. Das Attentat wäre also von langer Hand vorbereitet gewesen, die Action durch den von London hergeschickten Ciancabilla in Fluß gesetzt und die Ausführung dem Lucheni anvertraut worden.« Telegramm von Graf Kuefstein an das Informationsbüro des Außenamtes in Wien, 30. September 1898.

Dr. Piza-Katzer beantwortet auch die Frage, ob die Kaiserin nach heutigem Stand der Medizin hätte gerettet werden können: »Das ist sehr unwahrscheinlich. Dazu hätte die Tat in einer Spezialklinik stattfinden müssen. Denn ein Hubschrauber braucht Zeit. Die Vorbereitung der Operation braucht Zeit und auch die Öffnung des Sternums. Eine Herzbeuteltamponade führt meistens zum Tod.«

Die Chirurgin kommt dann zu einem interessanten Schluss: »Wir wissen, dass der Täter, ein 25-jähriger junger Mann, im Straßenbau schwere körperliche Arbeit verrichtete und über die entsprechende Kraft verfügte. Wir wissen aber auch, dass er als fanatischer Anarchist von Hass gegen die herrschende Klasse erfüllt war, in Genf unter Gleichgesinnten um Anerkennung rang und sich zu beweisen suchte. Die Möglichkeit, dass man Luigi Lucheni systematisch auf seine ›Propaganda der Tat‹ hintrainierte, ihn sozusagen einschulte, ist nicht auszuschließen.«

Diese These erhärtet sich durch erst in jüngster Zeit zugängliche Dokumente des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien. Meldete doch Graf Kuefstein, der österreichisch-ungarische Gesandte in Bern, dem Informationsbüro des Ministeriums des Äußeren, der damaligen Geheimpolizei, am 30. September 1898 die Angaben eines Spitzels nach Wien: »… dieses Attentat wäre also von langer Hand vorbereitet gewesen, die Action durch … Ciancabilla (einem führenden Anarchisten) in Fluß gesetzt und die Ausführung Lucheni anvertraut worden.«

Luigi Lucheni selbst hat dazu eisern geschwiegen. Er wollte seinen Ruhm mit niemandem teilen: »Ich bin stolzer Anarchist. Den Mord habe ich ganz allein geplant. Ich bin froh, dass sie tot ist«, betonte er.

DIE REISE INS VERDERBEN


Dichtes Gedränge der Sommergäste am Bahnhof von Caux bei Territet. Bereits zum sechsten Mal bezog Elisabeth am 30. August 1898 in dem beliebten Schweizer Ausflugsort Quartier.

Ich gehe immer auf die Suche nach meinem Schicksal. Ich weiß, dass mich nichts davon abhalten kann, es an jenem Tag zu treffen, an dem ich es treffen muß. Das Schicksal macht lange die Augen zu, aber einmal erblickt es uns doch.

Kaiserin Elisabeth, April 1892

Ein Pionier der Balneologie als Arzt des Vertrauens: Medizinalrat Dr. Alfred Sotier betreute Kaiserin Elisabeth während ihrer Kuraufenthalte in Bad Kissingen.

Im Jahre 1898 entschloss sich Kaiserin Elisabeth zu einem wahren Kurmarathon, der im Frühjahr in Bad Kissingen seinen Anfang nahm. Sie ließ dort ihre Leiden – Rheuma und Ischias – von dem renommierten Arzt Dr. Alfred Sotier mittels heißer Bäder behandeln. Im Laufe ihres 60-jährigen Lebens hatte die gesundheitsbewusste Monarchin schon früh eine große Leidenschaft für Heilmaßnahmen aller Art entwickelt. Sie suchte regelmäßig die besten europäischen Heilanstalten auf und blieb – stets unter dem Pseudonym einer Gräfin von Hohenembs – mehrere Wochen lang und kehrte auch immer wieder. Bei ihrem sechsten Aufenthalt in Bad Kissingen besuchte sie Kaiser Franz Joseph am 25. April 1898, der in großer Sorge um seine leidende Gattin gleich seinen Leibarzt Dr. Joseph Kerzl mitgebracht hatte. Ihm gegenüber klagte Elisabeth über Müdigkeit und Atemnot.

Bei einer ihren Promenaden im Kurpark wurden Kaiserin und Kaiser von einem Fotografen aus Bad Kissingen ohne ihr Wissen und ohne Erlaubnis heimlich aus der Entfernung aufgenommen. Auf dem Foto ist Elisabeth, wie immer seit dem Selbstmord ihres Sohnes Rudolf, ganz in Schwarz zu sehen, mit weißem Sonnenschirm und einem Fächer, den sie stets bereithält, um ihr Gesicht zu verbergen. Franz Joseph trägt als Privatmann Zivilkleidung. Es ist die letzte gemeinsame Aufnahme des Paares.

Ein letztes gemeinsames Bild: Kaiser Franz Joseph und Elisabeth beim Spaziergang im Kurpark von Bad Kissingen.

Foto: Atelier Johann Kolb, Bad Kissingen, 1898.

Bald danach traf auch die jüngste Tochter der Patientin in Bad Kissingen ein. Wie immer war Marie Valerie trotz der eigenen großen Kinderschar stets bereit, sich um die Mutter zu kümmern, ihr auf einen Wink hin nachzureisen, sich ihre Klagen anzuhören. »Mama sieht furchtbar schlecht aus«, schrieb sie nach ihrer Ankunft besorgt in ihr Tagebuch. »All der Jammer dieses armen, trostlosen Lebens, nun gesteigert durch Alter und Kränklichkeit und immer noch ohne das tröstende Licht …« Die sehr fromme Marie Valerie war enttäuscht und sorgte sich um das Seelenheil der Mutter, die auch diesmal vom »tröstenden Licht« des Glaubens absolut nichts wissen wollte. Die Auswirkungen der Kurtherapien mit einer zeitweisen Verstärkung der Schmerzen stimmten Elisabeth nicht milder. Im Gegenteil. Mit leiser, gepflegter Stimme übte sie in den langen abendlichen Gesprächen zum Entsetzen der Tochter beißende Kritik an der katholischen Kirche. Marie Valerie blieb nur die Hoffnung, dass Gott diesen schweren Frevel vergeben möge und kam zu dem Schluss:»… sonst müsste sie selbst erschrecken vor den furchtbaren Dingen, die sie sagt, also völliges Ableugnen von Gottes Barmherzigkeit.«

Der tragische Tod von Elisabeths jüngster Schwester Sophie Charlotte: Sie kommt beim Brand des Pariser Bazars de la Charité am 4. Mai 1897 in den Flammen um.

Die bejahende Antwort auf die Frage, ob sie denn nicht an Gott glaube, konnte Marie Valerie nicht beruhigen. »O ja, an Gott glaube ich – so viel Unglück und Leiden kann nicht durch bloßen Zufall entstehen. Er ist mächtig, erschreckend und grausam«, beharrte die Kaiserin und führte den Tod ihrer jüngsten Schwester Sophie Charlotte beim Brand des Pariser Bazars de la Charité im Jahre 1897 an. Die mütterlichen Ansichten erinnerten die biedere, konservative und deutschnationale Tochter in fataler Weise an die Religionsfeindlichkeit der Sozialisten, wenn nicht gar an die der Anarchisten. »Kein Gott, kein Herr!«, lautete einer der Schlachtrufe der anarchistischen Bewegung, deren Taten damals die Medien beherrschten.

In Ischl verbrachte »Sisi« noch einige Tage im Kreis der Familie, am 15. Juli 1898 verließ sie die Salzkammergut-Sommerfrische in Richtung Bad Nauheim, um eine angebliche Herzschwäche zu kurieren.

In Bad Kissingen schien sich der Zustand der Monarchin allmählich zu bessern. »Wetter entsetzlich«, notierte Marie Valerie. »Sturm und Regen, was aber Mama nicht hindert, lange, lange Spaziergänge zu machen …« Und dies trotz einer Entzündung des Ischiasnervs.« »Gott Lob, es muß Dir besser gehen!«, wunderte sich der Kaiser, »da Du so große Ausflüge unternimmst!« Von Kissingen ging es zur Nachkur nach Bad Brückenau, wo die Kaiserin bis zum 12. Juni blieb. Dann erfolgte ein Rückzug in die Einsamkeit der Hermesvilla, ihr von menschenleeren Wiesen und Wäldern umgebenes kleines Schloss im Lainzer Tiergarten am Rande von Wien. Die Haupt- und Residenzstadt selbst hat die Monarchin nicht geschätzt und aus Abneigung prinzipiell gemieden. Anschließend hielt sie sich bei ihrer Familie in Bad Ischl auf, um dann am 15. Juli erneut abzureisen: zu einer weiteren, fünfwöchigen Kur unter Leitung von Dr. Theodor Schott nach Bad Nauheim. Hatten doch die Ärzte bei der Kaiserin ein neues Leiden, nämlich Herzschwäche, festgestellt.

Kaiser Franz Joseph schrieb resigniert: »…nach so unendlich kurzem Zusammensein sind wir wieder auf schriftlichen Verkehr beschränkt. Das ist sehr traurig, aber leider nicht zu ändern. Die neuerliche Trennung geht mir sehr nah …«

Elisabeths Reiseroute führte über München, wo die vermeintlich Herzkranke frohgemut durch die Stadt bummelte, im Englischen Garten spazierte und voll Nostalgie die Stätten ihrer Kindheit, darunter den Familiensitz, das Herzog-Max-Palais, aufsuchte sowie im Hofbräuhaus Bier trank. »Ich verlasse niemals München, ohne hier einzukehren«, meinte die Kaiserin zu ihrer Begleiterin. Auch in ihrer Heimatstadt suchte die Monarchin, wie auf all ihren Reisen und Kuraufenthalten, die lästigen Bewacher abzuschütteln. Überhaupt gab es, wie die Münchener Stadtväter meinten, keinen Grund, die Anwesenheit der gebürtigen Wittelsbacher Herzogin geheim zu halten. Stolz vermeldeten die Fremdenlisten der lokalen Zeitungen jedes Mal die An- und Abreise Elisabeths. Wurde diese, wie es im Hofbräuhaus geschah, von Fremden erkannt und gegrüßt, brach die Monarchin sofort auf. Sie liebte es unerkannt zu bleiben. Ein »Bad in der Menge« war und blieb ihr eine unerträgliche Belästigung.

Bad Nauheim wurde ein Erfolg. Die Kaiserin fühlte, wie ihre Begleitung bemerkte, ihre »Lebenskraft wachsen« und sie schmiedete Pläne für die Zukunft. »Noch eine solche Kur, Gräfin«, meinte sie zu ihrer Hofdame Irma Sztáray, »und Sie werden sehen, ich kann mich auf die größten Seereisen begeben, dann wollen wir zu den Canarischen Inseln«. Davor jedoch stand noch eine Nachkur in Caux hoch über Territet in der Nähe von Montreux am Genfer See auf dem Programm. Die Kaiserin liebte die demokratische Schweiz und die kosmopolitischen Schweizer. In der Eidgenossenschaft sah sie ein Vorbild für die künftige Gestaltung der europäischen Staaten, denn sie zweifelte am Fortbestand der Monarchien. Aus diesem Grund deponierte sie in weiser Voraussicht in der Schweiz, die damals noch nicht zu den führenden Finanzplätzen Europas zählte, auch einen Großteil ihres beträchtlichen Vermögens, zu dem ihre Tochter Marie Valerie bei der Testamentseröffnung nur staunend bemerken konnte: »Es ist erschreckend groß.«

Über die Gefahren, die in der Schweiz, damals eine wahre Hochburg der Anarchisten, auf sie lauerten, war sich Elisabeth durchaus bewusst. Für ihre eigene Person zog sie es vor, diese einfach zu ignorieren und verfasste dazu ein Spottgedicht:

Schweizer, Ihr Gebirg ist herrlich!

Ihre Uhren gehen gut.

Doch für uns ist sehr gefährlich

Ihre Königsmörderbrut!

Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth im Garten des Hotels Cap Martin, Frankreich, zusammen mit der Kaiserin-Witwe Eugenie von Frankreich. Autotypie nach einer Zeichnung von Arthur Lajos Halmi. Abbildung aus: Max Herzig (Hg.): »Viribus unitis. Das Buch vom Kaiser« (1898).

Um die Sicherheit ihres Gemahls war sie jedoch höchst besorgt, wie ein Brief Kaiser Franz Josephs aus dem Jahr 1895 bezeugt, als das Herrscherpaar einen gemeinsamen Urlaub in Cap Martin an der französischen Riviera genoss. »… Deine Besorgnis wegen meiner Sicherheit in Cap Martin war unnöthig«, beruhigte er Elisabeth. »… denn es handelt sich nach meiner Überzeugung nur um unbegründete Geschäftigkeit und um die Nervosität der französischen Polizeibeamten …«

Die Angst Elisabeths um den Kaiser war durchaus berechtigt, wie die nach der Ermordung der Kaiserin enthüllten Pläne französischer und italienischer Anarchisten beweisen sollten. Den Jüngern der schwarzen Fahnen waren die Aufenthalte des österreichischen Kaiserpaars an der Côte d’Azur in den Jahren 1894, 1895 und zweimal 1896 nicht entgangen. 1896 hielt sich Franz Joseph drei Wochen in Cap Martin auf, wobei er der englischen Königin Victoria einen viel beachteten Höflichkeitsbesuch abstattete. Damit geriet er als mögliches Opfer ins Visier der Protagonisten der »Propaganda der Tat«. Es war für die anarchistischen Planer eine große Enttäuschung, dass Kaiser Franz Joseph 1898 wegen Regierungspflichten keine Zeit für einen Urlaub aufbringen konnte.

Auch im Sommer 1898 beherrschten Nachrichten von der »Schwarzen Gefahr« die Presse. Das Entsetzen über die vielen Gewalttaten von Anarchisten war groß. Schon seit geraumer Zeit registrierte und fotografierte die Polizei verdächtige Personen nach ihrer Verhaftung. Aus den amtlichen Karteien stammten die vielen Steckbriefe zur Fahndung ausgeschriebener politischer Täter auf den Hauswänden des Kurortes Territet.

15 Zimmer wurden hier im ersten Stock für die Kaiserin und ihre Entourage reserviert: das Grand Hôtel de Caux hoch über Territet. Fotochromdruck, um 1895.

Von der Anreise der Kaiserin in Alarmbereitschaft versetzt, nahm die Berner Polizei Kontakt mit den Kollegen in Lausanne auf. Ein Telegramm des Bundesdepartements Justiz am 29. August 1898 aus Bern lautete: »Österreichische Kaiserin ankommt morgen 30. August Caux bei Territet für längeren Aufenthalt. Sie reist in allerstrengstem Inkognito und benutzt für Strecke Basel–Territet den fahrplanmäßigen Zug Jura-Simplon Nr. 168, Abfahrt Basel 7 Uhr 50. Abfahrt Lausanne 2 Uhr 25. Bitten gegen eventuelle Belaestigungen alle dafuer als notwendig erachteten Maßnahmen zu ergreifen.«

Kaiserin Elisabeth stieg im Grand Hôtel de Caux, in den Bergen hoch über Territet ab. 15 Zimmer im ersten Stock mit herrlicher Aussicht waren für sie und ihre Entourage reserviert worden. Die Begleitung der Herrscherin bestand aus dem Haushofmeister Generalmajor Adam von Berzeviczy, der Hofdame Gräfin Irma Sztáray, dem Sekretär Dr. Kromar, dem Vorleser Frederic Barker, den zwei Kammerdienerinnen Marianne von Meisel und Marie Heniko de Temsburg, zwei Lakaien und vier Zofen sowie der Leibfriseurin Franziska »Fanny« Feifalik – im Vergleich zu früheren Reisen mit 25 bis 49 Personen, ein kleines Gefolge.

Begleitete Elisabeth auch auf ihrer letzten Reise: Leibfriseurin Franziska »Fanny« Feifalik, geborene Rösler. Foto von Emil Rabending, 1866.

Elisabeth selbst bewohnte drei Räume, samt Balkon. Ihr Schlafzimmer ist bis zum heutigen Tag vollkommen unverändert geblieben, berichtet die über Kaiserin Elisabeth in der Schweiz forschende Direktorin der Schweizer Hotelarchive, die Historikerin Evelyn Lüthi-Graf: »Es ist das gleiche Bett, der gleiche englische Schrank. Selbst die auf Wunsch Elisabeths verlegte elektrische Klingelleitung ist in dem heute als Konferenzzentrum der Rosenkreuzergemeinschaft – Lectorium Rosicrucianum – geführten Hotel noch erhalten. Damit konnte die stets sehr rücksichtsvolle Monarchin jede Person ihrer Begleitung zu sich rufen, ohne dabei Dritte zu belästigen. An das eigene Wohlergehen dachte sie weniger. Auch auf dieser Reise gab es keinen Detektiv und auch im Hotel keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen für den hohen Gast. Die Kaiserin liebte Caux wegen des Klimas, der frischen Bergluft und der Ruhe. Sie war insgesamt sechs Mal hier, immer als »Gräfin von Hohenembs«. Doch alle wussten, mit wem sie es zu tun hatten, die Zeitungen berichteten regelmäßig über sie. Oft unternahm sie mit einem einheimischen Bergführer, dessen Kinder sie großzügig beschenkte, weite Wanderungen. Das Foto, das es von der Kaiserin und ihrer Hofdame gibt, ist auf der Hauptstraße von Territet entstanden. Es ist ein Belästigungsfoto, ein gestohlenes Bild. Auf dem Original sieht man die Kaiserin, die in Abwehr ihren Schirm aufzuspannen versucht, aber auch die lästigen Paparazzi. Zwei schwarz gekleidete Männer mit einer kleinen Kamera spiegeln sich in einiger Entfernung von der Kaiserin im Glas eines Schaufensters und kommen dabei ungewollt in das Bild. An die Zeitungen wurde dann nur das Foto Elisabeths verkauft, die Fotografen zogen es vor anonym zu bleiben.«

Im Bestreben, auf ihrem Staatsgebiet Übergriffe von gewalttätige Anarchisten zu verhindern, suchte die Schweizer Polizei verzweifelt vom Hofstaat der österreichischen Kaiserin vertrauliche Mitteilungen über deren Pläne und Aktivitäten zu erhalten. Das auffällige Verhalten der Spitzel erregte Aufsehen, es wurde der Monarchin gemeldet, die empört meinte: »Immer wollen Sie mich bewachen, wie eine Gefangene!«

Das letzte Foto der Kaiserin zeigt sie mit ihrer Hofdame Irma Sztáray auf der Hauptstraße in Territet. Die beiden lästigen Paparazzi, die diese Aufnahme anfertigen, spiegeln sich links in der Scheibe eines Schaufensters.

Schon am 5. September 1898 suchte der Polizeipräsident von Genf die Kaiserin in ihrem Hotel auf. Eindringlich warnte er vor der Gefahr eines Attentats. Die Schweiz sei leider zu einem Zentrum der aus ihren Heimatländern vertriebenen oder geflüchteten Anarchisten geworden. Seither trieben sie ihr Unwesen in der Eidgenossenschaft. Im laufenden Jahr habe man bereits 36 dieser »Individuen« ausgewiesen.

Man ersuchte die Kaiserin dringend, sich unter den Schutz der Kantonspolizei zu stellen. Elisabeth wies dies zurück und machte darauf aufmerksam, dass ihr die heimlichen Versuche zur Überwachung ihrer Person vonseiten der Schweizer Behörden keinesfalls verborgen geblieben wären.

Elisabeth hatte Erfahrung im Umgang mit Polizeibeamten, die ihr in den Zeiten großer Anarchistengefahr oft gegen ihr Wissen oder ihren Willen folgten. Einer der von den österreichischen Behörden zum Schutz der Kaiserin in Karlsbad beauftragten Agenten schildert sein schweres Los: »Kolossale Arbeit hatten wir mit der Kaiserin Elisabeth … dazu kamen noch ihre plötzlichen Spaziergänge, einmal um drei Uhr früh, dann wieder vormittags in den Wald … man mußte immer auf Posten sein … und dies bei dem strengsten Befehl, die Kaiserin so zu bewachen, daß sie nichts bemerkte.« Es war ein mühsames Handwerk. Einmal schlichen ihr Detektive fünf Stunden lang nach, wobei sie immer wieder in Deckung gehen mussten. In jungen Jahren schüttelte die Kaiserin ihre Bewacher listig ab, wobei sie sich nicht scheute, über Zäune zu klettern. Im reifen Alter genügte ihre Autorität zur Entfernung unerwünschter Begleitung.

Der Tagesablauf der Kaiserin in Caux war genau geregelt. Aufstehen pünktlich um 5 Uhr, Morgentoilette samt vorbereitetem Bad, Frühstück. Anschließend begannen Ausflüge oder lange Spaziergänge. Mit hochgeknöpftem, verkürztem Rock, ohne Hut, mit Sonnenschirm und Fächer genoss die Kaiserin allein oder in Begleitung der Hofdame oder des Vorlesers, die neben ihr herzueilen hatten, das herrliche Panorama der Schweizer Bergwelt.

Schon kurz nach ihrer Ankunft legte die Kaiserin ihre Ausflüge fest: Bex-les-Bains, Rochers de Naye, Evian, Genf und Pregny.

Nach Bex-les-Bains – nur in Begleitung der jungen Gräfin Sztáray – fuhr die Kaiserin im Einspänner. Beim faszinierenden Anblick der mit Schnee bedeckten Giganten der Bergwelt, der Dents du Midi und der Aiguille de Trient, fasste die Kaiserin den Entschluss zu einem langen Aufenthalt in der Schweiz. Auch die Fahrt bei prachtvollem Wetter mit der öffentlichen Zahnradbahn auf den Rochers de Naye war ganz nach dem Geschmack Elisabeths. Der Ausflug nach Evian fand, wie die Hofdame vermerkte, am 5. September 1889 bei prächtigem Wetter und »in bürgerlicher Gemütlichkeit« statt. Zuerst ging es mit der Zahnradbahn nach Territet hinunter, dann weiter mit dem öffentlichen Passagierdampfer. »Obwohl von Reisenden überfüllt, blieb Ihre Majestät unerkannt. Dies bot ihr manche Unterhaltung, ohne daß sie dabei im Geringsten gestört war«, heißt es im Bericht von Irma Sztáray.

Tatsächlich blieb die Kaiserin auf diesem Ausflug unbelästigt, jedoch nicht unerkannt. Ein junger italienischer Wanderarbeiter und Anarchist namens Lucheni war an diesem 5. September extra nach Evian gekommen, um sich persönlich ein Bild von Elisabeth zu machen.

Ein Ausflug ganz nach dem Geschmack Elisabeths: die Fahrt mit der Zahnradbahn von Territet hinauf zur Bergstation am Rochers de Naye.

In Ouchy legte das Schiff für 25 Minuten an. Die beiden Damen ließen sich im Schatten auf einer Bank nieder und aßen Obst zur Erfrischung.

Elisabeth ließ ihre Hofdame regelmäßig an den Kaiser in Schönbrunn berichten, der auf das Schreiben Irma Sztárays vom 4. September antworten wird: »… sehr erfreut hat mich die bessere Stimmung, die Deinen Brief durchweht und Deine Zufriedenheit mit dem Wetter, der Luft und Deiner Wohnung samt Terrasse, welche einen wunderbaren Ausblick auf Berg und See gewähren muß. Daß Du dennoch eine Art Heimweh nach unserer lieben Villa Hermes gefühlt hast, hat mich gerührt …«

Der Bitte Elisabeths, sie doch in Caux zu besuchen, konnte Kaiser Franz Joseph nicht nachkommen. Bedauernd schrieb er ihr am 9. September: »… wäre glücklich, wenn ich Deinem Wunsch gemäß, einige Zeit mit Dir alles in Ruhe genießen könnte und Dich nach so langer Trennung wiedersehen könnte, allein daran kann ich leider nicht denken … schwierige innenpolitische Lage und Jubiläumsfeste, Kircheneinweihungen und Besichtigung der Ausstellung in Anspruch genommen.«

Für den 9. September gedachte die Kaiserin eine Einladung in der Nähe von Genf anzunehmen. Das 1860 von Adolphe Carl und Caroline Julie de Rothschild am Ufer des Genfer Sees erbaute Schloss Pregny beherbergte die enormen Kunstschätze des Sammler-Ehepaars, darunter eine Kollektion wertvoller Edelsteine und Kristallobjekte. Der herrliche Park mit Volieren und Glashäusern voll exotischer Gewächse und Orchideen galt in Botanikerkreisen als Sensation. Als erklärte Naturliebhaberin ließ sich Elisabeth diese Attraktion bei ihren Reisen an die Riviera und den Genfer See nie entgehen. Im Laufe der Zeit hatte sie sich mit Baronin Julie angefreundet. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die Rothschilds Elisabeths Schwester Marie, mit der die Kaiserin nach einem heftigen Streit gebrochen hatte, großzügige finanzielle Hilfe gewährten und mit ihr Kontakt pflegten. Die Bekanntschaft stammte aus der Zeit, als Marie und ihr Gatte, der Bourbone Franz II., noch als letzte Herrscher des Königreichs beider Sizilien in Neapel residierten, während Adolph Carl von Rothschild dort die Filiale des Bankhauses Rothschild leitete. Die gemeinsame Flucht zur Zeit des Risorgimento, der Einigung Italiens, im Jahr 1860 sollte ein verbindendes Band für die Zukunft darstellen.

Marie hatte persönlich am Kampf gegen die italienischen Nationalisten teilgenommen. Nach ihrer Vertreibung aus Italien führte die »Heldin von Gaeta« ein wildes, von Skandalen und Affären geprägtes, sehr kostspieliges Leben, das die Rothschilds finanzierten. Sie bekam ein uneheliches Kind, schwamm nackt im Meer und rauchte Zigarillos in der Öffentlichkeit. Das bereits angespannte Verhältnis der beiden Schwestern verschlechterte sich, als Marie böswillige Gerüchte über eine angebliche Liebesaffäre der Kaiserin mit Captain Bay Middleton, ihrem englischen Vorreiter, ausstreute. 1898 waren die beiden schon seit Jahren verfeindet, ihre Kontakte beschränkten sich auf ein Minimum. Sich für Marie zu engagieren, wäre für Elisabeth nie infrage gekommen. Daher war es undenkbar, dass sie – wie oft in der Literatur erwähnt – den Rothschilds in Pregny nur als Dank für die ihrer Schwester gewährten Darlehen eine Höflichkeitsvisite abstattete.

Letztes Ausflugsziel am 9. September: das Château Pregny in der Nähe von Genf, erbaut 1860 für Elisabeths Freunde Adolphe Carl und Caroline Julie de Rothschild.

Die kaiserlichen Pläne zu einer Fahrt in die unmittelbare Nachbarschaft von Genf, verbunden mit einem Besuch dieser Stadt, stießen wider Erwarten auf Ablehnung bei Elisabeths Haushofmeister Generalmajor Berzeviczy, der ansonsten willig ihre ausgefallensten Reisepläne unterstützte und organisierte. Der Grund dafür lag beim Informationsbüro des k. u. k. Ministeriums des Äußeren in Wien, der Zentrale des Geheimdienstes, das ihn stets über die große, höchst gefährliche radikale Szene in Genf auf dem Laufenden hielt. 1869 hatten 30 anarchistenfreundliche Westschweizer Sektionen der Internationale in Genf getagt und 1873 gab es einen Kongress der Anarchisten, der neu gegründeten »Antiautoritären Internationale«, mit Delegationen aus ganz Europa. Berzeviczy meinte daher: »Überall hin, nur nicht nach Genf. Ich hege für Ihre Majestät größte Befürchtungen.« Elisabeth reagierte belustigt: »Der stets besorgte Berzeviczy. Er fürchtet um mein Leben. Was könnte mir denn in Genf zustoßen?« Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss. Der Sekretär Kromar sollte mitfahren, aber im Hintergrund bleiben und nicht in Erscheinung treten. »Ich weiß jedoch nicht, was es mir nützen könnte, wenn er, während ich spazieren gehe, im Hotel ruht«, gab Elisabeth zu bedenken. In einem Punkt zeigte sie sich jedoch unnachgiebig. Sie würde, wie immer, den Raddampfer »Genève« benützen. Die angebotene Privatjacht der Rothschilds käme nicht infrage, denn es sei ihr peinlich, dass die Schiffsbesatzung kein Trinkgeld annehmen dürfe.

Schließlich reservierte man für eine Nacht im Beau-Rivage, dem elegantesten Hotel von Genf, und am Morgen des 9. September verließ die Kaiserin per Schiff Territet. Ihre Begleitung bestand, wie vereinbart, aus Dr. Kromar und Irma Sztáray. Für das Gepäck und persönliche Dienste waren ein Lakai und drei Zofen zuständig. Das wunderschöne Wetter am Genfer See versetzte die Herrscherin, wie Gräfin Sztáray erfreut feststellte, in beste Stimmung, sie schien das Leben zu genießen. Auf dem Deck unterhielt sie sich mit den anderen Passagieren. Freundlich beruhigte sie ein brüllendes Kind, indem es ihm Obst schenkte. Um 12 Uhr meldete die Schiffsglocke die Ankunft in Genf, wo bereits eine Kutsche für die Weiterfahrt bereit stand.

In Pregny empfing Baronin de Rothschild ihre Gäste beim Eingang ihres prächtigen Schlosses, auf dem eine Standarte mit dem Habsburgerwappen wehte, die man jedoch nach einem diskreten Hinweis auf das Inkognito der Kaiserin sofort einholte. Die in Frankfurt am Main geborene Caroline Julie de Rothschild, Gattin von Adolph Carl de Rothschild, hatte 1850 im Alter von 20 Jahren ihren Cousin geheiratet. Sie lebte in Paris, liebte aber vor allem Pregny, dessen Erbauung und Ausgestaltung sie maßgeblich bestimmt hatte. 1898 war sie eine Dame fortgeschrittenen Alters, klein, untersetzt, von temperamentvoller Heiterkeit, eine begeisterte Fotografin und Gärtnerin. Nach der Begrüßung bat die Baronin in den riesigen Speisesaal, wo für drei Personen gedeckt war. Das hinter einem Vorhang verborgene Orchester spielte flotte italienische Weisen, während eine livrierte Dienerschar den Damen auf Altwiener Porzellan ein üppiges Dejeuner servierte.

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Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
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280 стр. 134 иллюстрации
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9783990405666
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