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Beziehungsprobleme

Leon

Ich saß in einem pinken Ledersessel und langweilte mich. Victoria war im Nebenraum und quatschte mit der Nageldesignerin Sonya über die letzte Modenschau, während diese ihr falsche Fingernägel in Rosé verpasste. Es war mir einfach nicht klar, wieso sie diese langen Krallen brauchte. Ich hatte nichts gegen lackierte Nägel, aber mussten es immer diese Künstlichen sein?

Obwohl ich Sonya, die immer viel zu viel Parfüm auftrug, nicht ausstehen konnte, musste ich zugeben, dass sie eine Koryphäe auf ihrem Gebiet des Nageldesigns war. Die Kundinnen standen Schlange bei ihr. Wie auch jetzt. Ich war umgeben von lauter Frauen, die auf ihren Termin warteten. Da ich der einzige Mann in dem Zimmer war, kam ich mir ziemlich fehl am Platz vor. Aber Victoria musste mich ja unbedingt überreden, mitzukommen. Und ich hatte mal wieder ihr zuliebe ja gesagt.

Ich wusste nicht, wie ich die Wartezeit verbringen sollte – mein Handy war leer und im Wartezimmer lagen nur Frauenzeitschriften aus. Also begann ich wieder über die Anfangszeit unserer Beziehung nachzudenken:

Am nächsten Tag, nachdem Victoria in meinem Bett geschlafen hatte, frühstückten wir zusammen und suchten dann im Internet gemeinsam nach einem günstigen Hostel für sie. Den Kuss, welchen wir letzte Nacht geteilt hatten, erwähnte keiner von uns. Gar nicht lange und wir fanden eine geeignete Unterkunft mitten in der Innenstadt, zufällig recht nah an meiner Wohnung. Sie rief dort an und mietete sie erst einmal für eine Woche.

Nachdem sie aufgelegt hatte, sah sie mich an und sagte:

"Für eine Woche reicht mein Budget. Aber wenn ich länger bleibe und innerhalb einer Woche noch nichts als Model verdient habe, brauche ich einen Nebenjob! Ich habe leider nicht so viel Erspartes mitgenommen, weil ich dachte, dass ich auf jeden Fall den Job bekomme, bei dem ich dann als Model entdeckt werde und das große Geld verdiene." Victoria verdrehte genervt die Augen.

"Ich bin aber auch eine blöde Kuh so naiv zu sein…"

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Ehrlich gesagt fand ich diese Einstellung auch naiv, aber das wollte ich ihr natürlich nicht sagen, um sie nicht zu kränken. Also ging ich zu ihr.

"Wenn du willst, könnte ich meinen Chef mal fragen, ob du bei uns in der Kaffeerösterei anfangen kannst."

Sie sah zu mir auf.

"Wirklich?"

"Naja, ich muss, wie gesagt, erst fragen… Hast du denn schon mal im Gastronomiebereich gearbeitet?"

"Hm… leider nein... Aber ich lerne schnell. Und der Kontakt mit Gästen wird mir bei den Castings fürs Modeln helfen."

Jetzt war sie aufgestanden und stand vor mir. Ihr Blick war wieder zuversichtlicher.

"Ich muss heute um 13 Uhr zur Arbeit. Du könntest mitgehen und dich persönlich bei meinem Chef vorstellen. Vielleicht wirst du schon ab morgen anfangen können."

In diesem Moment fühlte ich mich mutig, deswegen fügte ich noch ein "Es würde mich freuen, dich öfter zu sehen" hinzu.

Sie lächelte mich an. Am liebsten hätte ich sie jetzt wieder geküsst.

"Ich will dich auch öfter sehen, Leon."

Die Art, wie sie meinen Namen sagte, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Sie stand jetzt ganz dicht vor mir. Wir beide sahen uns tief in die Augen. Blau in Blau. Ich streckte eine Hand aus und berührte zärtlich ihre Wange. Dann beugte ich den Kopf nach vorne und dann… wurde die Stille von einem Handyklingelton zerrissen.

So ein Mist! Innerlich fluchte ich. Wer auch immer da anrief, hatte wirklich ein super Timing! Allerdings war es nicht mein Klingelton, also musste es Victorias Handy sein, das uns gestört hatte. Sie wich ein Stück von mir zurück und sagte verkniffen:

"Tut mir leid, ich muss kurz schauen, wer das ist. Es könnte eine Modelagentur sein."

Also ging sie zu ihrer Handtasche im Flur. An ihrem verärgerten Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass sie nicht erfreut über den Anrufer war.

"Nicht schon wieder!", fluchte sie und drückte den Störenfried weg.

"Alles okay? Wer war es denn?" Sie kam wieder zu mir ins Wohnzimmer.

"Ach, mein Vater wieder. Er hat gestern schon angerufen. Er soll mich einfach in Ruhe lassen!"

"Hm, meinst du nicht, du solltest ihm wenigstens sagen, dass es dir gut geht? Dann macht er sich keine Sorgen."

Ungläubig sah sie mich an.

"Nein! Ich will nicht mit ihm reden!" Sie packte ihre Sachen. "Ich gehe jetzt ins Hostel, checke ein und bin dann um 13 Uhr in der Kaffeerösterei. In Ordnung?"

"Äh, ja okay."

Ich war enttäuscht, dass der schöne Moment vorbei war.

Mein Chef war von Victoria sofort begeistert und stellte sie zur Probe ein. Sie bekam von Peer – so hieß mein Chef – eine kurze Einweisung, wie sie die Gäste zu bedienen hatte und ich erklärte ihr, wie die Kaffeemaschine funktionierte.

Dann hatte sie zwei Stunden Zeit sich vor Peer zu beweisen. Er beobachtete sie mit Argusaugen, damit ihm jeder noch so kleine Fehler sofort auffiel. Ja, er war streng, aber wenn man sich bei der Arbeit wirklich Mühe gab, kam man gut mit ihm klar. Er wollte eben nur die engagiertesten Mitarbeiter für seine Kaffeerösterei! Schließlich zählten wir nicht umsonst zu einem der besten Cafés in der Speicherstadt. Meiner Meinung nach schmeckte der Kaffee nirgendwo anders so gut, wie bei uns. Was vielleicht auch daran liegen mochte, dass wir eine hauseigene Röstung verwendeten.

Ich selbst arbeitete hier seit ich 17 Jahre alt war. Ich suchte damals in der Schule einen Nebenjob, um mir meinen Gitarrenunterricht leisten zu können. Dadurch kam ich hierher und entdeckte meine Leidenschaft für Kaffee. Auch liebte ich den Umgang mit den Gästen. Im Gastronomiebereich fühlte ich mich einfach wohl. Deshalb blieb ich auch nach Abschluss meines Abiturs hier und erhöhte von einem Nebenjob auf einen Vollzeitjob.

Meine Mutter war zwar alles andere als begeistert, als ich ihr eröffnete, dass ich auf keine Universität gehen wollte, um zu studieren, doch nach einiger Zeit akzeptierte sie meinen Wunsch. Sobald ich genug Geld verdient hatte, wollte ich mir eine eigene Wohnung suchen. Da meine Mutter jedoch darauf bestand, dass ich nicht zu weit wegzog, kaufte sie kurzerhand eine Wohnung in Altona und ließ mich dann darin zur Miete wohnen. Natürlich etwas günstiger als zu den sonst so horrenden Preisen. Als Barista hätte ich mir nämlich nie und nimmer eine Mietwohnung in Hamburgs beliebtestem Stadtteil leisten können. Dadurch, dass ich ausgezogen war, entspannte sich unser Verhältnis merklich.

Das war gut, da mir, als ich noch bei ihr wohnte, ihre ewige Kritik an mir – "Leon, bitte steck dein Hemd ordentlich in die Hose!", "Geh studieren, so wie ich!" oder "Lass deine Kleidung nicht immer in deinem Zimmer liegen, sondern hänge sie in den Schrank!" – wirklich zum Hals heraushing. Doch seitdem ich in meinen eigenen vier Wänden lebte, hatte sie darauf zum Glück keinen Einfluss mehr.

Nach den zwei Stunden Probearbeit, entschied sich Peer, Victoria einzustellen. Sie hatte sich wirklich wacker geschlagen. Wenn sie zu einem Casting eingeladen wurde, versuchten wir ihre Schichten so zu legen, dass sie zu diesem problemlos hingehen konnte. Notfalls musste jemand von uns mit ihr tauschen.

Ich ging zu ihr – sie strahlte, weil sie in so kurzer Zeit einen Job gefunden hatte – und umarmte sie.

"Glückwunsch, das hast du echt toll gemacht!", flüsterte ich ihr ins Ohr. Grinsend sah sie mich an:

"Das müssen wir feiern! Wann hast du heute Schluss? Danach lade ich dich auf einen Drink ein!"

Mein Herz machte einen Satz. Ich freute mich sehr, dass sie mich später wiedersehen wollte.

"Sehr gerne würde ich mit dir darauf anstoßen! Ich arbeite bis 18 Uhr."

"Perfekt, dann gehe ich jetzt ein bisschen in die Stadt und hole dich dann um 18 Uhr hier ab. Bis dann, Leon! Ich freue mich!"

Ich konnte es gar nicht abwarten, bis Schichtende war und ich mit dieser tollen Frau auf ihren Erfolg anstoßen konnte! Wer weiß, ob es beim Anstoßen bleiben würde…

Um Punkt 18 Uhr stand Victoria in der Eingangstüre des Cafés und ich musste mich höllisch konzentrieren, das Tablett mit dem Latte Macchiato und dem Espresso darauf nicht fallen zu lassen, welches ich gerade zum Tisch des älteren Ehepaars balancierte.

Ihr Aussehen haute mich um. Sie trug einen cognacfarbenen Mantel, schwarze High Heels, für die sie eigentlich einen Waffenschein gebraucht hätte, weil sie jedem Mann den Atem raubten, und verführerischen roten Lippenstift. Wie hieß es so schön, rote Lippen soll man küssen…

Sie hauchte ein "Hi" in meine Richtung und lächelte mich an. Ich brachte nur ein "Wow" zustande. Ich kassierte das ältere Ehepaar ab, das mich irritiert anblickte, weil ich ihnen das falsche Wechselgeld gegeben hatte, legte meine Schürze ab und eilte zu meiner Traumfrau, die auf mich wartete.

"Gib mir fünf Minuten, dann bin ich bei dir", sagte ich und verschwand kurz auf der Toilette, um mich frisch zu machen.

Da sich Victoria in Hamburg noch nicht wirklich auskannte, entschied ich für uns, wo wir hingingen. Ich entführte sie in eine meiner liebsten Anlaufstellen in der Altstadt: nicht zu groß, mit gediegener Lounge-Musik und kuscheligen Nischen, die Raum für tiefe Blicke und Zweisamkeit ließen, ohne, dass man auf dem Präsentierteller saß.

Drinnen half ich meinem Date aus seinem Mantel. Darunter kam ein kleines Schwarzes zum Vorschein, welches nur knapp über ihren Po ging und viel nacktes Bein zeigte. Falls mich ihr Anblick vorhin nicht schon völlig aus der Bahn geworfen hätte, wäre dies jetzt auf jeden Fall geschehen!

"Du siehst atemberaubend aus!", bewunderte ich sie.

Sie schenkte mir ein Lächeln:

"Dankeschön!"

Ihr Blick strich einmal über mein dunkelblaues, bis zu den Ellenbogen hochgekrempeltes Hemd, über meine schwarze Skinny-Jeans und wanderte zurück zu meinem Gesicht.

"Du siehst aber auch sehr gut aus", sagte sie anerkennend.

Wir suchten uns einen Platz etwas weiter hinten im Lokal. Ich bestellte einen Cosmopolitan für die Dame und einen Mojito für mich. Als unsere Drinks kamen, stieß Victoria mit mir an und sagte:

"Also, Leon. Nochmal vielen Dank, dass du mir bei der Jobsuche geholfen hast. Und natürlich auch dafür, dass ich bei dir übernachten durfte."

Unsere Gläser klirrten.

"Es war mir ein Vergnügen, eine so attraktive Frau wie dich mit nach Hause nehmen zu dürfen", erwiderte ich augenzwinkernd.

Wir sahen uns tief in die Augen. Ihr Gesicht kam näher. Im nächsten Moment fühlte ich, wie ihre Lippen auf meine trafen. Ich schloss die Augen und erwiderte ihren Kuss. Darauf hatte ich so gehofft! Diese Traumfrau wieder zu küssen und vielleicht noch mehr Sachen mit ihr anzustellen… Victoria seufzte an meinen Lippen und küsste mich stürmischer. Sie duftete nach Vanille und noch einem berauschenden Duft, den ich in diesem Moment nicht einordnen konnte, da sich mein Hirn zu Brei verwandelt hatte. Zudem klopfte mein Herz in meiner Brust, als ob es einen Marathon hinter sich hätte.

Meine Hände wanderten in ihr Haar. Es war seidig weich.

"Wow, hast du schöne Haare!", murmelte ich etwas außer Atem an ihren Lippen. Sie sah mich mit geröteten Wangen an. Ihr weinroter Lippenstift war verschmiert von unserer Knutscherei. Auch sie war ein wenig atemlos. Sie wollte schon wieder mein Gesicht zu ihrem ziehen und da weitermachen, wo wir gerade aufgehört hatten, doch ich sagte zu ihr:

"Hast du nicht Lust, das hier woanders fortzusetzen? Wo wir ungestört sind?"

Bei mir zuhause angekommen, verloren wir keine Zeit. Schon im Flur rissen wir uns gegenseitig die Kleider vom Leib und ich bugsierte sie unter leidenschaftlichen Küssen in mein Schlafzimmer.

Von da an waren wir ein Paar und im November zog sie bei mir ein. Sie arbeitete Teilzeit in der Speicherstadt Kaffeerösterei. Des Öfteren hatten wir die gleiche Schicht, weshalb wir es uns erlaubten, wenn nicht viel los und Peer nicht da war, ein paar heiße Küsse im Gang auszutauschen. Tagsüber arbeiteten wir Hand in Hand und in der Nacht liebten wir uns heiß und innig. Wir konnten sowohl Kollegen als auch Liebespaar sein. Es funktionierte perfekt. Ich führte sie zum Essen aus, wir gingen ins Kino, in die Disco mit Freunden – eben alles, was frischverliebte Pärchen so taten.

Victorias Vater rief seine Tochter noch mehrmals an und irgendwann erbarmte sie sich auf mein Drängen hin und beantwortete den Anruf. Ihrem Vater gefiel es zwar nicht, dass sie in Hamburg blieb, doch im Prinzip konnte sie tun und lassen, was sie wollte, da sie volljährig war. Jedoch versprach sie ihm, sich hin und wieder telefonisch bei ihm zu melden.

Im Sommer 2015 ergatterte Victoria ihren ersten großen Model-Job. Vorher hatte sie immer nur kleinere Fotoshootings absolviert. Manchmal gab es auch wochenlang Durststrecken, in denen sie zwar von einem zum anderen Casting hetzte, jedoch nur Absagen bekam. In diesen Zeiten war sie besonders froh, dass sie die Arbeit in der Kaffeerösterei hatte, damit sie wenigstens einen Teil zur Miete und was sonst noch so anfiel, beisteuern konnte.

Ein paar Mal begleitete ich meine Freundin zu ihren Castings und drückte ihr hoffnungsvoll die Daumen. Jedoch merkte ich schnell, dass diese glitzernde, oberflächliche Welt, in der man nur auf sein Äußeres reduziert wird, nichts für mich war.

Doch dieser Job war ihre Eintrittskarte ins Modelbusiness gewesen. Der Kunde wollte sie als Werbegesicht für eine große Parfümkampagne buchen. Das Shooting fand auf Mallorca statt. Drei Tage verbrachte sie dort, in denen ich vor Sehnsucht nach ihr fast verging.

Da sie das Shooting mit Bravour absolvierte, kam sie daraufhin bei einer namhaften Agentur unter Vertrag und heimste prompt ihre erste große Gage ein. Diesen Erfolg feierten wir gebührend. So ging es weiter, sie schwamm regelrecht auf einer Erfolgswelle und wurde mit der Zeit immer bekannter. Wir lebten glücklich und zufrieden, machten ein paar Mal im Jahr Urlaub an Orten, von denen ich nur geträumt hatte, bevor ich sie kennenlernte. Doch der Ruhm hatte leider auch Schattenseiten. Victoria veränderte sich – zwar schleichend – aber die Veränderung war zu spüren...

Der erste Tag

Emma

Geschafft, aber glücklich, ließ ich mich rückwärts auf mein neues Bett in meinem Wohnheimzimmer fallen. Es war mein erster Abend in Hamburg und ich war gerade damit fertig geworden, es ein bisschen wohnlicher zu gestalten. Eben hatte ich eine kurze Nachricht an meine Mutter geschickt.

Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf und seufzte zufrieden auf. Mein neues Zimmer, das ich mir mit Lucía teilte, gefiel mir echt gut. Es war weiß gestrichen und besaß moderne Möbel aus hellem Holz. An der einen Wand stand mein Bett und neben meinem, an der anderen Wand, Lucías. Dazwischen war ein großes Fenster, das uns Licht spendete. Von meinem Bett aus konnte ich auf unseren geräumigen Schrank blicken, in dem wir vorhin schon unsere Kleidung verstaut hatten und rechts neben dem Schrank ging es in unser kleines Bad mit Dusche und WC. Es war zwar winzig klein, aber ich war sehr froh darüber, dass ich mir die Dusche nicht mit zwanzig anderen Mädels teilen musste.

Dann gab es noch zwei kleine Schreibtische. Auf einem von beiden lag mein Stundenplan, den ich vorhin bei Frau Ahrens abgeholt hatte. Neben meinem Bett hatte ich an der Wand ein paar Fotos angebracht, um meinem Bereich des Zimmers eine persönliche Note zu verleihen. Ein Foto zeigte Bettina und mich. Es wurde vor dem Konzert unserer Lieblingsband aufgenommen. Noch bevor ich die neuen Schuhe von Bettina vollgekotzt hatte. Wir waren darauf in Fanshirts und mit dem Namen der Boyband zu sehen, den wir uns mit schwarzem Stift auf die Stirn geschrieben hatten.

Auf einem anderen waren meine Eltern, Valentina und ich am Strand von Sizilien zu sehen. Wir Frauen trugen alle bunte Sommerkleider und mein Vater hatte glücklich die Arme um uns geschlungen. Die Aufnahme war ein Jahr alt. Ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus und ging über in meinen ganzen Körper, als ich daran dachte, wie wunderschön dieser Urlaub gewesen war.

Dann gab es noch ein Bild, das meine Schwester und mich bei einem unserer Mädelsabende zeigte – wir schnitten Grimassen und hatten eine selbstgemachte Avocado-Maske im Gesicht. Valentina streckte der Kamera frech ihre Zunge heraus.

Auf der letzten Fotografie war ich zu sehen, wie ich auf einer flauschigen Decke auf unserem Dach saß, ein Buch auf den Knien liegen hatte und meinen Becher Himbeermilch grinsend in die Kamera hielt, meine geflochtenen Zöpfe flogen nur so umher. Auf dem Bild war ich ungefähr sieben Jahre alt. Ich musste lächeln als ich das Foto nun betrachtete.

Die Tür flog auf. Lucía kam herein, ihr langes dunkles Haar wallte um sie herum.

"Chica", begrüßte sie mich. "Werf dich in deinen schärfsten Fummel und dann machen wir Party!"

Sie lief immer noch im Minirock herum, obwohl es mittlerweile echt frisch war.

"Sag mal, frierst du gar nicht?", überging ich ihre Forderung.

Sie ließ sich auf ihr eigenes Bett nieder und wippte auf und ab, wie als würde sie auf einem Gymnastikball sitzen. Dieses Mädchen war wie ein Flummi, ständig in Bewegung. Sie schüttelte den Kopf.

"Nö. Und jetzt komm! Ich will Hamburg unsicher machen."

Sie warf mir ein Kissen zu, das mich mitten ins Gesicht traf. Ich setzte mich auf und zahlte es ihr mit gleicher Münze heim.

"Ach Lucía, ich weiß, dass du es liebst zu feiern, aber können wir das bitte auf morgen Abend verschieben? Ich will heute früh ins Bett gehen, damit ich morgen ausgeschlafen bin." Sie schürzte gespielt beleidigt die Lippen und seufzte tief.

"Na gut. Aber dann musst du mir jetzt erklären, was deine Fotos an der Wand bedeuten."

Ich grinste und fing an zu erzählen.

Am nächsten Morgen standen wir zeitig auf und machten uns für den ersten Schultag zurecht. Ich kam viel schlechter aus dem Bett als Lucía – sie pfiff schon morgens um sieben Uhr gut gelaunt ein spanisches Lied vor sich hin.

Ich entschied mich für eine dreiviertellange weiße Jeans, ein pinkes Top, darüber eine Jeansjacke und schlichte weiße Ballerinas. Rasch packte ich meine Tasche zusammen und kurz darauf verließen wir beide unser Zimmer.

Bei der Teeküche, die für unsere gesamte zweite Etage gedacht war, legten wir einen Zwischenstopp ein, um uns aus dem Kühlschrank unser Frühstück – belegte Brötchen, die Lucía gestern Abend für uns in der Cafeteria besorgt hatte – zu holen. Diese aßen wir im Gehen, wobei ich sowieso fast nichts herunterbrachte, weil ich wegen der neuen Situation etwas nervös war. So ließ ich das Brötchen angebissen in die Verpackung zurückgleiten und verstaute es in meiner Tasche.

Da wir im zweiten Stock wohnten, hatten wir das Glück direkt über den überirdischen Gang in die Schule gehen zu können. Die Schüler, die jedoch im ersten Stock wohnten, mussten entweder ein Stockwerk hoch oder ein Stockwerk runter, um in die Schule zu gelangen. Eine Glastür schwang automatisch auf, als wir näherkamen und schon trennten mich nur noch ungefähr 30 Meter von meinem ersten Schultag. Vor und hinter uns waren ebenfalls Schüler, die auch auf dem Weg in den Unterricht waren. Vorfreude erfüllte mich und mischte sich mit meiner Aufregung.

So lange hatte ich davon geträumt, endlich Fremdsprachenkorrespondentin zu werden und nun hatte ich die Chance, diesen Traum zu verwirklichen. Das fühlte sich toll an. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Ich sah zu Lucía und mein Lächeln verblasste. Sie war kreidebleich und blickte ängstlich. Ich fasste sie am Arm.

"Hey Lucía, was ist denn? Du bist ja ganz blass."

"Äh, ja, ähm…der Gang…ist…er ist hoch…er ist ganz schön hoch…", stotterte sie.

Nanu? Ich kannte sie erst den zweiten Tag, aber in dieser kurzen Zeit war sie kein einziges Mal um einen flotten Spruch verlegen gewesen. Doch nun war ihr Selbstbewusstsein wie weggeblasen.

"Hast du Höhenangst?"

Sie nickte nur.

Ich beruhigte sie: "Hey, ganz ruhig. Sieh einfach nicht nach rechts oder links. Nur geradeaus. Gleich haben wir es geschafft."

Wir waren in einem weiteren Korridor angelangt, von dem verschiedene Räume abzweigten. Lucía hatte sich wieder beruhigt, jetzt, nachdem sie den Gang überwunden hatte. Sie steuerte unser Klassenzimmer an, warf dabei selbstbewusst ihre Haare über die Schulter.

Bei der vierten Tür auf der rechten Seite – Raum E214 – blieben wir stehen. Nervös – oder in Lucías Fall weniger nervös – traten wir durch die angelehnte Tür.

Der Raum war groß. Es gab überwiegend Zweierbänke, nur die letzte Reihe war hufeisenförmig angeordnet. Diese anscheinend beliebte Sitzreihe war schon komplett besetzt. Deshalb schnappten Lucía und ich uns einen Tisch in der vorletzten Reihe, bevor es jemand anderes tun konnte. Logisch, dass wir nebeneinander sitzen wollten. Was war ich erleichtert, dieser unangenehmen Situation, sich neben jemand Fremdes setzen zu müssen, entgehen zu können.

Ich sah mich um. Links von mir waren mehrere große Fenster, durch die uns jetzt schon die Sonne kräftig begrüßte. So wie es aussah, würde es ein angenehm warmer Tag werden. An den restlichen Wänden waren bunte Plakate angebracht. Da dies hauptsächlich unser Englischzimmer war, waren die Poster in englischer Sprache – Verbentabellen, Karten von Großbritannien und Amerika, Redewendungen und Sprichwörter.

"Good Morning, Ladies and Gentlemen! My name is Mary Bolt and I am your teacher for English Correspondence and Business Translation."

Eine kleine, schlanke Frau Anfang vierzig war zur Tür hereingerauscht, stellte schwungvoll ihre Sachen auf dem Lehrerschreibtisch ab und wandte sich uns zu. Sie blickte strahlend in die Klasse. Sie hatte dunkelbraune, kurze Haare und war, ihrem Namen und ihrer Aussprache nach zu urteilen, Muttersprachlerin. Tatsächlich entpuppte sie sich als Britin.

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde unsererseits stiegen wir auch schon in den Unterrichtsstoff ein. Begeistert schlug ich mein großes Buch für Correspondence auf und tauchte augenblicklich in die englische Geschäftswelt mit all ihren Anfragen, Angeboten, Aufträgen und Reklamationen ein. Wobei wir mit der Anfrage starteten. In null Komma Nichts hatte Mrs. Bolt die ganze Tafel vollgeschrieben. Sie legte schon jetzt ein zügiges Tempo an den Tag und gab uns Hausaufgaben für nächste Woche auf.

Als nächstes hatten wir spanische Grammatik bei Señora Carmen García. Señora García war eine kleine, freundlich dreinblickende Frau, die mir sofort sympathisch war. Sie bestand ebenfalls darauf, dass wir uns kurz vorstellten - "En español, por favor!" -, was für Lucía selbstverständlich ein Leichtes war. Selbstbewusst ratterte sie in fließendem Spanisch ihren Namen, ihr Alter und ihre Herkunft herunter.

Nach ihr war ich an der Reihe. Zwar nicht ganz so selbstbewusst, aber dennoch sicher präsentierte ich mich der Klasse. Beeindruckt über meine Spanischkenntnisse nickte Señora García und lächelte mir zu. Entspannt lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück. Meine Aufregung von vorhin war vorbei. Bis jetzt lief alles sehr gut. Ich sah mich in der Klasse um. Auf den ersten Blick waren keine allzu hübschen Jungs zu sehen, die mich nervös werden lassen könnten. Sehr gut. So konnte ich mich voll und ganz auf den Unterricht konzentrieren.

Der unbekannte Mann, dem ich gestern bei meiner Ankunft sprichwörtlich in die Arme gestolpert bin, kam mir wieder in den Sinn. Tja, so einen schmucken Kerl gab es halt nur einmal!

Hui, mein Magen machte einen Satz, sobald ich an seine meerblauen Augen dachte. Schnell lenkte ich meine Gedanken auf etwas Unverfängliches – auf die Tatsache, dass der Großteil unserer Klasse weiblich war. Insgesamt waren wir 16 Schüler, davon zwölf Frauen und vier Männer.

Der Tag zog sich so durch, nach Grammatik folgte Textverarbeitung im Keller bei einer blutjungen, blonden Referendarin, die einen sehr naiven Eindruck auf mich machte. Ständig strich sie sich ihre Haarsträhnen aus dem Gesicht und - entweder bildete ich es mir ein oder es war tatsächlich so – sie kümmerte sich besonders viel um den männlichen Part der Klasse und brachte dabei extrem ihr ausladendes Dekolleté zur Geltung.

Lucía machte sich über sie lustig und flüsterte mir amüsiert zu:

"Wenn sie sich noch weiter nach vorne lehnt, fallen ihre Titten gleich auf den Tisch. Offenbar hat die einen sexuellen Notstand."

Ich lächelte nur verkniffen und sagte nichts dazu. Meine sexuellen Erfahrungen beschränkten sich auf einen einzigen Kuss von Danny. Das konnte man nicht einmal ‚sexuell‘ nennen.

In der Mittagspause saß ich mit Lucía und einem Mädchen aus unserer Klasse, die Pauline hieß, zusammen an einem Tisch. Zum ersten Mal hatte ich richtig Appetit und verdrückte ein paniertes Schnitzel mit Pommes.

Pauline Lanton war zwar Halbfranzösin, hatte jedoch wenig mit den sonst so schlanken, grazilen Französinnen gemeinsam. Sie war sehr klein, mit fraulichen Kurven, großer Oberweite und einem rundlichen Gesicht. Schulterzuckend erklärte sie uns, dass sie einiges von ihrer deutschen Mutter geerbt hatte, bis auf die blonden, fast schulterlangen Haare, die hatte sie von ihrem französischen Vater. Sie nahm sich selbst nicht zu ernst, ein Charakterzug, der mir sehr sympathisch war.

Vor der Mittagspause hatten wir eine Doppelstunde Übersetzung in Französisch bei Frau Lenk gehabt. Über besagte Frau diskutierten wir nun hitzig. Denn Frau Lenk, eine hochgewachsene Mittvierzigerin mit blondem Wuschelkopf, hatte leider eine ganz schreckliche Aussprache. Man konnte bei ihr den deutschen Akzent so stark hören, dass die sonst so melodisch und weich klingende Sprache sogar in Lucías Ohren, die auf Anfänger-Niveau trainiert waren, hart klang.

"Das ist doch grausam!"

Pauline fasste sich entsetzt an die Stirn.

"Wie sollen wir das nur zwei Stunden die Woche aushalten? Ich habe das Gefühl meine Ohren sterben ab, wenn ich diesen schlimmen Akzent noch länger ertragen muss! C'est une maladie!"

Ein bisschen kam ihre französische Ader also doch durch, die Lucía allerdings nicht verstand.

"Mala…was?", fragte sie und lachte.

"Maladie. Das heißt "Krankheit", antwortete ich ihr wie aus der Pistole geschossen.

"Streber!", neckte mich Lucía.

Ich streckte ihr spielerisch die Zunge heraus. Pauline lachte.

Als Dreiergespann machten wir nachmittags ein wenig die Stadt unsicher und gönnten uns ein Eis. Die Sonne brannte auf uns herunter und ich musste mich beeilen, die leckere Erfrischung schnell genug zu schlecken, bevor sie mir auf die Hand tropfte.

Lucías Blick ruhte auf mir.

"Sag mal Emma, hast du einen Freund?"

Auch Pauline schaute nun interessiert zu mir. Unwillkürlich tauchte vor meinem inneren Auge das Bild des hübschen Fremden auf.

"Ähm, nein. Und du?"

Ich versuchte schnell die Aufmerksamkeit von mir zu lenken. Dieses Thema war mir immer unangenehm.

"Warum nicht? Du bist so hübsch!"

Sie beugte sich zu mir und berührte meine Haare.

"Ich liebe diese Farbe! Como miel!"

Ich lachte verlegen.

"Miel bedeutet Honig, oder?", wollte Pauline wissen.

Ich nickte und war froh über den Themenwechsel. Doch meine spanische Freundin beließ es nicht dabei.

"Dann müssen wir für dich einen Freund finden! Lasst uns heute Abend ausgehen!"

Ihre dunkelbraunen Augen fingen an zu leuchten. Offenbar fand sie ihre Idee großartig!

"Und ich habe übrigens einen Freund. Leider lebt er in Spanien. Er heißt Tulio und ist der tollste Mann im ganzen Universum!"

Als sie "im ganzen Universum" sagte, breitete sie ihre Arme aus und warf den Kopf in den Himmel. Dadurch zog sie die Blicke aller umstehenden Passanten auf sich, was sie aber überhaupt nicht zu stören schien. Ein älteres Ehepaar blickte neugierig zu uns. Lucía bemerkte es und lächelte ihnen freundlich zu. Überrascht und etwas zögerlich erwiderten sie ihr Lächeln.

Wahnsinn, wie Lucía die Leute in ihren Bann zog. Ich wünschte ich wäre auch nur im Entferntesten so selbstbewusst wie sie…

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Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
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230 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783946127475
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