Читать книгу: «Die Kunst Einwanderer zu sein», страница 2

Шрифт:

Es gibt der Welten viele. Und jede ist anders.

Jede ist wichtig.

Und man muss sie kennenlernen, denn die anderen Welten, die anderen Kulturen sind wie Spiegel, in denen wir uns selber besser kennenlernen, denn es ist unmöglich, die eigene Identität zu bestimmen, solange wir sie nicht mit anderen konfrontiert haben.

Ryszard Kapuściński4

DEN SCHRITT ÜBER DIE ZWEITE GRENZE NEHMEN

Auf jeden Emigranten warten zwei Grenzen. Die erste ist die politische Grenze, die wir überschreiten, wenn wir das Heimatland verlassen. Die zweite, die psychologische, überschreiten wir, wenn wir den Beschluss fassen, uns dem neuen Land mit Verständnis und Akzeptanz zu nähern. Alle, die ihr Land verlassen, verlassen gleichzeitig das gewohnte heimatliche Leben und die Menschen, mit denen sie zusammen aufgewachsen sind. Auf der einen Seite der Grenze gibt es die selbstverständliche Zusammengehörigkeit, auf der anderen findet man die Fremde. Und dabei spielt es keine Rolle, ob die Auswanderung freiwillig erfolgte oder durch ein hartes Schicksal aufgezwungen wurde. Die neue Situation bringt immer Frustrationen mit sich.

Zunächst kommt der Entschluss, das Heimatland zu verlassen. Danach haben wir die Wahl, entweder Fremder zu bleiben oder über die „zweite Grenze“ zu gehen, also die Außenseiterrolle zu verlassen und uns in die neue Gesellschaft zu integrieren.

Der Weg hin zu dieser zweiten Grenze ist lang und mühsam. Wichtig ist dabei, dass wir ihn wirklich gehen wollen. Obschon wir dabei nicht alleine sind, sind wir in gewisser Weise immer einsam. Die größten Hindernisse auf diesem Weg sind unsere Gewohnheiten, Vorurteile und Bequemlichkeit. Erst wenn wir über diese Hindernisse hinweggekommen sind, wissen wir, dass wir die zweite Grenze passiert haben. Vieles wird auf dieser Reise gelernt –

Das Wichtigste, was man lernen kann, ist sich selbst kennenzulernen.

Integration handelt nicht nur von sozioökonomischen Problemen sondern auch von soziokulturellen Fragen und muss von beiden Seiten kommen. Das Individuum muss sich integrieren wollen und die Gesellschaft muss die Voraussetzungen schaffen, damit dies möglich werden kann.

Ayaan Hirsi Ali5

DIE VERANTWORTUNG DER GESELLSCHAFT

Wenn wir in einer paradiesisch offenen und konfliktlosen Gesellschaft leben würden, wäre dieses Buch überflüssig. Ebenso im entgegengesetzten Fall, also wenn jene Gesellschaft nie irgendeinen Fremden über die Schwelle kommen ließe. Nun ist das aber nicht so. Ein Paradies auf Erden gibt es nicht und ebenso wenig gibt es hermetisch abgeschlossene Länder.

Ich möchte in diesem Buch über unsere Rolle und unsere Verantwortung als Einwanderer schreiben, und darüber, was wir tun können, um die Tür von unserer Seite aus offen zu halten. Aber ein einzelner Einwanderer vermag wenig und selbst der stärkste ist schwach, wenn die Gesellschaft nicht mithilft und alles tut, um ihre Türen zu öffnen. In einer Demokratie ist es die Pflicht der Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass alle Menschen, die innerhalb der Landesgrenzen wohnen, ihren angemessenen Platz darin finden.

Der Forscher Ronald Taft schreibt in seinem Buch From Stranger to Citizen (Vom Fremden zum Bürger), dass die Einstellung der Einwanderer zu Australien und der Bevölkerung des Landes in hohem Grade darauf beruhte, wie sie bei der Ankunft behandelt wurden.6 Gruppen, die diskriminiert wurden, schlossen sich schnell in ihren nationalen Gruppen zusammen und isolierten sich von der Gesellschaft.7 Die Gruppen, vor allem Briten, die von der Umgebung freundlich empfangen wurden, kamen schnell in die Gesellschaft hinein. Das Erleben von Vorurteilen und Diskriminierung spielte für die Anpassung der Einwanderer eine wichtige Rolle.

Kurz gesagt: Freundlichkeit bringt Freundlichkeit hervor.

Fremdenfeindliche Gruppen gibt es in jedem Land. Ob sie größer oder kleiner sind, hängt in hohem Maße von denen ab, die steuern und Macht haben und wie sie in diesen Fragen agieren. Das bedeutet, der gesellschaftliche Zerfall beginnt immer bei der Führungsspitze. Das polnische Sprichwort lautet: „Der Fisch verdirbt am Kopf zuerst“. Und das ist tatsächlich wissenschaftlich belegt. Professor Freda Hawkins von der Universität in Warwick stellt fest:

„… in Ländern, in denen Regierungsmitglieder und andere Verwaltungsvertreter sich öffentlich negativ über Einwanderer äußerten, waren Vorurteile und Diskriminierung gegenüber Einwanderern weit üblicher als in anderen Ländern.“ 8

Der Mensch hat ein Grundbedürfnis, dazuzugehören, Teil eines größeren Ganzen zu sein. Wenn er nicht „einbezogen“ wird, wird er daher andere Alternativen suchen und zur Gesellschaft auf Abstand gehen. Das kann dazu führen, dass die nachfolgende Generation sich in dem Land, in dem sie aufgewachsen ist, fremd fühlt. Deshalb liegt es im Interesse der Gesellschaft, eine möglichst große Offenheit zu schaffen. Es ist leicht, Menschen auszustoßen, aber schwer – um nicht zu sagen unmöglich – mit den Konsequenzen zu leben.

Politiker, die nicht aktiv mithelfen, eine für alle Einwanderer, gleich welcher Herkunft, offene Gesellschaft zu schaffen, laden sich schwere Verantwortung auf. Die Folgen können verhängnisvoll sein. Wir können bereits jetzt die Ergebnisse einer solchen Politik sowohl in Europa wie auch in der übrigen Welt sehen: Enklaven isolierter Ausländer, die außerhalb leben, oft in Konflikt mit der Gesellschaft oder untereinander. Ghettobildung, Rassismus, Arbeitslosigkeit und Kriminalität sind die Konsequenzen.

Die Geschichte zeigt, dass es viel Geld und Zeit kostet, Diskriminierung und Separatismus einzuschränken. Das deutlichste Beispiel sind die Schwarzen in den USA, die von der weißen Bevölkerung diskriminiert und ausgegrenzt wurden. Das führte u. a. zu Ghetto-Bildung, Armut und Kriminalität. Obwohl die offizielle Diskriminierung aus den Gesetzestexten verschwand, ist der Weg heraus aus dieser Misere für die Betroffenen lang und mühsam. Die Menschheit ist nicht immer edel. Einer öffentlichen Diskriminierung folgen oft volkstümliche Vorurteile. Dann braucht es eine lange Zeit, wenn es überhaupt geht, die negativen Stempel, die einer Gruppe aufgedrückt wurden, wieder zu beseitigen.

Die heutige Gesellschaft, insbesondere die Führungsriege, muss erkennen, dass die Zeiten für begrenztes nationales Denken vorbei sind. Wir müssen den Begriff „national“ umdefinieren und ausweiten. Veränderungen dieser Art sind in der Geschichte immer wieder vorgekommen, aber in unserer Zeit geschieht dies schneller denn je. Nationalstaaten werden in allen Bereichen jetzt schon und künftig immer stärker von Einwanderern und in neuester Zeit von Flüchtlingen aus vielen Ländern der Welt beeinflusst.

Es gilt, die häufig noch abwartende Einstellung gegenüber Einwanderern zu ändern und aktiv zu beginnen, die hier geballt auftretenden dynamischen Kräfte von Zuwanderern in die richtigen Bahnen zu lenken und somit positiv zu nutzen.

Der Prozess lief schon lange, er hat alle Handlungen und Gefühle gefärbt, lange bevor man sich der Entscheidung [auszuwandern] bewusst war.

Theodor Kallifatides9

WESHALB MANCHE IHRE HEIMAT VERLASSEN

Als der Vulkan Mt. Saint Helens an der Westküste der USA im Jahr 1980 einen Ausbruch hatte, wollten Rettungskräfte die Menschen aus dem Gefahrenbereich des Vulkans evakuieren. Trotz der drohenden Gefahr weigerten sich einige, mit den Rettungshubschraubern weg zu fliegen. Stattdessen wollten sie bleiben in der Hoffnung, die Gefahr würde sich verziehen. Das Wunder blieb aus und sie wurden unter der Asche begraben.

Überall auf der Welt gibt es Menschen, die meinen, ihre Heimat und ihr Land nicht verlassen zu können. Andere brechen schon bei der ersten Andeutung von Gefahr oder Unannehmlichkeiten auf. Wieder andere verlassen ihr Land anscheinend ohne jeden ersichtlichen Grund.

Manche sind jedoch der Auffassung, dass es immer einen Grund gibt. Sie meinen, dass es stets etwas im Hintergrund eines Auswanderers gibt, das ihn von zuhause wegtreibt. Das heißt, man reist nicht irgendwo hin sondern im Gegenteil von etwas weg.

Die Schriftstellerin Rita Tornborg schreibt:

Es spielt keine Rolle, ob der Einwanderer sein Land abrupt verlässt, wegen Krieg oder anderer Katastrophen, oder ob er den Beschluss nach reiflicher Abwägung selbst gefasst hat. Die Freiwilligkeit ist nur scheinbar. Auch in dem letzteren Fall gibt es im Hintergrund immer Verhältnisse, in die sich Menschen nicht einfinden wollen, die sie nicht beeinflussen können. 10

Vielleicht ist es so, dass es immer mehr oder minder starke Gründe gibt, das Heimatland zu verlassen. Das kann die Sehnsucht sein, dem alltäglichen Trott, den erdrückenden Familienbanden, traditionellen Gesellschaftsstrukturen, wirtschaftlicher Hoffnungslosigkeit oder politischer Unterdrückung zu entkommen. Ohne diese Sehnsucht wären manche Bande schwer zu trennen. Ich habe oft darüber nachgedacht, weshalb keiner meiner Jugendfreunde versuchte, Polen zu verlassen. Sie waren von dem politischen Terror ja genauso betroffen wie ich. Als ich sie danach fragte, sagten sie, dass sie ihr Land niemals verlassen, selbst dann nicht, wenn sie die Möglichkeit dazu gehabt hätten. Manchmal kann der Traum von einem anderen Leben schon von Kindesbeinen an vorhanden sein. Ich selbst erinnere mich, dass ich bereits in meinen frühen Teenager-Jahren die Idee hatte, fortziehen zu wollen. Das war weniger ein Fluchtplan als vielmehr ein diffuser Traum.

Der Schriftsteller Theodor Kallifatides, der als 26-jähriger Griechenland während der Militärdiktatur verließ, schreibt, dass er vielleicht schon als 13-jähriger seine Auswanderung ins Auge gefasst hatte:

Wusste ich etwa schon damals, dass ich eines Tages aufbrechen würde, um fremden Häfen entgegen zu fahren? Das ist nicht unwahrscheinlich, da ich schon sehr früh die Lust oder den Traum hatte, das Land zu verlassen, einen Stein hinter mich zu werfen und den Staub des Heimatlandes von meinen Schuhen zu wischen. Einige von uns werden geboren, um fort zu ziehen. Ich war eindeutig so einer. 11

Die Ursache könnte sein, dass die Umgebung als allzu einengend empfunden wird. Der gesellschaftliche Rahmen und die überlieferten Traditionen können für die Entwicklung der eigenen Person zu dem, was man eigentlich meint, sein zu können, als hinderlich empfunden werden.

Dies wird deutlich am Beispiel der Japanerin, die seit 12 Jahren in Polen wohnt und erzählt, dass sie sich in Japan immer als Rebellin empfunden hat. Sie hatte ihr Leben lang Schwierigkeiten, sich in die Begrenzungen einzufinden, die die japanische Gesellschaft Frauen aufzwingt. Als ihre Kinder erwachsen waren, trennte sie sich von ihrem Mann und verließ die Familie und das Land:

… fest entschlossen, ein neues Leben zu beginnen. […] Ich begriff, dass ich zum Bleiben mehr Kraft brauchen würde, als zum Fortgehen. 12

Nicht selten handelt es sich um eine Befreiung von den Eltern, die immer noch die Kontrolle ausüben. Eine junge Frau aus Venezuela sagte kurze Zeit nach ihrer Ankunft in Schweden: „Wenn ich überleben wollte, war ich gezwungen, mindestens ein oder zwei Kontinente zwischen mich und meine Mutter zu bringen.“

Was man hinter sich lassen möchte, ist das Negative, das hinderlich ist für die eigene Entwicklung zu dem, was man gerne werden möchte. Es wird häufig nach Möglichkeiten gesucht, seine Träume zu verwirklichen. Die Medaille hat sozusagen zwei Seiten: Einerseits das, was ich verlassen und andererseits das, was ich erreichen will. Manchmal ist man sich über die beiden Seiten im Klaren, manchmal nicht.

Der herausragende ugandische Verfasser Moses Isegava beschreibt diese beiden Seiten:

Seit den 1980er Jahren und danach wusste ich mit Sicherheit, dass ich früher oder später Uganda verlassen musste. Das Gefühl wuchs langsam aber sicher, zum Schluss beherrschte es mich rein physisch. Ich wollte neue Horizonte entdecken, mich selbst ausprobieren, um zu sehen, ob ich es schaffen würde, ein Buch zu schreiben. Ich sehnte mich nach einem Platz, der alles war, was mein berechenbares Uganda nicht war, ein Platz, wo ich meine Flügel entwickeln und fliegen könnte, um eine andere Art des Lebens und Daseins zu entdecken. Ich sehnte mich nach einem Platz, wo niemand mich kannte … 13

Heutzutage verlassen viele junge Menschen ihre Heimat für eine kürzere oder längere Zeit. Eine neue Welt hat sich geöffnet, mit neuen Kontinenten, wo man sich niederlassen kann. In dem neuen Europa mit den Möglichkeiten der Freizügigkeit, verändert sich die Gestalt der Emigration, zumindest äußerlich.

Es ist die Frage, weshalb einige Menschen ihre Heimat verlassen, obwohl sie in florierenden, freien, demokratischen Ländern wohnen.

Zwei schwedische Journalistinnen, Lisa Irenius und Madelaine Levy, haben junge Schweden im Alter von 20 bis 30 Jahren in Paris, London, Barcelona, Berlin und anderen Städten beobachtet. Sie stellten fest, dass nicht in erster Linie die Hoffnung auf wirtschaftlichen Profit diese jungen Leute dazu bewegt hatte, sich in anderen Ländern niederzulassen. Vielmehr lebten viele im Ausland in ganz miserablen Verhältnissen und hatten es wirtschaftlich deutlich schlechter, als sie es in Schweden gehabt hätten. Stattdessen lagen hauptsächlich persönliche und gefühlsmäßige Ursachen hinter der Emigration. Sie hatten auch jenen Traum von einem wunderbaren Leben:

Viele von denen, die außer Landes zogen, wirkten wie von einer bemerkenswert starken Kraft getrieben – der Vision von dem perfekten Leben in der Stadt der Träume. […] Die Stadt, in der du aufgewachsen bist, ist befleckt mit peinlichen und glanzlosen Teenager-Erinnerungen. Demgegenüber verspricht die ausländische Metropole, von der du immer geträumt hast, ein ganz anderes Leben. 14

Der Wunsch, eine neue Gemeinschaft zu finden, ist ebenfalls eine Triebkraft für einen Teil dieser jungen Menschen. Hinter der Emigration steht vielleicht die Trennung der Eltern oder der Freundeskreis, in den man glaubte, nie richtig hineingepasst zu haben.

Den Verfassern zufolge, ist es der Traum, sich andere und bessere soziale Beziehungen als in der Heimat zu schaffen:

Und wenn das nicht geht, so lässt sich ein Leben als Außenseiter im Ausland auf jeden Fall legitimer und angenehmer leben, als ein Außenseiterleben daheim in Schweden. 15

Die Fremdheit der zweiten Generation

Ich bin oft Menschen begegnet, die in einem anderen als dem Heimatland der Eltern aufgewachsen sind. Einige von ihnen habe ich als Emigranten in anderen Ländern getroffen. Zu Beginn der 1970er Jahre arbeitete ich in Saudi-Arabien. Dort traf ich viele Holländer, Briten, Franzosen und Italiener, die in den ehemaligen Kolonien in Afrika und Asien aufgewachsen waren. Einen Teil ihrer Ausbildung hatten sie in der Heimat der Eltern bekommen. Dort hatten sie es meist schwer gehabt, sich zurecht zu finden. Gleichzeitig war der Rückzug in das Land, in dem sie aufgewachsen waren, nicht möglich. Diesen Menschen war gemeinsam, dass sie sich in ganz anderen Ländern niederließen, für kürzere oder längere Zeit.

Manchmal kann die Idealisierung des Heimatlandes durch die Eltern dazu führen, dass sich die Kinder schwertun, sich in dem neuen Land zu verwurzeln. Der schwedische Schriftsteller Zbigniew Kuklarz (Pseudonym) schreibt in seinem autobiografischen Buch, wie er in einer polnischen Familie in Schweden aufgewachsen ist mit starken Verbindungen zum Heimatland, wo man gerne das Polnische für kostbarer als das Schwedische glorifizierte. Das schaffte in ihm einen Konflikt, als er sich, wie alle Kinder, mit der ihn umgebenden schwedischen Gesellschaft identifizieren wollte. Diesen Interessenkonflikt trug er bis weit hinein ins Erwachsenenalter. Das erste Mal, dass er einen Platz fand, wo er sich selbst innerhalb und normal fühlte, war, als er in San Francisco arbeitete.

Zwischen Chinesen, Mexikanern, Schwulen und Hippies. Da waren alle anders und ich nur einer in der Menge. […] Ein unglaublich behagliches Gefühl, einzuschmelzen.[…] Nicht eine einzige verdammte heile Identität. 16

Während meines Lebens habe ich viele Menschen wie Zbigniew getroffen. In ihrer Suche nach einer Identität wählen sie ein drittes Land; nicht das, in dem sie aufgewachsen sind, und auch nicht das Heimatland der Eltern.

Nicht immer ist die Ansiedlung in einem dritten Land die Lösung für einen solchen Konflikt. Matti wählte eine andere, originellere Art. Er war 15 Jahre alt, als seine Familie von Finnland nach Schweden umzog. Als er 20 Jahre alt war, brach er begeistert auf, um dem Einberufungsbefehl zum Militärdienst in Finnland Folge zu leisten. Er hasste Schweden und die Schweden. Unter dem Einfluss seiner Eltern und der finnischen Siedlung war er von Finnlands heroischer Geschichte stark beeindruckt.

Nun sollte er seine Pflicht tun für das Heimatland und danach für immer dortbleiben, aber:

„Das Verhalten der Offiziere mir gegenüber war, 'den verdammten Schweden da hinauszudrängen'. Der Autoritätsglaube, der in der finnischen Armee herrschte und von dem ich in Schweden verschont geblieben war, bewirkte, dass ich nach Abschluss der Wehrpflicht nach Schweden zurückkam. Obwohl diese Erlebnisse negativ waren, bewirkten sie, dass ich die Welt nuancierter zu sehen begann. Dies trug auch dazu bei, dass ich so allmählich meine innere Balance zwischen dem Finnischen und dem Schwedischen fand.“

Nach ein paar Jahren beschloss er, nach Australien auszuwandern. Als er gerade das Visum beantragt, Reisetickets gebucht und die Eigentumswohnung verkauft hatte, begegnete ihm Maria, ein Mädchen aus Spanien. Er heiratete sie und sie lebten glücklich in Schweden. „Ihr Spanischsein war meine Emigration.“

Motive für den Umzug

Die Frage ist, ob es immer etwas im persönlichen Hintergrund geben muss, das bewirkt, dass man umzieht. Ich glaube das nicht. Nicht für den Deportierten, nicht für den Vertriebenen, für den Flüchtling und Emigranten und auch nicht für den, dessen einzige Überlebenschance darin bestand, die Heimat zu verlassen. Auch nicht für diejenigen, meistens Frauen und natürlich Kinder, die kaum eine Wahl haben, wenn ihr Partner oder ihre Eltern auswandern. Aber wie ist das mit uns anderen?

Man wünscht sich vielleicht, dass es ausschließlich rationale, vernünftige Ursachen für einen Umzug gibt. Aber wenn dem nicht so ist? Es gibt viele verschiedene Motive dafür, zu emigrieren, sowohl gefühlsmäßige als auch äußere Gründe.

Ein kosovo-albanischer Flüchtling fragt:

Weshalb man geflohen ist, kann man nicht mit Worten beschreiben. Reicht es nicht damit: Dass man sein Leben verlassen hat? 17

Sollten wir uns damit zufriedengeben? Oder sollten wir doch versuchen, Worte dafür zu finden? Auf jeden Fall kann es hilfreich sein, über die Hintergründe und verschiedenen Motive für einen Umzug zu reflektieren.

Der Kluge passe sich, im Schmuck des Geistes wie des Leibes, der Gegenwart an, wenngleich ihm die Vergangenheit besser schiene. Bloß von der Güte des Herzens gilt diese Lebensregel nicht; denn zu jeder Zeit soll man die Tugend üben.

Baltasar Gracián18

ANDERE LÄNDER, ANDERE SITTEN

Wenn ich in Polen zu Besuch war, wurde ich oft über das Leben im Westen befragt. Besonders in den 1980er Jahren, vor dem Fall der Mauer. Die Menschen waren des Kommunismus' überdrüssig, es fehlte ihnen an Zukunftsvertrauen und sie wollten das Land verlassen. Ich antwortete so aufrichtig wie möglich, sowohl was ich positiv fand, als auch zu den Anpassungsschwierigkeiten. Überlegen lächelnd antworteten mir die Leute ausnahmslos, dass es selbstverständlich wichtig sei, sich den regionalen Gebräuchen anzupassen. Die Anpassung an die Normen des Gastlandes wurde als etwas Selbstverständliches und Unproblematisches angesehen.

Den Ausdruck Andere Länder, andere Sitten gibt es, glaube ich, in jeder Sprache. Das zeigt, dass die Regel, dass auf die Sitten und Gebräuche des Gastlandes Rücksicht genommen werden muss, allgemeingültig ist.

Das Interessante ist, dass die optimistische und positive Einstellung zu Andere Länder andere Sitten sich verändert, wenn man eine Zeit lang in dem neuen Land gewohnt hat.

Was ist es, das da auf dem Weg von der Auswanderung zur Einwanderung geschieht? Weshalb verschwindet die positive Einstellung, und verschwindet sie für immer oder kommt sie zurück? Die Schwierigkeiten, damit im Alltag zurecht zu kommen, sind für viele kaum zu bewältigen. Und das nicht ohne Grund.

399
469,75 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
Объем:
190 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783969405185
Переводчик:
Издатель:
Правообладатель:
Автор
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают