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Schweres Gerät wurde durch ukrainische Chartermaschinen des Typs Antonov und Ilyushin transportiert, da die Luftwaffe keine eigenen Großraumtransporter hatte.

Die Zeit bis zum Einsatz verging sehr schnell und der Tag des Abflugs nach Afghanistan kam immer näher. Dieses Mal flogen wir nicht von Köln, sondern aus Stuttgart ab, weil die meisten Soldaten des 8. Deutschen Einsatzkontingentes aus dem süddeutschen Raum kamen. Meine damalige Frau und mein Sohn brachten mich zum Flughafen und blieben solange bei mir, bis ich eingecheckt hatte. Trotz des Abschieds hatten wir alle gute Laune, obwohl wir wussten, dass wir jetzt fast sechs Monate voneinander getrennt sein werden. Marco mit seinen sieben Jahren fand es großartig, so viele Soldaten in coolen Uniformen zu sehen. Ganz begeistert ließ er sich mit mir und anderen Kameraden fotografieren. Er tobte mit Thomas und Rainer, meinen beiden Unterstützern herum. Marco kannte sie bereits von gemeinsamen Treffen in der Vorbereitung für den Einsatz.

Es war schon ein komisches Gefühl, die Familie allein zu lassen. Ich war die nächsten Wochen weit entfernt und würde nicht für sie da sein können. Im Vordergrund stand nun zuerst einmal der Einsatz, erst am Abend kamen die Gedanken an die Familie zurück. Ich hatte mich für den Einsatz trotz aller Gefahren und Entbehrungen entschieden, weil ich es als meine Pflicht und Verantwortung meinem Land gegenüber ansah, einem bedrohten Land und besonders den Menschen dort zu helfen. Ich weiß nicht, ob es den anderen Kameraden genauso erging wie mir oder ob sie sich in diesem Moment anders fühlten.

Kurz vor dem Check-In verabschiedete ich mich von meiner Frau und meinem Sohnemann. Es war eigentlich, als ob ich mit meinen Kumpels in den Urlaub flog, was ich bis dahin zwar noch nie gemacht hatte, aber wie ich es mir so vorstellte. Komisch irgendwie… Weniger hatte ich das Gefühl, dass ich mit Kameraden in den Einsatz zog und durchaus auch die Möglichkeit bestand, dass ich nicht wieder lebend zurückkehren würde.

Ich brachte meine Kiste und meinen Seesack zum Check-In Schalter, um sie aufzugeben. Der freundliche Mitarbeiter des Bodenpersonals bot mir einen guten Platz im Flugzeug an, woraufhin er die Bordkarten ausstellte. Im Wartesaal vor dem Boarding konnte man auf das Flugfeld hinausblicken. Es regnete ununterbrochen, aber das hat unserer guten Laune keinen Abbruch getan.

Dann ist es soweit. Das Boarding hat begonnen, wir fahren mit dem Shuttle-Bus zum Flugzeug. Im Airbus setze ich mich gleich an meinen Fensterplatz, an dem ich auch meine langen Beine schön bequem ausstrecken kann. Als ich aus dem Fenster schaue, regnet es immer noch wie aus Kübeln. Zur gleichen Zeit in Kunduz sind es bestimmt 45 Grad im Schatten, also Sonne pur. Ich kann aber nur daran denken, dass jetzt mein Einsatz beginnt. Morgen werde ich bereits wieder in Kunduz sein, mich mit Christian am Abend über den Tag unterhalten und mit meinen Kameraden versuchen, den Menschen in Afghanistan ein besseres Leben zu ermöglichen.

Nach all der Vorbereitung, den Übungen geht es also endlich los Richtung Afghanistan. Ich mache es mir erst einmal gemütlich und schaue dabei zu, wie sich der Flieger füllt. Die Maschine fährt langsam über das Rollfeld in Richtung Startposition. Ich merke, wie Ruhe einkehrt. Alle Kameraden sitzen auf ihren Plätzen. Die einen setzen ihre Kopfhörer auf und hören Musik, die anderen machen mit ihren Handys oder Fotoapparaten noch ein paar Aufnahmen von sich und den Kameraden. Alle sind entspannt. Wir starten pünktlich.

Was ich in diesem Moment noch nicht weiß ist, dass mein Freund und Kamerad Christian an diesem Tag durch einen tragischen Unfall ums Leben kommen wird. Zu der Zeit, als das Unglück geschieht, sitze ich im Flieger und überquere gerade Polen in Richtung Russland bei strahlendem Sonnenschein. Und keiner denkt daran, dass an einem so schönen Tag zwei Kameraden sterben werden.

Wir landen gegen 22 Uhr 30 Uhr in Termez. Für die wenigen Stunden, die wir hier bis zum Weiterflug nach Kunduz verbringen, bekommt jeder ein paar warme Würstchen und Tee zur Stärkung und dann ein Feldbett in einem Zelt zugewiesen.

Am anderen Morgen um 4 Uhr geht es weiter. Es ist noch dunkel, als wir von der Startbahn abheben, doch bereits eine Stunde später schießen wir fast senkrecht durch eine Wolkenlücke auf den Airport Kunduz zu. Dazu muss gesagt werden, dass in Afghanistan die Piloten nach Sicht mit Karte und Kompass fliegen müssen, sodass derartige Flugmanöver nicht unüblich sind. So werden wir an diesem Morgen von einem Augenblick auf den anderen aus dem Schlaf gerissen.

Nach der Landung lacht uns die Sonne an, doch die Hitze ist fast schon unerträglich. Ein Gefühl, als wenn man ein Brett vor den Kopf geschlagen bekommt.

Nun bin ich zurück in Kunduz. Wie schon sechs Wochen zuvor werden wir mit den Mungos und Jeeps abgeholt und ins Lager gebracht. Später stellt sich mir die Frage, wie man sich in ein Land verlieben kann, das man ja eigentlich noch gar nicht kennt. Es ist ja nicht so, als wenn ich mal kurz in die Schweiz in die Berge fahre und mich dort in die schöne Landschaft verliebe. Doch dieses Land übt einen Zauber auf mich aus, dem ich mich nicht entziehen kann. Die Menschen, die Umgebung, die exotischen Gerüche auf den Märkten, ja sogar die Hitze ist eine Mischung, der ich sehr schnell verfallen bin. Besonders fasziniert mich der Wechsel der Tageszeiten. Gerade war es noch dunkel und innerhalb kürzester Zeit steigt die Sonne am Himmel auf. Es fühlt sich an, als würde jemand einen Schalter umlegen und das Licht anschalten. Auch die Freundlichkeit der Menschen und ihre grenzenlose Gastfreundschaft beeindrucken mich sehr.

Angekommen im Lager werden wir wie üblich am Marktplatz empfangen, aber diesmal ist etwas anders als sechs Wochen zuvor.

Der Spieß und der Kompaniechef der Vorgänger holen uns ab und bringen uns zu unseren vorläufigen Unterkünften. Es ist so üblich, dass man so lange im Zelt lebt, bis der Vorgänger- Dienstposten das Lager verlässt. Erst dann zieht man in die permanente Unterkunft um. Etwas später holen wir unser Gepäck beim Luftumschlagszug ab, der sich am anderen Ende des Lagers befindet. Ich habe ja auch noch meine Kiste und den Seesack dabei und muss deshalb kurz die Hilfe eines Kameraden in Anspruch nehmen.

Das Lager befindet sich auf einer großen Obstplantage; das heißt, wir haben auf dem Gelände Bäume mit vielen verschiedenen Arten von Früchten: Zitronen, Orangen und Feigen, deren Bewässerung durch Gräben aufrechterhalten wird. Man fühlt sich fast wie im Urlaub. Gemeinsam mit meinen Kameraden trage ich meine Kiste, den Seesack und den Rucksack in das Zelt, in dem ich die nächsten 14 Tage verbringen werde.

Durch die kurze Nacht und den langen Flug am Vortag sind wir alle sehr erschöpft. Das Einzige, was ich am Rande wahrnehme, sind die Flaggen, die alle auf Halbmast gesetzt sind. Das bringt mich aber in diesem Moment nicht wirklich aus der Fassung, denn auch gefallene Kameraden aus anderen Nationen werden auf diese Art geehrt. Ich habe meinen Kopf schon bei der Einschleusung, einer Prozedur, die jeder Soldat bei seiner Ankunft durchlaufen muss. Man bekommt die dafür vorgesehenen Papiere an die Hand, in denen der Empfang der Splitterschutzweste der Pistole, dem G 36 und ein Waffenreinigungsgerät sowie die Munition zu jeder Waffe im Detail festgehalten werden. Zudem gibt es Bettwäsche, zwei Wäschesäcke, Erste-Hilfe-Ausstattung, zwei Morphin-Spritzen, die jeder Soldat immer am Mann haben muss, falls ihm außerhalb des Lagers was passieren würde, sei es bei einem Anschlag eines Selbstmordattentäters, bei einem Verkehrsunfall oder bei einem Schusswechsel mit aufständischen Gruppierungen. Zur Schmerzlinderung werden dann die Morphin-Spritzen des verwundeten Kameraden genommen und durch einen Kameraden ihm in den Oberschenkel gespritzt. Außerdem gab es noch weitere Ausrüstungsgegenstände, die man für die Zeit im Lande benötigt.

Natürlich muss ich mich auch noch einmal vom Truppenarzt im Lager untersuchen lassen. Ein kurzer Ist-Check bestätigt auf diese Weise die derzeitige Gesundheitslage des Soldaten.

Spät am Nachmittag habe ich etwas Leerlauf und gehe hinüber zur Schutzkompanie, um zu schauen, ob Christian da ist. Ich gehe ins Kompaniezelt und frage den nächsten Kameraden, der auf mich zukommt, ob er weiß, wo sich Christian aufhält. Der Geschäftszimmer-Soldat schaut mich ganz verwundert an und sagt im ersten Augenblick gar nichts. Er zeigt nur stumm auf einen Bilderrahmen mit einer schwarzen Schärpe, in dem sich das Bild von Christian befindet. In diesem Augenblick denke ich nur: „Will der mich verarschen?“ Das wäre aber ein makabrer Scherz. Doch der Soldat nickt nur und erzählt dann, dass Christian vorgestern bei dem Unglück mit den Munitions-LKWs in Rustak ums Leben gekommen ist.

In diesem Moment bin ich sprachlos – gefühllos – leer.

Ich kann es nicht glauben. Christian soll nicht mehr da sein? Keine gemeinsamen Gespräche mehr, keine abendlichen Treffen vor dem Betreuungszelt? Zusammen etwas trinken oder nur vor dem Zelt in den afghanischen Nachthimmel, schauen und den riesigen Grillen zuhören. Das alles soll es nicht mehr geben?

Um hier geistig und körperlich gesund zu bleiben, muss jeder für sich einen Weg finden, mit den Verlusten fertig zu werden. Daher geht für mich jetzt der Einsatz erst einmal weiter, die Trauerarbeit wird auf später verschoben. Jetzt heißt es, die Konzentration auf die vor mir liegende Arbeit zu richten.

Ich verabschiede mich und gehe auf direktem Weg in meine Unterkunft, um das Erfahrene zu verarbeiten. Erst dort kommt zum ersten Mal in meiner Zeit als Soldat das Gefühl von Angst und Hilflosigkeit in mir auf. Ich kann es nicht länger verbergen und die ersten Tränen fließen.

Ich bin allein im Zelt. Nach einiger Zeit reibe ich mir die Tränen aus den Augen und richte meine Unterlagen zusammen.

Eine Stunde später treffe ich mich mit meinem Chef im Betreuungszelt. Wir gehen einige Punkte durch wegen der Übergabe der Dienstgeschäfte mit dem Vorgängerkontingent. Ich habe in der Zeit, als wir uns über die Dienstgeschäfte unterhielten, kein Wort über den Tod von Christian über meine Lippen gebracht. Ich kann nicht, weil ich immer noch nicht glauben kann, dass er tot ist. Irgendwie kann ich das alles noch nicht richtig begreifen. Er ist der zweite Mensch in meinem Leben, den ich verloren habe, ohne dass ich dabei sein konnte oder dabei war. Zuerst meine Großmutter, mit der ich sehr eng verbunden war. Auch bei ihrem Tod konnte ich nicht bei ihr sein. Und jetzt war auch Christian gestorben, ohne dass ich mich verabschieden konnte. Wie viele Kameraden und Freunde werde ich noch verlieren?

Trauer schon in den ersten Stunden

5 Lagerleben

I

n den kommenden Wochen werden wir von den Vorgängern die Dienstgeschäfte übernehmen. Meine Hauptaufgabe ist bei diesem Einsatz die Versorgung, Umschlag und Beschaffung von Versorgungsgütern. Nebenbei aber auch die Führung der Versorgungsdienste als Truppenversorgungsbearbeiter. Diese Aufgabe, werde ich zum größten Teil vom Schreibtisch ausführen.

Ich habe auch die Verantwortung für das Personal und führe Dienstaufsicht in den Teileinheiten durch. Das bedeutet, ich löse Probleme, die mit Material und Personal zu tun haben. Was die Materialbeschaffung angeht, da halten wir uns an die Abläufe, die das Vorgängerkontingent praktiziert hat. Deren Struktur hat uns überzeugt,

Im Bereich Betriebsstoffe wie zum Beispiel beim Diesel, werden wir einige Veränderungen im Beschaffungsbereich, der Lagerung als auch beim Verteilen an die ganzen Außen-Stellen Änderungen im Ablauf vornehmen müssen. Wir haben in den aktuellen Unterlagen Differenzen bemerkt, die Mengen an Betriebsstoff stimmte nicht mit den in den Büchern angegebenen Mengen überein. Es gibt Ungenauigkeiten zu klären. Dieses Problem setzen wir auf unserer Agenda an erste Stelle.

In dieser Zeit lerne ich auch einen Oberstleutnant der Civil Military Cooperation – CIMIC – kennen, sein Name war Armin. Er ist nur für ein paar Wochen von Kabul nach Kunduz versetzt worden, um eine Urlaubsvertretung für einen Kameraden von CIMIC zu übernehmen. Gleich am ersten Tag, als wir uns im Lager treffen, verstehen wir uns sehr gut, sind sozusagen auf der gleichen Wellenlänge. Armin ist auch ein Reservist wie ich und wir stellen schnell fest, dass wir zu Hause sogar im gleichen Bataillon stationiert sind. Ich habe bei Armin das gleiche Gefühl, wie zuvor bei Christian. Wir verstehen uns von Anfang an super.

Da Armin tagsüber seinen Job außerhalb des Lagers macht und ich ausschließlich im Lager meinen Tätigkeiten nachgehe, treffen wir uns meistens am Abend im Betreuungszelt. Wir trinken und reden darüber, was der Tag so gebracht hat. Armin hat einen interessanten Job bei CIMIC und ich verstehe sehr schnell, was seine Hauptaufgaben dort sind und wofür wir eigentlich hier in Afghanistan stationiert sind. Nämlich, um der Bevölkerung mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Von Armin erfahre ich, wo unsere Außenposten liegen und damit auch, wo die Stromaggregate in Betrieb genommen wurden, die ebenfalls mit unserem Diesel betankt werden. Ich vereinbare mit Armin, dass wir zusammen zu den Außenlagern fahren, damit ich mir vor Ort ein Bild machen kann. Das wird mein erster Außeneinsatz.

Wenn man mit einem Fahrzeug das Lager verlassen will, braucht man einen Fahrauftrag mit genauer Wegbeschreibung und Zweck der Fahrt. Das ist wichtig, damit man jederzeit weiß, wo sich die Fahrzeuge mit welcher Besatzung aufhalten. Hierzu muss man sich stündlich bei der Operationszentrale per Funk melden. Armin ist mit seinem eigenen Dienstauto; einem Fahrer und zwei Sicherungssoldaten und einem Sprachmittler unterwegs, einem Afghanen mit guten Englisch-Kenntnissen, der sicherheitstechnisch überprüft wurde. Ich kann mich als zweites Fahrzeug ohne Probleme in die Kolonne einklinken. Bevor wir das Lager verlassen, besprechen wir ausführlich den Streckenplan. Als erstes Ziel wird das Außenlager in Aliabad festgesetzt, wo die Bundeswehr mit der afghanischen Polizei zusammenarbeitet. An diesem Ort wird bereits das erste Notstrom-Aggregat betrieben. Danach soll der Weg weiter nach Pol-e-Khomri zu einer Druckerei gehen, in der die Flyer für die in nächster Zukunft folgenden Wahlen des neuen afghanischen Parlaments gedruckt werden sollen. Von dort aus werden wir wieder in Richtung Kunduz zurückkehren.

Am nächsten Morgen machen wir uns zur Abfahrt bereit. Ich ziehe meine Schutzweste über, setze den Helm auf, lade meine Kurz- und Langwaffen und sichere sie, überprüfe mein Handfunkgerät auf Funktion, dann geht’s los. Die afghanische Lagerwache öffnet uns das Tor und wir fahren aus dem Lager Richtung Hauptstraße. Die Schlaglöcher der Nebenstraße sind so groß wie LKW-Reifen, man muss sie vorsichtig umfahren, damit wir die Hauptstraße (Airport-Route) erreichen. Die Straßen sind hier sehr belebt, mit vielen Autos wie man jetzt denken könnte. Nein, es sind hauptsächlich Eselwagen voll mit Mörtel, der zum Bau von Häusern und Hütten verwendet wird. Kleine Kinder spielen am Straßenrand in den Schlaglöchern, die sich mit Regenwasser gefüllt haben. In diesem Moment schießt mir ein etwas ironischer Gedanke durch den Kopf: „Wow, cooles Freibad!“, Im gleichen Moment „Wie schade es für diese Kinder ist, dass sie keine schöneren Spielplätze haben“. Andere Kinder wiederum spielen an einer Mauer mit kaputten Holzspielzeugen, einem Roller, Holzpferd mit Wagen wie zu meiner Kinderzeit.

Die Tour verläuft unauffällig ruhig, das soll heißen: es gibt keine Verzögerungen auf dem Weg zu den Polizeistationen, die wir heute noch alle besuchen wollen. Zum Glück keine Anschläge auf ISAF-Truppen oder auf ANA-Kräfte. Jedes Strom-Aggregat vor Ort wird von uns frisch betankt und kann somit wieder die nächsten Tage durchlaufen. Die letzte Station ist auf einer Anhöhe in der Nähe von Taloqan, eine Funkantenne ist hier aufgebaut als Verstärker. Auch hier werden wir von den Sicherheitskräften herzlich empfangen, und auch auf eine Tasse heißen Grüntee eingeladen.

Wir kehren am Abend ohne jegliche Vorkommnisse in das Lager zurück. Alle Informationen, wie Verbrauchsdaten von Betriebsstoff und Anzahl der Aggregate, die im Einsatz sind, habe ich erhalten.

Die darauffolgenden Tage werden wir mit Arbeit überflutet. Durch die anstehenden Parlamentswahlen im Land wird unser Kontingent personell wie materiell aufgestockt. Um diese Menge an zusätzlichen Ressourcen im Lager unterbringen zu können, müssen wir gewisse Teile des Lagers umstrukturieren. In naher Zukunft wird das kein Problem mehr sein, denn der Bau des neuen Lagers am Flugplatz befindet sich schon in den letzten Zügen. Der Umzug steht zur Jahreswende 2005/2006 an.

Damit die Vorbereitungen des Umzuges besser koordiniert werden können, müssen wir erst einmal wissen, was sich alles an Material und Containern im Lager befindet. Was an sich schon eine große Herausforderung darstellt.

Angefangen von Liegenschaftsmaterial wie Sanitätscontainern, Wohncontainern, Waffenkammercontainern, über Toiletten- und Duschcontainern bis hin zum Verbrauchsmaterial, Büromaterial und eben alles was man zum Leben und Arbeiten benötigt.

Ich bin noch zuständig für Schadensbearbeitungen jeglicher Art, vom Verlust persönlicher Ausrüstung, Bearbeitung der Material-Disposition über das Heimatland, und die Bearbeitung von Versorgungsarbeiten innerhalb des Lagers wie zum Beispiel externe Auftragsverteilung an Einheimische Unternehmen.

Zusätzlich bekommen wir noch Aufgaben aus dem Einsatzführungskommando aus Potsdam, eine davon ist eine sehr lange Liste von unterschiedlichstem Container mit Material aus dem Heimatland zu kontrollieren.

Es war aber nicht gesagt das auch alle Container bei uns im Lager standen. Das war jetzt meine Zusatzaufgabe, herauszufinden wo welcher Container im Augenblick stehen könnte. Zum Glück gab es ja noch mehrere Lager in Afghanistan.

Um alles aufnehmen zu können musste ich bis ins hinterste Eck des Lagers laufen. Alle diese Daten wurden dann in einer gesonderten Liste aufgenommen, um sie dann später mit der Bestandsliste abzugleichen. Es kommt vor, dass Container, die eigentlich für Kabul bestimmt waren, bei uns auf dem Hof stehen oder Container, die für uns bestimmt sind, nach Feyzabad geliefert wurden. Da die Container zum größten Teil per Schiff und danach mit den einheimischen Dschungel-Truck-Unternehmen transportiert werden, kann es schon einmal passieren, dass die Container nicht an den richtigen Bestimmungsort gelangen, wie sich später auch in mehreren Fällen herausstellen wird.

Mit dieser Arbeit beschäftigt, vergehen die Tage, Wochen und Monate wie im Flug. Und die Arbeit wird nicht weniger.

Ein zufälliges Treffen mit dem Brigadegeneral vor dem Stabsgebäude, hat mir ein Grinsen ins Gesicht gemogelt. Er ist der aktuelle Kommandeur des 8. Deutschen Einsatzkontingents ISAF mit Sitz in Kabul. Ich staune nicht schlecht, als ich ihn wiedererkannte, den Mann den ich zu meiner Anfangszeit als junger Unteroffizier zum ersten Mal kennen und schätzen gelernt habe, beim Kuchen backen in meiner „EMMA“ dem Küchen- fünf Tonner.

Ab und zu darf ich mit dem Transportzug auf das Rollfeld hinausfahren und dabei helfen, die ankommenden Maschinen zu be- und entladen. Dafür sind wir einen halben Tag lang unterwegs, da der Flughafen gut acht Kilometer entfernt liegt.

Fast jeden Tag kommen Maschinen aus Termez oder Mazar-e Sharif mit Material und Post an. Da auch die Dienstaufsicht in der Materialgruppe und dem Luftumschlagstrupp ebenso beim Transportzug zu meinen Aufgaben gehört, nutze ich diese Zeit, um mit den Jungs mal aus dem Lager zu kommen. Es ist nur eine kleine Abwechslung, aber besser als gar keine. Übrigens: Der Postversand wird ausschließlich über Darmstadt erledigt. Dort ist das Zentrallager, von wo die ganze Feldpost sowohl ins als auch aus dem Einsatzland bearbeitet wird. Auch die Zollabwicklung findet in Darmstadt statt. Meistens sind die Kameraden, die in der Poststelle Dienst tun, Reservisten, die auch im zivilen Leben bei der Post angestellt sind und von dort die Erfahrung im Umgang mit Briefen und Päckchen bereits mitbringen. Es sind einige Tage vergangen und heute steht ein Begleitflug mit dem Transporthubschrauber Sikorsky CH-53 nach Feyzabad an. Feyzabad ist die Hauptstadt der Provinz Badachschan. Sie liegt im Norden von Afghanistan auf 1.200 Metern Höhe.

Normalerweise werden gewöhnliche Transporte über Land mit den Dschungel-Trucks gefahren. Für die 240 Kilometer sind die LKWs dann ungefähr acht bis zehn Stunden unterwegs, da die Straßen nicht wie in Deutschland geteert sind, sondern im besten Fall als Schotterpisten bezeichnet werden können.

Auf solchen Wegen ist es jedoch zu gefährlich, Gefahrgut zu bewegen, weshalb dieses per Luftfracht transportiert wird. Da wir für die Organisation zuständig sind, melde ich mich als Begleitschutz auf dem Hubschrauber an, denn meine letzter CH-53 –Flug liegt jetzt schon ein paar Jahre zurück und fand in Norwegen statt. Ich darf mit dem Doorgunner, dem Türschützen, in der Heckklappe des Hubschraubers sitzen und den Bereich nach hinten und nach unten absichern. Der Hubschrauber fliegt sehr tief über die Felder und Berggipfel des Hindukusch, was uns eine atemberaubend schöne Aussicht während des Fluges gewährt. Nach ca. 50 Minuten Flug erreichen wir den Landeplatz im Lager Feyzabad. Kurz ausladen und betanken der Hubschrauber und wieder geht’s zurück nach Kunduz.

Zurück im Lager habe ich meinen Kameraden viel zu erzählen darüber, was ich alles gesehen habe während des Fluges. Wir flogen über Dörfer, grüne Wiesen, an Flüssen entlang durch Täler, sahen Hirten mit ihren Ziegen in Sanddünen laufen. Obstplantagen soweit das Auge reicht. Das Wechselspiel von unterschiedlicher Vegetation auf dem Flug nach Feyzabad wiederholte sich mehrmals. Und das Sonnenlicht spiegelte sich im Wasser bei den Überflügen der Flüsse und Bäche. Und auch an diesem Abend war Armin wieder in unserer Runde. Zu dieser Zeit denke ich noch nicht daran, dass ich sechs Jahre später noch einmal nach Feyzabad kommen werde.



Warten auf die Maschine aus Termez mit Material


Flug mit CH53 nach Feyzabad

6 September 2005, Unterstützung aus Österreich

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usätzlich zu unserer Vorbereitung für den Umzug ins neue Lager Kunduz kommt im September eine weitere, große Herausforderung auf uns zu: Die Parlamentswahl in Afghanistan am 18. September. Es sind die ersten freien Wahlen seit 1988 in diesem Land, in denen die 249 Sitze des Parlaments und die Provinzräte gewählt werden sollen. Zum ersten Mal haben bei dieser Wahl auch Frauen das Recht, sich aufstellen zu lassen, sodass von insgesamt 2.800 Kandidaten auch 330 Frauen zur Wahl stehen. Aber weil die Taliban mit Anschlägen drohen, müssen die ISAF-Truppen die Wahlen bewachen.

Am Ende gingen schließlich 6,8 Millionen Afghanen zu den Wahlurnen, was einer Wahlbeteiligung von 54 % entspricht. Die Wahl findet für die Wolesi Dschirga, dem „Haus des Volkes“ und die 34 Provinzräte des Landes statt. Für insgesamt 249 Sitze des Parlaments.

Zur Vorbereitung und Durchführung der Wahlen bekommen wir aktive Unterstützung von dem AUSTRIAN RESPONSE FORCES -TEAM. Das österreichische Kontingent mit einer Stärke von 85 Mann steht unter dem deutschen ISAF-Kommando. Sie werden für die Zeit ihres Aufenthalts in Kunduz bei uns im Lager untergebracht, dafür werden extra Holzhütten und Parkmöglichkeiten für die Fahrzeuge im hinteren Bereich des Lagers erstellt. Die Zusammenarbeit mit den Kameraden aus Österreich läuft sehr harmonisch und professionell ab. Das bestätigt auch Armin, der täglich die Arbeit außerhalb des Lagers mit den österreichischen Kameraden mitbekommt. Ich selbst habe auch einmal die Möglichkeit, bei einer Patrouille zu Fuß mit den Kameraden aus Österreich durch die Stadt Kunduz zu laufen. Wir beginnen den Weg vom Lager aus in Richtung Atzbeigi-Moschee, an der Firma Spinzar vorbei, die zu dieser Zeit Afghanistans größter Anbieter von Baumwolle ist.

Wir werden von der afghanischen Bevölkerung, insbesondere von den Kindern und Jugendlichen, sehr herzlich aufgenommen. Es ist ein schönes, aber auch irgendwie komisches Gefühl, was sich in diesem Moment in meinem Körper ausbreitet, denn in der Vorausbildung wurden uns diese ersten Begegnungen mit der Bevölkerung ganz anders vermittelt. Ich muss erwähnen, dass es jetzt noch möglich ist, zu Fuß durch Kunduz zu laufen, was in späteren Jahren leider nicht mehr der Fall sein wird.

Was mich überaus fasziniert, ist die Aufteilung der Straßenzüge, in denen die Waren verkauft werden. Nicht wie bei uns, wenn man auf den Wochenmarkt geht und an einem Stand Gemüse und Obst erhält und an einem anderen Stand Fleisch, Fisch oder Käse. Hier in Afghanistan gibt es in den Großstädten ganze Straßenzüge, die ausschließlich ihre speziellen Waren anbieten. In der einen Straße bekommt man nur Seidenstoffe in allen Farben, in der Straße gegenüber nur Kohle und andere Brennstoffe, wieder eine Straße weiter nur Fleisch. Es reiht sich ein Metzger an den anderen. Es ist nicht mit Europa vergleichbar.

Hier hängen die frisch geschlachteten Rinderköpfe vor dem Eingang einer Holzhütte oder liegen auf dem Präsentiertisch aus. Ich finde das sehr interessant und es funktioniert auch auf diese einfachere Weise, wie man hier sehen kann. Gekühlt wird mit Eiswürfeln, die man ebenfalls kaufen kann. Obwohl es auch Kühlschränke gibt, mangeltes aber am Strom, sodass die Kühlschränke nicht betrieben werden können.

Als gelernter Koch schlägt mein Herz höher, als wir an einem Gewürzstand vorbeigehen und ich traue meinen Augen nicht, was dort alles angeboten wird. Sicher hundert verschiedene Gewürze, die zusammen einen Geruch in die Luft verströmen, wie man es sich aus Erzählungen aus „Tausendundeiner Nacht“ vorstellen kann.

Der pakistanisch-indische Einfluss ist bei den Gewürzen deutlich spürbar. Eine beliebte Gewürzmischung ist Garam Masala, ein Mix aus Safran, Zimt, Nelken, Paprika und Chili. Andere Gewürze wie Kardamom, Dill, Minze, Kreuzkümmel und Koriander lassen den persischen und arabischen Einfluss erkennen. Es wäre das reinste Schlaraffenland, hätte mein Besuch in diesem Land nicht einen so ernsten Hintergrund.

Ein paar Tage später ergibt sich die Möglichkeit für mich, mit unserem afghanischen Sprachmittler in die Stadt zum Einkaufen zu fahren. Wir müssen nach Bauholz für das Lager schauen und wandern zwischen den einzelnen Straßenzügen durch enge Gassen, bis wir zu einem Holzhändler gelangen. Der Durchgang zum Holzhändler ist ziemlich eng und verwinkelt. Wir müssen hintereinander laufen.

Der Sprachmittler in seiner Landestracht, ich in meiner Uniform, deutlich als Soldat erkennbar. Mehr als offensichtlich bin ich der Fremde und werde von den Menschen hier vielleicht auch als Eindringling betrachtet?

In diesem Moment bekomme ich doch einen Moment lang Angst, dass mir etwas passieren könnte. Die unbekannten dunklen Gesichter mit den langen Bärten schauen mich ganz komisch an.

Die momentane Sicherheitslage ist sehr ungewiss, weshalb mein Aufenthalt auf diesem Markt nur von kurzer Dauer sein wird. Zwei Tage später sprengt sich ein Selbstmordattentäter in der Nähe meines jetzigen Standortes in die Luft. Doch heute bleibt es bei meinem flauen Gefühl im Magen.

Und im Nachhinein muss ich wohl auch noch eingestehen, dass sicher auch meine eigene Vorstellungskraft etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Es wird der einzige Augenblick in meiner ganzen Zeit in Afghanistan bleiben, in dem ich einen Anflug von Angst verspürt habe.

Die Eindrücke von diesem Tag bleiben in meinem Gedächtnis in allen Einzelheiten haften. Ich werde in den noch kommenden Einsätzen andere Situationen erleben, die ähnlich bedrohlich sein werden, aber die ich nicht so stark empfinden werde wie beim Einkauf an diesem Morgen. Generell denke ich aber, dass man in Tunesien oder anderen vergleichbaren Ländern derartige Situationen auch als Tourist auf dem Markt erleben kann.

Doch solche Gedanken an mögliche Gefahren sollte man im Einsatz gleich wieder vergessen und einfach nur mit gesundem Menschenverstand und offenen Augen durch die Straßen laufen. Selbst, wenn man keine Uniform trägt.

Das Erstaunliche an diesem Land ist, dass die Menschen hier in Afghanistan Fremden gegenüber überaus gastfreundlich und zuvorkommend sind und die Anschläge genauso verurteilen wie der Rest der Welt. Es ist sehr schade, dass es der Bevölkerung durch den Krieg nicht möglich ist, mehr aus diesem Land zu machen, wie zum Beispiel in der Landwirtschaft oder im Tourismus. Denn sowohl das Land als auch die Freundlichkeit der Bevölkerung würden es meiner Meinung nach hergeben.

Kameraden aus Österreich auf Patrouille


Der Gewürzmarkt in Kunduz: Ein wahres Paradies für Köche

7 Ein Bäcker und sein Fladenbrot

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n der Nähe des Lagers gibt es einen afghanischen Bäcker, bei dem man täglich - außer freitags - frisches Fladenbrot kaufen kann. Dabei kosten ein Fladenbrot 1 Afghani, zwölf einen US Dollar Bei einer Patrouille habe ich die Möglichkeit, einem alten Mann bei der Herstellung von Broten zuzuschauen. Es ist schon sehr interessant, mit welchen Mitteln er das Brot zubereitet. In einem einfachen Ton- Ofen werden die Brote gebacken, bis der Bäcker sie herausholt.

In der Zeit, in der die Fladenbrote in Ofen sind, werden sie öfters mit grünem Tee befeuchtet. Das passiert ganz unkompliziert, indem der Bäcker einige Schlucke von dem heißen Tee in seinen Mund nimmt und diesen direkt aus dem Mund in den Ofen spuckt, womit die für das Fladenbrot benötigte Luftfeuchtigkeit erzeugt wird. Zum krönenden Abschluss wird das Brot noch mit Salz bestreut, was dem Ganzen eine würzige Note verleiht.

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