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Über kombinierte Entwicklung. Wider den Hybridismus
DAS HYBRIDISTISCHE GEFLECHT

Ein großer Teil der zeitgenössischen Theorie wird nicht müde zu verlautbaren, dass es unmöglich geworden sei, Gesellschaft und Natur auseinanderzuhalten, seien die beiden im Grunde genommen doch ein und dasselbe. Und die wichtigste Inspirationsquelle für diese Art zu denken ist sicherlich Bruno Latour. Ein quantitativer Indikator seines Einflusses zeigte sich etwa, als das Magazin Times Higher Education die in den Geisteswissenschaften am häufigsten zitierten Autor:innen des Jahres 2007 auflistete: Angeführt von Michel Foucault, landete Latour auf Platz zehn der Liste, einen Rang vor Sigmund Freud, sechzehn vor Benjamin und ganze sechsundzwanzig Plätze vor Karl Marx.1 Zehn Jahre später verkündete einer seiner größten Fans, dass »es langsam so aussieht, als träte Latour Michel Foucaults mögliche Nachfolge als Standardzitation in den Geisteswissenschaften an – in den Sozialwissenschaften nähert er sich diesem Punkt bereits mit großen Schritten«.2 Und tatsächlich steht die Bedeutung Latours für das zeitgenössische Nachdenken über die Beziehung zwischen Gesellschaft und Natur wohl außer Konkurrenz. Im Folgenden wird er daher einen zentralen Platz einnehmen.

Sein für dieses Denken grundlegender Text heißt Wir sind nie modern gewesen und beginnt damit, dass Bruno Latour eines Morgens aufwacht, die Zeitung liest und dabei vom Verschwimmen der Grenzen zwischen dem Sozialen und dem Natürlichen überrascht wird: Zunächst entdeckt er einen Bericht über die Ozonschicht (geschrieben wurde das Buch 1991). Atmosphärenwissenschaftler:innen warnen darin, dass sich das Loch vergrößere, während Industrielle und Politiker:innen den stufenweisen Abbau der schädlichen Stoffe vorschützten. »Ein und derselbe Artikel vermischt chemische und politische Reaktionen«: eine wirklich bemerkenswerte Vermengung.3 Beim Weiterlesen stößt der Autor auf einen Artikel über die Entwicklung der AIDS-Epidemie und das Zögern der pharmazeutischen Industrie; auf einen weiteren über einen Waldbrand, bei dem seltene Arten vernichtet würden; sowie auf einen über Embryos in Reagenzgläsern und immer so fort – die ganze Zeitung scheint eine einzige Gemengelage. Wohin Latour seinen Blick auch wendet, überall sieht er Hybride. Es gebe keine Möglichkeit mehr festzustellen, wo die Gesellschaft aufhöre, wo die Natur beginne, und umgekehrt; alles spiele sich jenseits ihrer Wirkungsbereiche oder im Niemandsland dazwischen ab; die Welt bestehe aus Mischlingszüchtungen, und sie zu entzweien – hier gesellschaftlich, dort natürlich –, könnte nur mit einem Schwert gelingen, das wir im Wissen um die Vergeblichkeit wieder in die Scheide steckten.

Als Herzstück von Latours Projekt und Prestige bedarf dieses Argument einer etwas genaueren Betrachtung.4 Zunächst einmal besitzt es eine quantitativ geschichtliche Komponente. Diese besagt, dass sich die Bündnisse neuerdings in solch einem Maße vermehrt hätten, dass das Soziale und das Natürliche nicht mehr auseinandergehalten werden könnten. Habe es in den Anfangstagen der Moderne vielleicht noch die eine oder andere Leerstelle gegeben, füllten die Hybride mittlerweile die gesamte Bildfläche aus:

Aber wo läßt sich die Geschichte mit dem Ozonloch einordnen, die Erwärmung der Erdatmosphäre oder das Wald sterben? Wo soll man die Hybriden unterbringen? Sie sind unser Werk. Sind sie also menschlich? Aber sie sind nicht unser Tun. Sind sie also natürlich? […] Die Hybriden sind so zahlreich geworden, daß nicht mehr zu sehen ist, wie sie alle noch im alten gelobten Land der Moderne unterkommen können.5

Dem Anschein nach das Eingeständnis intellektueller Verwirrung – ich habe keine Ahnung, wie man etwas, das zugleich das Produkt menschlicher Arbeit als auch dessen Gegenteil ist, begreifen soll –, handelt es sich im Grunde wohl eher um das rhetorische Verfahren, die moderne Illusion einer fest umrissenen Grenzziehung zwischen Natur und Gesellschaft platzen zu lassen. Latour nimmt freilich an, dass die beiden in keiner Weise, Gestalt oder Form je voneinander getrennt waren: Folglich »sind [wir] nie modern gewesen«. Neu jedoch sei die schiere Allgegenwart der Kreuzungen beziehungsweise der »Quasi-Objekte« oder »Kollektive«, die es unmöglich mache, die Fantasie einer Grenze aufrechtzuerhalten: Und hätten wir das erst einmal realisiert, begriffen wir schlussendlich auch, dass »Natur und Gesellschaft nicht mehr und nicht weniger als Ost und West« existierten.6 Die Begriffe bezeichnen Latour zufolge »keine Wesen der Welt oder Bezirke der Realität«. Es seien vielmehr vollkommen willkürliche Pole auf einer mentalen Karte, nichts weiter. »Wir dagegen behaupten«, erklärt Latour in Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie, dass »die Grenzen zwischen Natur und Gesellschaft ein für allemal verwischt sind und man niemals mehr zu zwei unterschiedlichen Ensembles zurückkehren kann«.7 Lasst die Kategorien sich im Realen verflüssigen.

Wir können das als das Kardinalprinzip des Hybridismus betrachten, als den allgemeinen Rahmen für die Auseinandersetzung mit dem Spinnennetz aus Gesellschaft und Natur, indem man jegliche innere Polarität oder Dualität verleugnet. Der Hybridismus besagt, dass die Wirklichkeit aus gesellschaftlichen und natürlichen Hybriden bestehe und dass die beiden Begriffe demnach keinen Referenten mehr besäßen – sofern das denn überhaupt je der Fall gewesen sein sollte. In seinem Buch Bruno Latour. Reassembling the Political bekräftigt Latours treuer Knappe Graham Harman ein weiteres Mal den Zusammenbruch der »Differenz« von Gesellschaft und Natur als Kern seines Denkens und unterstreicht diese Position nachdrücklich: »Wir müssen endlich anfangen, alle Entitäten in exakt der gleichen Art und Weise zu betrachten.« 8 Wie wir noch sehen werden, taucht der Hybridismus auch in anderen Formen auf, mit abweichenden Schwerpunkten und Absichten, doch in der Überzeugung, dass »Gesellschaft« und »Natur« zwei Worte ein und derselben Identität darstellten und also überflüssige (sowie schädliche) Signifikaten seien, stimmen sie alle überein – und Latour lugt stets um die Ecke. In Environments, Natures and Social Theory, einer neueren Übersicht der hybridistischen Ansätze, wärmen Damian F. White und weitere Autoren die Grundprinzipien von Latours 1991 erschienenem Manifest ein weiteres Mal auf:

Und während dieser ganzen Debatte wird uns zunehmend bewusst, dass wir in Welten aus multiplen hybriden Objekten leben. Immer mehr davon tauchen auf: von Ozonschichten über gentechnisch veränderte Nutzpflanzen, prothetischen Implantaten bis hin zu Geschichten modifizierter Landschaften. Sind sie gesellschaftlich? Sind sie natürlich? Alle Versuche, diese hybride Welt mittels der Aufbereitung von Objekten und Subjekten in Schubladen mit der Aufschrift »Gesellschaft« oder »Natur« zu verstehen, sind nur bedingt von Nutzen.9

Man beachte hier eine für den Hybridismus grundlegende Behauptung: Gerade weil die natürlichen und sozialen Phänomene Verbindungen eingegangen sind, lassen sich die beiden nicht mehr anders als mittels Gewalt voneinander unterscheiden. Vermischt zu sein heißt, ein und dasselbe zu sein.

Als eine Art theoretischer Zeitgeist* findet sich diese Behauptung wiederholt in den Schriften all jener Denker:innen, die wir bisher unter die Lupe genommen haben. Um nur zwei Beispiele herauszugreifen: Aufgrund der anthropogenen, im Klimawandel gipfelnden Transformation der Erde »ist es unmöglich geworden, noch zu differenzieren, wo die Menschheit aufhört und die Natur beginnt«, schreibt Wapner; und mit einer ähnlichen, vom Klima angeführten Aufzählung resümiert Purdy, dass »der Kontrast zwischen dem, was Natur ist, und dem, was sie nicht ist, keinen Sinn mehr ergibt«.10 Es handelt sich um die gleiche Epiphanie, wie sie schon McKibben widerfahren ist, dieses Mal jedoch in zwei verschiedenen Versionen: Erstens, da sie so dermaßen miteinander vermischt seien, existierten Gesellschaft und Natur nicht (nennen wir das den ontologischen Hybridismus); und aufgrund dieses Vermischungsgrades bestehe zweitens keine Notwendigkeit, liege kein Nutzen, keine Weisheit mehr darin, das eine vom anderen abzugrenzen (nennen wir das den methodologischen Hybridismus). Sich häufig überlappend, sind ihnen einige signifikante Probleme gemein.

DER HYBRIDISMUS ALS KARTESIANISMUS

Beobachter:innen unserer Welt stoßen häufig unvermittelt auf Verbindungen. Denken wir etwa an Theologiestudierende: Ein weitverbreitetes Phänomen in der Glaubensgeschichte ist der Synkretismus, der sich in den Tiefen der meisten Glaubensrichtungen versteckt und schließlich hin und wieder an die Oberfläche tritt, beispielsweise in Gestalt des Glaubenssystems der Drusen, in dem hinduistische, schiitische, platonische, gnostische, christliche, pythagoreische, jüdische und Lehren anderer Provenienzen miteinander verbunden sind. Nun wird eine Studentin, die den drusischen Glauben erforscht, verblüfft sein von der unverwechselbaren Einheit, die diese Religionsgemeinschaft aus derart unvorstellbar disparaten Elementen hervorgebracht hat. Sie wird genau untersuchen, wie die einzelnen Elemente zu einer neuen Gesamtheit zusammengesetzt wurden; wie sie dabei miteinander in Beziehung stehen; wie sie im Laufe der Zeit Eingang in den Glauben gefunden haben; auf welchen Ursprung ein bestimmter Drusen-Glaube zurückgeführt werden kann und so weiter. Folgendes aber wird sie wahrscheinlich eher nicht behaupten: Der Glaube der Drusen ist eine hybride Form, weshalb wir nicht versuchen sollten, die platonischen Bestandteile von den schiitischen abzusondern, deren Spuren innerhalb dieser Vermischung verloren gegangen sind; es ist unmöglich zu sagen, wo die einen aufhören und die anderen beginnen; es handelt sich hierbei um einen ganz gewöhnlichen Vorgang innerhalb der Welt der Religionen, lasst uns also die Kategorien Platonismus, Schiismus und wie sie alle heißen gänzlich verwerfen. Eine derartige Behauptung würde keineswegs als Versuch gewertet werden, den drusischen Glauben zu verstehen. Es wäre wohl eher eine Kapitulation vor der Aufgabe.

In der Medizin untersucht man die Wirkungsweisen von Substanzen auf den menschlichen Körper, beispielsweise von Tabak auf die Lunge. Worauf wäre die Forschung hinausgelaufen, wenn behauptet worden wäre, dass, da der Tabak und die Lunge im Körper des Rauchers miteinander vermengt seien, auch ihre Kategorisierung obsolet geworden sei (sofern sie denn überhaupt jemals relevant gewesen sein sollte) und die Auswirkungen folglich nicht sinnvoll voneinander unterschieden werden könnten? Oder sehen wir uns an, wie die Etymologie Sprachen erforscht: Hebt Spanisch Arabisch und Latein auf? Oder im Bereich der internationalen Beziehungen: Vermischt die Europäische Union Deutschland mit Griechenland?

Hybridismus als Orientierungshilfe innerhalb der Welt hätte bestimmt einige interessante politische Konsequenzen zur Folge. Als Leo Trotzki das zaristische Russland durchforstete und »das Gesetz der kombinierten Entwicklung […] im Sinne der Annäherung verschiedener Wegetappen, Verquickung einzelner Stadien, des Amalgams archaischer und neuzeitiger Formen« herausdestillierte, hätte er damit womöglich zu dem Schluss kommen können, dass der Kapitalismus mittlerweile dermaßen grundlegend mit dem Zarismus verstrickt sei, dass es sinnlos wäre, den daraus hervorgegangenen Teilen der russischen Sozialdynamiken nachzuspüren, geschweige denn, sie für eine Sonderbehandlung herauszugreifen. 11 Die antikapitalistische Revolution wäre dadurch sicherlich zu einem müßigen Unterfangen geworden. Oder jemand könnte darauf hinweisen, dass die physische Beschaffenheit der im Jahr 1967 besetzten Gebiete durch die Vermischung zionistischer sowie palästinensischer Materie strukturiert werde – schließlich sei die Luft in Gaza erfüllt vom Geräusch der Drohnen und Muezzins; in den Häusern Hebrons wohnten Siedler:innen Tür an Tür mit einheimischen Familien; Giftmüll aus den Siedlungen durchmische sich mit Wasser in den Tälern der West Bank – und dass diese Situation in Kisten mit der Aufschrift »das zionistische Projekt« und »das palästinensische Volk« anzuordnen daher nur eingeschränkt von Nutzen sei, zumal die Gegenüberstellung der beiden nicht mehr länger sinnvoll sei.

Nun würde eine Hybridistin vielleicht einwenden, diese Analogien seien ungerecht. Platonismus und Schiismus sind nun mal in etwa das Gleiche. Bei durch Zigarettenrauch verschmutzter Luft und bei sauberer Luft handelt es sich um Modalitäten derselben Substanz. Deutschland und Griechenland sind lediglich zwei Nationen, Kapitalismus und Zarismus zwei Gesellschaftsformen, Zionist:innen und Palästinenser:innen zwei Menschengruppen – ihre Kombinationen sollten keine Verwunderung hervorrufen. Sie erforderten nicht die Überarbeitung unserer Ontologien oder Methoden; sie deuteten nicht an, dass die Wirklichkeit in einem Ausmaß bastardiert worden sei, wie es sich nur die wenigsten vorstellen könnten; die Vereinigung von ähnlich gelagerten Komponenten hebe deren Unterschiedlichkeit nicht auf. Aber ein solcher Einwand würde bloß das Problem an der Wurzel des Hybridismus offenlegen. Nur wenn man Natur und Gesellschaft als in unterschiedlichen Universen situierte Kategorien auffasste, würde ihre Kombination ihren vollständigen Zusammenbruch garantieren. Nur mit einer impliziten Vorstellung der beiden als einander wesensfremder als alle sonstigen Dinge könnte man zu dem Schluss gelangen, dass ihre Beimengung, im Gegensatz zu so vielen stumpfsinnigen Gemischen, ihre Existenz widerlegen würde. Die Offenbarung fiele sich so selber in den Rücken – ach, Natur und Gesellschaft waren also doch überhaupt nie in sich abgeschlossene Galaxien! Dann können wir auch nicht länger über sie reden!

Im Hintergrund lauert wiederum das Erbe einer Extremform des Dualismus. Latour bezeichnet diese gern als »die Verfassung der Moderne«; eine gebräuchlichere Genealogie leitet sie jedoch aus der Philosophie René Descartes’ ab. Dieser war der Meinung, dass Geist und Körper zwei »unterschiedene Substanzen« seien. Der Körper erstrecke sich im Raum und bestehe aus Teilen, die wie Zahnräder aus dem Getriebe geschnitten und entfernt werden könnten – im größtmöglichen Gegensatz zum denkenden Geist. Denn wenn ein Herz aus dem Körper herausgeschnitten werde, verliere dieser Körper eine vitale Komponente und höre auf zu sein – wo aber sei das Herz des Geistes? Wo seien dessen Arme, dessen Beine, dessen möglicherweise voneinander getrennt konstituierende Bestandteile? Sie seien nirgendwo, argumentierte Descartes, da der Geist ein Ding sei, ein Ganzes, unteilbar, unzerstörbar; er besitze keine materielle Gestalt. Der Körper besitze eine physische Substanz, doch der Geist sei eine Art ätherisches, spirituelles Ding. Aus diesem Grund könne der Geist auch ohne den Körper weiterleben und gedeihen; nach Tod und Verwesung bleibe er weiterhin bestehen, weil er aus gänzlich anderem Material gemacht sei. »Zwei Substanzen werden real unterschieden genannt«, legt Descartes sein zentrales Kriterium fest, »wenn jede der beiden ohne die jeweils andere existieren kann«: Und von daher ist sich Descartes hier »sicher, daß ich von meinem Körper tatsächlich unterschieden bin, und ohne ihn existieren kann«.12 Seine Philosophie ist diejenige des Substanzdualismus.

In der Debatte über Natur und Gesellschaft haben Kritiker:innen des Kartesianismus die Angewohnheit, seine Philosophie als Kennzeichen des nämlichen Paars anzusehen.13 Descartes selbst äußerte sich zwar nie in Bezug auf diese Kategorien – sein Anliegen galt dem Problem von Körper und Geist, nicht demjenigen von Natur und Gesellschaft –, jedoch erkannten viele Beobachter:innen den Fingerabdruck dieses Philosophen innerhalb der westlichen Weltanschauungen und sahen sein dualistisches Modell gewissermaßen aus Bequemlichkeit auf analoge Bereiche erweitert. Und tatsächlich lässt sich die allzu gebräuchliche konzeptuelle Trennung von Natur und Gesellschaft als die logische Fortführung des kartesianischen Denkens verstehen. Wenn auch eher mangels Alternative denn aufgrund einer expliziten Ausrichtung an Descartes, behandelt eine typisch kartesianische Auffassung von Natur und Gesellschaft die beiden nämlich als eindeutig voneinander getrennte Substanzen, zwischen denen es zwar durch die winzige Zirbeldrüse gelegentlich zu einem Austausch kommen könne, doch ihre Essenzen seien gegensätzlicher Art und bewegten sich in gesonderten Bahnen.

Nun springt dem Kartesianismus die Feindseligkeit des Hybridismus entgegen, wo immer sich ihre Wege kreuzen. Der Hybridismus gebart sich als die absolute Negation dieser missliebigen Philosophie, zumal er sich weigert, noch den kleinsten Unterschied zwischen Natur und Gesellschaft zu billigen, und teilweise sogar ihre jeweiligen Existenzen leugnet. Dieser letztgenannte Schritt – diese Eile, mit der die Kategorien, sobald das Ausmaß ihrer Verstrickungen aufblitzt, über Bord geworfen werden – ist bei genauerer Betrachtung jedoch lediglich die Kehrseite des Substanzdualismus. Descartes selbst zeigte dessen logische Konsequenz klar auf: »Denn die Vereinigung von zwei Sachen begreifen bedeutet, beide als eine einzige Sache zu begreifen.«14 Wer immer der Meinung sei, Körper und Geist bildeten eine Gemeinschaft, argumentierte er, sei gezwungen, sie als undifferenzierte Einheit anzuerkennen. Indem nun die Beobachtung ihrer Kombination als Anlass genommen wird, Natur und Gesellschaft von der Weltkarte zu tilgen, bereitet der Hybridismus Descartes’ Logik für unsere Zeit neu auf. Mehr noch, er bezieht all seine rhetorische Kraft aus Jahrhunderten kartesianischen Denkens, zu dem die quantitative historische Komponente in direktem Verhältnis steht und die Verwunderung über die wuchernden Kombinationen dem Vermächtnis des extremen Dualismus entspringt: Angesichts dieses Gedankens stellt der Hybridismus weniger eine Ablehnung des Kartesianismus als vielmehr dessen Konsequenz dar. Um eine Negation handelt es sich bei ihm lediglich in jener Art und Weise, wie ein Kater die Negation des Besäufnisses darstellt. Und postkartesianisch ist der Hybridismus allein in dem Sinn, in dem manche Wissenschaftler:innen postkeynesianisch oder postkantisch sind: Sie tragen den Kodex des ursprünglichen Glaubens in sich, wenn auch nur in abgeschwächter Form. Hybridismus ist für den Kartesianismus, was E-Zigaretten für Zigaretten sind.

HISTORISCHER MATERIALISMUS ALS EIGENSCHAFTSDUALISMUS

Descartes zufolge ist der Geist nirgendwo. Er nehme keinerlei Position im Raum ein. Die Substanz, aus der er bestehe, sei nicht von solcher Art, die auf einem Stuhl sitze, ein Gewicht stemme oder einen Stein schmeiße; definiert werde er gerade dadurch, dass er keine Ausdehnung besitze, gänzlich außerweltlich und von sterblichem Fleisch abgeschnitten sei. Diese Philosophie führt zu einem altbekannten Problem: dem der kausalen Interaktion. Wenn ein Stein einen Pfad entlangrollt, liegt das daran, dass er an einem bestimmten Ort mit einem Fuß in Kontakt gekommen ist. Der Fuß hat Bewegungsenergie an den Stein weitergegeben, wodurch er über den Boden rollen konnte; die beiden Objekte haben am Ort des Aufpralls miteinander interagiert, und so kommt es gemeinhin zur Kausalität. Um das Verhalten einer Sache herbeizuführen, muss diese an einem gemeinsamen Standort von einer anderen Sache gestoßen, gestreichelt, angerempelt, gekitzelt oder auf eine andere Weise berührt werden. Wenn sich aber der Geist nirgendwo oder bloß auf seiner numinosen Ebene befindet, wo kann er dann seinen Einfluss auf den Körper geltend machen? Wenn die Seele keine räumliche Position einnimmt, wie soll es ihr möglich sein, mit etwas Physischem in Kontakt zu treten? Wie begegnen die beiden einander jemals? Erscheint ein solches Aufeinandertreffen nicht sogar noch übersinnlicher als ein Gedanke, der eine Billardkugel anstößt? Weder Descartes noch irgendeine andere Verfechterin des Substanzdualismus haben bisher auch nur ansatzweise eine zufriedenstellende Lösung für dieses Problem gefunden. Und da eines der hervorstechendsten Merkmale der Beziehung zwischen Geist und Körper doch gerade darin liegt, dass die beiden aufeinander einwirken, hat die moderne Philosophie diesen Standpunkt als nicht haltbar abschreiben müssen.15

Doch in der konventionellen Wahrnehmung von Gesellschaft und Natur ist der kognatische Substanzdualismus nach wie vor lebendig und wohlauf. Er macht sich bemerkbar, wo immer jemand das Gefühl hat oder so auftritt, als ob die Gesellschaft sich nicht weiter darum zu kümmern bräuchte, was in der Natur vor sich geht, sosehr der Körper der Natur auch bluten mag – als ob die Gesellschaft auch ohne einen solchen existieren könnte. Vorbehaltlos können wir daher die von Val Plumwood in ihren beiden Büchern Feminism and the Mastery of Nature und Environmental Culture. The Ecological Crisis of Reason entwickelte Kritik an dieser Version des kartesianischen Dualismus übernehmen: Ein derartiger Dualismus ist immer dann gegeben, wenn Menschen sich in den Kopf setzen, in einer Gegend zu leben, die irgendwo jenseits der Biosphäre schwebt, davon unabhängig und ungebunden, und in der Lage sind, die Natur als ein minderwertiges, in keiner Beziehung außer der eines Vorratslagers von auf Dauer zu verbrauchenden Rohstoffen stehendes System auszuklammern.16 Nicht unbedingt ein philosophisches, von strebsamen Prediger:innen verkündetes Programm, mehr Syndrom denn Credo, findet sich dieser Dualismus überall, angefangen bei der neoklassischen Ökonomie über die Leugnung des Klimawandels bis hin zur völligen Gleichgültigkeit gegenüber Aspekten der Ökologie. Zugunsten grober Fahrlässigkeit entwickelt, ist diesem Dualismus daher ein kausales Interaktionsproblem zu eigen: Er besitzt keinerlei Vorstellung davon, wie die Gesellschaft eine Krise innerhalb der Natur verursachen kann, geschweige denn andersrum.

Sich einzugestehen, es gebe eine ökologische Krise, die das große Potenzial besitzt, den Menschen zu schaden, heißt also, mit dem Substanzdualismus zu brechen. Denn wir bestehen, wie sich herausgestellt hat, aus exakt derselben Substanz wie die Natur, bewohnen dieselbe Erde und berühren einander ständig, und zwar überall. Bezogen nun auf die Philosophie des Geistes bedeutet das eine Verpflichtung zum Substanzmonismus. Hier tun sich jedoch zwei Wege auf, zwischen denen es zu wählen gilt. Entweder man argumentiert weiterhin dafür, dass das Soziale und das Natürliche nicht nur die Substanz teilen, sondern dass sie auch keinerlei signifikante Eigenschaft besitzen, die sie irgendwie voneinander abheben würde – ein Substanz- sowie Eigenschaftsmonismus. Das entspricht der Position der Hybridist:innen, von Bruno Latour bis hin zu Val Plumwood: Es gibt nur eine Substanz, und alles, was aus ihr gemacht wird, verfügt über dieselben grundlegenden Merkmale (was genau diese sind, werden wir bald sehen). Daneben gibt es noch die Ansicht, dass die Gesellschaft zwar aus der gleichen Substanz wie die Natur besteht, jedoch ein paar sich deutlich unterscheidende Eigenschaften aufweist – worunter man in der Philosophie des Geistes den substanzmonistischen Eigenschaftsdualismus versteht.17 Um diese Position ein wenig mehr zu erhellen, wenden wir uns zunächst Dale Jacquettes The Philosophy of Mind. The Metaphysics of Consciousness zu, einer meisterhaften Verteidigung ebendieser Position.

Das Dilemma von Körper und Geist, mit dem sich Descartes mit derart unzufriedenstellendem Ergebnis abmühte, hat sich nicht einfach in Luft aufgelöst. Denn mein Gehirn ist eine physikalische Entität. Es beinhaltet Zellen, Gewebe, Flüssigkeiten, Neuronen, Synapsen, Blutgefäße, Weiße, Schwarze und Graue Substanz. Aber machen diese Dinge auch meinen Geist aus? »Mein Geist«, schreibt Jacquette,

setzt sich bei zwangloser Betrachtung aus Erinnerungen, Wünschen, Erwartungen, unmittelbaren Empfindungen, Peinlichkeiten, Vorlieben und Abneigungen zusammen. Mein Gehirn hingegen umfasst bei flüchtiger Betrachtung keines dieser Dinge.18

Ereignisse im Gehirn haben Gewicht und Farbe, aber Gedanken verfügen offensichtlich über nichts dergleichen. Welche Farbe trägt mein Gedanke, dass Donald Trump ein Rassist ist? Wie schwer wiegt er? Macht er einen Schlenker, sobald ich mit meinem Auto scharf nach rechts abbiege? Wie könnte die Körperlichkeit dieses Gedankens als Gedanke lokalisiert und gemessen werden? Angenommen, ich würde ein Konzert von Run the Jewels besuchen, und angenommen, die Intensität der Performance steigerte sich noch durch den eben erfolgten Freispruch eines weißen Polizisten, der einen Schwarzen angeschossen und getötet hat, und nun mal angenommen, eine Neurowissenschaftlerin käme in ebendiesem Augenblick vorbei, um mein Gehirn einer Beobachtung zu unterziehen: Sie würde Neuronen sehen, die wie Feuerwerkskörper aufloderten und entbrannten, doch wäre es ihr nicht möglich, meine bewusste Erfahrung als solche in Augenschein zu nehmen oder die Beschaffenheit dessen zu erfassen, wie sich der musikalische Furor in mir auswirkt, oder das Gefühl gemeinsam empfundener Wut. Subjektive Zustände wie diese treten schlichtweg nicht wie Eigenschaften eines materiellen Objekts in Erscheinung. Als solche sind sie für die Beobachtung durch Dritte weder gleich einem Mikrofon oder einem T-Shirt zugänglich, noch lassen sie sich von neurowissenschaftlichen Instrumenten ablesen oder in einer streng physikalischen Sprache beschreiben.19

Auf den ersten, nach innen gerichteten Blick könnte man also tatsächlich versucht sein, anzunehmen, der Geist sei etwas vom Körper Grundverschiedenes. Andererseits aber verfügen wir über keine handfesten Beweise für körperlose Gedanken, keine Kenntnis über von Gehirnen unabhängige Geister, keine Daten, die nahelegen würden, dass manche Arten von Seelen auch nach dem Verfall ihrer körperlichen Stätte weiterleben. Stattdessen besitzen wir ein Übermaß an Erfahrungen, die bezeugen, dass der Geist den Körper dahingehend lenkt, verschiedene Handlungen auszuführen, und dass der Körper sich in die Funktionsweisen des Geistes einmischt; was letzteren kausalen Verlauf angeht, so kann jeder, der einmal unter dem Einfluss von Alkohol oder psychoaktiven Drogen gestanden hat, dessen Existenz bestätigen, und der Angriff auf die Sinne während eines Konzerts kommt bestimmt der Entzündung eines mentalen Feuerwerks gleich. Die Beziehung scheint also von Abhängigkeit und Differenz geprägt zu sein. Doch wie lassen sich die beiden miteinander versöhnen?

Die Lösung des substanzmonistischen Eigenschaftsdualismus – oder schlicht und einfach »Eigenschaftsdualismus« – setzt an bei der Anerkennung des Gehirns als Sitz aller mentalen Vorgänge. Diese müssen zu einem absoluten und unüberwindbaren Ende kommen, sobald die Gehirnfunktionen nachlassen. Das legt jedoch nahe, dass die physische Einheit des Gehirns – als auch der menschliche Körper als Ganzes – Träger mentaler Eigenschaften ist, die ihrerseits nicht auf bloße Materialität reduziert oder mit physischen Komponenten gleichgesetzt werden können. Sie sind im Körper verankert und nicht von ihm ablösbar: Folglich zählen sie zu genau derselben Substanz wie dieser. Es handelt sich bei ihnen um nicht-physische Eigenschaften des Körpers, deren Summe den Geist konstituieren.20 Ihr Erkennungsmerkmal ist das, was Jacquette und andere Philosoph:innen als »Intentionalität« bezeichnen. Ein Gedanke hat immer einen Inhalt, ist immer über etwas. Er weist auf ein anvisiertes Objekt hin, sei es die Tochter, die ich vermisse, das Essen, nach dem ich lechze, das Argument, das ich entwickle, der Gott, den ich bezweifle, der Sturm, den ich erwarte, der Bauchschmerz, der mich heimsucht, oder die Faschisierung der Gesellschaft, die mir Angst macht. In diesem Zusammenhang bezieht sich »Intentionalität« auf eine abstrakte Beziehung zwischen einem Geisteszustand und einem Objekt, auf eine Verbindung, mit der Ersterer auf Letzteres verweist. Es handelt sich demnach also um einen Aspekt des Denkens selbst – es ist nicht dieses oder jenes Kapillargefäß, dieser oder jener Kortex, der einen Inhalt hat; als rein materielle Entität verstanden, ist das Gehirn nicht zu einer Tochter oder einem Abendessen hingewendet. Es bringt die mentale Eigenschaft des intentionalen Denkens hervor, die sich von jeglicher physischen Ausformung des Gehirns unterscheidet und sich in der Sprache, die dieser zugrunde liegenden Ebene angemessen wäre, nicht ausdrücken lässt. Bisher hat niemand dargelegt, wie man das Gehirn möglicherweise durchleuchten und so die neurochemische Verfasstheit ermitteln könnte, die Donald Trump und nicht Daenerys Targaryen anvisiert.21

Wenn ich darüber hinaus über Daenerys Targaryen nachdenke und mir ihren nächsten Schritt im Kampf um die Eroberung Westeros’ überlege, dreht sich mein Denken um eine Person, die nicht existiert. Da es sich bei ihr um eine fiktive Figur handelt, kann sie physisch nicht mit den materiellen Objekten verbunden sein, aus denen mein Gehirn besteht. Hierbei genügt es keineswegs zu sagen, dass ich eigentlich an das Buch von George R. R. Martin oder an die HBO-Serie denke, schließlich bezieht sich mein Denken weder auf das eine noch das andere davon, sondern eben auf Targaryen selbst und auf ihr nächstes taktisches Manöver. Mir fallen noch viele andere Dinge ein, die im Hier und Jetzt nicht existieren, unter anderem etwa eine Welt, die sechs Grad wärmer ist. Diese Fähigkeit, sich mit Dingen zu beschäftigen, die es (noch) nicht gibt – etwas, wozu das Gehirn und das Nervensystem streng genommen an sich nie in der Lage sein dürften –, begründet eine eigentümliche Ausrichtung auf die Zukunft, eine Aufgeschlossenheit gegenüber unterschiedlichen Möglichkeiten, die Fertigkeit, sich ein Ziel zu stecken, Fähigkeiten wie Vorstellungskraft, Kreativität und Raffinesse. Daraus folgt, dass »der Geist eine neue Kategorie des Seienden in der materiellen Welt darstellt«.22 Eigenschaftsdualist:innen wie Jacquette beharren darauf, dass dieser Erscheinungsform nichts Übernatürliches zu eigen sei – lehre uns doch bereits die Wissenschaft, dass sich das Leben mit all seinen erstaunlichen Merkmalen spontan herausgebildet habe, nachdem sich die Materie selbst in hinlänglich komplexen Strukturen angeordnet habe.23 Warum also sollte es dem Leben ab einem bestimmten Stadium seiner Entwicklung verwehrt sein, das Wunder des Geistes hervorzubringen? Intentionalität stellt eine emergente Eigenschaft dar, die sich nicht auf das Fundament reduzieren lässt, dem sie sich beigesellt und ohne das sie nicht existieren kann. Jeder Gedanke wird durch Ereignisse im Gehirn realisiert, und jeder Gedanke besitzt wenigstens eine Eigenschaft, über die die Hirnsubstanz sensu stricto nicht verfügt.24

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