Читать книгу: «Lidwicc Island College of Floral Spells», страница 5

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»Nicht unbedingt falsch. Die Prüfung ist nur noch nie so ausgegangen.«

»Das ist eine Prüfung gewesen? Wofür?«

Mera warf einen flüchtigen Blick über ihre Schulter, wobei ich ein unsicheres Stirnrunzeln wahrnahm. Vermutlich hatte sie ohnehin zu viel ausgeplaudert.

»Das erfährst du gleich.«

»Und dafür brauche ich ein Kleid?«

Sie kicherte.

Im Gehen strich ich mit meinen Fingern über die goldenen Schnörkel auf der weißen Wand. Eine der Elefantenohrpflanzen, die über mir in Hängetopfen hingen, schlug mir mit einem Blatt auf die Hände.

»Aua. Was bist du? Eine übereifrige Gouvernante?«

»Das bin ich gewesen, nicht die Pflanze.«

»Ich habe auch dich gemeint.«

Während Mera sich umdrehte und ich mich gerade noch stoppte, um nicht in sie hineinzulaufen, beschlich mich die Sorge, zu weit gegangen zu sein. Sie hob ihre Hände. Würde sie mich ohrfeigen? Ne, im Gegenteil, sie wuschelte durch meine lockige Löwenmähne, zupfte ein paar Strähnen zurecht und musterte mich.

»Perfekt. Geh rein.« Ein Schmunzeln folgte. »Behalt dir deine Art bei. Die meisten hier machen, was man ihnen sagt.«

»Danke. Ich versuche es, aber ehrlich? Ich fühle mich ein wenig gebrochen.«

Meras Blick erweichte sich eine Sekunde, wechselte danach sofort wieder zu streng und maskenhaft. »Streng dich an.«

Ein herzhafter Schlag auf den Rücken und ich schritt mit einem grummeligen Gefühl im Magen durch die nächste Flügeltür.

Zwar hatte ich mir nicht zwingend Gedanken gemacht, was mich auf der anderen Seite erwartete, mit einem leeren Ballsaal hätte ich jedoch nicht gerechnet.

»Tritt ein.«

Woher kam die Stimme?

Drinnen angekommen, schlossen sich die Türen hinter mir und da erkannte ich auch, dass ich nicht allein war. Über mir rund um den Saal befand sich eine Empore, auf der mehrere Männer und Frauen saßen.

»Komm in die Mitte.« Ich erkannte nicht, wer sprach. Nur, dass es sich um eine männliche, tiefe, raue Stimme handelte.

Das Parkett quietschte und krachte mehr als jeder Boden, den ich je betreten hatte. Oder bildete ich mir das ein? Ach, keine Ahnung. Jedenfalls trieb mir jeder Schritt mehr und mehr die Schamesröte ins Gesicht.

Erst jetzt fiel mir auf, dass die Galerie, von der aus ich beobachtet wurde, gar keinen Halt hatte. Dort, wo der Boden sein sollte, wuchsen kleinere Bäume oder überdimensionale Blumen hoch, auf denen sie thronte.

Unweigerlich musste ich mit den Augen rollen. Konnten die hier nicht irgendetwas so machen wie normale Menschen? Okay, egal. Brust zurück, Schultern raus. Nein, wie war das? Brust re–

»Sieh nach oben.« Eine Frau.

In der Mitte des Raumes guckte ich hoch. Eine Deckenmalerei erwartete mich. Ein paradiesischer Garten in allen Farben. Es dauerte jedoch, bis die Erkenntnis einsetzte, dass die Szene sich bewegte und schließlich meine Prüfung zeigte.

»Margo.«

Stille. Ein Raunen ging durch die Menge, gefolgt von Ähs und Ähms. »Mädchen, wie ist dein Familienname?«

»Ich, ich, ich habe keinen. Nicht wirklich. Meistens nenne ich mich Margo Elláda.«

»Etwas überheblich, sich selbst Griechenland zu nennen, oder?«

»Etwas überheblich darüber zu urteilen, wenn man eine Familie, ein Zuhause und eine Zugehörigkeit hat, oder?« Scheiße, warum hielt ich nie meine Fresse? Oder dachte zumindest vorher darüber nach.

Lautes Einatmen holte mich aus meinen selbsttadelnden Gedanken.

»Wie dem auch sei. Margo … Elláda. Du machst deinem Ergebnis alle Ehre.«

»Bin ich durchgefallen?«

»Man kann nicht durchfallen.« Callidora! Sie erhob sich von einer weißen Rose und durch ihre Bewegung erblickte ich sie. »Es gibt nur Ergebnisse.«

»Und was sagt es aus?«

»Du bist eine Fytós

»Eine Pflanze?« Ich begutachtete meine Hände. »Jetzt bin ich nicht nur kein Mensch oder Magierin, sondern nicht mal ein Lebewesen. Ich bin eine Pflanze? Was denn? Eine Brennnessel?« Ein frustriertes Lachen entkam mir. Mit erhobenen Armen drehte ich mich im Kreis, ehe sie wieder an meinen Körper klatschten. »Oder ein Unkraut?«

»Fytós ist bei den Pflanzenbegabten eine Umschreibung. Fytós sind Magier und Magierinnen, die eher im Angriff begabt sind. Deine Fähigkeit liegt darin, deine Magie aktiv im Kampf zu verwenden.«

»Oh. Sorry, ich bin manchmal etwas impulsiv.«

»Das haben wir in deiner Prüfung gesehen.« Ein anderer glatzköpfiger Mann, dem ein Löwenzahn aus der Mitte des Kopfes wuchs.

Wie peinlich. Das hatten alle mitverfolgt?

»Was bedeutet das?«

»Du bekommst einen Mentor zugeteilt, der dich unterrichtet.« Callidora richtete ihren Schleier und setzte sich wieder. »Daraufhin wirst du auch einige allgemeine Kurse belegen, damit du mehr über die Geschichte und Ethik der Pflanzenbegabten erfährst. Sieh es uns nach, dass wir noch nie einen Fall wie dich gehabt haben.«

Überall stellte ich mich als besonderer Fall heraus. Eine Systembrecherin. Ein sich wiederholendes Muster in meinem Leben. Wobei besonders nicht nett gemeint war. Nie, sobald es mich betraf.

»Und jetzt geh durch die Tür mit deinem Symbol.«

»Mein Symbol?«

»Natürlich, du kennst es nicht. Das Tor, über dem das Wappen mit dem Wunderbaum ist.«

Wunderbaum? Ich, was? Gehörte das zur Allgemeinbildung? Ich hatte doch all die Bücher gewälzt, die man in seiner Schullaufbahn lesen musste.

Callidora schien meinen Blick richtig zu deuten. »Das rote, stachelige, runde Ding.«

»Ah, klar, wusste ich ja.«

Die Tür stellte sich als Durchgang mit Vorhang heraus. Ich hob ihn an, als mir etwas einfiel. Auch, wenn ich merkte, dass ich die werten Damen und Herren nervte, machte ich kehrt. »Wogegen soll ich eigentlich lernen, zu kämpfen?«

Sieben


Was wäre mit einem anderen Mentor passiert?

Und dann wächst mir eine Blume aus dem Körper?«

Morpheus kratzte sich an seinen kurzgeschorenen grünen Haaren und wie er seine Nachtaugen ins Nichts blicken ließ, ahnte ich, dass er mich als hoffnungslosen Fall einstufte.

Morpheus stemmte eine Hand in seine Hüfte und legte den Kopf schief, als suchte er in den Wolken eine Antwort auf meine Frage. Besser gesagt, eine Antwort, die sogar ich verstünde, was wohl eine Herausforderung war.

»Ähm, sagen wir so, die Magie in dir gehört dir nicht kostenlos. Die Pflanzen gehorchen uns, aber nur die Seelenblume in uns ist mit uns verbunden.« Er rang sich diese Worte ab, und dennoch: Ich kapierte nichts.

Bevor ich den Mund aufmachte, schätzte ich die Entfernung von mir zur Klippe ab, die ich ja bereits kannte, und fragte mich, ob die spitzen Felsen nicht doch die bessere Alternative waren.

»Margo?«

»Ja, sorry. Ich check’s nicht.«

Ob die Träne, die er sich unter das rechte Auge hatte tätowieren lassen, bedeutete, dass er gemordet hatte? Und das Yen-Zeichen auf dem Hals, dass er Auftragsmorde beging? Wofür das ABE auf der linken Ecke seiner Stirn, kurz vorm Haaransatz, stand oder das Jessica an seinem Oberarm, konnte ich nicht ausmachen. Vielleicht war ABE sein Chef und Jessica seine Geliebte? Oder umgekehrt?

»Denkst du bitte weniger über meine Tattoos nach und mehr über deinen Unterricht?« Gemein, dennoch berechtigt.

Meine Aufmerksamkeitsspanne glich dem eines Igels, dabei hatte ich keine Ahnung, ob der Vergleich hinkte oder nicht, da ich nichts über Igel wusste.

»Es ist etwas viel. Eine Seelenblume, die in meinem Herz ist. Das klingt eklig, komisch, wie soll ich mir das vorstellen?«

Morpheus ließ das Gras unter ihm zu einem Ohrensessel wachsen und setzte sich. Ob ich das eines Tages können würde?

»Das verstehe ich. Du hast nicht viel Zeit, Margo. Ich bin dein Mentor. Die anderen haben noch fünf Tage frei und bis dorthin solltest ein bisschen die Grundlagen beherrschen. Außerdem ist unsere Magie nicht wie ein Bodybuildingtraining. Du wirst nicht unbedingt nur durch Erfahrung und anhaltendem Üben besser. Vieles wirst du einfach können, sobald du es zugelassen hast. Vieles ist oft unfairerweise der Macht der Seelenblume geschuldet. Du könntest rasch aufholen. Dein Kopf ist mehr das Problem.«

»Ja, toll. In fünf Tagen soll ich lernen, was ihr in zwei Jahrzehnten lernt?« Das erschien mir unfair.

»Normal müsstest du das auch allein lernen. Als Mentor auf Lidwicc geben wir euch nur die wichtigsten Grundkenntnisse vor. Den Rest müsstet ihr allein erarbeiten. Ich bin ohnehin eine Ausnahme, die hier lebt, weil ich euer Magiewachstum kontrolliere. Diejenigen, die euch die wichtigsten Kapitel in der Geschichte oder Kräuterkunde aufzeigen, leben nicht hier und kommen nur manchmal vorbei.«

Allein? Seine Erklärungen halfen nicht, mich besser zu fühlen. Nun brauchte ich auch einen Ohrensessel und tat, wie mein Mentor es mir erklärt hatte. Ich manifestierte das Bild eines Stuhls unter mir, erschaffen aus Gras. Stellte mir vor, wie es wuchs, mir gehorchte wie ein ausgebildeter Hund, und setzte mich wie selbstverständlich hin. Denn die Pflanzenwelt gehorchte mir, es gab keine Zweifel.

Mein Arsch knallte auf den Boden und von meinem Steißbein aus blitzte ein Schmerz durch meinen Körper, als riss ich entzwei.

Ein stummer Aufschrei entfuhr mir. Meine Hand suchte meinen Hintern und ich rieb, in der Hoffnung, es linderte meine Schmerzen – tat es nicht.

Das Grinsen, das Morpheus sich verkniff, erinnerte mich ein wenig an Daphne. Das bescherte mir den nächsten Stich. Dieses Mal verlief er mitten durch mein Herz.

Beim Massieren seiner Augenlider entdeckte ich noch jeweils ein tätowiertes X auf jedem Lid. Wie konnte er bereits ein Mentor sein? Soweit ich das erfasst hatte, reisten die meisten erst um ihren zwanzigsten Geburtstag ins Lidwicc.

»Das wird so echt nichts.« Ein Seufzen folgte seiner Erkenntnis. »Ich zeig es dir.«

Oh, das klang besser. Wir standen beide auf und Morpheus deutete auf die Stelle über seinem Herzen.

Der schlanke, dennoch definierte Körper meines Mentors leuchtete, nein, es war ein Glimmen, das seine Konturen mit der Umwelt verschwimmen ließ. Die letzten Bäume des Waldes vor der Klippe raschelten, die Baumkronen schwangen im Rhythmus von links nach rechts, als schunkelten sie zum selben Takt, den ich nicht hörte.

Zuerst erkannte ich nur eine Lichtkugel, die sich vor seiner Brust bündelte und ruhig über seiner Haut pendelte. Geschah das gerade wirklich? Also so richtig? Wenn Daphne das nur sehen könnte.

Die Lichtkugel schälte sich, nein, erblühte wie eine Blume. Blüten-blätter reihten sich umeinander, sahen aus wie winzige, gezackte, altrosa Fächer. Mein Zwinkern dauerte nicht lange und ich glaubte, das Aufblitzen eines Wurzellabyrinths unter seinem Körper auszumachen, das sich überall in ihm erstreckte. Leider verschwand es so zügig, wie ich meinte, es erkannt zu haben.

»Wow. Das ist unglaublich. Ist das echt?« Ich näherte mich und ging wenige Schritte vor ihm in die Hocke.

So viel Leben, Kraft, Wärme und Sehnsucht strahlte aus dieser halbdurchsichtigen, glitzernden Blume.

»Das ist meine Seelenblume, eine Nelke. Jeweils eine Familie hat dieselbe, jede hat ihre eigene, spezifische Fähigkeit. Jede ist nicht ganz kostenfrei mit deinem Herzen und deinem Leben verbunden.«

Etwas Heiliges umgab Morpheus, als stünde ein Gott vor mir.

»Sowas habe ich auch? Was ist deine Fähigkeit? Warum ist es nicht kostenlos?« Fragen über Fragen türmten sich in meinem Kopf auf.

Zusammen mit der Frage, warum er nur eine weite, schwarze Jeans trug, die von einem Gürtel gehalten wurde, und kein Shirt?

Ein schiefes Grinsen huschte über das Gesicht meines Mentors, als er seine Arme ausbreitete. Die Nelke strahlte auf, verpuffte und winzige Lichtpartikel breiteten sich um ihn aus. Nach und nach verflochten sie sich und verglühten.

»Nicht, dass ich dir zu nahe treten will oder so, aber: Das war’s?«

Die Art, wie er seine Brauen zusammenzog, verriet mir, dass ihn meine Aussage verstimmt hatte.

»Großartig, ich verbuche das unter: Du hast keine Ahnung. Nimm, ähm …« Morpheus sah sich um. »Den Stein da und wirf ihn auf mich.«

Er musste scherzen. Der war so groß wie meine Hand. Andererseits, was gab es hier nicht? Langsam fing ich an, Zweifel hinten anzustellen.

»Wie du meinst.« Gesagt, getan.

Der Stein wog schwer in meiner Hand. Noch im Flug bereute ich meine Entscheidung. Was, wenn das eine Falle war und er wollte, dass ich ihn verletzte? Damit er mich anzeigen oder es als Beweis vorbringen konnte, dass ich böse war, um mich loszuwerden. Wer wollte jemanden wie mich hier haben? Hatte ich erwähnt, dass ich Vertrauensprobleme hatte?

Doch all meine Sorgen verpufften, als der Stein wenige Zenti-meter vor ihm abprallte und im hohen Bogen über meinen Kopf in den Wald hinter uns sauste.

»Geil.«

Sein magischer Schutzschild zerbrach wie ein Spiegel, die Splitter zogen sich über seinem Herzen zusammen und verschwanden in ihm.

»Danke. Du hast auch eine Seelenblume.«

»Wie soll ich das machen?« Ich guckte an mir herab und fand mich gewöhnlicher als je zuvor.

»Das müssen wir herausfinden. Normalerweise wird man damit geboren und kann sie einfach einsetzen. Es ist ein Instinkt. Zu blinzeln übst du auch nicht.«

Wie sollte ich hier jemals dazugehören? Um meine Verzweiflung zu kaschieren, mied ich es, ihm ins Gesicht zu gucken, als ich mich wieder vor ihn stellte.

»Wir trainieren das seit über einer Stunde und ich, ich kann nicht mehr, Morph. Ja, ja, wir haben keine Zeit, aber ich ticke bald aus.«

»Was?«

»Ich ticke bald aus.« Mit Nachdruck betonte ich jedes Wort.

»Nein, du hast mich Morph genannt. So hat mich ewig niemand mehr genannt. Witzig.« Gedankenverloren setzte er sich wieder in seinen Grassessel. Angeber.

»Um ehrlich zu sein, Margo, du hast recht. Es tut mir leid, wie wir bisher mit dir umgegangen sind. Das geht so nicht. Wir können das nicht erzwingen.« Morph rutschte tiefer, schwang seine Beine über die Graslehne und lümmelte sich in seinen Zauberstuhl. »Es gibt diese Theorie von Magiae Florence Bloom. Er erforscht die magische Welt. Er meint, dass wir unsere Seelenblumen als Babys bekommen, weil wir da am unschuldigsten sind und sie ja an unser Leben gebunden ist.«

Da mein Kopf einer vollgepackten Abstellkammer glich, konnte ich ihm nicht folgen. »Schön für Bloom?«

»Nein, ich meine damit, ich glaube, du kannst deine Seelenblume nicht heraufbeschwören, weil du nicht unschuldig genug bist.«

»Könnt ihr auch noch mein bisheriges Sexleben ausforschen oder so?«

Ein lautes Lachen entfuhr Morph.

»Margo, o mein Gott, nein. Blooms Theorie, äh.« Er stoppte, weil er wieder lachte, und ich kam mir blöd vor. »Sorry. Er meint, dass wir als Babys ein unbeschriebenes Blatt sind und so unser Geist rein und bereit für die Seelenblume ist. Wurzeln hat sie sofort geschlagen, bereits während unsere Mütter mit uns schwanger sind. Sie erblüht erst bei der Geburt. Wenn das bei dir versiegelt worden ist, sind nur die Wurzeln in dir.«

Das klang so widerlich und ich erschauderte bei dem Gedanken daran, Wurzeln um mein Herz zu haben. Obwohl ich mit meiner Hand auf meiner Haut herumdrückte, spürte ich nichts davon.

»Imaginäre Lichtwurzeln«, sagte Morph, als er wohl erkannte, was in mir vorging.

»Was soll ich tun? Sag es doch einfach.«

»Du musst mit dir ins Reine kommen. Dich reflektieren, dich und deine Vergangenheit akzeptieren und dich lieben, wie du bist. Quasi als Dünger für deine Blume.«

Jetzt war ich es, die laut loslachte. »Dann können wir es vergessen.«

»Sei etwas optimistischer. Wir schaffen das.« Aus dem Nichts hörte ich eine glockenhelle Stimme hinter mir, die mir nicht unbekannt war.

Wie eine Ballerina machte ich auf der Stelle kehrt und tatsächlich, ich hatte mich nicht geirrt.

Acht


Was wäre an einem anderen Ort passiert?

Starren mich die anderen an?«

»Ja.« Harmonia: Profi darin, wie man jemandem seine Sorgen nahm.

»Ich bin dir zwar dankbar, dass du mich aus dem Mentoring mit Morpheus gerettet hast, weshalb ich nicht zu viel verlangen will, jedoch wäre das nun dein Part gewesen, zu sagen: Nein, das bildest du dir nur ein, du bist noch schlaftrunken, weil du beinah vierund-zwanzig Stunden durchgepennt hast.«

Meine Zimmerpartnerin hob die gelben Augenbrauen und ihr Mund verformte sich zu einem lautlosen O. »Oh! Ich, ich, habe gemeint, weil du so verdammt heiß aussiehst. Nicht, du weißt schon, weil du creepy bist.«

Warmes Meerwasser umspülte meine Knöchel, als ich stehen blieb. Das Wasser malte Muster in den Sand und ließ einige Sandkörner sowie Muschelteile auf meinem Fuß zurück. Ich sah an mir hinunter und deutete mit meinen Händen auf die grauen Shorts, danach auf das weiße XXL-Shirt. »Meinst du das ernst?«

»Ja?« Harmonia drehte sich um und bemerkte, was mir auffiel.

Bemüht unauffällige Blicke vieler Studierenden, die mich musterten.

»Gehen wir weiter.« Harmonia zog mich mit sich, wobei ich ihre schwitzigen Hände bemerkte. »Versteh sie auch. Du bist hier, ohne jegliche Ahnung darüber, dass es Magie gibt.«

Neben uns spazierten zwei Typen vorbei. Einer in Leo-Optik, die sich nicht nur auf seiner engen Bermudabadehose zeigte, sondern auch in dem Muster, das er sich in seine kurzen Haare eingefärbt hatte. Der Zweite tat es ihm im Zebralook gleich. Eigentlich fand ich das mega. Wie die beiden mich begafften und ihre Münder angewidert verzogen, nahm mir allerdings wieder die Lust daran, sie kennenzulernen. Die beiden schauten auf mich herab. Nein, wirklich. Die langen, schlaksigen Typen waren bestimmt zwei Meter groß.

»Ludwig und Gustavius. Brüder aus Wien. Die sehen jeden so an.«

Ob das der Wahrheit entsprach? All die magischen Studierenden saßen an Tischen, die sich um den Strandabschnitt verteilten und die wie Blüten aussahen, quatschen, lachten, holten sich Getränke von einem Kiosk, der die Form eines Kaktus hatte, und ich stand wieder nur abseits.

»Kannst du mir dabei helfen, mit mir ins Reine zu kommen? Wie macht man sowas überhaupt?« Das stellte sich als die bisher schwerste Aufgabe für mich heraus.

Denn genau das hatte ich mein Leben lang vermieden.

»Lernen wir uns besser kennen, dann kannst du dich mehr öffnen.« Harmonia sah sich um. »Komm, wir holen uns zwei Limos und suchen uns einen ruhigeren Platz. Vielleicht das Volleyballfeld.« Aus Harmonia sprühte das pure Leben und bei jedem sonnigen Grinsen steckte sie sogar beinah mich an.

Wie lange würde sie mich mit ihrer Frohnatur noch aushalten? Bald würde ich auch ihr zu viel geworden sein. Saugte ich sie mit meiner Negativität nicht aus? Mir vorzustellen, wie mein Pessimismus ihre strahlende Aura ergrauen ließ, stimmte mich traurig. Für alle in meinem Leben war ich nur eine Last.

»Margo? Kommst du?« Harmonia deutete zum Kiosk.

»Willst du dir deine freien Tage mit mir versauen?«

»Warum versauen?« Harmonia begutachtete mich, als hätte ich etwas total Abwegiges gesagt. »Sonst hätte ich es ja nicht angeboten.«

Nervös knetete ich meine Hände. Die Blicke brannten sich in meinen Körper, und sie zu ignorieren brachte nichts. Ich betrachtete das Meer. Die untergehende Sonne, die ich vor kurzem noch mit Daphne gesehen hatte, weckte neuen Mut in mir.

»Gehen wir.«


»Stopp, hör auf!« Harmonias Lachen schrillte über den Volleyballplatz, der glücklicherweise wie leergefegt war. »Das stimmt doch nicht.«

»Doch, Harmonia. Wenn du wüsstest, was auf der Straße so passiert.«

Das Kleeblatt, das Harmonia hatte wachsen lassen, damit wir es als Picknickdecke umfunktionieren konnten, war mittlerweile plattgedrückt. Nach dem Lachflash setzte sie sich wieder auf. Da wir am Rand des Volleyballfeldes lagen, spielte sie mit der Sandburg, die wir gebaut hatten.

»Wie sieht es mit dir aus? Wo wohnst du, wenn du nicht auf Lidwicc bist?«

Ein Schlag noch und das Dach der Sandburg hatte die Form erreicht, die ich wollte.

»Toulouse. In Frankreich.« Sand rieselte durch ihre Hand. Sie sah weg, ich kannte diesen leeren Blick. Sie verfiel in eine Art Trance, weil sie eine Erinnerung unterdrückte.

»Blödes Thema?«

»Nein, es ist nicht so schlimm wie …«

»Bei mir?«

»Das habe ich nicht gemeint, eher, ähm.«

»Schon gut, Harmonia. Ich weiß, dass es nicht das non plus ultra ist, auf der Straße zu leben.«

»Wie ist es dazu gekommen?« Harmonia schnappte sich mit ihrer leicht zitternden Hand ihren Pappbecher und saugte an dem pflanzlichen Strohhalm.

»Es ist ein, hm.« Was machte ich da? Harmonias Gesellschaft mochte angenehm sein, trotzdem kannte ich sie nicht, also durfte ich nicht zu viel verraten. »Ein wenig kompliziert.«

Harmonia tat meine Antwort mit einem Nicken ab. Die plötzlich auftretende Stille zeigte mir, dass sich unsere Annäherung ausgebremst hatte.

»Ganz alleine?«

Nicht er wieder. Links von uns schritt er zwischen den Bäumen hervor und betrat den Platz, als wäre er auf einem roten Teppich. Jedoch begleitete ihn jemand.

Harmonia riss vor Schreck die halbe Sandburg um.

»Harmonia.« Ein Mädchen mit hochgesteckten, roten Locken hatte sich bei Drakon eingehakt und richtete sich ihre dicke Eisenkette um den Hals.

»Clio. Ganz alleine unterwegs?« Was meinte Harmonia?

»Du kannst mich nicht mehr behandeln, als wäre ich unsichtbar.« Eigentlich ein ziemlich passender Einwand von Drakon.

»Ganz allein, mein Bruder wollte nicht mit.« Clio war Drakons Schwester? Die beiden sahen sich nicht ähnlich. Wirkte Clio wie aus einem klischeehaften Gothic Musikvideo samt düsterem Make-up, stolperte Drakon geradewegs aus einem Gossip Girl Spin Off – er gehörte dabei zu den bösen Reichen.

»Ha, ha, total unlustig.« Drakon löste sich von seiner Schwester und warf seinen Blazer über die Schulter.

»Wer ist deine Freundin?« Clio schenkte mir ein knappes Lächeln.

»Das ist Margo.« Drakon posaunte das heraus, als wäre er stolz, diese Information vor Clio erfahren zu haben.

»Ah, du bist die, die so tut, als hätte sie keine Ahnung von ihrer Magie, damit du der Hauptcharakter in unserer kleinen Soap namens Lidwicc College bist?« Was war schlimmer? Ihre Aussage oder ihr lautes Kaugummikauen?

»Als du mich verfolgt und angebaggert hast, klang es nicht, als wüsstest du von nichts.« Wie gern hätte ich ihm sein Grinsen aus dem Gesicht geprügelt.

Da gab es aber auch noch diese eine selbstauferlegte Regel von mir: Nie in der ersten Woche, in der ich neu bin, jemanden verprügeln.

Zwar musste ich zugeben, dass Harmonias geweitete Augen und der Schock in ihrem Gesicht Gold wert waren. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen.

»Ich habe dich angebaggert? Da habe ich etwas versäumt.«

»Muss dir nicht peinlich sein.« Drakons Schulterzucken machte die Situation nicht besser. Ich kannte solche Typen wie ihn.

Auf der Straße lauerten diese Leute mit dem Selbstbewusstsein eines Löwen, das sie sich mit einer Line ins Hirn geschossen hatten, an jeder Ecke. Auch für meine Leute musste ich eine Lanze brechen. Die meisten von ihnen waren tolle Menschen, die mir mehr Familie als reiche Adoptiveltern waren.

»Ich habe dir nichts davon erzählt«, sagte ich und erhob mich, »weil es dich nichts angeht, du peinlicher Arsch.« Ganz dicht vor ihm legte ich meinen Zeigefinger auf sein Brustbein. »Und jetzt zieh Leine.« Mit ein wenig Nachdruck stupste ich ihn weg.

Clios ungläubiger Blick spiegelte sich auch in dem Gesicht ihres Bruders wieder, der einen Schritt zurückging.

»Du weißt echt nicht Bescheid, oder?« Warum glaubte Clio mir auf einmal?

Sofort roch ich Harmonias klebriges Honig-Karamell-Parfüm, noch bevor sie neben mir stand.

»Zufrieden? Haut ab.« Sie legte ihre Hand auf meinen Rücken, als müsste sie mich bestärken.

»Habe ich etwas verpasst?« Jeder von den Dreien wich meinem Blick aus und ich fragte mich, warum ich erst zur anderen Seite der Insel ans Volleyballfeld wechseln musste, damit mir geglaubt wurde?

»Du weißt nicht, wer wir sind?« Drakon richtete sich seinen Kragen und am liebsten hätte ich diesem arroganten Gesichtsausdruck das Muster meiner Faust zugefügt.

»Genauso wenig wie ihr mich kennt.«

»Ich bin Drakon Fenrir Olivsson und das ist meine Schwester Clio Elektra.« Er verkündete ihre Namen wie eine Oscarnominierung.

»Okay, und was wollt ihr, dass ich mit dieser Info mache?«

»Margo. Nicht.« Harmonias Hand an meinem Rücken zitterte.

»Wir sind die einflussreichste Familie in der magischen Welt, die die stärksten Pflanzenbegabten hervorgebracht hat.« Clio verdrehte die Augen, als wäre ihr Drakons Gelaber selbst zu viel.

»Hört sich an, als wärt ihr Gärtner mit einem besonders grünen Daumen.« Nach meinem Kommentar wirkte Drakon wütend und schürzte angewidert seine Oberlippe, bis er sich verwundert an seine Schwester wandte, nachdem sie losprustete.

»Sieh mich nicht so an. Das ist echt lustig gewesen.« Clio presste ihre Lippen aufeinander, bis der schwarze Lippenstift verwischte, doch sie lachte wieder los.

»Sie macht Witze über uns.«

»Ach, halt den Ball flach. Du bist derjenige, der bei allen Familientreffen Jokes auf Kosten unserer Familie macht.«

»Ich wollte euch nicht zu nahe treten, aber es nervt, dass ihr glaubt, ich mache einen auf besondere Märchenprinzessin. Der einzige Grund, warum ich noch hier bin, ist …« Daphne.

»Das geht euch nichts an.«

»Ganz richtig, Margo. Nur kommen wir so nicht weiter.« Callidora hüpfte aus einem Märzenbecher, als wäre es das Normalste auf der Welt, und näherte sich mir.

Niemand erschrak und ich hüpfte nur nicht zurück, weil Harmonias Hand mich daran hinderte.

»Komm mit mir.«


Vielleicht hätte ich doch mit Callidora gehen und nicht Drakon zum magischen Basketballplatz folgen sollen.

Die Tulpe wackelte auf und ab, als Drakon abermals traf.

»Siehst’e. Hab doch gesagt, ich treffe zwanzigmal hinter-einander.« Drakon streckte die Brust raus und bedeutete der Basketballkorb-Blume mit dem Zeigefinger, ihm den Ball zurückzugeben.

»Nicht schlecht.« Sagte ich, die kein einziges Mal getroffen hatte.

Ich hielt mir zugute, dass ich noch zu geschockt über die Indoor-Basketballhalle war, in der statt Körben zwei gegenüber-liegende übergroße Tulpen standen.

Was diese Magie bewirkte, begriff ich nur schwer. Träumte ich echt nicht?

»Krass mit den Tulpen.«

»Fosteriana.«

»Hä?«

Drakon schoss mir den Ball zu, den ich nur mit Mühe fing. »Das ist nicht einfach eine Tulpe, das ist eine Fosteriana-Tulpe.«

»Schön für sie?«

Drakon zog die Brauen zusammen und knabberte auf der Unterlippe herum, ehe er sich näherte. »Hörst du sie nicht?«

Hören? Sorgsam achtete ich auf Geräusche. Nichts.

»Was?«

»Die Pflanzen. Sie flüstern einem doch zu, wie sie heißen. Außerdem lernen wir als Kleinkinder die Namen aller Pflanzen.«

»Tja, ich bin nicht wie ihr.«

Drakon schnappte sich den Basketball und schlich an mir vorbei. »Stimmt. Ist komisch irgendwie. Komme mir vor, als würde ich mit einer Nichtmagierin sprechen, und das ist verboten.«

Gedanklich erschien eine Hand mit Stift in meinem Kopf, die sich notierte, dass ich mit Nichtmagiebegabten nicht über das alles sprechen durfte.

»Tut es ihr weh?«

Drakon blieb stehen. »Was?«

»Der Fosteriana, wenn wir sie als Basketballkorb benutzen?«

Belustigtes Schnauben hatte ich nicht als Antwort erwartet.

»Was ist so witzig?«

»Siehst du, deine Gefühle verbinden sich mehr und mehr mit den Pflanzen. Du entwickelst deine florale Empathie. Du wirst zu einer von uns. Zu deiner Frage: Nein. Pflanzen, die wir magisch benutzen, werden automatisch widerstandsfähiger.«

Und da drehte sich wieder alles um mich. Der Duft der Tulpe überdeckte den der Sporthalle, in der es nach Gummi und Schweiß roch. Trotzdem wurde mir von beidem gerade übel. Wie sollte ich das alles jemals verarbeiten?

»Soll ich dich noch ein wenig im College herumführen?«

Seitdem ich vorhin panisch vor Callidora weggelaufen war, als sie am Volleyballplatz aus dem Märzenbecher gesprungen war, weil ich Angst vor dem hatte, was sie mir vorgeschlagen hatte, folgte Drakon mir auf Schritt und Tritt.

»Was hast du davon, wenn du nett zu mir bist?« Niemand war jemals einfach so nett. Nie. Nicht in meinem Leben.

Drakon öffnete mithilfe einer Kletterpflanze, die überall im Schloss waren, die Tür aus der Sporthalle und zwinkerte mir dann über die Schulter zu.

»Keine Ahnung? Gutes Karma für heute?« Trottel.

Trottel mit schönen, zartgrünen Augen. Solche Augen hatte ich noch nie gesehen. Und warum roch der auch noch so gut nach Mandarine, Basilikum und grünem Tee?

Wieder außerhalb schlenderten wir an verglasten Räumen vorbei, in denen Studierende herumwirbelnden Blättern auswichen oder sich an einer bepflanzten Kletterwand auspowerten.

»Wirkt das befremdlich auf dich?«

»Das wäre untertrieben. Ich meine, ich habe gedacht, ich wäre diejenige, die viel gesehen hat. Auf der Straße geht einiges an Shit ab. Das ist aber nicht mit hier zu vergleichen. Ich fühle mich ziemlich verloren.«

»Du hast auf der Straße gelebt?«

Unsere Hände streiften einander, als der Flur enger zusammenlief. Ein Stromschlag brachte mich aus dem Konzept. Hatte er das auch gespürt?

Na toll. Warum erzählte ich ihm davon? Ich brauchte gar nicht hinsehen, denn ich spürte den mitleidigen Blick auch so auf mir. Das arme Straßenmädchen. Wobei ich bestimmt weniger bemit-leidenswert rüberkäme, wüssten die Leute, dass ich alles andere als ein missverstandener Engel war. Verdammt, natürlich hatte ich krumme Dinger gedreht, um zu überleben. Selbst Menschen, denen es schlechter als mir ging, hatte ich manipuliert, damit sie mir halfen. Nicht nur einmal war ich diejenige gewesen, die andere in die Pfanne haute, um einen Vorteil daraus zu ziehen. Warum auch nicht? Ich kannte nur Verrat und Bosheit. Glücklicherweise hatte sich das irgendwann geändert. Daphne spielte dabei eine große Rolle. Wenn ich doch nur noch einmal über ihre große, schiefe Nase streicheln könnte, die sie so gehasst und ich so sehr geliebt hatte.

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