Читать книгу: «Sigfrids Träume», страница 2

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»Weißt Du was, Katja, wir ändern das wieder um.«

»Aber Igor, – das geht doch nicht. Es ist doch nun alles, wie sagt man so schön, gerichtsnotorisch festgelegt.«

»Das macht doch gar nichts! Ja, was wollen die Herren denn tun, wenn ich Dir den Streifen Erlenbusch wieder zurückschenke?«, lachte Igor und schlug sich vor Freude auf die runden Schenkel.

»Aber Igor …«

»Na ich kann doch mit dem Stremel nichts anfangen, – eher schon Du …«

»Damit kannst Du recht haben, – aber dann kaufe ich Dir das Stück lieber ab«, meinte die Kaminski.

Aber Igor wollte davon nichts wissen. Nein, es sollte eben eine Schenkung werden. Letztendlich willigte Katja ein, bestand aber darauf, daß Igor nun endlich ihr den längst fälligen Gegenbesuch abstatten sollte.

Als sie sich draußen im Beisein von Igor und Sebastian verabschiedete, bemerkte sie mit einem Blick auf das von altem, grauem Putz bedeckte Haus:

»Weißt Du, Igor, Du hast eigentlich ein sehr schönes Haus, aber von außen könnte es doch ein bißchen Farbe vertragen.«

»Ja ja, ich habe auch schon des längeren daran gedacht, es machen zu lassen, aber dann ist mir doch immer wieder etwas dazwischen gekommen.«

Dem armen Sebastian geriet ob solcher Rede seines Herrn fast die parallele Führung seiner Augen durcheinander, hatte er selbst doch zu wiederholten Malen dem Herrn des Hauses einen neuen Anstrich nahe gelegt, aber jedes Mal eine Abfuhr erhalten – meist noch mit dem poltrigen Bemerken: »Ja ja, und dann womöglich noch weiß, so wie das Haus dieser verflixten Kaminski.«

So geschah es denn, daß zwei Wochen später Igor Alexandrowitch sich von Sebastian durch den bekannten Erlenweg, dann an seinem Ende links einbiegend, zu dem stattlichen Haus der Kaminski kutschieren ließ – wieder im offenen Landauer, aber jetzt ohne die berüchtigten Erlenbüsche an seinen Ecken.

In seinen Händen hielt er eine Aktentasche mit dem Schenkungsbrief und einer genauen Bezeichnung der Teilgemarkung aus dem Grundbuch.

Das Haus der Kaminski machte wegen der vier im Halbkreis vor dem Eingangsbereich postierten Säulen, die ein kleines Dach trugen, den Eindruck eines kleinen Schlößchens, – nicht zuletzt auch wegen des weißen Anstrichs, der einem besonders jetzt, da schon einiges Laub gefallen war, schon von weitem entgegen sprang.

Als Igor gegen Abend wieder zurückfuhr, hatte er nicht nur seinen Schenkungsbrief sondern auch ein Versprechen abgegeben, das es der Katja erlaubte – als kleine Gegenleistung sozusagen –, die Kosten für einen Neuanstrich des Wohnhauses Alexandrowitsch zu übernehmen und die Durchführung zu überwachen.

So ereignete es sich, daß noch in den Herbsttagen desselben Jahres die flinke Katja vor dem Hause des Igor Alexandrowitsch herum wirbelte, die Handwerker einmal lobte, einmal schalt, oder ihnen genaueste Anweisungen über die Zusammensetzung der verwendeten gelblichen Ockerfarbe gab. Igor ließ sie gewähren und wunderte sich nur über die leichte, fast jugendliche Gestalt, die sich an seinem Hause zu schaffen machte.

Sebastian aber, die treue Seele im Hause Alexandrowitsch, hatte immer wieder nur den einen Gedanken: Wenn das doch bloß die seligen Eltern erlebt hätten.

Als Katja schließlich Igor um das Haus führte, damit er sich von der Güte des Anstrichs überzeugen sollte, fand er es eigentlich schade, daß er nun diese Gestalt nicht mehr um sich haben sollte.

Darum entsprach es zwar seinen Gefühlen, setzte aber seinen eigenen Verstand in großes Erstaunen, als er sich, mir nichts dir nichts, beim Abschied sagen hörte:

»Weißt Katja, ich denke wir sollten gemeinsam anfangen zu reiten, – ich glaube das läutert die Seele«.

Die Bildnisse der Mary Moore
I

Als Shiki-hi-una, ein Häuptling der Cheyenne, den die Weißen wegen seiner großen Körperkraft auch John Bull nannten, mit einigen seiner älteren Stammesangehörigen auf die Lichtung trat, wartete dort ein seltsamer Mann. Er stellte sich sehr freundlich und versuchte – in der Annahme, daß Shiki-hi-una seine Sprache nicht verstehen würde – durch Gestikulationen der verschiedensten Art diesem beizubringen, daß er in friedlicher Absicht gekommen sei.

Nachdem es ihm gelungen war, Shiki-hi-una nahe zu sich heranzuwinken, zeigte er mit seinen beiden Händen auf einen großen hölzernen Kasten, der schwarz gefärbt war und an dem verschiedene metallene Schrauben zu sehen waren. Das Auffallendste von allem aber war ein großes, leeres gläsernes Auge an ihm.

»Da, da«, sagte der Fremde, indem er mit immer anderen Handbewegungen auf den Kasten zeigte, »da – das ist: Camera obscura«, und um es dem stummen Häuptling gleichsam einzutrichtern, wiederholte er, jede Silbe betonend: »Da, Ca-me-ra obs-cu-ra!«

Aber der Häuptling schüttelte nur seinen Kopf.

Der seltsame Mensch aber, der beflissen und wichtigtuerisch um diese Holzkiste herumscharwenzelte, deutete dieses Kopfschütteln als die zu erwartende Unkenntnis des Häuptlings über die neuere technische Entwicklung und versuchte durch allerlei Tricks bei seinem Gegenüber ein Verständnis dafür zu erzeugen. So stellte er den Holzkasten vor sich hin und baute sich in herrischer Pose davor breitbeinig auf, bald auf sich, bald auf den Kasten zeigend.

Aber auch damit kam er keinen Schritt weiter.

Doch dann hatte er eine Idee.

Er zog aus seiner Tasche eine Fotografie hervor, die ihn selbst darstellte, steckte sie in die rückwärtige Front des Kastens und holte sie sogleich wieder mit einer schwungvollen Geste seiner rechten Hand daraus hervor.

»Hier! hier!«, rief er, »das macht Camera obscura«, und indem er auf den Häuptling zutrat, hielt er ihm die Fotografie direkt vor die Augen und wiederholte: »Da, – das macht Camera obscura! Das da bin ich – Mike Gardener – das da – auf Bild. Das macht Camera obscura!«

Häuptling Shiki-hi-una schien zu verstehen, denn er blickte neugierig auf das Bild und dann wieder auf den Fremden. Aber dennoch wiegte er sein scharf geschnittenes Gesicht hin und her, so daß Mike Gardener wiederum unsicher wurde, ob denn dieser Versuch der Wissensvermittlung ihm gelungen sei.

Von unten auf die stattliche Gestalt des Indianers blickend, faßte er sich schließlich ein Herz und rückte mit seiner Absicht, von Shiki-hi-una ein Foto zu machen, etwas deutlicher heraus.

»Du – da – stehen, still – stehen! Nicht be – we – gen. Ich – machen – Bild«, sagte er mit vor Aufregung bebender Stimme, denn er fühlte sich geradezu erfüllt von dem kulturellen Auftrag, dieses Exemplar eines stattlichen Indianers, so wie er es verstand, für ewig auf seine Fotoplatte zu bannen.

»Ich – so – ein – Bild – machen«, radebrechte er wieder in der eigenen Muttersprache und hielt dem Indianer noch einmal sein eigenes Foto hin.

Aber da verdüsterte sich die Mine des Häuptlings, und indem er mit dem rechten Arm, der noch immer seinen Speer umfaßt hielt, eine sehr bestimmte und fast feierlich langsame Bewegung vollführte, wobei die Hand einen Bogen über seinem Kopf beschrieb, sprach er, der er bis dahin wie ein Denkmal dagestanden und keinen Laut hervorgebracht hatte, in der Muttersprache des Mike Gardener:

»No – no – Du nimmst mich so nicht mit. Nicht mich und nicht meine Freunde! Nein, so nimmst Du uns nicht mit. Nicht mit diesem Kasten.«

Mike Gardener hatte diese Veränderung des Gesprächsklimas, die sich sowohl in den festen Worten des Häuptlings wie auch in dem stummen Kopfnicken seiner Begleiter ausdrückte, nicht erwartet. Er schaute vorsichtig und stumm in die Runde. Dabei beobachtete er, wie einige der umstehenden Indianer auf sein neues technisches Gerät zeigten und den Kopf schüttelten.

Nun begriff er, daß hier nichts zu machen war, wandte sich ohne Gruß um und ging mit seinem schweren Kasten, nun seinerseits kopfschüttelnd, zu seinem Esel zurück, um ihm die teure Fracht für seine weitere Reise anzuvertrauen.

Das war die Geschichte von Häuptling Shiki-hi-una.

Vielleicht hat es andere ähnliche Geschichten mit Vertretern anderer Völker gegeben, die man über lange Zeit aus Überheblichkeit »Naturvölker« genannt hat.

Ich wußte zuerst gar nicht, was diese Geschichte von Shiki-hi-una mit jener von Mary Moore zu tun hat, aber sie ist mir doch wieder in den Sinn gekommen, als man mir jene Geschichte von Mary Moore erzählt hat.

II

Helles Sonnenlicht fiel durch das geöffnete Fenster in die kleine Mansardenstube und malte, von einem vorgezogenen Store geleitet, bunte Muster auf den braunen Linoleumfußboden.

Vor einem kleinen Tisch, der sich ein wenig in die Fenstermansarde hineinschob, saß Mary Moore und betrachtete sich in einem großen Klappspiegel von allen Seiten. Sie hatte ihre Lippen mit einem leichten Rot gefärbt und strich ihr hellblondes Haar mit einer Bürste zu beiden Seiten über die Wangen herab.

Bekleidet war sie nur mit einem hellblauen Unterrock, der einen Teil ihrer Brüste sehen ließ, und, ungegürtet in der Taille, frei nach unten fiel. Sie schlug ihn zur Seite, um ihre schönen langen Beine frei zu geben und im Spiegel betrachten zu können. Dazu mußte sie sich erheben und den Spiegel auf dem Tisch in eine neue Lage bringen.

Alles nicht so schlecht, dachte sie, ließ sich in einen alten Korbsessel fallen, der an der gegenüberliegenden Wand seinen Platz hatte, legte den Kopf nach hinten, schlug die Beine übereinander und schloß die Augen.

Es war ein Sonntag im beginnenden Sommer, und sie dachte an die Obstbäume im Garten ihrer Eltern, die weit draußen in einem Dorfe wohnten. Es mußte jetzt schön dort draußen sein, aber der Weg dorthin war zu weit, zu weit jedenfalls für dieses Wochenende.

Nach einer Weile ging sie zum Spiegeltisch zurück, ergriff dort einen Zeitungsausschnitt und las mit hörbarer Stimme den Text der Annonce:

»Gut aussehendes Mädchen, auch ohne schauspielerische Ausbildung und Erfahrung, für eine längere Schauspielertätigkeit gesucht – Bildzuschriften unter Chiffre 653071.«

Sie schüttelte ungläubig den Kopf.

Ihre Freundin und Kollegin Jacky hatte ihr gestern früh im Büro diesen Zeitungsausschnitt gegeben, jubelnd das Papier wie eine Fahne schwenkend, als hätte sie einen Lottogewinn gemacht. »Na, das ist doch was für Dich«, hatte sie gerufen, »Mensch, das kann das große Los sein!«

Mary schüttelte abermals den Kopf.

Aber wenn diese Annonce nun doch stimmte? Wenn sie ihr zu einem anderen Leben verhelfen könnte?

Sie erhob sich wieder, trat vor den Spiegel und streifte ihren Unterrock ab.

Ihr makelloser Körper, jetzt nur von einem Bikini bekleidet, paßte nicht in den Klappspiegel auf dem Tisch, so daß sie diesen hin und her drehen mußte, um ihr gespiegeltes Ich langsam, von unten herauf, über ihre schlanken Beine, über ihre vollen Brüste bis zu ihrem goldschimmernden Haar betrachten zu können.

Sie war mit sich und diesem Bild von ihr zufrieden.

Warum soll ich eigentlich mein Bild nicht nutzen, wenn ich dadurch diesem entsetzlichen Großraumbüro mit seinem ewigen Klappern und seiner verordneten Geschäftigkeit entkommen könnte, dachte sie. Und warum sollte es eigentlich nicht gelingen, zumal ich doch in Abendkursen sogar eine Schauspielschule besuche, was, nach der Anzeige zu urteilen, nicht einmal verlangt wird.

Sie kleidete sich an, um ihr Mittagessen in einem kleinen Bistro einzunehmen. Der Weg dorthin war eher weit, weshalb sie sich dieses Vergnügen nur sonntags gönnte, wenn das Wetter gut war. Er führte aus der Seitenstraße, in der die Mansardenwohnung lag, hinaus auf einen breiten Boulevard, der zu beiden Seiten mit alten Bäumen bestanden war, an dem es auch eine ganze Reihe guter Restaurants gab, die aber, so wie sie es meinte, für die Upper Class bestimmt und ihrem bescheidenen Lebensstil nicht angemessen waren.

Dort bei gutem Wetter auf den weißlackierten Stühlen vor einem Café zu sitzen – ja, das tat sie hin und wieder schon. Eine Tasse Kaffee kostete schließlich nicht die Welt, und sich dort der Sonne und dem Nichtstun hinzugeben, die geschäftig eilenden oder flanierenden Menschen zu beobachten – wohl sich selbst auch beobachten zu lassen, – ja, das mochte sie.

Solche Stunden erschienen ihr als das gerade Gegenteil zu den abstoßenden Lauten und dem rastlosen Herumgehen der Arbeitskollegen in ihrem Großraumbüro.

Mary dachte dann manchmal für sich, daß diese Menschen auf dem Boulevard trotz ihres behäbigen Gebarens viel eher ein Ziel vor Augen haben könnten, als die hetzenden Kollegen im Büro, deren Ziel einem niemals so recht vor die Augen kam.

Heute waren die weißlackierten Stühle noch leer. Es war erst später Vormittag. Die Restaurants füllten sich wohl langsam, aber in die Cafés verirrten sich zu dieser Tageszeit nur wenige.

Nach einiger Zeit bog sie rechts in eine Seitenstraße ein, durchschritt diese einige hundert Meter und folgte einer kleinen Gasse zur linken Hand.

Dann stand sie vor ihrem Bistro.

Es war ein kleines Restaurant, das nach außen zwei große, grün gerahmte Fenster zeigte, durch die man den kleinen Glastresen zur linken Seite der Eingangstür und einige Tische weiter rechts erblickte, die aber, ohne Stühle, nur für die Gäste vorgesehen waren, die sich selbst bedienten.

Sie durchschritt diesen Eingangsraum und gelangte über einige aufwärts führende Stufen in den hinteren Bereich des Restaurants, in dem man an den Tischen auch bedient wurde.

Die leichten, hellgrünen Holzmöbel übten immer eine aufmunternde und einladende Wirkung auf sie aus.

Der Raum war heute noch fast leer. Nur ein junges Paar hatte sich in dem hinteren Winkel verkrochen, wohl auch, weil es sich flüsternd etwas zu sagen hatte. Mary bestellte sich einen Salat mit etwas Brot und ein Glas Wein.

Als sie eher gedankenlos in ihrem Salat herumstocherte, bemerkte sie im vorderen Raum einen alten Mann, der an einem der Tische stand und ihr den Rücken zukehrte.

Er war groß, von hagerer Gestalt und trug einen langen schwarzen Mantel, der, zur Jahreszeit eigentlich nicht mehr passend, ein Wintermantel zu sein schien.

Er hatte seinen Hut auf dem runden Tischchen vor sich abgelegt, so daß ihm sein langes Haar, weiß und strähnig, auf die Schultern fiel.

In etwas gebückter Haltung – wohl auch, weil der Tisch für seine hohe Gestalt zu niedrig war – stand der alte Mann und schlürfte seinen Kaffee.

Da bemerkte Mary – sie hätte nicht zu sagen gewußt, was sie da eigentlich anzog –, daß sie diesen Mann fortwährend anschauen mußte. Vielleicht nur deshalb, dachte sie dann, weil es hier nichts anderes anzusehen gibt.

Dann aber, gleichsam als hätte dieser alte Mann ihren Blick in seinem Nacken gespürt, wandte er sich um und blickte Mary unvermittelt an.

Mary erschrak.

Sie sah in ein Antlitz, das gänzlich eingefallen schien. Die starken Backenknochen traten weit hervor, während die Augenhöhlen

tief zurücksprangen, so daß sie von seinen Augen fast nichts bemerkte.

War es das Licht, gegen das sie schaute und das deshalb dieses Gesicht fast gar nicht berührte? Sie hatte das Gefühl, in ein totes Gesicht zu blicken. Und dann erschrak sie abermals, denn der alte Mann verzog sein Gesicht zu einem Lächeln und nickte ihr leicht zu.

Sie wußte später nicht mehr, ob dieses Lächeln ein Gruß sein sollte, auch nicht ob sie selbst es als einen solchen gewertet und beantwortet hatte. Ja, sie wußte später nicht einmal mehr genau, ob er ihr überhaupt zugenickt hatte. Sie wußte später nur, daß sie es wegen dieses Anblicks vermieden hatte, weiterhin in den Eingangsraum zu blicken.

Sie hatte schnell gezahlt und war an diesem alten Mann, ohne ihn auch nur einmal anzublicken, vorbei gegangen.

Noch lange Zeit danach, als sie des abends schon in ihrem Bett lag, konnte sie sich von diesem Anblick nicht befreien, und er bewirkte die strittigsten Gedanken in ihr.

Bald dachte sie, sie wäre dem Tod in leibhaftiger Gestalt begegnet, bald machte sie sich Vorwürfe, sie hätte sich diesem armen alten Mann gegenüber völlig falsch verhalten, indem sie, ohne seinen Gruß zu erwidern, dicht an ihm vorbei aus dem Lokal geeilt war.

Aber wie war er dazu gekommen, ihr zuzunicken?

Sie konnte sich nicht daran erinnern, diese auffallend große Gestalt irgendwann schon einmal gesehen zu haben. Beunruhigt fragte sie sich, ob diese Begegnung etwas für sie zu bedeuten habe.

Es dauerte lange, bis sie in einen schweren Schlaf ohne Träume verfiel.

III

Am darauffolgenden Tag war das Wetter umgeschlagen. Es war trübe, fast neblig, und die Bäume vor dem Fenster standen reglos da wie hingemalte Schemen, ohne auch nur den Hauch einer Bewegung zu verbreiten. Es war, als sei das Leben aus ihnen gewichen, – irgendwohin, vielleicht in ihre Wurzeln.

Es war ein Tag, da man nichts sah, ja auch nichts sehen wollte, – ein Tag, da man nichts erkannte, ja sich selbst nicht kannte. Der eigene Körper fühlte sich fremd an und ungeschlacht, als gehörte er einem nicht mehr.

Als Mary sich im morgendlichen Spiegel erblickte, gab es nicht jenes Einvernehmen zwischen Bild und Original, – nicht jene Übereinstimmung, daß alles gut sei, oder gar jenes Aufschaukeln guter Gefühle, das sich einstellt, wenn man sich im Spiegel als ansprechendes und angesprochenes Bild entdeckt, darüber froh wird, es durch ein eigenes Lächeln verstärkt, das man dann wiederum als eine weitere Aufheiterung in sich aufnehmen kann.

Nein, dieses Wechselspiel von Bild und Original fehlte heute.

Man sah etwas im Spiegel, wohl wissend, daß es zu einem gehörte, aber bis in ein überschwengliches Gefühl setzte sich dieses Wissen nicht fort. Man ließ es geschehen, daß das Spiegelbild folgsam alles tat, was man selbst an Bewegungen vollführte, – mehr aber auch nicht.

Mary stand eher versunken vor dem Bild, ohne die Ansprache, die es möglicherweise machte, in sich aufzunehmen. Sie kleidete sich mechanisch an, trank aus einer großen irdenen Tasse ihren Kaffee und machte sich auf den Weg ins Büro.

In der Straßenbahn traf sie auf Jacky, ihre Freundin. Dies geschah mitunter, wenn sie zufällig dieselbe Straßenbahn erwischten. Jacky wohnte weiter außerhalb der Stadt in einem Vorort, fuhr aber mit derselben Linie in den »Tempel« wie Mary. »Tempel«, das war der Ausdruck, mit dem Jacky das Großraumbüro zu bezeichnen pflegte, – ausgelöst wohl durch die in weiten Abständen stehenden Betonpfeiler, die Decken und Fußböden in diesem Gebäude – je nachdem wie man es sehen wollte – auseinander oder zusammenhielten.

Jacky, von zierlicher Gestalt und etwas kleiner als Mary, hatte dunkelbraune Augen, die deshalb besonders schön wirkten, weil sie von derselben Farbe waren wie ihr kurzgeschnittenes Haar, das den Blick ungehindert frei gab auf ihren schlanken wohlgeformten Hals.

Gar nicht zu diesem Bilde passend waren aber die vielen Sommersprossen, die über Nase und die oberen Wangenhälften gestreut waren, gleichsam als wollten sie den schönen Kontrast zwischen der hellen zarten Haut und der dunklen Farbe von Augen und Haar zunichte machen.

»Da bin ich ein bißchen verpfuscht«, pflegte Jacky zu sagen, wenn das Gespräch auf ihre Sommersprossen kam; und sie tat es mit blitzendem Augenaufschlag und einem spitzbübischen Lächeln, als wäre sie froh darüber, oder als hätte sie gar selbst diese »Pfuscherei« bewirkt.

»Hast Du es abgeschickt?«, war ihre erste Frage an Mary, nachdem sie sich begrüßt hatten.

»Nein, noch nicht – ich weiß nicht« –

»Mensch, sei doch nicht dumm – das kann doch Dein Glück sein. Soll ich das für Dich tun?«

»Nein, laß mal« –

»Hast Du Deine Fotos dabei?«

»Ja, – in der Handtasche.«

»Gut – wir gucken sie uns in der Mittagspause an.«

Es gehörte zu Jackys Art, die Dinge mit solch einer Zielstrebigkeit, ja Hartnäckigkeit zu betreiben. Wenn sich einmal etwas als richtig und wichtig in ihrem Bewußtsein breit gemacht hatte, dann vermochte sie nichts anderes zu tun, als es unbeirrt zu verfolgen; und hier war sie nun einmal der Meinung, daß Mary Gefahr lief, ihr Glück mit Füßen zu treten.

Beim Betrachten der Fotografien in der Mittagspause machte Jacky eine überraschende Entdeckung: Sie bemerkte, daß Mary direkt an der linken Kinnlade ein kleines Muttermal hatte, das auf der Fotografie deutlich zu erkennen war.

»Meine Güte«, sagte sie, indem sie mit ihren dunklen Augen Marys Gesicht untersuchte, »nun kennen wir uns schon so lange, und stell Dir vor: ich habe dieses Muttermal noch nie bewußt gesehen. Findest Du das nicht komisch?«

Ja, das war in der Tat eigenartig. Aber auch darin zeigte sich eine Seite von Jacky. In all den vielen Gesprächen und Begegnungen mit Mary war sie allemal vom Inhalt der Gespräche so gefangen gewesen, daß ihr dieses Muttermal bisher nicht aufgefallen war.

»Wie habe ich Dich denn bloß wahrgenommen? Habe ich Dich je genau betrachtet?«

Sie schüttelte wie zur eigenen Bestätigung den Kopf und betrachtete abermals aufmerksam Marys Gesicht.

»Also, auch bei Dir machte die Natur ein bißchen Pfusch«, sagte sie und gewann ihr spitzbübisches Lächeln zurück.

»Aber nur ein bißchen, – ein kleines bißchen nur, und ich sage Dir eins: Gegen Pfusch hilft Retusch!«, lachte sie wieder los in der Gewißheit, die Lösung für dieses Problem gefunden zu haben.

»Aber das kann man doch nicht machen«, widersprach Mary.

»Aber natürlich! Das macht doch jeder vernünftige Fotograf«, entgegnete Jacky. »Ich wundere mich eigentlich eher darüber, daß dieser Fotograf das Muttermal nicht ganz von selbst schon beseitigt hat. Eigentlich hätte sich das gehört«. Dabei ließ sie ihre dunklen Augen zwischen Bild und Marys Gesicht hin und her gehen.

»Der Mann machte Pfusch bei der Retusch«, nahm sie das Wortspiel wieder auf und fand auch zu ihrem Lachen zurück.

Aber Mary zögerte und hatte Bedenken, mit den Bildern noch einmal zum Fotografen zu gehen. Aber da packte Jacky schließlich alle Fotografien zusammen und meinte, daß sie selbst das nun in die Hand nehmen werde.

»Deine Adresse und Telefonnummer habe ich ja – Du brauchst Dich um nichts mehr zu kümmern. Wir wollen doch einmal sehen, ob wir da nicht landen können«, sagte sie entschlossen – gerade so, als ginge es gar nicht um Marys Bewerbung, sondern vielmehr um den Einsatz ihrer eigenen Geschicklichkeit und Lebensklugheit für das Glück ihrer Freundin Mary.

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9783898968942
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