Читать книгу: «Der Frauenkrieg», страница 3

Шрифт:

Nanon war von Agen. Der Herzog von Epernon, der Sohn des unzertrennlichen Freundes von Heinrich IV., hatte, zum Gouverneur der Guienne ernannt, wo sein hochmütiges Wesen, seine Anmaßungen und seine Erpressungen ihn allgemein verhaßt machten, dieses unbedeutende Bürgermädchen, die Tochter eines einfachen Advokaten, ausgezeichnet. Er machte, ihr den Hof und siegte mit großer Mühe und nach einer Verteidigung, die mit der Geschicklichkeit eines großen Taktikers ausgehalten wurde, der seinen Sieger den Preis des Sieges fühlen lassen will. Aber als Lösegeld für ihren nun verlorenen Ruf beraubte Nanon den Herzog seiner Macht und seiner Freiheit. Nach einer sechsmonatlichen Verbindung mit dem Gouverneur der Guienne regierte sie die schöne Provinz und gab allen, die sie einst verletzt oder gedemütigt hatten, die empfangenen Beleidigungen mit Wucher heim. Königin aus Zufall, wurde sie Tyrannin aus Berechnung. Bei ihrem feinen Geist hatte sie das Vorgefühl, daß man die wahrscheinliche Kürze der Herrschaft durch die gewissenloseste Ausnutzung ersetzen müsse.

Sie bemächtigte sich demzufolge alles dessen, was in ihren Bereich kam, riß Schätze, Einfluß, Ehrenstellen an sich, Sie wurde reich, sie vergab die Ämter und empfing die Besuche von Mazarin und den ersten Herren des Hofes. Sie besaß schließlich ein Vermögen von zwei Millionen.

Sie hatte wohl gefühlt, wie der Volkshaß flutähnlich stieg und mit seinen Wellen gegen die Machtstellung des Herrn von Epernon anprallte, der, an einem Tage des Zorns von Bordeaux vertrieben, Nanon mit sich zog, wie die Barke dem Schiffe folgt. Nanon beugte sich unter dem Sturme, bereit, sich wiederzuerheben, sobald der Sturm vorübergegangen wäre. Sie nahm Herrn von Mazarin zum Muster und trieb die Politik des gewandten, geschmeidigen Italieners. Der Kardinal bemerkte diese Frau, die durch dieselben Mittel, die ihn selbst zum ersten Minister und zum Besitzer von fünfzig Millionen gemacht haben, sich hob und bereicherte. Er bewunderte die kleine Gascognerin; er tat noch mehr, er ließ sie gewähren. Man wird vielleicht später erfahren, warum.

Die Bekanntschaft zwischen Nanon und Canolles hatte sich auf die natürlichste Weise gebildet. Canolles, Leutnant im Regiment Navailles, wollte Kapitän werden. Er mußte daher an Herrn von Epernon, den kommandierenden General, schreiben. Nanon las den Brief, sie antwortete wie gewöhnlich, im Glauben, sie behandle eine Geschäftssache, und bewilligte Canolles eine Zusammenkunft in diesem Sinne. Canolles wählte unter seinen Familienjuwelen einen prachtvollen Ring, der wenigstens fünfhundert Pistolen wert war – es war dies immer noch minder teuer, als sich eine Kompanie zu kaufen – und begab sich sodann zu der Zusammenkunft. Aber der Sieger Canolles, dem sein prunkhafter Ruf von Liebesglück voranging, machte diesmal die fiskalischen Berechnungen des Fräulein von Lartigues zu Schanden. Es war das erstemal, daß er Nanon sah, es war das erstemal, daß Nanon ihn sah. Sie waren beide jung, schön und geistreich. Die Zusammenkunft ging in gegenseitigen Artigkeiten hin, von dem Geschäfte war mit keiner Silbe die Rede, und dennoch wurde das Geschäft abgemacht. Am andern Morgen erhielt Canolles sein Kapitänspatent, und als der kostbare Ring von seinem Finger an Nanons überging, war es nicht mehr der Preis des befriedigten Ehrgeizes, sondern das Pfand glücklicher Liebe.

Als Nanon mit dem Herzog aus Bordeaux weichen mußte und der Pöbel sie in ihrem vergoldeten Wagen am liebsten zerrissen hätte, wählten sie das kleine Landhaus als Aufenthaltsort für Nanon, bis man ihr ein Haus in Libourne eingerichtet hätte. Canolles erhielt einen Urlaub, scheinbar, um einige Familienangelegenheiten in der Heimat abzumachen, in Wirklichkeit aber, um sein Regiment verlassen zu können, das nach Agen zurückgekehrt war, und um sich nicht zu weit von Matifou zu entfernen, wo seine beschützende Gegenwart notwendiger wurde, als je. Die Ereignisse wurden nämlich beunruhigend ernst. Die Gefangennahme der Prinzen von Condé, von Conti und Longueville bot den vier oder fünf Parteien, die damals Frankreich zerrissen, einen vortrefflichen Vorwand zum Bürgerkriege. Der Widerwille des Volkes gegen den Herzog von Epernon, von dem man wußte, daß er ganz und gar dem Hofe angehörte, wuchs immer mehr, obgleich man hätte meinen sollen, er könnte nicht mehr zunehmen. Eine von allen Parteien gewünschte Katastrophe stand nahe bevor. Nanon verschwand wie die Vögel, die den Sturm kommen sehen, vom Horizont und kehrte in ihr Blätternest zurück, um das Ereignis abzuwarten.

Sie gab sich für eine Witwe aus, welche die Einsamkeit sucht; als solche hatte sie auch, wie man sich erinnern wird, Meister Biscarros bezeichnet.

Herr von Epernon war also am Tage vorher zu der reizenden Einsiedlerin gekommen und hatte ihr angekündigt, er würde eine achttägige Rundreise antreten. Sobald er sich entfernt hatte, schickte Nanon durch den Einnehmer, ihren Günstling, ein Wort an Canolles, der sich während seines Urlaubs in der Gegend aufhielt. Nur verschwand dieses Wort im Original, wie wir erzählt haben, unter den Händen des Boten. Der sorglose Baron beeilte sich, der Einladungsabschrift Folge zu leisten, als ihn der Vicomte von Cambes vierhundert Schritte von seinem Ziele zurückhielt.

Das übrige ist bekannt.

Als Nanon, die Canolles wie eine liebende Frau, das heißt zehnmal in der Minute ans Fenster eilend, erwartete, Canolles' Billett erhielt, war sie wie vom Blitze getroffen.

Sie liebte Canolles sehr, aber bei ihr war der Ehrgeiz ein Gefühl, das der Liebe gleich kam, und wenn sie den Herzog verlor, verlor sie nicht nur ihr zukünftiges Glück, sondern vielleicht auch alles, was das frühere Glück ihr gebracht hatte. Doch sie war eine Frau von Kopf; sie löschte zuerst die Kerze, die ihren Schatten hätte zeigen können, und lief ans Fenster. Es war die höchste Zeit. Vier Männer näherten sich dem Hause, von dem sie nur noch etwa zwanzig Schritte entfernt waren. Der Mann mit dem Mantel ging voraus, und in ihm erkannte sie ganz genau den Herzog. In diesem Augenblick trat Francinette mit einem Licht in der Hand ein. Nanon warf einen Blick der Verzweiflung auf den Tisch, auf die zwei Gedecke, auf die zwei Fauteuils, auf die zwei gestickten Kopfkissen, die ihr freches Weiß auf dem karmoisinroten Grund der Damastvorhänge ausbreiteten, endlich auf das appetitliche Nachtnegligé, das mit allen diesen Vorbereitungen so gut im Einklang stand.

»Ich bin verloren,« dachte sie.

Aber beinahe in demselben Augenblick kam diesem feinen Geiste ein Gedanke, und ein Lächeln umschwebte ihre Lippen. Rasch wie der Blitz ergriff sie, das für Canolles bestimmte einfache Kristallglas und warf es, in den Garten, zog aus einem Etui den goldenen Becher mit dem Wappen des Herzogs, legte neben den Teller sein Gedeck von Vermeil, lief dann, zwar kalt vor Schrecken, aber mit einem in Eile gebildeten Lächeln, die Stufen hinab und erreichte die Tür in dem Augenblick, wo ein ernster, feierlicher Schlag daran ertönte.

Francinette wollte öffnen, aber Nanon ergriff sie beim Arme, stieß sie auf die Seite und sagte mit dem raschen Blicke, der bei ertappten Frauen den Gedanken so gut ersetzt:

Der Herzog ist es, den ich erwarte, und nicht Herr von Canolles.«

Dann zog sie selbst die Riegel zurück und warf sich dem Manne mit der Weißen Feder, der die wildeste Miene machte, die ihm zu Gebote stand, um den Hals.

»Ah!« rief Nanon, »mein Traum hat mich also nicht getäuscht. Kommt, mein lieber Herzog, Ihr sollt bedient werden, wir speisen sogleich zu Nacht.«

Epernon war ganz verblüfft; da jedoch die Liebkosungen einer hübschen Frau immer etwas Angenehmes haben, so ließ er sich küssen. Sogleich erinnerte er sich aber wieder, welche niederschmetternde Beweise er gegen sie besaß, und sagte: »Einen Augenblick, mein Fräulein, erklären wir uns gefälligst!«

Und er machte mit der Hand den Männern, die ihm folgten, ein Zeichen. Sie wichen ehrfurchtsvoll zurück, jedoch ohne sich gänzlich zu entfernen; er trat allein mit ernstem, abgemessenem Schritte in das Haus

»Was habt Ihr denn, mein lieber Herzogs« sagte Nanon mit einer so gut geheuchelten Heiterkeit, daß man sie hatte für natürlich halten sollen. »Habt Ihr vielleicht das letzte Mal, da Ihr hierher kamet, etwas vergessen, daß Ihr Euch so ängstlich nach allen Seiten umschaut?«

»Ja,« sagte der Herzog, »ich habe vergessen, Euch zu sagen, daß ich kein Dummkopf bin, und da ich vergessen habe, Euch das zu sagen, so komme ich in Person zurück, um es Euch zu beweisen.«»Ich begreife Euch nicht, Monseigneur,« erwiderte Nanon mit der ruhigsten, offensten Miene. »Ich bitte, erklärt Euch.«

Der Blick des Herzogs heftete sich auf die zwei Fauteuils, ging von diesen auf die Gedecke und dann auf die zwei Kopfkissen über. Auf diesen verharrten seine Augen länger, und die Röte des Zornes stieg ihm ins Gesicht.

Nanon hatte dies alles vorhergesehen und erwartete den Erfolg der Prüfung mit einem Lächeln, das ihre perlenweißen Zähne enthüllte. Nur glich dieses Lächeln einem Nervenzucken, und diese Zähne würden wohl geklappert haben, hätte nicht die Furcht sie aneinander geschlossen. Der Herzog wandte seinen zornigen Blick auf sie zurück.

»Ich warte immer noch auf Monseigneur,« sagte Nanon mit anmutiger Verbeugung.

»Monseigneurs Belieben,« antwortete er, »besteht darin, daß Ihr mir erklären sollt, was dieses Abendessen bedeuten soll.«

»Ich hatte, wie gesagt, einen Traum, der mir ankündigte, daß Ihr, obgleich Ihr mich gestern verlassen, doch heute zurückkommen würdet. Meine Träume täuschen mich nie. Ich ließ also ein Abendessen nach Eurem Geschmack bereiten.«

Der Herzog machte eine Grimasse, die ein ironisches Lächeln darstellen sollte.

»Und diese Kopfkissen?« sagte er.

»Sollte Monseigneur im Sinne haben, zum Nachtlager nach Libourne zurückzukehren? Dann hätte mein Traum gelogen, denn er kündigte mir an, Monseigneur würde bleiben.«

Der Herzog machte eine zweite Grimasse, die noch bezeichnender war, als die erste.

»Und dieses reizende Negligé Madame? Und diese ausgezeichneten Wohlgerüche?«

»Es ist eins von denen, die ich anzuziehen Pflege, wenn ich Monseigneur erwarte. Diese Wohlgerüche kommen von den Säckchen Peau d'Espagne, die ich meine Schränke lege, und die Monseigneur, wie er mir oft gesagt hat, allen andern Odeurs vorzieht, weil es auch der Lieblingsgeruch der Königin ist.«

»Ihr erwartetet mich also?« fuhr der Herzog mit ironischem Lachen fort.

»Ah, Monseigneur,« sagte Nanon, ebenfalls die Stirn faltend, »Gott vergebe mir! ich glaube, Ihr habt Lust in die Schränke zu schauen. Solltet Ihr etwa eifersüchtig sein?«

Der Herzog nahm eine majestätische Miene an.

»Eifersüchtig, ich? o nein! Gott sei Dank! ich habe diese Lächerlichkeit nicht an mir. Alt und reich, weiß ich natürlich wohl, daß ich getäuscht werden muß; aber denen, die mich täuschen, will ich wenigstens beweisen, daß ich mich nicht von ihnen hintergehen lasse.«

»Und wie werdet Ihr ihnen dies beweisen?« sagte Nanon. »Ich bin begierig, es zu erfahren,«

»Oh, das wird nicht schwierig sein; ich brauche ihnen nur dieses Papier zu zeigen.«

Der Herzog zog ein Billett aus seiner Tasche.

»Ich habe keine Träume mehr,« sagte er; »in meinem Alter träumt man nicht mehr, selbst im wachen Zustande, aber ich erhalte Briefe. Lest diesen, er ist interessant.«

Nanon nahm zitternd den Brief, den ihr der Herzog reichte, und bebte, als sie die Schrift sah; aber dieses Beben war unmerklich, und sie las: »Der Herr Herzog von Epernon wird benachrichtigt, daß diesen Abend ein Mann, der sich seit sechs Monaten eines vertraulichen Umgangs mit Fräulein Nanon von Lartigues erfreut, zu ihr kommen, bei ihr soupieren und die Nacht zubringen wird.

»Da man den Herrn Herzog von Epernon nicht in Ungewißheit lassen will, so setzt man ihn in Kenntnis, daß dieser glückliche Nebenbuhler sich Baron von Canolles nennt.«

Nanon erbleichte, der Streich traf mitten ins Herz, »Ah, Roland! Roland!« murmelte sie, »ich glaubte doch von dir befreit zu sein!«

»Bin ich unterrichtet?« sagte der Herzog triumphierend.

»Ziemlich schlecht,« antwortete Nanon, »und wenn Eure politische Polizei nicht besser ist, als Eure Liebespolizei, so beklage ich Euch.«

»Ihr beklagt mich?«

»Ja; denn dieser Herr von Canolles, dem Ihr die Ehre erweist, ihn für Euern Nebenbuhler zu halten, ist nicht hier; übrigens könnt Ihr ja warten, dann werdet Ihr sehen, ob er kommt.«

»Er ist gekommen!«

»Er!« rief Nanon, »das ist nicht wahr!«

Diesmal lag ein Ausdruck tiefer Wahrheit im Tone der Angeschuldigten.

»Ich will sagen, er ist bis auf vierhundert Schritte hierhergekommen und hat zu seinem Glücke in dem Gasthaus zum Goldenen Kalbe angehalten.«

Nanon begriff, daß der Herzog viel weniger wußte, als sie anfangs geglaubt hatte. Sie zuckte die Achseln, denn ein anderer Gedanke, den ihr ohne Zweifel der Brief eingegeben hatte, den sie in ihren Händen hin und her drehte, keimte in ihrem Innern.

»Ist es möglich,« sagte sie, »daß ein Mann von Geist, einer der gewandtesten Politiker des Königreichs, sich von anonymen Briefen fangen läßt?«

»Anonym meinetwegen, aber wie erklärt Ihr mir diesen Brief?«

»Oh! die Erklärung ist nicht schwierig, es ist eine Folge des schönen Benehmens unserer Feinde in Agen. Herr von Canolles bat Euch in Familienangelegenheiten um einen Urlaub, den Ihr ihm bewilligtet. Man wußte, daß er hier durchkam, und benutzte seine Reise zu dieser lächerlichen Anschuldigung.«

Nanon gewahrte, daß das Gesicht des Herzogs, statt sich zu entrunzeln, immer düsterer wurde. »Die Erklärung wäre gut,« sagte er, »wenn diesem Briefe, den Ihr Euren Feinden zuschreibt, nicht eine gewisse Nachschrift beigefügt wäre, die Ihr bei Eurer Unruhe zu lesen vergessen habt.«

Ein tödlicher Schauer durchlief den ganzen Körper der jungen Frau. Sie fühlte, daß sie den Kampf, wenn ihr der Zufall nicht zu Hilfe käme, nicht länger aushalten könnte.

»Eine Nachschrift?« wiederholte sie.

»Ja, lest,« sagte der Herzog.

Nanon versuchte zu lächeln, aber sie fühlte, daß ihre Züge sich nicht mehr zu diesem Anschein der Ruhe hergaben. Sie begnügte sich also, mit dem sichersten Tone, den sie anzunehmen vermochte, zu lesen: »Ich habe in meinen Händen den Brief des Fräulein von Lartigues an Herrn von Canolles, durch den die Zusammenkunft, die ich Euch melde, auf heute abend festgesetzt ist. Ich gebe diesen Brief für ein Blankett, das mir der Herr Herzog durch einen einzigen Menschen in einem Schiff auf der Dordogne vor dem Dorfe Saint-Michel um sechs Uhr abends einhändigen läßt.«

»Und Ihr hattet diese Unklugheit!«

»Eure Handschrift ist mir so kostbar, liebe Dame, daß ich dachte, ich könnte einen Brief von Euch – nicht zu teuer bezahlen.«

»Ein solches Geheimnis der Indiskretion eines Mitwissers aussetzen!, Ah, Herr Herzog!...«

»Dergleichen vertrauliche Mitteilungen, Madame, nimmt man in Person in Empfang, und so habe ich es auch mit dieser gemacht. Der Mann, der sich auf die Dordogne begab, war ich selbst.«

»Ihr habt also meinen Brief?« – »Hier ist er.«

Durch eine rasche Anstrengung des Gedächtnisses suchte Nanon sich zu erinnern, was der Brief enthielt, aber es war ihr unmöglich. Ihr Gehirn fing an sich zu verwirren.

Sie war also genötigt, ihren eigenen Brief wieder zu lesen. Er enthielt kaum drei Zeilen: Nanon erfaßte sie mit einem gierigen Blicke und erkannte zu ihrer unbeschreiblichen Freude, daß dieser Brief sie nicht vollständig kompromittierte.

»Lest laut,« sagte der Herzog, »ich bin wie Ihr, ich habe den Inhalt des Briefes vergessen.«

Nanon fand das Lächeln wieder, das sie einige Sekunden vorher vergeblich gesucht hatte, und las, der Aufforderung des Herzogs gehorchend: »Ich werde um acht Uhr zu Nacht speisen. Seid Ihr frei? Ich bin es. In diesem Falle seid pünktlich, mein lieber Canolles, und fürchtet nichts für unser Geheimnis.«

»Das ist klar, wie es mir scheint!« rief der Herzog bleich vor Wut.

»Das spricht mich frei,« dachte Nanon,

»Ah! ah!« fuhr der Herzog fort, »Ihr habt ein Geheimnis mit Herrn von Canolles?«

Nanon begriff, daß ein Zögern von einer Sekunde sie ins Verderben stürzen würde, überdies hatte sie alle Muße gehabt, den ihr von dem anonymen Brief eingegebenen Plan in ihrem Gehirn reifen zu lassen.

»Nun ja,« sagte sie, den Herzog fest anschauend, »der Herr und ich haben ein Geheimnis.«

»Ihr gesteht es zu?« – »Ich muß wohl da man Euch nichts verbergen kann.«

»Oh!« schrie der Herzog.

»Ja, ich erwartete Herrn von Canolles,« fuhr Nanon ruhig fort.

»Ihr erwartetet ihn?« – »Ja, ich erwartete ihn.«

»Ihr wagt es, dies zu gestehen?« – »Wißt Ihr denn aber auch, wer Herr von Canolles ist?« – »Ein Dummkopf, den ich für seine Unklugheit schwer bestrafen werde.«

»Er ist ein hochherziger und tapferer Edelmanns den Ihr auch fortan wohlwollend behandeln werdet.«

»Oh! ich schwöre bei Gott, daß dem nicht so sein »Keinen Schwur, Herr Herzog, wenigstens nicht, ehe ich gesprochen habe,« antwortete Nanon.

»Weil er,« fuhr sie, mit einer dramatischen Bewegung, den zitternden Herzog beim Arm ergreifend fort, »weil er mein Bruder ist.«

Der aufgehobene Arm des Herzogs fiel herab.

»Euer Bruder!« rief er.

Nanon machte ein Zeichen mit dem Kopfe, das ein triumphierendes Lächeln begleitete, und wußte den Herzog durch ein ebenso geschickt wie kühn gewobenes Lügennetz halb zu überzeugen. Sie deutete an, eine erste Liebe ihres Vaters zu Frau von Canolles, der Mutter ihres Bruders, sei nach seiner Verehelichung leidenschaftlich wieder aufgeflammt und habe zu ernsten Folgen geführt. Sie selbst habe von dem Verwandtschaftsverhältnis erst nach dem Tode ihres Vaters erfahren und dem um die Ehre seiner Mutter zart besorgten Herrn von Canolles schwören müssen, das Geheimnis streng zu wahren.

»Ja,« schloß sie pathetisch ihre Erzählung, »ich hatte ihm einen Eid geleistet, dieses Geheimnis niemals irgend jemand in der Welt zu enthüllen. Aber Euer Verdacht ließ den Becher überströmen. Wehe mir! ich habe meinen Eid vergessen; wehe mir! ich habe das Geheimnis meines Bruders verraten.«

Und Nanon zerfloß in Tränen.

Der Herzog, jetzt fast völlig getäuscht, fiel vor ihr auf die Knie und küßte ihre schönen Hände, die sie ganz niedergeschlagen hängen ließ, während ihre Augen, zum Himmel emporgerichtet, Gott um Vergebung wegen ihres Eidbruchs zu bitten schienen.

»Ihr sagt: Wehe mir!« rief der Herzog. »Sagt doch: Glück für alle! Die verlorene Zeit soll dem lieben Canolles wieder eingebracht werden. Ich kenne ihn nicht, aber ich will ihn kennen lernen. Ihr stellt mir Canolles vor, und ich werde ihn lieben wie einen Sohn. Doch da fällt mir ein, kommt denn der Junge nicht? Warum sollte ich warten, um ihn zu sehen? Ich werde ihn sogleich im Goldenen Kalbe holen lassen.«

»Ah! ja, damit er erfährt, daß ich nichts zu verbergen vermag und daß ich Euch gegen meinen Eid alles gesagt habe.«

»Ich werde diskret sein.«

»Ah! Herr Herzog, nun muß ich Euch den Krieg ankündigen,« versetzte Nanon mit jenem Lächeln, das die Teufel von den Engeln entlehnt haben.

»Und warum denn, meine teure Schöne?«

»Weil Ihr einst lüsterner nach einem Zusammensein unter vier Augen wart, als jetzt. Kommt, wir wollen zu Nacht speisen, und morgen früh ist es noch Zeit, Canolles holen zu lassen.« (Von jetzt bis morgen kann ich ihn benachrichtigen, dachte sie.)

»Es sei,« sagte der Herzog, »setzen wir uns zu Tische.«

Von einem Rest von Zweifeln gepeinigt, fügte er ganz leise hinzu: »Von jetzt bis morgen werde ich sie nicht verlassen, und wenn sie nicht eine Zauberin ist, wird sie kein Mittel finden, ihn zu unterrichten.«

Und sie setzten sich mit so lächelnden Gesichtern zu Tisch, daß selbst Francinette, so genau sie auch als vertraute Kammerfrau die Art und Weise des Herzogs und den Charakter ihrer Gebieterin kannte, glaubte, ihre Gebieterin sei vollkommen ruhig und der Herzog vollkommen beschwichtigt.

190,56 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
400 стр.
ISBN:
9783754184998
Редактор:
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают