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Dienstagnachmittag,
Redaktion »Fakten«, München

Birgit Wachtelmaier blickte zufrieden auf ihre Notizen und beschloss, sich ein hartes Ei zu gönnen. Sie hielt die Gurken-Eier-Diät nicht exakt ein, hatte ihren Speisezettel lediglich um das eine oder andere harte Ei am Tag ergänzt. Ob das ernährungsphysiologisch Sinn machte, war ihr gerade ziemlich egal. Harte Eier liebte sie jedenfalls.

Während sie das Ei schälte, überlegte sie, was die nächsten Schritte sein könnten. Sie hatte jedenfalls genug Informationen gesammelt, um selbst einen Bergwinter auszuprobieren, dachte sie grinsend. Wobei ihre Recherchen eher ergeben hatten, dass solch ein Unterfangen nicht unbedingt zu empfehlen war. Nicht nur harte Eier würde sie nicht essen können, auch der sonstige Menüplan, den ihr ein freundlicher Biologieprofessor der Münchner Uni skizziert hatte, war nicht eben verlockend. Zunächst gab es wenig Essbares in den Bergen im Winter und das, was es gab, war zum einen schwer zu bekommen (Tiere und Wurzeln) und zum anderen schwer zuzubereiten und zu essen (Fell abziehen, zerteilen, Feuer machen, ungewürzt essen, bei Wurzeln den Würgereiz überwinden und einfach schlucken …). Birgit schüttelte es beim bloßen Zuhören und sie erwachte aus ihren Ekelfantasien erst, als der beherzte Biologe das Telefonat mit den Worten beendete: »Frau Moosbacher, redens noch mal mit Ihrem Kevin, der soll sich was anderes überlegen, jobben in Australien, mountainbiken in den Alpen, aber Letzteres im Sommer …« Ein fröhliches Lachen folgte diesen Tipps und der Mann hatte aufgelegt.

Birgit biss gerade genüsslich in ihr Ei, als Katharina das Büro betrat.

»Oh, schick, und weiter auf Diät.« Birgit schaute an sich herunter und fand auch, dass ihr heutiges Outfit – Trachtenbluse mit Dirndl-BH darunter und dazu als Kontrapunkt eine lila Röhrenjeans mit Tigermuster – ihr ausgesprochen gut stand. Auf das Thema »Diät« ging sie nicht näher ein, sondern deutete fragend auf den Laptop, den Katharina ihr auf den Schreibtisch stellte.

»Von Lukas Adelhofer – mit Genehmigung der Mama mitgenommen. Offiziell ist er im Sperrmüll gelandet. Vielleicht findest du was, reinschauen dürfen wir, die Mama hat es erlaubt.«

Birgits Augen begannen zu leuchten. »Spitze, Katharina, das gefällt mir. Ansonsten sage ich dir, Andrea Moosbacher hält die Wahrscheinlichkeit, dass beautiful Robert einen Bergwinter durchlebt hat, für nicht besonders groß.«

»Soso, Frau Moosbacher«, grinste Katharina und hörte interessiert zu, als Birgit von ihren Gesprächen mit Jan Wendelin und dem freundlichen Bio-Professor berichtete. »Danke, Birgit, super. Ich werde Herrn Adelhofer in Sachen Bergwinter ein bisschen auf den Zahn fühlen. Die alte Frau Adelhofer traut ihrem berühmten Sohn jedenfalls nicht über den Weg.«

Katharina berichtete ihrer Freundin vom Besuch auf dem Adelhofer-Hof. Das Sahnehäubchen für Birgit hob sie sich für den Schluss auf.

»Lukas hatte anscheinend zwei Handys, ein privates und ein dienstliches. Das sagt seine Mutter. Beide sind verschwunden. Rosa Adelhofer glaubt, dass Robert sie hat. Die Nummer vom dienstlichen hat er wohl nicht rausgerückt, die vom privaten hat Rosa mir gegeben. Ich habe sie dir auf dein Handy geschickt.«

Birgits Blick wechselte zwischen Unverständnis und Begeisterung.

»Wieso hat der ein dienstliches Handy? Für welchen Dienst? Liebesdienst?«, kicherte sie plötzlich.

»Keine Ahnung, Birgit, Rosa hat sich genau das Gleiche gefragt. Das müssen wir klären. Und es wäre gut zu wissen, wer die Handys hat und ob es sie überhaupt noch gibt.«

Katharina überlegte kurz: »Weißt du was? Das mit dem Liebesdienst. Vielleicht stimmt das. Vielleicht hat er irgendwas Geheimes gemacht – für wen auch immer. Finde es raus. Ich versuche, einen Termin bei beautiful Robert zu kriegen.«

»Jawohl, Chef. Über das Handy von Robert bin ich bisher jedenfalls nicht weitergekommen. Ist nichts Spannendes mehr passiert. Er telefoniert mit Wedel, ab und zu mit seiner Mutter, mit seiner Redaktion, nichts Interessantes. Vielleicht nur, mit wem er nicht spricht: mit seinem Vater und mit Birnhuber. Ich muss an die Daten in der Cloud ran, da findet sich die Lösung, das weiß ich.« Genervt hackte Birgit auf ihrem Laptop herum.

Katharina grinste, machte ein Victoryzeichen in Richtung ihrer Freundin und ging.

Dienstagnachmittag,
München Bogenhausen

Jana stand im Bad und machte sich die Haare. Sie hatte ausgiebig geduscht, sich die Beine und andere Körperteile rasiert, ihre liebste Bodylotion aufgetragen und nun war sie dabei, ihr größtes Kapital in Form zu bringen. Sie wusste, dass sie eine E-Mail bekommen würde, sie wusste es einfach.

40 Minuten später schaute sie zufrieden in den Spiegel – die monatlichen Überweisungen hatten den edlen Panoramaspiegel ermöglicht, in dem sie ihre Haare jederzeit von allen Seiten genau begutachten konnte – perfekt!

Sie ging in die Küche und schenkte sich ein Gläschen ihres Lieblingssektes ein, aus Ostdeutschland – es war einfach der beste, den es gab. Nicht mal Champagner konnte mithalten. Mit dem Glas in der Hand setzte sie sich auf ihren Designersessel und blickte durch die großen Fenster auf München.

Sie liebte ihre Wohnung und vor allem diesen Ausblick. Wie gut, dass es so gekommen war. Sie musste nicht wirklich arbeiten und konnte sich den schönen Seiten des Lebens widmen – ein bisschen Schicksal spielen und Freude daran haben, wenn es geklappt hatte. Sie nippte an ihrem Sekt, als ihr Handy den Eingang einer Mail anzeigte. Ein breites Grinsen ging über Janas Gesicht, als sie den Absender sah – hatte sie es doch gewusst.

Sie las. Der Sekt fiel ihr aus der Hand, sie stand wutentbrannt auf und schmiss das Handy durch die Wohnung. Es prallte gegen eine Bodenvase und blieb unbeschädigt liegen. Jana rannte hin und las den Text noch mal, das musste ein Irrtum sein, das konnte nicht stimmen.

»Hallo, Jana, spar dir deine üblen Tricks. Der Abend mit dir war ein Ausrutscher, vergiss ihn einfach. Und Schadsoftware installieren, nur um im Kontakt zu bleiben, das ist ein bisschen billig. Thomas.«

Woher wusste er … Er hatte keine Ahnung von Computern und wie konnte er … Sie raste ins Bad, um ihre Haare zu checken, das Einzige, was ihr jetzt helfen konnte.

Dienstagnachmittag,
Redaktion »Fakten«, München

Als Katharina ihr Büro betrat, waren bereits vier Anrufe ihres Chefs eingegangen. Seufzend griff sie zum Hörer.

»Frau Langenfels, das ist nett, dass Sie sich gleich zurückmelden. Ich will Sie nicht lange stören, nur eine kurze Terminabsprache. Hätten Sie diese Woche irgendwann eine halbe Stunde für mich?«

Bei Katharina schrillten sämtliche Alarmglocken. Wenn Riesche-Geppenhorst so höflich war, war irgendetwas im Busch, in der Regel nichts Gutes.

»Äh, natürlich, Herr Riesche-Geppenhorst, wann wäre es Ihnen recht? Und können Sie mir ein Stichwort sagen, worum es geht?«

»Ich denke an berufliche Veränderungen, und darüber wollte ich mit Ihnen sprechen. Wie wäre Donnerstag nach der Redaktionskonferenz?«

»Klar, ich werde da sein.«

Aufgelegt, keine Frage nach Adelhofer, nichts. Katharina hatte keinen blassen Schimmer, was ihr Chef von ihr wollte. Sie beschloss, sich bis Freitag nicht darum zu kümmern, und rief Achim Wedel an.

»Hallo, Frau Langenfels, was kann ich für Sie tun?«

Katharina antwortete in der gleichen Tonlage: »Ich würde gern noch mal mit Herrn Adelhofer sprechen. Das letzte Gespräch war ergiebig, aber Herrn Adelhofers Biografie ist derart facettenreich, dass wir nur einen kleinen Teil besprechen konnten.«

»Oh, das sieht ganz schlecht aus. Kaum hatten wir die Lesereise abgesagt, war der Terminkalender wieder voll. Daher: In so kurzer Zeit gleich zwei Exklusivinterviews hintereinander, das klappt nicht, tut mir wirklich leid.«

»Klar, ich kann mir gut vorstellen, wie viel beschäftigt Herr Adelhofer ist. Andererseits, eine große Serie ist gute PR, vielleicht fragen Sie ihn einfach noch mal selbst.«

Pause am anderen Ende, nervtötende Warteschleifenmusik, dann … Adelhofer selbst:

»Frau Langenfels, wie schön, von Ihnen zu hören. Was kann ich für Sie tun? Lust auf ein gemeinsames Mittagessen? Gleich heute?«

Der Unmut vom letzten Treffen schien kein Thema mehr zu sein.

»Herr Adelhofer, wie nett, leider bin ich heute belegt. Hätten Sie vielleicht demnächst Zeit für ein zweites Interview? Je mehr ich mich mit Ihrer Biografie beschäftige, desto spannender wird das. Ein paar Dinge würde ich Sie gern selbst fragen, um Sie in meiner Serie möglichst oft zitieren zu können. Das wird Ihren Fans bestimmt gefallen.«

»Selbstverständlich. Wann passt es Ihnen? Für Sie nehme ich mir natürlich die Zeit, auch wenn das meinem Manager nicht gefällt.«

»Das ist wirklich sehr nett. Wie wäre es morgen Nachmittag nach Ihrer Aufzeichnung? Ich komme zu Ihnen ins Büro?«

»Jaja, verstehe, ein rein beruflicher Termin, Botschaft angekommen, meine schöne Lieblingsjournalistin. Kommen Sie gern hierher. Kaffee und Kuchen bereitzuhalten, wird hoffentlich nicht verboten sein.«

»Danke, Herr Adelhofer, bis morgen.« Sie konnte sein amüsiertes Gesicht fast vor sich sehen, als sie auflegte. Bestimmt war er fest davon überzeugt, sie irgendwann rumzukriegen. Er ahnte offenbar nicht, wie komplett aussichtslos dieser Plan war. Weiter konnte sie den Gedanken nicht verfolgen, das Telefon klingelte.

Birgit war dran. »Spannend an dem Laptop ist vor allem das, was nicht drauf ist.«

»Wie, du weißt schon was?« Katharina staunte mal wieder über die Schnelligkeit, mit der Birgit Wachtelmaier Licht ins digitale Dunkel brachte.

»Na ja, zumindest weiß ich, dass Daten gelöscht wurden, und zwar in der Nacht nach Lukas’ Tod. Er selbst kann es also nicht gewesen sein.«

»Kannst du die Daten wiederherstellen? Und vielleicht sogar rausfinden, wer sie gelöscht hat?«

»Tja, Ersteres hängt davon ab, wie fit der Löscher ist. Wenn er die Daten wirklich überspielt hat, sind sie weg – für immer. Falls er das nicht kann und sie einfach nur vom Laptop gelöscht hat, aber nicht aus allen Speichern, kann ich sie wiederherstellen. Und übrigens, wegen Lukas’ Handys: Ich habe die Nummern angerufen, waren beide im Adressbuch von Roberts Handy. Beide nicht mehr zu erreichen.«

»Alles klar, Birgit, danke. Bleibt die Frage, wo die Handys sind. Na ja, werden wir schon rausfinden. Morgen Nachmittag geh ich zu beautiful Robert. Er freut sich wie Bolle.«

Birgit lachte laut in den Hörer. »Oh, Katharina, jede zweite Frau in Deutschland würde gern mit dir tauschen, so solltest du es sehen.«

»Ich werde morgen daran denken. Ich bräuchte nur von dir noch ein paar von deinen Recherchen zu dem Bergwinterthema. Kannst du mir was mailen?«

»Klaro«, kam es zufrieden aus dem Hörer, begleitet von einem leichten Klingeln. Katharina sah vor ihrem geistigen Auge die Ohrringe in Form von lila Kugeln mit kleinen Glöckchen dran, die Birgit regelmäßig trug. Die permanente Geräuschkulisse direkt an ihren Ohren schien sie kein bisschen zu stören.

»Super, danke dir! Und nimm die Ohrringe raus, bevor du einen offiziellen Anruf tätigst.«

Mit einem belustigten »jawoll, Chef« legte Birgit auf.

Als Nächstes versuchte Katharina, Alfred Birnhuber in Breitbrunn anzurufen. Und erreichte ihn tatsächlich.

»Die schöne Frau Langenfels, Servus, und? Hams den Robert am Arsch?«

Katharina schmunzelte über die recht bayerische Art, Flirten und Geschäftliches ohne Probleme zu verbinden.

»Herr Birnhuber, ich habe inzwischen einige Informationen gesammelt und wollte Sie ein paar Dinge fragen, um das Ganze richtig einzuordnen. Einverstanden?«

»Logisch, Frau Langenfels, wie gsagt, alles, was dem Robert schadet, jederzeit gerne.«

»Erste Frage: Kennt sich Max Adelhofer mit Computern aus?«

»Äh, was is’ denn des für eine Frag… Des weiß ich nicht, vorstelln kann ich’s mir eigentlich nicht. Der kassiert bei den Führungen mit einer Metallschachtel mit Geld drin, ned mim Computer. Und ansonsten braucht er keinen. Also ich glaub’s nicht.«

»Okay, zweite Frage: Rosa Adelhofer sagt, am Tag vor Lukas’ Tod, als sie ihm Essen hochbringen wollte, hat sie einen heftigen Streit gehört. Aufgemacht hat er ihr nicht. Haben Sie eine Idee, mit wem er gestritten haben könnte?«

Nachdenken am anderen Ende, dann: »Mei, Leute, mit denen er gstritten hat, hats genug gebn, bloß eigentlich is’ niemand zu ihm heim. Des war kaum zum Aushalten in dem Zimmer mit dem ganzen Müll und dem Gestank. Die Banker und alle andern, die Geld von ihm wolln ham, ham gschrieben oder angrufen. Nein, des weiß ich nicht, wer des war.«

»Und die letzte Frage, Herr Birnhuber: Gab’s eigentlich mal eine Frau in Lukas’ Leben?«

»Oh mei, Frau Langenfels, logisch hat’s nicht nur eine Frau, sondern Frauen im Lukas seinem Leben gebn. Aber glücklich war des nie. Immer so One-Night-Stands oder scho’ verheirat’ und von denen hat der Lukas die Finger lassn. Einmal hat’s eine gebn, da hat’s ihn voll erwischt, des is’ aber scho’ a paar Jahr her.«

»Wer war das?«, hakte Katharina nach.

»Des muss ein Madl aus Bayern gwesn sei, ich hab sie nie gsehn, der Lukas war total verknallt. Und von einem Tag auf den andern wollt er nicht mehr über sie reden. Nie wieder hat er sie erwähnt.«

»Wann war das, können Sie sich noch erinnern?«

»Des muss gwesn sein, kurz nachdem der Robert wiederauftaucht is’.«

»Einen Namen oder wo die Frau herkam wissen Sie nicht zufällig?«

»Na, Namen weiß ich nimma, blond wars und der Lukas hat von ihren Haaren gschwärmt. Und extra nach München is’ er gfahrn, um ihr einen Rock zu kaufen, den sie unbedingt gwollt hat, einen sauteuren Trachtenrock. Inzwischen gibt’s die überall, damals war des noch was Bsonders.«

Katharina grinste. Sie hatte offenbar etwas gemeinsam mit der Ex-Flamme von Lukas Adelhofer. Auf die Röcke der Designerin aus Oberbayern hatte sie in Münchens Trachten-Läden auch schon ein Auge geworfen, waren aber – zumindest für sie – unerschwinglich.

»Na ja, jedenfalls, kurz drauf war’s rum. Mehr hat er nie erzählt, ich hab’s nie getroffen, nur aufm Foto gsehn. Wissens, Frau Langenfels, des is’ lang her, ich glaub nicht, dass die mit der Sach’ irgendwas zu tun hat.«

Katharina seufzte: »Das glaube ich eigentlich auch nicht, Herr Birnhuber. Ich wollte nur sicherheitshalber fragen.«

»Logisch, Frau Langenfels, logisch. Jederzeit gern, kommens doch nochamal raus an den See, wenns Zeit ham. Wiederschaun.«

Nachdenklich legte Katharina auf.

Dienstag Spätnachmittag,
München Haidhausen

»Mama, ich habe Oliver angerufen, wir machen Burger, er kommt um sieben.« Svenja hing an Katharinas Hals, die es geschafft hatte, ihre Tochter pünktlich aus dem Hort abzuholen.

»Okay, Schätzchen, machen wir. Darf ich fragen, wie du Oliver angerufen hast?« Sie hatte sich bislang standhaft geweigert, ihrer Tochter ein Smartphone zu kaufen. Mit sieben war sie dafür noch zu jung, fand Katharina. Und helikoptermäßig permanent bei ihrer Tochter anrufen können, das wollte sie nicht.

»Frau Bachmann hat mich telefonieren lassen, ich habe gesagt, dass du bestimmt einverstanden bist.« Svenja strahlte ihre Mutter an und Katharina beschloss, die Sache auf sich beruhen zu lassen.

»Na gut, Svenjamaus, ich sag nur noch schnell danke bei Frau Bachmann und dann gehen wir Hackfleisch kaufen.«

Svenja nahm die Hand ihrer Mutter und hörte interessiert zu, als Frau Bachmann beteuerte, dass es kein Problem gewesen sei, Svenja kurz telefonieren zu lassen. Zum Abschied strich sie dem Mädchen über die Haare und sagte: »Tschüss, wir sehen uns morgen.« Und in Richtung Katharina: »Ach Frau Langenfels, es freut mich übrigens, dass Sie Svenja in letzter Zeit pünktlich abholen. Das macht es uns leichter und für die Kleine ist es natürlich sowieso besser. Übrigens: Ihr Mann ist ein entzückender Vater. Toll, wie er mit Svenja umgeht.«

Die Erzieherin strahlte Katharina so begeistert an, dass sie es sich verkniff, darauf hinzuweisen, dass Oliver nicht der Vater war. Nur der konnte gemeint sein, Tobias hatte Svenja bislang höchst selten vom Hort abgeholt. Und von Oliver waren seit Svenjas Geburt sämtliche Betreuerinnen, egal ob Babykrippe, Kindergarten, Schule oder Hort, vollkommen begeistert gewesen.

Auf dem Heimweg schilderte ihre Tochter ohne Pause die Erlebnisse ihres Tages – die nicht alle unglaublich spannend waren. Daher genügte es, zuzuhören und ab und zu ein »echt?«, »ja, finde ich auch« oder »das hast du gut gemacht« einzuwerfen und ansonsten den Redefluss nicht zu unterbrechen. Katharina wusste, dass Svenja so ihren Tag verarbeitete und anschließend glücklich und entspannt Burger vertilgen würde.

Und genau so kam es. Katharina hatte Bio-Hackfleisch, Dinkelsemmeln, Bio-Salat, Gurken, Tomaten und Kartoffeln gekauft, um Oliver nicht in Stress zu bringen wegen möglicher Schadstoffbelastungen der herkömmlichen Lebensmittel. Der hatte zwei Burger und einen Riesenberg selbst gemachter Pommes verdrückt und den Hinweis Katharinas auf die hervorragende Qualität der Produkte nur mit einem »ach Gott, das wäre nicht nötig gewesen« kommentiert. Seine Therapie schien tatsächlich anzuschlagen, dachte Katharina, während sie sich dick Ketchup auf ihren Burger drückte und der Unterhaltung von Svenja und Oliver über die letzte Folge von »Shopping Queen« zuhörte. Oliver nahm sich die Sendung auf, um mit Svenja darüber sprechen zu können.

Wobei trotzdem meist nur Svenja redete: »Klar hat die mit dem schwarzen Kleid am besten ausgesehen, die andere war so ein Möchtegern It-Girl und den Rest hat man eh vergessen können.«

»Svenja, woher weißt du, was ein It-Girl ist?« Katharina steckte sich Pommes in den Mund und schaute amüsiert ihre Tochter an.

»Mensch, Mama, das weiß doch jeder. Die Paris Hilton ist zum Beispiel eins, blöde Tussen halt, die viel Geld haben und nichts arbeiten.«

Auf der anderen Seite des Tisches strengte sich Oliver an, so zu tun, als hätte er sich verschluckt, damit Svenja sein Kichern nicht bemerkte, ließ es sich aber nicht nehmen zu fragen: »Svenja, da du das Wort ›It-Girl‹ kennst, weißt du auch, was altklug bedeutet?«

Svenja grinste, streckte ihm die Zunge raus, die deutliche Pommes- und Senfspuren aufwies, und aß weiter. Das, dachte Katharina, war der Unterschied zwischen Müttern und angehimmelten Sozialvätern. Mit ihr hätte Svenja nach dieser Bemerkung einen Tag lang nicht mehr gesprochen, bei Oliver war es kein Problem.

Nach dem Essen machte Svenja sich fertig fürs Bett und Oliver und Katharina setzten sich mit ihrem Rotwein aufs Sofa. Katharina brachte Oliver auf den aktuellen Adelhofer-Stand. Er nickte zufrieden, als sie ihm berichtete, wie gut sein Tipp gewesen war, Rosa Adelhofer allein abzupassen.

»Birgit sitzt vermutlich zu Hause und versucht, die gelöschten Dateien herbeizuzaubern. Mal schauen, ob sie was geschickt hat.«

Katharina holte den Laptop von ihrem Schreibtisch und kam zurück aufs Sofa.

»Du hast eine Rotwein-Schnute«, murmelte sie in Olivers Richtung und reichte ihm ein Taschentuch.

»Wie ein altes Ehepaar«, raunte er zurück und wurde dann deutlich lebhafter: »Was ist das für eine Blondinen-Sammlung?«

Katharina hatte auf der Suche nach Neuigkeiten von Birgit den Ordner mit den Fotos der Adelhofer-Fans geöffnet.

»Da ist übrigens auch mein Trennungsgrund drauf. Habe ich neulich zufällig erfahren«, sagte Katharina trocken und erzählte Oliver von Tobias’ merkwürdiger Reaktion auf das Foto.

»Wie? Und das erzählst du mir jetzt erst? Gibt’s ja nicht. Wie sieht die aus? Zeig her. Interessiert dich das nicht?«

Katharina wurde klar, dass sie das Thema perfekt weggeschoben hatte. Sie wollte nicht noch mal leiden, wollte nicht durch neue Details alles aufwühlen. Wahrscheinlich deswegen hatte sie die Fotos nicht mehr angeschaut, seit Tobias aus ihrer Wohnung gerauscht war.

»Wenn es zu schwer für dich ist, lassen wir das. So wichtig ist es nicht«, flüsterte Oliver, der Gedanken lesen zu können schien.

Katharina schaute ihn dankbar an, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und öffnete das Foto.

»Oh je, die? Sieht noch total jung aus, kann aber natürlich täuschen. Jedenfalls so, wie sie aufgebrezelt ist, passt sie eher in die ›Bravo‹-Schminktipps als zu deinem Tobias. Dieser Fissler, nicht zu fassen. Na ja, wahrscheinlich hat er genau einmal in seinem Leben Geschmack bei Frauen bewiesen, und das war bei dir. Hallo, bist du noch dran? Ich habe dir gerade ein Kompliment gemacht.« Oliver schob Katharina ein Stück von sich weg und schaute sie an. Seine Freundin sah kein bisschen traurig aus, sondern fast euphorisch.

»Was ist los, Süße? Ich finde es auch super, dass sie dir nicht das Wasser reichen kann …«

»Der Rock, Oliver, schau dir den Rock an.«

»Diese Röcke kenne ja sogar ich, trägt halb München, und sie sind teuer, wenn es das Original ist. Scheint Kohle zu haben die Dame.«

Katharina strahlte Oliver an und sagte: »Sie muss nicht unbedingt Kohle haben, ich vermute nämlich, dass Lukas ihr diesen Rock gekauft hat. War wohl seine große Liebe laut Alfred Birnhuber. Ist wohl eine Weile her, trotzdem könnte es sich lohnen zu recherchieren, wer die Frau ist. Robert Adelhofer müsste sie auch kennen.«

Oliver schaute sie verständnislos an und lauschte gespannt, was Alfred Birnhuber Katharina erzählt hatte.

»Interessant. Da unten steht das Datum, das Foto ist von Juli 2015. Das heißt, es ist im Sommer nach Roberts Wiederauftauchen entstanden. Tja, mit der Dame zu sprechen, könnte spannend sein. Schaffst du das, Tobias danach zu fragen?«

Oliver schaute Katharina über sein Rotweinglas hinweg forschend an.

Die nickte. »Klar, ist ja was Berufliches. Ich will nur nicht mit ihm über unsere Vergangenheit reden. Morgen ruf ich ihn an. Danke, Olli. Jetzt mal zu dir. Wie geht’s? Wir haben heute Abend noch nicht über Krankheiten gesprochen.«

Oliver grinste. »Stimmt. Es ist wie ein neues Leben für mich. Ich mache seit ein paar Monaten ein Training, um das Gehirn anders zu programmieren – von Angst auf Lebensfreude. Das funktioniert tatsächlich, hätte ich nie gedacht. Die Hirnforschung hat festgestellt, dass das Gehirn veränderbar ist, dass Gehirnareale wachsen und schrumpfen können, je nachdem, womit man sie füttert. Wenn man sich weniger mit Angstthemen beschäftigt und mehr mit positiven Gedanken, und das jeden Tag, verändert sich das Gehirn und die Angst wird weniger. Ich habe dir das die ganze Zeit nicht erzählt, weil ich selbst nicht daran geglaubt habe, dass es funktioniert. Ich habe doch sonst schon alles ausprobiert.«

»Allerdings«, seufzte Katharina und dachte an die unzähligen Therapeuten, Homöopathen und Geistheiler, die Oliver aufgesucht hatte, meist mit dem Ergebnis, dass ihm verständnisvoll erklärt wurde, woher seine Angst kam.

»Und jetzt ist die Angst weg?«

»Nein, komplett weg ist sie nicht, aber sie ist viel weniger präsent und ich gebe ihr auch nicht mehr so viel Raum, weil ich häufiger an schöne Dinge denke, und das konsequent jeden Tag. Die Angst fährt jetzt auf dem Rücksitz mit und nicht mehr als Beifahrer, sagt mein Therapeut, und das trifft es.«

Katharina schaute ihren besten Freund gerührt an. »Mensch, Olli, das freut mich total. Darauf eine Tüte Chips?«

»Logo, scheiß auf die Kalorien und die verstopften Blutgefäße. Wir leben nur einmal.«

Katharina küsste in Gedanken Olivers Therapeuten und ging in die Küche, um Chips und eine zweite Flasche Rotwein zu holen.

Als beides leer war, beschloss Oliver, auf Katharinas Sofa zu nächtigen.

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22 декабря 2023
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9783734994944
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