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Was Otto anbetrifft, so war er mit offenem Munde und gefalteten Händen hinter dem Tapetenvorhang auf die Knie gesunken.
Zwei Stunden nachher, und in dem Augenblicke, wo man es am wenigsten erwartete, befahl der Graf von Ravenstein seinem Gefolge, sich bereit zu halten, um am folgenden Morgen mit ihm das Schloß Cleve zu verlassen. Jedermann verwunderte sich über diesen plötzlichen Entschluß, aber noch am selben Abende verbreitete sich unter den Dienern des Fürsten das Gerücht, daß, von ihrem Vater gedrängt, auf die Werbung zu antworten, die an sie gerichtet worden war, die junge Prinzessin erklärt hätte, laß sie es vorziehen würde, eher in ein Kloster zu gehen, als jemals die Gattin des Grafen von Ravenstein zu werden.
VII
Acht Tage nach den Ereignissen, welche wir in unserm letzten Kapitel erzählt haben, und in dem Augenblicke, wo der Fürst Adolph von Cleve sich zu Tisch setzen wollte, meldete man, daß ein Herold des Grafen von Ravenstein als Uberbringer eines Fehdebriefes seines Herrn in den Schloßhof gekommen wäre. Der Fürst wandte sich mit einem Ausdrucke an seine Tochter, in welchem sich auf ernste Weise Zärtlichkeit und Vorwurf vereinigten. Helene erröthete und schlug die Augen nieder; dann, nach einem Augenblicke des Schweigens, befahl der Fürst, daß der Bote eingeführt würde.
Der Herold trat ein; es war ein in die Farben des Grafen gekleideter adliger junger Mann, welcher seine Wappen auf der Brust trug; er verneigte sich tief vor dem Fürsten, und vollzog mit zugleich fester und artiger Stimme seinen Fehdeauftrag. Ohne die Beweggründe seiner Erklärung anzugeben, erklärte der Graf von Ravenstein dem Fürsten Adolph überall die Fehde, wo er ihm begegnen würde, sei er allein, sei es zwanzig gegen zwanzig, sei es Heer gegen Heer, bei Tag oder bei Nacht, auf dem Gebirge oder in der Ebene.
Sitzend und mit bedecktem Haupte hörte der Fürst die Fehdeerklärung des Grafen an, dann, als sie gemacht worden war, stand er auf, nahm von einem Sessel, auf dem er lag, seinen eigenen mit Hermelin ausgeschlagenen Sammetmantel, befestigte ihn auf den Schultern des Herolds, nahm eine goldene Kette von seinem Halse, hing sie um den des Herolds und befahl, daß man ihn Prachtvoll bewirthen sollte, damit, wenn er das Schloß verließ, er sagen könnte, daß bei dem Fürsten Adolph von Cleve ein Fehdebrief wie eine Einladung zum Feste aufgenommen würde.
Unter dieser scheinbaren Ruhe verbarg der Fürst indessen eine unendliche Besorgniß. Er war zu dem Alter gelangt, wo die Rüstung die Schultern des Kriegers zu drücken beginnt. Er hatte weder Sohn, noch Neffen, dem er die Ausstattung seines Streites anvertrauen konnte, nur Freunde, unter denen zu diesen Zeiten der Unruhen jeder entweder für seine eigene Rechnung oder für die Sacke des Kaisers zu thun hatte und verhehlte sich nicht, daß er schwerlich Theilnahme, aber Beistand erlangen würde. Er sandte nichts desto weniger nach allen Seiten Briefe aus, welche sich auf Bündnisse oder auf Freundschaft beriefen. Hierauf beschäftigte er sich thätig damit, seine Veste auszubessern, die schwachen Stellen derselben zu befestigen, und so viel Lebensmittel als möglich in dieselbe zu bringen.
Der Graf von Ravenstein hatte seiner Seits die acht Tasse benutzt, welche er vor seinem Gegner voraus gehabt. Einige Tage nach der empfangenen Botschaft, und bevor die Verbündeten des Fürsten von Cleve Zeit gehabt hatten, zu seinem Beistande herbeizukommen, hörte man daher auch plötzlich eine Stimme, welche zu den Waffen rief. Diese Stimme war die Ottos, der sich als Wache auf den Mauern befand, und der am Horizonte nach der Seite von Niemwegen hin eine Staubwolke erblickt hatte, in welcher Waffen wie Funken in dem Rauche blitzten.
Ohne daß er dachte, daß der Angriff so rasch geschehen würde, hielt sich der Fürst indessen zu jeder Stunde bereit. Er ließ die Thore schließen, die Fallgitter herablassen, und befahl der Besatzung, auf die Wälle zu gehen. Was Helene anbetrifft, so ging sie in die Kapelle der Gräfin Beatrix hinab und begann zu beten.
Als die Schaaren des Grafen von Ravenstein nur noch eine halbe Stunde weit von dem Schlosse entfernt waren, trennte inzwischen sich derselbe Herold, der bereits im Namen seines Herrn gekommen war, von dem Heere, und näherte sich mit einem Trompeter voraus bis an den Fuß der Mauern. Dort angelangt, blies der Trompeter drei Male, und der Herold forderte im Namen des Grafen den Fürsten von Neuem in Person, oder jeden Kämpfer heraus, der an seiner Stelle kämpfen wollte, indem er drei Tage bewilligte, während welcher er jeden Morgen auf die Wiese kommen sollte, welche die Wälle von dem Flusse trennte, um zum Zweikampfe aufzufordern, nach welcher Zeit, wenn seine Herausforderung nicht angenommen wäre, er einen allgemeinen Kampf anbieten würde; hierauf, als diese neue Herausforderung geschehen, näherte er sich bis an das Thor, und nagelte mit seinem Dolche den Handschuh des Grafen an das Eichenbolz.
Statt aller Antwort warf der Fürst den seinigen von der Höhe der Mauer. Hierauf, da die Nacht hereinbrach, trafen Belagerte und Belagerer ihre Anstalten, die einen für den Angriff, die andern zur Vertheitigung.
Von seinem Posten abgelöst, war Otto während dessen, da er sah, daß die Gefahr nicht drohend war, von den Wällen in das Schloß hinabgegangen; denn indem er durch den für die Bogenschützen und die Diener des Fürsten vorbehaltenen Theil des Schlosses ging, ereignete es sich zuweilen, daß er Helene in irgend einem Corridor erblickte. Dann, obgleich sie nicht wußte, daß sie von dem jungen Schützen an dem Tage gesehen worden sei, an welchem sie die Haarlocke aufgerafft, lächelte das junge Mädchen ihm zuweilen zu und erröthete immer. Dann redete sie unter irgend einem Vorwande, aber selten, Otto an; das waren Festtage für das Herz des Schützen, und sobald sie ihn verlassen, verbarg er sich in irgend einem abgelegenen einsamen Winkel des Schlosses, wo er in der Erinnerung die Worte des jungen Burgfräuleins behorchte, und, indem er die Augen schloß, das Lächeln Oder das Erröthen, das sie begleitet hatte, wieder sah.
Dieses Mal war es vergebens, er mogte seine Blicke noch so sehr »n alle Fenster werfen, alle Corridors durchwandern, er sah sie weder, noch begegnete er ihr. Indem er nun ahnete, daß sie in der Schloßkirche betete, ging er in dieselbe hinab; die Kirche war verlassen. Es blieb nur noch die Kapelle der Gräfin Beatrix übrig; aber diese Kapelle war die vorbehaltene Kapelle, und die Diener betraten sie niemals, als wenn sie dorthin berufen wurden.
Otto zögerte einen Augenblick lang, ihr dorthin zu folgen, aber indem er dachte, daß die Wichtigkeit der Umstände ihm zur Entschuldigung dienen könnte, ging er endlich dorthin, wo er sie zu finden hoffte, und als er den Vorhang erhob, welcher vor der Thür herabhing, erblickte er Helene an dem Fuße des Altars knieend.
Otto betrat dieses Betzimmer zum ersten Male; es war eine dunkle und fromme Zufluchtsstätte, in welche das Tageslicht nur durch gemalte Fensterscheiben drang, und in der Alles die Seele zum Gebete stimmte. Eine einzige über dem Altare hängende Lampe brannte vor einem Gemälde, welches wieder dieselbe Sage eines, von einem Schwane gezogenen Ritters Vorstellte; nur war hier das Haupt des Ritters mit einem leuchtenden Heiligenscheine umgeben. und an den beiden Säulen, welche das Gemälde einfaßten, waren auf der einen Seite das Schwert eines Kreuzfahrers aufgehängt, dessen Griff und Scheide von Gold waren, und auf der andern ein mit Perlen und Rubinen eingelegtes Horn von Elfenbein, dann war zwischen den Säulen und über dem Gemälde, wie es noch heut zu Tage Sitte in Deutschland ist, ein, Schild mit einem Helme darüber aufgehängt; das waren derselbe Schild und derselbe Helm, den man auf dem Gemälde sah, und sie waren leicht zu erkennen, denn auf der Leinwand wie auf dem Stahle sah man dasselbe Wappen glänzen; das von Gold war mit einem rothen, mit Dornen gekrönten Kreuze auf einem grünen Berge. Dieses Schwert, dieses Horn, dieser Helm und dieser Schild waren also sehr wahrscheinlicher Weise die des Schwanenritters, und dieser Ritter war ohne allen Zweifel einer jener alten Tapfern, welche an den Kreuzzügen Theil genommen hatten.
Otto näherte sich dem jungen Mädchen vorsichtig; sie betete leise vor dem Ritter, wie sie es vor dem Christusbilde oder vor einem Märtyrer hätte thun können, und hielt in der Hand einen Rosenkranz von mit Perlmutter eingelegten Korallen von Ebenholz, an dessen Ende ein kleines Glöckchen hing, welches keinen Ton von sich gab, da der Klöpfel ohne Zweifel vor Alter herausgefallen, und nicht wieder ersetzt worden war.
Bei dem Geräusche, welches Otto machte, indem er an einen Stuhl stieß, wandte sich das junge Mädchen um, und weit davon entfernt, daß ihr Gesicht irgend einen Groll darüber zeigte, daß man ihr so gefolgt war, blickte sie ihn mit einem traurigen aber freundlichen Lächeln an.
–– Wie Ihr sehet, sagte sie zu ihm, thut jeder von uns, wie es ihm von Gott eingegeben ist. Mein Vater bereitet sich zum Kampfe, und ich bete. Ihr hofft durch Blut zu triumphieren, und ich hoffe durch Thränen zu siegen.
– Und zu welchem Heiligen betet Ihr, antwortete Otto, indem er der Neugierde nachgab, welche ihm der Anblick dieses bald in Stein und bald auf der Leinwand hervorgebrachten Bildes einflößte. Ist es Sankt Michael oder Sankt Georg, sagt mir seinen Namen, damit ich denselben Heiligen anflehen kann, als Ihr.
–– Es ist weder der eine noch der andere, antwortete das junge Mädchen, es ist Rudolph von Alost, und der Maler hat sich geirrt, als er ihn mit dem Heiligenscheine geschmückt, es war die Palme, welche ihm gebührte, denn er war Märtyrer und nicht ein Heiliger.
–– Und dennoch, begann Otto wieder, betet Ihr ihn an, als ob er zur Rechten Gottes säße; was könnt Ihr von ihm hoffen?
–– Ein Wunder gleich dem, welches er für unsere Ahnfrau bei ähnlicher Veranlassung gethan hat. Aber leider ist der Rosenkranz der Gräfin Beatrix jetzt verstummt, und der Klang des geweihten Glöckchens wird nicht zum zweiten Male Rudolph in dem heiligen Lande erwecken.
–– Ich kann weder Furcht noch Hoffnung geben, antwortete Otto, denn ich weiß nicht, was Ihr sagen wollt.
–– Kennt Ihr diese Sage unserer Familie nicht? antwortete Helene.
–– Ich kenne nur das, was ich von ihr sehe; dieser Ritter, welcher in einem, von einem Schwane geführten Nachen über den Rhein fährt, hat ohne Zweifel die Gräfin Beatrix von irgend einer Gefahr befreit.
–– Von einer Gefahr gleich der, welche uns in diesem Augenblicke bedroht, und deshalb bete ich zu ihm. Ich werde Euch diese Geschichte zu einer andern Zeit erzählen, fuhr Helene fort, indem sie aufstand, um sich zu entfernen.
–– Und warum nicht jetzt? antwortete Otto, indem er eine ehrerbietige Bewegung machte, um das junge Mädchen zurückzuhalten. Die Zeit und der Ort sind für eine kriegerische Legende und für eine Heilige Sache gut gewählt.
–– So setzt Euch denn dorthin und hört, antwortete das junge Mädchen, die nichts lieber wünschte, als einen Vorwand zu finden, um mit Otto zusammen zu bleiben.
Otto machte ein Zeichen mit dem Kopfe, welches andeutete, daß er sich des Standesunterschiedes erinnerte, den Helene so gütig sein wollte, zu vergessen, und blieb bei ihr stehen.
–– Ihr wißt, sagte das junge Mädchen, daß Gottfried von Bouillon der Oheim der Prinzessin Beatrix von Cleve, unserer Ahnfrau, war.
–– Ich weiß das, antwortete der junge Mann, indem er sich verneigte.
–– Was Ihr aber nicht wißt, fuhr Helene fort, ist, daß der Fürst Robert von Cleve, welcher die Schwester des Brabanter Helden geheirathet hatte, seinem Schwager auf dem Kreuzzuge zu folgen beschloß, und trotz der Bitten seiner Tochter Beatrix Alles vorbereitete, um diesen frommen Entschluß auszuführen. So fromm er auch sein mogte, so hatte Gottfried dennoch ihn Anfangs von diesem Vorhaben abwendig machen wollen, denn indem er nach Palästina aufbrach, ließ Robert seine einzige, kaum vierzehnjährige Tochter allein und ohne Stütze. Aber Nichts vermogte den alten Krieger zurückzuhalten, und, auf Alles, was man ihm sagen konnte, antwortete er durch den Wahlspruch, den er bereits auf sein Banner gesetzt: – Gott will es!
Gottfried von Bouillon sollte seinen Schwager im Vorbeikommen abholen; der Weg des Kreuzzuges war durch Deutschland und Ungarn vorgeschrieben; außerdem wollte er von seiner jungen Nichte Beatrix Abschied nehmen. Er ließ daher sein Heer, das aus zehn Tausend Reitern und sechzig Tausend Mann Fußvolk bestand, unter den Befehlen seiner Brüder Eustachius und Balduin, indem er ihnen für dieses vorläufige Kommando seinen Freund Rudolph von Alost zugesellte, und fuhr den Rhein von Köln nach Cleve hinab.
Er hatte die junge Beatrix seit sechs Jahren nicht gesehen. Während dieser Zeit war sie vom Kinde zur Jungfrau geworden; man führte überall ihre entstehende Schönheit an, welche in der Folge so wundervoll wurde, daß man noch heut zu Tage, wenn man von einer, in dieser Beziehung vollendeten Frau sprechen will, in der Gegend sagt: – Schön wie die Prinzessin Beatrix.
Gottfried machte neue Versuche bei seinem Schwager, um zu erlangen, daß er bei seinem Kinde bliebe. Aber es war vergebens, der Fürst hatte bereits alle Maßregeln getroffen, um den zukünftigen König von Jerusalem zu begleiten. Ein Knappe Namens Gerhard, berühmt durch seine Stärke und durch seinen Muth, und der das ganze Vertrauen seines Gebieters besaß, wurde von ihm erwählt, die junge Prinzessin zu beschützen, und erhielt zu diesem Zwecke alle Rechte eines Vormundes und alle Gewalt eines Bevollmächtigten.
Was Gottfried anbelangt, der ohne Zweifel in einem Augenblicke der Ahnung alle diese Anordnungen voll Kummer sah, so gab er seiner Nichte als ganzes Geschenk diesen Rosenkranz, welchen ich in der Hand hielt, als Ihr so eben eingetreten seid; er war von Peter dem Eremiten selbst aus Palästina zurückgebracht worden; er hatte das heilige Grab unseres Heilandes berührt, und war von dem ehrwürdigen Vater Guardian des heiligen Grabes geweiht worden. Peter der Eremit hatte ihn Gottfried von Bouillon als einen heiligen Talisman geschenkt, der Wunder verrichtende Eigenschaften besäße, und Gottfried versicherte dem jungen Mädchen, daß, wenn irgend eine Gefahr sie bedrohte, sie nur diesen Rosenkranz zu nehmen und mit ihm ihr Gebet mit frommem und inbrünstigem Herzen zu verrichten hätte, und daß er dann, wo er auch sein mögte, den Klang des daran befestigten Glöckchens hören würde, wäre er von ihr auch durch Berge und Meere getrennt. Beatrix empfing voll Dankbarkeit den kostbaren Rosenkranz, dessen Kräfte ihr Vater, ihr Oheim und sie allein kannten, und bat den Fürsten um die Erlaubniß, eine Kapelle zu stiften, welche in ihrem Kästchen von Marmor ein so reiches Kleinod auf eine würdige Weise einschließen würde. Ich habe nicht nöthig, Euch zu sagen, daß ihr diese Bitte bewilligt wurde.
Die Kreuzfahrer brachen auf. Eine Inschrift, welche Ihr an dem Thore des Schlosses sehen werdet, und von der man sagt, daß sie von der Hand Gottfrieds selbst eingegraben sei, deutet an, daß es der 3. September des Jahres l096 war. Sie zogen friedlich und ohne Widerstand durch Deutschland und durch Ungarn, erreichten die Gränzen des griechischen Kaiserreiches, und nachdem sie sich einige Zeit lang in Constantinopel aufgehalten, zogen sie in Bithynien ein. Sie begaben sich nach Nicäa und man konnte sich über den Weg nicht mehr irren, denn der Weg war durch die Gebeine zweier Heere angedeutet, die ihnen vorausgegangen waren, das eine unter der Anführung Peter des Eremiten und das andere unter der Walters des Habenichts.
Sie langten vor Nicäa an. Ihr kennt die Umstände dieser Belagerung. Bei dem dritten Sturme wurde der Fürst Robert von Cleve getödtet. Diese Nachricht brauchte sechs Monate, hierher zu gelangen, und die junge Prinzessin Beatrix in Trauer zu hüllen.
Das Heer setzte seinen Weg fort, indem es unter solchen Beschwerden und solchen Leiden nach Süden zog, daß die Kreuzfahrer bei jeder Stadt, welche sie erblickten, fragten, ob das nicht endlich die Stadt Jerusalem wäre, wohin sie gingen. Endlich wurde die Hitze so glühend, daß die Hunde der Heerführer an der Leine und die Falken auf der Faust starben. Bei einem einzigen Halte starben, wie man sagt, fünf Hundert Personen durch den großen Durst, den sie empfanden, und den sie nicht zu stillen vermogten. Gott sei ihren Seelen gnädig.
Während dieses ganzen langen und schmerzlichen Zuges stiegen in den unglücklichen Kreuzfahrern die Erinnerungen des Abendlandes weit frischer und weit theurer als jemals wieder auf. Sie waren bei Gottfried durch den Tod seines Schwagers, Roberts von Cleve, wieder belebt worden. Es verflossen daher auch wenige Tage, ohne daß der christliche Feldherr seinem jungen Freunde, Robert von Alost, von seiner liebenswürdigen Nichte Beatrix erzählte. Gewiß, daß sie ohne seine Erlaubniß nicht über ihre Hand verfügen würde, hatte er die Hoffnung, wenn das fromme Unternehmen ihn nicht für eine zu lange Zeit an Palästina fesseln würde, Rudolph mit Beatrix zu verbinden, und er hatte so oft und so warm mit dem jungen Krieger von ihr gesprochen, daß dieser nach dem Bilde, welches er ihm von ihr entworfen, verliebt in sie geworden war, und daß, wenn Gottfried zufällig einen Tag lang nicht mit Rudolph von Beatrix sprach, Rudolph davon mit Gottfried zu sprechen begann.
Endlich gelangte man vor Antiochien an. Nach einer Belagerung von sechs Monaten wurde die Stadt genommen; aber auf die Märsche unter einer glühenden Sonne, auf den Durst in der Wüste, folgte bald eine Nicht minder schreckliche Geißel, der Hunger. Es war keine Möglichkeit, länger in dieser Stadt zu bleiben, nach der man sich wie nach einen Hafen gesehnt hatte. Jerusalem war nicht allein ein Ziel, sondern auch noch eine Nothwendigkeit geworden. Die Kreuzfahrer verließen Antiochien, indem sie den Psalm sangen: Der Herr wolle sich erheben und seine Feinde mögen zerstreut sein, und zogen gegen Jerusalem, das sie endlich erblickten, als sie auf der Höhe von Emmaus anlangten. Sie waren nur vierzig Tausend von den neun Mal Hundert Tausend, die aufgebrochen waren.
Am folgenden Tage begann die Belagerung; drei Stürme folgten auf einander ohne Resultat; der letzte dauerte seit drei Tagen, als endlich am Freitage, dem l5. Juli 1099, an dem Tage und der Stunde selbst, an welchen Jesus Christus gekreuzigt wurde, zwei Männer die Höhe der Wälle erreichten. Aber der Eine von ihnen fiel, und der Andere blieb stehen, der, welcher stehen blieb, war Gottfried von Bouillon, und der, welcher fiel-, Rudolph von Alost, Beatrix Verlobter. Und der goldige Traum des Siegers war verschwunden.
Gottfried von Bouillon wurde zum Könige erwählt, ohne daß er indessen aufhörte, Krieger zu sein. Bei der Rückkehr von dem Feldzuge gegen den Sultan von Damascus kam der Emir von Caesarea zu ihm, und überreichte ihm Früchte von Palästina. Gottfried nahm einen Cedernapfel und aß ihn. Vier Tage nachher, am 18. Juli des Jahres 1100 verschied er nach elf Monate der Regierung und vier Jahren der Abwesenheit.
Er verlangte, daß sein Grabmal neben dem seines jungen Freundes Rudolph von Alost errichtet würde, und sein letzter Wille wurde ausgeführt.
VIII
Diese Nachrichten verbreiteten sich eine nach der andern in dem Abendlande, und von alle den Echos, welche sie erweckten, war das schmerzlichste das, welches in Beatrix Herzen weinte; sie hatte nach der Reihe den Tod des Fürsten von Cleve, ihres Vaters, den Rudolphs von Most, ihres Verlobten, und den Gottfrieds von Bouillon, ihres Oheims erfahren. Die am Mindesten schmerzliche von diesen drei Nachrichten war die von dem Tode Rudolphs, den sie nicht gekannt hatte; aber die beiden andern Todesfälle machten sie zwei Male zur Waise, indem sie Gottfried von Bouillon verlor, glaubte sie einen zweiten Vater zu verlieren.
Ein neuer Schmerz vereinigte sich mit diesem; während der fünf Jahre, welche seit dem Aufbruche zum Kreuzzuge bis zu dem Tode Gottfrieds verflossen waren, hatte Beatrix an Schönheit zugenommen; sie war jetzt eine anmutige Jungfrau von neunzehn Jahren, und sie hatte bemerkt, daß dieser Knappe, dem sie anvertraut worden war, nicht gleichgültig gegen das Gefühl war, das sie Allen denen einflößte, welche ihr nahten. So lange ihr indessen ein Vertheidiger geblieben, hatte Gerhard seine Liebe in seiner Seele verschlossen; sobald er aber sah, daß Beatrix Waise und ohne Stütze war, wurde er in dem Grade kühn, ihr seine Liebe zu erklären. Beatrix nahm dieses Geständniß auf, wie die Tochter eines Fürsten es aufnehmen mußte; aber Gerhard hatte, bevor er die Maske ablegte, seinen Entschluß gefaßt; er antwortete dem jungen Mädchen, daß er ihr ein Jahr und einen Tag für ihre Trauer bewillige, daß sie aber, wenn diese Zeit verflossen, sich vorzubereiten hätte, ihn als Gatten anzunehmen. Es war eine gänzliche Umgestaltung eingetreten; der Diener sprach als Herr. Beatrix war schwach, allein stehend und ohne Vertheidigung; es konnte ihr keine Hilfe von den Menschen kommen, sie flüchtete sich zu Gott, und Gott sandte ihr, wo nicht Hoffnung, doch zum Mindesten Ergebung. Was Gerhard anbelangt, so ließ er noch am selben Tage die Thore des Schlosses verschließen, und stellte an jedes eine doppelte Wache, aus Furcht, daß Beatrix zu entfliehen versuchen mögte.
Ihr erinnert Euch, daß Beatrix diese Kapelle hatte bauen lassen, um in ihr den wunderthätigen Rosenkranz einzuschließen, den ihr ihr Oheim geschenkt hatte. Wenn Gottfried noch gelebt hätte, so wäre sie ohne Furcht gewesen, denn ihr Herz war voll Glauben, und er hatte ihr gesagt, daß, an welchem Orte, durch Berge oder durch Meere von ihr getrennt, er auch sein mögte, er den Klang des heiligen Glöckchens hören und ihr zu Hilfe kommen würde; aber Gottfried war todt, und das Glöckchen mogte bei jedem Vater Unser noch so sehr läuten, es war keine Hoffnung mehr vorhanden, daß dieser Klang ihr einen Vertheidiger zuführe.
Die Tage verflossen, dann die Monate, endlich das Jahr; Gerhard hatte in seiner Aufsicht keinen Augenblick lang nachgelassen, so daß Niemand die äußerste Gefahr kannte, in welche Beatrix versunken war. Außerdem befand sich zu jener Zeit die Blüthe des Adels im Morgenlande, und kaum blieben an den Ufern des Rheines zwei bis drei Ritter, welche, so sehr waren die Stärke und der Muth Gerhards bekannt, es gewagt hätten, die Vertheidigung der schönen Gefangenen zu übernehmen.
Der letzte Tag war angebrochen. Beatrix hatte ihrer Gewohnheit nach ihr Gebet beendigt; die Sonne war glänzend und rein, wie, als ob ihr himmlisches Licht nur Glück beleuchtete. Das junge Mädchen setzte sich auf ihren Balkon, und dort richteten sich ihre Augen nach dem Orte des Ufers, wo sie ihren Vater und ihren Oheim aus dem Gesicht verloren hatte. An demselben, gewöhnlich einsamen Orte, schien es ihr, als ob sie einen beweglichen Punkt bemerkte, dessen Gestalt sie wegen der Entfernung nicht zu erkennen vermogte; aber, wie seltsam, von dem Augenblicke an, wo sie ihn erblickt hatte, schien es ihr, als ob dieser Punkt sich für sie bewege, und mit jenem Aberglauben, den die Betrübten allein haben, setzte sie alle ihn Hoffnung, ohne zu wissen, welche Hoffnung ihr noch übrig bleiben konnte, auf diesen unbekannten Punkt, der in dem Maaße, als er den Rhein hinabkam, eine Gestalt anzunehmen begann. Beatrix Augen waren mit so vieler Beharrlichkeit auf ihn geheftet, daß mehr noch die Ermüdung, als der Schmerz, sie Thränen vergießen ließ. Einige Augenblicke nachher sah sie, daß dieser Nachen von einem Schwane geführt und von einem Ritter besetzt war, der das Gesicht nach ihr gewandt, wie sie selbst ihr Gesicht nach ihm gewandt hatte, auf dem Vordertheile stand, während an dem Hintertheile ein für den Krieg geharnischtes Pferd wieherte. In dem Maaße, als der Nachen näher kam, wurden die einzelnen Umstände sichtbar; der Schwan war mit goldenen Ketten an den Nachen gespannt, der Ritter war vollständig gerüstet, mit Ausnahme seines Helmes und seines Schildes, welche neben ihm lagen, so daß es bald leicht zu sehen war, daß es ein schöner junger Mann von fünf und zwanzig bis acht und zwanzig Jahren mit von der Sonne des Morgenlandes verbrannter Haut war, dessen blonde und wallende Haare aber den nordischen Ursprung verriethen. Beatrix war so sehr in die Beschauung versunken, daß sie nicht gesehen hatte, wie sich die Wälle mit Kriegern füllten, die, wie sie, durch dieses seltsame Schauspiel herbeigezogen waren. Und diese Aufmerksamkeit war um so größer, als man sich jetzt nicht mehr darüber täuschen konnte, daß das Schiff wirklich gerade auf das Schloß zu kam; denn sobald es ihm gegenüber war, ging der Schwan auf das Land, der Ritter bedeckte sich das Haupt mit seinem Helme, steckte das Schild an den linken Arm, zog sein Pferd nach sich, schwang sich auf den Sattel, und indem er dem gehorsamen Vogel einen Wink mit der Hand gab, ritt er auf das Schloß zu, während das Schiff stromaufwärts den Weg wieder einschlug, den es im Hinabfahren eingeschlagen hatte.
Fünfzig Schritte weit von dem Hauptthore angelangt, ergriff der Ritter ein Horn von Elfenbein, das er über die Achseln trug, und indem er es an seine Lippe setzte, that er in dasselbe drei lange und anhaltende Stöße, wie um Schweigen zu gebieten, dann rief er mit starker Stimme aus:
–– Ich, Streiter des Himmels und Edler der Erde, gebieten Dir, Gerhard, Burgvogt des Schlosses, im Namen der göttlichen und menschlichen Gesetze, auf Deine Ansprüche auf die Hand der Prinzessin Beatrix zu verzichten, welche Du trotz ihrer Geburt und ihres Ranges als Gefangene hältst, und augenblicklich dieses Schloß zu verlassen, in das Du als Diener eingetreten bist, und in welchem Du als Herr zu gebieten wagst; widrigenfalls wir Dich auf Leben und Tod, auf Lanze und auf Schwert, auf Axt und auf Dolch, wie einen Verräther und Treulosen herausfordere, der Du bist, was wir Dir mit Hilfe Gottes und unserer Frau vom Berge Carmel beweisen werden, zum Zeichen dessen hier unser Handschuh ist.
Nun zog der Ritter seinen Handschuh aus, den er auf den Boden warf, und man sah an dem einen seiner Finger den Diamant glänzen, den Ihr an der Hand meines Vaters habt bemerken müssen, und der so schön ist, daß er für sich allein so viel als die Hälfte einer Grafschaft werth ist.
Gerhard war tapfer; statt aller Antwort ging daher auch das Hauptthor auf. Ein Page trat heraus, der den Handschuh aufraffte, und hinter dem Pagen kam der Burgvogt in seiner Kriegsrüstung und auf einem Schlachtpferde reitend.
Nicht ein Wort wurde zwischen den beiden Gegnern gewechselt. Der unbekannte Ritter schlug das Visir seines Helmes herab, Gerhard machte es eben so. Die beiden Kämpen nahmen jeder ihrer Seits den Raum, den sie für nothwendig hielten, legten ihre Lanzen auf, und sprengten dann im Galopp gegen einander an.
Gerhard galt, wie ich Euch gesagt, für einen der stärksten und tapfersten Männer Deutschlands. Er trug einen von dem besten Waffenschmiede Kölns angefertigten Panzer. Das Eisen seiner Lanze war in dem Blute eines durch Hunde zerrissenen Stieres in dem Augenblicke gestählt worden, wo dieses Blut noch von den letzten Todeskämpfen des Thieres kochte, und dennoch zersplitterte seine Lanze wie Glas an dem Schilde des Ritters, während die Lanze des Ritters mit demselben Stoße den Schild, den Panzer und das Herz seines Gegners durchbohrte. Gerhard fiel ohne ein einziges Wort auszusprechen, ohne Zeit zur Reue zu haben, und wie, als ob er vom Blitze zerschmettert worden wäre; der Ritter wandte sich nach Beatrix um; sie lag auf den Knieen und dankte Gott.
Der Kampf war so kurz gewesen, und die ihm folgende Bestürzung war so groß, daß die Krieger Gerhards, als sie ihren Herrn fallen sahen, nicht einmal daran gedacht hatten, das Thor des Schlosses zu verschließen. Der Ritter ritt daher ohne Widerstand in den ersten Hof, stieg ab, hing den Zügel seines Pferdes an einen eisernen Hacken, und schritt auf die Freitreppe zu; in dem Augenblicke, wo er den Fuß auf die erste Stufe setzte, erschien Beatrix auf der letzten; sie kam ihrem Befreier entgegen.
–– Dieses Schloß ist das Eure Ritter, sagte sie zu ihm, denn Ihr habt es erobert. Betrachtet es daher als das Eure. Je länger Ihr es bewohnen werdet, desto größer wird meine Dankbarkeit sein.
–– Fräulein, antwortete der Ritter, nicht mir müßt Ihr danken, sondern Gott, der mich zu Eurem Beistande sendet. Was dieses Schloß anbelangt, so ist es die Wohnung Eurer Väter seit zehn Jahrhunderten, und ich wünsche, daß es noch zehn Jahrhunderte lang die Eurer Nachkommen sein möge.
Beatrix erröthete, denn sie war die Letzte ihrer Familie.
Der Ritter hatte indessen die angebotene Gastfreundschaft angenommen; er war jung, er war schön. Beatrix war allein und Herrin ihres Herzens. Nach Verlauf von drei Monaten wurden die beiden jungen Leute gewahr, daß zwischen ihnen auf der einen Seite mehr als Freundschaft, und auf der andern mehr als Dankbarkeit obwalte. Der Ritter sprach von Liebe, und da er von hoher Geburt schien, obgleich man weder Güter noch eine Grafschaft kannte, welche ihm gehörten, so bot ihm dennoch Beatrix, welche für beide genug reich und glücklich war. Etwas für denjenigen zu thun, der so viel für sie gethan hatte, mit ihrer Hand dieses Fürstenthum an, das er ihr auf eine so muthige und besonders so unerwartete Weise erhalten hatte. Der Ritter sank Beatrix zu Füßen; das junge Mädchen wollte ihn wieder aufheben.
–– Verzeiht, Fräulein, sagte der Ritter, denn da ich Eurer Nachsicht bedarf, so werde ich so bleiben, bis daß ich sie erlange.
–– Sprecht, antwortete Beatrix. Ich höre Euch, im Voraus bereit zu gehorchen, als ob Ihr schon mein Herr und Gebieter wäret.
–– Ach! sagte der Ritter, es wird Euch ohne Zweifel sonderbar erscheinen, daß, ein so großes Glück von Euch empfangend, ich es nur unter einer Bedingung annehmen kann.
–– Sie ist bewilligt, antwortete Beatrix. Jetzt, worin besteht sie?
–– Daß Ihr mich niemals weder um meinen Namen, noch woher ich komme, noch woher ich die Gefahr erfahren hatte, von der Ihr bedroht waret, befragt, denn, wenn Ihr mich darnach früget, so liebe ich Euch zu sehr, als daß ich den Muth haben würde, Euch die Antwort zu verweigern, und sobald ich sie Euch gegeben, würde ich nicht mehr bei Euch bleiben können und wir würden für immer getrennt sein. Das ist das Gesetz, welches mir von der Macht auferlegt ist, die mich über Berge, Ebenen und Meere während der langen Reise geleitet hat, die ich gemacht habe, um Euch zu befreien.