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Читать книгу: «Kleine Romane und Novellen», страница 10

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Ein Maskenball

aus dem Französischen
Antonys Erinnerungen
Illustration von Andrieux
Stuttgart
Druck und Verlag Imle u. Krauß
1835

Ich hatte gesagt, ich sei für Niemand zu Hause: einer der Freunde erzwang den Zutritt.

Mein Bedienter kündigte Herrn Antony H . . . an. Ich erblickte hinter der Livree Josephs die Ecke eines schwarzen Überrocks; es war wahrscheinlich, dass Derjenige, der den Überrock trug, seinerseits einen Zipfel meines Schlafrocks gesehen hatte; nicht im Stande, mich zu verleugnen, sagte ich ganz laut: – Wohl! wohl! er mag eintreten. – Er soll zum Teufel gehen, sagte ich nur ganz leise.

Wenn man arbeitet, kann uns allein die Frau, die man liebt, ungestraft stören, denn für sie klingt immer eine Saite in dem, was man tut.

Ich ging ihm daher mit dem halb unwirschen Gesicht eines Schriftstellers entgegen, der in einem jener Augenblicke unterbrochen worden ist, wo er am meisten fürchtet, es zu werden, aber ich sah ihn so blass und entstellt, dass die ersten an ihn gerichteten Worte die waren: – Was haben Sie? was ist Ihnen zugestoßen?

– »Lassen Sie mich zu Atem kommen, sagte er. ich will es Ihnen sagen; zudem ist es vielleicht ein Traum, oder ich vielleicht ein Narr.«

Er warf sich in einen Lehnsessel, und ließ seinen Kopf in seine beiden Arme sinken.

Ich blickte ihn mit Staunen an; seine Haare waren vom Regen durchnässt, und seine Stiefel, seine Knie und der untere Teil seiner Beinkleider mit Kot bedeckt; ich sah an der Tür seinen Bedienten und sein Kabriolett: Was sollte ich davon denken?

Er sah meine Überraschung. – Ich war auf dem Kirchhofe von Pére-la-Chaise, sagte er.

– »Um zehn Uhr Morgens?«

– »Ich war um sieben Uhr dort . . . Verfluchter Maskenball.«

Ich konnte nicht enträtseln, was ein Maskenball und der Pére-La-Chaise, mit einander gemein hatten.Ich ergriff meine Partie und fing, den Rücken dem Kamine zudrehend, an, mit dem Phlegma und der Geduld eines Spaniers, eine Zigarre zwischen meinen Fingern zu rollen.

Als ich damit fertig war, bot ich sie Antony hin, von welchem ich wusste, dass er diese Art von Aufmerksamkeit gewöhnlich sehr dankbar annahm.

Er machte mir mit dem Kopfe ein Zeichen des Dankes, schob aber die Zigarre mit der Hand zurück.

Ich bückte mich, um sie für mich selbst anzuzünden: Antony hielt mich zurück.

– »Alexander, sagte er zu mir, hören Sie mich an, ich bitte Sie!«

– »Aber es ist ja schon eine Viertelstunde, seit Sie hier,sind, und Sie reden Nichts mit mir.«

– »Es ist ein ganz besonderes Abenteuer. Ich richtete mich auf, legte meine Zigarre auf das Kamin und kreuzte die Arme, wie ein Mann, der auf Alles gefasst ist; nur glaubte ich nach und nach, er könne wohl toll geworden sein.«

– »Sie erinnern sich des Opernballs, auf dem ich Sie traf? fragte er mich nach einem Augenblicke des Schweigens.«

– »Des letzten, auf dem höchstens zweihundert Personen anwesend waren?«

– »Gerade diesen. Ich verließ Sie, in der Absicht, mich nach dem Theater des Varietés zu begeben, von dem man als von einer Merkwürdigkeit mitten in unserer so merkwürdigen Zeit gesprochen hatte: Sie wollten es mir ausreden, dorthin zu gehen; ein unseliges Geschick trieb mich dazu. O! warum haben Sie das nicht gesehen; Sie, der Sie Sitten zu schildern haben? Warum waren Hoffmann oder Callot nicht da, um das zugleich phantastische und burleske Gemälde zu entwerfen? Ich hatte die Opera leer und düster verlassen; ich fand einen vollen und heitern Saal: Gänge, Logen, Parterre, Alles war überfüllt. Ich machte die Runde im Saal: zwanzig/ Masken riefen mich bei meinem Namen und sagten mir den ihrigem Es waren aristokratische oder finanzielle Hoheiten unter der gemeinen Vermummung von Pierots, Postillonen, Harlekinen und Fischerweibern. Lauter junge Leute von Namen, Herz und Verdienst; Familie, Künste und Politik vergessend, bauten sie hier mitten in unserer ernsten, verhängnisvollen Epoche einen Abend der Regentschaft wieder auf. Man hatte es mir gesagt, und doch hatte ich es nicht geglaubt!. . . Ich stieg wieder einige Stufen hinauf, und an eine Säule mich lehnend, die mich halb verbarg, heftete ich meine Augen auf diese Flut menschlicher Geschöpfe, welche sich unter mir bewegte. Diese Dominos von allen Farben, diese buntscheckigen Trachten, diese grotesken Verkleidungen bildeten ein Schauspiel, das Nichts Menschlichem ähnlich sah. Die Musik begann zu spielen. O! jetzt vollends!. . . Diese seltsamen Geschöpfe bewegten sich beim Klang des Orchesters, dessen Harmonie zu mir nur durch Geschrei, Lachen, Hohngelächter, hindurchdrang; sie hängten sich mit den Händen, Armen, mit dem Hals aneinander; ein großer Kreis bildete sich, mit einer drehenden Bewegung beginnend; Tänzer und Tänzerinnen stießen mit dem Fuße, ließen mit Geräusch einen Staub umher wirbeln, dessen Urstoffe das blasse Licht der Kronleuchter sichtbar machte; sie drehten sich in immer zunehmender Schnelle, mit wunderlichen Stellungen, unzüchtigen Gebärden, Ausrufungen voller Wollust; sie drehten sich immer schneller, verrückt? wie betrunkene Männer, heulend wie verworfene Weiber, mit mehr Wahnsinn als Freude, mit mehr Raserei als Vergnügen: einer Reihe von Verdammten ähnlich, welche unter der Zuchtrute der Dämonen eine höllische Strafe aushält. Dies ging unter meinen Augen vor. Ich fühlte den Luftzug, den ihr Rennen verursachte; Jeder von ihnen, den ich kannte, warf nur beim Vorübergehen ein Wort zu, mich zum Erröten zu bringen. All dieses Gelärme, dies Gesumse, diese Verwirrung, diese Musik, gingen in meinem Kopf wie im Saal herum! Schnell war ich so weit, dass ich nicht mehr wusste, ob das, was ich vor Augen hatte, Traum oder Wirklichkeit sei; es war so weit mit mir gekommen, dass ich mich fragte, ob nicht ich unsinnig und sie vernünftig seien; es wandelten mich seltsame Versuche an, mich mitten unter dieses Pandämonium zu werfen, wie Faust in d«r Hexenreigen,, und ich fühlte, dass alsdann mein Schreien, meine Gebärden, Stellungen, Gelächter, wie die ihrigen wären. O! von da an bis zur Tollheit ist nur ein Schritt. Ich war entsetzt; ich stürzte mich aus dem Saal, bis an das, Thor, bis auf die Straße von dem Geheul verfolgt, das einem Liebesgebrülle ähnlich war, wie es aus der Höhle Milder Tiere ertönt.

Ich hielt einen Augenblick unter dem Säulengange an, um mich wieder zu fassen; ich wollte mich mit so vieler Verwirrung im Kopfe nicht auf die Straße wagen; vielleicht hätte ich meinen Weg nicht mehr aufgefunden; vielleicht hätte ich mich unter die Räder eines Wagens geworfen, den ich nicht hätte kommen sehen. Ich war wie ein betrunkener Mensch sein muss, der anfängt, wieder genug Verstand in seinem, verfinsterten Gehirn zu finden, um seinen Zustand wahrzunehmen, und der, zwar den Willen, aber noch nicht die Kraft in sich fühlend, sich zusammenzunehmen, unbeweglich mit starren abgespannten Augen, an einen Eckstein der Straße oder einen Baum auf einem öffentlichen Spaziergange sich lehnt.

In diesem Augenblick hielt ein Wagen vor dem Thor still, ein Frauenzimmer stieg oder stürzte sich vielmehr aus dem Kutschenschlag hervor. Sie trat unter die Säulenhalle, den Kopf wie eine Verwirrte links und rechts drehend: sie war in einen schwarzen Domino gehüllt und hatte das Gesicht mit einer schwarzen Sammtmaske bedeckt. Sie zeigte sich am Eingang.

»Ihre Einlasskarte? sagte der Billetteinnehmer.«

– »Meine Einlasskarte? erwiederte sie; ich habe keine.«

– »So nehmen Sie eine am Bureau.«

Der Domino kam unter die Säulenhalle zurück, lebhaft in allen Taschen herumsuchend!

– »Kein Geld! rief sie aus. . . Ah! dieser Ring . . .«

– »Eine Einlasskarte für diesen Ring, sagte sie.«

– »Unmöglich, antwortete die Frau, welche die Karten abgab; wir lassen uns in keinen solchen Handel ein. Und sie stieß den Brillantring zurück, der zu Boden fiel und gegen mich her rollte.«

Der Domino war ohne Bewegung geblieben, den Ring vergessend und in Gedanken versunken.

Ich hob den Ring auf und bot ihn ihr dar.

Ich sah durch ihre Maske ihre Augen auf den meinigen haften; sie blickte mich einen Augenblick zaudernd an; dann plötzlich ihren Arm unter den Meinigen legend, sagte sie: – Sie müssen mich einführen: aus Mitleid, es muss sein.

– »Ich wollte schon fortgehen, Madame, erwiderte ich ihr.«

– »Dann geben Sie mir sechs Franken für diesen Ring, und Sie werden mir einen Dienst geleistet haben, für den ich Sie mein ganzes Leben segnen werde.«

Ich schob ihr den Ring wieder an den Finger, ging ans Bureau und nahm zwei Billette. Wir traten zusammen ein.

Im Gange angelangt, fühlte ich, dass sie wankte. Sie bildete jetzt mit ihrer zweiten Hand eine Art Ring um meinen Arm.

– »Sind Sie leidend? fragte ich sie.«

– »Nein, nein, es ist Nichts, versetzte sie; ein Schwindel, das ist Alles. . . «

Sie riß mich fort in den Saal.

Wir traten in dieses lustige Narrenhaus ein.

Dreimal machten wir darin die Runde, mit großer Mühe, diese Fluten von Masken durchschneidend, die sich durcheinander drängten; sie erbebte bei jedem unzüchtigen Wort, das sie hörte: ich errötete, mit einem Frauenzimmer am Arme gesehen zu werden, die es wagte, solche Worte zu hören; hierauf kamen wir ans äußerste Ende des Saals zurück. Sie fiel auf einen Sitz. Ich blieb aufrecht vor ihr stehen, die Hand auf die Lehne ihres Stuhls stützend.

– »Es muss Ihnen sehr wunderlich vorkommen, sprach sie, aber nicht mehr als mir, ich schwöre es Ihnen. Ich hatte davon gar keinen Begriff (sie blickte auf den Ball), denn ich hätte solche Dinge nicht einmal in meinen Träumen sehen können. Allein man hat mir geschrieben, er würde hier sein mit einer Frau; und was für eine Frau muss es sein, die an einen solchen Ort gehen kann?«

Ich machte eine Gebärde des Erstaunens: sie verstand es.

– »Ich bin ja auch da, wollen Sie sagen, nicht wahr? Ja, aber ich! das ist etwas Anderes: ich, ich suche ihn, ich bin seine Frau. Diese Leute treibt Tollheit und Schwelgerei hierher. Bei mir, bei mir ist es höllische Eifersucht! Ich wäre überall hingegangen, ihn zu suchen; ich hätte bei Nacht auf einen Gottesacker, am Tage einer Hinrichtung auf den Greveplatz mich gewagt; und doch schwöre ich Ihnen, bin ich als Mädchen nicht ein einziges mal ohne meine Mutter auf der Straße gewesen; als Frau habe ich keinen Schritt gemacht, ohne von einem Bedienten gefolgt zu sein; und doch bin ich hier, wie alle diese Frauen, die den Weg wissen; ich bin hier, den Arm einem Manne gebend, den ich nicht kenne, erröthend unter meiner Maske vor der Meinung, die ich ihm einflößen muss! Ich weiß das Alles! Sind Sie schon eifersüchtig gewesen, mein Herr?«

– »Entsetzlich, antwortete ich ihr.«

– »Alls dann, verzeihen Sie mir, wissen Sie Alles. Sie kennen die Glimme, die Ihnen zuruft: Geh!. . . wie an das Ohr eines Unsinnigen; Sie haben den Arm gefühlt, der Sie zur Schande und zum Verbrechen treibt, wie des des Verhängnisses. Sie wissen, dass man in einem solchen Augenblick zu Allem fähig ist, vorausgesetzt, dass man sich rächt.«

Ich wollte ihr antworten; sie erhob sich plötzlich, die Augen auf zwei in diesem Augenblick an uns vorübergehende Domino geheftet.

– »Schweigen Sie, sagte sie und zog mich mit sich fort, hinter jener Maske drein. Ich war mitten in eine Intrige geworfen, von der ich Nichts verstand; ich fühlte alle Fäden angezogen und keiner konnte mich ans Ziel führen; allein diese arme Frau schien so aufgeregt, dass, sie interessant war. M gehorchte wie ein Sind, so sehr ist eine wahre Leidenschaft gebieterisch, und wir folgten den beiden Masken, wovon die eine augenscheinlich ein Mann und die andere eine Frau war. Sie sprachen halblaut, die Laute drangen kaum bis zu unsern Ohren. – Er ist es, murmelte sie, es ist seine Stimme; ja, ja, es ist sein Wuchs. . . der größere der Dominos fing an zu lachen. – Es ist sein Lachen, sagte sie; er ist es, mein Herr, er ist es: der Brief hat wahr gesprochen. O mein Gott, mein Gott!«

Inzwischen gingen die Masken vorwärts, und wir folgten ihnen immer; sie verließen den Saal, wir blieben ihnen immer auf dem Fuß, sie schlugen die Treppen nach den Logen ein!und?wir ihnen nach; sie hielten erst an denen in der Mitte an; wir schienen ihre beiden Schatten zu sein. Eine kleine vergitterte Loge ging auf: sie traten in dieselbe ein; die Tür schloss sich hinter ihnen.

Das arme Geschöpf, das ich in meinem Arm hielt, erschreckte mich durch seine Aufregung; ich konnte ihr Gesicht nicht sehen; aber da sie sich hart an mich an drängte, fühlte ich ihr Herz schlagen, ihren Körper zusammenschauern, ihre Gliedern zittern. Es lag etwas Sonderbares in der Art, wie ich Zeuge der unerhörten Leiden wurde, deren Anblick ich vor Augen hatte, deren Opfer ich keineswegs kannte und deren Ursache mir gänzlich fremd war. Indes hätte ich für Nichts in der Welt diese Frau in einem solchen Augenblick verlassen.

Als sie die beiden Masken in die Loge hatten eintreten und dieselbe hinter sich wieder schließen sehen, war sie einen Augenblick, unbeweglich und wie niedergedonnert geblieben: dann hatte sie sich an die Tür gestürzt, um zu horchen. In der Lage, in der sie sich befand, hätte die geringste Bewegung ihre Gegenwart verraten und Alles verdorben; ich zog sie gewaltsam beim Arme, öffnete durch einen Druck die Feder der anstoßenden Löge, zog sie mit hinein, ließ das Gitter herab und machte die Tür zu. – Wenn Sie horchen wollen, sagte ich zu ihr, so horchen Sie wenigstens von hier aus. Sie fiel auf ein Knie und legte ihr Ohr hart an die Bretterwand an, und ich blieb aufrecht an der andern Seite, die Arme gekreuzt, den Kopf gestickt und nachdenklich.

Alles, was ich von dieser Frau hatte sehen können, erschien mir als ein Musterbild der Schönheit. Der untere Teil ihres Gesichts, den die Maske nicht, verbarg, war jugendlich, samtweich und gerundet; ihre Lippen dunkelrot und fein; ihre Zähne, welche der bis zu ihnen herab reichende Sammt noch weißer erscheinen ließ, waren klein, getrennt und glänzend; Ihre Hand wie gegossen, ihre Taille mit der Hand zu umspannen, ihre schwarzen feinen, wie Seide zarten Haare hingen in reichen Locken unter dem Kopfputz ihres Domino herab und der unter ihrem Kleid hervorsehende Kinderfuß schien Mühe zu haben, diesen Körper zu tragen, so leicht, so reizend, so ähnlich einem Luftbild war er. Es musste ein wundervolles Geschöpf sein. Wer ein solches Wesen in seinen Armen gehalten, wer gesehen hätte, wie alle Kräfte dieser Seele aufgeboten wären, ihn zu lieben, «er an seinem Herzen diese Pulsschläge, dieses Leben, dieses krampfhafte Leben der Nerven gefühlt hätte, und wer hätte sagen können: Alles dies ist Liebe, Liebe für mich, für mich allein, mitten unter den Menschen ein für mich ausersehener Engel, oh! dieser Mann! . . . dieser Mann!


Ich schwöre es Ihnen, ich bin jung, erst neunzehn Jahre alt

Dies waren meine Gedanken, als ich diese Frau plötzlich aufstehen und gegen mich sich umwenden sah, wobei sie mit einer gebrochenen wuthvollen Stimme zu mir sagte: – Mein Herr, ich bin schön, ich schwöre es Ihnen, ich bin jung, erst neunzehn Jahre alt. Bis jetzt bin ich rein gewesen, wie der Engel der Schöpfung. . . nun denn! – sie schlang ihre beiden Arme um meinen Hals; – nun denn! ich gehöre Ihnen. . . nehmen Sie mich hin!!. . . .


Im nämlichen Augenblick fühlte ich ihre Lippen auf die meinigen sich drücken, und mehr mit einem Bisse, als mit einem Kuß hing ihr zitternder und ihr halb ohnmächtiger Körper an mir; eine Feuerwolke ging über meine Augen hin.

Zehn Minuten nachher hielt ich sie vernichtet, halbtot und schluchzend in meinen Armen.

Sie kam langsam wieder zu sich; ich unterschied durch ihre Maske hindurch, dass ihre Augen verstört waren; ich sah den unteren Teil ihres Gesichts blass; ich hörte ihre Zähne auf einander klappern, wie in einem Fieberschauer. Ich sehe dies Alles noch.

Sie erinnerte sich, was so eben vorgefallen war, und fiel zu meinen Füßen. – »Wenn Sie einiges Mitleid für mich haben,« sagte sie schluchzend zu mir, »einiges Erbarmen, so wenden Sie den Blick von mir ab, suchen Sie nie mich zu erkennen; lassen Sie mich weggehen und vergessen Sie Alles: ich will für uns Beide die Last der Erinnerung tragen!

Bei diesen Worten stand sie eilends auf; flüchtig wie ein Gedanke, stürzte sie gegen die Tür, öffnete sie, und sich noch einmal umwendend, rief sie mir zu: »Folgen Sie mir nicht, ums Himmels Willen, folgen sie mir nicht, mein Herr!«

Die Tür, mit Heftigkeit zugeschlagen, schloss sich zwischen ihr und mir, und so war sie wie eine Erscheinung vor mir verschwunden. Ich habe sie nicht wieder gesehen!

Ich habe sie nicht wieder gesehen! und seitdem, seit den zehn Monaten, die verflossen sind, habe ich sie überall auf Bällen, Schauspielen und Spaziergängen gesucht; so oft ich von ferne eine Frau von feinem Wuchs, mit einem Kinderfuß und schwarzen Haaren sah, folgte ich ihr, näherte mich derselben und blickte ihr in s Gesicht, in der Hoffnung, ihre Röte werde sie verraten. An keinem Orte habe ich sie wiedergefunden, nirgends sie wiedergesehen. . . . , als in meinen Nächten, in meinen Träumen! O! da, da kam sie wieder, da fühlte ich sie, ich fühlte ihre Umarmung, ihre Bisse, ihre Liebkosungen, die so feurig waren, dass sie etwas dämonisch Wildes an sich hatten; dann fiel die Maske, und das Gesicht erschien mir, bald unklar, wie mit einer Wolke bedeckt, bald glänzend, wie von einer Morgenröte umgeben, bald blass, mit einem weißen und nackten Schädel, mit leeren Augenhöhlen, mit wackelnden wenigen Zähnen. Kurz, seit jener Nacht habe ich nicht gelebt, verzehrt von einer unsinnigen Liebe für eine Frau, die ich nicht kenne, immer hoffend, und immer in meinen Hoffnungen getäuscht, eifersüchtig, ohne das Recht dazu zu haben, ohne zu wissen, über wen ich es sein sollte, nicht wagend, eine solche Narrheit zu gestehen; und doch von ihr verfolgt, untergraben, verzehrt.

Wie er diese Worte vollendete, zog er einen Brief aus seiner Brust.

Jetzt, sagte er, habe ich dir Alles erzählt, nimm und lies diesen Brief.

Ich nahm ihn, und las folgendes:

»Vielleicht haben Sie eine arme Frau vergessen, die Nichts Vergessen hat, und die stirbt, weil sie nicht vergessen kann.«

»Wenn Sie diesen Brief erhalten, werde ich nicht mehr sein. Alsdann gehen Sie auf den Kirchhof Pére-la-Chaise, sagen Sie dem Pförtner, Ihnen unter den letzten Gräbern dasjenige zu zeigen, das auf seinem Leichenstein den einfachen Namen Marie tragen wird, und wenn Sie vor demselben sind, so knien Sie nieder und beten Sie.«

– »Nun gut! fuhr Antony fort, ich habe gestern diesen Brief erhalten, und bin diesen Morgen dort gewesen. Der Pförtner hat mich an das Grab geführt und ich bin zwei Stunden auf den Knien geblieben, weinend und betend.«


Ich bin zwei Stunden auf den Knien geblieben, weinend und betend.


– »Verstehst du? Sie war da, diese Frau!. . .

Die brennende Seele war entflohen; der Körper, durch sie verzehrt, hatte sich bis zum Brechen unter dem Gewicht der Eifersucht und der Reue gebeugt; da war sie unter meinen Füßen, und sie hatte geliebt und war für mich unbekannt gestorben; unbekannt!. . . und in meinem Leben eine Stelle einnehmend, wie sie eine in dem Grabe einnimmt; unbekannt!. . . und mich in das Herz ihres kalten und leblosen Leichnams einschließe, den sie in dieses Grab niedergelegt hatte. O! kennst du etwas Ähnliches? weißt du irgend eine so seltsame Begebenheit? Also keine Hoffnung mehr; ich werde sie nie mehr sehen. Wenn ich auch ihre Grube aufwühlte, so würde ich doch keine Züge wiederfinden, aus denen ich ihr Gesicht mir zusammensetzen könnte; und ich liebe sie immer; verstehst du, Alexander? ich liebe sie wie ein Unsinniger; und ich würde mich im Augenblick töten, um wieder zu ihr zu kommen, wenn sie mir nicht in der Ewigkeit unbekannt bleiben müsste, wie sie es mir in dieser Welt war.«

Bei diesen Worten entriss er den Brief meinen Händen, küsste ihn zu wiederholten Malen, und fing an zu weinen, wie ein Kind.

Ich nahm ihn in meine Arme, und da ich nicht wusste, was ich ihm antworten sollte, weinte ich mit ihm.


Kabriolett-Kutscher

aus dem Französischen
Antonys Erinnerungen
(Diese Novelle findet sich im Buche der Hundert und Ein)
Illustration von Andrieux
Stuttgart
Druck und Verlag Imle u. Krauß
1835
Cantillon

Ich weiß nicht, ob unter Denen, die diese wenigen Zeilen lesen werden, schon Jemanden eingefallen ist, auf den Unterschied zwischen einem Kabriolett-Kutscher und einem Fiaker zu merken. Der Letztere ist grämlich, unbeweglich und kalt, und erträgt die Unregelmäßigkeiten der Temperatur mit dem Gleichmut eines Stoikers; vereinzelt auf seinem Bock, ist er mitten in der Gesellschaft ohne eigentliche Berührung mit ihr; als einzige Zerstreuung erlaubt er sich nur hie und da einen Peitschenhieb nach seinem vorüberfahrenden Kameraden; er weiß von keiner Liebe zu den zwei magern Mähren, die er führt; ist unfreundlich gegen die Unglücklichen, die er weiter fördert, und nur bei den klassischen Worten: »Im Schritt, und immer gerade aus,« würdigt er sie eines verzerrten Lächelns. Im Übrigen ist er ein ziemlicher Egoist, sehr zänkisch, trägt glatt geschorene Haare und schwört bei Gott.

Ein ganz anderes Wesen ist der Kabriolett-Kutscher. Er muss sehr schlechter Laune sein, wenn sein Gesicht nicht bei den Gefälligkeiten sich entrunzelt, die er Euch erweist, bei dem Stroh, das er Euch unter die Füße schiebt, bei der Decke, deren er sich beraubt, wenn es regnet oder hagelt, um Euch gegen die Nässe oder den Frost zu schützen; man muss mit ziemlich hartnäckiger Stummheit geschlagen sein, um stillzuschweigen bei den tausend Fragen, die er an Euch macht, bei den Ausrufungen, die ihm entschlüpfen, bei den geschichtlichen Citationen, mit denen er Euch überhäuft. Der Kabriolett-Kutscher hat aber auch die Welt gesehen, in der Gesellschaft gelebt; er hat noch vor einer Stunde einen akademischen Kandidaten geführt, der feine neun und dreißig Besuche machte, und der Kandidat hat sich an ihm abgestaubt: dies ist seine Literatur. Auf dem gleichen Kurs hat er einen Abgeordneten der Kammer geführt, und der Abgeordnete hat ihn mit Politik ein gesalbt. Zwei Studenten sind zu ihm eingestiegen; sie haben von Operationen gesprochen, und er hat einen Hieb von Medizin bekommen. Kurz, oberflächlich in Allem, aber wenigen Dingen dieser Welt fremd, ist er beißend, geistreich, gesprächig, trägt eine Mütze, und hat stets einen Freund oder Verwandten, der ihn umsonst in s Theater lässt. Zu unserm Bedauern sind wir genötigt, beizufügen, dass der Platz, den er dort einnimmt, in der Mitte des Parterres und besonders bezeichnet ist.

Der Fiaker ist der Mann der früheren Zeiten, er hat keine Verbindung mit den Leuten, als die zur Betreibung seines Handwerks unumgänglich notwendige, ex ist aufdringlich, aber ein ehrlicher Mann.

Der Kabriolett-Kutscher ist der Mann der alt gewordenen Staaten: die Zivilisation ist an ihn gekommen, er hat sich von ihr bilden lassen, seine Moralität ist ungefähr die des Bartholo.

Überhaupt nehmen die Schenkwirte als Aushängeschild einen Fiaker, seinen gewichsten Hut auf dem Kopf, seinen blauen Mantel auf dem Rücken, in der einen Hand seine Peitsche, und in der andern einen Geldbeutel, mit der Umschrift: »Zum ehrlichen Kutscher

Ich habe nie einen Schild gesehen, der einen Kabriolett-Kutscher in der nämlichen moralischen Stellung dargestellt hätte.

Trotz dem habe ich eine ganz besondere Vorliebe für den Kabriolett-Kutscher, was vielleicht darin seinen Grund hat, weil ich, selten eine Börse in ihrem Gefährt zu lassen habe.

Wenn ich nicht an ein Drama denke, das mir den Kopf einnimmt, wenn ich nicht zu einer Probe gehe, die mich langweilt, wenn ich nicht aus einem Schauspiel zurückkomme, das mich eingeschläfert hat, so plaudere ich 'mit ihnen, und manchmal unterhalte ich mich während der zehn Minuten, so lange die Fahrt dauert, eben sosehr, als ich mich in den vier Stunden, welche der Abendzirkel gewährt hat, aus dem sie mich heimführen, gelangweilt habe.

Ich habe daher eine eigene Schublade in meinem Hirnkasten, die einzig diesen Erinnerungen für fünf und zwanzig Sous geweiht ist.

Unter diesen Erinnerungen ist besonders eine, die mir einen tiefen Eindruck gelassen hat.

Es ist indessen bereits ungefähr ein Jahr her, dass mir Cantillon die Geschichte erzählt hat, die ich meinen Lesern wiedergeben will.

Cantillon führt die Nummer 221.

Er ist ein Mann von vierzig bis fünf und vierzig Jahren, braun und von scharf Ausgedrückten Zügen; zu der Zeit, von der ich spreche,' den ersten Januar 4831, trug er einen Filz, mit dem Überrest einer Tresse, einen Rock von weinhefefarbenem Tuch mit einem Überreste von Livree, Stiefel mit einem Überreste von Stülpen. Seit elf Monaten müssen alle diese Überbleibsel verschwunden sein. Man wird sogleich belehrt werden, woher dieser auffallende Unterschied zwischen seinem Aufzug und dem seiner Kollegen kommt, oder vielmehr woher er kam, denn ich habe ihn seit der angeführten Epoche nicht mehr gesehen.13

Es war, wie ich gesagt hatte, der erste Januar 1831. Es war sechs Uhr Morgens. Ich hatte in meinem Kopfe jene Reihe von Gängen geordnet, wie man sie notwendig sich selbst machen muss; ich hatte nach Straßen die Liste jener Freunde eingeteilt, bei denen es uns immer freut, ihnen die Wangen zu küssen und die Hände zu drücken, selbst an einem Neujahrs-Tag; kurz jener gleich fühlenden Menschen, welche man zuweilen' sechs Monate nicht sieht, auf welche man immer mit offenen Armen zugeht, und bei denen man nie Karten abgibt.

Mein Bedienter hatte mir ein Kabriolett bestellt; er hatte Cantillon gewählt, und Cantillon hatte den Vorzug dieser Wahl seinem Überreste von Tressen, Überreste von Livree, und Überreste von Stiefelstulpen zu danken: Joseph hatte einen Ex – Mitbruder in, ihm gewittert. Außerdem war sein Kabriolett schokoladenbraun, statt mit Gelb oder Grün beschmiert zu sein, und ausnahmsweise erlaubten versilberte Stäbe, seinen ledernen Überschlag so nieder als möglich hinterzuschlagen. Ein Lächeln der Zufriedenheit bezeugte Joseph, dass ich mit seinem Geschmack einverstanden sei: ich beurlaubte ihn für den ganzen Tag. Breit setzte ich mich auf herrliche Polster, Cantillon zog einen hellkaffeebraunen Carrick über meine Knie her, ließ ein Schnalzen mit der Zunge hören, und das Pferd setzte sich in Trab ohne Hilfe der Peitsche, welche während aller unsrer Kurse, eher als eine nötige Zierde, denn als Zwangsmittel angelehnt stehen blieb.

– »Wohin fahren wir?«

– »Zu Charles Rodier beim Arsenal.«

Cantillon antworte!e durch ein Zeichen, das besagen wollte: »Ich weiß nicht nur, wo dies ist, sondern ich kenne auch diesen Namen.«

Da mir jedoch in jener Zeit gerade Antony im Kopfe herumging, und das Kabriolett sehr weich war, fing ich an, über das Ende des dritten Akts ^nachzusinnen, das in Einem fort mir bedeutende Unruhe machte.

Ich kenne keinen Augenblick größerer Seligkeit für einen Dichter, als den, wo er sein Werk zu einem glücklichen Ende kommen sieht. Es bedarf, um dahin zu gelangen, so langer Tage Arbeit, so vieler Stunden der Entmutigung, so vieler Augenblicke des Zweifels, dass er alsdann, wenn er in diesem Ringen des Menschen mir dem Geiste, die Idee, die er auf allen Punkten gedrängt, auf allen Seiten angegriffen hat, unter einer Beharrlichkeit sich beugen sieht, wie ein besiegter um Gnade flehender Feind unter dem Knie seines Bezwingers, nach Verhältnis seines schwächeren Wesens einen Augenblick das Glück genießt, das Gott empfinden musste, als er zur Erde sprach: »Werde« und die Erde ward; wie Gott kann er in seinem Stolze sagen, »Ich habe aus Nichts etwas gemacht; ich habe eine Welt aus dem Chaos hervorgezaubert.

« Es ist wahr, die Welt des Dichters ist nur mit einem Dutzend von Bewohnern bevölkert, sie nimmt in dem Planeten-System nur den Raum von vierunddreißig Quadratfuß eines Theaters ein, und oft stirbt sie , an demselben Abend, an dem sie geboren wurde.

Dies kommt jedoch in keinen Betracht, meine Vergleichung ist deshalb um Nichts weniger haltbar, und ich will lieber eine Gleichheit, welche erhebt, als eine Weichheit, welche erniedrigt.

Diese Dinge, oder ungefähr so etwas, sagte ich zu mir selbst; ich sah, wie hinter einem leichten Schleier, meine Welt ihren Platz unter dem literarischen Planeten einnehmen; ihre Bewohner sprachen nach meinem Geschmack, und bewegten sich, wie ich ihnen vorschrieb; ich war mit ihnen zufrieden, ich hörte von einer nahm Sphäre ein unzweideutiges Beifall-Rufen, das bewies, dass, die an meiner Welt vorübergingen, sie nach ihrem Wunsche fanden, und ich war zufrieden mit mir selbst.

Das hinderte mich aber nicht, ohne dass es mich jedoch diesem Halbschlaf des Ehrgeizes, dem Opium der Poeten entzogen hätte, zu sehen, wie unzufrieden mein Nachbar mit meinem Stillschweigen, wie unruhig über meine starren Augen, wie beleidigt er über meine Zerstreuung war, und wie er alle Anstrengungen machte, mich daraus zu ziehen; bald sagte er zu mir: »Der Carrick fallt;« ich schob ihn wieder herauf auf meine Knie, ohne zu antworten; bald blies er in seine Finger, ich schob stillschweigend die Hände in meine Taschen; bald pfiff er die Parisienne, und ich schlug maschinenmäßig den Takt. Ich hatte ihm beim Einsteigen gesagt, dass wir vier oder fünf Stunden zusammen zuzubringen hätten, und er war wirklich von dem Gedanken gequält, dass ich während dieser ganzen Zeit ein, seiner Bereitwilligkeit zu schwatzen, sehr widerliches Stillschweigen beobachten würde. Am Ende nahmen indes seine Symptome von Unbehaglichkeit bis zu einem solchen Grade zu, dass er mir Bedauern einflößte; ich öffnete den Mund, um das Wort an ihn zu richten: sein Gesicht entrunzelte sich. Zum Unglück für ihn kam mir in diesem Augenblick die Idee, die mir fehlte, um meinen dritten Akt zu beendigen, und nachdem ich mich halb nach seiner Seite gedreht, und schon den Mund zum sprechen halb offen gehabt hatte, nahm ich ruhig meine vorige Stelle wieder ein und sagte zu mir selbst: »Recht! Recht!«

Cantillon glaubte, ich hätte den Kopf verloren.

Dann seufzte er.

Nach einem Augenblick hielt er sein Pferd an, und sagte mir: »Wir sind zur Stelle.« Ich war vor der Türe Rodiers.

Ich möchte wohl von Rodier sprechen, erstlich wegen meiner, der ich ihn kenne und liebe, dann wegen meiner Leser, die ihn lieben und nicht kennen. Später!

Diesmal handelt es sich von meinem Kutscher. Wir wollen auf ihn zurückkommen.

13.Man sehe weiter oben die gewöhnliche Tracht des Kabriolett-Kutschers.
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
535 стр. 10 иллюстраций
Правообладатель:
Public Domain

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