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Читать книгу: «Katharine Blum», страница 10

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Siebzehntes Kapitel
Bei dem Vater Watrin

Während dieses nächtliche Drama, das nur dem Auge Gottes sichtbar war, an der Prinzenquelle vor sich ging, nahte sich das Mittagessen, welches die Kochkunst der Mutter Watrin zeigen sollte, seinem Ende. Wegen der Abwesenheit Bernhards war es dabei zur Heiterkeit nicht gekommen.

Die Wanduhr schlug halb Neun. Der Abbé Gregoire, der schon ein Paar Mal Miene gemacht hatte fortzugehen, schien endlich wirklich aufstehen zu wollen. Aber Watrin ließ seine Gäste Glicht so leicht fort.

»Nein, nein, Herr Abbé,« sagte er, »erst wenn Sie eine letzte Gesundheit getrunken haben.«

»Aber,« sagte die Mutter, die mit traurigem Blicke häufig auf den leeren Platz des Sohnes blickte, »Katharine und Franz müßten dann da sein.«

Von Bernhard wagt« sie nicht zu sprechen, obgleich sie immer an ihn dachte.

»Wo sind sie?« fragte Watrin. »Sie waren ja eben noch da.«

»Sie sind einzeln hinausgegangen, und es soll Unglück bedeuten, wenn man am Ende einer Mahlzeit in Abwesenheit derer, welche beim Anfange waren, eine Gesundheit trinkt.«

»Katharine wird nicht weit sein . . . Rufe sie, Frau.«

Mutter Watrin schüttelte den Kopf und sagte:

»Ich habe sie schon gerufen und keine Antwort erhalten.«

»Sie ist seit fast zehn Minuten fort.« sagte der Abbé.

»Hast Du oben hinauf gesehen?« fragte Watrin.

»Ja. sie ist nicht da.«

»Und Franz?«

»Der hilft einspannen,« sagte der Maire.

»Herr Watrin,« bemerkte der Abbé; »wir wollen Gott um Verzeihung bitten, daß wir eine Gesundheit in Abwesenheit zweier Tischgenossen ausbrachten, denn es wird spät und ich muß aufbrechen.«

»Frau, schenke dem Herrn Abbé ein, und Alle mögen nach ihm trinken.«

Der Abbé erhob sein halbvolles Glas« und sprach mit seiner sanften Stimme:

»Ich trinke auf den häuslichen Frieden, auf die Einigkeit des Vaters und der Mutter, aus der allein das Glück der Kinder hervorgehen kann.«

»Bravo!« rief der Maire.

»Schönen Dank,« setzte Watrin hinzu, »und möge das Herz nicht taub sein, das Sie rühren wollten.«

Um noch deutlicher zu werden, blickte er seine Frau von der Seite an.

»Und nun, lieber Watrin,« fuhr der Abbé fort, »werden Sie es nicht übel vermerken, daß ich meinen Mantel, meinen Stock und Hut suche, auch den Herrn Maire bitte, mich recht bald in die Stadt zu bringen.«

»Während Sie suchen,« bemerkte der Maire, »will ich noch ein Wörtchen mit Watrin reden.«

»Kommen Sie, Herr Abbé,« sagte die Frau, die durch den Toast nachdenklich gemacht worden war, »Ihre Habseligkeiten werden in der Kammer sein.«

Der Abbé folgte ihr.

Eben schlug es Neun.

Watrin und der Maire blieben allein.

Es trat eine Pause ein; jeder schien zu erwarten, daß der Andere zuerst spreche.

Watrin that es und begann:

»Nun, Herr Maire, teilen Sie mir Ihr Mittelchen mit, ein reicher Mann zu werden.«

»Erst die Hand zum Zeichen guter Freundschaft,« antwortete de Maire.

»Recht gern.«

Und die beiden Männer reichten einander die Rechte über den Tisch hinüber.

Der Maire hustete.

»Sie haben sieben hundertfünfzig Francs Gehalt jährlich, nicht wahr?« fragte er.

»Und hundertfünfzig Gratification, neunhundert im Ganzen.«

»In zehn Jahren also nehmen Sie neuntausend Francs ein.«

»Gut rechnen können Sie, Herr Raisin.«

»Was Sie in zehn Jahren verdienen, könnten Sie in einem einzigen einnehmen.«

»Das möchte ich doch wissen,« sagte Watrin, der die Einbogen auf den Tisch und den Kopf auf die Hände stützte.

»Hm!« antwortete der Maire pfiffig lächelnd, »Sie brauchen dabei weiter Nichts zu tun, als abwechselnd das rechte oder linke Auge zuzudrücken, je nachdem Sie an gewissen Bäumen vorübergehen, die rechts oder links von meinem Lose stehen. Das ist leicht.«

Er drückte wirklich abwechselnd das rechte und das linke Auge zu.

»Und das ist Ihr Mittelchen?« fragte Vater Watrin.

»Es scheint so gut zu sein, wie ein Anderes.«

»Und dafür wollen Sie mir neuntausend Francs zahlen?«

»Fünf-hundertfünfzig für das rechte, fünf-hundertfünfzig für das linke Auge.«

»Und während der Zeit machen Sie. . .?«

Vater Watrin machte eine Bewegung wie ein Mann, der einen Baum umhaut.

»Unterdes mache ich . . .« antwortete Raisin und wiederholte dieselbe Bewegung.

»Das heißt, unterdes bestehlen Sie den Herrn Herzog von Orleans.« . .

»Bestehlen? Bestehlen?« entgegnete Raisin. »Es stehen so viele Bäume im Walde, daß Niemand weiß wie viele.«

»Ja,« antwortete Watrin mit einer gewissen, fast drohenden Feierlichkeit, »Niemand, außer der, welcher nicht blos die Zahl der Bäume, sondern auch die der Blätter kennt, der Alles sieht und hört, und der schon jetzt weiß, ob wir gleich allein hier sitzen, daß Sie mir einen schändlichen Antrag gemacht haben,«

»Herr Watrin!« rief der Maire laut, denn er glaubte dadurch dem Alten zu imponieren. Dieser aber stand auf, stützte die eine Hand auf den Tisch, zeigte mit der andern nach dem Fenster und fragte:

»Sehen Sie dies Fenster?«

»Warum?« entgegnete der Maire, der halb vor Zorn, halb vor Furcht blass wurde.

»Wenn dies Haus nicht mein wäre, wenn Sie nicht an meinem Tische mit mir gegessen, hätten Sie bereits den Weg durch dieses Fenster gefunden.«

»Herr Watrin?!«

»Sehen Sie die Türe dort?«

»Ja.«

»Je schneller Sie durch dieselbe hinauskommen, um so besser für Sie.«

»Herr!«

»Still! Man kommt, und ich möchte nicht, daß es Jemand wisse, es habe ein Schuft an meinem Tische gesessen.«

Watrin drehte dem Maire den Rücken zu und pfiff das Jagdstückchen, das unsere Leser schon kennen, und das er für Hauptfälle sich aufsparte.

Gregoire und Mutter Watrin traten ein.

»Da bin ich, Herr Maire,« sagte der Abbé. »Sind Sie bereit?«

»Er wartet schon draußen auf Sie,« antwortete Watrin. Der Maire hatte wirklich das Weite gesucht.

Der Abbé konnte nicht erraten, was geschehen sei, ging ebenfalls und sagte:

»Gute Nacht, Watrin. Möge mit dem Segen, den ich Ihnen gebe, der Friede Gottes über Ihr Haus kommen!«

»Ihre Dienerin, Herr Abbé! Ihre Dienerin, Herr Maire!« sagte Mutter Watrin, welche knixend ihren Gästen folgte.

Watrin sah ihnen nach, so lange er sie sehen konnte, dann nahm er achselzuckend die Pfeife aus dem Munde, stopfte sie frisch, schob sie zwischen die beiden Hakenzähne, und murmelte, während er Feuer anschlug:

»Wieder ein Feind mehr! Schadet aber Nichts, Man ist ein ehrlicher Mann oder ist es nicht. Ist man's, so mag geschehen, was da will . . . Man thut, was ich getan habe. Abgemacht. Da kommt die Alte.«

Er drückte den brennenden Schwamm mit dem Feuersteine auf den Tabak und begann Rauchwolken um sich zu blasen.

Mutter Watrin brauchte ihn nur ein Mal anzusehen, um zu wissen, daß etwas Ungewöhnliches geschehen.

Sie ging mehrmals an ihm hin und her. Vergebens. Endlich entschloss sie sich, anzufangen.

»Sage einmal,« begann sie.

»Was?« antwortete Watrin wortkarg.

»Was hast Du?«

»Nichts.«

»Warum redest Du nicht?«

»Weil ich Nichts zu sagen habe.«

Mutter Watrin machte sich etwas zu schaffen. Dann begann sie wieder:

»Alter. . .«

»Was ist's?«

»Wann ist die Hochzeit?«

»Welche?«

»Nun, die Hochzeit unserer Kinder.«

Watrin fiel ein schwerer Stein vom Herzen, aber er ließ sich Nichts merken; nur sagte er, indem er die Hände auf die Hüften stemmte und die Frau scharf ansah:

»Du bist also wieder vernünftig geworden?«

»Je eher die Hochzeit, desto besser,« fuhr die Frau fort. »Wenn wir nächste Woche annähmen?«

»Und das Aufgebot?«

»Wir können uns ja in Soissons Dispens holen.«

»Nun hast Du mehr Eile als ich.«

»Ja, siehst Du, Alter, weil . . .«

»Nun weil . . .? weil?«

»Weil ich in meinem Leben keinen solchen Tag gehabt habe.«

»Bah!«

»Wir uns trennen! Eins da°sterben, das andere dort? Und haben sechsundzwanzig Jahre mit einander gelebt!«

Sie begann zu schluchzen.

»Gieb mir die Hand, Mutter!«

»Von Herzen gern.«

Watrin zog die alte Lebensgefährtin an sich und sagte:

»So. Du bist doch die beste Frau, . . . wenn Du willst,« setzte er mit einer Einschränkung hinzu, die nicht unbillig war.

»Von heute an, das verspreche ich Dir, will ich gewiß immer.

»Amen!« sagte Vater Watrin.

In diesem Augenblicke kam Franz herein. Wer ihn aufmerksamer angesehen hätte, als es Watrin tat, würde bemerkt haben, daß er nicht so ruhig war, wie gewöhnlich.

»Ah!« sagte er, offenbar nur, um sich bemerklich zu machen.

Watrin drehte sich auch um und fragte:

»Nun, sitzen sie im Wagen?«

»Da fahren sie eben fort,« antwortete Franz, als man einen Wagen rollen hörte.

Dann ging er nach seinem Gewehre, das er herunter nahm.

»Wo willst Du hin?« fragte Watrin.

»Das kann ich Ihnen nur unter vier Augen sagen.«

Watrin wendete sich zu seiner Frau und sagte:

»Alte, Du könntest den Tisch abräumen. Du brauchst es dann morgen nicht zu tun.«

»Und was tue ich?« antwortete die Frau, die eine leere Flasche unter dem Arme und ein halbes Dutzend Teller in der Hand hatte, und so nach der Küche zu ging, die sich hinter ihr schloß.

»Nun?« fragte Watrin.

Franz trat nahe an ihn und sagte leise:

»Als ich das Pferd des Herrn Maire einspannte, hörte ich einen Schuß.«

»In welcher Richtung?«

»Nach Corcy zu, etwa an der Prinzenquelle.«

»Und Du vermutest da einen Wilddieb?« fragte Watrin.

Franz schüttelte den Kopf.

»Nicht?«

»Nein,« sagte Franz.

»Was sonst?«

»Der Schuß kam aus dem Gewehre Bernhards,« sagte Franz noch leiser.

»Weißt Du das gewiss?« fragte Watrin in einer gewissen Unruhe, denn er konnte sich nicht denken, warum Bernhard in solcher Zeit geschossen haben sollte.

»Unter Fünfzigen würde ich seinen Schuß erkennen,« antwortete Franz. »Sie wissen, er ladet mit Filzscheibchen, und die geben einen andern Knall, als ein Papierpfropf.«

»Was sollte der Schuß bedeuten?« fragte Vater Watrin immer ängstlicher.

»Ja, wer das wüßte! Ich habe mich auch schon gefragt.«

»Horch!« fiel Watrin ein. »Ich höre etwas.«

Franz horchte und sagte dann:

»Es kommt eine Frau.«

»Katharine vielleicht.«

Franz schüttelte den Kopf und antwortete: »Nein, es ist eine alte Frau; Mamsell Katharine geht leichter . . . Diese Tritte sind von Beinen über vierzig Jahre.«

Man klopfte an die Türe.

Achtzehntes Kapitel
Der Blick eines ehrlichen Mannes

Die beiden Männer sahen einander an. Es schien die Ahnung eines großen Unglücks in der Luft zu liegen.

In der Pause hörte man zwei Mal den Namen Watrin rufen.

Vater Watrin erkannte nun die Stimme und sagte zu seiner eintretenden Frau:

»Mache auf; Mutter Tellier ist draußen.«

Die Alte eilte auf die Türe, machte auf und herein trat fast atemlos Mutter Tellier.

»Guten Abend mit einander,« sagte sie, »und einen Stuhl. Ich komme von der Prinzenquelle.«

Die beiden Männer sahen einander wieder an, dann fragte Vater Watrin mit bewegter Stimme:

»Was verschafft uns das Vergnügen, Sie so spät noch bei uns zu sehen?«

»Ihr Sohn schickt mich,« antwortete die Frau, nachdem sie etwas wieder zu Atem gekommen war.

»Bernhard?« fragten die Alten.

»Was ist denn mit dem Armen geschehen?« fragte Mutter Tellier. »Vor etwa einer Stunde kam er leichenblass zu mir.«

»Frau!« fiel Vater Watrin gegen seine »Alte« ein.

»Sei still! Sei still'.«entgegnete diese, denn sie fühlte recht wohl, welcher Vorwurf in diesem einzigen Worte lag.

»Er stürzte ein Paar Gläser Wein hinunter, das heißt, er trank gleich aus der Flasche,« erzählte die Wirtin weiter.

Dies erschreckte Vater Watrin sehr, denn es war so ganz gegen die Art und Weise Bernhards.

»Aus der Flasche trank Bernhard?« fragte er. »Unmöglich.«

»Und er sagte Nichts?« fragte die Mutter.

»O ja,« antwortete die Botin. »Mutter Tellier, sagte er, tun Sie mir den Gefallen und gehen Sie ins neue Hans, sagen Sie Katharinen, ich würde bald schreiben.«

»Katharinen schreiben? Warum schreiben?« fragte Watrin ängstlich.

»Der Schuß! Der Schuß!« murmelte Franz,

»Sonst sagte er Nichts?« fragte die Mutter.

»Und dem Vater, der Mutter Nichts? fragte ich ihn,« fuhr Mutter Tellier fort.

»Das war recht,« bemerkten die beiden Alten, und sie atmeten auf, denn sie hofften, nun Etwas zu erfahren.

Die Wirtin fuhr fort:

»Da antwortete er: Sagen Sie ihnen, ich wäre bei Ihnen gewesen, und bringen Sie ihnen mein Lebewohl.«

»Sein Lebewohl?« wiederholten drei Stimmen in verschiedenem Tone, worauf Vater Watrin zu seiner Frau gewendet hinzusetzte:

»Frau! Frau!«

Er strich mit der Hand über die Augen.

»Es ist noch nicht Alles,« fuhr die Wirtin fort. »Er sagte noch: Sagen Sie ihnen, sie möchten Katharine bei sich behalten, ich würde ihnen dankbar sein für Alles, was sie Gutes an ihr tun, und wenn ich sterben sollte, wie Ihr armer Anton . . .«

»Sterben?« wiederholten die alten Eltern erbleichend.

»So sollen Sie Katharine Ihre Erbin sein lassen,« setzte die Botin hinzu.

»Frau! Frau! Frau!« jammerte Vater Watrin und rang die Hände.

»Der unglückselige Schuß!« flüsterte Franz.

Die Mutter war schluchzend auf einen Stuhl gesunken, denn die Arme fühlte, daß sie die Ursache zu Allem gewesen und empfand die schmerzlichste Gewissenspein.

In diesem Augenblicke hörte man draußen einen schmerzlichen Aufschrei.

»Zu Hilfe! Zu Hilfe!« rief eine fast erloschene Stimme, die indeß sogleich von Allen erkannt wurde, denn Alle riefen:

»Katharine!«

Vater Watrin eilte an die Türe und öffnete sie. Dann stürzte Katharine herein, bleich, mit stieren Augen, mit aufgelöstem Haar, fast wahnsinnig.

»Ermordet!« rief sie. »Ermordet!«

»Ermordet?« wiederholten die Anwesenden in wachsendem Entsetzen.

»Wer ist ermordet?« fragte Vater Watrin, dem das Mädchen in die Arme gesunken war.

»Chollet. . .«

»Der Pariser!« sagte Franz, und er wurde fast so bleich wie Katharine.

»Aber so erzähle doch! Rede, rede!« sagte Watrin.

»Wo ermordet?« fragte Franz.

»An der Prinzenquelle,« antwortete Katharine.

Watrin ließ sie fast aus den Armen fallen.

»Von wem ermordet?« fragten gleichzeitig Mutter Watrin und Mutter Tellier, die noch fragen konnten, weil sie Nichts von dem Schusse wußten.

»Das weiß ich nicht,« antwortete Katharine.

Die beiden Männer atmeten wieder freier.

»Wie ist es zugegangen?« fragte Vater Watrin. »Wie kamst Du dahin?«

»Ich glaubte Bernhard dort zu treffen. Mathias hatte mich in seinem Namen dorthin bestellt.«

»Wenn Mathias dabei im Spiele ist, werden wir noch mehr erfahren,« sagte Franz.

»Du warst an der Prinzenquelle?« fragte Watrin.

»Ich glaubte, Bernhard erwarte mich da und wolle von mir Abschied nehmen. Es war aber nicht wahr; er war nicht da.«

»Er war nicht da?« fragte Vater Watrin, der neue Hoffnung schöpfte.

»Ein Anderer.«

»Der Pariser!« sagte Franz.

»Ja. Als er mich erblickte, kam er auf mich zu, denn in dem hellen Mondscheine konnte er mich fünfzig Schritte weit sehen. Als wir etwa zehn Schritte von einander waren, erkannte ich ihn und merkte, daß ich in einen Fallstrick geraten. Ich wollte schreien, um Hilfe rufen, als plötzlich ein Blitz an der großen Eiche leuchtete. Es folgte ein Knall, Chollet schrie, fuhr mit der Hand nach der Brust und fiel. Ich lief da wie wahnsinnig fort, lief immer weiter und da bin ich; wenn aber das Haus noch zwanzig Schritte weiter gewesen wäre, hätte ich es nicht erreicht, sondern wäre ohnmächtig umgefallen.«

»Ein Schuß!« sagte Watrin.

»Derselbe, den ich hörte,« meinte Franz.

Plötzlich schien ein schrecklicher Gedanke sich Katharinens von Neuem zu bemächtigen; sie sah sich um und fragte:

»Wo ist Bernhard? Um Gottes willen wo ist er?«

Die unheimlichste Stille würde die Antwort auf diese Frage gewesen sein, wenn nicht an der halb offen gebliebenen Türe eine kreischende Stimme gesagt hätte:

»Wo Bernhard ist? Ich weiß es. Arretiert ist er.«

»Arretiert?« stammelte Watrin.

»Das fürchtete ich,« flüsterte Katharine, die den Kopf auf die Brust sinken ließ, als nahe ihr eine Ohnmacht.

»Mein Gott, welches Unglück!« sagte Mutter Tellier, welche die Hände faltete.

Franz allein sah den Mathias an, als wollte er bis in das Herz desselben blicken.

»Warum arretiert?« fragte Vater Watrin.

»Genau kann ich es nicht sagen,« antwortete Mathias, der hereintrat und sich an seinen gewöhnlichen Platz am Kamine begab. »Es scheint auf den Pariser geschossen worden zu sein. Die Gendarmen, die in Corcy gewesen, sahen Bernhard fliehen, liefen ihm nach, packten ihn, fesselten ihn und bringen ihn.«

»Wohin?« fragte Vater Watrin.

»Das weiß ich nicht; wahrscheinlich dahin, wohin man Mörder bringt. Ich dachte bei mir: Du mußt es gleich sagen, welches Unglück den armen Bernhard betroffen hat, wenn es vielleicht noch ein Mittel gäbe, ihn zu retten .. .«

»Mein Gott! mein Gott!« jammerte die Mutter. »Und ein Eigensinn ist an Allem Schuld!«

Vater Watrin sah ruhiger aus, obgleich er vielleicht sogar noch mehr litt.

»Du erkanntest Bernhards Gewehr?« fragte er leise Franz.

»Ganz gewiss.«

»Bernhard ein Mörder?« murmelte Vater Watrin. »Nicht möglich!«

»Drei Viertel Stunden Zeit!« bat Franz.

»Wozu?«

»Um Ihnen zu sagen, ob Bernhard der Mörder Chollets ist, oder nicht.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, eilte Franz hinaus und sogleich verschwand er in dem Walde.

Vater Watrin saß so tief in Gedanken versunken da, daß er nicht bemerkte, daß seine Frau ohnmächtig geworden und der Abbé Gregoire zurückgekommen war.

Katharine bemerkte den würdigen Geistlichen zuerst.

»O, Sie sind es!« sagte sie und ging ihm entgegen.

»Ja, ich bin es. Ich ahmte, daß hier Thränen zu trocknen sein würden und kam darum zurück.«

Mutter Watrin kam wieder zu sich, fiel aber nun auf ihre Knie, schlug auf ihre Brust und jammerte in schmerzlicher Reue:

»Meine Schuld ist es, meine Schuld!«

Vater Watrin stand auf und nahm seinen Hut.

»Wohin?« fragte der Abbé.

»Ins Gefängnis. Bernhard ist hitzig, jähzornig, aber er lügt nicht.«

»Sie brauchen nicht zu gehen. Wir trafen ihn zwischen zwei Gendarmen auf der Straße und der Herr Maire befahl, ihn hierher zubringen, um ihm in Ihrer Gegenwart das erste Verhör abzunehmen. Er hofft, Sie würden so viel Einfluss auf ihn haben, daß er die Wahrheit sage.«

Bald darauf trat der Maire wirklich ein.

Watrin erbebte unwillkürlich. Er fühlte, daß er einem Feinde gegenüber stand.

»Herr Watrin,« sagte der Maire mit schadenfrohem Lächeln, »Sie haben mir zwar Ihr Haus verboten, aber ein solcher Umstand macht wohl eine Ausnahme . . .«

»Und der Umstand kommt Ihnen nicht ungelegen?« fragte Watrin dagegen.

Der Maire antwortete nicht, sondern drehte sich um und sagte zu den beiden Gendarmen:

»Führt den Angeklagten herein und besetzt die Türe.«

Gleich darauf erschien Bernhard, bleich, von Schweiß bedeckt, aber ruhig, mit gebundenen Händen in der Türe.

Mutter Watrin wollte ihn in ihre Arme schließen und rief:

»Mein Bernhard, mein Bernhard'«

Vater Watrin aber faßte sie am Arme und hielt sie zurück.

»Jetzt nicht,« sagte er. »Erst müssen wir erfahren, ob er unser Sohn noch ist oder ein Mörder.«

Während die Gendarmen Bernhard weiter hinein in die Stube führten, sagte Vater Watrin zu dem Maire:

»Ich will Bernhard nur ansehen und ihm ein Paar Worte sagen, dann werde ich selbst erklären, ob er schuldig ist oder nicht.«

Die Erlaubnis war nicht wohl ganz zu versagen. Der Maire brummte also Etwas in den Bart.

Darauf trat Vater Watrin vor, streckte seine Hand aus und sagte in einem Tone, der etwas Feierliches hatte:

»Seid Alle Zeugen, die Ihr hier seid, was ich ihn fragen werde und was er antworten wird. – Vor der Frau, die Deine Mutter ist – vor dem Mädchen, das Deine Braut ist – vor dem würdigen Geistlichen, der einen Christen aus Dir gemacht hat – frage ich, Dein Vater, der Dir die Liebe zur Wahrheit und den Haß gegen die Lüge einpflanzte – frage ich Dich, Bernhard, wie Dich Gott einst fragen wird: Bist Du schuldig, oder unschuldig?«

Dabei sah er den Sohn so fest an, als wolle er in der tiefsten Tiefe des Herzens lesen.

»Vater,« antwortete der junge Mann mit sanfter und ruhiger Stimme; aber der Vater unterbrach ihn mit dm Worten:

»Nimm Dir Zeit, Bernhard – übereile Dich nicht – damit Dein Herz nicht in einen Abgrund gerathe . . . Sieh mir gerade in die Augen – und Ihr Alle sehet ihn an, höret auf ihn. Nun antworte, Bernhard.«

»Ich bin unschuldig, Vater,« sagte Bernhard so ruhig, als habe er auf die gleichgültigste Frage zu antworten.

»Gott sei Dank!« sprachen Mutter und Braut. Der Vater aber streckte die Hand aus, legte sie auf die Achsel Bernhards und sagte:

»Auf die Knie!«

Bernhard gehorchte, und mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke festen Glaubens sagte der Vater:

»Ich segne Dich, mein Sohn; Du bist unschuldig, ich brauche Nichts weiter zu wissen. Der Beweis Deiner Unschuld wird sich finden, wenn es Gott gefällt; das ist nur noch eine Sache zwischen ihm und den Menschen. Möge die Gerechtigkeit ihren Lauf haben.«

Bernhard stand auf und sank in die Arme seines Vaters.

»Nun,« sagte der letztere, indem er einen Schritt bei Seite trat, »komm auch Du, Mutter.«

»Mein Bernhard, mein lieber Bernhard!« rief Mutter Watrin, die ihre Arme um den Nacken des Sohnes schlang. »Meine gute Mutter!« sagte Bernhard.

Katharine wartete, aber als sie eine Bewegung machte, um zu dem Gefangenen zu gehen, wehrte sie dieser mit der Hand ab und sagte:

»Später, später. Auch ich habe Dir, bei Deinem Seelenheile, eine Frage vorzulegen.«

Katharine trat mit sanftem Lächeln zurück, denn auch sie war von der Unschuld Bernhards so fest überzeugt, wie von der eigenen.

»Er ist unschuldig!« sagte die Mutter im freudigsten Gefühle. »Nun freilich,« meinte der Maire, »wenn er schuldig ist, wird er nicht gleich sagen: ja, ich habe Chollet erschossen. So dumm ist er nicht.«

Bernhard richtete sein ruhiges Auge auf den Maire und sagte:

»Nicht Ihretwegen, Herr Maire, sondern um deretwillen, die mich lieben, spreche ich es aus, und Gott, der mich hört, weiß, ob ich lüge oder die Wahrheit sage, ja, ich hatte anfangs die Absicht, Herrn Chollet zu ermorden, als ich Katharinen kommen und ihn ihr entgegen gehen sah; ich legte mein Gewehr an, aber Gott stand mir bei, und gab mir die Kraft, der Versuchung zu widerstehen, ich warf das Gewehr von mir und floh; auf der Flucht verhaftete man mich, aber ich floh nicht, weil ich ein Verbrechen begangen hatte, sondern um es nicht zu begehen.«

Der Maire winkte; ein Gendarm reichte ihm eine Flinte.

»Erkennen Sie dies als Ihr Gewehr?« fragte er Bernhard.

»Ja, es ist das meinige,« antwortete der Beklagte.

»Der rechte Lauf ist abgeschossen. Man hat es an der großen Eiche vor dem Thale der Prinzenquelle gefunden.«

»Dort hatte ich es von mir geworfen,« sagte Bernhard.

In diesem Augenblicke stand Matthias mit einiger Anstrengung auf, griff an seinen Hut und sagte in einem Thone, dessen Unsicherheit man seiner Blödigkeit zuschrieb:

»Entschuldigen Sie, Herr Maire, aber ich habe Et« was anzuführen, was vielleicht die Unschuld Bernhards beweist . . . Wenn man suchte, fände man vielleicht die Propfe. Bernhard ladet nicht wie die Andern mit Papier, sondern mit Filzstückchen.«

Niemand hatte bisher auf Mathias geachtet, aber man hörte seine Bemerkung mit Freuden an.

»Gehe einer von Euch Gendarmen an Ort und Stelle und suche nach dem Pfropfen,« sagte der Maire.

»Gleich morgen früh soll es geschehen,« antwortete Einer.

»Dann,« fuhr Mathias fort, »weiß ich noch Etwas.«

»Was?« fragte der Maire.

»Ich war heute früh dabei, als Bernhard sein Gewehr lud. Um seine Kugeln wieder zu erkennen, bezeichnete er sie mit einem Kreuze. Ich borgte ihm dazu mein Messer, mit dem er das Kreuz einkratzte.«

Bernhard fühlte in der Angabe, welche Mathias in scheinbar wohlwollender Absicht machte, den scharfen giftigen Zahn der Natter, und er antwortete nicht.

Der Maire wartete einige Augenblicke, dann fragte er:

»Angeklagter, ist dem so?«

»Ja.« sagte Bernhard, »es ist die Wahrheit.«

»Wenn man die Kugel fände,« fuhr Matthias fort, »und sie hätte kein Kreuz an sich, dann wollte ich dafür stehen, daß Bernhard den Schuß nicht getan hat. Wenn freilich ein Kreuz darauf wäre, dann wüßte ich nicht, was ich sagen sollte.«

Ein Gendarm trat zu dem Maire und sagte:

»Der Mensch sagt die Wahrheit. Ich habe die Ladung aus dem linken Lauf gezogen. Die Pfropfe sind von Filz und aus der Kugel ist ein Kreuz.«

»Sie haben zu Ihrer Verteidigung sonst Nichts zu sagen?« fragte der Maire Bernhard.

»Nein, Nichts, als daß ich unschuldig bin, wenn auch der Schein gegen mich ist.«

»Ich hatte gehofft,« fuhr der Maire fort, »der Anblick Ihrer Eltern, Ihrer Braut und des würdigen Geistlichen da würde Sie veranlassen, die Wahrheit zu sagen, und deshalb ließ ich Sie daher bringen. Ich irre mich.«

»Ich kann weiter Nichts sagen, Herr Maire . . . Ich habe mich eines bösen Gedankens schuldig gemacht, nicht aber einer bösen That.«

»So wollen Sie nicht gestehen?«

»Ich kann weder gegen, noch für mich lügen.«

»So führt ihn fort, Gendarmen!«

»Sie haben aber doch gehört, Herr Maire, daß er unschuldig ist,« fiel Mutter Watrin ein.

»Meine liebe Frau,« antwortete der Maire, »es ist eine harte Pflicht für mich, aber ich bin Beamter; es ist ein Verbrechen begangen worden; ich kann nicht darnach fragen, wie nahe mir der angebliche Thäter steht; ich frage auch nicht darnach, daß der Ermordete ein junger Mann ist, den die Eltern mir anvertraut hatten; nein, Chollet, wie Ihr Sohn sind mir Fremde, aber die Gerechtigkeit muß ihren Lauf haben. Auf, Gendarmen!«

»Leb wohl, Vater! Leb wohl, Mutter,« rief Bernhard zum Abschiede, während ihn die Gendarmen nach der Türe zu zu führen begannen.

»Und mir hast Du Nichts zu sagen, Bernhard?« fragte Katharine.

»Katharine,« antwortete er mit halb erstickter Stimme, »wenn ich sterben, unschuldig sterben muß, verzeihe ich Dir vielleicht; in diesem Augenblicke habe ich nicht die Kraft dazu.«

»Bernhard,« fiel die Mutter ein, »um Gottes willen, sage der Armen, daß Du ihr nicht zürnst.«

»Mutter,« entgegnete Bernhard in tiefer Trauer, »ich muß sterben und werde sterben als dankbarer Sohn, der Gott dem Herrn dafür dankt, daß er ihm so gute Eltern gegeben.«

Zu den Gendarmen setzte er hinzu:

»Ich bin bereit.«

Unter lautem Schluchzen der Familie entfernte er sich, aber auf der Schwelle der Türe kam ihm Franz athemlos entgegen.

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
180 стр. 1 иллюстрация
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Public Domain

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