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Читать книгу: «John Davys Abenteuer eines Midshipman», страница 6

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»Antworte,« sagte er; »wenn Du wirklich Katholik bist, so mußt Du die Messe können.»

Ich verstand sogleich, was er von mir verlangte. Ich hatte als Knabe oft mit dem Meßbuch der Mistreß Denison gespielt und nicht nur die heiligen Bilder betrachtet, sondern mir auch die Responsorien gemerkt. Ich gab daher dreist die auf seine vorgebeteten Sätze passenden Antworten.

»Bravo!« sagte Jemmy und legte das Buch wieder in den Schrank. »Du bist ein Bruder. Jetzt sage, was wünschest Du? Du sollst bedient werden, wenn Du Geld hast.«

»O, das Geld fehlt nicht,« antworte ich und klapperte mit einigen Thalern in der Tasche.

»Dann vivat St. Patrick!« sagte der ehrenwerthe Herbergsvater erfreut. »Mein Junge, Du kommst wie gerufen zu der Hochzeit.»

»Ja der Hochzeit?» erwiederte ich erstaunt.

»Ja wohl. Kennst Du Bob?«

»Bob? freilich kenne ich ihn.«

»Er heiratet.«

»Wirklich?«

»Ja, und eben jetzt ist er in der Kirche.«

»Aber er ist doch nicht der Einzige vom »Trident?« fragte ich.

»Nein, mein Junge, es sind ihrer sieben, gerade so viel wie es Todsünden gibt.«

»Wo sind sie denn?«

»Sie der Kirche. Ich will Dich hinführen.«

»Bemühet Euch nicht, Master Jemmy, erwiederte ich ; »ich kann ja allein hingehen.«

»Ja wohl, damit Dich die Kundschafter Sr. brittischen Majestät auf der Straße packen. Nein, mein Junge, das geht nicht. Komm hierher.«

»Habt Ihr denn einen heimlichen Gang zur Kirche?«

»Ja, wir sind maschinirt wie das Theater in Drurylane, wo in einer Pantomime fünfundzwanzig Verwandlungen vorkommen. Komm mit mir.«

Jemmy faßte mich beim Arm und zog mich sehr freundlich, aber zugleich mit solcher Riesenkraft fort, daß es mir nicht möglich gewesen wäre, den mindesten Widerstand zu leisten. Aber der Gang zur Kirche paßte nicht in meinen Kram, ich hatte nicht den mindesten Wunsch mit den Ausreißern znsammenzutreffen.

Ich griff unwillkürlich nach meinem Dolch, den ich unter meinem rothen Hemde versteckt trug. Einstweilen folgte ich meinem gewaltigen Führer; ich war entschlossen den Umständen gemäß zu handeln, aber nöthigenfalls das Außerste zu wagen, denn meine ganze Laufbahn hing wahrscheinlich von dem Erfolge dieses gefährlichen Unternehmens ab.

Wir gingen durch zwei oder drei Stuben. In einer derselben stand ein mit Speisen und Getränke beladener Tisch. Dann stiegen wir in einen dunkeln Keller hinab. Jemmy ging, ohne mich loszulassen, langsam und vorsichtig vorwärts. Endlich öffnete er nach kurzem Besinnen eine Thür. Kühle Luft wehte uns entgegen. Ich stieß mit dem Fuße an eine Treppe. Kaum war ich einige Stufen hinaufgestiegen, fühlte ich einen feinen Regen im Gesicht. Ich schaute auf und sah den bewölkten Himmel über mir. Ich sah mich um, wir waren auf einem Friedhofe, an dessen Ende die Kirche mit zwei erleuchteten Fenstern stand.

Der Augenblick der Gefahr kam heran. Ich zog meinen Dolch halb aus der Scheide und schickte mich an weiter zu gehen; aber nun stand Jemmy still.

»Jetzt,« sagte er, »geh nur gerade aus, mein Junge, Du kannst Dich nicht verirren und hast auch sonst nichts zu fürchten. Ich gehe wieder ins Haus. Du kommst mit den Brautleuten zurück; Du wirst am Tische einen Platz für Dich finden.«

Zugleich that sich der Schraubstock auf, in welchem mein Arm eingeklemmt war, und ohne mir Zeit zu einer Antwort zu lassen, kehrte Jemmy um und verschwand sogleich unter dem Treppengewölbe.

Kaum war ich allein, so stand ich still und dankte Gott, daß Master Jemmy mich nicht weiter begleitet hatte. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkte ich, daß die Kirchhofsmauer nicht hoch war, ich konnte daher entkommen, ohne durch die Kirche zu gehen.

Ich lief auf die Mauer los, stieg rasch an den hervorstehenden Steinen hinauf und sprang an der andern Seite hinunter. Ich stand in einer ganz menschenleeren Seitengasse. Ich wußte nicht genau, wo ich war; aber ich orientirte mich nach dem Winde, der mir auf dem ganzen Wege gerade entgegengeweht hatte; ich brauchte ihm daher nur den Rücken zu kehren, um meines Weges ziemlich sicher zu sein. – So kam ich bald zum Dorfe hinaus.

Links bemerkte ich die an der Landstraße stehenden hohen Bäume. Ich ging auf diese Bäume zu. Dreißig Schritte von der Straße war das verfallene Haus. Unsere Leute waren auf ihrem Posten. Es war kein Augenblick zu verlieren. Ich erzählte ihnen, was geschehen war. Wir theilten unsere Schaar in zwei Haufen und begaben uns im Geschwindschritte, aber schweigend in das Dorf.

Am Ende der zu Jemmy’s Schenke führenden Straße zeigte ich dem Lieutenant Burke die vor dem Wirthshause hängende Laterne und den spitzigen Kirchthurm. Da ich mit den Ortsverhältnissen bekannt war, übertrug mir der Lieutenant die Führung der sechs Mann, welche die Schenke besehen sollten; dann ging er an der Spitze der neun andern auf die Kirche zu. Da die Kirche und die Schenke ziemlich weit entfernt waren, so mußte unser doppelter Angriff gleichzeitig stattfinden, und dies war von Wichtigkeit, um den Ausreißern den Rückzug abzuschneiden.

Ich wollte die mir schon gelungene Kriegslist wieder anwenden. Meine Leute mußten dicht an die Wand treten und ich rief durch das Gitter. Ich hoffte, wir würden ohne Gewaltmittel in das Wirthshaus eindringen; aber es herrschte tiefe Stille in dem Wirthshause und ich sah wohl ein, daß wir Gewalt brauchen mußten.

Ich befahl daher zwei mit Aexten bewaffneten Matrosen die Thür einzuschlagen.

Dies war in wenigen Augenblicken geschehen, und wir stürzten in das Vorhaus.

Die zweite Thür war verschlossen, wir mußten sie einschlagen wie die erste. Die Stube, in welcher mich Jemmy empfangen hatte, war dunkel; sogar das Feuer im Ofen hatte man mit Wasser ausgelöscht. Ein Matrose schlug Feuer; aber wir suchten vergebens eine Lampe oder eine Kerze. Ich dachte an die Laternen und eilte an die Hausthür, um sie abzunehmen; sie war ausgelöscht. Die Besatzung war offenbar gewarnt worden und leistete nun passiven Widerstand, der aller Wahrscheinlichkeit nach eine hartnäckige Gegenwehr in Aussicht stellte. Als ich wieder hineinging, war die Stube hell; einer unserer Leute, ein Kanonier der dritten Backbordbatterie, hatte zufällig eine Lunte bei sich und hatte sie angezündet. Aber es war kein Augenblick zu verlieren, das Licht konnte nur einige Secunden dauern; ich nahm die Lunte, forderte die Matrosen auf mir zu folgen und stürzte in die zweite Stube.

Auch durch die dritte Stube, wo der Tisch gedeckt war, eilten wir ohne Hinderniß. Aber die in den Keller führende Thür war verschlossen. Die Lunte erlosch.

Man hatte indeß nicht Zeit gehabt die Thür zu verrammeln, denn als ich die Hand ausstreckte, fühlte ich den Schlüssel. Ich ging voran, denn der Weg, den ich vorher gemacht hatte, war mir noch ziemlich gut erinnerlich. Ich hatte zehn Stufen gezählt, und als ich aus der letzten war, wandte ich mich rechts; aber kaum war ich in der Finsterniß einige Schritte fortgegangen, so hörte ich eine Stimme, die mir zuflüsterte: »Verräther!« Zugleich fühlte ich einen schweren Gegenstand auf meinen Kopf fallen, als ob sich ein Stein von dem Gewölbe losgemacht hatte. Ich sah Millionen Funken vor den Augen, stieß einen Schrei aus und fiel bewußtlos nieder.

Als ich wieder zur Besinnung kam, lag ich in meiner Hängematte und fühlte an der Bewegung des Schiffes, daß eben die Anker gelichtet wurden. Meine durch einen Faustschlag des herkulischen Jemmy entstandene Betäubung hatte den Erfolg des Unternehmens nicht beeinträchtigt. Der Lieutenant Burke hatte die Brautleute sammt den Zeugen und Hochzeitgästen in der Sacristei überrascht; die Ausreißer waren also wie in einer Falle gefangen worden, und bis auf Bob, der aus dem Fenster gesprungen war, hatte man sie alle festgenommen.

Der Flüchtling war übrigens sogleich ersetzt worden, denn der Lieutenant hatte einen der Hochzeitsgäste »geentert« und sammt den übrigen Gefangenen an Bord des »Trident« geschleppt.

Dieser arme Teufel, der so unerwartet und so ungern Matrose wurde, hieß David und war ein Haarkünstler von Walsmouth.

IX

Obgleich ich durch meine Ohnmacht gehindert worden war, an der Gefangennahme der Ausreißer thätigen Antheil zu nehmen, so ist doch nicht zu läugnen, daß das glückliche Gelingen des Unternehmens großentheils mein Werk war. Als ich daher wieder zum Bewußtsein meines Daseins kam und bald darauf die Augen aufschlug, sah ich unsern braven Capitän, der persönlich erschienen war, um sich von meinem Zustande zu überzeugen.

Da ich mich, abgesehen von einer gewissen Schwere des Kopfes, ganz wohl befand, so antwortete ich ihm, daß ich in einer Viertelstunde auf dem Verdeck sein und meinen Dienst wieder antreten würde. Sobald sich der Capitän entfernt hatte, sprang ich aus meiner Hängematte und kleidete mich um. Die einzige sichtbare Spur, welche von Jemmy’s Faustschlage zurückgeblieben, war eine starke Röthe der Augen. Der herkulische Ire würde mich todtgeschlagen haben, wenn mein Schädel nicht so hart gewesen wäre.

Die Anker waren inzwischen aufgewunden und das Schiff fing an sich nach der Steuerbordseite zu wenden. Ehe diese Wendung vollendet war, überließ der Capitän dem Lieutenant den Befehl am Deck und begab sich in seine Cajüte, um von seinen erst bei der Abfahrt zu erbrechenden Depeschen Kenntniß zu nehmen.

Alle meine Cameraden benützten diese kurze Muße, um mir Glück zu wünschen und nach meinem Befinden zu fragen. Während ich ihnen mein Abenteuer ausführlich erzählte, bemerkten wir eine vom Lande kommende Barke, welche verschiedene Signale gab. Ein Midshipman richtete sein Fernrohr auf das Fahrzeug.

»Beim Himmel!« sagte er, nachdem er die Barke einige Augenblicke gemustert hatte, »dort kommt der Püster Bob.«

»Ein spaßiger Mensch,« sagte ein Matrose; »er nimmt Reißaus, wenn man hinter ihm herläuft, und läuft uns nach, wenn wir an Bord gehen.«

»Er hat sich vielleicht schon mit seiner Gattin gezankt,« sagte ein anderer.

»Ich möchte in seiner Haut nicht stecken,« setzte ein dritter hinzu.

»Still!« gebot eine Stimme, die manchem von uns seine Gänsehaut machte. »Jeder auf seinen Posten! Steuer rechts! Besansegel nach dem Winde gestellt! Sehet Ihr denn nicht, daß das Schiff über Steuer geht.«

Der Befehl wurde sogleich vollzogen und das Schiff hörte in seiner zurückweichenden Bewegung auf. Nachdem es einige Augenblicke still gestanden, fing es endlich an sich vorwärts zu bewegen. – In diesem Augenblicke rief eine Stimme:

»Eine Barke auf der Backbordseite!«

»Sehet zu was sie will,« sagte der Lieutenant, den nichts bewegen konnte, von der einmal vorgeschiebenen Ordnung abzugehen.

»Ohe!« rief dieselbe Stimme zu der Barke hinüber, »was wollt Ihr?«

Als der Matrose die Antwort erhalten hatte, setzte er hinzu:

»Herr Lieutenant, es ist Bob, der Püster, der einen kleinen Abstecher ans Land gemacht hat und wieder an Bord zu kommen wünscht.«

»Werfet dem Kerl ein Seil zu,« sagte der Lieutenant, ohne nach der Barke hin zu sehen, und führet ihn mit den Andern in die Löwengrube.«

Der Befehl wurde pünktlich vollzogen, und ein paar Minuten nachher bemerkte ich über der Schanzkleidung an der Backbordseite den Kopf Bob’s, der den von seinen Cameraden erhaltenen Spitznamen rechtfertigend, aus Leibeskräften schnob.«

»Bravo, alter Pottfisch,« sagte ich zu ihm; »besser spät als gar nicht. Acht Tage bei Wasser und Brot im Kielraum,, und die Sache ist abgethan.«

»Ganz recht, ich verdiene es,« erwiederte Bob in einem fort schnaubend, »und wenn ich so davonkomme, kann ich mich nicht beklagen. – Aber mit Verlaub, Mister Midshipman, zuerst möchte ich mit dem Lieutenant reden.«

»Führet ihn zum Lieutenant,« sagte ich zu den beiden Matrosen, die den Ausreißer schon ergriffen hatten.

Burke stand mit dem Sprachrohre auf dem Hinterdecke und ertheilte seine Befehle, als er Bob kommen sah. Er sah ihn mit seinem ernsten finstern Blick an und fragte:

»Was willst Du?«

»Mit Respect zu melden, Herr Lieutenant,« sagte Bob, indem er seine blaue Mütze zwischen den Fingern drehte, »ich weiß, daß ich strafbar bin und habe für meine Person nichts zu sagen.«

»Das ist ja schön ,« sagte der Lieutenant grinsend.

»Sie würden mich wohl schwerlich wieder gesehen haben,« fuhr Bob fort, »wenn nicht ein Anderer für mich die Zeche bezahlen sollte. Ich dachte mir: Bob, das geht nicht, du mußt wieder an Bord des »Trident«, sonst wärest Du ein Galgenvogel – und da bin ich.«

»Und was weiter?«

»Nun , da ich mich gestellt habe, um meine Strafe zu empfangen und meinen Platz wieder einzunehmen, so brauchen Sie keinen Stellvertreter für mich und werden David zurückschicken. Sehen Sie nur, Herr Lieutenant, dort stehen sein Weib und seine Kinder und jammern.«

Er zeigte mit der Hand auf einige am Ufer stehende Personen.

»Wer hat dem Kerl erlaubt mich anzureden?« fragte Burke.

»Ich, Herr Lieutenant,« antwortete ich.

»Sie bekommen einen Tag Arrest, Mister Davys,« sagte Burke zu mir; »Sie werden sich künftig nicht in fremde Angelegenheiten mengen.

Ich salutirte und trat einen Schritt zurück.

»Herr Lieutenant,« sagte Bob, »das ist nicht recht, und wenn dem armen David ein Unglück geschieht, so haben Sie es vor Gott zu verantworten!«

»Leget den Kerl in Ketten und werfet ihn in den Kielraum!« rief der Lieutenant.

Bob wurde abgeführt. Ich ging die eine Treppe hinunter und er die andere; aber wir begegneten einander aus dem zweiten Verdeck.

»Es ist meine Schuld, daß Sie Strafe bekommen,« sagte er zu mir, »und ich bitte Sie um Verzeihung; aber ich hoffe es wieder gut zu machen.«

»Laß es nur gut sein, Bob,« erwiederte ich; »aber füge Dich in Geduld, wenn Dir deine Haut lieb ist.«

»Ich würde schon Geduld haben,« sagte Bob, »aber der arme David dauert mich.«

Die Matrosen schleppten ihn in den Kielraum und ich begab mich in meine Kammer. – Am andern Morgen kam der Matrose, welcher mich bediente, schloß vorsichtig die Thür und sagte geheimnißvoll:

»Ist es erlaubt, ein paar Worte von Bob zu melden ?«

»Sprich, mein Freund,« sagte ich.

»So hören Ew. Gnaden: Bob sagt, daß er und die anderen Ausreißer Strafe verdient haben, aber es sei Unrecht, den armen David, der gar nichts verbrochen, zu bestrafen.«

»Er hat Recht.«

»Da Ew. Gnaden auch seiner Meinung sind,« fuhr der Matrose fort, »so läßt er Sie bitten, mit dem Capitän darüber zu reden ; der Capitän ist ein guter Herr und leidet kein Unrecht.«

»Es soll heute geschehen, darauf kann sich Bob verlassen.«

Es war sieben Uhr, und da mein Arrest um elf Uhr zu Ende war, so begab ich mich sogleich zum Capitän. Ich sprach, ohne Bob zu nennen, von dem armen David und von der Ungerechtigkeit, ihn mit den Andern in der Löwengrube festzuhalten. Der Capitän stimmte mir bei und ertheilte sofort die nöthigen Befehle.

Ich wollte mich entfernen, aber er hielt mich zurück, ich mußte Thee mit ihm trinken. Der brave Mann hatte erfahren, daß mich der Lieutenant in Arrest geschickt, und wollte mir zu verstehen geben, daß er diese Strafe ungerecht fand , obgleich es sich nicht geziemt hätte, zu meinen Gunsten einen Eingriff in die Regeln der Disciplin zu machen.

Nach dem Frühstück ging ich wieder auf’s Verdeck. Die Matrosen bildeten einen Kreis um einen mir unbekannten Mann: es war David.

Der arme Mann hielt sich mit der einen Hand an einem Tau, während die andere schlaff herabhing ; seine Blicke waren auf das Land gerichtet, das nur noch wie ein leichter Nebel am Horizont sichtbar war, und stille Thränen stürzten ans seinen Augen.

Die Gewalt eines wahren und tiefen Schmerzes ist so groß, daß alle diese an Gefahr, Blut und Tod gewöhnten Meerwölfe sich mitleidig um diesen Mann drängten, der seine Familie und seine Heimat beweinte. David sah nur das Land, welches jeden Augenblick mehr verschwand, und jeden Augenblick nahm die Verzweiflung des Unglücklichen zu. Als das Land endlich völlig verschwunden war, wischte er sich die Augen, als ob er gedacht hätte, daß ihn die Thränen hinderten zu sehen. Dann breitete er die Arme aus und sank bewußtlos nieder.

»Was gibt’s?« fragte Lieutenant Burke, der zufällig vorüberging.

Die Matrosen traten schweigend auf die Seite, so daß er den ohnmächtigen David sehen konnte.

»Ist er todt?« fragte er noch gleichgültiger, als wenn von Fox, dem Hunde des Kochs, die Rede gewesen wäre.

»Nein, Herr Lieutenant,s sagte ein Matrose; »er ist nur ohnmächtig.«

»Schüttet dem Kerl einen Eimer Wasser ins Gesicht, dann wird er schon wieder zur Besinnung kommen.«

Glücklicherweise kam der Schiffsarzt dazu und wiedersetzte sich dem Befehl des Lieutenants, denn ein Matrose kam schon mit einem Eimer Wasser. Der Arzt ließ David in seine Hängematte bringen und öffnete ihm eine Ader. Der Unglückliche bekam endlich sein Bewußtsein wieder.

Unterdessen war die Fregatte mit günstigem Winde an den Inseln Jersey und Guernesey vorbeigesegelt und befand sich im atlantischen Ocean. Als daher David nach zwei Tagen auf das Verdeck kam, sah er nur Himmel und Wasser. Die wieder eingefangenen Ausreißer wurden übrigens milder behandelt, als zu erwarten war: sie betheuerten, daß sie die Absicht gehabt, in der Nacht wieder an Bord zu kommen, aber der Wunsch, bei der Hochzeit eines Cameraden zu sein, habe über die Furcht vor Strafe den Sieg davongetragen. Zu ihrer Rechtfertigung führten sie an: daß sie sich ohne Widerstand hatten verhaften lassen und daß Bob, der entsprungen sei, um der ehelichen Freuden nicht ganz beraubt zu werden, am andern Morgen freiwillig zurückgekehrt sei; das Urtheil lautete auf acht Tage Arrest bei Wasser und Brot in der Löwengrube und zwanzig Hiebe. Die Strafe war milde im Vergleich mit dem Vergehen, wie überall, wo der Capitän Recht zu sprechen hatte.

Der von allen schlechten Matrosen der englischen Marine gefürchtete Donnerstag kam. Der Donnerstag ist der Prügeltag. Um acht Uhr Morgens stellten sich die Seesoldaten in Parade am Backbord und Steuerbord auf; dann erschienen die Delinquenten in Begleitung des Profoßen und seiner beiden Gehilfen. Zum großen Erstaunen der meisten Anwesenden befand sich David unter denen, welche gezüchtigt werden sollten.

»Mister Burke,« sagte der Capitän Stanbow, sobald als er den armen Haarkünstler erkannte, »dieser Mann kann nicht als Deserteur behandelt werden; denn er gehörte nicht zu unserer Mannschaft, als er am Lande festgenommen wurde.«

»Ich lasse ihn auch nicht als Deserteur bestrafen, Capitän,« erwiederte der Lieutenant, »sondern als Trunkenbold. Gestern kam er völlig betrunken auf’s Verdeck.«

»Herr Capitän,« sagte David, »es liegt mir wenig daran, ob ich ein Dutzend Hiebe bekomme, denn ich habe in der Seele einen größern Schmerz, als man meinem Leibe machen kann ; aber zur Steuer der Wahrheit muß ich sagen und ich schwöre es bei meiner Seligkeit, daß ich auf diesem Schiffe noch keinen Tropfen Wein oder Ruhm getrunken habe. Ich berufe mich auf meine Cameraden, denen ich bei jeder Mahlzeit meine Portion gegeben habe.«

»Ja, das ist wahr,« sagten mehre Stimmen.

»Still!« rief der Lieutenant. »Wie kommt es denn,« sagte er zu David, »daß Ihr nicht aufrecht stehen konntet, als Ihr gestern auf das Verdeck kamet?«

»Das Schiff schwankte sehr stark,« antwortete David, »und ich war seekrank.«

»Seekrank!« wiederholte der Lieutenant höhnisch; »besoffen waret Ihr. Ich habe die in solchen Fällen übliche Probe mit Euch vorgenommen, Ihr konntet keine drei Schritte auf den Deckplanken gehen, ohne zu fallen.«

»Ich bin nicht gewohnt auf einem Schiffe zu gehen,« antwortete David.

»Ihr waret besoffen!« schrie der Lieutenant. »Uebrigens kann Euch der Herr Capitän die verdiente Strafe erlassen; er möge indeß bedenken, wie sehr eine solche Nachsicht der Mannszucht schaden würde.«

Der Capitän konnte David nicht begnadigen, ohne dein Lieutenant Unrecht zu geben. Es blieb bei der ersten Bestimmung.

Niemand getraute sich ein Wort hinzuzusetzen, und nachdem alle Anwesenden das vom Profoßen abgelesene Urteil mit entblößtem Haupte vernommen hatten, begann die Execution. Die an körperliche Züchtigung gewöhnten Matrosen ertrugen die Hiebe mit mehr oder minder Gleichmuth. Bob war der vorletzte. Als die Reihe an ihn kam, öffnete er den Mund, als ob er noch etwas zu sagen hätte; aber nach kurzem Besinnen trat er vor. Er schien es auf ein andermal zu verschieben.

Bob wurde von seinen Cameraden nicht mit Unrecht der »Püster« genannt: sobald die Hiebe auf seinen Rücken fielen, fing er so laut an zu schnauben, daß man hätte glauben können, ein Pottfisch schwimme neben der Fregatte. Dies war übrigens die einzige Schmerzensäußerung, die er hören ließ. – Nach dem zwanzigsten Hieb richtete sich Bob auf; seine von der Sonne gebräunte und vom Salzwasser gehärtete Haut war ganz geschwollen, aber kein Tropfen Blut kam hervor. Man sah, daß er sprechen wollte, und tiefe Stille herrschte auf dem Verdeck.

»Ich habe eine Bitte an den Herrn Capitän,« sagte Bob, indem er seinen Kautabak von der einen Backe zur andern schob; »ich bin einmal da und bitte um die Gnade, mir die zwölf Hiebe Davids aufzählen zu lassen.«

»Was sagst Du da, Bob?« rief der Haarkünstler.

»Laß mich doch,« sagte Bob mit einem tiefen schnarrenden Athemzuge. – »Herr Capitän, ich habe nicht zu entscheiden, ob er strafbar ist oder nicht; aber ich weiß, daß er’s nicht aushält. Ja, er wird sterben und Weib und Kinder im Elende zurücklassen. Ich hingegen habe einmal meine sechsunddreißig ausgehalten – und es war bald überwunden.«

»Tritt zurück, Bob,« sagte der Capitän, dessen Augen sich mit Thränen füllten.

Bob gehorchte, ohne ein Wort zu antworten, David trat vor. – Als man ihm Jacke und Hemd auszog und sein weißer schmächtiger Körper zum Vorschein kam, fanden alle Anwesenden, daß Bob Recht hatte.

Ich machte eine Bewegung gegen den Capitän. Dieser bemerkte es; er mochte wohl errathen, was ich ihm zu sagen hatte, denn er gab mir durch eine Handbewegung zu verstehen, daß er eine Störung nicht wünsche. Dann wandte er sich zu dem Profoßen und dessen Gehilfen und sagte: »Thut eure Pflicht.«

Tiefes Stillschweigen folgte diesen Worten. Die neunschwänzige Katze wurde aufgehoben und schlug blaue Striemen auf den Rücken des Unglücklichen; die Striemen, welche durch den zweiten Hieb entstanden, kreuzten die ersten ; bei dem dritten Hiebe kam das Blut tropfenweise hervor; bei dem vierten spritzte es weit weg und besudelte die zunächst Stehenden.

»Genug!« sagte der Capitän.

Alle Anwesenden atmeten tief auf; lauter als alle Anderen schnob Bob. Die Hände David’s wurden losgebunden. Er hatte keinen Laut von sich gegeben, aber er war leichenblaß. Trotzdem trat er festen Schrittes auf den Capitän zu.

»Ich danke Ihnen, Herr Capitän,« sagte er; »ich werde des Mitleids wie der Rache gedenken.«

»Sie haben nur an Ihre Pflichten zu denken,« erwiederte der Capitän.

»Ich bin kein Matrose,« setzte David hinzu; »ich bin Familienvater, und Gott wird mir verzeihen, daß ich jetzt meine Pflichten als Gatte und Vater nicht erfülle, denn es ist nicht meine Schuld.«

»Führt die Sträflinge hinunter. Der Arzt soll sie besuchen.«

Bob bot David seinen Arm.

»Ich danke, mein braver Freund,« sagte David ; »ich denke, ich kann allein hinuntergehen.«

David ging wirklich festen Schrittes die Treppe der ersten Batterie hinunter.

»Es wird ein schlechtes Ende nehmen,« sagte ich leise zu dem Capitän.

»Ich fürchte es,« antwortete er. – »Gehen Sie zu dem armen Teufel, Mister Davys, und suchen Sie ihn zu beruhigen.«

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
460 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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