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Читать книгу: «Drei starke Geister», страница 5

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»Ja, ich habe Feuer in der Brust und Eis an den Füßen; o, ich muß sterben, ich fühle es, ich weiß es!«

Er fing an zu weinen wie ein Kind, so daß Pascal und selbst der Arzt ihn bemitleideten und sich gegenseitig anblickten.

»Ich muß um jeden Preis ruhiger werden. Man versichert, daß Gott einem Menschen, der so leidet wie ich, und der seine Sünden bekennt, zuweilen vergiebt, sowohl seiner Seele als seinem Körper, und daß die Absolution Wunderkuren vollbracht hat. Ich will dieses letzte Mittel versuchen, ich will beichten; vielleicht läßt mich Gott dann noch leben!«

»Dies ist christlich gedacht,« erwiderte Pascal, »obgleich das Gefühl, dem Sie gehorchen, kein streng religiöses ist; aber Gott wird Sie vollends erleuchten, nur ist leider kein Geistlicher an Bord.«

»Sind Sie nicht Priester?«

»Ich bin noch nicht ordiniert.«

»Aber Sie wollen es mit der-Zeit werden?«

»Ja, Gott müßte mich denn abrufen, ehe ich meine Gelübde ablegen kann.«

»Nun, so hören Sie meine Beichte im Voraus.«

»Dies ist unmöglich.«

»Unmöglich?« rief der« Kranke mit Entsetzen.

»Ja.«

»Sie wollen mich also unter Gotteslästerungen und Verwünschungen sterben lassen? Wohlan, es sei; ich fluche Gott und der Religion!«

»Schweigen Sie, Unglücklicher! schweigen Sie!«

»Ich sage Ihnen, ich muß beichten!« fuhr Valery mit stierem Blicke und schäumendem Munde fort. »Die Vergangenheit erstickt mich, Sie müssen sie kennen. Ich bin ein Verbrecher!. . . hören Sie mich!«

»Er phantasiert, er wird wahnsinnig sagte Pascal zu dem Arzte.

»Nein, dieser Mann leidet eben so sehr an der Seele als am Körper,« erwiderte Maréchal; »als Christ und als Arzt fordere ich Sie auf, ihm den Dienst zu erzeigen, um den er Sie bittet.«

Pascal war noch eine Zeit lang unschlüssig.

«Der Kranke hielt fortwährend die Augen auf ihn gerichtet.

»Ja,« sagte Pascal nach kurzer Ueberlegung zu sich selbst, »der Doktor hat Recht, dieser Mann leidet an seiner Seele, seine Vergangenheit birgt vielleicht ein Unglück, und wenn ich seine Beichte höre, wird es vielleicht in der Zukunft möglich, das geschehene Böse wieder gut zu machen. – Nun gut, Herr Valery,« fuhr er laut fort, »ich will Sie anhören; aber was Sie mir auch entdecken mögen, die Absolution kann und darf ich Ihnen nicht geben.«

»Aber Sie können für mich beten und können mich trösten, nicht wahr? Weiter bedarf ich nichts. Lassen Sie uns allein, Herr Doctor, und Sie, mein Bruder, setzen Sie sich an mein Bett, denn wir müssen eilen. O, wer mir je gesagt hätte, daß ich das Bedürfnis fühlen würde, zu beichten! Ich leide fürchterliche Qualen!. . ., Gott rächt sich grausam an mir!. . . Hören Sie mich an, mein Bruder.«

»Noch nicht,« versetzte Pascal.

»Warum nicht?«

»Weil Es möglich ist, daß Sie nicht sterben und weil Sie es dann vielleicht später bereuen könnten, Jemandem ein Geheimniß anvertraut zu haben, welches schwer auf Ihrem Gewissen zu lasten scheint. Ich werde daher Ihre Beichte nicht eher hören, als bis der Arzt jede Hoffnung aufgegeben hat, und so weit sind wir, Gott sei Dank! noch nicht. Beruhigen Sie sich, Sie haben ein wenig Delirium. Wenn ich Ihre Beichte anhöre, so will ich, daß sie der Himmel Ihrer Ueberlegung und Ihrer Reue, nicht Ihrer fieberhaften Aufregung verdankt. Haben Sie eine oder zwei Stunden, dann wollen wir sehen. In diesem Augenblicke würden Sie nicht im Stande sein, lange im Zusammenhange zu sprechen. Nehmen Sie etwas von diesem Tranke, der für Sie zubereitet ist. Sie werden bald darauf einschlafen und wenn Sie wieder erwachen, wird mir der Herr Doktor aufrichtig sagen, ob Sie noch hoffen dürfen oder nicht. Fassen Sie Muth und Geduld, Herr Valery.«

Während dem hatte Maréchal einige Tropfen von einer rothen Arznei in ein Glas Wasser gegossen, das er dem Kranken reichte. Er leerte es begierig bis auf den letzten Tropfen.

– Ein glühender Schweiß bedeckte seinen ganzen Körper, es war ihm, als wäre sein Kopf mit Blei angefüllt, er murmelte einige Worte und winkte dem Arzte und Pascal bei ihm zu bleiben; dann fielen ihm von selbst die Augen zu und nach einigen Minuten versank er in einen festen Schlaf.

Maréchal und Pascal verließen das Zimmer.

»Ist er wirklich in Lebensgefahr?« fragte Letzterer.

»Er ist jetzt Mittag, um vier Uhr will ich Ihnen darauf antworten. Jetzt lassen Sie uns ein wenig frische Luft schöpfen. Das Delirium dieses Menschen macht einen unangenehmen Eindruck auf mich, ich weiß nicht, wie dies kommt, denn ich habe schon Manchen sterben sehen, ohne etwas Aehnliches empfunden zu haben.«

Zwei Stunden später begab sich der Arzt in Begleitung Pascals wieder zu dem Kranken.

Dieser schlief noch.

Die Krankheit hatte seit vierundzwanzig Stunden furchtbare Fortschritte gemacht; sein Aussehen beim Eintritt des Doktors und des jungen Geistlichen war so verändert, daß man ihn leicht hatte für todt halten können.

Die-Augen waren halb geöffnet Und gläsern, die Wangen bleich und eingefallen, und ohne das häufige Zucken seiner Hände wäre er von einer Leiche schwer zu unterscheiden gewesen.

»Das größte Glück, was diesem Unglücklichen begegnen könnte, wäre, daß er nicht wieder erwachte,« bemerkte der Arzt, »denn er wird noch viel leiden müssen, ehe er stirbt.«

»Er muß also jedenfalls sterben?«

»Ja wohl,« antwortete Maréchal, indem er seinen Ausspruch noch durch ein Kopfnicken bekräftigte. »Die Beine sind schon eiskalt und abgestorben,« fuhr er fort, und hob die Bettdecke empor, um seinem Begleiter die abgemagerten Beine des Sterbenden zu zeiget.

»Welche Veränderung in Zeit von Einem Tages rief Pascal, indem er diesen Körper betrachtete, der ohne Zweifel noch ein entsetzliches Geheimniß barg, wenn man nach den krampfhaften Zuckungen selbst während des Schlafes urtheilen durfte, und der bald nichts mehr als eine leblose Masse sein sollte.

In diesem Augenblicke erwachte Valery, und nachdem er sich im Zimmer umgesehen hatte, suchte er mühsam seine Erinnerungen zu sammeln.

»Ah! da sind Sie, meine Herren,« sagte er endlich; »nun, wie ist’s?«

Der Arzt, an welchen diese Frage gerichtet war, schwieg und wechselte einen Blick des Einverständnisses mit Pascal.

»Ich bin zu Ihren Diensten,« erwiderte dieser dem Kranken.«

»Es ist keine Hoffnung mehr?«

»Keine, außer bei Gott,« antwortete Maréchal.

»Dann ist es eben so gut, als wäre schon Alles vorüber,« entgegnete Pascal.

»Sie zweifeln an Gott?« rief Pascal.

»O nein, ich zweifle nicht mehr an ihm, da ich sterben muß,« versetzte der Kranke. »Ich habe deshalb in einem Augenblicke des Fieberwahnsinns gesagt, daß ich beichten will; wohl an, es sei, ich will beichten.«

»Es ist noch Zeit, Ihren Entschluß zu ändern,« sagte Pascal, »wenn Sie irgend ein Bedenken tragen. Es wäre mir sogar lieber, denn ich muß Gott um Verzeihung bitten, daß ich diese Beichte anhöre, und wenn ich mich dazu verstehe, so thue ich es nur um der Ruhe Ihrer Seele willen.«

»Nun gut, setzen Sie sich zu mir, mein Bruder, und ich gebe Ihnen mein Wort, Sie sollen etwas Merkwürdiges hören.«

Pascal blickte den Kranken mit Erstaunen an.

»Ein sonderbarer Mann!« sprach der Dotter zu sich selbst, indem er die Kajüte verließ, denn es kam ihm vor, als ob der Sterbende sich jetzt auf die Beichte etwas einbildete, die er vor einigen Stunden aus Furcht hatte ablegen wollen.

Und so war es in der That. Valery der überzeugt war, daß er sterben mußte, warf in dem Augenblick, wo er sein vergangenes Leben enthüllen wollte, einen Blick des Zornes und des Trotzes um sich her, wie ihn der gefallene Engel auf den allmächtigen Gott gerichtet haben mag, als er beschloß, den ewigen Kampf anzunehmen.

Drittes Kapitel.
Der Bettler

Man hat gewiß schon Kinder gesehen, die wegen eines Fehlers, den sie geleugnet, aber gleichwohl begangen hatten, von ihrem Vater gescholten und bestraft wurden, und die, wenn sie die Unmöglichkeit, der Strafe zu entgehen, vor Augen. sahen, plötzlich weinend und mit den Füßen stampfend ausriefen:

»Ja, ich habe es gethan, ja, ja, und ich will es auch wieder thun!«

In ihrer jugendlichen Verzweiflung und als wollten sie sich an ihrem Vater rächen, übertrieben sie zuweilen wohl sogar die Bedeutung ihres Vergehens.

Dieses Gefühl betrachte man durch das moralische Vergrößerungsglas und man wird sehen, daß Valery in diesem Augenblicke seinem ganz ähnlichen Gefühle folgte, indem er beichten wollte; nur war es bei ihm um den ganzen Unterschied stärker, der zwischen dem Kinde und dem Manne, zwischen dem Vater und Gott, zwischen dem Fehler und dem Verbrechen, zwischen der väterlichen Züchtigung und dem Tode, dieser Strafe oder Belohnung der Ewigkeit, stattfindet.

»Ha! ich muß sterben,« sagte der Kranke; »es wird nichts, von mir übrig bleiben, mein Tod ist unvermeidlich. Wohlan, man soll erfahren, was ich war und was ich bin!«

Diese Stimmung Valery’s war Pascal nicht entgangen, und er konnte sich daher nicht enthalten, zu ihm zu sagen:

»Sie scheinen nicht in dem Zustande zu sein, in dem sich ein Mensch, welcher beichten will, befinden muß; erlauben Sie mir also, daß ich mich entferne. Ich wiederhole Ihnen, daß Ihre aufrichtige Reue das Einzige ist, was die Handlung, zu der ich mich verstehe, entschuldigen kann, aber in diesem Augenblicke sind Sie von dieser Reue weit entfernt.«

»Sie sollen mich aufklären,« erwiderte Valery, »und die Reue in mir wecken, wenn ich sie noch nicht fühle. Worin bestände der Triumph Ihrer.Religion, wenn sie nur Gläubige erleuchtete? Ich habe Ihnen Vorhin bereits gesagt, daß es thörigt von mir ist, an den Gott zu glauben, der mich tödtet, mich, den nichts im Leben nur einen Augenblick zum Wanken gebracht bat. Es ist mehr als ein Bekenntnis, das ich Ihnen ablegen will, es ist eine Lehre, die ich Ihnen mittheile, eine Lehre, die Ihnen in Ihrem Stande nur von Nutzen sein kann, denn sie wird Ihnen merkwürdige Geheimnisse des menschlichen Herzens enthüllen. Sie sollten es mir im Gegentheil Dank wissen, daß ich dieses Geständnis ohne alle Heuchelei mache; ich hätte mich bekreuzen und die Hände fallen können, um Sie zu täuschen, aber wozu dies? Von der Aufrichtigkeit bis zur Reue ist nur ein kleiner Schritt. Ueberdies betrifft dieses Bekenntniß nicht mich allein, und wenn Sie es angehört haben«I werden Sie bei Ihrer Zurückkunft nach Frankreich die Ehre Unschuldiger wiederherzustellen haben, denn ich habe unschuldigen Leuten Böses zugefügt, unter dem sie noch jetzt leiden müssen.«

»Sprechen Sie, Herr Valery, sprechen Sie.«

»Ach! mein Bruder,« fuhr der Sterbende, den sein moralisches Fieber auf einen Augenblick verlassen hatte, fort, »als Sie den Entschluß faßten,. sich dem Dienste Gottes zu widmen, erblickten Sie in der Ausübung Ihres geistlichen Amtes nur die Freude, unmittelbar mit dem Herrn zu verkehren und das ächt christliche Vergnügen, den Menschen die Wahrheit zu lehren; Sie ahneten nicht, daß Ihr Amt Ihnen auch entsetzliche Scenen vor Augen führen und Sie zu widerwärtigen Zergliederungen zwingen würde. Ihre Natur ist sanft und schwach. Ihre Seele nur zum Guten geschaffen, ich habe dies auf den ersten Blick erkannt; fühlen Sie sich auch stark genug, um nicht entsetzt zurückzuschrecken, wenn Sie sich zum ersten Male über den Abgrund beugen werden, den man die menschlichen Leidenschaften nennt? Sie haben die schönsten Länder der Welt besucht, welche beständig den Ruhm Gottes verkündigen, und von ihrem Glanze, ihren Gesängen und ihren Blumendüften berauscht, haben Sie diesem Gott, der sich Ihnen so offenbarte, gelobt, ihm Ihre Zukunft zu weihen und sich ganz seinem ewigen Gesetze zu widmen. Aber Ihr Stand hat zwei Seiten; die eine ist hell, weil nur der Himmel sie erleuchtet, die andere ist dunkel, weil sie den Menschen zugewendet ist, das heißt dem Laster, dem Verbrechen und dem Zweifel. Wird die Kraft, die Sie aus Ihrem Glauben schöpfen, Ihnen genügen? und werden Sie nicht. wenn Sie Gott so erhaben und. den Menschen so niedrig sehen, das Bedürfniß der Einsamkeit und Abgeschiedenheit fühlen? Vielleicht wird Ihnen diese Kenntniß des menschlichen Herzens so widerlich sein, daß Sie sie nicht ertragen können, wie manche Aerzte ihre Kunst haben aufgeben müssen, weil ihnen bei den verpesteten Leichen, die sie öffnen sollten, übel wurde.«

»Sie irren sich, mein Bruder,« antwortete Felician mit sanfter Stimme, »ich habe längst die Nothwendigkeiten erwogen, denen ich mich unterwerfen muß, und ich werde nicht davor erschrecken. Wenn ich gezwungen sein werde, eines der entsetzlichen Geheimnisse anzuhören, von denen Sie sprechen und welche die Beichte enthüllt, so werde ich darin nur das Gefühl sehen, welches diese Beichte dictirt: die Reue, und werde für den Reuigen beten. Indem Christus die Beichte des Menschen gegen den Priester, das heißt, gegen seines Gleichen, einsetzte, hat er ein erhabenes Gesetz aufgestellt, welches die Argumente des reformierten Glaubens vergebens anzugreifen sich bemüht haben. Der Mensch, der ein Verbrechen begangen hat, und der, wie die Protestanten, in der Todesstunde sein Bekenntniß nur in den Busen Gottes niederlegen kann, triumphiert nicht so über sich selbst, wie der Christ, der sich vor einem anderen Menschen demüthigt, welcher das Werkzeug der Gottheit ist und von ihr das Recht erhalten hat, zu vergeben und zu vergessen. Es giebt nichts Schöneres, mein Bruder,« fuhr Pascal mit Begeisterung fort, »als dieses Amt der moralischen Heilung, das der Herr seinen Dienern überträgt. Glauben Sie mir, der Mensch, der seine Sünden nur Gott bekennt, beichtet nicht so vollkommen und mit so günstigem Erfolge, als der, welcher sich gegen einen Priester ausspricht. Er schließt einen stillschweigenden Vergleich mit seinem Gewissen und er ist nicht gerettet, er ist nicht einmal geheilt.«

»Sie haben vielleicht Recht,« entgegnete Valery, »und ich glaube in der That, daß die Beichte Dem, welcher den Glauben hat, einen Trost gewähren muß; aber es giebt auch gewiß Verbrechen, welche Gott nie vergiebt.«

»Er vergiebt sie alle, mein Bruder, wenn man aufrichtig und ernstlich bereute; wenn Ihr Gewissen belastet ist, so bitte, so beschwöre ich Sie, bieten Sie Alles auf, um christlich zu sterben, und im Namen unseres Gottes verheiße ich Ihnen die ewige Ruhe Ihrer Seele.«

Mit einem halb spöttischen, halb neidischen Lächeln betrachtete Valery diesen jungen Mann, dessen Ueberzeugung so aufrichtig und dessen Glaube so rein war, und ohne einen Uebergang zwischen dem, was er gehört hatte und dem, was er sagen wollte, gleichsam als hätte sein unschlüssiger Geist schon nicht mehr zweifeln können, doch aber noch nicht glauben wollen, sagte er plötzlich:

»Wer acht Jahren wurde der Pfarrer eines kleinen Dorfes in Frankreich, Namens Lafou, mit seiner Haushälterin ermordet. Der Neffe dieses Mannes wurde des Verbrechens beschuldigt, verurtheilt und hingerichtet. Er war unschuldig.«

»O, welch ein gräßliches Schicksal!« erwiderte Pascal schaudernd.

»Nicht wahr?« versetzte Valery, »ein fürchterlicher Gedanke!«

»Sie haben nach seiner Hinrichtung erfahren, daß er unschuldig war?«

»Ich wußte es schon vorher.«

»Wie? Sie wußten es?« rief Pascal mit Entsetzen.«

»Ja.«

»Und Sie haben seine Unschuld nicht bezeugt?«

»Ich konnte es nicht.«

»Sie konnten es nicht? Welchen Grund kann ein Mensch haben. seinen Nebenrnenschen unschuldig sterben zu lassen?»

»Wenn er selbst der Schuldige ist und wenn er sich selbst in’s Verderben stürzen müßte, um den Unschuldigen zu retten.«

»Auch dann muß er es thun!«

»Ja, aber er thut es nicht, und wenn er auch als Christ Unrecht hat, so hat er doch als Mensch Recht. Das ewige Leben ist etwas Schönes, aber es ist ungewisser, als das irdische Leben.«#

»Mein Herr!« rief Pascal, indem er aufstand und unwillkürlich zurückfuhr.

»Ich habe es Ihnen vorher gesagt, daß Sie vor gewissen Dingen zurückschaudern würden.«

»Fahren Sie fort, mein Herr, fahren Sie fort.«

»Ich wohnte den Gerichtsverhandlungen bei, ich hörte das Urtheil sprechen und sah die Hinrichtung mit an.«

Felician erblaßte.

»Und ich kehrte von diesem Schauspiele mit Verachtung gegen Gott zurück,« setzte Valery hinzu, »indem ich zu mir sagte, daß göttliche Gerechtigkeit nicht mehr werth sei als Edle menschliche.«

»Also es war Ihnen nicht genug, ein solches Unglück geschehen zu lassen, sondern Sie lästerten auch Gott noch!«

»Hören Sie mich an, mein Bruder. Vor fünfundzwanzig Jahren lief ein in Lumpen gehüllter Knabe barfuß auf der Landstraße von Nimes umher, wenn schönes Wetter war im Staube, und wenn es regnete im Schmutze. Dieser Knabe, der vorn Betteln lebte, der nicht wußte, woher er war, der nie weder seinen Vater noch seine Mutter gekannt hatte, der im Sommer auf dem Felde, im Winter in einem Schuppen übernachtete, der zufällig auf den Namen Joseph hörte, wie er aus jeden anderen ebenfalls gehört haben würde, da er eigentlich gar keinen hatte, dieser Knabe war ich. Ein sonderbarer Character bildete sich in mir aus und ich fühlte dies selbst. Das Böse war mein einziges Vergnügen schon von frühester Kindheit an. Der Geist der Zerstörung war mir angeboren. Dazu kam ein nicht gewöhnlicher Verstand und eine weit über meine Lebensweise hinausgehende moralische Kraft. Ich stahl, aber so geschickt und so frech, daß es nie gelang, mich auf der That zu ertappen. Die, welche mir ein Obdach gaben, mich ernährten und sich meiner erbarmten, wurden besonders die Opfer meiner Bosheit. Wenn ich ihnen nichts nehmen konnte, so suchte ich ihnen auf andere Weise Schaden zuzufügen. Befand ich mich auf einem Bauerhofe, so mordete ich ein Huhn oder ein Kaninchen und warf das todte Thier in den Brunnen.– Wenn mich ein Bedienter in einem Privathause übernachten ließ, so beschädigte ich die Bäume oder die Wagen oder fügte den Pferden etwas Böses zu, und hatte ich dazu keine Gelegenheit, so zerstörte ich eine Mauer, kurz ich that irgend einen Schaden, als wäre es meine Bestimmung gewesen, überall, wohin ich kam, Unheil zu stiften.

»Ich hatte jedoch keinen Haß gegen die Menschen, es war nicht die Noth und das Elend, worin meine Eltern mich gelassen hatten, was mich schlecht machte. – Wäre ich der Sohn eines Königs gewesen, so würde ich nicht minder bös gewesen sein. Es war eine Folge meines Organismus, nicht der Ereignisse, die Menschen erschienen mir eher dumm als schlecht. Ich fühlte in mir die Fähigkeit, die ganze Welt zu hintergehen und in Folge dessen war es natürlich, daß ich Geschöpfe verachtete, die einem Knaben nicht gewachsen waren. Indessen sah ich bald ein, daß ich meine Klugheit benutzen; die seltenen Fähigkeiten, mit denen ich begabt war, in größerem Maßstabe praktisch anwenden, kurz meinem dunklen Leben ein glänzendes Ziel vorstecken mußte. Ich suchte zuerst das Mittel, um Alles zu erreichen, und das Beste dünkte mir die Verstellung.

»Ich leistete für mein Alter Unglaubliches.

»Wie schon gesagt, ich bettelte, anstatt aber das erbettelte Geld zu verthun oder mit meinen Kameraden zu spielen, hob ich es sorgfältig auf. – Ich hatte unter einem Baume eine Niemandem bekannte Höhlung gegraben und hier verwahrte ich jeden Abend meine Einnahme. Es geschah zuweilen, daß ich eine ganze Nacht hindurch die Hand in dieses Loch hielt und die darin befindlichen Kupfermünzen klingen ließ, wie ein Geizhals sich an dem Klange seiner Goldstücke weidete die Liebe zum Gelde war mir angeboren und es drängte mich viel zu erwerben,. denn ich war überzeugt, daß ich mit Klugheit und Geld alle Hindernisse besiegen würde, die sich meinem Ehrgeiz in den Weg stellten, nach welchem Ziele er auch streben könnte. Zuweilen ging ich bis in die Stadt, und wenn ich an einer Straßenecke oder vor einer Kirchenthür einen alten Bettler sah, wartete ich den Augenblick ab, wo ich von mehreren Leuten gehört werden konnte nahm einige Sous aus der Tasche und gab sie ihm mit den Worten:

»– Wir sind Beide arm, guter Mann, aber Ihr seid alt und ich bin jung, Ihr könnt nicht mehr gehen, ich aber habe gesunde Beine, hier, nehmt, was ich gestern eingenommen habe, ich brauche nur das, was ich morgen bekomme.

»Der Bettler dankte mir dann weinend, ich sah Thränen der Rührung in den Augen Derer, welche mich hörten, und ich eilte hinweg, als wollte ich mich den Lobsprüchen der Umstehenden entziehen, während ich bei mir dachte:

»– Welch ein Glück, daß es so leicht ist, die Menschen zu betrügen!«

»Sie sehen, mein Bruder, daß es kaum ein verdorbeneres Geschöpf geben konnte, als ich war..

»Ich war damals acht Jahre alt-

»Nach und nach hatte sich meiner ein ganz sonderbarer Gedanke bemächtigt, der mich im wahren Sinne des Wortes unglücklich machte. Es war das Bewußtsein meiner Kleinheit im Vergleich zu dem Wesen, das die mich umgebende Natur geschaffen und dem man den Namen Gott gegeben hat, ein Wort, das eine unbekannte Macht bezeichnet. Jeden Abend, wenn ich die Sonne am Horizont hinabsinken, die Dunkelheit anbrechen und den Himmel sich mit Sternen bedecken sah, ergriff mich ein Haß gegen diese alltägliche Regelmäßigkeit, gegen die ich nichts vermochte. Es ist mir in diesem unsinnigen Hasse gegen Alles, was über mir war und was ich mir nicht erklären konnte, begegnet, daß ich eine ganze Nacht damit zubrachte, die Sterne anzusehen, in der Hoffnung, mein Blick würde sie herabziehen oder auslöschen können. Wenn ich dies Stunden lang gethan hatte, es dann allmählig Tag werden und die Sterne in einem lichten Nebel verschwimmen sah, so zeigte ich dem Himmel die Faust und schwor, mich zu rächen.

»Da aber das, was ich erreichen wollte, sehr weit von mir entfernt lag, so dachte ich: Kann man die Menschen durch Verstellung täuschen, so kann man Gott nur durch Geduld täuschen. Ich berechnete, daß ich noch sechzig Jahre leben könnte und schmeichelte mir mit der Hoffnung, daß es mir in sechzig Jahren gelingen würde, diese ewige Harmonie zu stören.

»Meine Phantasie war so verdorben und so überspannt, daß ich, wie Sie sehen, schon einen Schritt zum Wahnsinn gethan hatte.

»Als ich eines Abends in einem Gasthofe aufgenommen worden war, kehrte ein Mann in demselben ein, der sich mit einem großen Instrumente zum Jahrmarkt nach Beaucaire begab. Dieses Instrument war ein Teleskop. Es war eine herrliche Nacht, und um dem Gastwirth und seiner Frau ein Vergnügen zu machen, nahm der Fremde das Teleskop aus seinem Futteral, legte es auf ein dreifüßiges Gestell und zeigte ihnen den Mond und die Sterne. Er ließ auch mich hindurchblicken. Als ich bemerkte, daß diese leuchtenden Punkte, die mir, wenn ich sie mit bloßen Augen sah, nicht größer als Stecknadelköpfe erschienen, eigene Himmelskörper und mitunter größer als die Erde waren, als der Mann mir dies Alles so gut als möglich erklärte, stieß ich einen Ruf des Erstaunens aus und fragte ihn, wer diese Welten alle geschaffen habe.

»– Gott!« antwortete er mir mit einem leichten Schlage auf die Wange.

»Gott und immer Gott!. . . Mein Neid gegen dieses Wesen, das Welten in den unermeßlichen Himmelsraum gesäet hat, wie der Landmann Getreidekörner in die Ackerfurchen säet, wuchs immer mehr.

»Noch in der nämlichen Nacht fand ich eine Bestimmung für mein Geld: ich wollte die Wahrheit erfahren über das, was ich sah, und von der Wissenschaft Aufklärung über diese erhabenen Geheimnisse verlangen. Ich ging nach meiner Geldgrube und zählte ihren Inhalt. Er belief sich, meist in Kupfermünzen und nur wenigen Silberstücken, auf fünfhundert Franken. Ich nahm diese Summe und ging nach Nimes.

Dort erkundigte ich mich nach der besten Erziehungsanstalt für Knaben und man zeigte mir ein mit Mauern umgebenes großes Haus, aus dem mir fröhliches Geschrei entgegenkam, als ich mich ihm näherte.

»Meine Willenskraft war unglaublich. Hätte ich sie zum Guten anwenden können, so würde ich jetzt einer der größten Männer der Welt sein, während ich einer der größten Verbrecher bin.

»Nach dieser Anstalt begab ich mich mit meinem Geldsacke und fragte nach dem Director derselben.

»Der Portier wollte mich zuerst zur Thier hinauswerfen: aber ich bat ihn so dringend, daß er endlich meiner Beharrlichkeit nachgab und den Director der Schule benachrichtigte, welcher alsbald erschien.

»– Mein Herr,« sagte ich zu ihm, »ich bin ein Bettelknabe und habe weder Vater nach Mutter, aber ich möchte gern etwas Nützliches lernen. Seitdem ich bettle, habe ich keinen Sou für mich ausgegeben. Die Wohlthätigkeit Anderer hat mich ernährt, mir ein Obdach gegeben und mich gekleidet, wie ich hier bin. Das Wenige, was ich verbraucht, habe ich Leuten geschenkt, die noch ärmer waren als ich, und ich habe auf diese Art fünfhundert Franken gespart. Es ist mir gesagt worden, daß Sie ein guter Mann sind und daß Ihre Anstalt die beste in Nimes ist. Ich komme daher zu Ihnen, um Ihnen einfach zu sagen: Nehmen Sie diese fünfhundert Franken, behalten Sie mich so lange bei sich, als mich diese Summe dazu berechtigt, und lehren Sie mich während dieser Zeit Alles, was ich lernen kann, besonders die Geschichte der Sterne und des Himmels. Wenn die Zeit verflossen ist, schicken Sie mich wieder fort und ich werde Ihren Namen segnen, denn ich kann mir dann selbst mein Fortkommen suchen.«

»Meine Berechnung gelang vollkommen. Der Schuldirektor betrachtete mich mit Staunen und fast mit Bewunderung. Endlich wurde er ganz gerührt, so daß ich Thränen in seinen Augen glänzen sah.

»– Was Du gethan hast, mein Sohn, ist sehr schön,« erwiderte er mir. »Ich werde Dir Deine fünfhundert Franken aufheben und sie Dir zurückgeben, wenn Du meine Anstalt wieder verlässest, was nicht eher geschehen soll, als bis Du Alles gelernt hast, was Dir zu wissen nöthig ist.«

»– Dummkopf! dachte ich im Stillen, während ich dem Director zu Füßen fiel und ihm für seine Güte dankte..

»Am folgenden Tage sprach man in der ganzen Stadt von nichts, als von meiner Geschichte, und von diesem Augenblicke an erhielt ich von meinen Mitschülern den Beinamen: der Bettelbube.

»Das lehrte mich die bösartige Natur des menschlichen Herzens kennen und überzeugte mich, wie Recht man hat, es zu hassen, selbst ehe man es kennt, und es zu verachten, wenn man es kennt.

»Mußte nicht das, was ich gethan hatte, von Jedermann als etwas Großes und Schönes betrachtet werden? Ein zehnjähriger Bettelknabe ohne Familie und ohne Grundsätze, ohne andere Gewohnheiten als die der Noth und des Elends, dem es gelingt, eine Summe von fünfhundert Franken zu sparen und welcher dieses Geld dazu anwendet, um etwas zu lernen und sich über die Stufe zu erheben, aus der das Schicksal ihn geboren werden ließ, ein solcher Knabe verdient gewiß Lob, oder wenigstens einige Theilnahme. Den eigentlichen Beweggrund dieser schönen That kannte ja Niemand als ich. Ich verdiente also, wenn nicht die Freundschaft, doch wenigstens die Achtung der Knaben, in deren Mitte ich mich befand, denn nicht einer von ihnen besaß Scharfsinn genug, um die Wahrheit in meinem Herzen zu lesen. Sie waren alle reich glücklich und stolz auf ihr Vermögen und auf ihre Geburt, vom Edelknaben bis zum Kaufmannssohne: sie konnten also, ohne sich etwas zu vergeben, den armen Kleinen, der in ihren Augen kein anderes Verbrechen beging, als daß er in den Kenntnissen, welche für sie später etwas Ueberflüssiges sein sollten, die Mittel seiner künftigen Existenz suchte, als Kameraden unter sich aufnehmen. Aber ich fand keine Hand, die ich drücken konnte; ich durfte nicht an ihren Spielen Theil nehmen; sie sahen geringschätzend auf mich herab, nannten mich den Bettelbuben und kümmerten sich nicht weiter um mich. Mein von Staub und Sonnenhitze gebräuntes Gesicht, meine rauhen Hände, meine von den Steinen, auf denen ich seit neun Jahren barfuß ging, hart gewordenen Füße widerten sie an und sie sonderten sich stets von mir ab. Ich freute mich über diese Verlassenheit. Ich konnte sie nun ohne Bedenken hassen, ich konnte sie ohne Gewissensbisse verachten. Desto bessert dachte ich im Stillen, und warf einen bitteren Haß auf alle diese Knaben, welche mit der Zeit Männer werden mußten, an denen ich mich rächen konnte. Ich studierte eifrig und meine Rache begann, denn schon nach einem Monate konnte ich geläufig schreiben und lesen, hatte die vier Rechenspecies im Kopfe und es war Keiner in meiner Klasse, der sich mit mir hätte messen können.

»In Folge dieser rasch erworbenen Ueberlegenheit gesellte sich zu dem Hasse meiner Mitschüler auch noch der Neid; jetzt verachteten sie mich nicht allein, sondern sie griffen mich sogar an und einige von ihnen schlugen mich, ohne daß ich ihnen das Mindeste zu Leide gethan hatte.

»Mein erster Gedanke war, einen von ihnen zu ermorden, denn ich besaß eine für mein Alter bedeutende Körperkraft, aber es gelang mir, mich zu beherrschen und mit der sanften, resignierten Miene, die ich so gut anzunehmen verstand und die mir später so vortreffliche Dienste leistete, ging ich zum Director und erzählte ihm, was vorgefallen war. Immer in dem nämlichen Tone setzte ich hinzu, daß, wenn ich eine Veranlassung zu Zänkereien unter seinen Schülern sein sollte, ich lieber zu meiner früheren Lebensweise zurückkehren wolle, da ich mich nicht entschließen könne, das Gute, das ich in seiner Anstalt genösse, mit Bösem zu vergelten.

»Am Abend wurden Die, welche mich geschlagen hatten, bestraft.

»Der Director dieser Schule war ein Ehrenmann im vollen Sinne des Wortes, ich aber hatte einen so boshaften und verdorbenen Charakter, daß ich ihn nur um so mehr haßte, je höher ich ihn achten mußte; der gute Samen, den er in mich säte, keimte in bösen Gedanken gegen ihn auf.

»Ich lernte immer mehr, mein Stolz nahm zu und als ich einige Geheimnisse der Natur ergründet hatte, glaubte ich im Stande zu sein, meinen Zweikampf mit Gott zu beginnen. Er hatte nichts für mich gethan, und Alles was ich werden konnte, verdankte ich nur mir allein.

»Gott hat die Welt erschaffen! sagte ich zu mir selbst, er lies’t im Herzen der Menschen, und sieht, was darin vorgeht! nichts geschieht ohne seinen Willen! – Wohl an, ich fordere ihn heraus, in meinem Herzen zu lesen und mich an der Erreichung dessen zu hindern, was ich mir vorgenommen habe!

»Die boshafte Freude, welche ich, an diesem Kampfe fand, läßt sich nicht beschreiben. Jede Beleidigung, die mir angethan wurde und die wie ein Tropfen Wasser auf einer Marmorplatte von mir abglitt; jede Lüge, die ich unter einer Maske von Unschuld machte und durch welche sich Leute, die sich in jeder Beziehung über mich erhaben dünkten, täuschen ließen, erhob mich in meinen Augen und drängte mich, das Alter zu erreichen, in welchem ich auf einem größeren Schauplatze alle Hilfsmittel meiner Verdorbenheit in Anwendung bringen konnte.

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
310 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
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