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Читать книгу: «Das Halsband der Königin Denkwürdigkeiten eines Arztes 2», страница 57

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XCIII.
Von einem Gitter und einem Abbé

Nach Beendigung der Debatten, nach dem Wiederhall des Verhöres und den Erschütterungen des Schemels wurden alle Gefangenen für diese Nacht in der Conciergerie einquartirt.

Die Menge stellte sich, wie gesagt, am Abend in stillschweigenden, obgleich belebten Gruppen auf dem Platze vor dem Palast auf, um frisch die Kunde von dem Spruch zu erhalten, sobald er gefällt wäre.

In Paris sind seltsamer Weise die großen Geheimnisse gerade diejenigen, welche die Menge kennt, ehe sie in ihrer ganzen Entwickelung an's Licht gekommen sind.

Die Menge wartete also, mit Anis gewürztes Süßholzwasser schlürfend, dessen Hauptbestandtheil ihre wandernden Lieferanten unter dem ersten Bogen des Pont au Change fanden.

Es war heiß. Die Juniwolken rollten schwerfällig übereinander wie dicke Rauchwirbel. Der Himmel glänzte am Horizont in bleichen, zuckenden Feuern.

Während der Cardinal, welchem die Gunst, auf den Verbindungsterrassen zwischen den Thürmen spazieren zu gehen, bewilligt worden war, sich mit Cagliostro über den wahrscheinlichen Erfolg ihrer gegenseitigen Vertheidigung unterhielt; während Oliva in ihrer Zelle ihr kleines Kind liebkoste und in ihren Armen wiegte; während Reteau, mit trockenen Augen und an seinen Nägeln kauend, in Gedanken die ihm von Herrn von Crosne versprochenen Thaler zählte und sie als Gesammtsumme den Monaten der Gefangenschaft, die ihm das Parlament versprach, gegenüberstellte, versuchte es Jeanne, welche sich in die Stube der Concierge, Frau Hubert, zurückgezogen hatte, ihren brennenden Geist mit einigem Geräusch, einiger Bewegung zu zerstreuen.

Diese Stube war sehr hoch bis zu ihrer Decke, weit und geräumig wie ein Saal, geplattet wie eine Gallerie, und am Quai durch ein gewölbtes Fenster erleuchtet. Die kleinen Scheiben dieses Fensters fingen den größten Theil des Lichtes auf, und, als ob man selbst in diesem Zimmer, das freie Menschen bewohnten, die Freiheit hätte erschrecken müssen, verdoppelte ein ungeheures, eisernes, außen unmittelbar an den Scheiben angebrachtes Gitter die Dunkelheit durch die Durchkreuzung der Stangen und der bleiernen Streifen, mit denen jede Glasraute eingerahmt war.

Das durch dieses Doppelsieb gedämpfte Licht war gleichsam gemildert für das Auge der Gefangenen. Es hatte nichts, um diejenigen zu verletzen, welche nicht heraus konnten. Es gibt in allen Dingen, selbst in den schlimmen, die der Mensch gemacht hat, wenn die Zeit, diese Wiederherstellerin des Gleichgewichts zwischen dem Menschen und Gott, darüber gegangen ist, es gibt Harmonien, welche mildern und einen Uebergang vom Schmerz zum Lächeln gestatten.

In dieser Stube lebte Frau von La Mothe, seitdem sie in der Conciergerie eingesperrt war, in Gesellschaft der Concierge, ihres Sohnes und ihres Mannes. Sie hatte sich bei diesen Leuten beliebt gemacht; sie hatte Mittel gefunden, ihnen zu beweisen, daß die Königin im höchsten Grad strafbar sei. Es müsse ein Tag kommen, wo in derselben Stube eine andere Concierge, von Mitleid ergriffen bei dem Unglück einer Gefangenen, diese für unschuldig halten würde, weil sie dieselbe geduldig und gut sehe, und diese Gefangene werde die Königin sein.

Frau von La Mothe vergaß also – sie selbst sagte es – in Gesellschaft dieser Concierge und ihrer Bekannten ihre schwermüthigen Gedanken und bezahlte durch ihre gute Laune die Gefälligkeiten, die man gegen sie hatte. Als Jeanne am Schließungstag der Sitzungen zu den guten Leuten zurückkam, fand sie dieselben sorgenvoll und verlegen.

Keine Nuance war dieser schlauen Frau gleichgültig; sie hoffte bei einem Nichts, sie beunruhigte sich über Alles. Vergebens versuchte sie Frau Hubert die Wahrheit zu entreißen, sie und die Ihrigen verschlossen sich in nichtssagende Allgemeinheiten.

An diesem Tag erblickte Jeanne an einer Ecke des Kamins einen Abbé, der von Zeit zu Zeit ein Tischgenosse des Hauses war. Es war ein ehemaliger Secretär vom Hofmeister des Grafen von Provence. Ein Mann von einfachen Manieren, satyrisch mit Maßhaltung, mit Allem, was den Hof betraf, wohl vertraut, war er, nachdem er geraume Zeit vom Hause der Frau Hubert weggeblieben, seit der Ankunft der Frau von La Mothe in der Conciergerie wieder ein fleißiger Gast geworden.

Es waren auch ein paar höhere Beamte des Palastes da; man schaute Frau von La Mothe viel an; man sprach wenig.

Sie ergriff heiter die Initiative und sagte:

»Ich bin fest überzeugt, man spricht lauter da oben, als wir hier sprechen.«

Ein schwaches Gemurmel der Beistimmung, vom Concierge und seiner Frau herrührend, erwiderte allein diese Herausforderung.

»Oben?« versetzte der Abbé, den Unwissenden spielend. »Wo dieß, Frau Gräfin?«

»In dem Saale, wo meine Richter sich berathen,« antwortete Jeanne.

»Oh! ja, ja,« sagte der Abbé.

Und das frühere Stillschweigen trat wieder ein.

»Ich glaube, meine heutige Haltung hat eine gute Wirkung hervorgebracht?« fragte sie. »Sie müssen das wissen, nicht wahr?«

»Ja, Madame,« antwortete schüchtern der Concierge.

Und er stand auf, als wollte er das Gespräch abbrechen.

»Was ist Ihre Meinung. Herr Abbé?« sage Jeanne. »Gewinnt meine Angelegenheit nicht ein gutes Ansehen? Man spricht keinen Beweis aus.«

»Es ist wahr, Madame, Sie haben auch viel zu hoffen,« erwiderte der Abbé.

»Nicht wahr?« rief sie.

»Bedenken Sie jedoch,« fügte der Abbé bei, »daß der König …«

»Nun! was wird der König thun?« fragte Jeanne voll Heftigkeit.

»Ei! Madame, der König kann nicht wollen, daß man ihn Lügen straft.«

»Er würde also Herrn von Rohan verurtheilen lassen… das ist unmöglich.«

»Es ist allerdings schwierig,« antwortete man von allen Seiten.

»Und wer in dieser Sache Herr von Rohan sagt, sagt auch Gräfin von La Mothe,« fügte sie eiligst bei.

»Nein, nein, Sie machen sich eine Illusion, Madame,« entgegnete der Abbé. »Ein Angeklagter wird freigesprochen werden. Ich denke, Sie werden es sein, und hoffe es sogar. Doch es wird nur Einer sein. Der König braucht einen Schuldigen, was sollte sonst aus der Königin werden?«

»Das ist wahr,« sprach Jeanne, beleidigt, daß man ihr selbst bei einer nur geheuchelten Hoffnung widersprach. »Der König braucht einen Schuldigen. Nun! dann ist Herr von Rohan eben so gut dazu als ich.«

Ein für die Gräfin schreckliches Stillschweigen trat nach diesen Worten ein.

Der Abbé unterbrach es zuerst.

»Madame,« sagte er, »der König hegt keinen Groll, und ist sein erster Zorn befriedigt, so wird er nicht mehr an die Vergangenheit denken.«

»Was nennen Sie denn einen befriedigten Zorn?« fragte Jeanne ironisch. »Nero hatte seine Zornanfälle, wie Titus die seinigen hatte.«

»Irgend eine Verurtheilung,« antwortete hastig der Abbé, »das ist eine Befriedigung.«

»Irgend eine … mein Herr!« rief Jeanne, »welch ein abscheuliches Wort! … Es ist zu unbestimmt. Irgend eine… das heißt Alles sagen.«

»Oh! ich spreche nur von einer Einsperrung in ein Kloster,« erwiderte kalt der Abbé; »das ist nach den Gerüchten, die im Umlaufe sind, der Gedanke, dem der König in Beziehung auf Sie am liebsten beigetreten sein soll.«

Jeanne schaute diesen Mann mit einem Schrecken an, der alsbald der wüthendsten Exaltation Platz machte.

»Einschließung in ein Kloster!« sagte sie; »das heißt ein langsamer, durch die Einzelnheiten schmählicher Tod; ein grausamer Tod, der als ein Act der Milde erscheinen wird. Die Einschließung in das In pace7 nicht wahr? Die Qualen des Hungers, der Kälte und der Züchtigungen! Nein, genug der Strafen, genug der Schmach, genug des Unglücks für die Unschuld, während die Schuldige frei, mächtig und geehrt ist. Den Tod auf der Stelle, aber den Tod, den ich mir gewählt haben werde. Den freien Willen, mich dafür zu bestrafen, daß ich auf dieser Welt geboren bin.«

Und ohne auf Vorstellungen und Bitten zu hören, ohne es zu dulden, daß man sie aufhielt, stieß sie den Concierge zurück, warf den Abbé nieder, schob Frau Hubert auf die Seite und lief nach einem Anrichttisch, um ein Messer zu suchen.

Den drei Personen gelang es, sie von dieser Seite abzubringen; doch sie nahm ihren Ansatz wie ein Pantherthier, das die Jäger beunruhigt, aber nicht erschreckt haben, stieß ein Gebrülle des Zorns aus, das zu geräuschvoll war, um natürlich zu sein, stürzte in ein an die Stube stoßendes Cabinet, hob eine ungeheure Vase von Fayence auf, worin ein ärmlicher Rosenstock vegetirte, und schlug sich damit zu wiederholten Malen an den Kopf.

Die Vase zerbrach, ein Stück davon blieb in der Hand dieser Furie; man sah das Blut auf ihrer Stirne durch die Ritze der Haut stießen, die sich gespalten hatte. Die Concierge warf sich weinend in ihre Arme. Man setzte sie in einen Lehnstuhl und begoß sie mit Riechwasser und Essig. Sie war nach gräßlichen Konvulsionen ohnmächtig geworden.

Als sie wieder zu sich kam, dachte der Abbé, sie ersticke.

»Seht,« sagte er, »dieses Gitterwerk fängt das Licht und die Luft auf. Ist es nicht möglich, die arme Frau athmen zu lassen?«

Alles vergessend, lief nun Frau Hubert an einen Schrank, der beim Kamin stand, zog einen Schlüssel heraus, welcher ihr zum Oeffnen dieses Gitters diente, und sogleich strömten Luft und Leben in Wogen in die Stube.

»Ah!« rief der Abbé, »ich wußte nicht, daß sich dieses Gitter mit Hilfe eines Schlüssels öffnen läßt. Mein Gott! warum solche Vorsichtsmaßregeln!«

»Es ist der Befehl,« erwiderte die Concierge.

»Ja, ich verstehe,« sagte der Abbé mit einer markirten Absichtlichkeit, »dieses Fenster ist nur ungefähr sieben Fuß vom Boden und geht auf den Quai. Wollten Gefangene aus dem Innern der Conciergerie durch Ihre Stube entweichen, so fänden sie die Freiheit, ohne auf einen Schließer oder eine Schildwache zu stoßen.

»Ganz richtig,« erwiderte der Concierge.

Der Abbé bemerkte aus dem Augenwinkel, daß Frau von La Mothe gehörig verstanden, daß sie sogar gebebt und sogleich, nachdem sie die Worte des Abbé aufgefaßt, die Augen zu dem nur mit einem messingenen Knopf verschlossenen Schrank aufgeschlagen hatte, in welchem die Concierge den Schlüssel des Gitters verwahrte.

Das war genug für ihn. Seine Gegenwart schien von keinem Nutzen mehr zu sein, und er nahm Abschied.

Er kehrte jedoch noch einmal um, wie die Theaterpersonen, die sich einen falschen Abgang machen, und sagte:

»Wie viel Leute sind auf dem Platz! Die ganze Menge drängt sich mit solchem Ungestüm nach dem Palaste zu, daß nicht eine Seele mehr auf dem Quai ist.«

Der Concierge beugte sich hinaus.

»Es ist wahr,« bestätigte er.

»Denkt man nicht,« fuhr der Abbé fort, als ob Frau von La Mothe ihn nicht hören könnte, – und sie hörte ihn sehr gut, – »glaubt man nicht, der Spruch werde in der Nacht gefällt werden? Nein, nicht wahr?«

»Ich denke nicht, daß das Urtheil vor morgen früh gesprochen wird,« sagte der Concierge.

»Nun wohl!« fügte der Abbé bei, »seien Sie bemüht, diese arme Frau von La Mothe ein wenig ruhen zu lassen. Nach so vielen Erschütterungen muß sie der Ruhe bedürfen.«

»Wir werden uns in unser Zimmer zurückziehen und Madame hier in dem Lehnstuhl lassen,« sagte der brave Concierge zu seiner Frau, »wenn sie sich nicht etwa zu Bette legen will.«

Jeanne erhob sich und begegnete dem Auge des Abbé, der auf ihre Antwort lauerte.

Sie stellte sich, als entschliefe sie wieder.

Da verschwand der Abbé, und der Concierge und seine Frau gingen auch weg, nachdem sie das Gitter wieder geschlossen und den Schlüssel an seinen Platz gelegt hatten.

Sobald Jeanne allein war, öffnete sie die Augen.

»Der Abbé räth mir, zu fliehen,« dachte sie. »Kann man mir klarer sowohl die Notwendigkeit der Flucht, als das Mittel hiezu bezeichnen? Man bedroht mich schon vor dem Richterspruch mit einer Verurteilung; das kann nur ein Freund thun, der mich antreibt, meine Freiheit zu suchen, nicht ein Barbar, der mich beleidigt.

»Um zu fliehen, brauche ich nur einen Schritt zu machen; ich öffne den Schrank, dann dieses Gitter, und bin auf dem verödeten Quai.

»Verödet, ja! … Niemand; der Mond selbst verbirgt sich in den Wolken.

»Fliehen! … Oh! die Freiheit! Das Glück, meine Reichthümer wiederzufinden … das Glück, meinen Feinden zu vergelten, was sie mir gethan haben!«

Sie stürzte nach dem Schrank und ergriff den Schlüssel. Schon näherte sie sich dem Schlosse des Gitters.

Plötzlich glaubte sie auf der schwarzen Linie der Brüstung der Brücke eine schwarze Gestalt zu sehen, welche die eintönige Regelmäßigkeit unterbrach.

»Ein Mann ist dort im Schatten!« sagte sie; »der Abbé vielleicht: er wacht über meiner Flucht; er wartet, um mir Beistand zu leisten. Ja, doch wenn es eine Falle wäre, wenn ich, auf den Quai hinabgestiegen, ergriffen, auf der That der Entweichung ertappt würde? … Die Entweichung, das ist das Geständniß des Verbrechens, wenigstens das Zugeständniß der Furcht! Wer entweicht, flieht vor seinem Gewissen … Woher kommt dieser Mensch? … Er scheint mit Herrn von Provence in Verbindung zu stehen … Wer sagt mir, daß er nicht ein Emissär der Königin oder der Rohan ist? … Wie theuer würde man auf dieser Seite einen falschen Schritt von mir bezahlen … Ja, es lauert Jemand dort!

»Mich ein paar Stunden vor dem Spruch fliehen lassen? Konnte man das nicht früher, wenn man mir wirklich dienen wollte? Mein Gott! wer weiß, ob meinen Feinden nicht schon die Kunde von meiner im Rathe der Richter beschlossenen Freisprechung zugekommen ist? wer weiß, ob man nicht diesen für die Königin furchtbaren Schlag mit einem Beweise oder einem Geständniß meiner Schuld pariren will? Geständniß und Beweis lägen in meiner Flucht. Ich werde bleiben!«

Von diesem Augenblick an war Jeanne überzeugt, sie sei einer Falle entgangen. Sie lächelte, richtete ihren schlauen, kühnen Kopf auf, ging mit sicherem Schritt auf den kleinen Schrank am Kamin zu und legte den Schlüssel des Gitters wieder hinein.

Dann setzte sie sich in den Lehnstuhl zwischen dem Licht und dem Fenster, und beobachtete von ferne, während sie sich schlafend stellte, den Schatten des lauernden Mannes, der, ohne Zweifel des Wartens müde, endlich aufstand und mit dem ersten Schimmer der Morgendämmerung, um halb drei Uhr, als das Auge das Wasser des Flusses zu unterscheiden anfing, verschwand.

XCIV.
Der Spruch

Am Morgen, als alle Geräusche wieder erwachten, als Paris wieder Leben annahm und einen neuen Ring an den Kettenring des vorhergehenden Tages befestigte, hoffte die Gräfin, die Kunde von einer Freisprechung würde plötzlich mit der Freude und den Glückwünschen ihrer Freunde in ihr Gefängniß dringen.

Hatte sie Freunde? Ach! das Vermögen, der Credit bleiben nie ohne Gefolge, und Jeanne war doch reich und mächtig geworden; sie hatte empfangen, sie hatte gegeben, ohne sich auch nur den alltäglichen Freund gemacht zu haben, der am Tag nach einem Unglück verbrennen muß, was er den vorhergehenden Tag beschmeichelt hat.

Aber nach ihrem Triumph, den sie erwartete, würde Jeanne Parteigänger und Anhänger, sie würde Bewunderer und Neider haben.

Vergebens erwartete sie diese geschäftige Woge von Leuten mit freudigen Gesichtern in die Stube der Conciergerie Hubert eindringen zu sehen.

Von der Unbeweglichkeit einer überzeugten und kummerlosen Person ging Jeanne, dieß war die Abschüssigkeit ihres Characters, zu einer maßlosen Unruhe über.

Und da man sich nicht immer verstellen kann, so nahm sie sich nicht einmal bei ihren Wächtern die Mühe, ihre Eindrücke zu verbergen.

Es war ihr nicht gestattet hinauszugehen, um sich zu erkundigen, aber sie hielt ihren Kopf an ein Guckfenster, und hier horchte sie angstvoll, keuchend, auf die Geräusche des benachbarten Platzes, auf die Geräusche, die sich in einem verworrenen Gemurmel auflösten, nachdem sie die Mauern des alten St. Ludwigspalastes durchdrungen hatten.

Jeanne hörte sodann nicht einen Lärmen, sondern einen wahren Ausbruch von Bravos, von Schreien, von stampfenden Füßen und klatschenden Händen, etwas ganz Ungewöhnliches, Brausendes, was sie erschreckte, denn sie hatte nicht das Bewußtsein, daß man ihr so viel Sympathie bezeuge.

Diese lärmenden Salven wiederholten sich zweimal und machten Geräuschen anderer Art Platz.

Es kam ihr vor, als wäre es auch ein Beifall, doch ein ruhiger Beifall, der ebenso rasch starb, als er geboren war.

Bald wurden die Vorübergehenden auf dem Quai zahlreicher, als ob sich die Gruppen des Platzes auflösten und im Einzelnen ihre zerstreuten Massen abschickten.

»Ein herrlicher Tag für den Cardinal,« sagte ein Schreiber des Generalanwalts, auf dem Pflaster der Brüstung hüpfend.

Und er warf einen Stein in den Fluß mit jener Geschicklichkeit des jungen Parisers, der dieser von der Schleuder der Alten entlehnten Leibesübung gar manchen Tag seines Lebens gewidmet hat.

»Für den Cardinal,« wiederholte Jeanne. »Es ist also Nachricht da, daß der Cardinal freigesprochen ist?«

Ein Tropfen Galle, ein Tropfen Schweiß fiel von Jeanne's Stirne.

Sie kehrte hastig in die Stube zurück und fragte Frau Hubert:

»Madame, Madame, was höre ich sagen: was ist ein Glück für den Cardinal? Ich bitte, was ist denn ein Glück?«

»Ich weiß es nicht,« erwiderte diese.

Jeanne schaute ihr scharf in's Gesicht und fügte bei:

»Haben Sie die Güte, Ihren Mann zu fragen.«

Die Concierge gehorchte aus Gefälligkeit, und Hubert antwortete von Außen:

»Ich weiß es nicht!«

Ungeduldig, bebend, blieb sie einen Augenblick mitten im Zimmer stehen und rief:

»Was meinten die Vorübergehenden mit ihren Worten? man täuscht sich nicht in solchen Orakeln. Sie sprachen sicherlich vom Proceß.«

»Vielleicht,« erwiderte die mildherzige Hubert, »vielleicht wollten sie nur sagen, wenn Herr von Rohan freigesprochen worden, so werde dieß ein schöner Tag für ihn sein.«

»Sie glauben, man werde ihn freisprechen?« rief Jeanne, ihre Finger krampfhaft zusammenpressend.

»Das kann wohl geschehen.«

»Aber ich?«

»Oh Sie, Madame … Sie wie er; warum Sie nicht?«

»Eine seltsame Voraussetzung,« murmelte Jeanne.

Und sie stellte sich wieder an die Scheiben.

»Madame,« sprach der Concierge, »Sie haben Unrecht auf solche Art Aufregungen zu suchen, die Ihnen unverständlich von Außen zukommen. Glauben Sie mir, bleiben Sie ruhig, bis Ihr Consulent oder Herr Frémyn kommen, um Ihnen vorzulesen …«

»Den Spruch … Nein! nein!«

Und sie horchte.

Eine Frau ging mit ihren Freundinnen vorüber. Sie hatten Festhauben auf und große Sträuße in den Händen. Der Geruch dieser Rosen stieg wie ein kostbarer Balsam zu Jeanne empor, welche Alles von unten einathmete.

»Er soll meinen Strauß haben,« rief diese Frau, »und noch hundert andere, der liebe Mann! oh! wenn ich kann, werde ich ihn küssen.«

»Und ich auch,« sagte eine Gefährtin.

»Er muß mich küssen,« sprach eine Dritte.

»Wen meinen sie?« dachte Jeanne.

»Ah! er ist ein sehr schöner Mann. Du bist keine Kostverächterin,« fügte eine letzte Freundin hinzu.

Und Alles ging vorbei.

»Abermals dieser Cardinal! immer er!« murmelte Jeanne. »Er ist freigesprochen, er ist freigesprochen!«

Und sie sprach diese Worte mit solcher Entmuthigung und zugleich Sicherheit, daß der Concierge und seine Frau, um keinen Sturm wie am vorhergehenden Tag mehr zu veranlassen, gleichzeitig ihr zuriefen:

»Ei! Madame, warum sollte denn dieser arme Mann nicht losgesprochen und in Freiheit gesetzt werden?«

Jeanne fühlte den Schlag, sie fühlte besonders die Veränderung ihrer Wirthe, und sagte, da sie nichts von ihrer Sympathie verlieren wollte:

»Oh! Sie verstehen mich nicht. Ach! halten Sie mich für so neidisch oder für so boshaft, daß ich meinem Unglücksgefährten das Schlimme wünsche? mein Gott! er werde freigesprochen, der Herr Cardinal; oh ja, er werde freigesprochen. Aber endlich möchte ich doch erfahren … Glauben Sie mir, meine Freunde, es ist die Ungeduld, die mich so macht.«

Hubert und seine Frau schauten einander an, als wollten sie die Tragweite dessen, was sie zu sagen im Begriffe waren, ermessen.

Ein fahler Blitz, der unwillkürlich aus den Augen Jeanne's hervorsprang, hielt sie zurück, als sie eben den Entschluß faßten.

»Sie sagen mir nichts?« rief sie, ihren Fehler wahrnehmend.

»Wir wissen nichts,« erwiderten sie leise.

In diesem Augenblick rief ein Befehl Hubert aus seiner Wohnung. Die Concierge, welche mit Jeanne allein blieb, suchte sie zu zerstreuen; es war vergebens, alle Sinne der Gefangenen, ihr ganzer Verstand waren außen durch die Geräusche, durch die Athemzüge in Anspruch genommen, die sie mit einer durch das Fieber verzehnfachten Empfänglichkeit auffaßte.

Plötzlich entstand ein gewaltiger Lärm, eine mächtige Bewegung auf dem Platz. Die Menge strömte bis auf die Brücke, bis auf den Quai zurück, und dieß mit so starken, so oft wiederholten Schreien, daß Jeanne auf ihrem Beobachtungsposten darüber bebte.

Diese Schreie hörten nicht auf: sie waren an einen offenen Wagen gerichtet, dessen Pferde, weniger durch die Hand des Kutschers als durch die Menge zurückgehalten, kaum im Schritte gingen.

Die Menge bedrängte, umschloß sie und trug am Ende Pferde, Wagen und zwei Personen, welche darin saßen, auf ihren Schultern und Armen.

In den großen Strahlen der Sonne, unter einem Blumenregen, unter einem Gewölbe von Blätterwerk, das tausend Hände über ihren Köpfen bewegten, erkannte die Gräfin diese zwei Männer, welche die begeisterte Menge berauschten.

Bleich über seinen Triumph, erschrocken über seine Volksthümlichkeit, blieb der Eine ernst, betäubt, zitternd. Frauen stiegen bis auf die Felgen seiner Räder, rissen seine Hände an sich, um sie mit Küssen zu verzehren, und machten sich mit heftigen Stößen die Spitzen seiner Manschetten streitig, die sie mit den frischesten und seltensten Blumen bezahlt hatten.

Andere noch Glücklichere waren mit den Lakaien hinten auf den Wagen gestiegen; sie entfernten unmerklich die Hindernisse, die ihrer Liebe im Weg waren, nahmen den Kopf des vergötterten Mannes, drückten einen ehrfurchtsvollen und zugleich sinnlichen Kuß darauf und machten dann neuen Glücklichen Platz. Dieser angebetete Mann war der Cardinal von Rohan.

Frisch, freudig, funkelnd, erhielt der Zweite einen minder lebhaften, aber verhältnißmäßig eben so schmeichelhaften Empfang. Man belohnte ihn mit Freudenschreien und Vivats; die Frauen theilten sich in den Cardinal, die Männer riefen: »Es lebe Cagliostro!«

Diese Trunkenheit brauchte eine halbe Stunde, um über den Pont-au-Change zu gelangen, und Jeanne bemerkte die Triumphatoren bis zum Gipfelpunkt derselben. Sie verlor nicht den kleinsten Umstand.

Diese Kundgebung des öffentlichen Enthusiasmus für die Opfer der Königin, denn so nannte man sie, gewährte Jeanne einen Augenblick der Freude.

Doch plötzlich sagte sie:

»Wie! sie sind schon frei; schon sind für sie die Förmlichkeiten erfüllt, und ich, ich weiß nichts; warum sagt man mir nichts?«

Ein Schauer erfaßte sie.

Sie hatte neben sich Frau Hubert gefühlt, welche, stillschweigend, aufmerksam auf Alles was vorging, doch begriffen haben mußte und dennoch keine Erklärung gab.

Jeanne wollte eine unerläßlich gewordene Erklärung hervorrufen, als ein neuer Lärm ihre Aufmerksamkeit gegen den Pont-au-Change zog.

Ein Fiaker, umgeben von Leuten, fuhr ebenfalls den Abhang der Brücke hinauf.

In diesem Fiaker erkannte Jeanne, lächelnd und ihr Kind dem Volke zeigend, Oliva, welche auch wegfuhr, frei und toll vor Freude über die etwas ungebundenen Scherze, über die dem frischen appetitlichen Mädchen zugesandten Küsse. Das war allerdings plumper Weihrauch, doch mehr als genügend für Mlle. Oliva, dieser Weihrauch, den die Menge als letzte Würze des glänzenden, dem Cardinal gebotenen Festes ihr zusandte.

Mitten auf der Brücke wartete eine Postchaise. Herr Beausire verbarg sich darin hinter einem seiner Freunde, der allein sich der öffentlichen Bewunderung zu offenbaren wagte. Er machte Oliva ein Zeichen, und diese stieg mitten unter einem Geschrei, das sich ein wenig in Gezische verwandelt hatte, ein. Aber was ist für gewisse Schauspieler das Zischen, wenn man sie mit Wurfgeschossen bearbeiten und von der Bühne jagen konnte?

Als Oliva in die Chaise gestiegen war, fiel sie in die Arme Beausire's, der sie zum Ersticken wie eine Beute an sich drückte, eine ganze Wegstunde weit nicht mehr losließ, sie mit Thränen und Küssen überströmte und nicht athmete bis Saint-Denis, wo man die Pferde wechselte, ohne von der Policei belästigt worden zu sein.

Als Jeanne alle diese Leute frei, glücklich, gefeiert sah, fragte sie sich, warum sie allein keine Nachrichten erhalte.

»Aber ich! ich!« rief sie, »in Folge welcher ausgesuchten Grausamkeit eröffnet man mir nicht den Spruch, der mich betrifft?«

»Beruhigen Sie sich, Madame,« sprach Hubert eintretend, »beruhigen Sie sich.«

»Es ist nicht möglich, daß Sie nichts wissen,« erwiderte Jeanne; »Sie wissen! Sie wissen! unterrichten Sie mich.«

»Madame …«

»Wenn Sie kein Barbar sind, unterrichten Sie mich, Sie sehen, wie sehr ich leide.«

»Madame, es ist uns niederen Officianten des Gefängnisses verboten, die Sprüche zu offenbaren, deren Lesung den Urkundsbeamten der Höfe zukommt.«

»Es lautet also so gräßlich, daß Sie es nicht wagen,« rief Jeanne in einem Ausbruch von Wuth, der dem Concierge bange machte und ihn die Erneuerung der Scenen vom vorhergehenden Tag ahnen ließ.

»Nein,« sagte er, »beruhigen Sie sich, beruhigen Sie sich!«

»Sprechen Sie doch.«

»Werden Sie geduldig sein und mich nicht bloßstellen?«

»Ich gelobe es Ihnen, ich schwöre es Ihnen, reden Sie.«

»Nun wohl: der Cardinal ist freigesprochen.«

»Ich weiß es.«

»Herr von Cagliostro freigesprochen.«

»Ich weiß es! ich weiß es!«

»Mlle. Oliva von der Anklage entbunden.«

»Weiter! weiter!«

»Herr Reteau von Villette ist verurtheilt …«

Jeanne bebte.

»Zu den Galeeren! …«


»Und ich! und ich?« rief sie vor Wuth mit den Füßen stampfend.

»Geduld, Madame, Geduld. Ist es das, was Sie versprochen haben?«

»Ich bin geduldig; reden Sie! Ich?«

»Zur Verbannung,« sprach mit schwacher Stimme der Concierge, die Augen abwendend.

Ein Blitz der Freude glänzte in den Augen der Gräfin, ein Blitz, der so schnell erlosch, als er erschienen war.

Dann stellte sie sich, als fiele sie mit einem gewaltigen Schrei in Ohnmacht, und stürzte rückwärts in die Arme ihrer Wirthin.

»Was wäre geschehen, wenn ich ihr die Wahrheit gesagt hätte?« flüsterte Hubert seiner Frau in's Ohr.

»Die Verbannung,« dachte Jeanne, einen Nervenanfall heuchelnd, »das ist die Freiheit, das ist der Reichthum, das ist die Rache, das ist, was ich geträumt … Ich habe gewonnen!«

7.In pace war in den Klöstern das Einsperren auf Lebenszeit.
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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
1015 стр. 9 иллюстраций
Правообладатель:
Public Domain

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