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1.3 FrühneuhochdeutschFrühneuhochdeutsch

Die Gründe, dass zwischen den Perioden Mhd. und Nhd. eine Epoche, das Fnhd., eingeschoben wird, liegen bei zwei weltgeschichtlichen Ereignissen, die für die Entwicklung der deutschen Sprache von großer Bedeutung waren: Um 1450 wurde der Druck mit beweglichen Metalllettern erfunden, und in der Folge der Reformation übersetzte Martin LutherLuther, Martin (1483‒1546) die Bibel ins Deutsche. Im September 1522 erschien seine Übersetzung des Neuen Testaments als gedrucktes Buch zur Leipziger Buchmesse. Luther legte damit und mit den späteren Bibeldrucken den Grundstein für die Herausbildung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache.5

LutherLuther, Martin selbst bekannte, dass er nach der sächsischen Kanzlei „rede“, und lenkte damit den Blick auf die Rolle der sogenannten Kanzleisprachen und ihre Wirkung als schreibsprachliche Vorbilder im 14. und 15. Jh. Ab der Mitte des 14. Jh. erhöht sich die Zahl der Texte je Textsorte, vor allem die Zahl der Gebrauchstexte, nicht zuletzt befördert durch die Verbreitung des Schreibstoffs Papier. In diesem Zusammenhang wuchs auch die Zahl der Schreib- und Schriftkundigen an. Vor allem die Kanzleien sind die Schreibstätten, wo das Schrifttum der herrschaftlichen Verwaltung durch Notare und Schreiber auch in deutscher Sprache produziert wurde. Aufgrund der zunächst nur regionalen (territorialen) Verbreitung der in den Kanzleien hergestellten Schriften entwickelten sich in den Kanzleien spätmittelalterliche Schreibdialekte. Unter ihnen kam der Schreibsprache der kaiserlichen Kanzlei eine gewisse Vorbildfunktion zu.

In der Kanzlei des späteren Kaisers Karl IV. wurden um 1350 die Ergebnisse der nhd. Monophthongierung (mhd. /ie uo üe/ > nhd. /i: u: y:/) und der nhd. Diphthongierung (mhd. /i: u: y:/ > nhd. /ei au eu/) geschrieben und erlangten Vorbildfunktion für den Schreibusus auch anderer Kanzleien. Beide Lautentwicklungen gelten als die deutsche Sprache charakterisierende Erscheinungen und werden als Hauptmerkmale genannt, durch die sich das Mhd. vom Fnhd. abgrenzt.

Die führende Rolle für die Sprachentwicklung übergaben die Kanzleisprachen im Lauf des 16. Jh. an die städtischen Druckerzentren. Es entstanden regionale Druckersprachen. Mit der gedruckten Bibelübersetzung durch Martin LutherLuther-Bibel, der sich an Tendenzen zur Bildung überregionaler deutscher Schriftlichkeit anschließen konnte, bildete sich nach 1500 eine bislang fehlende deutsche Leitvarietät aus, die auch dank der Tatsache, dass die Druckerzeugnisse einen großen Absatzmarkt brauchen, geografische Verbreitung fand, zuerst in den protestantischen, danach auch in den katholischen Herrschaftsgebieten. Nachdem der deutschen Sprache dank der Bibelübersetzung der Rang einer heiligen Sprache zuerkannt worden war, sind erste Werke der Sprachkultivierung zu verzeichnen, d.h., es entstanden grammatische Darstellungen, die auf das einheitliche Lesen und Schreiben ausgerichtet waren.

1.4 NeuhochdeutschNeuhochdeutsch

Die Abgrenzung und der Beginn der nhd. Periode der deutschen Sprachgeschichte ist nicht einheitlich. Bisweilen setzt man den Schnitt zwischen Fnhd. und Nhd. auch erst mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648) an. Dies bedeutet aber, dass die Zäsur in der Mitte des 17. Jh. nicht nur die Epoche der deutschen Literaturgeschichte (Literatur des Barock), sondern auch wichtige sprachgeschichtliche Entwicklungen, die die Zeit des Barock mitprägen, auseinanderreißen würde.6 Man teilt das Nhd. beginnend mit dem Barock (17. Jh.) in drei Phasen ein:

 Das Ältere Nhd.NeuhochdeutschÄlteres 1600 ‒ ca. 1800 (änhd.)

 Das Jüngere Nhd.NeuhochdeutschJüngeres ca. 1800‒1950 (jnhd.)

 Nhd. Gegenwartssprache seit ca. 1950 (nhd.)

Das Ältere Nhd.NeuhochdeutschÄlteres: Der Dreißigjährige Krieg hinterließ ein verwüstetes Land und brachte dem Deutschen Reich einen politischen und ökonomischen Rückschlag. Am Ende des Krieges hatte sich Frankreich als führende Macht in Europa etabliert. Der französische Hof wurde zum Vorbild der absolutistischen Territorialfürsten, was eine besonders starke Einwirkung auf die deutsche Sprache durch die Übernahme zahlreicher Lehnwörter aus dem Französischen hatte und zu der häufig kritisierten deutsch-französischen „Mischsprache“ (Alamodewesen) führte. Außer der durch die Sprachkritik angeregten Sprachreflexion bekam die deutsche Sprachkultivierung noch vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges einen weiteren Impuls. Infolge der Gründung der ersten der barocken, primär adeligen Sprachgesellschaften im Jahr 1617 durch Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen bildeten sich im 17. Jh. neue Zentren der Sprachreflexion, Sprachkultivierung und literarischen Produktion heraus. Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft war auch Martin Opitz, der mit dem „Buch von der deutschen Poeterey“ (1624) eine Literaturreform herbeiführte und einem der drei bestimmenden Prinzipien der Sprachreflexion, der Sprachschönheit, zur Geltung verhalf. Neben den Prinzipien der Sprachschönheit und Sprachreinheit beschäftigte man sich mit der Sprachrichtigkeit und der Norm einer Leitvarietät des Deutschen. Zwei weiteren Zielen, die Georg Philipp Harsdörffer im Programm der Spracharbeit formulierte, nämlich die Erarbeitung eines Wörterbuchs und einer der Sprachrichtigkeit verpflichteten, normativen Grammatik, kam man näher: Dominant war in dieser Zeit die „Teutsche Sprachkunst“ (1641) von Justus Georg Schottel; aus der theoretischen Diskussion über das Verfassen eines Wörterbuchs ging gegen Ende des Jahrhunderts das normierende Wörterbuch von Kaspar Stieler „Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs / oder Teutscher Sprachschatz“ (1691) hervor. Dass die überregionale Verständlichkeit schriftlich verfasster und öffentlicher Texte erreicht war, zeigt die Zeitungssprache. Erstmals 1609 erschienen periodische Wochenzeitungen, ab Mitte des Jahrhunderts auch erste Tageszeitungen.

Den Übergang vom 17. zum 18. Jh., dem Zeitalter der Aufklärung, innerhalb des Älteren Nhd.NeuhochdeutschÄlteres, markiert Johann Christoph Gottsched (1700‒1766), dessen maßgebliche Grammatik „Grundlegung einer deutschen Sprachkunst“ ab 1748 erschien. In seinem „Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen“ (Leipzig 1729/1730) begründete Gottsched den Zusammenhang von Vernunft und Sprachgebrauch und setzte Maßstäbe der Sprachnorm, die im Laufe des 18. Jh. sowohl in den katholischen Regionen Süddeutschlands akzeptiert wurde als sich auch im niederdeutschen Norden als Schriftsprache (Meißnisch) ausbreitete. Dass das Hochdeutsche nun im gesamten deutschen Sprachraum Geltung besaß, ist auch den an verschiedenen Orten erscheinenden Zeitungen zu verdanken.

NeuhochdeutschKritik an der von Gottsched mit Absolutheitsanspruch vorgetragenen Sprachreform regte sich auf Seiten der Dichter. Zu nennen sind in diesem Kontext besonders Friedrich Gottlieb Klopstock (1724‒1803), Gotthold Ephraim Lessing (1729‒1781) und Christoph Martin WielandWieland, Christoph Martin (1733‒1813). Zu den Kritikern gehörte auch Johann Christoph Adelung (1732‒1806), der mit dem „Grammatisch-kritischen Wörterbuch der hochdeutschen Mundart“ (1774–1786) nicht mehr Normen setzen, sondern den tatsächlichen Sprachgebrauch (der oberen Stände Obersachsens) beschreiben wollte. Adelungs großes neues deutsches Wörterbuch wurde mit Gewinn von den Klassikern und gebildeten Bürgern benutzt.

Zwischen Älterem und JüngeremNeuhochdeutschJüngeres Nhd.NeuhochdeutschÄlteres: Die politischen und literaturgeschichtlichen Ereignisse zwischen 1789 und 1830/1832 erfordern es, dass die Sprachgeschichtsschreibung eine die deutsche Literatur und Sprache entscheidend prägende Epoche einblendet und die Epochengrenze ca. 1800 gleichsam überspringt. In den Vordergrund treten dabei die literarischen Werke der Weimarer Klassiker und der Romantiker; insbesondere geht es um die Literatursprache GoethesGoethe, Johann Wolfgang von und SchillersSchiller, Friedrich von. Wie die Klassiker verhielten sich auch die Romantiker ablehnend gegenüber der Französischen Revolution von 1789. (Als Dichter des „Sturm und Drang“ werden Goethe und Schiller auch der Periode des Älteren Nhd. zugeordnet.) Seit Beginn des 19. Jh. wird die auf der klassischen Literatursprache beruhende Norm zur Gebrauchsnorm der Schriftsprache überhaupt; eine überregional verständliche Schriftsprache ist vorhanden. Sie war die Sprache der in ganz Europa anerkannten klassischen Literatur und prägte das „bürgerliche Sprachempfinden“7 im gesamten 19. Jh.

Das Jüngere Nhd.NeuhochdeutschJüngeres: Der Tod GoethesGoethe, Johann Wolfgang von im Jahr 1832 markiert das Ende der Zeit, in der die für die deutsche Literatur- und Schriftsprache vorbildlichen Werke geschaffen wurden. Das 19. Jh. ist danach durch die Festigung und Verbreitung der literatursprachlichen Norm, zu deren Durchsetzung besonders in Norddeutschland die Zeitungen einen wichtigen Beitrag leisteten, gekennzeichnet. Der Gebrauch der perfekten Schriftsprache wurde durch das Lesen der richtigen Bücher (z.B. der Ausgabe von Goethes Werken), durch Sprachratgeber, Lehrbücher und Briefsteller garantiert. Von besonderer Bedeutung waren das „Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache“ (1880) von Konrad Duden und die „Deutsche Bühnenaussprache“ (1889) von Theodor Siebs. Nicht den aktuellen Sprachgebrauch beschreiben oder regeln wollten die Brüder Jacob und Wilhelm GrimmGrimm, Jacob und Wilhelm. In der Tradition der Romantik stehend erforschten sie die Geschichte der deutschen Sprache und begründeten durch Werke wie die „Deutsche Grammatik“ (1819‒1837) und das „Deutsche Wörterbuch“ (1. Band 1854, 33. und letzter Band 1971) eine deutsche Nationalphilologie. In den von den Brüdern Grimm verfassten und in mehreren Ausgaben überarbeiteten „Kinder- und Hausmärchen“ (1. Auflage 1812‒1815) ist die dafür als Volkspoesie konzipierte Sprache bis heute verbreitet und bekannt.

NeuhochdeutschNach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 erhielt der gegen französische Einflüsse auf die deutsche Sprache gerichtete Sprachpurismus Auftrieb. Behörden griffen regulierend, z.B. bei Post, Eisenbahn und Militär, in den „Sprachenkampf“ durch Verdeutschungen ein. Nach der Gründung des „Allgemeinen deutschen Sprachvereins“ (1885) wurde die Sprachreinigung fast zu einer populären Bewegung. Noch zuvor war der „Allgemeine Deutsche Arbeiter-Verein“ (1863) entstanden und wurde die „Sozialdemokratische Arbeiterpartei“ (1869) gegründet. Damit etablierte sich ein Arbeiterbildungswesen, das die literatursprachliche Norm akzeptierte. Die Teilnahme der Bevölkerung am öffentlichen politischen Leben und die Rolle, die die Sprache in der öffentlichen Auseinandersetzung jetzt spielte, führten im Gefolge des Ersten Weltkriegs zur Politisierung der Sprache. Von den Schrecken des Ersten Weltkriegs sind die expressionistischen Dichtungen (1906‒1923) geprägt, in deren besonderem Sprachstil sich die Krise der bürgerlich-imperialistischen Gesellschaft abzeichnet.

Mit der Herrschaft der Nationalsozialisten (1933‒1945) war der öffentliche Sprachgebrauch vom nationalsozialistischen Sprachstil und von den durch den Rundfunk ins ganze Land verbreiteten Hetz- und Hassreden der Nazigrößen dominiert. Für seine Kritik des nationalsozialistischen Sprachgehabes ist besonders Victor Klemperer, der Autor der „Lingua Tertii Imperii“ (1947), bekannt geworden. Ein herausragendes Zeichen der Auseinandersetzung mit der durch den Nationalsozialismus „vergifteten“ deutschen Sprache nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte die von Dolf Sternberger herausgegebene Sammlung „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ (1957).

NeuhochdeutschGegenwartssprache: Die von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs 1945 befreiten Länder Deutschland und Österreich waren zunächst in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden. Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 war der öffentliche politische Sprachgebrauch vom sogenannten Ost-West-Konflikt in der deutschen Sprache, der sich schon ab 1945 in den Tageszeitungen andeutet, beherrscht. Der Konflikt wurde theoretisch durch die Vier-Varianten-Theorie untermauert, die besagt, dass es gemäß den deutschsprachigen Staaten, Bundesrepublik Deutschland, DDR, Österreich und Schweiz, auch vier offizielle Varianten des Deutschen gibt. Durch die Wiedervereinigung 1989 und die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland existierte auch das „DDR-Deutsch“ außer in Regionalismen nicht weiter.

Als die zentrale außeruniversitäre Einrichtung zur Erforschung und Dokumentation der deutschen Sprache der Gegenwart wurde 1964 das Institut für Deutsche Sprache (IDS), jetzt Leibniz-Institut für Deutsche Sprache, gegründet. Im Fokus der sprachwissenschaftlichen Forschung der deutschen Sprache der Gegenwart standen und stehen: die Sprache der Werbung (in allen Medien), die Sprache der Jugend und der Jugendkultur, die Sprache der Politiker, die Entwicklung der Dialekte zu Regionalsprachen, neuerdings die Sprachstile der „neuen Medien“, die durch die breite Nutzung der Sozialen Netzwerke (z.B. Facebook) und des Smartphones präsent sind. Als wichtige Institutionen der Sprachkultivierung und Sprachberatung wirken die bereits 1947 gegründete Gesellschaft für deutsche Sprache und die Duden-Redaktion. Sprachwissenschaftlich festgestellt werden Tendenzen, wie die deutsche Gegenwartssprache sich unter dem Einfluss der medialen und gesellschaftlichen Diskurse entwickelt. Dazu gehören z.B. der seit 1945 wachsende Einfluss des amerikanischen Englisch, der Übergang von einer literaturgeprägten Schriftsprache zu sprechsprachlichen Stilen, verbunden mit der Neigung zu kürzeren Sätzen und erweiterten NominalgruppenNominalgruppe, und die Änderung der Satzklammer.8Neuhochdeutsch

2. Die Textüberlieferung in den historischen Sprachperioden

Die Sprachgeschichtsschreibung sowie die grammatische und lexikalische Beschreibung der historischen Sprachstufen des Deutschen beruhen auf Texten, d.h. auf in lateinischer Alphabetschrift fixierten sprachlichen Formulierungen. Dem Umfang nach kann es sich um Kleinsttexte handeln, die nur aus einem Satz bestehen, oder auch um Großtexte und Textsammlungen (Bücher, Codices). In der Art und Weise der Überlieferung der Texte seit dem frühen Mittelalter bis in die Jetztzeit spiegelt sich auch die Entwicklung der Schriftmedien wider. Obwohl „Inschriften“ auf Stein, Holz, Gebäuden usw. angebracht wurden und noch werden, sind für die deutsche Textgeschichte als Schriftträger Pergament, Papier und letztlich computerbasierte Speichermedien die wichtigsten Träger der Textüberlieferung.

Im frühen Mittelalter wurden die Texte in den Skriptorien der Klöster durch Abschreiben hergestellt. Geschrieben haben anfangs vornehmlich Mönche. Die volkssprachliche (deutsche) Textüberlieferung beginnt im späten 8. und frühen 9. Jh. mit Glossierungen lateinischer Texte (anfänglich durch ahd. Einzelwörter), mit Übersetzungen pastoraler Kleinliteratur (z.B. die ahd. Übersetzungen des Vaterunsers) und weitet sich aus auf die Bibeldichtung (z.B. das Evangelienbuch Otfrids von WeißenburgOtfrid von Weißenburg) und die zum Zweck der Schullektüre verfassten Schriften NotkersNotker III. von St. Gallen oder auch auf heldenepische Texte (z.B. das HildebrandsliedHildebrandslied). Zu den historischen Rahmenbedingungen für die Übersetzung lateinischer religiöser Texte bis hin zu den Dichtungen des (ahd.) Evangelienbuchs und des (altsächsischenAltsächsisch) Heliands durch die Kirchen- und Bildungsreform Karls des Großen vgl. den Überblick über die deutsche Sprachgeschichte (Kapitel A.1.1).

Im späten Mittelalter änderte sich zwar die „Technik“ des Schreibens; das Texteschreiben war jetzt arbeitsteilig organisiert: Der „Autor war für die Erzeugung des Textes verantwortlich, der Schreiber für die Herstellung des Manuskriptes“.1 Die Kunst des Schreibens blieb aber noch immer auf den Klerus beschränkt. Schon im 13. Jh. wurden in den Kanzleien Urkunden nicht mehr nur in lateinischer, sondern auch in deutscher Sprache abgefasst. Vom 14. Jh. an üben sich auch Laien (Ritter und ansehnliche Bürger) in der Kunst des Schreibens, hauptsächlich um geschäftliche und private Briefe zu schreiben. Wichtige Sammelhandschriften sind die am Ende des 12. Jh. im Augustiner Chorherrenstift Vorau (Steiermark) geschriebene Vorauer Handschrift und der Codex Manesse, die bedeutendste deutsche Liederhandschrift des Mittelalters, die veranlasst durch die Zürcher Patrizierfamilie Manesse in der ersten Hälfte des 14. Jh. auf der Grundlage der Sammlung der Manesse vermutlich durch Nonnen des Klosters Oetenbach in Zürich hergestellt wurde. Nicht nur durch das zeitgleiche (oder spätere) und fehleranfällige Abschreiben (Kopieren) von Handschriften erscheint der mittelalterliche Text als ein dynamisches Gefüge. Es war auch üblich, Texte zeitlich und räumlich, dialektal und inhaltlich zu aktualisieren. Nicht jede mittelalterliche Handschrift setzt Verse ab; die Handschriften kennen keine Interpunktion im modernen Sinn und keine diakritischen Zeichen wie z.B. den Balken über Vokalen, um die Länge des Vokals zu markieren. Dies alles stammt von den Herausgebern der Neuzeit, die mit der Interpunktion das Textverständnis der modernen Rezipienten erleichtern, aber auch steuern wollten. Die Edition mittelalterlicher Texte hat erhebliche Auswirkungen auf die historische Syntax und die interpretative Satzabgrenzung.

An die Stelle des teuren und für schnelles Schreiben ungeeigneten Pergaments trat das glattere und billigere Papier als Schreibunterlage. Im 14. Jh. verbreitete sich Papier als Beschreibstoff und verdrängte im 15. Jh. das Pergament. Die erste deutsche Papiermacherwerkstatt wurde 1390 in Nürnberg in Betrieb genommen. Papier war eigenhändig leicht zu beschreiben und ermöglichte einen durchgängigen Schreibfluss. Diesem diente auch die – anstelle der aufwendigen Buchschrift vor allem in Handel und Verwaltung verwendete – Kursivschrift, wo große Schriftmengen (Akten, Rechnungen) zu bewältigen waren. Auch ganze Bücher wurden im 14. Jh. in Kursive geschrieben.

Das mühsame (Ab-)Schreiben mit der Hand konnte die steigende Nachfrage nach Lektüre auf Dauer nicht befriedigen. Die Erfindung des Bedruckens von Papier mit beweglichen Metalllettern durch Johannes Gutenberg um 1450 ermöglichte es, Texte zu „setzen“ und beliebig oft mechanisch in identischer Form zu vervielfältigen. Gegen Ende des 15. Jh. existierten in ganz Europa Druckwerkstätten (Offizinen). Die zwischen 1454 und dem 31. Dezember 1500 mit beweglichen Lettern gedruckten Einblattdrucke und Bücher (Inkunabeln, Wiegendrucke) waren in Format, Typografie und Illustration vom Erscheinungsbild mittelalterlicher Handschriften geprägt. Die Produktion auch deutscher Bücher stieg bis 1523 auf 944 Exemplare. Neue Textsorten wie gedruckte Flugblätter und Flugschriften sind Vorformen der Zeitungen und Vorläufer der Massenmedien.

In der zweiten Hälfte des 20. Jh. brachte die Erfindung und weite Verbreitung des Computers eine der Erfindung Gutenbergs vergleichbare mediale Wende auf der Grundlage elektronischer Datenverarbeitung. Mit Hilfe des Computers seit den 1970er-Jahren, des Internets und des World Wide Webs seit den 1980er-Jahren sind die Herstellung, massenhafte Verbreitung und Speicherung von Texten in uneingeschränktem Maß möglich. Neue Textsorten wie E-Mail, Newsletter, Chat (und Chatroom), Tweet u.a.m., die sich von den Texten in den Printmedien erheblich unterscheiden, sind entstanden. Die Digitalisierung ganzer Bücher und mittelalterlicher Handschriften ist in vollem Gang. Die Digitalisate werden online gestellt und sind jederzeit und überall mit Hilfe des Computers aufrufbar. Damit schließt sich der Kreis zum Beginn der Überlieferung deutscher Texte im 8. Jh. – Zur Anwendung der Computer-Technik bei der Erforschung der Historischen Valenz vgl. Kapitel E.4.

Die Textüberlieferung im Wandel der Medien am Beispiel von Otfrids Otfrid von Weißenburg Evangelienbuch Otfrid von Weißenburg

Die als Codex Vindobonensis (V) bezeichnete Handschrift des EvangelienbuchsOtfrid von Weißenburg von Otfrid von WeißenburgOtfrid von Weißenburg wurde zwischen 863 und 871 im Skriptorium des Klosters Weißenburg unter der Aufsicht und mit eigenhändigen Korrekturen Otfrids hergestellt. V diente im dritten Viertel des 9. Jh. als Vorlage für die zweite – ebenfalls in Weißenburg hergestellte – Handschrift, den Codex Palatinus (P). In Freising entstand am Anfang des 10. Jh. die dritte Handschrift (F) und in Fulda in der zweiten Hälfte des 10. Jh. die nur fragmentarisch erhaltene Handschrift (D), beide kopiert von V. Der Codex Vindobonensis gilt als Haupthandschrift. Sie ist bis 1480 als Teil der Weißenburger Klosterbibliothek nachgewiesen, wurde aber, nachdem sie zwischenzeitlich in das Kloster St. Martin in Sponheim verbracht worden war, 1576 als Handschrift der Wiener Hofbibliothek geführt. 1560 fertigte Achill Pirmin Gasser in Augsburg eine Abschrift der Handschrift P an, nachdem P an Ulrich Fugger verkauft worden war. Als Druck erschien 1571 in Basel eine von Matthias Flacius Illyricus veranlasste Gesamtausgabe des Evangelienbuchs. Im 19. Jh. entstanden mehrere kritische (gedruckte) Textausgaben des Evangelienbuchs, zuerst die von Eberhard Gottlieb Graff unter dem Titel „Krist“ 1831 herausgegebene („mit einem Facsimile ieder der drei Handschriften“), dann die von Johann Kelle (1856‒1881) und Oskar Erdmann (1882), auf der Grundlage von V, und Paul Piper (1882) auf der Grundlage von P. Die Handschrift F wurde erst im Jahr 2000 durch Karin Pivernetz ediert. Eine Faksimile-Ausgabe der Wiener Handschrift wurde unter Mitwirkung von Hans Butzmann im Vierfarbendruck 1972 in Graz gedruckt. Eine nach den Handschriften V, P und D getrennte Neuedition des Evangelienbuchs gab Wolfgang Kleiber (2004 und 2006) im Druck heraus. Die Neuedition wird mit Mängeln der älteren Editionen, Neufunden zur Handschrift D und Konsequenzen aus der Autopsie der Wiener Handschrift begründet. Wichtiges Editionsprinzip ist die Vermeidung von Normalisierungen, moderner Zeichensetzung, Lesehilfen usw. zugunsten einer originalnahen, handschriftgetreuen Textwiedergabe. Das Ende der Textgeschichte des Evangelienbuchs ist vorläufig erreicht, seit die in der Universitätsbibliothek Heidelberg lagernde Handschrift P als digitale Kopie2 und die Handschrift F als Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek3 verfügbar sind.

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