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Viertes Kapitel.
Getäuschte Hoffnungen

In das Stilleben des Bentanschen Heimes brachte der Besuch eines jungen Marsiten vom Stamme der Ernsten eine kleine Abwechslung, die besonders von Benta angenehm empfunden zu werden schien, wenigstens glaubte dies Frommherz, nicht ohne eine leise Regung von Unbehagen, zu bemerken. Orman, mit dem alten Bentan schon lange näher befreundet, war mit einer wissenschaftlichen Expedition, der er als Mitglied angehörte, nach langer Abwesenheit wieder nach Angola zwecks persönlicher Berichterstattung zurückgekehrt. Für die Zeit seiner Anwesenheit am Zentralsitze der Weisen wohnte er, einer Einladung Bentans folgend, bei diesem.

Der jugendlich schöne Marsite, der reinste Apoll, wie ihn der Schwabe im geheimen und nicht ohne einen gewissen Anflug von Neid bezeichnete, war dem alten Gaste des Hauses sofort mit der so gewinnenden, weil aufrichtigen Herzlichkeit entgegengetreten, die den Marsiten in ihrem Verkehre überhaupt eigen war. Das Gebaren und Auftreten Ormans war offen und klar. Er war ein Mann ohne Furcht und Tadel. Reiches Wissen, gepaart mit jener echten Bescheidenheit, die nur das Produkt wahren Selbsterkennens ist, machte Orman besonders sympathisch. Und diese Sympathie wäre auch bei Fridolin Frommherz vollkommen gewesen, wenn seine Gefühle für Benta, die strahlend schöne Marsitin, etwas weniger selbstsüchtig gewesen wären. So aber empfand der Erdensohn Ormans Anwesenheit als eine gewisse Gefahr für sich selbst.

Verglich er sich nur allein schon äußerlich mit Orman, so fiel die Prüfung leider sehr zu seinem Nachteil aus, ganz abgesehen von der geradezu imponierenden Bildung des Marsiten. Das Schwabenalter hatte Fridolin Frommherz seit kurzem glücklich erreicht. Wollte er also ein eigenes Heim gründen, so durfte er damit nicht lange mehr zögern. Dieser Gedanke hatte erst mit dem Erscheinen Ormans eine bestimmtere und deutlichere Form angenommen, und aus diesem Gedanken heraus wuchs noch ein zweiter: durch die Heirat mit einer Marsitin sich gewissermaßen das legitime Bürgerrecht auf dem Lichtentsprossenen zu sichern. Nun mußte ihm dieser Orman in die Quere kommen, gegen den sich schlechterdings auch gar nichts einwenden ließ!

So scharf und mißtrauisch der Gelehrte auch Benta und Orman beobachtete, er konnte nicht das geringste entdecken, was seiner Eifersucht irgend welchen Schimmer von Berechtigung hätte verleihen können. Harmlos und fröhlich verkehrten die jungen Leute miteinander. Nur wollte es Frommherz vorkommen, als ob Bentas Freundlichkeit gegen Orman doch noch um einen Ton wärmer, herzlicher gehalten sei als gegen ihn: ein qualvoller Zustand für ihn, der zum ersten Male in seinem Leben von Amors schlimmem Pfeile getroffen worden war. Diese heimliche Liebe – denn daß es eine solche sei, wurde Frommherz schließlich klar – machte ihn halb krank und raubte ihm die Lust zu jeglicher ernsten Arbeit.

Hin und wieder besann sich Frommherz, was er unter diesen Umständen tun oder unternehmen solle. Aber kaum war eine Idee gefaßt, als eine andere neue die alte erste wieder umstieß. Nur so viel stand für den Gelehrten fest: solange Orman im Hause Bentans weilte, konnte und durfte er nicht mit dem ehrwürdigen Greise über seine Liebe reden. Sollte er sich eine Abweisung holen, womit er ja möglicherweise auch zu rechnen hatte, nun wohl, so wollte er sie erst nach Ormans Abreise einstecken. Er wollte sich wenigstens vor Orman nicht lächerlich machen.

Endlich mußte der junge Marsite wieder fort. Der Ernst der Zeit und seine Pflichten riefen ihn wieder an die Arbeit. Frommherz atmete ordentlich erleichtert auf. Nach und nach fand er auch seine alte Ruhe und Heiterkeit wieder und mit ihr den früheren Arbeitseifer. Ein unbestimmtes Gefühl hielt Frommherz ab, mit Benta selbst zuerst eine offene Aussprache zu suchen. Und auch mit Bentan, dem Alten, wollte sich keine passende Gelegenheit finden lassen, die dem Erdensohne erlaubt hätte, mit Mut und Zuversicht seinen Wünschen lauten Ausdruck zu verleihen.

Gerade die Mitteilungen Ormans über die zunehmenden ungünstigen Wasserverhältnisse auf dem Mars hatten Bentans ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen und ihn auch den etwas veränderten Gemütszustand seines Gastes während Ormans Anwesenheit übersehen lassen. Auch war jetzt Bentan selbst viel beschäftigt. Dazu kamen noch die vielen Versammlungen der Stammesältesten, Besuche anderer Brüder Bentans, kurz in Angolas sonst so stillen Straßen und Plätzen herrschte seit einiger Zeit ein regeres Leben als je. So verschob Frommherz sein Anliegen von einer Woche zur andern und suchte durch strenge Arbeit seine Leidenschaft zu betäuben.

Die gute Weiterentwicklung seines gewaltigen Werkes wirkte auf seine Stimmung so günstig ein, daß er endlich auch den Mut fand, in eigener Sache handelnd vorzugehen. Eines Abends, nachdem schon Monate seit Ormans Fortgang verflossen waren, entschloß sich Frommherz, mit Bentan über die Frage der Ehe im allgemeinen und über eine Heirat mit Benta im besonderen zu reden. Benta hatte sich auf ihr Zimmer zurückgezogen. Die beiden Männer saßen allein auf der Terrasse des Hauses und genossen den herrlichen Abend mit seinem klaren, milden Mondlicht. Schweigend starrte Frommherz hinaus in die Pracht der Nacht, die ihn immer von neuem wieder durch das reizvolle Spiel ihrer beiden Monde bezauberte, trotzdem er sich nun schon länger als fünf Jahre auf dem Mars befand.

„Wunderbar, märchenhaft schön ist doch bei euch hier oben die Nacht!“ rief der Gelehrte, das lange Schweigen unterbrechend.

„Ich weiß und kenne nichts anderes,“ entgegnete Bentan lächelnd.

„Aber ich!“ antwortete der Schwabe. „Unsere Mondnächte auf der Erde bieten nicht diese eigenartige Schönheit.“

„Dafür besitzt ihr ja auch nur einen Trabanten, eine Leuchte. Unser Verdienst ist es nicht, daß wir deren zwei haben.“

„Sie passen aber in würdiger Weise zu euerm Leben voll Licht, ja sie ergänzen es in harmonischer Form. Am Tage das strahlende Licht der Sonne, in der Nacht der milde, versöhnende, zur Ruhe förmlich einladende Silberglanz der Monde, alles hell, licht wie ihr selbst!“

„Nun, dieses Leben, das du so rühmst, hat auch seine Schatten und seine Unvollkommenheiten. Und wohl uns, daß es so eingerichtet ist,“ erwiderte Bentan. „Ein gewisser Kampf ums Dasein ist nun einmal untrennbar mit der Existenz eines jeden Lebewesens verknüpft. Er ist die Ursache aller Entwicklung und Vervollkommnung. Darüber sind wir froh und dankbar zugleich. Dieser Kampf ums Dasein wird bald unseres Volkes ganze Kraft in Anspruch nehmen.“

„Des Wassers wegen?“ fragte Herr Frommherz.

„Ja, wie du weißt.“

„Ich sehe aber deshalb noch keine drohende Gefahr.“

„Weil du eben unsere Verhältnisse noch zu wenig kennst, Freund Fridolin. Für Angola ist die Wasserfrage, dank unterirdischen Zuflüssen zum See, noch nicht so empfindlich geworden wie an andern Orten unseres Lichtentsprossenen. Trotzdem aber ist eine Abnahme des Seespiegels deutlich wahrnehmbar.“

„Was wollt ihr aber in dieser Sache unternehmen?“

„Eine Änderung unseres gesamten Kanalsystems,“ antwortete Bentan so ruhig, als ob es sich um die einfachste Angelegenheit handelte.

„Das ist ja eine Riesenarbeit!“ rief der Erdensohn in ehrlichem Erstaunen.

„Sie muß ausgeführt werden. Vor dem imperativen Muß tritt alles zurück. Wir alle ohne Unterschied des Stammes werden im Dienste der Allgemeinheit die große Aufgabe zu lösen suchen.“

„Auch ich will mich freudig daran beteiligen, soweit ich es vermag, fühle ich mich doch eins mit euch,“ bemerkte Frommherz.

„Du sollst uns dabei willkommen sein,“ erwiderte Bentan herzlich.

„Der Gedanke, ganz in euch aufzugehen, mir gewissermaßen das Bürgerrecht hier zu erwerben, bewegt mich schon lange,“ hub Frommherz nach längerer Pause zu sprechen an. „Ich möchte nicht mehr als Gast, sondern als Marsite angesehen werden.“

„Wirst du denn anders als ein solcher behandelt?“ Diese Frage Bentans brachte Frommherz ein wenig aus der Fassung.

„Hm, hm, ich kann mich sicherlich nicht beklagen, nein, im Gegenteil. Nur möchte ich, – ja, wie soll ich mich gleich ausdrücken? Ich möchte in allem als euresgleichen gelten.“

„Du bist uns kein Fremder, Freund Fridolin. Wir betrachten dich daher auch schon lange als Mitglied der großen Marsgemeinde. Ich hoffe, daß dich diese Worte befriedigen,“ entgegnete Bentan freundlich.

„Sie ehren mich, aber sie erfüllen nicht meine besonderen Wünsche.“

„Und worin bestehen diese? Erkläre dich deutlicher.“

„Für immer auf dem Lichtentsprossenen zu weilen.“

„Niemand von uns weist dich fort. Im übrigen war dies ja auch gewiß schon damals deine Absicht, für immer bei uns zu bleiben, als du deine Brüder ohne dich von hier fortziehen ließest,“ entgegnete Bentan mit eigenartiger Betonung.

„Das alles ist nicht das, was ich will. Ein Heim mein eigen nennen, in Generationen fortleben . . .“

„Nun verstehe ich dich endlich, lieber Freund Fridolin,“ begann Bentan ruhig, als der Erdensohn, plötzlich unsicher geworden, in seiner Rede stockte. „Du möchtest heiraten. Ist es nicht so?“

„Getroffen!“ gestand der Gelehrte, ordentlich froh, von Bentan so rasch begriffen worden zu sein.

„Zu jung dazu bist du nicht mehr,“ warf Bentan lächelnd ein.

„Nicht wahr? Das finde ich ebenfalls.“

„Ich möchte aber bezweifeln, ob sich dein Wunsch verwirklichen läßt. Du bist ein Sohn der Erde und gehörst auch in der Liebe zu ihr. Was Lichtentsprossen ist, soll sich wieder mit Lichtentsprossenem verbinden, nicht mit Fremdem. Von einem Durchbrechen dieser Auffassung verspreche ich mir persönlich nichts Gutes. Doch ferne sei es von mir, dir jede Hoffnung nehmen zu wollen. Prüfe dich nochmals, und dann handle. Du weißt, daß bei uns keine materiellen Erwägungen bei der Eheschließung mitsprechen. Bei uns hat die Frau eine vornehme und hohe Stellung in der Kultur gerade deshalb, weil sie sich bescheidet, die Ergänzung des Mannes zu sein. Frei wählt sie denjenigen Mann, dessen Persönlichkeit mit der ihren wirklich und wahrhaftig wahlverwandt ist. Mit dem, was er ist, mit seiner ganzen Stellung wirbt bei uns der Mann um das Weib. Dadurch ist bei uns die Eheeinrichtung zu einer hehren Wahrheit geworden, die sich sehr scharf von den ehelichen Zuständen der Erde unterscheidet, über die, wie ich mich noch genau erinnere, als deine Gefährten noch bei uns weilten, ihr uns hier in Angola Vortrag gehalten habt.“

„Warum soll aber dieser Unterschied eine Erfüllung meines Wunsches unmöglich machen? Auch auf der Erde gibt es, glaube es mir, edler Bentan, manche glückliche Ehen, die nach denselben oder doch ähnlichen Grundsätzen geschlossen worden sind wie hier oben.“

„Das mag sein. Es sind und bleiben aber seltene Ausnahmen. In dieser Richtung sind mir eure völlig miteinander übereinstimmenden und vernichtend lautenden Urteile allein maßgebend. Deine Brüder waren viel zu ernste und wahre Männer, als daß ihre Aussagen dem geringsten Zweifel unterzogen werden dürften. Im übrigen habe ich dir nur gesagt, was ich von deiner Absicht halte. Ich möchte dich nur gern vor Enttäuschungen bewahren. Es steht dir völlig frei, nach Gutdünken zu handeln.“

Eine lange Pause trat ein. Frommherz war durch die Wendung, die das Gespräch genommen, sehr niedergedrückt. Er hatte auf eine Ermunterung, nicht auf eine Ablehnung gerechnet; denn darauf liefen Bentans Worte doch hinaus. Aber er wollte trotzdem nicht ohne weiteres auf seine Neigung zu Benta verzichten und die Angelegenheit noch in dieser Stunde zu einer definitiven Klärung bringen.

„Ich bekenne dir offen, ehrwürdiger Bentan, daß ich mich schon sehr an den Gedanken gewöhnt hatte, mit dir und deiner Familie durch das Band der Verwandtschaft in innigste Beziehungen gebracht zu werden, kurz, Benta als Gattin erringen zu dürfen, für die ich eine warme und ehrliche Neigung empfinde.“

„Mein lieber Freund Fridolin, ich freue mich, daß du dich frei und rückhaltslos mir gegenüber äußerst. Ebenso will ich dir antworten. Benta will, solange ich noch lebe, überhaupt nicht heiraten. Sie will durch die Pflichten der Ehe nicht von der Pflege ihres Großvaters abgelenkt werden. Diesen Entschluß hat sie freiwillig, ohne irgendwelche Beeinflussung schon gefaßt gehabt, bevor du in unser Haus kamst.“

„Wie gern würde ich warten,“ warf der Gelehrte ein.

„Es würde dir nichts nützen, denn Benta wird später Orman als Gatten wählen.“

„Also hat mich meine Ahnung nicht betrogen,“ seufzte Frommherz.

„Sieh, mein Freund, es ist wirklich besser, du beherzigst meinen Rat und verzichtest auf eine Verbindung mit einer Tochter unseres Volkes. Vielleicht kommt einst noch die Stunde, wo du froh darüber sein wirst, über deine Person und deine Zukunft frei verfügen zu können.“

„Dieser Verzicht auf meine schönsten Träume ist wirklich schmerzhaft,“ erwiderte Frommherz wehmütigen Tones.

„Das tut mir aufrichtig leid. Aber durch die Kraft der Selbstbeherrschung wirst du über das Gefühl des Schmerzes rasch hinwegkommen. Du bist mir sympathisch. In unserem Zusammenleben bewies ich dir dies. Und diese Sympathie wird dir auch ferner von mir gewahrt werden.“

„Um eines bitte ich dich noch, ehrwürdiger Bentan, rede nicht mit Benta über das, was ich dir vorgebracht.“

„Das hätte ich auch ohne deine Bitte nicht getan. Ich möchte nicht den harmlos schönen Verkehr zwischen dir und meiner Enkelin stören, sondern mich auch fernerhin an ihm erfreuen.“

„Ich danke dir,“ erwiderte der Erdensohn, ergriffen von der schlichten Größe des Alten. Einer Regung des Herzens folgend, streckte er ihm die Rechte entgegen, die Bentan innig drückte.

Damit war Fridolin Frommherz’ Liebestraum zu Ende. Es bedurfte aber seiner ganzen Kraft der Selbstüberwindung, um die Wunde, die seinem Herzen geschlagen worden war, nach und nach zum Vernarben zu bringen. Und der Segen der Arbeit half ihm über seinen Kummer weg.

Fünftes Kapitel.
Die Doppelkanäle auf dem Mars

Unterdessen war vom Stamme der Weisen die Wasserfrage sehr energisch behandelt worden. Das, was Bentan darüber vor kurzer Zeit seinem Gaste erzählt hatte, sollte nun sofort ohne Verzug in Angriff genommen werden. Zum ersten Male in seinem Leben sah der schwäbische Gelehrte mit staunender Vewunderung die großartige Wirkung des Solidaritätsgefühles eines ganzen, großen, Millionen umfassenden Volkes. Diese Wirkung flößte ihm geradezu Ehrfurcht ein. Sie offenbarte ihm, zu welcher Höhe der Leistung die Humanität und ihr Produkt, die Nächstenliebe, diese edelste der menschlichen Tugenden, ausgedehnt werden konnten, wenn sie in Fleisch und Blut eines sittlich und körperlich gleich gesunden Volkes übergegangen sind wie hier auf dem Mars.

Keine unnütze Klage, kein lauter Ton des Jammerns bewegte die gewaltigen Massen, die nun alle in den Dienst des Großen und Ganzen, in den Kampf für das Wohl der Gesamtheit traten. Alle Lasten, alle Einschränkungen, die jedem einzelnen durch die Ausführung der Riesenwerke auferlegt wurden, trug dieser im stolzen Bewußtsein, daß er für alle einzutreten habe, alle zusammen aber auch ihn wieder schützen würden. Das ewige und felsenfeste Prinzip, der fundamentale und unverwüstliche Bestandteil der echten, natürlichen Moral, im Wohle, im Gedeihen des Nächsten nur sein eigenes zu suchen und zu finden, zu wissen, daß die blühende Menschheit allein das Paradies, eine verkümmerte aber nichts anderes als die Hölle vorstelle, diese Grundsätze waren die organischen Triebkräfte der Marsiten. Und sie bewährten sich glänzend in diesen Zeiten der Gefahr.

Die sieben Stämme der Marsiten waren wie auf einen Zauberspruch hin in einen einzigen großen, den der Sorgenden, umgewandelt. Während die älteren, körperlich weniger leistungsfähigen Männer die leichteren Arbeiten der Landwirtschaft, die Erziehung der Jugend und die Pflege der Gebrechlichen und Kranken übernahmen, trat die gesamte Masse der kräftigen Marsiten an die Ausführung eines zweiten Kanalsystems auf dem Lichtentsprossenen. Dank der Entwicklung und dem unvergleichlich hohen Stande der technischen Wissenschaften bei den Marsiten konnte die ungeheure Arbeit mit Hilfe von Maschinen aller Art verhältnismäßig rasch gefördert werden. Längs den bisherigen Hauptkanälen wurden kleinere, schmälere angelegt und sorgfältig ausgemauert, um jedem nennenswerten Wasserverluste zu begegnen. In der Nähe der alten Riesensammelbecken wurden neue, kleinere geschaffen. Um Verlusten durch Verdunstung an der Wasseroberfläche vorzubeugen, wurden die Sammelseen kuppelartig mit Asbestplatten überwölbt, titanenhafte Riesenbauten, wie sie der Erdensohn hier zum ersten Male sah.

In den polaren Regionen, gegen den Nord- und Südpol zu, wurden Reihen enormer Stauwerke mit Schleusen angelegt, die die Wasserabgabe nach den neuen Kanälen und Sammelbecken genau zu regulieren hatten. Der Wasserbedarf wurde für die Zwecke des Ackers und Gartenbaues wie für den allgemeinen Verbrauch und Verkehr auf eine bestimmte Menge festgelegt, die ausreichen mußte.

Auch Fridolin Frommherz hatte Angola verlassen, um an dem Bau der neuen Kanäle tätigen Anteil zu nehmen. Hoch oben im Norden, dort wo der „Berg des Schweigens“, die höchste Erhebung der nördlichen Marshemisphäre, seinen schneebedeckten Gipfel erhob, sollten ganz neue Abflußrinnen und Sammelbecken gebaut werden. Kein Tropfen des geschmolzenen Schneewassers sollte womöglich mehr verloren gehen. Der Schwabe kannte den Ort. Drei seiner ehemaligen Gefährten hatten vor Jahren kurz vor ihrer Rückkehr zur Erde den einsamen Berg bestiegen. Bis zum Fuße war er damals mitgekommen. Jetzt führte ihn das Luftschiff mit einer Anzahl jüngerer Marsiten, unter ihnen Zaran, ein Neffe des alten Eran, in jene dünnbevölkerte, kühle nördliche Gegend.

Von dem Luftschiffhafen in Angolas Nähe stiegen sie auf, früh, sehr früh am Morgen. Noch schien der Traum der Nacht über den Wipfeln der nahen Waldriesen zu schweben. Tiefdunkelblau war der klare Himmel, als der Luftschiffhafen unter den Reisenden zu versinken schien. Bald erschienen ihnen die Zurückgebliebenen wie kleine Kinder. Dort drüben lag Angola mit seinen weißen Palästen. Wie Spielzeug, auf einen grünen Teppich gestellt, sahen die Häuser aus. Höher stieg das Luftschiff, und weiter wurde der Horizont. Die große Gleichmäßigkeit in der Bebauung, der fast regelmäßige Wechsel von Feldern, Waldstrecken und kleineren Orten inmitten herrlichen Gartenlandes, eine gewisse Gleichförmigkeit des meist flachen, nur von niederen Hügelreihen durchzogenen Geländes fiel Fridolin Frommherz von der weitschauenden Höhe herab ganz besonders auf.

Sie steuerten direkt nordwärts. Angola, das auf dem fünfzehnten Grade nördlicher Breite lag, war längst verschwunden. Aus der subtropischen Zone, die auf dem Mars schon mit dem dreizehnten Breitengrade beginnt, waren die Reisenden in die gemäßigte Zone eingetreten. Fridolins Blick schweifte bald rückwärts, bald vorwärts in der Fahrtrichtung. Unter ihm schimmerten die Kanäle, die unzähligen Wasserstraßen der Marsiten, wie in flüssiges Silber getaucht. Motorboote schossen darauf nach allen Richtungen, doch meistens nordwärts. Das Luftschiff überholte sie alle, immer in gerader Richtung, kein Hindernis kennend, nicht Felder und Wälder, nicht Berg und Tal – das idealste aller Verkehrsmittel.

Schon jenseits des fünfunddreißigsten Breitegrades war die gemäßigte Zone überflogen. Es begann die spärlich bevölkerte kühle Region. Das war die Gegend, die die Wasserstraßen speiste, an deren Vorhandensein die Existenz der ganzen Marsbevölkerung gebunden war. Hier schauten des Erdensohnes Augen von oben herab ein Bild, das ihn fast heimatlich berührte: dunkle Wälder, mehr Nadelholz als Laubbäume, wechselten mit saftigen grünen Wiesen und schimmernden Seen. Gebirgszüge schoben sich dazwischen, deren höchste Gipfel mit Schnee bedeckt waren. Felder sah man immer weniger, je weiter man nach Norden kam. Größere Orte fehlten in dieser Gegend fast ganz. Nur weit auseinanderliegende, sehr kleine Kolonien von emsig arbeitenden Marsiten erblickten die Reisenden. Und noch immer flogen sie nordwärts ohne Aufenthalt. Jetzt hatten die Felder fast ganz aufgehört; doch sah man noch immer zahlreiche Viehherden auf kräftigen Bergweiden. Am späten Nachmittage grenzte sich ein besonders hoher Berg scharf vom Horizonte ab. Er stand isoliert. Mit einer dichten Schneekappe war seine stolze Pyramide verhüllt.

„Sieh dort,“ sagte Zaran zu Fridolin, „den Berg des Schweigens, unser Ziel!“

Wenige Häuser standen am Fuße des Bergriesen. Das Luftschiff hielt darauf zu und ging sicher und ohne jede Schwankung dicht neben den Behausungen auf einer Art Bergwiese vor Anker. Ein ernster, wortkarger Mann mit leicht ergrautem Haupt- und Barthaar trat den Reisenden entgegen. Nach kurzem Gruße sagte er: „Für Unterkunft ist so gut wie möglich gesorgt,“ und wies auf einen langgestreckten Hüttenbau wenige Schritte von der Landungsstelle des Luftschiffes. Die Ankömmlinge dankten und zogen sich in ihr reinliches, luftiges Massenquartier zurück, wo sie alles zu ihrer Bequemlichkeit Erforderliche sowie Lebensmittel aller Art in ausreichendem Maße vorfanden. Von den übrigen Bewohnern dieser kleinen Kolonie hatten sie niemand gesehen. Wie wenig neugierig doch die Leute hierzulande waren!

Der Erdensohn schlief in der reinen Bergluft vorzüglich. Bei Tagesgrauen sollte die Arbeit beginnen. Früh am andern Morgen stand Fridolin Frommherz am Fuße des Berges und betrachtete ihn genau. Steil fielen seine Hänge zur Talsohle ab. Die Bergwiesen hörten bald auf. Schwärzlicher Sand, das Produkt verwitterter Lava, trat dem Auge allenthalben entgegen. Es war gewiß nicht leicht, diesen Riesen zu erklimmen. Und wie viel schwerer mußte es noch sein, die zur Arbeit notwendigen Werkzeuge und Maschinen bis zu solch schwindelnder Höhe hinaufzuschaffen!

„Komm, Freund,“ rief da Zaran dem Sinnenden zu, „das Luftschiff ist bereit!“

„Das Luftschiff?“ wiederholte Fridolin erstaunt.

„Nun ja, es soll uns und die übrigen Arbeiter zur Höhe befördern.“

Also kein mühsames, ermüdendes Erklimmen des Bergriesen, wie Fridolin gedacht! Hinaufgetragen zu werden, war freilich bequemer und ging rascher von statten.

Sie stiegen ein, ihre Reisegefährten vom gestrigen Tage mit ihnen und ebenso der wortkarge Marsite, der sie am Abend zuvor empfangen und begrüßt hatte. Rasch wich die Talsohle unter ihnen zurück, ein wunderbar leuchtend grünes Bild im Lichte der aufgehenden Sonne. Kerzengerade stiegen sie in die Höhe. Mit vollendeter Sicherheit arbeitete das Höhensteuer. Lautlose Stille lagerte auf dem Berge des Schweigens, der seinen Namen mit vollem Rechte zu tragen schien. Weder Mensch noch Tier war zu sehen; nicht einmal das Rauschen eines auf dieser Seite zu Tale plätschernden Baches vernahm das lauschende Ohr. Auch die Reisenden waren schweigsam. War es der Eindruck, den die schweigende Natur auf ihre Gemüter machte, oder war es der Ernst der bevorstehenden Arbeit, der sie bereits in seinem Banne hielt?

Schon nach zweistündigem Steigen hatte das Luftschiff die Höhe des Berges erklommen, noch eine Schwenkung nach Osten – nun ließ es sich leicht und sicher in einer Mulde unterhalb des Gipfels nieder. Die Reisenden stiegen aus. Da lag neben ihnen im Krater des früheren Vulkans ein smaragdgrüner, mit Blumen umsäumter See. Warm fühlte sich hier der Boden an, und keine Spur von Schnee war zu finden. Somit schien die vulkanische Tätigkeit des Berges noch nicht ganz erloschen zu sein. Aber kaum hundert Schritte weiter, da schlugen wieder Eis und Schnee den Boden in ihre Fesseln.

Hier oben hatte die Arbeit der Marsiten bereits begonnen. Da waren Menschen und Maschinen in voller Tätigkeit. Es galt, dem Abfluß des Sees eine neue, schmälere, ausgemauerte Rinne zu schaffen, in der kein Tropfen des so kostbar gewordenen Wassers mehr versickern konnte. Dann sollte der kleine Kratersee selbst mit Asbestplatten überwölbt werden, um das Verdunsten seines warmen Wassers möglichst zu verhindern. Der wortkarge Marsite, der die neue Arbeitskolonne hierhergebracht, aber während der ganzen Fahrt keine Silbe gesprochen, nur in tiefem Nachdenken vor sich hin geschaut hatte, wies jetzt jedem seinen Arbeitsplatz an. Fridolin führte er zu einer neuen Maschine, die von ihm allein bedient werden sollte. Es war eine Art Trockenbagger, womit der Boden in der bereits abgesteckten Linie für die neue Wasserrinne ausgehoben werden sollte. Der Erdensohn, der als ehemaliger Theologe von Maschinentechnik so gut wie gar nichts verstand und an körperliche Arbeit nicht gewöhnt war, sah etwas zaghaft auf die vor ihm stehende große eiserne Maschine. Mit kurzen, klaren Worten erklärte ihm der Marsite deren Handhabung. Die Aushebungsvorrichtung war automatisch und regulierte sich bei richtiger Einstellung von selbst. Mit scharfer Kante versehene Eimer schleiften dicht auf dem Boden und brachten, ebenfalls automatisch, das losgelöste Material hoch und ließen es auf die Ablagerungsflächen gleiten. Trotz ihrer dauerhaften Konstruktion war die Maschine außerordentlich leicht beweglich, was teils einer sinnreichen Vorrichtung, teils der geringeren Schwere infolge des verminderten Luftdrucks zuzuschreiben war. So war es für den Erdensohn nicht allzu schwer, den merkwürdigen Bagger allein zu bedienen.

Fridolin arbeitete und wunderte sich dabei, wie leicht ihm alles wurde. Solche Muskelkraft hatte er auf Erden nie besessen. Es war doch etwas Schönes um die verminderte Schwere. Freilich trat in der ganz außerordentlich dünnen Luft auf solcher Bergeshöhe lebhafteres Atmen, eine höhere Spannung der Blutgefäße ein; aber er gewöhnte sich rascher, als er selbst gedacht, an diese Erscheinungen. Nur eins blieb ihm immer gleich sonderbar und wollte ihm nicht recht gefallen: das war die bedeutend abgeschwächte Stimme. So dünn war hier oben die Luft, daß sie den Schall nur noch schwach verbreitete. Sogar die Arbeit all der wackern Männer nahm dem „Berge des Schweigens“ seinen Charakter nicht.

Und nun reihten sich die langen Tage rastloser Arbeit vom Sonnenaufgang bis zu ihrem Untergange. Nicht nur dem See wurde eine neue Abflußrinne gegraben, den ganzen Berg von der Schneegrenze bis zu seinem Fuße durchfurchten bald solche auszementierte Rinnen, die zu tieferen Rinnsalen zusammenflossen und sich zeitweilig in überwölbten Becken sammelten. Der schweigsame Marsite überwachte alle diese Arbeiten; überall kontrollierte er, ordnete er an, und ein jeder fügte sich seinen Befehlen.

„Wer ist der seltsame Mann?“ hatte der Erdensohn schon am ersten Tage gefragt, und als es Feierabend wurde, hatte ihm Zaran seine Geschichte erzählt:

„Du weißt, Freund Fridolin, daß die polaren Regionen unseres Lichtentsprossenen, im Norden wie im Süden, fast ausschließlich von unsern Gesetzesübertretern bewohnt werden. Wer sich gegen seinen Bruder, gegen das allgemeine Wohl verfehlt, muß seinen Fehltritt durch Arbeit für die Allgemeinheit wieder sühnen. Während dieser Zeit wird sein Name aus den Listen unserer Stämme gestrichen. Namenlos zieht er dorthin, wo unsere Wasserstraßen ihren Ursprung nehmen. Da unsere ganze Existenz von der Erhaltung des Wassers abhängt, ist das Instandhalten unserer Wasserläufe die wichtigste Arbeit für das Gemeinwohl. Dieser Arbeit haben sich somit unsere Brüder ohne Namen zu unterziehen. Es ist dies die einzige Strafe, die wir kennen. Nach einer dem Maße seiner Übertretung entsprechenden Zeit guter Führung steht es dem hierher Verwiesenen frei, wieder zu seiner Familie zurückzukehren. Viele aber ziehen es vor, hier zu bleiben und ihr ganzes Leben fortan in den Dienst ihrer Brüder zu stellen. Das tat auch der, nach dem du mich vorhin fragtest. Mutan hieß er und gehörte dem Stamme der Findigen an. Ich kenne ihn von Lumata her, wo er unser Nachbar war. Doch war er in seiner Jugend dem Ernste des Lebens abgeneigt und allzuviel auf sich selbst bedacht. Seine Pflichten gegen die Gesamtheit erfüllte er so mangelhaft, daß er in die Region der Vergessenen verwiesen wurde. Hier ist ein anderer aus ihm geworden. Der Ernst des Lebens hat ihn gepackt und ihn so sehr von seiner hohen Aufgabe, der Arbeit für seine Brüder, durchdrungen, daß er es ablehnte, wieder nach Lumata heimzukehren. Er blieb im Lande der Vergessenen, an dem Orte, wo die Arbeit einen ganzen Mann aus ihm gemacht. Er hat uns seither mit den großartigsten Erfindungen auf technischem Gebiete überrascht. Wo es eine besonders schwierige Aufgabe zu lösen gibt, versucht sich Mutan daran. Seinem scharfen Verstande, seiner außerordentlichen Geschicklichkeit scheint nichts zu schwer. Die Maschine zum Beispiel, an der du vorhin arbeitetest, hat er ebenfalls erfunden. Und du wirst noch viel Großes von ihm schauen.“

Fridolin Frommherz hatte schweigend zugehört. Zarans Erzählung hatte einen eigentümlichen Eindruck auf ihn gemacht. Dieser Mutan, dessen ernstes, kluges Antlitz ihn merkwürdig fesselte, hatte nichts anderes getan, als „zu viel an sich gedacht“. Und er, Fridolin? Hatte nicht auch er „zu viel an sich gedacht“, als er seine Gefährten verlassen hatte und auf dem Lichtentsprossenen zurückgeblieben war? Wenn man ihn mit solchem Maße messen wollte, dann müßte er auf die Erde zurückkehren und dort den Rest seiner Tage dem Dienste der Menschheit weihen, die er eigenmächtig verlassen hatte.

Rasch schüttelte Fridolin Frommherz jedoch diesen Gedanken ab. Nein, der Lichtentsprossene war jetzt seine Heimat, die Marsiten die Brüder seiner Wahl; zu ihnen gehörte er, und ihnen diente er auch jetzt in den schweren Tagen ihres Existenzkampfes. Aber sooft er Mutan begegnete, kehrte der Gedanke an seine Verpflichtungen gegen die Erde zurück.

Wunderschön war es für Fridolin, in den klaren Nächten das Polarlicht mit seinen zuckenden Strahlen und wechselnden Farben zu beobachten. Noch lieber aber sah er von seiner weitschauenden Höhe nach der Erde aus. Als hellster der Sterne hing sie am nächtlichen Firmamente, stets von ihrem treuen Trabanten gefolgt, der als winziges Sternlein bald rechts, bald links von ihr erschien, da in ihren Strahlen verschwindend, nach einiger Zeit dort wieder auftauchend, in ständigem Wechsel. Freilich, wenn die Erde in Marsnähe war, dann war sie nur als schmale Sichel sichtbar; aber gerade die Beobachtung ihrer Phasen war für den Erdensohn besonders interessant. Schon mit bloßem Auge war ein deutliches Zu- und Abnehmen zu sehen, mit den außerordentlich scharfen Instrumenten der Marsiten aber waren nicht nur die Beleuchtungsverhältnisse, waren auch Erdteile und Meere, ja selbst die größeren Länder zu erkennen. Wie oft grüßte der Schwabe vom Berge des Schweigens aus mit dem Auge die deutsche Heimat! Eine eigentümliche Erscheinung fiel ihm beim Beobachten der Erde durch das Teleskop des öfteren auf: er sah deutlich, daß die Strahlen der Sonne auch noch nach solchen Punkten der Erdoberfläche hindrangen, für die sie eigentlich schon untergegangen sein mußte. Er befragte Zaran darüber.

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01 марта 2019
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