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I Das Buch Thoth –
meine persönliche Geschichte
1967 – 1968 (Erste Berührung)


Charles im Juni 1968 in der Tenne, einem Nachtclub in Konstanz

Meine erste persönliche Berührung mit dem magischen Branding des Meisters hatte ich im Flower-Power-Hippie-Sommer 67, als mir jemand in der Kasernendisco in Göppingen, in der wir jeden Abend für die GIs rockten, bevor sie nach Vietnam ausgeflogen wurden, ein schrilles Buch mit der Bemerkung in die Hand drückte, das sei ein Text über den größten Satanisten dieses Jahrhunderts. Möglicherweise war es mein umgedrehtes Kreuz um den Hals aus einem Dracula-Film, das mich für dieses Präsent prädestinierte, vielleicht aber auch der Status des Drummers einer professionellen Rockband mit 900 Mark Monatsgehalt, was damals der Traum eines jeden Jungen war. Es war der Sommer des Welthits All you need is love, der Vorbote oder der Sommer vor dem Sommer der Liebe, der ein Jahr später kam: ein halbes Jahr bevor die Beatles ihr Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band-Album herausbrachten und die Stones ihr Their Satanic Majesties Request-Opus hinterher schoben, als Swinging London auf dem Höhepunkt shakte und swingte und sich die ersten Meditationsgruppen bildeten, die ein Jahr später in den fernen Osten pilgerten, die ersten Joints die Runde machten, aber nur unter den Trendsettern, die wussten, wo das Zeugs herkam. Als Jimi Hendrix auf dem Höhepunkt seiner Karriere seine Sternenbannerhymne durch die Metallsaiten quälte und durch die monströsen Marshalltürme wie Manna über die entrückte Zuhörerschaft ausstreute, als California dreaming Marihuana invoziering sich mit dem Sound von Mamas and Pappas oder Tyrannosaurus Rex allmählich in den Gehirnnebeln festsetzte und alle von einer Hippieranch oder einer Landkommune träumten, bis uns der Sharon Tate-Mord um Charles Manson aus unserer Haschischwolke aufschreckte. Es war die Erinnerung an die Illusion einer Gesellschaft von freien Menschen, wie sie sich zu Hunderttausenden im Schlamm von Woodstock suhlten, die Vision, wie sie friedvoll miteinander umgingen, wie sie aßen, schliefen, kackten, sich liebten und miteinander stritten, Babys zeugten, Freundschaften schlossen, Pot rauchten, Gedichte schrieben, Filme drehten, Bullen verarschten, einfach der ganz normale (abgehobene) Alltag, wie ich ihn am Ende der sechziger Ära in Erinnerung hatte. Unter dem kosmischen Sound der Hendrix-Nummer 3rd Stone From The Sun auf der ersten LP waren wir zum Aufbruch bereit, es fehlte nur noch ein Kick, ein Auslöser, da alles, was in der Luft lag, noch nicht richtig greifbar war und erst ein Jahr später gesellschaftliche Realität wurde, und deshalb kam mir der erste Kontakt mit den Schauergeschichten des grusligen Schwarzmagiers gerade recht. Es passte einfach wunderbar ins Konzept. Oder vielleicht zu dem mir bislang unbekannten Teil meines unterschwellig brütenden, magischen Charakters.

H. R. Giger und Albert Hofmann im Frühling 2007


H. R. Giger und Sergius Golowin 1973


Timothy Leary und Sergius Golowin im Sinus-Studio in Bern 1972

Bei mir schlug Meister Therion wie eine Bombe ein, und als dieser Jemand, der mir diese Schrift in die Hand drückte, weiter erklärte, dass es sich bei diesem Menschen um einen Abtrünnigen direkt aus der Hölle handelte, dem jede menschliche Regung fehlte, passte das wie die Faust aufs Auge meines unschuldigen, wertherhaften Klischees des unverstandenen Bösen. Dass er daneben auch noch über übersinnliche Kräfte verfügen sollte, die er wie Mephisto in Goethes Faust zum vordergründigen Schaden seiner Umwelt benutzte, die seine Strategie nicht durchschaute, bis sich irgendwann alles wieder zum Guten wendete, war eigentlich nur folgerichtig. Auch wenn man weiß, dass es die inneren Prägungen oder unentdeckten Neigungen eines jungen Menschen sind, die sich ihn an die passenden äußeren Plattformen herantasten lassen, um seine eigenen unentdeckten Anteile nach außen zu tragen und in einem passenden Label spiegeln zu können, so wurde (meine Vorstellung von) Crowley plötzlich zum Sahnehäubchen auf dem etwas lauwarmen Gebräu meiner Weltanschauung, denn die Schamanen, die mich später auch anzogen, waren mir noch nicht bekannt1 und die langsam aufkeimende intellektuelle Auseinandersetzung mit politischen Fragen, die ein paar Monate später folgte, war mir ohne magischen Konsens in ihrer theoretischen Art zu trocken, sodass ich die Inhalte immer wieder mit ein bisschen Dampf aus der Wasserpfeife »nachspülen« musste. Das war noch bevor Politik vielen jungen Menschen auch Spaß zu machen begann, da sie den Alten das Fürchten beibringen konnten, wenn sie gegen den Vietnamkrieg protestierten und Molotowcocktails gegen den Kapitalismus warfen oder sich zu einer Demonstration vor dem Pentagon zusammenfanden. Noch bevor Ulrike Meinhof in der Zeitschrift Konkret ihre eigene Kolumne hatte, Herbert Marcuses kritische Weiterführungen sozialtheoretischer Ansätze von Hegel, Marx und Freud sich in hitzigen Diskussionsrunden in Studentenbuden mit Räucherkerzen und Potgeruch mischten, die Mao-Bibel im Entree jeder anständigen Kommune manchmal direkt neben Theodor Adornos fulminanter Entlarvung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse oder gar ausgehängten Scheißhaustüren als Zeichen kapitalistischer Befreiung lag2. Und auch ein paar Monate bevor die ersten Horrormeldungen über einen abgefahrenen Harvard-Professor über den großen Teich herüberschwappten, der in einem großen Interview von einer Wahnsinnsdroge erzählte, die der Schweizer Chemiker Albert Hofmann entdeckt (und in einer rasenden Velofahrt durch Basel nach deren versehentlichen Einnahme – ohne Kopfhörer und Pink Floyd-Sound – gleich auch selbst eingeweiht) haben soll. Die Rede war von einer Zauberpille, die das Bewusstsein in einen anderen Seinszustand katapultierte, von neuen menschlichen Schaltkreisen im Nervensystem, die dadurch erfahrbar werden, Quantensprüngen, die unsere Entwicklung angeblich so verfeinerten, dass wir wie Tachyonen aus den okkulten Traditionen unserer Gesellschaft hinausgeschleudert wurden. Erinnerungen übrigens, die heute in Phonokinetoskopen simuliert werden, um das Gefühl zu wiederholen, wie es war, als wir uns damals mit einer Birne voller Acid und Moody Blues im Ohr beinahe darüber totlachten, als der Kellner in einem Restaurant für die Getränke plötzlich Geld einziehen wollte, weil das mit dem flöten- und sitarunterlegten Om aus In Search of the Lost Chord im Hinterkopf nicht zu vereinbaren war. Ich ahnte damals nicht, dass Timothy Leary schon drei Jahre später auf seiner Flucht vor der amerikanischen Justiz Anfang der Siebziger bei uns im Schweizer Exil landen würde, umgeben von einem illustren Kreis Psychedelikern unter dem Primus inter pares Sergius Golowin und unter Beisein vieler junger Rebellen wie H. R. Giger, Walter Wegmüller oder auch der Züricher Hell’s Angels, bevor ihn die Behörden schließlich wieder in die USA auslieferten. Was ich aber noch weniger ahnte war, dass der besagte Professor einen direkten Kontakt zu Israel Regardie hatte, der nicht nur Weggefährte, sondern zwischen 1928 und 1932 auch Crowleys persönlicher Sekretär war und Leary mit dessen Werk in Verbindung brachte. Es lag auf der Hand, dass der mit LSD und anderen mystisch-ekstatischen Erfahrungen experimentierende »Drogenpapst« Leary sich prächtig mit dem Ex-Sekretär des »verruchtesten Mannes dieses Planeten« verstand. Leary bekannte sich später öffentlich zu den Schriften Crowleys und seinem thelemitischen Einfluss.


Asyl für Timothy Leary – Brief vom 3. 7. 1971 an den Bundesrat, die höchste schweizerische Instanz

Mein unbekannter Freund, nennen wir ihn einmal in Anlehnung an Crowleys Terminologie meinen persönlichen Schutzengel3, faselte unter dem Mantel der Verschwiegenheit irgendetwas von einer Rache an einigen hundert Jahren europäischer Kultur-Bevormundung durch die Verbindung von Musik und Magie, was ich nicht richtig verstand, jedenfalls beschwichtigte er mich, als ich ihn blöd anglotzte, mit dem Spruch, Crowley sei auch der Schöpfer des Friedenszeichens gewesen (gespreizter Zeige- und Mittelfinger), mit dem wir Hippies uns untereinander grüßten, und damit waren meine Bedenken zerstreut. Er sagte weiter, jede Veränderung begänne mit Provokation und Rebellion. Das wäre die Hefe im Teig der menschlichen Entwicklung, aber am Ende jeder Entwicklung entstünde eine bessere Welt. Diese Argumentation war mir aus meiner Pubertät nicht unbekannt, als wir die Autoreifen unserer Nachbarn zerschnitten und alles, was unsere Väter für gut befanden wie beispielsweise ein gesichertes Studium, rundweg ablehnten. Ich kam mir vor wie Richard Wagner auf den Dresdener Balustraden, der sich plötzlich inmitten eines Aufstandes fand, obwohl ihn im Bann seines eigenen Schöpferdämons Politik eigentlich gar nicht interessierte. Genauso wenig beschäftigte mich auch die revolutionäre Botschaft, die er mir da ins Ohr säuselte, und Probleme mit dem Christentum hatte ich bis anhin auch (noch) keine4, aber die Bezeichnung größter Satanist war schon eher etwas, das in meinen Ohren klingelte, denn ein solcher Titel kam in meiner persönlichen Gewichtung gerade nach den Begriffen größter Schlagzeuger oder größter Gitarrist. Um die Jahrhundertwende, fuhr mein himmlischer Schutzengel an diesem heißen Juni-Spätnachmittag in der stickigen Disco fort, bevor er für immer verschwand, soll der Magus in der Wüste eine Vision gehabt haben, die ihm versicherte, dass er Luzifer persönlich sei, und auch, wenn man später erfuhr, dass diese Halluzination auf seine Mutter zurückging, die ihn Beast oder Tier 666 nannte, wenn er als Kind unartig war, eine Bezeichnung, die sie als frömmelnde Sektiererin der Johannes-Apokalypse entlehnte (Offenb. 11,7), tat das der Begeisterung keinen Abbruch. Sätze wie Der Weg zum Himmel führt durch die Hölle waren einfach zu stark, um meinen rebellischen Geist nicht zu entzünden, und mein magischer Verstand folgerte messerscharf, diese Botschaft müsste in den geplagten Köpfen rebellierender Gymnasiasten und Lehrlinge gut ankommen. Ich malte mir förmlich aus, was für ein kreativer Stich ins Herz eines jeden verkrusteten Paukers es doch wäre, wenn ihm die Schüler auf die Standardfrage Was wollt ihr werden? nicht mit einer üblichen Standardantwort wie Arzt oder Rechtsanwalt, sondern mit einer crowleyschen Vision wie beispielsweise Rächer der Enterbten, Advocatus Diaboli der Intellektuellen oder einfach größter Magier dieses Jahrhunderts kämen. Also gründeten wir flugs unseren magischen Kreis. Andere Schauergeschichten, dass Crowley Fledermäusen den Kopf abbiss oder Ziegen schlachtete, gingen mir dagegen auf den Geist, denn ich hatte schon immer etwas gegen körperliche Gewalt. Mich interessierten vielmehr die psychischen Prägungen, die Menschen beeinflussen, und die Möglichkeit, wie man solche unbewussten Befehle selbst manipulieren kann. Und auch die sexuellen Protzereien, von denen das Buch nur so strotzte, interessierten mich nur soweit, wie sie mir halfen, mit meiner verklemmten Sexualität endlich alle Frauen flachzulegen, indem ich mir ein mystisches Gebräm überzog und damit meinem geschrumpften Selbstbewusstsein einen gehörigen Wachstumsschub verpasste. Auch der Höhepunkt der geschilderten Provokationen, dass es beispielsweise zu seinen zahlreichen Perversionen gehörte, sich auf den Teppich zu entleeren mit der Behauptung, seine Exkremente seien etwas magisch Anmutendes, ließen mich völlig unberührt; sie fielen mir erst wieder ein, als Fritz Teufel zwei Jahre später in einem großen Happening mitten in seiner Gerichtsverhandlung den Richtern auf den Tisch schiss.

1969 – 1972


Timothy Leary und Sergius Golowin

Der kulturelle Wandel in den Sechzigern, ausgelöst durch die Beatles und Stones, die die Aufbruchstimmung des Rock’n’Roll oder den revolutionären Ansatz eines James Dean wieder aufnahmen und das Ganze plötzlich mit Drogen und Flower Power mischten, konnte auch an Meister Therion nicht wirkungslos vorübergehen. Er wurde von den Hippies nicht nur wegen seiner Drogenphilosophie5, sondern auch wegen seines freien Sexverhaltens zum Drogenpionier und Urvater einer freieren sexuellen Gesellschaft ernannt, die es plötzlich schick fand, vom Geist Crowleys mit dem Ziel einer gesellschaftlichen Revolution »entjungfert« zu werden. Derselben Meinung waren auch die findigen Journalisten des Sunday Times Magazines,die ihren Landsmann 1969 in einer Auflistung der tausend kreativsten Macher des 20. Jahrhunderts neben Lenin und anderen Berühmtheiten auf die Titelseite setzten. Andere verbreiteten das Gerücht, dass Crowley es war, der Aldous Huxley Experimente mit Meskalin empfahl und damit entscheidend zur Bibel der Hippie-Bewegung, Huxleys berühmtem Drogenwerk Die Pforten der Wahrnehmung, beigetragen habe. Das und ein paar andere Geschichten führten dazu, dass Crowleys Geist hinter den engen Bereichen seiner okkulten Gemeinde wieder hervorzuschielen begann, in denen er seit seinem Tod gefangen war, und sein Werk langsam Zugang zu einer größeren Öffentlichkeit fand, nachdem seine Person wieder ein gewisses Interesse erweckte, da er wie so viele andere »schrille Vögel« im nüchternen Wirtschaftsaufbau der Nachkriegsgesellschaft völlig untergegangen war.


Beatles, Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, 1967, Apple (Pfeil weist auf Aleister Crowley)


Black Sabbath, 1970, Warner Bros. Records

Jedenfalls schien eurem geneigten Schreiber die Zeit zum Aufbruch allmählich gekommen, denn kaum hatte er einen gewissen regionalen Status als Magier erreicht, war Aleister Crowley plötzlich Kult und strömte in Form einer neuen Welle von Okkultrockern aus allen Musikboxen und Radiohitparaden, während die Beatles gleichzeitig nach Indien zu ihrem Yogi Maharishi pilgerten, bevor sie sich später im Magical Mysterie-Filmprojekt verirrten. Man nannte dieses Phänomen mit seiner Mischung okkulter Elemente von Bühnenshow, lasziven Texten von Schwarzen Messen, Hexenkult und Teufelsbeschwörungen und sinistren Plattenhüllen Okkultrock. Wenn es aus heutiger Sicht ähnlich der gestylten Gruftie-Szene auch eine völlig harmlose Sache war, die einfach ein bisschen mit den Zitaten des Okkultismus spielte, so erschienen solche Leute nach außen doch ungeheuer gefährlich und irgendwie mit dem Teufel im Bunde. Natürlich hatten die Gerüchte einen gewissen Hintergrund, aber der war weder teuflisch noch magisch. Er hatte zwei ganz simple Namen: halluzinogene Drogen und – daraus abgeleitet – jugendliche Überheblichkeit und Größenwahn. Es war die vorherrschende Haltung der Rockstars gegenüber dem Establishment und den Medien, wobei sie sich – und wir mit ihnen – dabei unwahrscheinlich klug vorkamen. Statements der (ab-)gehobenen Art wie beispielsweise Wir versuchen, mit unserer Musik den Leuten in dieser beschissenen Welt einen Sinn zu geben, vom Frontman der Gruppe Black Sabbath anlässlich ihres Plattendebüts vor der versammelten Presse zum Besten gegeben, waren keine Ausnahme. Das war einfach so. Der Spruch war nicht einmal überdurchschnittlich dämlich, sondern bloß durchschnittlich blöd, wenn ich auch zugeben muss, dass mich nicht nur das Cover mit der verfallenen Mühle, dem verfaulten Tümpel und der gespenstischen Lilith im Vordergrund vom Hocker haute, sondern auch der so genannte Tritonus, jene verminderte Quinte, die schon Niccolo Paganini zum Teufelsgeiger machte und die den Titelsong Black Sabbath einleitete, vom passenden Glockengebimmel umrahmt, das gern als untermalender Effekt in Gruselfilmen verwendet wird. Zehn Jahre später widmete der Sänger dieser Band, Ozzy Osbourne, seinem Vorbild einen Song, Mr. Crowley, der, wenn auch etwas hirnrissig, bei den Leuten gut ankam und für einen vollen Klingelbeutel sorgte. Osbourne war sowieso der Genialste, wenn es darum ging, sich mit den Federn Meister Therions zu schmücken, und er scheute sich nicht, zusammen mit Crowley samt Scharlachfrau auf einem durch Fotomontage zusammengebastelten Plakat zu posieren. Das aber nur nebenbei.


Boleskine House (Landschaft)

Durch die Welle der Entrüstung seitens der erschreckten Bürger und Moralhüter wurden auch Mitläufer und Trittbrettfahrer für die Gazetten ein ergiebiges Thema, wie heute noch, wenn es um Okkultismus oder Satanismus geht, und plötzlich fanden wir uns im ersten scheuen Lichtstrahl des öffentlichen Interesses, wenn auch etwas mehr im Schattenbereich, für den ein zweiter Scheinwerfer aufgestellt werden musste, damit der Schatten ins Licht hervorgelockt werden konnte. Die Zeitungen schrieben von einer neuen Geisteshaltung, einer neuen Religion, die dem Aufbruch zu den indischen Yogis nach beatlemanischer Art diametral entgegenstand. Als Seuchenherde rekrutierten sie die okkulten Rockgruppen, die den Nährboden für diese Brut bildeten. Der ganze Affenzauber war natürlich mehr albern als gefährlich, ein Instrument der eigenen Persönlichkeitsfindung, aber durch das Gewicht, das sich da wie ein Lavastrom über uns »Satansjüngern« ausgoss, standen wir mit einem Mal im Mittelpunkt und mussten uns für dieses Vertrauen gegenüber der Öffentlichkeit irgendwie rechtfertigen. Wir taten das, indem wir mit dem gesellschaftlichen Klischee in Übereinstimmung zu kommen suchten. Das war gerade der Kick, denn würden wir die Menschen in ihrer Erwartung enttäuschen, dann würden sie die »teuflische« Projektion wieder von uns abziehen, das brüchige Gerüst unserer neu erworbenen Identität fiele wie ein Kartenhaus in sich zusammen und wir wären wieder das, was wir schon vorher waren – nichts! Also holten wir unseren größten Schmonzes aus der inneren Selbstdarstellungskiste und die Journalisten haben alles gefressen, was wir ihnen auftischten, obwohl sie es eigentlich besser wissen mussten – aber sie wussten natürlich auch, was bei den Lesern gut ankommt. Es ist das Thema, das nach dem Sex die tiefsten inneren Instinkte anspricht: die verdrängte Lust am Bösen als eine Form der unerlebten Freiheit. Ich war, ohne es richtig zu verinnerlichen, schon ganz im Sinne Crowleys unterwegs, nicht im Geiste Crowleys, aber immerhin im passenden magischen Gewand. Den betreffenden Namen hatte ich gleich zur Hand: Blackstone Inspiration. So taufte ich 1969 unsere Untergrund-Zeitung.


Werbung für die Hard-Rock-Gruppe Led Zeppelin. Auf der Titelseite unterstreicht Jimmy Page seine Verbindung zu Crowley.

Im Buch, das mir mein »Schutzengel« überlassen hatte, standen auch ein paar gruslige Storys von einem geheimnisvollen Landsitz, in dem Crowley mit seinen Geistern kommuniziert und seine erste große magische Zeremonie abgehalten haben soll. Die Leute im Dorf hatten alle Angst vor ihm und seinen dunklen Kräften und es wird auch von Menschen berichtet, die den Verstand verloren oder unter mysteriösen Umständen ums Leben kamen. Dort, am Ostufer von Loch Ness, inmitten der alten, an das Grundstück grenzenden keltischen Gräber, die in den Sagen als Treffpunkt schwarzer Hexen beschrieben wurden, war die Rede von der Beschwörung von Abra-Melins Dämonen, die Crowley herbeirief, aber nicht unter Kontrolle brachte, vom Chaos, das ausbrach, von Dienern und Freunden, die ins Delirium fielen.6 Als sich in der Szene herumsprach, dass Jimmy Page, der gefeierte Leadgitarrist der sagenumwobenen Rockgruppe Led Zeppelin Crowleys gespenstischen Landsitz Boleskine mit Blick auf Loch Ness gekauft hatte, um sich zwischen den Tourneen oder Plattenaufnahmen zurückzuziehen und Magie zu tanken, nebst einem Buchladen mit dem sinnigen Namen The Equinox, Crowleys gleichnamiger Zeitschrift, da war’s unserem jungen Helden klar: Eine gute Band musste her, mit der er auf Tournee gehen konnte (= Die Reise des Helden), und ein Landhaus, um die okkulten Feiern zu veranstalten. Also formierten wir eine passende Band und zogen in den Bayerischen Wald, mieteten ein altes Gemäuer, probten wie die Verrückten und feierten Schwarze Messen, gaben Interviews, hielten Pressekonferenzen ab und gaben eine Pressemitteilung heraus, dass wir für unsere Bühnenshow eine passende Darstellerin suchten, die sich als »nackte Jungfrau« ans Kreuz schlagen ließ7, experimentierten mit Texten, die verschlüsselte Botschaften enthielten8, wenn man sie rückwärts abspielte, eine Technik, die Crowley zugeschrieben wurde und die ich mir auch aus dem besagten Buch entlehnt hatte. Dieses Rückwärtseinspielen von Plattenaufnahmen, wodurch geheime Botschaften übermittelt werden, wurde später berüchtigt. Das prominenteste Beispiel ist Led Zeppelins Welthit Stairway to Heaven, der vordergründig einen Passus aus der ägyptischen Mythologie beschreibt, rückwärts gespielt aber ein satanisches Glaubensbekenntnis enthält. Uns schienen diese Gedankengänge plausibel, denn wir hatten gelesen, dass die Satanisten einfach das Christentum umkehrten, indem sie statt einer Friedenstaube einen schwarzen Raben zur Kultfigur machten. Es war ja ganz leicht, so böse wie Crowley zu sein: Wir mussten nur die Grabkreuze auf dem Friedhof auf den Kopf stellen und das Vaterunser rückwärts beten, diesen ganzen verrückten Unsinn halt, der in seiner gängigen Einfachheit die Gefühle bewegte und unsere unterschwellig dunkle romantische Art ans Tageslicht brachte. Gut, ich will es hier zugeben: Wir hatten auch ein bisschen Hegel und Fichte in unser magisches Bekenntnis eingestreut, denn ganz so bekloppt wollten wir unter den Studenten nicht dastehen.


Die Frau am Kreuz (nach dem ursprünglichen Model 1971, das für die Band posierte)


»In Regensburg wurden ihnen die Instrumente gestohlen, in einem Kölner Lokal wurde ihre ganze Anlage ein Raub der Flammen. Trotzdem sind Amon Düül weiter ›topfit‹, was sie am Samstag um 20 Uhr in der Regensburger Uni-Mensa unter Beweis stellen wollen. Neu ist, daß die Gruppe jetzt zusammen mit der Thallmassinger Kommune ›Black Mass‹ ein musikalisches Kollektiv bildet, was einen interessanten Klangkörper geben dürfte. ›Black Mass‹ allein sind, so der Ingolstädter ›Donaukurier‹, bereits ihr Eintrittsgeld wert.« Mittelbayerische Zeitung, 20. Juli 1971

Neben Led Zeppelin und Black Sabbath gab es im okkulten musikalischen Eintopf anfangs der 70er Jahre ein paar weitere Kracher wie Deep Purple oder Rainbow mit ihrem Sänger Dio9, anfänglich noch die Rolling Stones, die 1967 von keinem Geringeren als von Anton Szandor La Vey, Gründer und Hohepriester der First Church of Satan, der Satanskirche in San Francisco, zu ihrer grandiosen Platte Their Satanic Majesties Request inspiriert worden sind, wenn man dem Gerücht Glauben schenken darf. Kurz darauf entstand der Song Sympathy for the Devil, um deren Eingebung sich der satanische Oberhirte mit Kenneth Anger, Filmemacher und selbsternannter Crowley-Schüler, der zusammen mit dem Sexualforscher Robert Kinsey die erotischmagischen Fresken des Meisters in der Abtei Thelema in Cefalù aus dem Staub hervorbuddeln und fotografieren ließ10, zeit seines Lebens stritt. Das Lied wurde dann auch nur sehr bedingt eine Hymne für Satansanbeter, dafür aber ein Hit für die ganze Welt. Ähnlich konfuse Mythen ranken sich um das 30-Minuten-Filmkunstwerk Lucifer Rising, das einer Zusammenarbeit zwischen Anger und den Rolling Stones entsprungen sein soll. Anger, eine der Protagonisten der amerikanischen Untergrundfilmszene, produzierte zwar ein packendes, künstlerisch interessantes, wenn auch aus heutiger Sicht nicht übermäßig schockierendes Sittengemälde, das seinerzeit für großes Aufsehen sorgte. Weniger des teuflischen Inhalts, sondern mehr der äußeren Begleitumstände wegen, als Jagger in dem Film die Hauptrolle spielte sollte, nachdem sein Vorgänger, der Gitarrist Bobby Beausoleil von der Gruppe Lovecraft aus unerklärlichen Gründen Amok gelaufen ist und im Zusammenhang mit der Kommune um Charles Manson gemordet haben soll. Jagger hat dann zwar in einem Fragment, Invocation of My Demon Brother, den Luzifer gemimt und den Soundtrack eingespielt, ist aber nach dem verheerenden Massaker der Hell’s Angels im Dezember 1969 in Altamont Speedway, die als Ordner bestellt waren und eine Welle der Gewalttätigkeit auslösten, bei dem die 18jährige Schwarze Meredith Hunter erstochen wurde, wieder ausgestiegen. Es war ein Fall, der damals um die Welt ging, und seither zählt Altamont als das schwarze Gegenstück zum sonnigen Woodstock. Der Soundtrack zu Lucifer Rising, dem Crowleys Hymn to Lucifer unterlegt ist und zu dem nach unbestätigten Gerüchten Jimmy Page eine Filmmusik geschrieben haben soll, wurde von Bobby Beausoleil mit seinem Freedom Orchestra 1967 eingespielt und 2002 im Hochsicherheitstrakt vollendet, wo er eine lebenslängliche Strafe wegen des besagten Mordes, möglicherweise aber auch im Zusammenhang mit seinen Kontakten zu Charles Manson und dessen Family, verbüßt. Auf der undatierten CD Anfang der 90er Jahre wird er zumindest als Composer aufgeführt. Während sich die Rolling Stones wieder ins kommerzielle Showbusiness verabschiedeten, ging die Sache für einen anderen exzellenten Musiker, Graham Bond, der sich für Crowleys unehelichen Sohn hielt und in dessen Organisation Musiker wie beispielsweise Dick Heckstall-Smith, Jon Hisemann, Jack Bruce, Ginger Baker oder John McLaughlin zu absoluten Berühmtheiten heranreiften11, nicht so glimpflich aus. Seine beiden letzten Platten waren Holy Magick (1970), auf der er in ägyptischer Sprache ein Kabbalistisches Kreuz anbetete und ein Pentagramm-Ritual vollzog, und We Put Our Magick On You (1971), ein kleines Opus über White Magic, also Magie, die die hellen Kräfte der Menschen freisetzt, weswegen auch beim Herabrufen des Großen Lichts, dem Zelebrieren des Crowley-Rituals The Bringing Down of the Light, sinnigerweise eine Studiowand in Flammen aufgegangen sein soll, bevor man ihn 1974 unter merkwürdigen Umständen völlig verstümmelt unter der Londoner U-Bahn hervorzog und nur aufgrund seines Siegelringes identifizieren konnte. Mein persönliches Inferno erfolgte kurz zuvor, 1972, als mir der Bayerische Freistaat ohne Nennen von Gründen, aber wahrscheinlich wegen dem Spektakel um Teufelsmessen und nackten Jungfrauen in den Medien die Arbeitsbewilligung in Deutschland nicht verlängerte.


Kenneth Anger, Lucifer Rising,

The Soundtrack Album of the Film, 1967 (2002 vom Komponisten im Hochsicherheitstrakt vollendet)


Graham Bond, We Put Our Magick On You, 1971, Vertigo


Regensburger Woche, 25. März 1971

399
477,84 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
346 стр. 127 иллюстраций
ISBN:
9783905372472
Издатель:
Правообладатель:
Автор
Формат скачивания:
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