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Teil eins

Kapitel 1
▶ Grundlagen
1.1 In Hypnose ‚beamen‘ und a ist das Problem?

Ein morgendlicher Telefonanruf:

Eine Männerstimme: „Bin ich da richtig bei Frau Dr. …?“

Ich: „Ja, Sie sind richtig.“

Der Herr: „Ich interessiere mich für Hypnose.“

Ich, freundlich: „Ja?“

Der Herr: „Ich möchte, daß Sie mich in Hypnose versetzen, damit ich meine Angst loswerde.“

Na, das ist alltäglich, und ich reagiere sachlich: „Hm, im Prinzip kann Hypnose in der Angsttherapie sehr erfolgreich eingesetzt werden. Von wem kommen Sie denn, wer hat Sie an mich empfohlen?“

Der Herr: „Ich komme über diesen Verein, wie heißt er gerade noch, ‚Verein für Deutsche Hypnose‘.“

Ich: „Aha, über die ‚Deutsche Gesellschaft für Hypnose‘.“

Der Herr: „Richtig, über die Therapeutenliste der ‚Deutschen Gesellschaft für Hypnose‘.“

Im stillen denke ich mir: „Typisch. Wieder ein Artikel in der Radiozeitschrift oder in einem Heftchen in der Arztpraxis und einem schon bekannten dummen Mythos aufgesessen oder womöglich noch etwas aus meiner eigenen Feder in einem Gesundheitsmagazin und nicht offen für Bekehrung … und dann darunter die MEG- und DGH-Adresse …“

Der Herr unterbricht mein Räsonieren: „Wissen Sie, ich mache schon eine Psychotherapie, eine ganz normale. Jetzt will ich aber endlich meine Angst weghypnotisiert haben.“

Ich betone nochmals, daß Hypnose prädestiniert in der Behandlung von Angstsymptomen eingesetzt werden kann, informiere den Herrn aber auch, daß Symptome meistens ja ihre Geschichte und auch einen Sinn haben, so daß man sie nicht einfach „wegzaubern“ dürfe, was auch nicht funktioniere. In Hypnose könne leider, aber eigentlich auch glücklicherweise, niemand anderer für einen selbst das Problem erledigen. Dagegen verhelfe der veränderte Bewußtseinszustand der Hypnose einem aber dazu, ganz selbständig neue Kräfte zu mobilisieren, so daß man letztendlich selber das Problem lösen könne. Das sei doch auch viel besser. Und außerdem befände er sich ja schon in Therapie …

Ich komme nicht weit:

Der Herr: „Und das Rauchen? Können Sie mich nicht dafür in Hypnose ‚beamen‘, damit ich aufhören kann?“

„Oh, là, là ein hartnäckiger Fall“, geht mir durch den Kopf.

Ich erkläre weiter, daß Hypnose nur in einen psychotherapeutischen Rahmen eingebettet angewendet werden sollte. Auch ich würde Hypnose ausschließlich innerhalb meiner Psychotherapien einsetzen. Und da er sich schon in einer Therapie befände, bliebe mir nur übrig, ihm eine Empfehlung zu geben, und ob er diese anhören wolle.

Der Herr: „Werden Sie mich jetzt durchs Telefon hypnotisieren?“

Amüsiert antworte ich: „Durchs Telefon? Eigentlich nicht, aber wer weiß, nichts ist unmöglich. Und Sie sind ja wirklich zu vielem bereit, um Ihre Angst zu verlieren. Das ist gut. Dann werden Sie auch erfolgreich sein!“

Klingt wie eine klassische Suggestion, könnte sogar wirken, bei der Motivation …

Pause.

Gespannte Aufmerksamkeit auf der anderen Seite.

Ich: „Wollen Sie meine Empfehlung nun anhören, um sich besser zu fühlen und sicherer zu werden?“

Der Herr deutlich: „Ja.“

Ich: „Lernen Sie Selbsthypnose! Kaufen Sie sich dazu das Buch Selbsthypnose von Brian Alman, studieren Sie es, machen Sie die Übungen und besprechen Sie alles mit Ihrem Therapeuten.“

Der Herr, hörbar aus allen Wolken fallend: „Ich soll da selber was machen können?“

Ich, die sich zufällig ergebende Chance nutzend: „Ja, Sie können, weil Sie wollen!“

Der Herr, verwundert, aber sich öffnend: „Meinen Sie?“

Ich: „Ja, ich meine nicht nur, ich bin sicher. Sie werden davon profitieren.“

Der Herr: „Warum nicht?“

Ich: „Ja, warum nicht. Alles Gute!“

Dieses Gespräch gibt die typische Erwartungshaltung wieder, der wir als Hypnotherapeuten ständig von neuem ausgesetzt sind und für die wir gewappnet sein müssen. Im Moment des Niederschreibens am PC erhalte ich einen fast identischen Anruf, auch was die nachträgliche Frage nach der Raucherentwöhnung anbelangt, nur unterschieden durch die Aufzählung aller bisher durchlaufenen therapeutischen und medizinischen Stationen (zur Beseitigung einer Schlaflosigkeit der Aufenthalt im Schlaflabor etc.) und durch den Hilferuf:

„Sie sind meine letzte Rettung!“

1.2 Mythen und Vorurteile

Die ganz besonderen ‚Hypnosephänomene‘, die von uns Hypnotherapeuten, ob wir es wünschen oder nicht, wie automatisch Besitz ergreifen

Der Glaube des Laien:

Hypnose ist nur bei leichtgläubigen und einfältigen Personen anwendbar.

Hypnose erzeugt Abhängigkeit.

In Hypnose benimmt man sich auf peinliche Art und Weise.

In Hypnose erzählt man widerstandslos alles über sich.

Aus dem hypnotischen Zustand kann man eventuell nicht zurückkehren.

In Hypnose geht man in eine Art Koma.

Jemand anderer kann einen im hypnotischen Zustand zu unfreiwilligen Aussagen oder Handlungen mißbrauchen.

In Hypnose ist man dem Therapeuten ausgeliefert.

Jemand anderer (der Hypnotiseur oder der Hypnotherapeut) könne für einen etwas auf magische Art und Weise (möglichst innerhalb einer Sitzung) erledigen.

Der Hypnotherapeut ‚versetzt einen in Hypnose‘ und manipuliert dann am Symptom, bis es weg ist.

Die immer noch verbreitete Ansicht in Fachkreisen:

Nur bestimmte (suggestible, ‚einfach strukturierte‘, ‚hysterische‘) Leute sind „hypnotisierbar“.

Hypnose ist einfach nur Entspannung.

Hypnose ist ein schlafähnlicher Zustand.

Hypnose deckt Probleme nur zu.

In Hypnose wird (gefährlicherweise) nur symptomorientiert gearbeitet.

Hypnose ist bei Depressionen kontraindiziert, sogar gefährlich wegen angeblicher Begünstigung suizidaler Tendenzen und starker Abhängigkeit vom Therapeuten.

Hypnose ist das Eintrichtern einfacher positiver (und natürlich unwirksamer) Formeln.

1.3 Hypnose aber wirkt anders

Kurzgefaßt: Der hypnotische Zustand entkrampft physisch und psychisch. Durch Tiefenentspannung mit vegetativer Umstellung bzw. Harmonisierung wird somatische Heilung unterstützt.

Psychisch wird mehr Freiraum gewonnen, mental werden innere Bezugsrahmen erweitert und Handlungsspielräume vergrößert. Insgesamt können wir von einer Stärkung der Persönlichkeit im positiven Sinne ausgehen, womit die Autonomie des Patienten gefördert wird. Traumata können aufgefunden und bearbeitet werden. Hypnose verändert innere Bilder.

Gute Erfolge lassen sich in der Schmerztherapie und in der Behandlung psychosomatischer Krankheiten verzeichnen.

1.4 Hypnose in Stichpunkten

Nach Milton Erickson beschreiben vier Worte, die alle mit dem Buchstaben ‚E‘ anfangen, die Hypnose: Excitement – Experiment – Experience – Enjoyment

Hypnose ist:

 – primär entspannend, somit entängstigend (ent„eng“stigend) und tief erholsam;

 – ein veränderter Bewußtseinszustand mit ausgeprägten Alpha-Phasen in der rechten Hemisphäre;

 – ein aktiver, wacher, geistig aufmerksamer Zustand;

 – im therapeutischen Sinn ein schöpferischer Zustand des Lernens und der Neuorientierung;

 – die Hypnotisierbarkeit ist ein natürliches Phänomen, allerdings situations- und kontextabhängig;

 – ist keine Therapie, sondern eine Methode, bei der Psychotherapie mit spezifischen Techniken im Trancezustand erfolgt;

 – ein Verfahren, das die Suggestibilität erhöht, wobei kritisches Denkvermögen und ethisches Werteurteil unverändert aufrecht erhalten bleiben.

1.5 Therapeutisch nutzbare Phänomene der Hypnose

 – Dissoziation, d. h. gleichzeitiges Erleben von hier und dort, zwei unterschiedlichen Zuständen

 – veränderte Zeitwahrnehmung, Zeitverzerrung

 – Amnesie oder Hyperamnesie

 – Zeitregression/-progression

 – Anästhesie/Analgesie

 – Halluzination

 – Katalepsie (Handlevitation) und ideomotorisches Signalisieren

 – Veränderung der Körperwahrnehmung/des Körperschemas

 – Dissoziation eines Körperbereiches

 – Hypermnesie, verbesserte Erinnerungsfähigkeit

 – ‚Trancelogik‘, was eine Bereitschaft für flexiblere Denkvorgänge durch geistige Akzeptanz von konträren Inhalten bedeutet

1.6 Objektivierbare Indikatoren von Hypnose

Somatisch:

 – Kopf sinkt, glatte, entspannte Gesichtszüge, Blässe im Gesicht, Darmgeräusche

 – vertiefte, ruhige Atmung – Veränderung der Pulsfrequenz

 – sparsame, verlangsamte Bewegungen, evtl. Katalepsie

 – Verschwinden oder Verzögerung von Reflextätigkeit

 – verringerter Hautwiderstand, verlangsamter Metabolismus, verzögerte allergische Reaktion

 – vegetative Beeinflußbarkeit (Durchblutung, Blutdruck, Magensäureproduktion etc.)

 – Senkung der Katecholamine und Glukokortikoide im Blutspiegel

 – Zunahme der Lymphozytenzahl 20 Minuten nach der Hypnose

Mental:

 – verlangsamte Reaktionsbereitschaft

 – langsames, leises Sprechen, oftmals in kindlichem Tonfall, gegebenenfalls in anderer Sprache aus der Kinderzeit (Regression)

 – zeitliche Verzögerung im begrifflichen Denken

 – „Wörtlich nehmen“, Nichtverstehen von Verneinungen („Stell dir kein blaues Auto vor“)

 – Suggestibilität im Rahmen der ethischen und moralischen Werte

 – Akzeptanz von gedanklichen Widersprüchlichkeiten

 – Flexibilität im Auffinden ganz neuer Gedankengänge, Erweiterung innerer Bezugsrahmen

 – Erinnerung längst vergessener Situationen aus frühester Kindheit

 – Absorption, klare innere Aufmerksamkeit, Konzentration auf ein Thema

 – gute Visualisierungsfähigkeit, Fähigkeit, auf „innerer Bühne“ zu experimentieren

 – erweiterte Vorstellungskraft auf allen Sinneskanälen

 – nach der Hypnose Zeit der körperlichen und geistigen Reorientierung

1.7 Hypnose – gestern und heute

Ein zusammenfassender Überblick teilt die Geschichte der Hypnose in drei Kapitel mit jeweils völlig unterschiedlichen Ansätzen ein:

Bei dem „autoritären Ansatz“ liegt der Fokus auf dem Hypnotiseur, seinem starken Willen, seiner Macht und seinem ‚magischen Auge‘. Seine Suggestionen sollen tief in unbewußte Schichten eindringen und veränderte Verhaltens- und Reaktionsweisen beim Hypnotisanten auslösen. Diese Epoche der Hypnose ist mit den Namen von Mesmer, Charcot und Freud verbunden.

Bei dem „standardisierten“ Ansatz richtet sich das Augenmerk dagegen auf den Hypnotisierten bzw. Patienten. Aus der Experimentalpsychologie entwickelt, steht die suggestive Modifizierbarkeit des Verhaltens im Vordergrund. Dieser Ansatz zeichnet sich durch langwierige Induktionsformen ausschließlich über Entspannung und mangelnde Kontextvariablen aus. Er ist inflexibel und lastet Mißerfolge einem Manko an Suggestibilität und Hypnotisierbarkeit an. In dieser Phase wurde eine Menge an standardisierter Verfahren ausgearbeitet. Ausführliche Suggestibilitätstests sollten abklären, wieweit Hypnose wirksam werden könne. Führende Persönlichkeiten waren hier Hilgard und Hull.

Der „Kooperationsansatz“ leitet sich aus einem Zusammenspiel der modernen Psychotherapien ab und berücksichtigt die systemischen Rückkoppelungsprozesse. Alle Karten werden auf die Wechselwirkung zwischen Therapeut und Patient gesetzt. Respekt und Achtung vor den Fähigkeiten des anderen werden offen ausgedrückt und die Zusammenarbeit auf gleichem Niveau unter dem Aspekt einer Konferenz zweier Fachleute betont. Keine rigiden Prozeduren, keine fixierten Methoden schränken schöpferische Prozesse ein. Der Therapeut führt bzw. begleitet den Patienten mit fachlicher Anleitung in Richtung Therapieziel. Die Trance wird als eine Phase der Neuorientierung und des Lernens verstanden. Suggestionen werden möglichst vermieden, da der therapeutische Effekt fraglich ist. Auf jeden Fall sollte eine Analyse oder Interpretation der Hypnoseerfahrung unterbleiben, um in Gang gesetzte unbewußte Leistungen nicht durch bewußte Reflexion zu stören. Dieser Ansatz ist hervorragend zur Stärkung der Persönlichkeit in allen ihren Facetten sowie zur Nähe-Distanz-Regulierung geeignet, womit er auch in der Therapie bei Depressionen (Yapko 1996) indiziert ist. Diese Erweiterung der einfachen klassischen Hypnose wird Hypnotherapie genannt, was die gewonnene Vielfalt schon andeutet. Die Väter und Mütter der Hypnotherapie sind nicht nur Milton H. Erickson, David Cheek und weitere Hypnosefachleute, sondern auch Virginia Satir und viele andere Psychotherapeuten mit weiteren methodischen Ansätzen.

Will man sich nicht mit dieser knapp-nüchternen Auflistung begnügen, lasse man sich faszinieren von Konrad Wolffs Artikel „Hypnotische Archäologie – lang ist und windungsreich der Weg von der physikalistischen Phantastik des Mesmerismus bis zum psychologischen Realismus der Ericksonianer“ (1998). Das romangleiche Schriftstück stellt in unvergleichlicher Weise die schillernde Geschichte der Hypnose dar.

1.8 Rapport und Kooperation – Die Basis der heutigen Hypnotherapie

Sie setzt bei uns Therapeuten voraus, an unbewußte Fähigkeiten und Kräfte zu glauben. Unsere eigenen Erfahrungen in Selbsthypnose und die Arbeit mit den Patienten lehren uns, mehr und mehr auf diese Begabungen, die bewußt vorerst nicht zugänglich sind, zu achten und ihnen zu vertrauen.

Eine wesentliche Bedingung für guten Rapport ist die Kunst der subtilen Beobachtung. Üben Sie das Beobachten des Patienten. Fangen Sie bei der Begrüßung an: so z. B. Bewegung, Mimik, Atmung, Sprachfluß, Sprachgebrauch, Grad der Rigidität/Flexibilität in den Denkmustern, Wachsamkeit/Aufmerksamkeit, Gespanntheit, die Fähigkeit sich zu konzentrieren etc. Nehmen Sie den Patienten wahr.

Es ist ein Dilemma, das den Patienten zu uns führt, d. h., er ist in Probleme geraten, die er durch bewußte Prozesse nicht zu lösen vermag. In der Sprache der Hypnose: Seine gelernten Bezugsrahmen sind zu eng geworden, so daß er Gefangener im eigenen System ist. Oft zeigen sich zwei Alternativen, die aber beide nicht zum Erfolg führen oder sogar in Katastrophen enden würden (pathologische Doppelbindung = Pattsituation).

Der Auftrag des Hypnotherapeuten beinhaltet nicht das Ziel, den Patienten neu zu prägen, zu beeinflussen oder (gar noch auf magische Art und Weise) zu manipulieren. Im Gegenteil soll die hypnotische Intervention des Therapeuten den Patienten anleiten, zu seinen eigenen Ressourcen zu finden. Der Therapeut suggeriert nicht, er regt innere Suchprozesse an, er ruft hervor.

Das Prinzip der Kooperation beruht auf dem nutzbringenden Zusammenschluß zweier Fachleute mit unterschiedlichen Kompetenzen auf respektvoller Ebene. Geistige und seelische Prozesse werden dabei auf besondere Art und Weise ins Fließen gebracht, so daß in der Folge therapeutische Veränderungen, für welche Art von Krankheit oder Problematik auch immer, vollzogen werden können. Das geschieht im Trancezustand auf „unabsichtliche“, spielerische Art und Weise, ohne Behinderung durch bewußte Kontrollmechanismen. Hypnose ist somit kein passiver und regressiver Zustand, sondern eine hochmotivierte Verfassung, eine Phase der besonderen inneren Konzentration, eine Zeit des Lernens.

Bestenfalls beobachtet der Patient in aller Ruhe, was sich in seinem Inneren abspielt.

Bestenfalls begleitet der Therapeut ihn dabei mit zugewandter, warmherziger, ruhiger und permissiver Art und fordert ihn auf, dem inneren Prozeß zu folgen und sich für Überraschungen (neue Lösungen, Wendungen, Schmerzbewältigung) zu öffnen.

Der Glaube an die Fähigkeit des Patienten zu dieser unbewußten Leistung und die Sicherheit in der Begleitung sind die potentesten Suggestionen, die wir dem Patienten zu geben vermögen.

(Siehe auch Gilligan 1991)

1.9 Ist die Hypnose tief genug?

Die Frage der Korrelation von Hypnosetiefe und -wirksamkeit

Zumeist den Patienten, oft aber auch den angehenden Hypnotherapeuten beschäftigt die Frage nach der ausreichenden Hypnosetiefe, die implizit den Zweifel an der Wirksamkeit der Hypnose enthält. Vorsichtig, aber auch offen geäußerte Fragen (siehe auch Fragebogen im Anhang) zielen auf diese Thematik ab: „Ich habe Sie aber immer noch gehört!“ Oder: „Ich kann mich aber an alles erinnern. Ist das denn richtig?“

Tatsächlich korrelierte man den Erfolg der Hypnose bis zur Entwicklung der modernen Hypnotherapie mit der Tiefe des hypnotischen Zustandes. Mißerfolge, d. h. Resultate, bei denen die vom Hypnosetherapeuten dargebotenen Suggestionen oder Formeln keine Resonanz zeigten, konnte man somit der mangelhaften Hypnotisierbarkeit des Probanden anlasten. Die experimentelle Hypnose beschäftigte sich ausführlich mit der Hypnotisierbarkeit, die sie an Versuchspersonen, wie z. B. Studenten testete, die im allgemeinen keine tiefere Motivation für das Ausführen von suggeriertem Verhalten haben konnten. Man fand, je nach Studie in den Resultaten etwas divergierend, eine Aufteilung der Hypnotisierbarkeit in ungefähr zwei Drittel „Normalhypnotisierbare“, das weitere Drittel verteilt auf „Hochhypnotisierbare“ und „Geringhypnotisierbare“.

Diese erforschten Hypnotisierbarkeitsvariablen lassen sich nun der Erfahrung nach aber keineswegs auf den „Menschen in Not“ übertragen. Wo Leid, Tragik, Schmerz, Angst und Trauma herrschen, erhöht sich spontan die bewußte, aber vor allem die unbewußte Motivation zur Veränderung der Situation und gleichzeitig die Suggestibilität und Hypnotisierbarkeit. In meiner Untersuchung im Rahmen einer Studie der Universität München, Medizinische Fakultät, und des Klinikums Großhadern zur Erforschung intraoperativer akustischer Wahrnehmung (mit Hypnose) in der Kardiochirurgie zeigte sich, daß die Patienten (die keine vorherige Erfahrung in Psychotherapie oder Hypnose aufwiesen) sich kurz vor dem operativen Eingriff ohne weiteres in der Hypnosetechnik anleiten ließen. Ihre Berichte lassen darauf schließen, daß sie sogar von der Intervention profitieren konnten:

„Untersucht wurden insgesamt 70 Patienten im Alter zwischen 42 und 71 Jahren, davon 19 Frauen. Das Angebot einer psychotherapeutischen Unterstützung wurde von den Patienten größtenteils positiv aufgenommen. Trotz der Knappheit des zeitlichen Rahmens am präoperativen Tag und der damit verbundenen nervlichen Belastung sowie der Fremdheit des Verfahrens konnte zu fast allen Patienten ein guter bis sehr guter Kontakt hergestellt und Interesse geweckt werden. Die Gelegenheit, das Verfahren der Hypnose zu erlernen, wurde von den Patienten bewußt/unbewußt vorteilhaft genutzt. So erlebten 95 % der Patienten eine Trance mit sichtbaren Trancemerkmalen, 92 % mit kataleptischer Handlevitation, 70 % mit ideomotorischem Signalisieren durch Fingerzeichen nach Cheek. Über 90 % der Patienten gaben an, durch die Therapie eine Unterstützung des subjektiven Wohlbefindens, innere Entspannung und Verminderung existentieller Ängste erhalten zu haben. Bei 50 % der Patienten war es möglich, eine positive Beeinflussung bezüglich Schmerzempfinden, Atemnot und anderer Mißbefindlichkeiten zu erzielen. Etwa die Hälfte der Patienten konnte anschließend an die Hypnose ein bestimmtes Tranceerlebnis – wie ein schönes, angenehmes Bild – wiedergeben. Einige Patienten übten aus eigenem Interesse nach der Intervention noch eigenständig Selbsthypnose mit Handlevitation. Bei über der Hälfte kam es im postoperativen Interview zur spontanen Handlevitation.

Folgende Patientenberichte mögen mit ihren eigenen Worten sprechen:

61jähriger Patient, Absatzmoduleur i. R. (OP: 2 x Bypass): „Die Übung hat mir sehr geholfen. Das Leichterwerden der Hand (die Handlevitation, Anm. der Verfasserin) war eine Art Genugtuung für mich. Ich bin mit einer gewissen Kraft in den OP hineingegangen. Dann habe ich die Frage gehört: ‚Was lieben Sie?‘ Ich habe gesagt: ‚Musik!‘ Dann spielte auf einmal Musik.“

69jährige Patientin, Hausfrau, (OP: Mitralklappenersatz). Diese Patientin visionierte in der präoperativen Trance, sie läge auf einer grünen Wiese und sähe in „schöne Wolken“. Postoperativ sagte sie: „Eigentlich liege ich immer noch auf dieser Wiese. Die Wolken sind auch noch da, aber bunter, prächtiger.“

66jähriger Patient, angestellt bei der Wach- und Schließgesellschaft (OP: Bypass). „Das ist jetzt gut gewesen, so beruhigend. Das liftet einen so richtig.“

Verglichen mit Erfahrungen aus der therapeutischen Anwendung von Hypnose in meiner Psychotherapiepraxis stellt sich hier ein besonders hoher Faktor an Trancebereitschaft und unbewußter Kooperation dar. So kann aus den oben aufgezeichneten Beobachtungen geschlossen werden, daß die Patienten vor einem kardiochirurgischen Eingriff einen – vor allem unbewußt – hohen motivationalen Status erreichen, um Hypnose zu erleben, zu genießen und die Erfahrung auf längere Dauer bewußt/unbewußt nutzbringend zu verwenden.“ (Kaiser 1992)

Auch meine langjährige Erfahrung mit Hypnotherapie zeigt, daß Hypnotisierbarkeit kein feststehender Faktor, sondern kontextabhängig und individuell unterschiedlich ist. Ein und dieselbe Person kann zu verschiedenen Zeitpunkten in unterschiedlichen Kontexten völlig verschieden reagieren. Abgesehen von der Stärke des aktuellen Leides, der Erwartungshaltung, Neugier und dem Willen zur Verbesserung der Situationen ist dabei verständlicherweise das Zusammenspiel mit dem Therapeuten, das sich in gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung der Kompetenz des anderen spiegelt, von großer Bedeutung.

Es kann davon ausgegangen werden, daß jeder Mensch hypnotische Zustände kennt und sie auch willentlich oder unwillentlich nach Bedarf einsetzt, was bedeutet, daß er hypnotisierbar ist. Das erklärt, weshalb dem Patienten anfangs dieser veränderte Bewußtseinszustand (ohne tieferen therapeutischen Inhalt) so vertraut vorkommt.

Erweist sich aber ein Patient als überhaupt nicht hypnotisierbar, bedarf dies der Abklärung. Die Ursache kann neben einer Störung der therapeutischen Beziehung im therapeutischen Setting liegen. Eventuell besteht auch zur Zeit kein Boden für eine therapeutische Intervention, oder der Patient hat einfach keine Lust. Die Ursache kann auch in einer unbewußt gespeicherten, unangenehmen ehemaligen Trancesituation liegen (das „Flashback-Phänomen“), die eine erneute Bereitschaft für Hypnose behindert. So konnte eine Freundin und Kollegin von mir, die Hypnose als Therapie zur Bewältigung der Schmerzen ihrer primär chronischen Polyarthritis wünschte, diesen Zustand nicht erreichen. Längeres Eruieren brachte zutage, daß sie – in Haiti aufgewachsen – unbewußt den Zustand der Hypnose mit den tranceinduzierenden, politischen Indoktrinationen von ‚Papa Doc‘ über Radio und Lautsprecher in Zusammenhang brachte. Bei derartigen Befunden ist natürlich keinesfalls zu drängen, sondern den Faktor Zeit für sich arbeiten zu lassen, Sicherheit zu schaffen und evtl. ein entsprechendes Trauma zu bearbeiten. Überhaupt sollte der Therapeut es sich zur Devise machen, in der Therapie eher auf die Bremse als aufs Gaspedal zu treten.

Ein Hinweis sei hier noch angefügt: Ein erstaunlich schnelles und tiefes Abgleiten in Hypnose kann ein Indiz für Gewalt und auch sexuelle Grenzüberschreitung in der Kindheit sowie für ‚Verrücktheit‘ im System der Ursprungsfamilie sein. Beobachtungen in dieser Richtung sollten auf jeden Fall notiert und während der Therapie im Auge behalten werden.

Nun, wie tief soll sie also sein, die Hypnose?

1. Generell braucht man für psychotherapeutische Prozesse keine tiefe Hypnose. Wenn auch praktiziert und in der Bevölkerung als Vorstellung verbreitet, geht es ja nicht darum, dem Patienten in einer Art „Tiefenhypnose“ Suggestionen zur Provokation neuer Verhaltensweisen „einzutrichtern“. Ziel ist vielmehr, ihm zur Erweiterung seiner Spielbreite maßgeschneiderte Ermutigungen zu geben. In sehr tiefen hypnotischen Zuständen könnte sogar die Gefahr liegen, daß uns der Patient entgleitet und sich der therapeutischen Arbeit entwindet.

2. Für die Arbeit mit ideomotorischem Signalisieren brauchen wir sogar nur eine oberflächliche Hypnose. Allein die Aufforderung: „Schließen Sie nun einfach mal die Augen – das tut gut –, und lassen Sie uns wissen, welches Ihr Finger für die Antwort ‚ja‘ etc. ist“, reicht schon als Induktion. Der Patient wird absorbiert, und die Hypnose vertieft sich automatisch und dem therapeutischen Prozeß angemessen.

3. Indikationen für tiefe Hypnose sind seelische und physische Erschöpfungszustände sowie die Therapie des somatischen Anteiles psychosomatischer Erkrankungen. Diese Hypnosen sollten, wenn möglich, im Liegen durchgeführt werden. Die ausgiebige Erholung „in der kristallklaren Stille“ (Meares 1983, ein australischer Arzt und Hypnotherapeut, der viel mit Krebspatienten arbeitete) trägt wesentlich zur Immunsteigerung (Untersuchung der Universität Konstanz unter Walter Bongartz 1990) und physischen Stärkung bei. Aus diesem Grunde sollten psychosomatisch Erkrankte sowie Schmerzpatienten regelmäßig zirka dreimal täglich Selbsthypnose zur Tiefenentspannung ausüben.

Gute Resultate habe ich mit tiefer Hypnose auch bei Kindern und Jugendlichen mit Tic-Erkrankungen (auch bei Tourette-Syndrom) erreichen können.

Merke: Wir Therapeuten sollten uns auf keinen Fall irgendeinem Druck von seiten des Patienten, ihn in tiefe Hypnose zu „zaubern“, beugen. Menschen reagieren unterschiedlich, und manchmal braucht es einige Übung zum Erreichen des Zieles. Auch ist der Patient darüber zu informieren, daß Hypnose kein ‚Alles-oder-nichts-Zustand‘ ist, sondern fließende Übergänge hat und sich in einer Art schwingender Wellenbewegung vertiefen und auch wieder abflachen kann.

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9783849783518
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