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ZWEI

Lieber Adrian,

wie schön, von Dir zu hören. Auch ich bin ein Fan (vielleicht sogar ein Verehrer) des herrlichen Biers, das Du erwähnt hast.Vielleicht sollte das alte hebräische Wort Manna mit »Harvey’s Sussex Bitter« ins Englische übersetzt werden. Doch das wäre wahrscheinlich eine unsinnige Irrlehre, da den Israeliten ja das Manna irgendwann langweilig wurde. Dagegen würde eher der Kosmos implodieren, als dass ein Mensch dieses epischen Gebräus aus Sussex überdrüssig werden könnte.

Ich fand es faszinierend, von den beiden alten Haudegen zu hören, denen im »Bandolier« die Tür gewiesen wurde, weil ein »frommer Herr in der Ecke« anwesend war, nämlich Du. Ich frage mich, ob sie mit ihren biervernebelten Hirnen überhaupt in der Lage waren, ihren Rauswurf irgendwie zu verarbeiten, während sie die Straße entlangwankten, nachdem ihr Abend wegen der Anwesenheit eines »heiligen Mannes« ein so plötzliches Ende gefunden hatte. Leider ist es uns Christen schon immer ziemlich gut gelungen, den Eindruck zu erwecken, wir wären himmlisch gesinnte Spielverderber, die Spaß vor dem Tod für verboten halten (selbst wenn es ganz harmloser Spaß ist). Nicht, dass es besonders harmlos wäre, wenn zwei Kerle im vorgerückten Alter sich gegenseitig eins auf die Glocke geben. Aber es gibt immer noch manche Jesusnachfolger, die jede Art von Spaß mit der gleichen schmallippigen Abscheu betrachten wie einen dringend salbungsbedürftigen Hautausschlag. Zu Christen fällt den meisten Leuten nicht unbedingt irgendetwas Lautes, Ausgelassenes oder gar Riskantes ein. Man erwartet von uns, dass wir durch und durch »ausgeglichen« und »konservativ« sind – nur fürchte ich, dass das nur Codewörter für

»fade« sind. Kürzlich kam ein ziemlich griesgrämiger Mann auf mich zu, nachdem ich eine Predigt mit etwas Humor gewürzt hatte (das ist Dir bestimmt auch schon mal passiert, Adrian, oder?). Er behauptete, Christen sollten keinen Spaß, sondern Freude haben. Er selber freilich schien keines von beiden zu haben. Und überhaupt, im Vergleich zu einem lauthals schallenden Lachen kommt mir »tiefe Freude« wie eine unwillkommene zimperliche Cousine zweiten Grades vor. Ich kenne Christen, die behaupten, voller Freude zu sein, aber so ein verkniffenes Gesicht machen, dass man meinen könnte, sie versuchten gerade, etwas von der Größe eines Kamels in die Schüssel zu drücken. Du bist doch so etwas wie ein Pionier auf dem Gebiet, Christen zum Lachen zu bringen. Warum fällt es uns eigentlich so schwer, uns zu entspannen?

Aber was ich interessant finde, ist die Reaktion von Tom, dem Kneipenwirt.Wie Du sagst, hätte er die beiden faltigen Möchtegerngladiatoren sicher auch so rausgeworfen, weil er nun einmal einer ist, der seinen Laden in Ordnung hält. Aber offensichtlich meinte er ja, er täte Dir einen Gefallen damit. Er wollte nicht, dass Du Dich durch die krakeelenden alten Knacker belästigt fühlst, wo Du doch in einer Fernsehsendung mitwirktest, in der es um Gott ging. Also eilte er zu Deinem Schutz herbei, um Deine Ohren vor den anstößigen Kraftausdrücken zu bewahren.

Mir scheint, Leute, die keine Christen sind, nehmen gegenüber ihren christlichen Zeitgenossen einen von zwei extremen Blickwinkeln ein – entweder den, wir seien zu schwach, um mit der wirklichen Welt fertig zu werden, oder den, wir seien zu stark, um uns mit ihr abzugeben.

Lass mich das erklären. Manche von uns erwecken den Eindruck, unser Glaube sei so zerbrechlich, dass wir uns unmöglich dem rauen Gerangel der realen Welt um uns her aussetzen könnten. Wir perfektionieren den Blick von oben herab und das missbilligende Zungenschnalzen und benehmen uns wie leidende Patienten. Am anderen Ende der Skala sind die Christen, die den Eindruck vermitteln, wir seien unangreifbar stark und hätten alles im Griff. Wir seien Leute, die schon angekommen sind, nicht solche, die noch auf dem Weg sind. Deshalb fluchen wir nicht, wir werden nicht lüstern, wütend oder deprimiert, und wenn wir mit der großen schmutzigen Welt aneinandergeraten, benehmen wir uns wie Ned Flanders aus Die Simpsons auf einem Striptänzerinnen-Kongress.Vielleicht müssen wir uns einfach gegenseitig zubilligen, die menschlichen, chaotischen, unfertigen Gotteskinder zu sein, die wir sind.Vielleicht würde das dem einen oder anderen betagten Kneipenstreithahn eine Unterkühlung ersparen.

Wo ich gerade beim Thema bin, Adrian, würde ich Dir gerne auch eine Kneipengeschichte erzählen, die ich kürzlich erlebt habe. Leider ist es eine der wenigen Geschichten, die ich habe, in denen ich ziemlich gut dastehe. Entschuldige bitte. In den meisten meiner Anekdoten bin ich so eine Art Mr. Bean mit einer Bibel: ein total tollpatschiger Typ, der von einer Riesenblamage in die nächste segelt. Ich habe schon an anderer Stelle darüber geschrieben, deshalb erzähle ich sie hier nur in groben Zügen.

Ich war mit Kay (sie lässt herzlich grüßen!) auf einer landesweiten Pastorenkonferenz in San Diego. Dort waren zweitausend Pastoren versammelt, und ich war einer der Referenten. An einem Abend gingen wir in die Hotelbar, und drei leicht angetrunkene Männer gesellten sich zu uns. Anfangs plauderten sie nur und erzählten uns in bester Laune alles Mögliche von sich. Dann fragten sie Kay, wie eine so schöne Frau dazu komme, einen so alten Mann wie mich zu heiraten. Schließlich schwankten sie hinüber zur Karaoke-Anlage.Vor den Augen der anderen Pastoren widmete einer von ihnen uns das Lied, das sie singen wollten.

Zuerst war mir das äußerst peinlich. Was würden die anderen Pastoren denken? Aber dann dachte ich mir, sei’s drum. Das Entscheidende war doch, dass diese drei gerne Zeit mit uns verbrachten. Daraus habe ich etwas gelernt … Genau wie Du möchte ich jemand sein, mit dem Leute, die Gott nicht kennen, gerne zusammen sind. Das heißt nicht, dass unser Leben andere Leute niemals vor Herausforderungen stellen sollte: Schließlich sind wir berufen, das Salz der Erde zu sein, nicht der Zucker. Ich will keineswegs sagen, dass wir uns stromlinienförmig anpassen sollten, bis wir genauso aussehen und uns genauso anhören wie alle anderen, nur damit uns die Leute mögen.

Doch die Unterhaltung an jenem Abend und die Widmung dieses Liedes stoßen mich an zu dem Gebet, Gott möge mich zu jemandem machen, der gewinnend genug ist, um der einen oder anderen Einladung zu einer Party oder zum Essen für wert erachtet zu werden. So war es schließlich auch bei Jesus, dem wir nachfolgen. Aber das wird immer ein bisschen gefährlich sein. Dass er sich mit den Unheiligen abgab, brachte es mit sich, dass er von den Frommen ständig missverstanden wurde. Doch er ließ sich nicht davon abbringen und war fest entschlossen, Zeit mit den

»falschen« Leuten zu verbringen, die ihn liebten, und das nicht nur wegen seiner legendären Fähigkeit, auf Partys für hervorragenden Wein zu sorgen. Um Deine Analogie von den frommen Herren in der Ecke auszuborgen – Jesus wechselte die Ecken. Diejenigen, die ihm nachfolgen, sollen so sein wie er. Und so zu sein wie er bedeutet, die gleichen Risiken einzugehen.

Diese ganze Geschichte mit der Frömmigkeit in der Ecke bringt mich zu Deinem Freund Ted. Ich war traurig und froh zugleich, von seinem verloren gegangenen Glauben und eurer Unterhaltung zu hören. Im Laufe der Jahre habe ich auch eine Menge von meinem Glauben verloren. Adrian, Du kanntest mich schon in meinen frühen Jahren als christlicher Eiferer. Ich konnte mit »Antworten« um mich werfen wie ein Karnevalsprinz mit Plombenziehern. Die Konturen meines Glaubens waren ganz klar und scharf. Und die Menschen betrachtete ich mit demselben Schwarz-Weiß-Denken, mit dem ich auch an meinen Glauben heranging – sie waren entweder drinnen oder draußen, gut oder schlecht, »einwandfrei« oder fragwürdig. Dass ich mich bei einer Unsicherheit oder einem Zweifel hätte erwischen lassen, war ungefähr so wahrscheinlich wie ein Auftritt des Erzbischofs von Canterbury als Modell bei einem »Friseur-des Jahres«-Wettbewerb. Ich machte mir auch große Sorgen um die Wiederkunft Jesu, was Besuche im Supermarkt zu regelrechten Zitterpartien werden ließ. Kay verschwand irgendwo in den Gängen, und nachdem ich zehn Minuten lang fieberhaft nach ihr gesucht hatte, war ich fest davon überzeugt, dass Jesus wiedergekommen sei. Mist. Ich war zurückgelassen worden, und jetzt blühte mir, in kochendes Öl geworfen zu werden, weil ich ein Christ war. Dann stellte ich fest, dass sie gar nicht den vertikalen Abflug gemacht, sondern nur auf der Suche nach Fischstäbchen in der Kühltruhe herumgewühlt hatte. Mein Glaube damals war ein seltsamer Cocktail aus blinder Gewissheit, durchsetzt mit blankem Schrecken (eine sehr merkwürdige Kombination).

Vieles hat sich verändert. Ich bin immer noch genauso überzeugt von Jesus wie eh und je (meistens jedenfalls – es gibt immer noch Momente, in denen ich im Stillen hoffe, dass wir uns nicht alle nur etwas vormachen), aber mir rollen sich heute regelmäßig die Zehennägel auf, wenn Christen mit einfachen Antworten auf schwere Fragen um sich werfen. Aus diesem Grund hat Kay mir inzwischen strikt untersagt, mir bestimmte Evangelisten auf christlichen Fernsehsendern anzuschauen. Hauptsächlich, weil sie es nicht leiden kann, eine Ladung Müsli von der Mattscheibe tropfen zu sehen.

Einen davon schaute ich mir neulich an, als ich gerade mein »Special K« mit Himbeeren und fettarmer Milch zu mir nahm (das sind viele Einzelheiten, ich weiß, Adrian, aber ich spüre eine Welle der Andacht in mir aufsteigen, wenn ich von einer so gesunden Mahlzeit spreche). »Gott hat mir einen Weg gezeigt, wie man Ärger und Druck in dieser Welt vermeiden kann«, tönte er und wedelte mit der Bibel in die Kamera. Die Ironie dieses Bibelgewedels entging mir nicht: Ist dieses Buch doch voller Geschichten von treuen und gläubigen Nachfolgern Gottes, die gejagt, in Öfen geworfen, gesteinigt und geschlagen und sogar gekreuzigt wurden. Das alles hört sich für mich nicht gerade nach Vermeidung von Ärger und Druck an.

Aber offenbar kannten dieses Leute nicht das Geheimnis eines einfachen Lebens, das der Evangelist zu bieten hatte, nämlich eine gebührenfreie Nummer anzurufen und die Kreditkarte mit einer ordentliche Spende zu belasten. »Gott hat etwas in Ihre Hand gelegt, wovon er möchte, dass Sie es mir schicken«, rief er. Mein Blick fiel auf die Schale mit breiigem Müsli, die ich in der Hand hielt. »Nein, Schatz«, sagte Kay hinter mir, gerade noch rechtzeitig …

Adrian, bei so etwas möchte ich meinen Glauben am liebsten gleich ganz über Bord werfen. Doch auch nur ein wenig von dem Glauben zu verlieren, den ich früher einmal hatte, indem ich versuche, die Schlacke wegzuwerfen und das Gold festzuhalten, ist eine beängstigende Geschichte. In mancher Hinsicht war die alte, solide Landschaft eine tröstlichere Umgebung. Ich frage mich, wohin meine verschlungenen Wege mich wohl führen werden.

Und dann all die Dinge, die einem das Leben auf dem

»Planeten Christentum« sehr schwer machen können – du weißt schon, das Zusammensein mit anderen Gläubigen. Allein gestern musste ich drei Mal fest die Zähne zusammenbeißen, als ich mich mit einer Reihe von Christen unterhielt, die mir sagten, a) die globale Erwärmung sei ein Mythos, b) Gott werde über Amerika Gericht halten, weil er Obama nicht möge, und c) Gott sei heute gut zu ihnen gewesen. Die ersten beiden Ideen werde ich keines Kommentars würdigen – aber selbst die dritte finde ich verwirrend. Wenn Gott heute so gut ist, heißt das, morgen hat er vielleicht frei, und am Donnerstag müssen wir mit einer Zeit göttlicher Ungezogenheit rechnen?

Und das Gebet ist mir zu einem kompletten Rätsel geworden. Ich meine nicht nur, dass es dabei verwirrende Aspekte gibt. Das ganze Thema ist in einer dichten Nebelbank verschwunden. Früher hatte ich Probleme mit Gebeten, die nicht beantwortet wurden – doch heute finde ich die beantworteten Gebete noch viel verwirrender. Wenn ich mir diese vor Hunger und Leid schreiende Welt anschaue, macht es mich sprachlos, dass wir hier im reichen Westen überhaupt irgendwelche Antworten auf Gebete bekommen.Von freien Parkplätzen will ich gar nicht reden. Und doch … bekommen wir sie. Gott interessiert sich für unsere banalen Anliegen, obwohl nur Gott weiß, warum. Die Haare auf unseren Köpfen sind gezählt. (Auf meiner Schulter sitzt vermutlich ein Engel mit einem Taschenrechner, weil meine von Minute zu Minute weniger werden. Du hast eine Frisur. Ich habe eine schrumpfende Halbinsel.)

Deine Unterhaltung mit Ted war offensichtlich ein echtes Geschenk von Gott und vielleicht eine Antwort auf das Gebet irgendeines Menschen. Er hatte jemanden, mit dem er gemeinsam nachdenken, ja gemeinsam zweifeln konnte.Vor allem hatte er jemanden, der Interesse hatte, ihm zuzuhören. Ich bin sicher, Deine kleinen Grunzer waren äußerst profunde Grunzer, aber es hört sich so an, als hättest Du mehr zugehört als geredet.

Tut mir leid, ich muss noch mal auf das »Bandolier« und die beiden alten Säufer zurückkommen, die da auf die Straße befördert wurden. Vielleicht brauchen wir Kirchen, in denen es so ein Snug gibt. Einen Ort, wo wir uns im Gespräch auf unsicheres Eis begeben können, ohne gleich irgendwelche felsenfesten Wahrheiten verkünden zu müssen. Wo wir aufeinander hören, anstatt nur aufeinander einzureden.Wo wir frei von der Leber weg reden können, ohne fürchten zu müssen, dass wir als Häretiker auf den Scheiterhaufen kommen. Wo wir nicht dadurch Sicherheit gewinnen, dass wir uns an Slogans klammern, die nicht funktionieren, sondern dadurch, dass wir spüren: Die Wahrheit hält es aus, wenn man darin herumstochert.

Und wenn ich zuhören sage, meine ich wirklich zuhören, nicht nur mit dem Strom dessen schwimmen, was sich in unserer Welt so tut. Jemand, der weiser ist als ich, hat einmal gesagt: Wenn man sich die Gespräche zwischen manchen Nationen und manchen Ehepaaren anhört, hört man die Dialoge der Tauben.Was meinst Du?

Danke, dass Du Ted zugehört hast. Und mir. Liebe Grüße, Jeff

DREI

Lieber Jeff,

es war eine Freude, Deinen Brief zu bekommen. Ich habe ihn verschlungen, wie ein hungriger Mann die erste wirklich sättigende Mahlzeit verschlingt, in die er seit Langem seine Zähne hat schlagen können. Bin ich froh, dass Du nicht von Deiner Albernheit geheilt worden bist! Wenn es je eine von Gott geschenkte Krankheit gab, dann diese. Ich leide an demselben Gebrechen, und es macht mir viel Freude, wenn ich auch manchmal vorsichtig sein muss. Erst kürzlich übernachteten Bridget und ich durch eine merkwürdige Unachtsamkeit in einem christlichen Gästehaus. Als wir am Morgen hinunterkamen, um uns an Eiern mit Speck zu laben, begrüßte uns ein großes Blatt Papier, das mit Reißzwecken an die Wand des Frühstücksraums geheftet war. Darauf standen die Worte:

JESUS

IST

AU FERSTANDEN!

Das hätte mir fast den Rest gegeben, Jeff.Wäre Bridget nicht da gewesen (nach Deiner Geschichte mit dem »breiigen Müsli« zu urteilen, hat Kay in Deinem Leben dieselbe Funktion wie Bridget in meinem) und hätte ich in diesem Augenblick einen Stift zur Hand gehabt, so hätte ich die Worte hinzugefügt:

UND ER

KOMMT GLEICH

HERUNTER!

Auch ich bin schon gelegentlich von Leuten angesprochen worden, die mich, so wie Dein »griesgrämiger Mann«, in dieser Hinsicht zurechtweisen wollten. Meistens kommen sie aus jenen Gemeinden, in denen die Spontaneität sehr sorgfältig organisiert wird. Vor über zwanzig Jahren zum Beispiel, kurz nachdem das Tagebuch eines frommen Chaoten erschienen war, manövrierte mich nach einer Veranstaltung, bei der, ich gestehe es, der Sünde unmäßigen Gelächters gefrönt worden war, ein großer, ernster, ausgesprochen dünner junger Mann prophetengleich in eine Ecke und begann ein Gespräch, das den folgenden Verlauf nahm.

Er: (mit heiliger Strenge und so, als hätte er um des Evangeliums willen seine Fingerspitze in etwas Ekelhaftes gesteckt) Ich habe Ihr Buch gelesen.

Ich: Ah ja. Nun – ja.

Er: (mit einem leichten Anflug von Ratlosigkeit, aber ohne die geringste Aufhellung seiner Miene) Es ist sehr witzig.

Ich: (gequält) Oh, gut. Das ist gut. Das ist …

Er: (ernst) Nur glaube ich, Nichtchristen sollten es nicht zu lesen bekommen.

Ich: Ach, wirklich? Warum nicht?

Er: Weil sie dann denken könnten, in der Gemeinde ginge es wirklich so zu.

Ich: Äh …

Manchmal freilich läuft man Leuten in die Arme, wie Du sicher nur zu gut weißt, Jeff, die noch sehr viel drastischer und beunruhigender aus der Spur geraten sind. Einmal begrüßte mich im Foyer eines Konferenzzentrums ein bissiger kleiner Terrier von einem Mann und kläffte mir laut ins Gesicht:

»Ich hasse Sie!«

Eine Lektion, die ich aus meiner Arbeit mit gestörten Jugendlichen und in jüngerer Zeit aus der Seelsorge gelernt habe (da gibt es faszinierende Ähnlichkeiten), ist es, mich in solchen Situationen im metaphorischen Sinn eher zurückzulehnen als vorzubeugen. Muss wohl so eine Art Judo sein.

»Ich glaube, wir kennen uns noch nicht«, sagte ich freundlich. »Warum hassen Sie mich?«

»Weil ich es nicht leiden kann«, knurrte er, »wie Sie sich in Ihren Büchern über die Kirche lustig machen.«

Ich fiel wie gewohnt in meine Rolle der demütigen Lernbereitschaft und nickte.

»Verstehe. Mit welchen Büchern speziell haben Sie denn Probleme?«

Völlig unerschrocken erwiderte er: »Ich habe keines davon gelesen. Und ich will sie auch nicht lesen, weil ich gehört habe, dass Sie sich darin über die Kirche lustig machen.« Ich blieb noch einen Augenblick auf den Ballen wippend stehen und ging dann still weiter. Dass sich daraus noch ein produktives Gespräch entwickeln würde, hielt ich für eher unwahrscheinlich. Unmittelbar nach meinem ersten Beitrag dieses Vormittags jedoch sprach mich der menschliche Rottweiler erneut im gleichen aggressiv schneidenden Tonfall an.

»Jetzt liebe ich Sie!«

Er machte einen Schritt auf mich zu, warf seine beängstigenden, unverhältnismäßig langen Arme um meinen Leib (ich hatte den Eindruck, dass sie sich zweimal um mich herumschlangen, aber das kann ja wohl nicht stimmen, oder?)

und packte mich in eine schraubstockähnliche Umarmung. Während der nächsten drei Tage leitete er jede unserer Begegnungen mit dieser überschwänglichen Geste ein. Ich glaube, ich mochte ihn lieber, als er mich noch hasste …

Also, warum albern wir eigentlich so viel herum, Du und ich? Ich vermute, es liegt daran, dass wir überhaupt nicht albern sind, wenn es um die Dinge geht, die wirklich zählen. Ich bin von gähnend langweiliger Ernsthaftigkeit, wenn es darum geht, Jesus nachzufolgen, und in meinem Glauben ermüdend orthodox. Aber ich habe gelernt, dass mithilfe des Lachens eine Menge Unrat aus dem Weg geräumt werden kann, unter dem die zentralen Wahrheiten, die niemals sterben werden, oft verborgen liegen.

Wo ist in dieser schönen, anstrengenden Welt diese Wahrheit zu finden? Ich glaube, in Deiner Geschichte von dem Karaoke-Abend liegt ein Schlüssel dazu. Ich finde diese Geschichte herrlich, Jeff. Sie hat mich an verschiedene Gelegenheiten erinnert, bei denen Leute mich gefragt haben, welcher Film mich als Christ am meisten inspiriert habe. Wenn ich dann antwortete, das sei der Film The Commitments gewesen, guckten sie immer ein bisschen verdutzt. Du kennst den Film wahrscheinlich – er handelt von einer Gruppe junger Leute in Irland, die alles tun, um eine Band auf die Beine zu stellen und groß rauszukommen. Der Film ist herrlich witzig, aber es wird darin auch hemmungslos geflucht, und er ist voller deutlicher sexueller Anspielungen. Hin und wieder geht es auch extrem gewalttätig zu.

Nun, was immer darin vorkommt, er bringt mich zum Weinen, und er bringt mich zum Beten. Er macht mir deutlich, dass Jesus in unserer Zeit genauso fest entschlossen ist, sich unter hoffnungsvolle, leidenschaftliche, fehlerhafte Menschen zu mischen, wie er es vor zweitausend Jahren war, als er als Mensch über diese Erde ging. Ich habe an anderer Stelle schon einmal von Lionel Blues Aussage gesprochen, das Judentum sei nicht sein Gefängnis, sondern sein Zuhause. Wenn man sich zu Hause geborgen fühlt, dann kann man an jeden anderen Ort der Erde gehen und vergisst doch nie, wo man wirklich hingehört. Man ist nie getrennt von der Liebe, die einen in seinem innersten Wesen behütet, egal, wo man ist und was einem passiert. Wo die Gemeinde hingegen zu einer Festung wird, verwenden wir unsere Energie entweder darauf, dafür zu sorgen, dass niemand Unerwünschtes hereinkann, oder darauf, Listen mit Vorschriften aufzustellen und unentwegt ängstlich Ordnung zu schaffen.

Du fragst in Deinem Brief, warum es Christen so schwerfällt, sich zu entspannen, Jeff. Ich frage mich, ob die Antwort auf diese Frage etwas mit dem fieberhaften Drang zu tun hat, alles immer schön in Reih und Glied zu halten. Da fällt mir ein: Kürzlich wurde ich wegen zweier Dinge zur Rede gestellt, die Bridget und ich im Laufe einer Wochenendfreizeit gesagt oder angedeutet hatten. Im ersten Fall ging es um Elia, der ja eine deiner Lieblingsgestalten ist, wie ich mich zu erinnern glaube.

Elia wird meist als einer der »großen« Propheten bezeichnet, aber wir wollten einmal genauer hinschauen, was das bedeuten könnte. Ich hatte gerade eine Reihe von Andachten speziell über Elia geschrieben und war dabei ziemlich fasziniert von der tiefen Kluft der Unzulänglichkeit, die zwischen seinen geistlichen Heldentaten und seiner allgemeinen Neigung klaffte, davonzulaufen oder aufzugeben, sobald es gefährlich wurde. Nach seinem dramatischen Sieg über die Baalspropheten auf dem Berg Karmel zum Beispiel rannte er wie ein Hase vor dem Zorn der Isebel davon, bis er schließlich mutlos unter einem Baum hockte und sagte:

»Es ist genug.« Was, so könnte man berechtigterweise fragen, war mit diesem Kerl los? Hier war der Gott, der ihn aus einer fliegenden Speisekammer mit Essen versorgt, einer Witwe einen wundersam bodenlosen Ölkrug geschenkt, einen toten Sohn erweckt, mitten in einer Dürrezeit Regen gesandt und göttliches Feuer auf den Berg hatte herabregnen lassen. Warum in aller Welt sollte der nicht in der Lage sein, mit einer rabiaten kleinen Königin fertig zu werden?

Die Antwort scheint etwas mit der Gegenwart oder Abwesenheit des Geistes Gottes zu tun zu haben. Wenn es etwas zu tun gab und Elia mit dem Geist Gottes erfüllt wurde, war ihm nichts zu schwer. Doch in den Zeiten zwischen diesen übernatürlich gelenkten und erfüllten Ereignissen wurde er zu genau dem, was er war: zu einem nicht sehr starken, nicht besonders heldenhaften Menschenwesen. Da ich selbst auch ein nicht übermäßig starkes und wohl kaum heldenhaftes Menschenwesen bin, fand ich diese Erkenntnis sehr hilfreich. Die gute Nachricht, so sagten wir zu den Leuten auf der Wochenendfreizeit, sei die, dass Gott uns gebrauchen kann, was immer auch unsere Schwächen und Ängste sein mögen, solange wir nur zum Gehorsam bereit sind, wenn die Zeit zum Handeln gekommen ist. Das ist doch eine gute Nachricht für die meisten von uns unnützen Vertretern unserer Spezies, findest du nicht? Ein bisschen erschreckend sicher auch, aber letzten Endes doch gut.

Meine Herausforderin wollte wissen, ob ich ihr nicht zustimme, dass Elias Furcht und Selbstzweifel in Wirklichkeit Lügen des Feindes waren, der ihn von seinen Aufgaben abbringen wollte. Ich hatte den deutlichen Eindruck, dass sie nicht nur den Wunsch, sondern geradezu das Bedürfnis hatte, der unangenehm negativen und widerspenstigen Natur der Fehler und Schwächen Elias dieses Etikett aufzukleben.

Habe ich ihr also zugestimmt? Hätte ich es tun sollen? Sicher, im Johannesevangelium steht etwas davon, dass Satan der Vater der Lüge ist, aber heißt das, dass ich das Bündel von Fehlern und Neigungen und Verhaltensmustern und Tendenzen, das mich als Person ausmacht, wieso auch immer, verleugnen und nicht daran glauben sollte? Gibt es so etwas wie einen geistlichen Zaubertrick, mit dessen Hilfe ich mir einreden kann, dass ich eine neue Kreatur in Christus bin und deshalb mein altes Ich einfach nicht mehr existiert? Versuch das mal, Jeff. Mal sehen, wie weit Du damit kommst.

Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass Gott uns genauso liebt, wie wir sind, und viel zu sehr, als dass er uns so lassen würde, wie wir sind. Nun, dem kann ich sicherlich zustimmen, aber der Prozess der Veränderung ist ein allmählicher, und wenn er nicht sowohl geistlich als auch menschlich organisch abläuft, dann hat er nichts mit einem Gott zu tun, der uns sowohl als die Leute, die wir sind, als auch trotz unserer Unzulänglichkeiten liebt. In der Zwischenzeit, denke ich, können Du und ich und alle anderen froh und ermutigt sein durch die Botschaft von Elia, dass es Momente geben wird, in denen uns, wenn wir gehorsam sind, der Geist Gottes erfüllen und sogar Wunder durch uns bewirken wird, ungeachtet der Tatsache, dass wir so weit hinter dem Ideal zurückbleiben.

Also nein, ich habe ihr nicht zugestimmt.

Im zweiten Fall ging es um Dinge, die wir über die Gnade Gottes gesagt hatten. Wir hatten dazu ein veranschaulichendes Bild angeboten. Für den Wanderer, der sich auf die Reise des Lebens macht, gibt es drei Möglichkeiten. Auf der einen Seite sind die unwegsamen Felsen und Berge des Gesetzes. Diese Route einzuschlagen hat keinen Zweck. Sie ist zu schwierig; das schafft man nicht. Auf der anderen Seite liegt der Sumpf der Zügellosigkeit. Der sieht auf den ersten Blick nicht schlecht aus, aber wenn man versucht, dort entlangzugehen, sinkt man ein, erstickt und stirbt. Quer durch die Mitte verläuft der schmale Pfad der Gnade, ein Weg, der aus der unverdienten Freundlichkeit Gottes entspringt und der für jeden Menschen, der ihn braucht, individuell angelegt wird. Als ein Beispiel führten wir an, wie Jesus mit der Situation umging, als eine Ehebrecherin zum Tod durch Steinigung verurteilt worden war. Nicht, dass er das Gesetz angefochten oder ihre Tat gutgeheißen hätte, aber er fand einen typisch einfallsreichen und authentischen Weg, sie von den Konsequenzen der Sünde zu erretten. Gnade, so deuteten wir an, sei kreativ, beziehungsorientiert, konstruktiv, überraschend und befreiend, und jeder von uns habe die Aufgabe, sie an die Menschen weiterzugeben, denen wir begegnen.

Meine Herausforderin wollte wissen, ob das meiner Meinung nach auch für Homosexuelle gelte. Es könne doch wohl keine Kompromisse bei einer Sache geben, die in der Heiligen Schrift so eindeutig verurteilt werde. Nicht, dass sie persönlich solche Menschen verurteilen wollte, fügte sie hinzu. Es gebe ein schwules Pärchen in ihrer Gemeinde, und das seien ganz liebenswerte Leute. Andererseits jedoch sei unbereute Sünde nun einmal unbereute Sünde, und sie fände es nicht richtig, wenn sie die Gemeinde in der Öffentlichkeit repräsentieren würden, zum Beispiel, wenn sie im Kirchenvorstand säßen.

Nicht schon wieder, dachte ich.Warum nur dreht sich die moralische Diskussion in manchen Teilen der Gemeinde Jesu ständig nur um Sex im Allgemeinen und Homosexualität im Besonderen? Den Korinthern schrieb Paulus, wir sollten nichts mit einem Bruder zu schaffen haben, der sexuell unmoralisch oder habgierig sei, ein Götzendiener oder ein Verleumder, ein Trinker oder ein Betrüger.Wie viele Kandidaten für Kirchenvorstände werden eigentlich sorgfältig auf Anzeichen von Habgier, Klatsch, übermäßigen Alkoholgenuss oder zwielichtigen Geschäftspraktiken durchleuchtet?

Wie viele müssten wohl ersetzt werden, wenn das geschähe? Man mag es sich gar nicht ausdenken.

Ich kenne eine Menge schwuler Christen, die sich entschieden haben, für den Rest ihres Lebens zölibatär zu bleiben. Mag sein, dass Satan ihnen Lügen über ihre sexuellen Präferenzen eingeflüstert hat, oder auch nicht. Tatsache ist aber, wie sehr sie auch beten und ihr Bestes tun, um nach Veränderung zu streben, sie scheinen nicht davon wegzukönnen, wer sie sind und was sie sind, und jeder Tag ist eine Herausforderung und ein Kampf. Ich habe höchsten Respekt vor ihnen. Ich kenne auch schwule Christen, die glauben, dass Gott gleichgeschlechtliche Beziehungen akzeptiert. Ich habe großen Respekt vor jedem, der eine aufrichtig durchdachte und durchbetete Entscheidung über irgendeinen Aspekt seines christlichen Lebens trifft, auch wenn ich selbst nicht mit seiner Entscheidung übereinstimme. Ich habe selbst schon manche blödsinnigen Entscheidungen getroffen, und meist habe ich sie lautstark mit Bibelstellen begründet.

Wie ist das nun mit der Gnade Gottes? Nun, das Problem mit Gott ist und war schon immer, dass er sich partout nicht davon abbringen lässt, Menschen als Individuen zu begegnen und nicht als Kategorien. Die Gnade tut, was die Gnade tut. Ich finde das herzerwärmend und aufregend und beruhigend und beunruhigend und ein bisschen verwirrend, aber ganz ehrlich, ich würde es nicht anders haben wollen.

Falls ich meiner Herausforderin je wieder begegne, werde ich mich bei ihr bedanken, dass sie mich zum Nachdenken über diese Dinge gebracht hat. Aber ich würde sie auch gern daran erinnern, dass viele Leute im Laufe der letzten zweitausend Jahre versucht haben, den christlichen Glauben zu säubern und aufzuräumen, wie man ein Haus säubert und aufräumt.Tut mir leid, würde ich ihr sagen, aber das klappt nicht.Wenn Christus mitten im Chaos nicht eine echte Möglichkeit ist, dann sitzen wir mächtig in der Tinte.

Du hast recht, Jeff. Jede Gemeinde sollte einen Ort haben, wo man gefahrlos sagen und denken und fühlen kann, was immer einem auf dem Herzen liegt. Es mag eine Weile dauern, solche Orte einzurichten, aber bis dahin, scheint mir, sind wir beide schon dabei, uns einen für uns selbst zu schaffen. Das ist eine sehr behagliche Ecke hier. Du bist am Zug, glaube ich.

Liebe Grüße,

Adrian

PS Ich hatte vollstes Mitgefühl mit Dir, als die Karaoke-Burschen sich wunderten, wieso jemand wie Kay sich mit einem alten Knacker wie Dir abgibt. Bei einer Tour durch Deutschland vor ein paar Jahren wurde ein ziemlich altes Foto von mir für die Werbung verwendet. Die erste Frage aus dem Saal zu Beginn der zweiten Hälfte des Abends lautete so: »Warum haben Sie Ihren Vater geschickt, anstatt selbst zu kommen?«

399
477,84 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
211 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783865064455
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Издатель:
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