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Wolf Krötke

Karl Barth und der »Kommunismus«

Erfahrungen mit einer Theologie der Freiheit in der DDR

TVZ

Theologischer Verlag Zürich

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar.

Umschlaggestaltung: Simone Ackermann, Zürich, unter Verwendung einer Fotografie von Jörg Machel: Blick über die Mauer zum Friedhof St. Hedwig

ISBN 978-3-290-17668-6 (Buch)

ISBN 978-3-290-17721-8 (E-Book)

|XX| Seitenzahlen des E-Books verweisen auf die gedruckte Ausgabe.

© 2013 Theologischer Verlag Zürich

www.tvz-verlag.ch

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Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Religion wollte partout nicht absterben

Karl Barth als theologischer Gesprächspartner

1. Mit dem Anfang anfangen

2. Theologie der Partnerschaft zwischen Gott und Mensch

3. Karl Barth und die Kirche unter Druck

4. Eine schwierige Gesprächslage

5. Theologie und Ideologie

6. Aufbrechen in die Zukunft

Gottes Gerechtigkeit als Recht der Gnade in der Theologie Karl Barths

1. Gottes Recht und Gottes Gerechtigkeit

2. Das Recht und die Gerechtigkeit des trinitarischen, erwählenden Gottes

3. Zwischenbesinnung: Gottes Gerechtigkeit als Gottes Vollkommenheit – Zugleich zu einem Strukturproblem der Kirchlichen Dogmatik

4. Gottes Gerechtigkeit zwischen den Zeiten

5. Göttliche und menschliche Gerechtigkeit

Veröffentlichungsnachweise

Fußnoten

Seitenverzeichnis

|7| Vorwort

Anlass für die Zusammenstellung von drei Beiträgen zu Karl Barths theologisch-politischer Einstellung in der Zeit des »Kalten Krieges« ist das Barth-Kapitel in Erwin Bischofs Buch »Honeckers Handschlag« aus dem Jahr 2010. Es trägt die Überschrift: »Karl Barths Engagement für den Sozialismus in der DDR«. Als mir dieses Buch zur Kenntnis kam, habe ich eine Besprechung der in jenem Barth-Kapitel aufgestellten Behauptungen geschrieben, die in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« stark gekürzt abgedruckt wurde. Man kann das den Journalisten nicht verdenken. Sie sind auf die neue Nachricht aus, während das, worum es in Bischofs Buch geht, schließlich schon über 60 Jahre her ist. Außerdem ist das Thema der »Kirche im Sozialismus« (nicht »für« den Sozialismus) in Deutschland schon vor zehn Jahren bis hin zu einer gewissen Erschöpfung auch mit Bezugnahmen auf Karl Barth diskutiert worden. So gesehen könnte man das Barth-Kapitel in Bischofs Buch, das sich um diese Diskussion überhaupt nicht schert, getrost auf sich beruhen lassen.

Wenn ich dennoch zugestimmt habe, die ganze Besprechung von Bischofs Barth-Kapitel in diesem Bändchen zu veröffentlichen, so hat das einen einfachen Grund. So wie Bischof Barths Haltung zur DDR darstellt, diskreditiert sie natürlich auch seine Theologie. Ein »Bewunderer von Stalin« kann schwerlich als ein Theologe gelten, der den Weg der christlichen Kirche auch heute zu orientieren vermag. Man muss Bischof zwar zugutehalten, dass er von der Theologie nicht viel versteht. Von |8| Barths Theologie etwas zu verstehen, ist aber eine Grundvoraussetzung, um seine Stellungnahmen zum Sozialismus in der DDR angemessen beurteilen zu können. Mehr noch: Es ist unabdingbar, um eine der größten Leistungen der Theologiegeschichte, die wir diesem Schweizer Theologen verdanken, für die Christenheit heute nicht versanden zu lassen.

Um dafür Verständnis zu erwecken, habe ich der Auseinandersetzung mit Bischof zwei Vorträge aus jüngerer Zeit beigesellt. Der eine erzählt davon, wie ich selbst Barths Theologie in der DDR wahrgenommen habe und wie ich mit seinen Ratschlägen für die Kirche in der DDR umgangen bin. Der andere ist theologisch ziemlich straff und steil. Er führt zu den Wurzeln von Barths Engagement für eine Welt der Gerechtigkeit und des Friedens, die auch und gerade in der DDR Blüten von weltgeschichtlicher Bedeutung sprießen ließen.

Berlin, im September 2012

Wolf Krötke

|9| Die Religion wollte partout nicht absterben

Dem Theologen Karl Barth (1886–1968) ist der Vorwurf gemacht worden, sich in den Dienst des Kommunismus gestellt zu haben. Eine Korrektur

Die evangelische Kirche ist im Jahr 1989 der Konzentrationsort der »friedlichen Revolution« in der DDR gewesen. Die Wahl Joachim Gaucks zum Bundespräsidenten hat das gerade wieder ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Die Kirche konnte zu einem solchen Konzentrationsort werden, weil die Bevölkerung der DDR ihr zutraute, Sachwalterin der Freiheit und der Gerechtigkeit zu sein. Ich war damals Dozent für Systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule in Ost-Berlin (»Sprachenkonvikt«). Diese Hochschule war geprägt vom Geist der Theologie Karl Barths. Das bedeutet: Sie übte die Freiheit gegenüber der Ideologie des Sozialismus und die Solidarität mit den Menschen in diesem Staat ein. Zu beidem hat Barth die Kirche in der DDR ausdauernd ermutigt.

Was soll ich deshalb dazu sagen, dass Barth heute vom Schweizer Erwin Bischof in dem Buch »Honeckers Handschlag« bescheinigt wird, er habe »im Dienste der DDR-Kommunisten« gestanden?10 Am liebsten würde ich – im Einklang mit Barth – dazu gar nichts sagen. Denn Bischof frischt hier eine Kampagne auf, die der |10| Regierungsrat und spätere Bundesrat Markus Feldmann schon vor sechzig Jahren angezettelt hatte. Barth hat das schweigend über sich ergehen lassen. Er fand die Denunziation, er sei ein »Kommunist«, töricht und abstoßend. Dennoch hat sie ihn gewurmt. Noch der alte Barth erzählte, dass ihm jener unterdessen verstorbene Feldmann im Traum erschienen sei. Da habe er gesagt, er wisse nun besser, was er über ihn verbreitet habe.2

Bischof jedoch macht dort weiter, wo Feldmann aufgehört hatte. Er versteht Barths Option für einen von der Kirche zu befördernden »dritten Weg« in der nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden Ost-West-Konfrontation als Parteinahme für den »Kommunismus«. Doch das ist falsch. Es ging vielmehr um Folgendes: Jene Konfrontation beschwor die Gefahr eines Atomkrieges zwischen den Großmächten herauf. Angesichts dessen riet Barth den Kirchen, sich für einen friedlichen Wettstreit der von beiden Seiten geltend gemachten Werte einer humanen und sozial gerechten Gesellschaft einzusetzen. Dabei ging er davon aus, dass der Marxismus solche Werte lebendig halte. Deshalb weigerte er sich, den aller humanen Werte baren Nationalsozialismus mit dem Sozialismus in eins zu setzen und gegen ihn zu kämpfen wie einst gegen den NS-Staat.

Im Zusammenhang damit ist ihm 1949 der Satz unterlaufen, man könne »einen Mann von dem Format von Joseph Stalin« nicht »mit solchen Scharlatanen wie Hitler, Göring, Heß, Goebbels, Himmler, Ribbentrop, Rosenberg, Streicher usw. es gewesen sind [...] im gleichen |11| Atem nennen«.3 Dieser Satz hat Bischof veranlasst, ein Bild von Barth mit der schlimmen Unterschrift zu versehen: »Bewunderer von Stalin«.4 Unterschlagen wird dabei, was in jenem Vortrag »Die Kirche zwischen Ost und West« im Kontext dieses Satzes steht. Dort lesen wir: Die »asiatische Despotie, Verschlagenheit und Rücksichtslosigkeit [...] des vom heutigen Russland vertretenen Kommunismus« sei »abscheu- und entsetzenerregend«. Was dort ins Werk gesetzt werde, werde »mit sehr schmutzigen und blutigen Händen« getan.5

Barth hat nicht im Traum daran gedacht, den Kommunismus als eine empfehlenswerte Staats- und Gesellschaftsform für die Welt auszugeben. In einem »Offenen Brief« an Emil Brunner aus jener Zeit heißt es: Der Sozialismus dieser Art sei »keine annehmbare, keine von uns gut zu heißende, [...] keine unseren wohl begründeten Begriffen von Recht und Freiheit entsprechende Lebensform«.6 Die Behauptung Bischofs, Barth sei von einer »moralischen Überlegenheit des Kommunismus über den Kapitalismus« ausgegangen,7 trifft nicht zu. Es gebe hinreichend Anzeichen dafür, dass »der Staatssozialismus auch nur auf eine neue [...] Unterdrückung und |12| Ausnützung des Menschen durch den Menschen hinauslaufen könnte«, steht in der »Kirchlichen Dogmatik«.8

Für solche Äußerungen wäre Barth in der DDR hinter Gitter gewandert. Es verrät wenig Kenntnis der DDR-Propaganda, wenn Bischof das Lob des »Neuen Deutschland« für Barths Absage an den Antikommunismus zum Beweise dessen aufruft, dass er mit den DDR-Ideologen unter einer Decke gesteckt habe. Die haben mit umgekehrten Vorzeichen bloß dasselbe gemacht, was Bischof leider auch tut; nämlich sich das aus Barths Texten herauszupicken, was Wasser auf die eigenen Mühlen leitet.

Ein bisschen Beteiligung an der »Aufarbeitung« der Vergangenheit zweier Diktaturen in Deutschland hätte Bischof sicher davor bewahren können, Barths Position im Ost-West-Konflikt als Parteinahme für den Kommunismus zu verstehen. Es ist heute Konsens, dass der Nationalsozialismus nicht plan auf eine Linie mit dem »real existierenden Sozialismus« in der DDR zu stellen ist. Der Nationalsozialismus war ein menschenmörderisches System. Das war der Stalinismus in der Sowjetunion der Dreißigerjahre und bis zur »Entstalinisierung« auch. Barth hat in der »Kirchlichen Dogmatik« IV/3 Stalin, Mussolini und Hitler mit Recht auf eine Linie gestellt.9 In der DDR aber hatte der Sozialismus trotz seiner vielen Untaten nicht diese menschenmörderische Gestalt. Er war deshalb – wenn auch auf ideologisch verbiesterte Weise – den Werten verpflichtet, die ihm der Marxismus auf den Weg gegeben hatte. Man konnte ihn dabei behaften.

|13| Wir haben das die ganze DDR-Zeit hindurch getan, indem wir versuchten, den sozialistischen Verhältnissen das Beste abzuringen. Das war keine große Erfolgsgeschichte. Aber 1989 geschah tatsächlich das, was der prinzipielle Antikommunismus der Fünfzigerjahre nicht für möglich gehalten hat: Die Staatspartei kapitulierte vor dem Einfordern demokratischer Rechte durch die Bürgerinnen und Bürger.

Bischof verkennt auch noch etwas anderes. Barths Beförderung eines »dritten Weges« war für den »real existierenden Sozialismus« gefährlicher, als der offene Angriff des »Klassenfeindes«. Das galt als »Revisionismus«. Willi Barth (Sekretär im Zentralkomitee der SED) hat das in einer internen SED-Information klar ausgesprochen,10 als Karl Barth 1963 ein »Theologisches Gutachten zu den Zehn Artikeln über Freiheit und Dienst der Kirche« vorlegte.11 Diese waren von der Konferenz der Kirchenleitungen in der DDR als »Handreichung« für die Geistlichen verabschiedet worden.

Über jenes Gutachten gibt Bischof abenteuerliche Auskünfte. Er nennt es »Freiheit der Kirche zum Dienst«12 und verwechselt es damit mit den »Sieben Sätzen« des »Weißenseer Arbeitskreises«, die »Von der Freiheit der Kirche zum Dienen« hießen.13 Diese Sätze werden ohne Angabe von Gründen »berüchtigt« genannt.14 Unkundige |14| können sich aufgrund dieser wirren Angaben gar kein Bild machen, worum es hier ging.

Darum in Kürze: In den »Zehn Artikeln« wurde die Kirche in der DDR im Sinne Barths als eine freie »Zeugnis- und Dienstgemeinschaft« dargestellt, die sich nicht dem »Absolutheitsanspruch« des Marxismus-Leninismus unterwirft. Sie tritt für die »Gleichheit Aller« vor dem Gesetz ein. Sie darf zum »Missbrauch der Macht« des Staates und zur Unterdrückung der Kirche nicht schweigen.15 Die SED beurteilte in einer Einschätzung die »Zehn Artikel« als »generellen Angriff gegen das sozialistische Recht, die sozialistische Ideologie« und die sozialistische »Moral und Ethik«.16 Die Ost-CDU nannte sie in der »Neuen Zeit« ein »Instrument des Kalten Krieges«.17 Barth aber stimmte ihnen in allen Punkten zu! Er meldete jedoch den Wunsch an, dass im Blick auf den Sozialismus etwas »hoffnungsvoller und darum beteiligter« hätte geredet werden können. Doch gerade dieses Reinreden in den Sozialismus hat Willi Barth im ZK der SED als Aufmarsch des Klassenfeindes gebrandmarkt. Die »Dritte-Weg-Theorie« diene einer »Verfeinerung des Kampfes gegen unsere gesellschaftliche Ordnung«.18

Zu den »Sieben Sätzen« des Weißenseer Arbeitskreises« hat Karl Barth sich nicht geäußert. Sie nahmen zwar |15| seine Anregung auf, positiver zu reden, ließen aber alle Kritik beiseite. An ihnen haben aufrechte Kirchenleute mitgearbeitet. »Berüchtigt« wurden sie erst, als herauskam, dass Hanfried Müller von der Humboldt-Universität sie mit dem Staatssicherheitsdienst (Stasi) abgesprochen hatte. Er versuchte auch, Karl Barth zu manipulieren. Doch da biss er auf Granit. Zu Müllers Ideologie, dass die DDR die »mündige Welt« sei, auf die Dietrich Bonhoeffer gezielt habe, hat Karl Barth in einem Brief an Johannes Hamel gesagt: »Der Unfug, der mit den Manen von Bonhoeffer getrieben wird [...], übersteigt nachgerade alle Grenzen.«19 Im Übrigen war der Deckname Müllers nicht »Michael« (so Bischof20), sondern »Hans Meier«.21

Zurück zu den »Zehn Artikeln«. Sie durften in der DDR nicht veröffentlicht werden. Das Gleiche gilt für den Brief Barths »an einen Pfarrer in der Deutschen Demokratischen Republik« aus dem Jahr 1959. Auch dazu teilt Bischof Fragwürdiges mit. Die Grußbotschaft des Chefs der Ost-CDU zum 80. Geburtstag Barths soll belegen, dass dieser in der DDR verbotene Brief Begeisterung bei den DDR-Machthabern ausgelöst habe. Das Gegenteil war der Fall. Alle können sich das selber sagen, wenn sie das von Bischof zitierte Bruchstück aus diesem Brief lesen. Es heißt dort, die Kirche könne eine »Loyalitätserklärung« |16| zum DDR-Staat nur abgeben, wenn damit nicht eine »Gutheißung« der der Staatsordnung des Sozialismus »zugrunde liegenden Ideologie« gemeint sei. Sie müsse unter den »Vorbehalt der Gedankenfreiheit« und des »Widerspruchs«, ja des »Widerstandes(!)« gestellt werden.22 Loyalität mit der Option von Widerstand war aber das Letzte, was sich die SED-Funktionäre wünschten. Falsch ist außerdem Bischofs Behauptung, dass jene Erklärung ein »Eid« war. Unsere Kirche hat nie die Hand zum Schwur erhoben, um sich im Namen Gottes an diesen Staat und seine Ideologie zu binden.

Was nötig ist, um mit Bischof ins Gespräch zu kommen, ist also an erster Stelle eine sorgfältige Analyse der Texte Barths zur DDR. Dabei werden sicherlich auch Grenzen der Argumentationen Barths ans Licht kommen. Er konnte sich von der Schweiz aus eben nur annäherungsweise vorstellen, was es bedeutete, in der DDR zu leben. Das ging ja nicht nur ihm so. Für uns war es dennoch ein Freiheitsgewinn, dass gerade dieser im Kampf gegen die Unfreiheit viel erfahrene Schweizer unseren Weg begleitet und uns beraten hat.

»Heil uns, noch ist bei Freien üblich / Ein leidenschaftlich freies Wort« hat er 1933 mit Gottfried Keller den Nazis entgegengehalten.23 Als freies Wort, das im christlichen Glauben begründet ist und mit dem in Freiheit umzugehen ist, nehme ich Barths Texte bis heute wahr. Meine Meinung ist sogar, es wäre gut, wenn die europäische Christenheit von dieser Freiheit bewegt wäre. Ohne auf irgendwelche Propaganda zu schielen, hat die |17| Kirche Jesu Christi für die Menschen da zu sein, die unter den wechselnden politischen und wirtschaftlichen Systemen zu leben und zu leiden haben. Das versteht übrigens auch Joachim Gauck unter Freiheit. Anders als Freiheit zum Eintreten für eine gerechte Gesellschaft kann von Freiheit im christlichen Sinne überhaupt nicht die Rede sein. Es ist gut, dass die Bundesrepublik Deutschland einen Präsidenten hat, der solcher Freiheit gegenüber den Zwängen der Realpolitik Geltung verschaffen wird. Obwohl er ausweislich seiner Biographie24 wahrscheinlich nicht viel von Karl Barth versteht, bringt er ein Anliegen zu Geltung, das Barth in der politischen Wirklichkeit verankert sehen wollte.

Das Buch von Bischof führt demgegenüber in Niederungen, die nachgerade peinlich sind. Es strotzt von Schnitzern, die man am liebsten auf sich beruhen ließe. Ganz übergehen will ich sie dennoch nicht, weil sie eine Gerüchteküche entstehen lassen, die von Unfreiheit nur so dampft.

Erstens listet Bischof wiederholt Namen von Menschen aus der DDR auf, in denen »Assimilanten«, wie Barth die Ost-CDU-Funktionäre nannte,25 IMs der Stasi und redliche Kirchenleute und Theologen aus der DDR kommentarlos in einem Atemzug genannt werden.26 Es wird der Eindruck erweckt, sie alle seien fragwürdige Typen gewesen, die zu meiden waren. Dazu ist zu sagen: Wem die DDR einen IM auf den Hals geschickt hat, war ein Opfer und kein Täter. Wenn Bischof z.B. Walter |18| Feurich (IM »Klemm«) einen »Freund« Barths nennt,27 versucht er Barth auf die Seite der Täter hinüber zu mogeln.

Zweitens lastet Bischof Barth den sogenannten »Linksbarthianismus« an, der nach seinem Tod in Westdeutschland für den Sozialismus a la DDR eintrat. Walter Kreck aus Bonn hat mich persönlich z.B. belehren wollen, dass die DDR der bessere Staat sei als die Bundesrepublik Deutschland. Friedrich-Wilhelm Marquardt (nicht Marquart!) hat in seiner Habilitation »Theologie und Sozialismus« die Meinung vertreten, die »Denkform« Barths sei der »dialektische Materialismus«.28 Ein Kollege von mir hat diese ideologische Einzwängung von Barths Denken gültig ad absurdum geführt.29 Wie falsch sie war, ist dadurch belegt, dass ihre Vertreterinnen und Vertreter nach dem Ende der DDR sang- und klanglos mit ihr aufhörten. Barths Theologie der Freiheit aber hat Bestand.

Drittens beachtet Bischof nicht die einfachste Regel im Umgang mit Stasiakten. Er überprüft sie nicht auf ihren Wahrheitsgehalt. Unter der Überschrift »Die Saat geht auf« macht er sich zum Sprachrohr von »IM Klemm«, indem er von einem »Ritual« bei der Barth-Tagung auf dem Leuenberg im Jahr 1975 berichtet.30 Es habe im täglichen Absingen des kommunistischen Kampfliedes »Die |19| Internationale« bestanden. Zur Illustration wird dieses Lied vollständig abgedruckt. Richtig an diesem Bericht ist, dass ein paar Leute bei einem »Hüttenabend« launige Gesänge angestimmt haben. Ein paar davon sangen zu fortgeschrittener Stunde die »Internationale«. Doch diese aus Westdeutschland importierte Geschmacklosigkeit war weder ein »Ritual« noch hat sie diese Tagung geprägt. Ich erwähne das hier nur, damit die heute blühende Leuenberg-Tagung durch solche Stasi-Berichte keinen Schaden nimmt. Sie ist die weltweit bedeutendste kontinuierliche Tagung zur Theologie Karl Barths, auf der sich vor allem junge Leute mit dem theologischen Erbe Barths und seiner Gegenwartsbedeutung beschäftigen.

Viertens gibt Bischof dem Kapitel über Barth die Pointe, die Katholiken seien die eigentlichen »Antikommunisten« gewesen. Zum Beweis dessen wird Papst Pius XI. aus dem Jahre 1937 (!) zitiert.31 Die Wahrheit ist: Die katholische Kirche hatte sich in der DDR-Zeit ins Mauseloch verkrochen und zur Vorbereitung der »friedlichen Revolution« so gut wie nichts beigetragen.

Fünftens gibt Bischof zu erkennen, dass er sich mit der Kirche in der DDR gar nicht beschäftigt hat. Indiz dafür ist das, was er zur »Kirche im Sozialismus« sagt. Diese Formel, die Staat und Kirche gebrauchten, war in der Tat problematisch, weil sie nicht klar zum Ausdruck brachte, dass die Kirche für die Menschen in der sozialistischen Gesellschaft und nicht für die Ideologie des Sozialismus da sein wollte. Was Bischof aus ihr macht, aber hat sie niemals bedeutet. Sie besage, meint er, Religion |20| sterbe »getreu der marxistischen Religionskritik« gesetzmäßig ab.32 Die DDR-Mächtigen aber haben sich zu dieser Formel bequemt, weil die Religion trotz des massiven Angriffs auf sie partout nicht abstarb.

Ich will wirklich nicht »beckmessern«. Es war schon in der Zeit der Spaltung Europas schwierig, sich von außen über die DDR und den Weg der Kirchen in der DDR ein angemessenes Bild zu machen. Heute, da wir durch die einzigartige Offenlegung der Hinterlassenschaften einer Diktatur so viele Hintergründe ihrer Machtausübung kennen, ist das sicherlich nicht einfacher. Es nötigt zu immer genauerem Hinsehen. Bischof hat es nach meinem Eindruck damit nicht allzu ernst genommen. Aber sein Buch könnte ja vielleicht eine Provokation sein, gerade das zu tun.

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