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Du entrinnst nicht – 38 Geschichten zum Lachen und Weinen

Author: Wilhelm Lehr

Published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2013 Wilhelm Lehr

ISBN: 978–3-8442-3748-1



Vorwort

Mit ganz wenigen Ausnahmen sind die folgenden Geschichten völlig frei erfunden, sie entspringen einer lebhaften Phantasie und folgen der Vorliebe des Autors zu fabulieren.

So, wie der eine gerne hochstehend über das spricht, was er weiß, der andere lieber tiefgründig über das, was er denkt, so rede ich über das, was mir zufällig passiert, was mir einfach nahe kommt, was mich inhaltlich einfach irgendwie berührt.

Junge Leute reden oft von dem, was sie tun werden, alte von dem, was sie getan haben.

Ich rede um Dinge zu beleuchten, zu klären, zu beschwatzen, einfach so!

Manchmal ergibt es sich, dass man dabei lachen muss, manchmal ist alles aber auch zum Weinen.

Der Anlass einer jeden Geschichte war stets eine wahre Begebenheit, aber der tatsächliche Text entfernte sich direkt beim Schreiben immer mehr davon. Die Menschen, die darin vorkommen, gibt es gar nicht.

Es steht keine gezielte Absicht hinter den Geschichten, es existiert kein wissenschaftlicher Überbau.

Der Leser soll sich im Gedankenspiel erholen, er darf auch mal schmunzeln, aber Weinen sollte – wenn ich es recht bedenke - vermieden werden.

Zum Autor

Wilhelm Lehr ist Jahrgang 1947, geboren in Kirchdorf, Kreis Freising

Gymnasiallehrer, zuletzt, das immerhin 20 Jahre lang, Schulleiter

Ehrenamtlich tätig, insbesondere für den Bayerischen Musikrat und als Medienrat der BLM

Verheiratet; Vater von 2 Töchtern, Großvater von 3 Enkelkindern, Hobby-Landwirt.

Abendgala im Zirkus

Zwei Jahre nun bin ich nach 40 Dienstjahren schon pensioniert.

Rückblickend kommt mir mein Berufsleben wie ein Zirkus vor. Wenn ich gut drauf bin, nenne ich es schon mal Zirkusgala oder gar Jahrhundertvorstellung, wenn ich weniger stabil bin, einfach nur Zirkusalltag. „So ein Zirkus“, sage ich mir dann.

„Jetzt mal ehrlich: So schlecht ist der Vergleich zwischen diesem meinem Berufsleben und einem Zirkus gar nicht“. Je länger ich nachdenke, umso passender wird er, weil mir selbst meine berufliche Leistung mit Glamour, Glitter und Pomp daher kommt. Jedenfalls ist die Vergleichsvorstellung anständiger, als wenn ich mich als historischer Held fühle oder eingedenk mancher, wenn auch weniger Probleme, mit dem jungen Schiller gleichsetzen oder den alternden, mürrischen Beethoven bemühen müsste, dessen Schwierigkeiten mit der Wiener Bevölkerung ausschließlich s e i n e m schwierigen Charakter zugeschrieben wurden. Vor einigen Tagen gar kamen mir sogar im Traum immer wieder konturlose, verschwommene Bilder vom Zirkus ungeordnet und unscharf ohne jeden inneren Zusammenhang. Dieser Traum ist von nun an omnipräsent in meinem Gedächtnis und er beeinflußt – wie so mancher Traum – vorübergehend meine gesamte Stimmungslage. Ja, mein Berufsleben war in der Tat ein Zirkus.

Am besten, ich erzähle Ihnen ohne Umschweife von diesen Traumbildern:

Da taucht mit großem Frack und Zylinder, eine überdimensionale Peitsche schwingend, immer wieder der Zirkusdirektor auf und signalisiert meinen obersten Chef, der alles bestimmen darf und koordinieren muss. Er geht herrisch auf und ab, wird bei jeder Programmnummer bestimmender und entwickelt sich behend zu einem personifizierten Gegensatz von freundlicher Nähe und brutaler Härte. Groß und grauhaarig sieht er sehr gut aus in seinem traditionellen Outfit mit den eindeutigen Symbolen und fast aufdringlichen Signalen von Macht, Kultur, Bürgertum, Anstand und Oberschicht. Wenn er den Mund öffnet, um mit begleitendem Halblächeln seine Anweisungen zu zelebrieren, sieht man eine große Lücke zwischen den vorderen Schneidezähnen. Mit geringerem Selbstbewusstsein hätte er diesen einzig sichtbaren Mangel wohl reparieren lassen, aber bei der standesbedingten Souveränität glänzt die an sich häßliche Zahnlücke als diastematisches Neumen der Stärke, als Ausdruck einer ungeheuerlichen Stabilität und als einschüchternde Dauerwarnung für Untergebene und Zuschauer. In Raum und Zeit bewegt er sich wendig wie ein Fisch im Wasser. Er läßt keine Zweifel aufkommen: alle tanzen nach seiner Peitsche. Wir einfachen Zirkusdarsteller fürchten und verehren ihn gleichermaßen, das Publikum sieht das Ergebnis des Unternehmens ohne differenzierte Wertung und das ganze Unternehmen basiert natürlich wirklich auf den von ihm durch Koordination erreichten Erfolgen.

Jetzt merke ich es erst: der Elefant in der Mitte der Manege, das bin ja ich! Ein Elefant wohlgemerkt, mit der Statur eines solchen, mit den Wesenszügen und den genetischen Bedingungen eines solchen, mit der arttypischen Masse des Lebewesens und der damit vergleichsweisen kleinen Seele, mit der großen Kraft und dem kleinen Mut.

Was tut ein Elefant im Zirkus, bitte schön? Sich im Kreise drehen, tanzen, Instrumente spielen, für ihn unverständliche Geräte bedienen, sich mit einem lächerlichen Röckchen präsentieren?

In Wirklichkeit könnte der Elefant gerade wegen seiner biologischen und psychologischen Bestimmung ganz andere Leistungen zeigen: doch das erwartet keiner im Zirkus.

Der strenge Direktor will es so – weil das Publikum es so erwartet!

Nicht, dass mir der Zirkus mit seiner unbeschreiblichen Atmosphäre nicht gefallen und liegen würde.

Da sind die so virtuos auftretenden Jongleure. Was die alles gleichzeitig ausbalancieren können! Was immer man ihnen zuwirft, sie jonglieren damit.

Im grellen Scheinwerferlicht fühlen sich auch die sportlichen Artisten wohl und mit großer Bewunderung staune ich, wenn die Zauberer kommen und so gut über die Realität hinweg täuschen, dass man meinen möchte, sie würden wirkliche Wunder vollbringen, sie hätten überirdische Fähigkeiten und könnten mehr als nur täuschen und irreleiten. Illusionen erzeugen, täuschen, naturgegebene Realitäten verschleiern, das liebt man im Zirkus sehr.

Besondere Höhepunkte in der Spannung von Angst, Sorge und mutiger Begeisterung entstehen immer dann, wenn die wahren Helden auftreten, die artistisch mit Messer und Pistolen hantieren und zur Begeisterung aller auch vor brutal-konsequenter Gewaltanwendungen gegen sich und andere nicht zurückschrecken. Mit einem gewissen Schauern kann man sehen, wie Schützen aus Gebüschen und Hecken schießen und unglaubliche Wirkung erzielen. Meist mit ungarischen oder amerikanisierten Pseudonymen versehen, leben diese neuzeitlichen Gladiatoren trotz der gefährlich lauernden Pseudomnesie in dem Bewusstsein, die Größten zu sein. Einer von ihnen sieht sich als Sheriff der Welt und ein anderer gebärdet sich als Polemologe und Polizist gleichzeitig.

Eine eigene Gruppe in diesem Zirkus bilden diejenigen, die andere Lebewesen dressieren können, die z.B. sogar ein Pferd dazu bringen, einfache Rechnungen durchzuführen oder sich vor dem Publikum zu verbeugen. Diese Artisten haben ein untrügliches Gespür für singuläre Begabungsaspekte, die sie überdimensional und letztlich global gesehen nutzlos und bis ins Lächerliche aufblähen können.

Da sind dann noch die ganz besonders schönen Frauen neben den mutigen Männern, die Glamourgirls, zuständig für viel Glanz und Glitter und verantwortlich für eine ästhetische Komponente. Bei den Frauen im Zirkus bestehen die 100% der Performance immer aus den beiden variablen aber gegenseitig abhängigen Komponenten Schönheit und Leistung. Bei geringerer Schönheit muss eben eine größere Leistung erwartet werden können. Ist die Schönheit atemberaubend, dann tut es auch eine geringere cirzensiche Leistung. Das ist unumstößliches Gesetz im Zirkus!

„Oh Gott, beinahe hätte ich mich ganz im Schein der Zirkuswelt verloren“!

Ich bin ja der Elefant, der alles Mögliche tun soll, und dem so manches wirklich schwerfällt, und der bei einigen seiner Kunststücke sein eigentliches Wesen verbiegen muss. Der Elefant will nicht immer jede Lächerlichkeit mit Bravour ausführen; manchmal steigt in ihm die Sturheit hoch, aber im Kraftfeld zwischen seinem Dressurmeister und dem erwartungsvollen Publikum sieht er sich doch immer wieder, zum eigenen Erstaunen, „Männchen machen“, den Rüssel zum Trompeten formen und manchmal darf auch das simple aber recht wirksame „Wasser spritzen“ zur allgemeinen Gaudi sein..

Es gibt Dinge, dazu ist der „Elefant“ kaum zu bewegen. Doch das ist das Abgefeimte am Zirkus: auch das ist in die Show eingerechnet. Es passiert nicht, es ist Bestandteil von Regie und Choreographie:

Wenn der Elefant schließlich nicht mehr zu bewegen ist und einfach nicht mehr will, oder aus bestimmten Gründen auch nicht mehr kann, dann kommen die „Clowns“ auf den Plan. „Clowns“ das sind spaßige Versager-Typen mit hohem Beliebtheitsgrad beim Publikum in einem klassischen und weltweit erkennbaren Outfit.

In einer der großen Galas ist der Auftritt der Clowns so: Der erste Clown sieht extrem seriös aus mit seiner karierten Jacke und dem schönen, grauen vollen Haar. Mit einer überdimensionalen Fackel erscheint er im Scheinwerferlicht, stürzt sich an das rechte Bein des Elefanten und will diesen zum Gehen bewegen, indem er den Fuß des Elefanten anheben und vorwärts stellen will. Der Clown will unbedingt erreichen, dass der Elefant die Manege verläßt. Es geht nicht, auch wenn der Clown selbst sich für einen Elefanten hält. Das Publikum lacht vor Begeisterung und der Clown weint überdimensionale Tränen. Mit hohler Stimme beklagt er die mangelnde Kommunikation mit dem Elefanten. Mit theatralischen Gesten holt er den Zirkusdirektor herbei, doch der kennt die Stärke des Elefanten und die Schwäche des Clowns. So tut der Direktor das, was in der Situation Sinn macht: er ruft den nächsten Programmpunkt ab und erreicht in jedem Fall, dass alles irgendwie weiter geht.

So kommt der zweite Clown in dies Szene: Plötzlich öffnet sich ein Deckel im Boden und langsam aber laut steigt er aus den Tiefen, sozusagen aus dem Untergeschoß empor. War der erste Clown noch sehr bemüht, affektiert eine gute Kinderstube zu demonstrieren, so kommt der zweite Clown unglaublich übertrieben ungehobelt daher. Laut und unverständlich schreiend steigt er aus dem Keller und singt vollkommen von seiner Sendung überzeugt „vom Himmel hoch da komm´ ich her“; wild gestikulierend und in einer übertriebenen Mimik und einer ebenso witzigen Körpersprache fordert er jeden im Publikum auf, ihn bei seinen Bemühungen, den Elefanten zu bewegen, zu unterstützen. Und in der Tat, dieser Clown ist ein begabter Volkstribun und ein geborener Demagoge, und dennoch in der Sache immer erfolglos. Aber wie „Fred Flintstone“ oder der „King of Queens“ versucht er nicht, jede der unvermeidlichen Niederlagen zu vermeiden, sondern er ist dazu übergegangen, sie jeweils als persönlichen Einfluß und eigenen Erfolg zu verkaufen. Er hat den großen Vorteil, durch die Lacher aus dem Publikum eine Selbstillusion genießen zu können, die ihm Anerkennung genug ist. Es ist wirklich der Selbstbetrug, der ihm genügt. Das Bild ist herrlich: der heftig agierende Clown mit seinen stark gezeichneten und übermalten Tränensäcken, die ihn gleichzeitig traurig und lächerlich aussehen lassen.

Natürlich bemerkt er im innersten, vor allem wegen der naturwissenschaftlich nachweisbaren Tatsache, dass der Elefant auch von ihm nicht bewegt werden konnte, seine elementare Erfolglosigkeit. Daher rennt er zum Eingang, späht aus und versucht mit rudernden Armbewegungen Mithelfer zu gewinnen. Siehe da: schon kommen einige in die Manege, bereits zünftig als Clowns aufgemacht.

Mit kurzen Stummelbeinen hüpfen einige zu klein geratene Clowns, unter ihnen nur ein einziger ganz Langer herbei, gepreßte Schreie ausstoßend; die Zuschauen brüllen vor Lachen. „Red nosed“, die Glatze eingerändert mit einem schütteren Haarkranz, die Hosen viel zu weit um die Hüften, und der ganz lange Dürre bleibt gleich beim Zirkus-Direktor stehen, möchte ihm die Peitsche abnehmen und gebärdet sich wie der Zirkus-Direktions-Assistent. Die anderen bemühen sich gemeinsam, den Elefanten zu bewegen: allein der Versuch ist genial und lächerlich zugleich. Ein weiblicher Clown mit rötlichen, zotteligen Haaren, figürlich zurechtgemacht wie eine abgefüllte Blutwurst, versucht mit eindeutigen Gesten den Zirkusdirektor anzuweisen, er mögen das Seine dazu beitragen und den Elefanten verschwinden lassen. Die Zuschauer, die nicht blind sind, lachen sich halb tot und die Blinden ahnen, was passiert.

Da, ein Trommelwirbel - und der Clown aller Clowns, kommt herein. Unglaublich ausgemergelt, erbärmlich hager, torkelt er mit einem hilflosen Schulterzucken daher. Er hat tatsächlich Langlaufski dabei. Man glaubt es kaum: er versucht sie dem Elefant unter die großen Füße zu schieben. Aufgeregt agieren alle Clowns und versuchen angestrengt, den Elefanten zu bewegen.

Nahe dem Publikum, zunächst weit abgesetzt vom Geschehen und deutlich abgesetzt von den anderen Clowns, agiert ein ganz besonderer Clown, der mit seiner witzigen Logorrhö, sich für Schiller haltend, immer nur in einen Handspiegel schaut und dabei gegen jeden und alles stößt.

Das Einzige, was passiert, läßt sich so komprimiert ausdrücken: viele lächerliche Aktionen, das Publikum reagiert erheitert und der Elefant ---- bewegt sich nicht von der Stelle, die er sich regiegemäß aussuchen musste.

Die Quintessenz der Zirkusnummer: Der Elefant hat mehr Gewicht, als ein Clown sich vorstellen mag.

Angezogen wie eine Märchenprinzessin kommt schließlich eine wunderschöne, junge Frau in die Manege, traumhaft ebenmäßig in den Bewegungen, überzeugend im Auftreten, der starke Wille und die zielgerichtete Energie verdeckt und verpackt in reinster Ästhetik. Sie stellt sich vor den Elefanten und weist ihn sanft, höflich, elegant und zuvorkommend an. Der Elefant nimmt sie auf seinen Rüssel und verläßt mit ihr die Manege. Das Publikum applaudiert und die Clowns triumphieren in ihrer selbst gewählten Blödheit lärmend und freuen sich polternd und grölend über das eigene Versagen.

Die Zirkusprinzessin aber dirigiert den Elefanten mit ihrem Lächeln.

Abschiedsrede eines Dienstvorgesetzten

Sehr verehrte Anwesende!

Nicht selten beginnt eine Rede damit, große Menschen zu zitieren, längst gedachte, wertvolle Gedanken in Erinnerung zu bringen und historische Personen und Gegebenheiten in die Gegenwart zu holen. Man tut dies, um dem insgesamt relativ bedeutungslosen Augenblick Glanz zu verleihen, aber auch, um frei interpretierbare Assoziationen anzuregen.

Lassen Sie mich angesichts des Abschieds aus einer langjährigen beruflichen Tätigkeit mit Höhen und Tiefen, mit Anerkennung meines Handelns und auch mit Kritik an meinem Tun von den vielen Geistesgrößen, die ich schätze, heute Hilfe suchend zwei der ganz großen einbeziehen: L.V. Beethoven und den Heiligen Benedikt.

Ludwig van Beethoven hatte in seinen letzten Lebensjahren nicht nur Zustimmung, sondern erlebte auch schwere Zeiten in Wien; seine Fachkollegen wollten ihn und seine Profession nicht tolerieren, sein Publikum geizte mit Anerkennung und seine nächste Umgebung reduzierte sein Schaffen und seine Person zum gewöhnlichen Durchschnitt.

Dennoch verstanden es die Wiener immer wieder, die Schande der Missachtung und Geringschätzung und auch das von sich zu wälzen, dass sie ihn darben haben lassen. Da das Faktum des Konflikts selbst sich aber nicht leugnen ließ, haben die Wiener die Garstigkeit, die Schwierigkeiten von Beethovens Person so hervorgehoben, dass alle Schuld des Missverhältnisses bei ihm zu suchen sei. Sein Wesen sollte also alleine schuld sein.

So sah Beethoven seine ganze Hoffnung in England. Wie jeder Mensch, spielte er mit dem Gedanken, dass woanders alles besser sein müsse und bedachte nicht, dass nicht nur die Wiener so waren, sondern dass Menschen so sein können und so sind.

In all den Fällen, die man als Konflikte bezeichnen kann, fühle ich mich aus heutiger Sicht behandelt, wie seinerzeit L.van Beethoven.

Doch sehe ich neben den vereinzelt aufgetretenen Dissonanzen im Rückblick – Gott sei Dank! - viel mehr Konsonanz und Harmonie.

Wie erklären sich der berufsbezogene Prozess von Dissonanz und die gewünschte Auflösung in einen harmonischen Wohlklang?

Auf diese Fragen gibt es eine ganz einfache und hilfreiche Antwort: Gegenseitige Achtung, Anerkennung, Toleranz und Lob müssen Kritik und Tadel überwinden.

1 Die Menge Lob, die jetzt zum Abschied formuliert wird, ist angenehm, doch es nützt Ihnen und mir nicht mehr so viel, wie es – zeitlich früher angebracht – bringen hätte können.

2 Lob sollte – in jeder Richtung eingesetzt - ein berufsbegleitendes Element sein. Nur dann wirkt es richtig. Und so hoffe ich, dass ich für andere stets anerkennende Worte gefunden habe für die Leistungen, die ich erleben durfte und Kritik nur da übte, wo es im Sinne der Aufgabenstellung erforderlich war.

3 Ich hoffe, dass ich insgesamt mehr gelobt als getadelt habe.

Mit diesem Satz bin ich schon bei den Ratschlägen des Hl. Benedikt für die neu ernannten Äbte angelegt. Und so schließt sich ein Kreis, weil ich aus diesen Ordensregeln bei meinem Dienstantritt als Behördenleiter zitiert habe.

Ich erinnere mich und mit mir diejenigen, die damals dabei waren:

Benedikt spricht davon, dass Führungskräfte mehr loben als tadeln sollen und stets bedenken müssen, dass sie gemessen werden, wie sie andere messen. Erinnern wir uns an das Bild, das die menschliche Schwäche – Bruchstelle – besser nicht beschreiben könnte: „Wenn man ein geknicktes Rohr aufrichte, dann bedenke man, dass es leichter denn je bricht...“

Ich zitierte bei meiner Amtseinführung auch das Bild des HL Jakob: „Eine Herde führe man so, dass nicht alle schon am ersten Tag auf der Strecke bleiben, sondern das gesteckte Ziel erreichen.“

Ich habe das versucht, auch wenn meine Möglichkeiten immer dann begrenzt waren, wenn einige aus der Herde eigene Wege gehen mussten oder gar mir nicht folgen wollten.

Schließlich habe ich selbst das respektiert – auch wenn diese Vorfälle auf dem Wege ihren Preis hatten.

So formuliere ich zu meinem Abschied einen Wunsch, der all denen gut tun wird, die künftig in dieser Behörde, in welcher Funktion auch immer - zu tun haben werden:

Achtet das Lob als Zaubermittel, lebt den gegenseitigen Respekt und realisiert die lebensnotwendige Toleranz.

Auch wenn Friedrich Nietzsche im Lob mehr Zudringlichkeit erkennt, als im Tadel (Jenseits von Gut und Böse), so folge ich doch Anselm Feuerbach, wenn er uns dies Vermächtnis hinterlässt:

„Nörgeln ist leicht; deshalb versuchen sich so viele darin. Mit Verstand loben ist schwer; darum tun es so wenige.“

In diesem Sinne: alles Gute für die Zukunft!

Ach ja, die Buben – ach ja, die Mädchen

Es ist gerade ein Woche her, da trafen sich zwei mittlerweile gesetzte Männer, die sich von früher kannten. Damals war jeder der beiden in einer gewissen Weise extravagant: der Jüngere von beiden verkehrte in Schauspielerkreisen, er war seinerzeit jedenfalls ein selbst gefühlter Bohemien und wenig an bürgerlichen Tugenden interessiert. Der andere orientierte sich musisch, geisteswissenschaftlich, dennoch entgegen dem Zeitgeist damals zukunfts- und erfolgsbemüht bürgerlich.

Reden wir nicht drum herum, nennen wir sie direkt beim Namen. Beim Jüngeren handelt es sich um den berühmten Jürgen Juvenili und beim Älteren der beiden um den weniger berühmten, aber auch recht erfolgreichen Liam Levirat.

Beide waren so unglaublich von ihren eigenen Meinungen überzeugt, dass sie erst gar nicht bereit waren, aufeinander zu hören; sie versuchten nicht einmal, ihre Äußerungen zu begründen. Man fragt sich im Nachhinein, warum sie sich überhaupt unterhalten haben? Vielleicht sprachen sie aus dem Bemühen, sich darzustellen, oder wie auch immer, oder vielleicht um in der Gesellschaft zu brillieren, denn sie konnten sich total auf den eigenen Redefluss in einer sehr hochstehenden Qualität verlassen. Was auch immer Jürgen Juvenili sagte, es entsprach seiner Meinung nach dem „Consensus Communis“ und war schon daher als breites Allgemeingut unanfechtbar, unzweifelhaft richtig und konnte keiner Kritik ausgesetzt werden. Liam Levirat setzte sogar noch eins drauf und war stets überzeugt, seine Aussagen seien sogar als „Consensus Omnium“ auf höchstem Rang, also noch eine Stufe höher als der „Consensus Communis“.

Das gesamte Gespräch wurde natürlich von einer unglaublichen Inkonsequenz der Meinungen begleitet und jeder der Beteiligten widersprach sich innerhalb eines Satzes je nach Zielführung der Gedankengänge (abhängig davon, ob sie die schmerzliche Qualität ihrer Erziehungsleistung hervorheben oder die Freude an der unkomplizierten, genialen Entwicklung der Kinder betonen wollten) gleich mehrmals. Aber dieses Phänomen der logischen Inkonsequenz tritt bei jedem pädagogischen Thema auf, insbesondere in jedem pädagogischen Spezialthema, besonders aber beim heikelsten aller Themen, die von Eltern von Jungen mit Eltern von Mädchen geführt werden: Welches von den Geschlechtern ist leichter zu handhaben in der Erziehung, Jungen oder Mädchen?

Jetzt sollte man wissen: Jürgen Juvenili hatte zwei Jungen und kein Mädchen, Liam Levirat hatte zwei Mädchen, aber keinen Jungen in seiner engeren Familie.

Es war also schon von vornherein zu erwarten, dass es im Bereich realer, persönlicher Erfahrungen des Einen keinen wirklich toleranten Erfahrungsaustausch geben konnte, aber auch nicht beim Erfahrungsschatz des anderen. Liam Levirat hatte zwar einen Jungen auf der Liste der Enkelkinder, aber dies konnte zum Gesprächszeitpunkt aus Gründen der Parität und Fairness nicht bemüht werden.

Jürgen Juvenili begann den Dialog mit vielen Themen gleichzeitig und so virtuos, als ob er nach seiner Meinung gefragt worden wäre in dem latent vorhandenen Bewusstsein, dass er bei der Erziehung seiner Söhne alles richtig gemacht habe, stolz darauf sein könne und dies unbedingt mitteilen müsse:

„ Immerhin macht er jetzt Abitur, ja, er hat gut gelernt all die Jahre, von Anfang an, auch der zweite Sprössling hat sich selbst das Lesen beigebracht. – Richtig begabt sind die, man braucht da gar nicht viel zu fordern. – Mädchen wären da viel schwieriger, zickiger, sie gehen den Weg zum Beruf nicht so zielorientiert. – Der Ältere möchte jetzt sogar Jura studieren; das habe ich ihm gehörig ausgeredet! Ein Jurist in unserer Familie! –Alles Übel in der Welt kommt von Juristen und Psychologen! Die sind alle problematisch; ich sehe das täglich, wie unbedarft die in wirtschaftlichen Dingen sind!“ Und er fügte alles zusammenfassend hinzu: „ Ich sehe das wie Napoleon: es gibt nur zwei Motive des menschlichen Handelns: Eigennutz und Furcht!“

Liam Levirat unterbrach ihn sanft, teils um eine Lanze für die Volljuristen zu brechen, teils um die Aktualität der Wertevorstellung Napoleons zu relativieren, teils um im ungebremsten Lob auch Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Jungen durchklingen zu lassen, um seinerseits seine Töchter in den Vordergrund zu spielen und um vielleicht den Goethe-Satz aus den Wahlverwandtschaften, „man erziehe die Knaben zu Dienern und die Mädchen zu Müttern“ bezüglich der Knaben triumphierend zu erwähnen und bezüglich der Mädchen zur angebrachten, modernen Gleichberechtigung zu korrigieren oder weiter zu entwickeln.

Er versuchte dies so:

„Ja, wenn er so gut ist, dass er ohne Mühe Jura studieren könnte, warum sollte er das nicht anstreben? – Meine Töchter haben jeweils ihr akademisches Studium schon erfolgreich abgeschlossen; Pharmazie und Lehramt, die Fächer sind ja auch nicht ohne; außerdem finde ich nicht, dass Töchter schwieriger sind, sie haben´s vielleicht schwerer, aus verschiedenen Gründen...“

Hier hielt es Jürgen Juvenili nicht länger zurück und er entgegnete betont sanft:

„Meine Jungs sind einfach sozial eingestellte, verträgliche Team-Player, die wissen, wo es lang geht, keine Probleme mit Kleidung und Mode, keine Deviationen, um bei zweifelhaften Mädchen zu landen; sie selbst bestimmen immer ihren Weg und ihre Entwicklung, im Bewusstsein, was gut für sie ist;...

Liam Levirat merkte langsam, wie seine Galle sich verhärtete, denn nun kam der Punkt im Dialog, der ihn aggressiv werden ließ:

„Ja, ja, die selbstbewussten Jungs mit punktgenauer Lebensvorstellung gehen ihren Weg im Einklang all ihrer Fähigkeiten und im Reinen mit sich selbst; - aber was ist mit den Mädchen, die ihnen auf diesem Weg begegnen?“

Und in Liam Levirat kochte seine ganze Lebenserfahrung hoch. Wie oft musste er mit größtem Bedauern miterleben, wie seine Töchter die unterschiedlichsten Ausprägungen von Männern kennengelernt haben, wie sie ihr reines, blütenweißes Wesen jeweils den unmöglichsten jungen Männern so angepasst haben, dass weder ihre hochstehenden Charaktermerkmale, noch ihr herausragender Intellekt, noch ihre vorbildliche Erziehung erkennbar blieben? Wo blieben vor allem die anerzogene Souveränität und die stabile Personality, die er so gerne vermittelt hätte?

Liam war so aufgebracht, weil er sich mit Schaudern erinnerte, dass er seinen Töchtern zuliebe schon viele uninteressante junge Männer anlachen musste, mit ihnen freundlich zu konversieren hatte und selbst Kleinigkeiten in seinem Lebensstil ändern musste. Einmal war der Favorit einer der Töchter klapperdürr und fror jämmerlich bei jeder Gelegenheit. Unreflektiert musste die ganze Familie die Raumtemperatur so erhöhen, dass jeder Fernsehabend einer Sauna gleichkam. Dann lachte sich diese Tochter als Kontrast einen schwer Übergewichtigen an, der allein mit seinem Schwitzen für eine schlagartige, totale Einstellungsänderung bezüglich der Heizgewohnheiten sorgte.

Auch wenn es hier nur die Zimmertemperatur betraf: Liam könnte diese und ähnliche Erfahrung zur Anpassungsfähigkeit von Mädchen auf fast alle Bereiche des Lebens ausdehnen: auf den Fahrstil, die bevorzugte Automarke, sportliche Betätigungen, Frisuren, Aussehen, Vorlieben beim Essen, Rauchen, politische Meinungen, Präferenzen bei Musik, Reitstile, Einstellung zu den Eltern,...

Liam Levirat sagte dann doch besonnen und leise, fast wie im resignierten Selbstgespräch:

„Ich mag Mädchen lieber, sie sind kreativer, leistungsfähiger, .....passen sich besser an“,....

Ja da war sie wieder, die geliebte, ungeliebte Anpassung...

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