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Blumen zum Frühstück

Das Klopfen war kaum hörbar, doch Elena war sofort hellwach.

»Ja?«, antwortete sie erwartungsvoll.

David steckte seinen Kopf zur Verbindungstür herein. »Bereit für ein kleines Abenteuer?«

»Ja.«

»Wie lang brauchst du, um dich fertig zu machen?«

»Sind zwanzig Minuten okay?«

»Kein Problem, ich trinke auf der Terrasse einen Espresso. Komm einfach runter, wenn du fertig bist.«

Nachdem er die Tür leise ins Schloss gezogen hatte, änderte sich ihr aufgesetzt entspannter Gesichtsausdruck schlagartig: Die Decke flog im hohen Bogen aus dem Bett und sie sprintete wie von der Tarantel gestochen ins Badezimmer. Der Blick in den Spiegel weckte ihren Wunsch die Haare zu waschen, doch zum Föhnen reichte die Zeit keinesfalls. Pferdeschwanz? Elena entschied sich für eine Hochsteckfrisur. Schnell drehte sie ihre Pracht zu einem Knoten und steckte ihn mit Spangen fest. Nach dem Duschen zog sie einzelne Strähnen heraus und föhnte den Pony auf. Wimperntusche und Gloss mussten als Make-up genügen. Ein hektischer Blick auf die Uhr verriet ihr: nur noch drei Minuten. Sie stürzte zum Kleiderschrank. Und jetzt? Was sollte sie anziehen? Kleid? Rock? Die gelbe Bluse, grüner Rock mit den passenden Sneakern, das sollte für den Besuch beim Floristen genügen.

Was für Gedanken mache ich mir eigentlich?

Elena musste feststellen, dass sein Outing, auch nachdem sie eine Nacht darüber geschlafen hatte, noch immer nicht in aller Konsequenz zu ihr durchgedrungen war.

David marschierte los zum Steg. »Komm, das Boot wartet schon auf uns.«

»Ich sehe kein Wassertaxi.«

»Wir fahren mit einem Sandolo.«

Die Überraschung war gelungen: Ihr Fremdenführer hatte eine kleine Gondel mit stilechtem Gondoliere für sie bestellt. Dieser coole Typ musste doch tatsächlich so etwas wie ein Gefühl für Romantik haben. Und jetzt wo er ihr gestanden hatte, schwul zu sein, hatte er wahrscheinlich keine Bedenken mehr, seine weiche Seite auch zu zeigen. Vielleicht hatte er sich aber auch einfach nur von der allgemeinen Hochzeitseuphorie anstecken lassen. Doch was immer es auch war, auf jeden Fall bewies er zu dieser frühen Stunde, dass er als Mann wirklich den Sinn fürs Wesentliche hatte: Sobald sie saßen, reichte er Elena einen lebensrettenden Becher Latte Macchiato.

Eine leichte Beklemmung breitete sich in ihr aus, als die kleine Nussschale ablegte, um den breiten Canal di San Marco zu queren. Bei dieser Bootsfahrt war sie froh, so dicht neben David zu sitzen. Seine Körperwärme wirkte wie eine Beruhigungstablette, denn da waren verdammt viele Meter Wasser zwischen ihnen und dem Ziel auf der anderen Seite des Kanals – und auch unter dem Rumpf.

»Jetzt, um 6.00 Uhr morgens gehört Venedig noch den Venezianern.« David zeigte auf den Platz vor dem Dogenpalast in der Einmündung zum Canal Grande – so menschenleer war er wahrlich ein seltener Anblick!

»Und außerdem gehört die Stadt dem Himmel und dem Meer«, entgegnete Elena begeistert. Im Zwielicht, in dem es noch keinen Horizont gab, tauchten die Inseln der Lagune eine nach der anderen wie von Geisterhand aus dem Dunst auf. »Wohin fahren wir?«

»Erst mal Frühstücken.«

»Frühstücken?«

»Ein besonderes Frühstück: Die Saison für Tintenfische hat gerade begonnen.«

»Um diese Uhrzeit Tintenfische?« Beim Gedanken an rohe Meeresfrüchte drehte sich Elena der Magen um.

»Du machst ein Gesicht, als müsstest du dich übergeben. Seekrank?«

Angesichts der wilden Schaukelei, in die das kleine Boot durch die hohen Wellen geriet, als es in den Canal Grande einbog, keine unberechtigte Frage.

»Nein, aber roher Tintenfisch ...«

»Warum denn roh? Der Stand, den ich meine, bietet die beste Meeresfrüchtepfanne an, die du je gegessen hast, das garantiere ich dir!«

»Du magst es zum Frühstück gerne deftig?«

»In jeder Beziehung und zu jeder Tageszeit.«

Elena verstummte. Sofort hatte sie ein Bild vor Augen, das sie nicht sehen wollte: David in den Armen seines Liebhabers … wie unvorstellbar.

Der Schatten des Brückenbogens, den sie passierten, senkte sich auf das Boot hinab. Die typischen Reflexionen von Licht, das sich auf der Wasseroberfläche brach, malte zart leuchtende Streifen auf die Steine und in Davids Gesicht. In diesem Moment lag etwas Zerbrechliches in seinen Zügen, etwas das ihr vorher schon ab und an aufgefallen war.

Als würde er bemerken, dass sie diese fragile Seite von ihm sehen konnte, verhärtete sich sein Ausdruck sofort wieder und wurde undurchdringlich. Jetzt, wo sie die Wahrheit kannte, wunderte es sie nicht. Beim Militär durfte er seine Homosexualität bestimmt nicht zeigen. In der von Männern dominierten Welt käme es bestimmt einem Spießrutenlauf gleich, wenn er seine Neigung zugeben würde. Fast hatte sie ein wenig Mitleid mit ihm. Seine abweisende Art war sicher nichts als Selbstschutz.

»Hey, schöne Frau, du siehst plötzlich so traurig aus. Was liegt dir auf der Seele?«

»Nichts. Nur ein kleiner Anflug von Melancholie. Angesichts dieser wunderschönen historischen Kulisse doch kein Wunder – oder?«

Ob ihre als Scherz gedachte Bemerkung als solche bei ihrem Gegenüber ankam, bezweifelte sie. Auch wenn David nichts erwiderte, sah er nicht so aus, als würde er ihr auch nur ein Wort glauben. Doch wer sich verteidigt, klagt sich bekanntlich an, und so beschloss Elena, nichts weiter zu sagen, und tat so, als würde sie die traumhafte Szenerie auf sich wirken lassen.

»Täuscht mich mein Eindruck oder gehst du seit gestern Abend auf Abstand zu mir?«

»Das bildest du dir ein, ich habe eine Menge schwuler Freunde …«

Mist, jetzt bin ich ihm voll auf den Leim gegangen!

David ergriff ihre Hand und streichelte liebevoll darüber. »Du bist ein guter Mensch. Ein Mensch ohne Vorurteile!« Da war etwas in seinem Blick, das war so theatralisch, dass sie zum ersten Mal das Gefühl hatte, wirklich neben einem Homosexuellen zu sitzen. »Ich hoffe, du bist nicht zu enttäuscht …«

»Aber um Gottes willen, nein!«, fiel sie ihm ins Wort.

»Nicht zu enttäuscht, dass ich nicht schwul bin. Das war doch nur ein Witz.«

Vollmeise war das erste Wort in Elenas Gedanken. Das nächste war Mordgelüste, gefolgt von dem starken Drang, ihm einen kräftigen Stoß zu versetzen. Es würde bestimmt helfen, wenn er mit dem Kopf einmal kräftig gegen die Steine des Brückenbogens schlagen würde. Leichte Erschütterungen im Oberstübchen sollten bekanntlich helfen, wirre Gedanken wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Doch Priorität hatte jetzt erst mal die Konzentration auf die eigene Atmung, um das akute Bedürfnis zu unterdrücken, die Stadt, die in weiten Teilen noch im Tiefschlaf lag, zusammenzuschreien.

Noch bevor es eine Möglichkeit gab, ihm wenigstens kräftig den Kopf zu waschen, zog er sie bereits vom Sitz hoch und auf den Holzsteg, an dem sie gerade festgemacht hatten. Er sagte selbst auch kein weiteres Wort, legte seinen Arm um ihre Schultern und schob sie in die Richtung der großen roten Marktschirme. Für ihn war das Thema damit offensichtlich erledigt.

Die Obst- und Gemüsestände sahen aus, als würden sie jeden Moment unter der Last zusammenbrechen. Zu hohen Türmen aufgestapelt leuchteten Früchte und Gemüse der Region in der schönsten Farbenpracht. »Gibt es hier in Venedig ein besonderes Licht? Das Obst sieht so verführerisch aus …«, murmelte Elena immer noch völlig neben der Spur.

David blieb stehen und ließ seinen Blick über die Auslagen schweifen. »Ja, Venedig hat seinen eigenen Zauber … Durch die aufgesteckten Haaren kommt der zarte Schwung deines Halses richtig zur Geltung. Deine makellose Haut erinnert mich an einen samtweichen Pfirsich. Einen Pfirsich, dessen betörenden Duft ich selbst auf diese Entfernung wittere.«

Die Vorstellung, auf welchen Duft David anspielen könnte, bescherte Elena ein leichtes Unwohlsein in der Magengegend – oder war das der Hunger? Der Gedanke, dass er die Richtung ihres Denkens dirigieren konnte, wie es ihm beliebte, zog ihr ganz langsam den Teppich unter den Füßen weg. Er hatte eine Art von magischer Wirkung auf sie, der sie sich aus einem unerfindlichen Grund ausgeliefert fühlte. Dankbar ihn nicht ansehen zu müssen, biss sie in die Melone, die er ihr reichte. »Lecker, so saftig«, kommentierte sie hilflos.

»Sehr lecker und supersaftig«, bestätigte David und leckte den Melonensaft ab, der seine Finger hinunterrann. »Aufgegessen? Sehr gut, dann gehen wir jetzt zum Fischmarkt.« Er zog sie hinter sich her in das dichte Gedränge einer historischen Säulenhalle im Zentrum des umgebenden Freiluft-Marktgeländes. Der stärker werdende Duft von gebratenen Meeresfrüchten, Gemüse und Kräutern zeigte, dass sie auf dem richtigen Kurs sein mussten, auch wenn Elena nicht sehen konnte, welchen Weg er einschlug: Davids durchtrainierter Oberkörper vor ihrer Nase, der die Menschenmenge teilte wie einst Moses das Rote Meer, ließ ihr keine Möglichkeit zu sehen, wohin die Reise ging.

»Wirklich hervorragend«, kommentierte Elena und vermied peinlichst alle Wörter, die ihrem Begleiter auch nur im Entferntesten die Möglichkeit boten, wieder an das Thema Sex anzuknüpfen.

»Satt?«

Sie tupfte den Mund mit der Serviette ab und nickte. »Danke, pappsatt.«

»Dann würde ich vorschlagen, wir machen uns auf den Weg. Der Florist ist auf der anderen Seite des Canal Grande.«

»Wie kommen wir dahin?«

»Laufen, es ist nicht weit.«

Galant bot er ihr einen Arm an und nach wenigen Minuten hatten sie über die Rialtobrücke bereits das andere Ufer erreicht. Als sie zum gefühlt zwanzigsten Mal in eine Seitengasse abbogen, war Elena froh, einen Mann mit offensichtlich ausgezeichnetem Orientierungssinn an ihrer Seite zu haben. Den Eingang zum Floristen zu finden, erforderte dagegen keine speziellen Fähigkeiten: Üppig bepflanzten Kübel stachen schon von Weitem wie blühende Wegweiser ins Auge.

Trotz des exquisiten und großen Angebots musste Elena nicht lange überlegen: Ihre Wahl fiel auf rote Rosen, Vergissmeinnicht und kleinblütige weiße Margeriten. »Das perfekte Trio für das Brautbukett und den Kranz.«

»Du bist eine Frau der schnellen Entschlüsse«, bemerkte David und es hörte sich nach einem echten Kompliment an – obwohl die Wortwahl wieder mehr als doppeldeutig war. Als sie hinaus in das wärmende Sonnenlicht traten, zog er sie plötzlich in die Arme. Der Druck seines Fingers bog ihr Kinn hinauf, bis er seine Augen in ihren versenken konnte. Sein Kuss fiel überraschend zärtlich und gefühlvoll aus. »Versprichst du mir, dass du bei deiner Hochzeit genauso einen Kranz in deinen Haaren tragen wirst?«

»Das solltest du wohl lieber mit meinem Zukünftigen besprechen, der steht nicht auf so viel Schischi

David löste seine Umarmung wortlos.

Und dieses Schweigen grub sich viel vernichtender in Elenas Gewissen ein, als ein Kommentar es hätte tun können. Er hat selbst schuld, warum hat er mich angelogen und behauptet, schwul zu sein? Geschieht ihm nur recht, wenn er jetzt enttäuscht ist, rechtfertigte sie sich vor sich selbst, denn der Blick in seine Augen bewies, dass sie einen Volltreffer gelandet hatte. Aber der Sieg hinterließ einen bitteren Geschmack in ihrem Mund. Was war ein Schlagabtausch wert, der nur darauf abzielte, dass man sich gegenseitig bewies, wie unwichtig man einander war?

Auch wenn David – ganz Gentleman – ihr wieder den Arm anbot, konnte Elena sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es nicht mehr als eine Geste der Höflichkeit war. Mehrmals wollte sie ansetzen, doch sie fand einfach nicht die richtigen Worte, um die unangenehme Stille zu durchbrechen. Hinter der nächsten Wegbiegung wurde die bedrückende Enge der Altstadtgassen plötzlich von der Weiträumigkeit des Markusplatzes abgelöst. Doch die ausladende Weite brachte kein erlösendes Gefühl der Befreiung mit sich. Ein seltsames Empfinden beschlich Elena, fast so, als wäre sie zu einem Spießrutenlauf durch die Menschenmenge auf der großen Fläche verdonnert. Ob die vielen hundert Augenpaare nur darauf warteten, sie und ihr schlechtes Gewissen zu beobachten?

David ließ sich nicht beirren und bahnte sich forsch seinen Weg durch die Touristenströme. Als er dann auch noch entschlossen auf die motorisierten Wassertaxis zusteuerte, war klar, dass auch er diese unschöne Situation so schnell wie möglich beenden wollte. An einem gemütlichen Ausklang des Ausflugs in Form von Cappuccino oder Sightseeing hatte er kein Interesse mehr.

Zufrieden setzte David Kurs in Richtung Steg. Die Schuldgefühle waren Elena auf die Stirn geschrieben. Neben ihm wandelte ein verlockendes Kunstwerk von Mutter Natur, das dazu auch noch mit einem sehr großen Herz ausgestattet war. Bei dieser Frau musste er die Zügel vorsichtig aufnehmen, sie war noch nicht für die harte Gangart an der Kandare gerüstet. Doch bis jetzt hatte er sie auch ohne Zwang mit den entsprechenden Manövern in die gewünschte Richtung lenken können. Ihre Ungeduld wuchs von Tag zu Tag – und damit letztlich auch ihre Bereitschaft, gehorsam zu folgen. Ein kurzer unbemerkter Seitenblick auf ihre prachtvollen Formen bescherte ihm ein sagenhaftes Kribbeln bis in die Haarspitzen. Wie sie wohl reagieren würde, wenn er sie hier, quasi vor den Augen hunderter Touristen durcharbeiten würde, ohne dass auch nur ein Außenstehender etwas davon mitbekam? Die Angst vor Entdeckung würde ihrer Lust – und damit auch seiner – bestimmt Flügel verleihen. Mit einem leisen Seufzer verschaffte er sich Erleichterung und hoffte, dass sie nicht bemerkte, wie sein Körper unterhalb der Gürtellinie reagierte.

Auch nach dem Ablegen hatte Elena keine Hoffnung mehr, dass ein Gespräch in Gang kommen würde. Sie beschloss die unangenehme Situation zu überbrücken, indem sie sich wieder ihren eigenen Angelegenheiten zuwandte … Um sich dem Inhalt ihrer Rocktasche widmen zu können, erhob sie sich von ihrem Sitz. Ob es ein Windstoß oder eine Welle war, die das Wassertaxi heftig erwischte und gefährlich zum Schlingern brachte, ließ sich im Nachhinein nicht mehr feststellen. Reflexartig klammerte sie sich an David fest, der von seinem Sitz hochgeschnellt war, um sie zu stützen, und öffnete für einen Sekundenbruchteil ihre Finger. Der Wind fand in dem Blatt eine ideale Angriffsfläche und riss es ihr aus der Hand. Fassungslos musste sie zusehen, wie der Zettel über Bord segelte.

»Fionas Ehegelöbnis!«, schrie sie entsetzt auf. Eine weitere schnelle Bewegung, ein weiterer Schrei: »Mann über Bord!«

Ohne zu zögern, war David todesmutig aus dem fahrenden Motorboot gehechtet. Als er wieder auftauchte, winkte er mit seiner Beute. Warum seine Gesichtszüge mit jedem Meter, dem er sich dem Boot näherte, missmutiger wurden, erschloss sich Elena nicht. Ob es an der Wassertemperatur lag oder an dem Menschenauflauf, der sich am Ufer gebildet hatte?

»Ein wirklich interessantes Ehegelöbnis«, kommentierte David und begann vorzulesen, nachdem er seinen triefenden Prachtkörper wieder an Bord gehievt hatte. »Sechs Eier, ein Liter Milch, Sahne …« Langsam richtete er sich auf und kam auf Elena zu. Ruckartig zog er sie an sich und sah sein Spiegelbild in ihren verängstigt geweiteten Pupillen aufblitzen. »Damit hat sich der Preis für mein Schweigen gerade verdoppelt!«

Vermisste

»Liebling, ich werde dich vermissen!«, verkündete Fiona und reckte theatralisch die Arme zum Himmel hinauf.

»Wie darf ich das denn bitte verstehen?« Ryan warf einen misstrauischen Blick auf das Gepäck. »Kalte Füße? Willst du mir auf diese Weise schonend beibringen, dass du mich verlässt?«

»Ja, ich werde dich verlassen – für heute Nacht!«

»Warum denn? Prinzessin, ich musste so viele Tage und Nächte ohne dich verbringen!«

»Brauch ist Brauch und der verlangt nun mal, dass Braut und Bräutigam die Nacht vor der Hochzeit getrennt verbringen.« Fiona zeigte sich unerbittlich und verschränkte die Arme demonstrativ vor der Brust.

Ryan ließ sich von der Abwehrhaltung nicht abschrecken, ergriff vorsichtig ihre Hände und legte sie um seine Taille, während er seine Arme um Fionas Schultern schlang. »Und wenn ich dir verspreche, ganz züchtig und brav zu sein, und dich nicht anzurühren?«, schmeichelte er.

»Guter Witz und schöner Versuch, Mister Kerrigan, aber leider, keine Chance. Selbst dann nicht, wenn ich dir die Hände auf dem Rücken fesseln und die Augen verbinden dürfte.«

»Du bist ganz schön renitent, Prinzessin, das muss ich schon sagen. Augen verbinden, fesseln … warte ab, wenn unsere Tochter auf der Welt ist, dann werde ich ...« Den Rest seiner Ansprache flüsterte er direkt in Fionas Ohr. Und so, wie sie die Farbe wechselte, mussten es nette Ansagen sein.

»Allein dafür hast du dir schon diese Auszeit verdient, Mister Kerrigan«, empörte sich Fiona breit grinsend. »Und jetzt machen Elena und ich uns auf den Weg zu Mama, deiner Schwester und Amy und starten in meinen Junggesellinnen-Abschied! Ich wünsche euch auch einen schönen Abend!« Sie drückte sich von ihrem Zukünftigen ab und stemmte ihre Fäuste in die Hüften. Hilfreich war es nicht, denn schneller, als sie gucken konnte, fand sie sich auf Ryans Armen wieder.

»Palastrevolte im Paradies? Ich denke, es erfordert doch noch eine kurze Erziehungsmaßnahme, damit du nicht vergisst, wer in unserer Ehe die Hosen anhaben wird.«

»Um das herauszufinden, musst du keine derartig wüsten Drohungen aussprechen. Wer in unserer Ehe den Ton angeben wird, das kann ich dir ganz genau sagen, mein Lieber. Da kommt nämlich nur eine Person infrage: Hope!«

Die Intensität mit der sich die zierliche Frau und der große Mann, der sie im wahrsten Sinne des Wortes auf Händen trug, anstrahlten, trieb Elena Tränen der Rührung in die Augen. Das war wirklich kinoreif – eigentlich müssten jeden Moment irgendwo im Hintergrund die Geigen einsetzen. Doch stattdessen waren da die Arme, die sich liebevoll von hinten um ihre Schultern legten.

»Tränen …« Mehr als dieses eine Wort flüsterte David nicht. Das allein war schon merkwürdig genug. Und dann war da noch die Erektion, die sie in ihrem Rücken spürte.

***

»Hast du alles?«

Fiona ließ ihren Blick noch einmal über das Gepäck wandern. »Alles da«, bestätigte sie.

Doch Elena vermisste den großen weißen Schmuckkarton. »Und dein Brautkleid?«

»Habe ich gar nicht erst hierher bringen lassen, das ist schon drüben im Hotel auf Torcello.«

»Ganz sicher?«, neckte Elena.

»Male bloß nicht den Teufel an die Wand.« Auch wenn Fiona lachte, zeigte die leichte Blässe um ihre Nasenspitze, dass ihr gerade das Herz in die Hose rutschte.

»Wir sehen gleich nach, wenn wir angekommen sind, okay?«

Doch Elenas Versuch der Beruhigung reichte nicht aus. Die Braut zückte ihr Smartphone und wischte hektisch mit ihrem Finger übers Display. »Mist«, murmelte sie leise vor sich hin und wieder: »Mist.«

»Was ist denn?« Elena musterte die Schwangere forschend.

»Ach, es ist wirklich blöd, aber ich habe die Telefonnummer vom Hotel nicht abgespeichert.«

»Aber du hast doch die Handynummer deiner Mutter.«

Statt zu antworten, sah Fiona sie nur verständnislos an.

»Deine Mutter ist doch schon im Hotel auf Torcello, bitte sie doch in deinem Zimmer nachzusehen.«

Der blasse Hautton verwandelte sich in eine leicht verschämte Röte. Binnen weniger Minuten hatte Fiona Gewissheit. »Das Kleid ist da«, seufzte sie erleichtert.

Auf dem Weg zum Steg mit den Wassertaxis hatte Elena das Gefühl, von einer Dampflokomotive mit Schnappatmung verfolgt zu werden. Sie reichte der Schwangeren eine Hand, um sie beim Einsteigen in das wackelige Gefährt zu stützen. Die Finger waren eiskalt! Irgendwie wurde Elena das ungute Gefühl nicht los, dass der Anruf doch nicht genügt hatte.

Plötzlich wehte der Fahrtwind ein weinerliches Stimmchen herüber. »Meine Mutter hat den Karton doch bestimmt nicht geöffnet!«

»Dann ruf deine Mutter noch mal an. Und beruhige dich: Wie oft hast du denn schon davon gehört, dass ein Brautkleid gestohlen wurde?«, versuchte Elena, die Freundin zu beruhigen, und zog im nächsten Moment den Kopf ein. Warum begrüßten sich entgegenkommende Wassertaxi-Kapitäne immer mit so ohrenbetäubendem Gebrüll? Ein dezentes Winken, wie der Gruß von Motorradfahrern, würde doch vollkommen ausreichen. Aber für temperamentvolle Italiener war das offensichtlich nicht spektakulär genug.

An Fiona ging das lautstarke Getümmel vorbei – sie hatte mit sich selbst genug zu tun.

»Ich weiß es nicht«, heulte sie plötzlich los, verbarg ihr Gesicht hinter den Händen und wandte sich ab. Bevor Elena auch nur ein Wort sagen konnte, strahlte die Schwangere schon wieder von einem Ohr zum anderen und wedelte hektisch mit den Armen in Richtung der hinter ihnen liegenden Inseln.

»Oh mein Gott, sieh doch nur der Markusturm, der Sonnenuntergang, die Farbenpracht, ist das nicht wunderschön? Fast so schön wie das Gemälde von Monet!«

»Äh …«, Elena biss sich auf die Zunge, warum sollte sie die Freundin, die sich ganz dem Überschwang der Gefühle hingab, darauf hinweisen, dass das berühmte Bild, auf das sie anspielte, nicht den Markusturm, sondern den von San Giorgio Maggiore zeigte?

»Was wolltest du sagen?«, forschend ließ Fiona ihren Blick über das Gesicht der Freundin gleiten. »Bestimmt, dass ich mich schrecklich benehme. Scheiß Schwangerschaftshormone!«

»Ach was!«, log Elena. Sie konnte wetten, dass sie nicht die Einzige war, die innerlich drei Kreuze schlug, dass zwei Drittel der Schwangerschaft bereits geschafft waren.

Als hätte Fiona ihre Gedanken gelesen, fing sie augenblicklich wieder an zu heulen. »Ich bin so furchtbar launisch und kann nichts dagegen tun, gar nichts! Wie soll ich bloß morgen die Hochzeit überstehen, ohne die ganze Gartenanlage zu fluten?«

»Och, da sehe ich nicht so das Problem. Hat hier ja schon lange nicht mehr geregnet, die Blumen würden sich bestimmt freuen!«

»Du bist scheußlich, Elena! Wie kannst du so etwas nur sagen?«

»Weil es wahr ist«, konterte sie und fing an zu lachen.

Die Braut stimmte ein und zog im gleichen Moment wieder eine Schnute. »Und was machen wir, wenn es ausgerechnet morgen regnet?«

»Wenn du jetzt nicht sofort mit deiner Schwarzmalerei aufhörst, lege ich mein Amt als Trauzeugin nieder!«, empörte sich Elena und reichte der Schwangeren eine Hand, um ihr auf den Anlegesteg zu helfen. »Jetzt gehen wir aufs Zimmer, damit du dich überzeugen kannst, dass dein Brautkleid da ist. Und möchtest du auch noch einmal in den Garten? Nachsehen, ob alles für den großen Moment bereit ist …«

»Das würdest du für mich tun?«

»Aber natürlich! Ich möchte doch auch, dass das morgen ein unvergesslicher Tag für euch wird …«

»Das habe ich befürchtet!«

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480 стр. 1 иллюстрация
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9783738081343
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