Читать книгу: «HAUPTGEWINN»

Шрифт:

Ulrike Blatter

HAUPTGEWINN

kurz und gut: ein Krimi

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Hauptgewinn

Die Favoritin

Sie haben immer noch nicht genug?

Impressum neobooks

Hauptgewinn

(Gewidmet Isabel und der Sippe derer von Goldenblue)

Aus Rosenwolken bricht, geweckt durch süßen Klang,

der Morgen jung und schön.

Seht das beglückte Paar wie Hand in Hand es geht!

(Joseph Haydn; die Schöpfung)

Es ist vorbei. Les jeux sont faits. Die Contessa tanzt barfuß auf der Marmorplatte des Caféhaustisches. Bernd hat den Sekt in Sicherheit gebracht und klatscht frenetisch. Seine puderbestäubte Perücke mit den steif ondulierten Locken gerät ins Rutschen, auf dem altmodischen Gehrock blitzt ein großer falscher Orden im Takt der Musik. Während die Musiker immer näher drängen, die Geigen fiebrig im Walzertakt schrillen und der Kontrabass erdig brummt, hat auch Chiara ihre Schuhe ausgezogen. Aber sie ist zum Zuschauen verdammt. Die Spiegel an den Wänden des Cafés Florian reflektieren die biegsame Taille der Contessa, die rotgoldene Lockenpracht, das Feuer echter Diamanten. Sie rafft den Brokatstoff des Rokokogewandes, bis blasses Fleisch über ein Strumpfband quillt. Als sie kokett ihre Maske sinken lässt, stöhnt Chiara auf. Die Contessa ist alt und unsagbar hässlich. Trotzdem hat Bernd nur noch Augen für sie.

Tröstend schmiege ich mich an Chiaras schlanke Fesseln. Ihre duftende Haut trägt einen sonnendurchtränkten Goldton. Sie schenkt mir jedoch keine Beachtung. Ich bin nur Statist, aber habe ich etwa keine Gefühle?

Mein Blick streift Nitribit. Anmutig liegt sie neben Bernd, der ihr seidiges Haar liebkost. Werde ich sie verlieren, so, wie Chiara Bernd an die Contessa verloren hat?

Diesmal bin ich es, der vor Liebeskummer stöhnt. Ich zittere. Es ist die Überreizung meiner Sinne. Es ist die Verwirrung der Gefühle. Es ist – ein Rassemerkmal. Ich bin nämlich ein Windhund. Menschen sagen „Windhund“, wenn sie einen unseriösen Galan meinen, was auf mich aber keinesfalls zutrifft: Ich bin Chiara treu ergeben. Als Mensch würde ich ihre Geschichte aufschreiben. Sie ist es wert. Ganz großes Kino. Aschenputtel, Pretty Woman oder, um in Venedig zu bleiben: La Cenerentola. Blanke Schuhe, goldene Kleider, geschwätzige Tauben, ja sogar das Bett in der Küchenasche – alles, alles ist vorhanden. Nun gut, bei der Asche übertreibe ich ein wenig, und auch Bernd ist als Prinz eine totale Fehlbesetzung.

Übrigens, kennen Sie Singen am Hohentwiel? Keine Stadt ist weiter weg von der Raffinesse Venedigs. Singen ist Arbeiterstadt, Aluminiumpresse und Fabrik für Maggi-Brühwürfel, diese penetrante Instantwürze, die sensible Nasen beleidigt. Hier ist Chiara aufgewachsen, ihre Zeit an der Nähmaschine verträumend, umgeben von Postern der Reichen und Schönen, deren Roben sie eifrig kopierte. Natürlich hat sie keine Lehre begonnen, denn nach neun quälenden Schuljahren wollte sie endlich richtiges Geld verdienen.

Auch wenn es verrückt klingt: Kaum eine deutsche Stadt ist italienischer als Singen. Geprägt von Kalabresen, die auch in der dritten Generation den Dialekt nicht abgelegt haben. Frauen aus Kalabrien sind Mutter, Schwester, Witwe. Andere Rollen sind nicht vorgesehen in diesem engen Kosmos. Nun ja, auch der Part der Hure wäre zu vergeben, aber doch nicht für ein so liebenswertes Geschöpf wie meine Chiara. Kalabrien, das ist womöglich noch weiter weg von Venedig als Singen am Hohentwiel.

Wussten Sie, dass der Capo des deutsch-italienischen Kokainhandels, Bruno Nesci, bis 2011 in Singen gelebt hat? Jetzt sitzt er. Nicht, dass Chiaras Sippe damit etwas zu tun hatte, aber dennoch: Eine schwer fassbare kriminelle Unterströmung durchzog schon immer Chiaras Denken und Fühlen; diese Faszination für die oberen Zehntausend, das stete Schielen nach den süßesten Früchten, koste es, was es wolle. Und Chiara ließ es sich einiges kosten. Kein Geld, das versteht sich. Sie hatte ja keines. Chiara arbeitete Schicht in der Küche für Flüssigwürze, verpackte Tütensuppen, konnte keine großen Sprünge machen, versteckte ihr wundervolles Haar unter einer Zellstoffhaube, hielt die Nägel, machte dem Vorarbeiter schöne Augen, wurde rausgeworfen und musste ganz unten bei der „Alu“ wieder neu beginnen. Das hieß Schmelzöfen putzen, Metall polieren, Paletten packen.

Habe ich zu viel versprochen? Aschenputtel, Küchendunst, Asche. Das volle Programm.

Chiara aber geriet ins Grübeln. Mutter, Schwester, Witwe – sollte das Leben nicht mehr bieten? Damals musste ich ihr als Verheißung einer besseren Zukunft erschienen sein. Es beschämt mich, dass sie mich im Tierheim fand, denn ich bin aus guter Zucht und habe Stammbaum.

Wir zwei waren jedoch das perfekte Paar. Ob beim Joggen, wo ich, vollkommen unterfordert, mit lässig pendelnden Pfoten neben ihr trabte, oder auf der Zürcher Bahnhofsstraße, wo sie ihre selbstgenähten Kreationen vor großem Publikum testete – stets folgten uns bewundernde oder neidische Blicke.

Denn auch Chiara hat Rasse. Ihr schwebender Gang auf schier unendlichen Beinen, ihre zerbrechliche Taille bei stark betontem Brustbereich – sind wir uns nicht verblüffend ähnlich? Da gibt es nur einen Unterschied: Während sie das sorgfältig frisierte Köpfchen stets hoch trägt, kultiviere ich den typisch blasierten Gang des Whippets: Schmale Silhouette, graziös schlendernder Schritt, den noblen Schädel geneigt wie ein erschöpfter Dandy nach allzu langer Nacht; dabei jederzeit bereit, es mit einer startenden Vespa oder einem panisch flüchtenden Hasen aufzunehmen. So biete ich das Bild streng gezügelter Wildheit bei freiwilliger Unterwerfung unter die zarte Dominanz meiner Herrin.

Ja, es ist wahr, mich prägt ein starker Hang zur Unterordnung. Manche nennen es hündisch. Wahrscheinlich ist auch dies ein Rassemerkmal.

Auch Chiaras Augen fesseln mich. Tiefe Schwärze, umrahmt von dramatischen Schatten; ihr Blick, der dem meinen so ähnlich ist. Bis auf einen entscheidenden Unterschied. Chiaras Blick kennt keine Unterordnung, und auch Treue ist ihm vollkommen fremd. Meine Herrin! Ich vergöttere sie.

Erst seit dieser vermaledeiten Reise hat Chiara ernstzunehmende Konkurrenz bekommen. Sie heißt Nitribit und ist Afghanin allerbester Abstammung mit cremeweißem Fell und Augen, in deren mystischer Tiefe ich mich sofort verlor. Rettungslos verlor. Ich sah sie zum ersten Mal in der historischen Lobby des Ca’ Sagredo, und sofort wurde mir schwindelig. Es war nicht die marmorne Freitreppe. Es waren nicht die Fresken, Intarsien und Säulen, die mich verwirrten. Es war die Magie ihrer Augen, es war ihr unwiderstehlicher Duft.

Karneval in Venedig. Maskentreiben. Taumel der Sinne. Unfassbar, dass wir hier tagelang im Luxus schwelgen sollten, aber Chiara hatte alles genauestens geplant.

Bei unserem ersten Aufeinandertreffen hat mich Nitribit jedoch kaum beachtet. Ihr Blick ruhte unverwandt auf Bernd, dessen Linke die wildlederne Leine hielt, welche zu einem reich verzierten Halsband führte. Den besitzergreifenden Charakter dieses Kerls witterte ich hundert Meter gegen den Wind. Bernd war der geborene Nebenbuhler. Meine Rückenhaare richteten sich auf. In meiner Kehle entstand ein leises Grollen, das sich zum Knurren steigerte. Irritiert zerrte Chiara an der Leine. „Still!“, zischte sie. So hatte sie mich noch nie behandelt. Mühsam um Contenance ringend, senkte ich den Kopf.

Da es unmöglich war, Bernd auszuweichen, wollte ich wenigstens die göttliche Nitribit näher kennenlernen. Wie zufällig schob ich mich an ihre Seite. Nitribit gähnte und zeigte eine feuchte rosa Zunge, die sie an der Spitze leicht einrollte. Ich konnte nicht anders, auch ich musste gähnen.

Funkelte da etwa Belustigung in ihren dunklen Augen? Aber schon zog dieser Widerling an der Leine, bot Chiara den Arm und reduzierte mich zum lästigen Anhängsel, zum überflüssigen Accessoire, kurz – zu einem tiefgekränkten Köter, der mit eingeklemmten Schwanz hinter dem Menschenpärchen trottete.

Der eingeklemmte Schwanz ist übrigens auch ein Merkmal meiner Rasse. Windhunde sind zartfühlende Tiere und dem Menschen näher als jede andere Hundeart. Ich war tief verletzt und zitterte wie Espenlaub gezittert. Zittern ist übrigens auch ein Rassemerkmal.

Ach, was soll ich um den heißen Brei reden: Ich war eifersüchtig und unglücklich verliebt. Am liebsten hätte ich Bernds Hose zerfetzt und die Wade gleich mit. Aber damit hätte ich mich um jede Chance gebracht, die unvergleichliche Nitribit näher kennenzulernen.

Außerdem war Chiara taub und blind für alle Warnungen. Es ging ihr keineswegs um Liebe, nein, diese Reise war eine akkurat kalkulierte Investition in eine Zukunft, die mehr bieten sollte, als die lethargisch verblühende Schönheit einer italienischen Mama. Genau so hatte Chiara es ausgedrückt, als wir beide, einige Wochen vorher, daheim in Singen das Spielcasino betraten: „Wollen wir doch mal sehen, ob ich als italienische Mama ende, oder heute das große Los ziehe!“ An diesem nebligen Winterabend war sie voller Optimismus gewesen. Chiaras Heimatstadt Singen bietet nämlich mehr als nur Maggi und Aluminium. Zum Beispiel den einzigen Seniorenknast Deutschlands. Der interessierte Chiara jedoch nicht im Geringsten. Obwohl auch die Tür des Etablissements, die sich nur nach eingehender Kontrolle öffnete, viel besser gesichert war, als eine normale Tür. Es war der Zugang zu Deutschlands einzigem Frauen-Spielcasino. Es warb mit dem Slogan ‚Spielen im geschützten Rahmen’, denn hier werde keine Frau von dubiosen Gestalten um sauer erspielte Gewinne gebracht. Als Service des Hauses gab es Handtaschen-Schließfächer und Kühlschränke, um leicht verderbliche Ware beim Spielstopp am Mittag zu deponieren, dazu pflegeleichte Plastikpflanzen für ein angenehmes Ambiente. In dieser lauschigen Atmosphäre wollte Chiara ihre Überstundenvergütung zum Startkapital potenzieren. An dem Abend, als sie alles verlor, lag ich still zu ihren Füßen. Sie schwor, es nie wieder zu versuchen. Aber bald kam der Tag, an dem sie es trotzdem wieder tat. Wie sie spielte und nicht aufhören konnte! Wie ihr alles, alles durch die Finger glitt! Als sie die hochhackigen Schuhe von den Füßen streifte, stupfte ich meine kalte Nase gegen ihre Fesseln. ‚Lass es gut sein!’, wollte ich ihr sagen, ‚lass uns gehen.’ Aber wer bin ich, um ihr Kommandos zu geben? Ich bin nur ihr Hund. Es war genau diese Nacht, in der sie den Jackpot knackte.

Als sie in der Morgendämmerung auf die Straße trat, barfuß trotz Eiseskälte, die Stilettos in der einen, die Leine lässig in der anderen Hand, hing mein Kopf noch tiefer als gewöhnlich. Ich war – verzeihen Sie mir den billigen Gag – ich war hundemüde. Chiara jedoch war hellwach, elektrisiert, wie im Fieber.

Бесплатный фрагмент закончился.

95,30 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
38 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783738070668
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают